Schatten der Vergangenheit von Zerina ================================================================================ Kapitel 13: Warnhinweise ------------------------ Als Harry am Morgen des dritten Tages seiner unfreiwilligen -und nach wie vor unerklärlichen- Reise in die Vergangenheit erwachte, glaubte er, ihm müsste vor Schmerzen der Schädel platzen. Stöhnend drehte er sich auf den Rücken, hielt die Augen jedoch weiterhin geschlossen. Er presste sich eine Hand auf die Stirn, hinter der es fürchterlich pochte, die andere krallte er in etwas Weiches - seine Decke nahm er an -, die Zähne hatte er vor Pein zusammengebissen. Es fühlte sich an, als hätte eine Horde Gnome in der Nacht seinen Kopf als Fußball missbraucht. Oder als hätte Voldemort einen seiner berühmt-berüchtigten Wutanfälle, die Harry immer das zweifelhafte Vergnügen hatte hautnah mitzuerleben. Kaum hatte sich dieser beunruhigende Gedanke durch sein vor Schmerzen vernebeltes Gehirn geschlichen, riss Harry geschockt die Augen auf, halb in der Erwartung, ein Paar roter Pupillen über sich in der Luft schweben zu sehen. Doch da war niemand. Mit hämmerndem Herzen starrte Harry auf den grünen Baldachin seines Bettes, sein Atem ein einziges, panisches Keuchen in dem stillen Raum, dann wandte er langsam den Kopf zur Seite, wobei er leicht zusammenzuckte, als die Bewegung das Pochen in seinem Schädel verschärfte. Mit zitternden Fingern setzte er seine Brille auf und spähte angestrengt ins morgendliche Halbdunkel, nur um zu entdecken, dass die Betten der anderen leer und er alleine war. Harrys Herz machte einen freudigen Satz. Kein Riddle. Kein verdammter Riddle weit und breit. Für den Moment von seiner Sorge um den Ursprung seiner Kopfschmerzen abgelenkt, richtete Harry auf seine Ellenbogen gestützt den Oberkörper auf, ein erleichtertes Seufzen auf den Lippen, doch das Pochen hinter seiner Stirn erstickte das Glücksgefühl über Riddles Abwesenheit schon bald im Keim. Unruhig fuhr Harry mit einem Finger die gezackte Linie seiner Narbe nach, während seine Gedanken sich unaufhörlich im Kreis drehten. Wie so oft in den letzten Tagen sehnte er sich nach der Gesellschaft seiner besten Freunde. Mit ihnen hätte er offen über dieses seltsame Phänomen sprechen, seine Sorgen mit ihnen teilen können, ohne sich deswegen schämen zu müssen, doch sie waren nicht hier. Ron und Hermine waren in ihrer eigenen Zeit, während Harry in der Vergangenheit festsaß. Verfluchter Mist! Der einzige, dem Harry sich anvertrauen konnte, war Dumbledore. Aber wie viel durfte Harry seinem späteren Mentor erzählen, ohne Gefahr zu laufen, die Zukunft zu beeinflussen? Wie viel durfte Dumbledore wissen? Machte es überhaupt noch einen Unterschied? Hatte Harry nicht vielleicht schon alles einfach durch sein Auftauchen in dieser Zeit geändert? Und wenn ja, was hieß das dann für ihn? Gab es überhaupt noch eine Zukunft, in die er zurückkehren konnte? Existierte seine Zeit überhaupt noch? Diese und viele andere Fragen wirbelten unablässig in Harrys Kopf herum, bis er sich schließlich stöhnend zurück auf das weiche Kissen fallen ließ und das Gesicht in den Händen vergrub, damit er das Grün und Silber um sich herum nicht mehr ertragen musste. Er hatte die Schnauze ja so voll. Verdammt! Warum passierte immer ihm so eine Scheiße? Er wollte seine Freunde wiedersehen, er wollte wieder bei den Gryffindors sein! Er wollte… einfach zurück nach Hause. Bei diesem Gedanken brannte eine solche Sehnsucht in seinen Adern, dass sich Harrys Brust schmerzvoll zusammenzog und zu seinem maßlosen Entsetzen spürte er, wie ein erbärmliches Schluchzen seine Kehle hinaufsteigen wollte, was er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern versuchte. Zu allem Überfluss fingen seine Augen auch noch unter seinen Fingern an zu brennen. Tränen sammelten sich unter seinen Lidern, als er sie hastig zusammenpresste und drohten überzulaufen, doch der Schreck ließ sie sogleich wieder versiegen, als die Tür zum Schlafsaal mit einer solchen Wucht aufgestoßen wurde, dass sie lautstark gegen die Wand knallte. Pfeilschnell setzte Harry sich auf und tastete nach seiner Brille auf dem Nachttisch, während er halbblind in das Dämmerlicht starrte, die Augen leicht zusammengekniffen, um den verschwommenen Umrissen wenigstens ein wenig Schärfe zu verleihen. Im Türrahmen entdeckte Harry eine Gestalt, deren Ränder seltsam ausgefranst wirkten, aber dennoch auf die Umrisse eines Menschen schließen ließen, der etwas auf den Händen trug. Argwöhnisch beäugte Harry die verschwommene Gestalt, die langsam auf ihm zukam, da stießen seine Finger gegen den Rahmen seiner Brille. Er klemmte sie sich auf die Nase, ohne den Blick von seinem Gegenüber abzuwenden, der sich als ein breit grinsender Alphard Black entpuppte, welcher auf seinen Händen ein Tablett balancierte, das so voll beladen war mit Essen, dass es an ein Wunder grenzte, dass nicht alles seitlich hinabgerutscht war. „Morgen, Schlafmütze“, grüßte Alphard Harry ungewöhnlich munter - immerhin war es noch morgens, was normalerweise hieß, dass Alphard mehr Ähnlichkeit mit einem Zombie denn einem Menschen hatte -, was Harry so sehr überraschte, dass er sprachlos dabei zusah, wie der andere Junge sich auf sein Bett setzte und das Tablett mit den köstlich duftenden Speisen zwischen ihnen platzierte. Harrys Magen rumorte erwartungsvoll. Er hatte gar nicht gemerkt wie hungrig er eigentlich war. „Was ist?“, fragte Alphard offensichtlich amüsiert als Harry auch nach mehreren Sekunden keinen Ton herausbringen und ihn einfach nur verwirrt anstarren konnte. „Das Essen ist nicht nur zum Angucken. Hau rein.“ Wie um seine Worte zu untermalen schnappte Alphard sich ein Stück Kürbispastete und schob es sich halb in den Mund. Harry zögerte noch einen Moment, dann griff auch er beherzt zu. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihm der Verdacht gekommen, das Essen könnte vergiftet sein - bei Slytherins konnte man nie wissen -, doch er hatte er ihn schnell wieder verworfen. Das war lächerlich. Alphard schien… nett zu sein. Und nachdem, was Harry gestern gesehen hatte, war es offensichtlich, dass er kein Gefolgsmann von Tom Riddle war. Außer natürlich, er spielte das alles nur. Dass Riddle ihm befohlen hatte, er sollte so tun, als würde er ihn leiden können, damit er sich Harrys Vertrauen erschleichen… Jetzt reichte es aber, schalt Harry sich entschieden. Er schüttelte den Kopf, um diese albernen Ideen loszuwerden. Er litt langsam unter Verfolgungswahn. Wenn er so weitermachte, würde er noch hinter jeder Ecke eine Verschwörung Riddles vermuten. Also wirklich! Nicht, dass man es ihm würde verübeln können, sollte er tatsächlich etwas paranoid werden. Die Situation, in der er sich befand, war alles andere als rosig. Wofür er ganz allein Riddle die Schuld gab. Der Typ ging ihm sogar noch mehr auf die Nerven als Malfoy! Also, der Malfoy aus seiner Zeit. Nicht der aus dieser. Der ließ ihm zum Glück seine Ruhe, auch wenn Harry sich öfters von ihm beobachtet fühlte. Aber verglichen mit dem Hohn, den Draco Malfoy immer für ihn bereit hielt, war das harmlos. Zum Glück, denn schon allein dank Riddle lagen Harrys Nerven blank. Nicht auszudenken, wenn er sich auch noch mit einem Malfoy hätte herumschlagen müssen! Dann hätte er seinem Vertsand auch gleich ade sagen können. Nicht, dass ihm das irgendjemand hätte verübeln können. Harry musste eine ganze Weile ins Leere gestarrt haben, so in seiner eigenen Welt versunken, dass er sogar vergessen hatte zu essen, denn als Alphard ihn schließlich aus seinen Gedanken riss, war das Tablett zwischen ihren Beinen nur noch halbvoll. Harry fühlte sich mit einem Mal stark an Ron erinnert. „Schlecht geschlafen, was?“, fragte Alphard, der sich, mit einer Hand auf Harrys Decke aufgestützt, locker nach hinten gelehnt hatte, während er die Finger seiner anderen genüsslich ableckte. Sein Ton war locker, entspannt, doch in seinen Augen konnte Harry erkennen, dass hinter der Frage sehr viel mehr steckte. Er konnte sich nur nicht erklären, was. Betont gleichgültig zuckte Harry mit den Achseln. „Kommt schon mal vor. Nichts weiter dabei.“ Alphard sah aus, als wollte er ihm widersprechen, tat es jedoch nicht. Harry wusste nicht, was ihm das sagen sollte. Wieder schwiegen sie eine Weile, dann gab Harry sich schließlich einen Ruck und meinte: „Hey, ich will nicht undankbar sein, oder so, aber warum...“ Hilflos wedelte er mit seiner angeknabberten Scheibe Toast in Richtung des Tabletts. Alphards silberne Augen huschten unruhig durch den Raum. Er wirkte eindeutig verlegen. „Naja… du hast mir gestern Slughorn vom Hals gehalten. Und Riddle dazu“,fügte er mit offensichtlicher Erleichterung hinzu. Er fuhr sich mit einer Hand durch das lange Haar. „Du hättest mich locker verpfeifen können, hast es aber nicht getan. Nicht gerade Slytherin, um ehrlich zu sein.“ Er zwinkerte Harry verschwörerisch zu, was diesem ein Grinsen aufs Gesicht zauberte. Er hatte ja gar keine Ahnung, wie egal Harry das war. „Wie dem auch sei“, fuhr Alphard mit einem Achselzucken fort, während seine Finger abermals auf der Decke auf das Tablett zu glitten, das Harry jedoch hastig in Sicherheit und außerhalb seiner Reichweite brachte, da er sonst wahrscheinlich Gefahr gelaufen wäre, auch diesen Morgen hungrig zum Unterricht gehen zu müssen. Was ihn auf einen Gedanken brachte. Wie spät war es eigentlich? Alphard grinste ihn breit an. „Ich schulde dir was dafür, dass du dicht gehalten hast. Also hatte ich die geniale Idee, ich begleiche das, indem ich dich vor dem Verhungern bewahre.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen ließ er seinen Blick kritisch über Harrys Körper wandern. „Du bist viel zu dünn, ist dir das eigentlich klar.“ Harry schnaubte belustigt. Als würde er das nicht schon oft genug von Mrs. Weasly zu hören bekommen. Wie zum Trotz stopfte sich Harry eine Scheibe gebratenen Speck in den Mund. Alphard schien das äußerst komisch zu finden, denn er ließ ein bellendes Lachen hören, das Harry so sehr an Sirius erinnerte, dass er sich verschluckte. Hastig legte er sich eine Hand auf den Mund und beugte sich nach vorne, während er krampfhaft versuchte, das Essen runter zu würgen. Ein Schlag traf ihn auf den Rücken, so stark, dass er ein ganzes Stück nach vorne ruckte und beinahe vom Bett gefallen wäre. Mit einiger Anstrengung gelang es Harry, den Bissen runter zu schlucken. „Alles klar?“, fragte Alphard eher amüsiert als ernsthaft besorgt, während er Harry weiterhin auf den Rücken klopfte, wenn auch um einiges sachter als zuvor. Nach Atem ringend hielt Harry einen Daumen in die Höhe, was Alphard abermals zum Lachen brachte, doch dieses Mal war Harry davor gewappnet, sodass er sich kein weiteres Mal verschluckte. Mit leicht zittrigen Fingern griff Harry abermals nach dem Tablett, die Augenbrauen misstrauisch zusammengezogen, als sein Blick auf das Essen fiel. Meinte er das nur, oder fehlte etwas von der Kürbispastete? Aus dem Augenwinkel schielte er zu Alphard hinüber, der ihn vollkommen unschuldig anlächelte. Harry kaufte es ihm nicht ab. Der Mistkerl hatte den Moment der Ablenkung genutzt, um sich noch mehr von dem Essen zu stibitzen. „Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Harry einen Deut missmutig, während er die letzte Scheibe Toast mampfte. Alphard winkte ab. „Keine Bange, wir haben noch etwas Zeit, Kleiner.“ Harrys Blick verfinsterte sich. „Nenn mich nicht so.“ Missmutig schnappte er sich den letzten Speck. „Wie?“, fragte Alphard arglos, sein Gesicht eine Maske der Unschuld, als hätte er keine Ahnung, worüber Harry sich ärgerte, doch das leichte Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn. Harry hätte beinahe frustriert geknurrt. „Das weißt du genau.“ Alphard grinste schief. „Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon du redest.“ „Kleiner!“, rief Harry schließlich ungehalten aus, nachdem er den Rest des Specks runter gewürgt hatte. Das Tablett war jetzt bis auf einige Krümel leer. „Du sollst mich nicht so nennen. Ich habe einen Namen.“ Alphard zuckte grinsend mit den Achseln. „Den kenne ich nicht.“ „Klar kennst du den!“, grollte Harry verärgert, da er sich ganz deutlich daran erinnerte, dass Alphard ihn gestern damit angesprochen hatte. Herausfordernd blickte er dem anderen Jungen in die Augen, der auf einmal gar nicht mehr amüsiert wirkte, ganz im Gegenteil. Alphard wirkte ungewohnt ernst. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, seine Augen hatten einen scharfen Ausdruck angenommen, seine Züge wirkten hart und unnachgiebig. Etwas verunsichert wich Harry vor ihm zurück, die Wut in seinem Innern nur noch ein leises Echo. Eine angespannte Atmosphäre hing zwischen ihnen in der Luft. Alphard musterte ihn mit schmalen Augen. „Tue ich das?“ Harry schluckte. Scheiße, scheiße, scheiße. War Alphard doch einer von Riddles Speichelleckern? Hatten sie ihn reingelegt? Sollte er ihm für Riddle seine Geheimnisse entlocken? War das Riddles neue Taktik? War er deshalb nicht hier, nachdem er Harry die letzten Tage unentwegt auf die Pelle gerückt war? Harry versuchte sich an einem Lachen, doch selbst in seinen Ohren klang es schrecklich nervös. „'türlich kennst du ihn. Harry Brown, schon vergessen? Schläfst du etwa noch?“ Für einen Augenblick, der sich für Harry wie eine Ewigkeit anfühlte, hüllte Alphard sich in ein angespanntes Schweigen, dann verzogen sich seine Lippen zu einem schiefen Grinsen, das allerdings die Härte nicht aus seinen Augen vertrieb. „Vielleicht. War eine seltsame Nacht.“ Harry lag die Frage auf der Zunge, was denn so Seltsames geschehen ist, doch er hielt sich zurück. Er hatte das Gefühl, gerade nur knapp mit heiler Haut davongekommen zu sein, da musste er sein Glück ja nicht gleich wieder auf die Probe stellen. Mit einem leisen Stöhnen streckte Alphard die Arme über seinen Kopf, dann sprach er mit einem Seitenblick auf den kürzeren Jungen: „Was hast du eigentlich heute in der ersten Stunde?“ Harry, von dieser Frage etwas überrumpelt, versuchte sich zu erinnern, welcher Tag heute war - die Zeitreise hatte alles durcheinander gebracht - dann ging er seinen Stundenplan benommen in seinem Kopf durch, bis er schließlich äußerst widerwillig „Wahrsagen“ murmelte. Toll, eines seiner Hassfächer. Harry freute sich ungemein. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es in der Vergangenheit interessanter werden würde als in der Zukunft. Naja, wenigstens würde er Trelawney nicht ertragen müssen. Das war doch schon mal ein Lichtblick des Tages. Seufzend wandte Harry den niedergeschlagenen Blick Alphard zu, runzelte jedoch die Stirn, als er die leise Panik auf dem Gesicht des anderen Jungen bemerkte. „Wahrsagen ist oben in einem der Türme, oder?“, fragte er etwas nervös mit einem unsicheren Seitenblick auf eine Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Harry nickte langsam, auch wenn er keine Ahnung hatte, wo genau Wahrsagen in der Vergangenheit stattfand. Er hoffte einfach mal, dass es der gleiche Raum war wie in seiner Zeit, sonst hatte er ein ernsthaftes Problem. Alphard erhob sich hastig von Harrys Bett. „Dann musst du dich beeilen! Wenn du hoch in einen Turm musst, wird es ganz schön knapp.“ Harry schaute ihn verwirrt an. „Wieso, wir sind doch…“ In den Kerkern, beendete er seinen Satz stumm, während er mit einem lauten „Scheiße“ vom Bett sprang. So schnell wie noch nie zuvor hatte er seinen Schlafanzug gegen seine Uniform getauscht, sich die Zähne mehr schlecht als recht geputzt, war einmal mit einer Hand durch seine schwarzen Locken gefahren, was alles nur noch schlimmer gemacht hatte, sodass er zehn Minuten später, seine Tasche unter den Arm geklemmt und seine Krawatte lose um den Nacken drapiert, durch die Korridore hastete, Alphard zu seiner Überraschung, dicht auf den Fersen, der ihm keuchend Anweisungen gab, in welche Richtung Harry musste. Zu seiner maßlosen Erleichterung war es derselbe Weg wie in seiner Zeit. „Warte mal“, keuchte Alphard, als Harry den Fuß auf die erste Stufe einer Treppe gesetzt hatte, die in die oberen Stockwerke des Schlosses führte. Ungeduldig und völlig außer Atem drehte Harry sich zu ihm um. „Ja?“ Alphard hatte sich mit einer Schulter gegen die kühle Wand gelehnt, das Gesicht rot vor Anstrengung, als wäre er soeben einen Marathon gelaufen, sein schwarzes Haar wirkte zerzaust und klebte ihm auf der verschwitzten Stirn. Harry nahm an, dass er kaum ein besseres Bild abgab. „Der Raum für Wahrsagen ist da oben, glaube ich“, stieß Alphard zwischen zwei keuchenden Atemzügen hervor. Eine Hand hatte er sich auf die Seite gepresst, mit der anderen wischte er sich einige feuchte Strähnen aus dem Gesicht. „Ich muss zu Runenkunde. Findest du den Rest allein?“ Harry zögerte, unsicher, ob es verdächtig wirken würde, wenn er ihm sagte, dass er schon zurecht kommen würde, wischte seine Bedenken jedoch schnell wieder beiseite. „Kein Problem“, erwiderte er mit einem Nicken in Richtung Alphard, der unglaublich erleichtert wirkte. Wahrscheinlich graute es ihm davor, den ganzen Weg hoch zur Spitze des Turmes rennen zu müssen. „Danke für die Hilfe. Bis später.“ Harry setzte gerade zum Spurt die Treppe hoch an, da hielt ihn Alphard abermals zurück. Etwas genervt wandte Harry sich wieder zu ihm um. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf das steinerne Geländer der Treppe, während er darauf wartete, dass Alphard, der mit sich selbst zu hadern schien, endlich mit der Sprache herausrückte. „Kleiner“, begann Alphard nach wenigen Sekunden, doch Harry unterbrach ihn sofort wieder. „Harry.“ Alphard blinzelte, dann breitete sich ein schiefes, dieses Mal echtes, wenn auch verschlagenes Grinsen auf seinen vornehmen Zügen aus. „Harry, Kleiner.“ Harry sog scharf die Luft ein, um die Wut, die in seinen Adern kochte, im Zaum zu halten. „Was?!“, fragte er schroff, was Alphard nur noch breiter grinsen ließ. Harry verwünschte ihn stumm auf jede erdenkliche Weise. Doch dann verschwand das Grinsen aus Alphards Gesicht, um einem ernsten, eindeutig besorgten Ausdruck Platz zu machen, der Harry bei ihm irgendwie fehl am Platz vorkam. Alphard wirkte wie jemand, der sich um nichts und niemanden Sorgen machte. „Hör mal“, begann Alphard langsam, besonnen, als würde er jedes seiner Worte genau abwägen, dann schaute er sich hastig um, wie um sicherzugehen, dass sie niemand belauschte, bevor er mit leiser Stimme fortfuhr: „ich weiß nicht, was zwischen dir und Riddle vorgefallen ist, aber ich finde es gut, dass du dich gegen ihn wehrst. Wirklich. Es ist an der Zeit, dass ihm mal jemand Kontra gibt. Aber...“, er senkte seine Stimme bis sie nicht mehr als ein Flüstern war, sodass Harry sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen, „aber du solltest vorsichtig sein. Du hast keine Ahnung, wozu Riddle fähig ist.“ Harry gelang es nur mit Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Oh, wenn Alphard nur wüsste… „Ich kann es mir ganz gut vorstellen, um ehrlich zu sein“, entgegnete Harry mit einem leisen Schmunzeln, das sich trotz aller Anstrengung auf sein Gesicht geschlichen hatte. Alphard wirkte alles andere als überzeugt. „Glaub mir, du hast keine Ahnung.“ Ein gehetzter, beinahe… ängstlicher Ausdruck trat in seine silbernen Augen. „Riddle ist gefährlich. Nimm dich lieber in Acht. Wenn er ernst macht, ist mit ihm nicht zu spaßen. Momentan ist das alles noch ein Spiel für ihn und du solltest hoffen, dass es auch so bleibt.“ Er musterte Harry, der nicht wusste, wie er auf Alphards Warnung reagieren sollte, dass er sich das alles schon mehr oder weniger selber zusammengereimt hatte, einige Sekunden lang nachdenklich bevor in sanfterem Ton hinzufügte: „Niemand in Slytherin wird sich offen auf deine Seite stellen, nicht wenn dein Gegner Riddle ist. Und auch aus den anderen Häusern solltest du keine Hilfe erwarten. Schon gar nicht die Gryffindors, auch wenn sie Riddle wohl am wenigsten leiden können.“ Harry musste ihm recht geben, wenn auch etwas wehmütig. In seiner Zeit hatte er sich immer auf die Unterstützung der Gryffindors verlassen können, wenn es hart auf hart kam. Alphard legte ihm eine starke Hand Schulter, das Gesicht seltsam verzogen, als würde er sich selbst verabscheuen. „Ich kann es mir nicht leisten, meine Position in Slytherin zu gefährden, indem ich dir vor den Augen aller helfe, aber ich könnte...“ Bevor Alphard weitersprechen konnte, brachte Harry ihn mit einem entschiedenen Kopfschütteln zum Schweigen. „Ich weiß, was du sagen willst und danke, aber nein, danke. Das hier geht nur Riddle und mich etwas an. Ich werde niemanden sonst damit hineinziehen.“ Von einer grimmigen Entschlossenheit erfüllt, blickte Harry geradewegs in Alphards bleiches Gesicht, das ein perfektes Spiegelbild des Schocks und des Grauens darstellte, die in seinen vor Überraschung geweiteten Augen tanzten, bevor er die mit einem Mal kraftlose, schwache Hand von seiner Schulter mit einem Ruck abschüttelte und die Stufen in Richtung vierten Stock hinaufstieg, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er war Alphard für seine Worte durchaus dankbar; es tat gut zu wissen, dass es auch in dieser Zeit Menschen gab, denen er nicht vollkommen egal war, auch wenn er sich immer noch nicht ganz sicher war, ob er dem jungen Black trauen konnte, doch letztendlich war Riddle sein Problem. Schon immer gewesen. Seit er Harry, als er gerade mal ein Jahr alt gewesen war, die Narbe auf seiner Stirn verpasst hatte. Und er würde nicht zulassen, dass am Ende noch jemand wegen ihm verletzt werden würde. Diese Schuld konnte er nicht ertragen. 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