Down Hill 3: Crisis von Sky- ================================================================================ Kapitel 3: Der Umzug -------------------- Mello wusste nicht, wie spät es war und wie viel Zeit eigentlich vergangen war. Er konnte nicht sagen, ob die 24 Stunden schon um waren, oder ob es gerade erst eine Stunde vergangen war. Er wusste ja nicht mal mehr, ob es gerade Tag oder Nacht war. Inzwischen hatte er gänzlich sein Zeitgefühl verloren und der Einzige, der vorbei kam, war Rhyme, der ihm etwas zu Essen brachte und versuchte, ihn mit Worten aufzumuntern. Aber Mello verspürte weder Appetit, noch vermochten Rhymes Worte ihm Mut zu machen. Denn es ließ sich nun mal nicht leugnen, dass von dieser verdammten Diagnose sein Leben abhing. So saß er in seiner Zelle, gefesselt und eingesperrt wie ein Schwerverbrecher. Diese quälende Ungewissheit machte ihn fast verrückt und von Kaonashi oder Horace hatte er auch nichts mehr gehört. Er war ganz alleine und konnte nichts tun als zu warten. Schließlich aber hörte er ein vorsichtiges Klopfen an der Tür. „Wer ist da?“ rief er und sah nur den Schatten zweier Füße durch den Türspalt. „Mello? Ich bin es, Echo.“ „Wie hast du mich gefunden?“ „Ich bin dem Geräusch von Rhymes Schritten gefolgt und dann hab ich deine Stimme gehört. Über mein Gehör kann ich mich nach der Zeit in Down Hill sehr gut orientieren. Wie geht es dir denn?“ „Na wie soll es mir schon gehen, wenn mein Leben auf dem Spiel steht?“ gab Mello zurück und klang ziemlich gereizt dabei, aber in Wahrheit war es nur diese verdammte Angst um sein Leben. „Tut mir leid“, kam es von Echo, der durch den barschen Ton etwas eingeschüchtert war und da der 24-jährige Sorge hatte, seinen Gesprächspartner schlimmstenfalls zu verlieren, versuchte er seinen Ton runterzufahren und sich zu beruhigen. „Schon gut, es muss dir nicht leid tun. Es ist nur… diese Situation ist schon belastend genug für mich.“ „Kann ich mir vorstellen. Gerade halten alle eine Versammlung im Speisesaal ab, da Matt offenbar etwas Wichtiges zu besprechen hat.“ „Und wieso bist du nicht auch dort?“ „Wenn alle durcheinanderreden, kann ich mich nicht auf die Orientierung konzentrieren, außerdem wird es dort immer schrecklich laut und ich wollte mal nach dir sehen, nachdem ich von Rhyme gehört habe, wie fertig du bist. Naja… sehen ist ja in meinem Falle nicht das richtige Wort, aber du weißt ja, was ich meine.“ Echo lachte und es schien so, als wolle er irgendwie die Stimmung bessern. Aber er wusste, dass das auch nicht sonderlich half. „Mello, es wird schon alles gut werden, das weiß ich. Matt wird nicht zulassen, dass dir etwas passiert, darauf kannst du dich verlassen. Du musst ihm einfach vertrauen.“ „Das tue ich ja. Aber… was wird dann sein, wenn sich herausstellt, dass ich auch zu Umbra werde? Ich würde zu einer Gefahr für alle werden. Verstehst du das Problem?“ „Selbst wenn… Dr. Helmstedter würde sich sicher etwas einfallen lassen, um das zu verhindern.“ „Ach ja? Er ist doch derjenige, der dieses Monster erschaffen hat.“ Wieder war Echo still und wusste wohl nicht, was er dazu sagen sollte. Schließlich aber räusperte er sich und versuchte es wieder mit der Aufmunterung. „Ich glaube, dass die Versammlung ein gutes Zeichen ist. Immerhin kamen Matts Schritte aus der Richtung von Helmstedters Labor und wenn die Diagnose negativ ausgefallen wäre, dann wäre er doch direkt zu dir gekommen. Aber wenn er alle versammelt, dann scheint es eigentlich mehr wahrscheinlich zu sein, dass er sich etwas anderes überlegt hat.“ „Er hat die Diagnose? Wie ist sie ausgefallen?“ „Das kann ich leider nicht sagen. Ich gehe nicht gerne ins Labor. Dort drin herrscht irgendwie eine unheimliche Atmosphäre, die mir Angst macht. Außerdem hat Morph gesagt, ich solle nicht dorthin gehen und dem Doktor aus dem Weg gehen, eben weil er ein gefährlicher Mann ist. Wir alle in Down Hill wissen, wer der Doktor ist und was er macht. Aber wir sind auf ihn angewiesen. Er ist der beste Arzt und auch der Einzige, der in der Lage ist, das Umbra-Gen herzustellen. Aber auch wenn er ein gefährlicher Mensch ist, so hat er auch Gutes getan. Als Matt mit schweren Kopfverletzungen hergebracht wurde, da hat er ihm das Leben gerettet, genauso wie vielen anderen, die bei den Kämpfen verwundet wurden. Auch dir hat er doch geholfen. Und solange er für uns arbeitet, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Oder zumindest so gut wie gar keine. Und hey! Es stehen Leute auch hinter dir, obwohl sie dich kaum kennen. Ich zum Beispiel, Rhyme und Birdie wollen auch nicht, dass dir was passiert und auch Morph würde dich nur ungern als Versuchskaninchen sehen.“ „Sehr witzig“, meinte Mello. „Der Typ hasst mich doch.“ „Morph hasst dich doch nicht. Er hält dich lediglich für einen homophoben Idioten, der lieber zuschlägt, statt nachzudenken.“ Na das hört sich doch ganz verdächtig danach an, dass er mich hasst. Nun ja… eigentlich hat Echo ja nicht ganz Unrecht. Wenn Matt direkt nach der Diagnose eine Versammlung abhält, anstatt mit mir zu reden, dann kann es tatsächlich ein gutes Zeichen sein. Aber trotzdem hätte ich jetzt wirklich gerne die klare Ansage, ob ich jetzt auf dem Seziertisch lande oder nicht. „Wie spät ist es jetzt überhaupt?“ Sofort bereute er die Frage wieder, als er sich wieder erinnerte, dass Echo ja keine Augen mehr hatte. „Sorry“, murmelte er nur. „Das war jetzt nicht wirklich taktvoll.“ Doch Echo machte ihm keine Vorwürfe und versuchte dennoch irgendwie eine exakte Antwort zu geben. „Vom Gefühl her würde ich sagen, dass es entweder eine halbe oder eine ganze Stunde nach 18 Uhr ist. Leaks hat meine Armbanduhr so eingestellt, dass sie zur Essenszeit Alarm gibt, damit ich Bescheid weiß.“ Das heißt, ich bin seit knapp 25 Stunden schon wach und ohne Schlaf. Kein Wunder, dass es mir so beschissen geht, dachte sich Mello und tatsächlich fühlte er sich ziemlich elend. Ihm war schlecht, sein Kopf schmerzte und er spürte, wie erschöpft er war. Sowohl psychisch als auch physisch. „Ach herrje“, sagte Echo schließlich nach einer kurzen Weile des Schweigens. „Scheint so, als würde es ziemlich heftig zugehen.“ „Echt? Ich hör hier irgendwie nichts…“ „Ich habe mit der Zeit auch ein feineres Gehör entwickelt. Und so wie es scheint, geht es im Saal ganz schön lautstark vor. Die scheinen wohl alle ziemlich wütend zu sein. Sorry Mello, aber es ist besser, wenn ich erst mal gehe. Morph sagte, ich soll lieber verschwinden, wenn es Ärger gibt.“ „Ja, ist wahrscheinlich besser so. Aber danke für den Besuch.“ „Oh Mann, dir muss es ja wirklich furchtbar gehen… Aber keine Sorge. Matt kommt sicher gleich.“ Mello verstand schon, was Echo damit meinte. Wenn er schon anfing, freundlich zu werden, da konnte es ihm nur beschissen gehen. Zugegeben, ihm fehlte wirklich die Energie, um weiterhin herumzuwettern. Er wollte einfach nur die Diagnose haben und dann schlafen. Einfach nur schlafen und damit diesen ganzen Stress endlich los sein. Es verging aber noch eine Weile, bis sich die Tür zu seiner Zelle endlich öffnete. Zuerst dachte er, es wäre Rhyme, doch es war Matt. Bei seinem Anblick kam wieder Leben in den 24-jährigen und ein leichter Hoffnungsschimmer machte sich in ihm deutlich spürbar, denn der Gesichtsausdruck seines besten Freundes sah zumindest nicht danach aus, als würde dieser sein Todesurteil beschlossen haben. Nein, es gab noch tatsächlich Hoffnung, dass er nicht auf dem Seziertisch endete. „Matt…“ Wortlos holte dieser etwas hervor, was Mello als ein Halsband identifizierte. Es besaß ein kleines Schloss und tatsächlich wurde es von Matt abgeschlossen. Der 24-jährige brauchte einen Moment um zu realisieren, dass Matt ihm gerade tatsächlich ein Halsband angelegt hatte. Und neben Irritation war Verärgerung das nächste, was Mello empfand und laut rief er in seiner typisch rebellischen und respektlosen Art „Was zum Henker soll der Scheiß, Matt? Nimm mir sofort dieses Ding wieder ab.“ „Dieses Halsband wirst du von nun an immer tragen“, erklärte der 23-jährige Shutcall, ohne auch nur eine Sekunde auf Mellos Worte einzugehen. „Und von nun an trägst du den Rang als mein persönlicher Petboy und das Halsband wird dich als solcher ausweisen. Als Petboy bist du mein Eigentum und hast mir zu gehorchen. Ganz egal was ich auch von dir verlange, du wirst dich nach meinen Anweisungen richten, keine Widerworte leisten und du wirst ein neues Quartier beziehen und zwar in Stützpunkt No. 1 in Ebene 0, bis sich hier die Lage beruhigt hat. Solltest du dich meinen Anweisungen widersetzen, steht es mir als dein Besitzer frei, dich zu bestrafen, wie es mir beliebt und sogar, dich eigenhändig zu töten, wenn ich deiner überdrüssig bin.“ Immer noch verstand Mello nicht, was das Ganze sollte und warum Matt das tat. Und so langsam wurde er wütender und hätten ihn die Handschellen nicht daran gehindert, dann hätte er Matt gepackt und ihn durchgeschüttelt. „Was soll der Scheiß, kannst du mir das mal erklären? Und was soll das mit diesem bescheuerten Petboy-Gehabe? Seit wann bin ich denn dein persönlicher Sklave geworden?“ „Seit dem Augenblick, als ich meinen Leuten verkündet habe, dass du nicht als Forschungsobjekt für die Umbra-Experimente eingesetzt, sondern stattdessen hier in Efrafa bleiben wirst. Und um sicherzustellen, dass niemand auf den Gedanken kommt, sich über meine Entscheidung hinwegzusetzen, mache ich dich zu meinem Besitz und von nun an wirst du in jeder Lebenslage mein Eigentum sein, solange wir hier in Down Hill sind.“ Dass Matt diese Entscheidung aus Gründen der Sicherheit getroffen hatte, weil ansonsten das Leben seines Freundes in Gefahr war, hörte Mello zwar, aber er blendete es einfach aus, denn für ihn war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass Matt es tatsächlich wagte, ihn zu seinem Sklaven zu machen und ihm dieses Halsband anzulegen, als wäre er ein Tier. Das konnte der mal wieder schön vergessen. „Ums Verrecken werde ich nicht zu deinem Leibeigenen, klar? Und jetzt nimm mir gefälligst dieses Halsband ab, oder ich erwürg dich gleich damit.“ Doch da packte Matt ihn grob an den Haaren und funkelte ihn fast schon feindselig an. „Ich glaube, du hast nicht kapiert, was ich riskiert habe, um dein Leben zu retten. Ich hab mich gegen den Willen meiner Leute gestellt und das Risiko einer Revolte in Kauf genommen, um dich zu schützen. Es gibt hier genug Männer, die einen verdammt guten Grund haben, um deine Umbra-Seite zu hassen. Sie haben Freunde und Kameraden verloren. Teilweise sogar Verwandte. Einige wurden von Umbra verstümmelt und sind fast gestorben. Wenn ich nicht zusammen mit Morph, Christine und meinen treuesten Untergebenen diesen Aufstand beendet hätte, dann hätten sie dich eigenhändig gelyncht, weil du ein Monster bist. Zumindest in ihren Augen. Zwar geht keine Gefahr von dir aus, weil dein Umbra-Gen zu schwach ist, um dich zu einem Umbra zu machen, aber das interessiert sie nicht. In ihren Augen bist du eine wandelnde Zeitbombe, die es zu vernichten gilt. Aber wenn ich dich zu meinem höchstpersönlichen Eigentum mache, werden sie es nicht wagen, dich zu töten. Also ist dies die einzige Chance, die wir haben. Und deshalb ist es mir vollkommen egal, ob es dir gerade passt oder nicht.“ Nun nahm Matt ihm die Handschellen ab und half ihm hoch. „Jetzt komm mit. Je schneller du hier wegkommst, desto besser. Morph und Christine halten die Meute in Schach und beruhigen die Lage.“ Mello war etwas wackelig auf den Beinen, was ihn selber erstaunte. Aber wahrscheinlich war sein Körper durch die ganze Aufregung völlig erschöpft, vor allem weil er nichts gegessen hatte. Sogleich wanderte seine Hand zu dem Halsband, welches Matt ihm umgelegt hatte. Es saß locker genug, dass er zwei Finger durchschieben konnte, aber es war trotzdem ein seltsames und auch recht beschämendes Gefühl. Zusätzlich befand sich an dem Halsband eine Art Ring, an den man eventuell eine Leine befestigen konnte. Allein der Gedanke daran, dass ihm so eine tatsächlich angelegt werden könnte, ließ sein Herz schneller schlagen und ihm wurde mulmig zumute. Als sie auf den Flur hinaustraten, kam ihnen Christine entgegen, die wieder eine Gatling bei sich hatte, die sie sich problemlos mit einem Riemen auf den Rücken geschnallt hatte. Dabei wog das Ding nach Mellos Einschätzung hin gut und gerne mehr als 100kg. Nun gut, Christine sah sowieso schon sehr durchtrainiert aus, aber das Gewicht schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Als würde sie eine Plastikpistole mit sich tragen. „Boss, ich hab soweit alles geklärt.“ „Okay. Dann begleite mich eben runter.“ Damit folgte Christine ihnen und schließlich erreichten sie den Fahrstuhl. Nachdem sie drin waren, fuhren sie runter und nach einer kurzen Wartezeit erreichten sie die Ebene 0 und damit die tiefste Ebene, in die der Fahrstuhl fahren konnte. Ihm fiel auch auf, dass es tatsächlich nur drei Ebenen gab, die man als Ziel angeben konnte. Als die Fahrstuhltür geöffnet wurde, trat Christine als Erste raus, wohl vermutlich um für Matt den Weg freizumachen, da stieß sie auch schon mit jemandem zusammen, woraufhin ein lautes Scheppern zu hören war. Mello und Matt traten nun auch aus der Kabine heraus und der 24-jährige sah auch sogleich, mit wem Christine zusammengestoßen war. Es war ein Junge von vielleicht 17 Jahren, gerade mal 1,50m groß und etwas längeren brünetten Haaren, die dasselbe Braun hatten wie seine Augen, die ein wenig verschlossen wirkten. Das Scheppern rührte von einer Werkzeugkiste her, die dem Jungen heruntergefallen war. Auch sonst trug er noch einen Werkzeuggürtel und hinter ihm stand ein Berg von einem Menschen. Mello hatte selten einen derart großen Mann gesehen, der gut und gerne um die zwei Meter groß war, vielleicht sogar ein klein wenig größer. Er hatte ein etwas ernstes Gesicht, wenn auch nicht mit derselben unnachgiebigen Strenge wie Christine. Stattdessen wirkte es eher wie das eines weisen Mannes. Sein brünettes Haar, welches aber auch schon langsam grau wurde, hatte er etwas zurückgekämmt und er hatte dazu noch einen Kinnbart. Seine Arme waren muskulös, wenn auch nicht allzu übertrieben. Aber wahrscheinlich reichten sie aus, um einem Menschen die Knochen zu brechen. Seine linke Schläfe zierte eine dunkle Narbe. Auf seiner Schulter trug er eine riesige Kiste, die höllisch schwer aussah, für ihn aber kein Problem darstellte. Er half dem Jungen mit seiner freien Hand auf die Beine und begrüßte die Ankömmlinge höflich. Dabei fiel Mello auf, dass er eine fast schon fremd anmutende Ruhe ausstrahlte, die einen starken Kontrast zu Christine bildete. Matt wandte sich schließlich Mello zu. „Mello, das ist Hiram, unser zweiter Einheitsführer und quasi Christines Stellvertretung in Efrafa I. Ab heute ist er deine Ansprechperson, wenn ich nicht da sein sollte. Und er hier…“ Damit verwies er auf den Jungen, „…ist unser technischer Fachspezialist Leaks. Er kümmert sich um alle technischen Probleme und baut neue Geräte zusammen. Mit ihm wirst du auch noch zu tun haben.“ „Is dat der Neue, den se aus’m Hell’s Gate gefischt haben?“ fragte Leaks und deutete dabei auf Mello. Sein Gesicht zeugte von deutlicher emotionaler Verschlossenheit, aber dennoch verriet sein Blick, dass sich der Knirps sehr gut durchsetzen konnte. „Ja, ganz richtig“, bestätigte Matt. „Mello ist mein Eigentum und wird vorerst hier in Efrafa I untergebracht werden. Ich verlasse mich darauf, dass ihr ihn in den Alltag dieses Stützpunktes einweist und dafür sorgt, dass er sich während meiner Abwesenheit auch nützlich macht. Ich habe auch nicht sonderlich viel Zeit. Christine, du kannst gerne noch hier bleiben wenn du möchtest.“ Mello entging nicht, dass die Soldatin dem Riesen einen Blick zuwarf, der nicht von Härte und Strenge gezeichnet war. Nein, sie schien Hiram offenbar sehr gut zu kennen und vermutlich war da eine enge Freundschaft oder sogar eine Beziehung im Spiel. Leaks, der aufgrund seiner geringen Größe etwas aus dem Blickfeld geriet, räusperte sich und wandte sich an Mello. „Dann werde ich dir gleich mal deine Unterkunft zeigen gehen. Komm mit.“ Da der 24-jährige wohl davon ausgehen musste, dass Matt keine Zeit mehr für ihn hatte, folgte er Leaks’ Anweisung und ging mit ihm mit. Dafür, dass der Junge recht kurze Beine hatte, war er erstaunlich schnell zu Fuß und Mello musste aufpassen, dass er weiterhin Schritt hielt. „Wat haste angestellt, dass de jetzt n Petboy bist?“ Dem Blondschopf entging nicht, dass Leaks einen Dialekt hatte und wenn ihn nicht alles täuschte, klang es ein wenig nach Südstaatendialekt. „Ich hab mich mit dem Umbra-Gen infiziert.“ „Tja, da haste echt die Arschkarte gezogen. Nya, hier biste erst ma sicher. Meist geht’s hier unten recht ruhig zu, wenn wa keinen Stress mit den Cohans hab’n. Aber die greifen eigentlich fast nie an. So bescheuert sind net mal die. Meist ist da ob’n die Hölle los, weil Konngara ständig Stress mach’n muss. Ständig ham wa ne Schießerei da ob’n und dementsprechend sind die da alle komplett aggro. Ständig haste da ne Keilerei, da packse dir echt da anne Kopp! Deshalb bleib ich lieber hier unten. Hey, wenn de willst, kannste gern mal inne Werkstatt vorbeischau’n. Ich kann immer helfende Hände gebrauch’n.“ Manchmal fiel es Mello schon etwas schwer, Leaks einwandfrei zu verstehen, da sein Dialekt insbesondere dann schlimmer zu werden schien, wenn er sich über irgendetwas aufregte. „Eigentlich ist dat Beste, wat dir hier passier’n kann, dat de hier landest. Hier wird hauptsächlich gearbeitet, aber kämpf’n tun wa fast nie. Wir ham hier dat Lager und prüf’n Waffen, reparier'n und organisier'n de ganzen Bestellungen. Eben halt wat wa so brauch’n. Essenszeiten sind hier genauso wie ob’n und auch sonst ham wa hier fast dieselben Regeln. Einzig dat Essen ist net so jut wie ob’n, da die als Kämpfer natürlich n Recht drauf hab’n. Ansonsten wenn de Frag’n hast, dann kannste immer bei Hiram oder bei mir nachfrag’n. Auf Hiram kannste dich wirklich immer verlass’n, egal wat dein Problem is.“ Sie erreichten schließlich eine Gittertür, die Leaks öffnete und hindurchging. Er kam zu einer Tür hin, die er aufschloss und dann Mello in den Raum eintreten ließ. Das Zimmer war fast genauso eingerichtet wie sein anderes, nur hingen hier keine Poster. „Dat hier is jetzt dein Zimmer. Es is recht abgelegen, weil es dat Zimmer speziell für besondere Gäste oder Bewohner ist. Und da du der Petboy vom Boss bis, wirste hier einquartiert. Wenn de willst, kann ich n CD-Spieler für dich besorgen. Ich krieg andauernd Schrott reingeliefert und bastle daraus wat. Und innem Gefängnis kannste Mucke immer gebrauch’n. Nur mit nem Fernseher sieht’s schlecht aus. Meist ham nur die Shutcalls einen.“ Naja, Musik war immer noch besser als nichts und er war sich sicher, dass er auf das Angebot noch zurückkommen würde. Schließlich zeigte Leaks ihm noch die Dusche (Es war sogar eine Einzeldusche) und wo er seine Wäsche waschen konnte. Als er dann aber merkte, wie erschöpft Mello war und dass es ihm nicht gut ging, unterbrach er die Rundführung und brachte ihn zu seinem Zimmer zurück. „Hat er dich zu hart rangenomm?“ fragte er ihn und stellte die Frage mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als wäre sie normal. Mello machte diese Frage jedoch etwas verlegen und sogleich erklärte er „Nein. Es ist nur so, dass ich nicht schlafen konnte, weil ich echt dachte, ich würde auf dem Seziertisch landen und für irgendwelche Experimente missbraucht werden. Mit Matt hat das nichts zu tun.“ „Warum nennste ihn so? Kennt ihr euch?“ „Ja, wir sind beste Freunde und im selben Waisenhaus aufgewachsen. Und vor vier Jahren ist er von der KEE verschleppt worden, ich bin erst vor ein paar Tagen hier gelandet und hab die meiste Zeit davon auf der Krankenstation gelegen.“ „Wat is’n passiert?“ Mello schwieg, da er lieber nicht darüber sprechen wollte. Doch Leaks schien schon an seinem Gesicht erraten zu können, was mit ihm passiert war. „Du bist innen Westblock gelauf’n, oder?“ Als immer noch keine Antwort kam, seufzte Leaks leise und setzte sich zu ihm ans Bett. „Ich kann mir gut vorstell’n, wat du für'n Horror erlebt hast. Ich hab auch den gleichen Fehler gemacht und bin den beiden Psychopathen inne Arme gelauf’n.“ „Und sie haben dir nicht die Augen rausgenommen?“ „Nee, die waren wohl net so interessant für Sigma. Dafür ham se mich an Big Daddy als Petboy verkauft. B.D. ist quasi der Zuhälter hier in Down Hill. In Core City gibt’s n Vergnügungsviertel namens Gomorrha und da werden auch die Petboys vermietet oder verkauft. Dort war ich ne Weile, bis Hiram mich rausgeholt hat. Jetzt bin ich n freier Mann und hier in Efrafa haste nicht so viel vor Übergriffen zu befürcht’n wie woanners.“ Mello sah Leaks mit gemischten Gefühlen an und konnte kaum glauben, was diesem zugestoßen war. Er selbst war ja noch vor diesem Schicksal davongekommen und er hatte gesehen, wie diese Pets ausgesehen hatten. Nackt, angekettet in einer schmutzigen Ecke kauernd… das war kein Leben mehr gewesen. „Wie lange bist du schon hier unten?“ „Na so Pi mal Daumen gerechnet müssen dat jetzt so um die drei Jahre sein.“ Drei Jahre? Dann war der Junge ja noch ein Kind gewesen. „Was sind das nur für perverse Säcke, die so was mit Kindern machen?“ „Wieso Kinner?“ fragte Leaks irritiert. „Wie kommste jetzt drauf?“ „Na weil… wie alt bist du denn?“ „Vor drei Monaten bin ich 28 geworden.“ Mello dachte zuerst, der Typ wollte ihn verarschen. Der sah aus wie ein 17-jähriger und dann war er sogar noch vier Jahre älter als er selbst. Das konnte doch nicht wahr sein. „Ich weiß, es ist wegen meiner Größe“, schlussfolgerte Leaks und nickte. „Da bisse nicht der Erste, der dat denkt. Und wo kommste her?“ „Aus Los Angeles, bin aber in Brooklyn geboren.“ „Ach so, hab ich mir gleich gedacht. Ich komm aus Alabama, ich hab mehr so aufm Land gewohnt und hab da bei meim Alten in der Werkstatt ausgeholfen, schon als ich noch klein war. Und da mein Onkel ne Farm hatte, da hab ich natürlich auch die ganzen Maschinen repariert. Nya, es ging soweit ganz jut, bis dann plötzlich so n Haufen Typen von der KEE zu uns kam und Ärger machte. Die haben mich einfach beschuldigt, n Rebell zu sein und ich hab halt versucht, denen zu verklickern, dat mich det ganze Gedöns null interessiert und ich nur an Maschinen schraube, wat ja kein Verbrechen is. Doch die hattet n Scheiß interessiert und so bin ich einfach hergebracht word’n. Nya so was kommt eben vor, dat da ein Irrtum passiert und man fälschlicherweise hier landet. Aber raus kommste trotzdem nicht. Wat n Scheiß eben. Aber ich will dich net mit meiner Lebensgeschichte volljammern. Ruh dich erst mal aus und ich bring dir wat ausser Küche mit. Und morgen is’n neuer Tag.“ Damit erhob sich Leaks und ging zur Tür. Mello war so müde, dass er sich aufs Bett fallen ließ und ihm die Augen zufielen. Er wachte aber kurz darauf wieder auf, als Leaks zusammen mit Hiram hereinkam und ihm sein Essen und auch die Sachen aus seinem alten Zimmer, welches inzwischen geräumt war. Nachdem sich Mello gestärkt hatte, legte er sich wieder hin und fiel in einen tiefen, erholsamen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)