Okonomiyaki von Tijana (RyogaxUkyo) ================================================================================ Kapitel 2: Ich verlor mich selbst --------------------------------- Erneut war ein Jahr vergangen, seit dem er das letzte Mal in dieser Stadt gestanden hatte. Es war sein Fluch, dass er trotzdessen, dass er das absolut nicht wollte, immer wieder hier landete. Wahrscheinlich hatte das Schicksal, oder wie man auch immer diese Fügung bezeichnen wollte, einen Plan, eine Aufgabe für ihn. Möglicherweise war es ein ebenbürtiger Gegner, gegen den er Antreten und im besten Falle gewinnen sollte. Ein schlecht durchdachtes Vorhaben. Denn über die Jahre - und das schrieb er seinem konsequenten Training in wirklich allen Gebieten der Welt zu - war es unheimlich schwer geworden, einen Gegner zu finden, der mit ihm mithalten konnte. Wenn es ihm nicht so schmerzen würde, würde er seinen ältesten Freund und größten Rivalen herausfordern. Aber dazu müsste er dessen Dojo betreten. Was zwangsläufig bedeuteten würde, das er auch auf... Akane treffen würde. Ein ekelhaftes Ziehen breitete sich in ihm aus, blieb einen Moment, bevor es spurlos verschwand. Mit der Zeit hatte er gelernt, damit umzugehen. Der beinahe tägliche Gedanke an die Frau, die er so sehr begehrte, aber nie haben konnte, hatte ihn wohl etwas abgehärtet. Mit einem Seufzen ging er weiter. Er vermisste diese Stadt nicht, hier war nichts, was ihn hielt, oder wofür er gerne immer wieder zurückkommen würde. Also war es für ihn das Beste, wenn er sie so schnell wie möglich wieder verlassen würde. Und er hoffte dieses Mal für immer. Sanft strich eine angenehme kühle Briese dieser Sommernacht über seine Haut, als er in die nächste Straße einbog und ihr zielgerichtet folgte. Bis ihn ein sehr bekannter, aber umso verführerischer Duft erreichte und dazu zwang, ihn zu verfolgen. Der Geruch, der ihm bewusst machte, dass er bereits seit einiger Zeit nichts mehr richtiges gegessen hatte. Sein Magen stimmte dem mit einem empörten Knurren zu und zwang ihn dazu, diese Fährte aufzunehmen. Er musste sie verfolgen, bis er vor einem anscheinend sehr gut gehenden Okonomiyaki Laden stehen blieb. Ukyo, dachte er sich und musste unbewusst grinsen. Stimmte ja, sie hatte damals schon diesen Laden betrieben. Wie es aussah, hatte sie wohl ihren Liebeskummer überwunden. Mit einem freudigen Kopfschütteln dachte er gar nicht weiter darüber nach, als er seine Hand hob, nur um die Tür zur Seite zu schieben. Es war unheimlich viel los in ihrem Laden, überall saßen Freunde und Pärchen, die sich angeregt unterhielten. Sofort wurde er begrüßt. Doch anders als erwartet, klang die Stimme der begnadeten Okonomiyaki Bäckerin nicht so, als ob sie ihren Liebeskummer überwunden hatte. Vielleicht mochte kein Fremder diesen schwachen, gequälten Unterton heraushören, doch Ryoga war sich sicher, jeder, der diese Frau auch nur ein klein wenig kannte, würde sofort darauf aufmerksam werden.   Sie sah auf, als sie das leichte Schaben ihrer Tür hörte. Automatisiert hieß sie ihren neuen Gast willkommen, noch bevor sie ihn erkannt hatte. „Herzlich willkommen!“ sprach sie und hoffte auch dieses Mal, dass man den Missmut in ihrer Stimme nicht raus hören konnte. Erst als ihr neuer Gast näher trat, erkannte sie an der Statur des Mannes, dass es Ryoga war, der sich wohl wieder ein Mal hier hin verirrt hatte. „Ryoga!“, sagte sie hocherfreut und vergaß für einen Moment ihren Kummer. Für einen Augenblick leuchteten ihre Augen tatsächlich dem jungen Kämpfer entgegen, der sich langsam auf den Tresen zu bewegte und den einzig noch freien Hocker für sich in Beschlag nahm. Verwegen war sein Blick. Sie sah den gleichen Willen und diese Leidenschaft, den er schon immer ausgestrahlt hatte. Ryoga wirkte gestärkt und ruhig. Jedoch auch Müde, als er sich mit überkreuzten Armen auf die Theke vor ihr abstützte. Sie suchte nach der Wehmut, die sie selber spürte, doch war sich nicht sicher, ob sie das in diesen warmen, etwas ermatteten Augen gefunden hatte. Sah sie dort etwa Sehnsucht? Nein, sie musste sich getäuscht haben, stellte sie fest, als der junge Mann einmal blinzelte, aus seiner Starre erwachte und sie schwerfällig anlächelte. Gefasst war er. Ryoga hatte anscheinend mit dem Ganzen abgeschlossen. Wenn das so war, durfte sie ihm auf keinen Fall zeigen, dass sie noch nicht so weit war, wie er. Hoffentlich würde er ihr Pokerface nicht durchschauen. Um ihn abzulenken, spielte sie ihr Spiel weiter und grinste zurück. „Ich freue mich riesig, dass du dich mal wieder hier hin verirrt hast! Wo warst du nur so lange?“, sie versuchte ihn, mit einem kecken Augenzwinkern abzulenken.   Ryoga zog einen Mundwinkel hoch. „Überall“, sagte er. „Ich war in Ländern, die ich vorher noch nie gesehen habe. Viele Sachen habe ich gelernt und Dinge gesehen, die kannst du dir gar nicht vorstellen!“, erzählte er und ließ erneut abwesend seinen Blick durch Ukyo hindurch in die Weite schweifen. Vielleicht war er in diesem Moment wieder in einem weit entfernten Land.  Das Beste wäre wohl auch, wenn er hier nicht lange blieb, sonst würde er wieder zurück in dieses Loch aus Selbstmitleid und Schmerz fallen. Die letzten Jahre, in denen er umhergezogen war, hatten ihm immerhin auch sehr gut getan. Und sicherlich hatte das Schicksal irgendwann so viel Erbarmen mit seinem Seelenheil, dass es ihn nie wieder in diese höllische Stadt zurückführte.   Ukyo dagegen ließ sich mitziehen und verspürte den Wunsch, auch nur einen Bruchteil von all dem gesehen zu haben. Wie gerne hätte sie es ihm gleich getan und wäre aus dieser Metropole geflohen! Was hatte sie eigentlich hier gehalten? Nichts. Sie war nur nicht gegangen, weil sie nicht stark genug gewesen war, dieser süßen Versuchung des leichteren Weges - sich selbst bedauern - zu wieder stehen. Auch sie hätte dieses verfluchte Nest verlassen sollen. Ukyo beneidete ihn darum. Um so vieles, was er konnte und sie nicht... „Wahnsinn!“, drückte sie ihre positiv gemeinte Eifersucht aus. „Das hätte ich auch alles gerne gesehen!“, sprach sie zu dem Mann mit dem weiten Blick in die Ferne. Gleich überkam sie ein unglaubliches Fernweh und für einen Moment dachte sie daran, wirklich sofort alles stehen und liegen zu lassen, nur um die Sonne in einem anderen Land aufgehen zu. „Wie ist es in all den anderen Ländern?“, fragte sie, „Wie sind die Menschen dort? Welche Gebräuche haben sie? Was essen sie? Ist es sehr anders, als hier?“, schoss direkt eine ganze Flut aus Fragen hinterher. Dann sah sie den belustigten Blick, des jungen Mannes ihr Gegenüber. Eine sanfte Röte zog ihr über die Wangen und sie drehte den Kopf weg, auch um nach den Okonomiyaki zu sehen, die auf den heißen platten, brieten. „Verzeihung...“, murmelte sie peinlich berührt und hatte den Drang sich zu erklären. Allerdings fiel ihr nicht wirklich eine gute Erklärung ein. „Ich glaube nur, dass ich mal raus muss“, routiniert platzierte sie die gegarten Okonomiyaki auf zwei Teller und servierte mit einem charmant aufgesetzten Lächeln, ihren beiden anderen Gästen an der Theke. „Auf Wiedersehen! Beehren Sie mich bald wieder!“, rief sie dabei einem Pärchen nach, das gerade den Laden verließ.   Ryoga sah ihr aufmerksam zu und erkannte, dass ihr Lächeln, das sie den beiden hinterher warf, nicht echt war. Mitleid regte sich in ihm, als sein Verstand ihm sagte, dass die junge Frau hinter dem Tresen, noch nicht mal ansatzweise die Chance dazu gehabt hatte, das Ganze zu verarbeiten und damit ab zu schließen. Logisch. Mit wem hätte sie auch darüber Reden, geschweige denn ihr Leid klagen können? Es war doch keiner da gewesen. Schon gar nicht - überhaupt nicht mal ihr bester Freund. Ihrer ersten Liebe, die ihr verweigert blieb. Alle anderen beteiligten Konkurrenten an diesem Desaster hatten ihren Weg gefunden, hatten es ihm gleich getan, indem sie spurlos verschwunden waren. Nur sie war geblieben. Steckte fest, in Elend und Qual. War das etwa ein Hilfeschrei, den sie nicht anders ausdrücken konnte? Und war das vielleicht seine Aufgabe? Wieder verabschiedete die Brünette, der man nur dann die Verzweiflung ansah, wenn man darauf achtete, eine Gruppe Gäste. Da war er wieder, dieser sehnende Blick in die Ferne. Raus aus diesem Laden, aus dieser Stadt in die Weite. Warum tat sie es nicht einfach? Ließ alles hinter sich, was sie so belastete und fand ihren Frieden tatsächlich da draußen in der Welt. Ryoga öffnete seinen Mund, um ihr genau diese Frage zu stellen, da kam ihm sein Magen bevor. Er knurrte. Noch nicht mal leise, in voller Lautstärke und so, das Ukyo nicht umhin kam, es nicht zu bemerken. Wie konnte denn sein Magen auch anders bei so einer beeindruckenden Kochkunst? Nun war er es, der beschämt den Kopf senkte und sogleich ein Lachen von ihr hörte, das weder gekünstelt noch verhöhnend klang. Es hatte einen ehrlichen Ton. Ein Fakt, der ihm gefiel. Ukyo hatte es verdient, viel mehr zu lachen.   Belustigt griff sie nach der Schüssel mit dem Teig und verteilte mit einer geschmeidigen Bewegung, diesen kreisrund auf einer der heißen Platten. „Du hast mir immer noch nicht geantwortet. Was isst man außerhalb Nermias?“, wollte sie wissen und stellte die Teigschüssel wieder weg. „Ist es sehr anders?“, Ukyo griff nach den Zutaten. Ihr war klar, dass die ganze Welt nicht nur aus Okonomiyaki bestehen konnte.   Ryoga räusperte sich leise, hoffte insgeheim damit seinen knurrenden Magen übertönen zu können. „Ohja! Manches ist sehr deftig und so fettig, das einem Spei übel davon wird. Aber das ist einfach nur Sache der Gewöhnung. Manche Länder haben aber generell den Hang dazu, sich sehr ungesund zu ernähren und sehr wenig zu bewegen. Im Umkehrschluss sind diese dann natürlich auch sehr träge und sagen wir mal - in einer Verfassung, in der sie eigentlich nicht sein müssten“, gab er ihr als Erklärung und war überrascht, als dann plötzlich der erste Pfannkuchen vor seiner Nase stand.   Sie lachte kurz auf. „Das hast du aber jetzt sehr schön umschrieben“, lobte Ukyo, strahlte ihn an, bevor sie noch etwas hinzufügte. „Geht auf Kosten des Hauses. Lass es dir schmecken, alter Freund!“ Wieder grinste sie und bemerkte gar nicht, das sie für diesen Moment von ihrem Kummer völlig abgelenkt war.   Verwundert sah er in das Gesicht der jungen Köchin. Er sah, dass es nun anders wirkte, gelassener und friedvoller. Es schien tatsächlich zu funktionieren, wenn man sie auf andere Gedanken brachte. Für einen Augenblick starrte er sie nachdenklich an, bevor er wieder von ihr aus seinen Gedanken heraus gezerrt wurde.   „Nun mach schon! Iss, bevor es kalt wird!“, forderte sie ihn fröhlich auf und wandte sich wieder den nächsten, verlassenden Gästen zu.   Sofort war da wieder dieser leidende Ausdruck. Sie brauchte dringend diesen Abschied. Nicht für immer, aber zumindest eine bestimmte Zeit lang, bis die talentierte Köchin mit diesem kolossalen Drama abgeschlossen hatte. Er ergriff die Stäbchen und teilte sich die erste mundgerechte Portion des himmlisch riechenden Gebäcks ab. Die letzten beiden Gäste, die neben Ryoga gesessen hatten, bezahlten und verließen ebenfalls Ukyos Laden, als sich der Martial Arts Kämpfer den ersten Happen in den Mund schob. Es war klar gewesen, wenn ein Restaurant so gut lief wie das von Ukyo, musste das Essen wirklich von sehr guter Qualität und außergewöhnlichem Geschmack sein. Möglicherweise war es auch der Umstand, dass er in den letzten sechs Jahren nicht unbedingt viel gegessen hatte, das mit so viel Erfahrung gemacht worden war. Doch um beschreiben zu können, wie gut ihm diese einmalige, unbeschreiblich feine Komposition aus Teig und Zutaten schmeckte, fehlten ihm einfach die treffenden Worte. „Ukyo, ich...“, stotterte er sprachlos. „...das ist der Wahnsinn!“ Das war das Einzige, recht plumpe, was ihm dazu einfiel. Aber viel mehr bekam er gerade vor Begeisterung nicht heraus, schob lieber den zweiten Bissen nach, nur um ein weiteres Mal in den Genuss dieser unsäglichen Köstlichkeit zu kommen.   Das Lächeln auf dem Mund der jungen Frau wurde noch etwas breiter. „Vielen Dank, Ryoga. Es freut mich, dass es dir so gut schmeckt“, antwortete sie ihm und spürte in sich, dass sie so was wie reine Freude schon lange nicht mehr empfunden hatte. Der Brünetten wurde klar, wie kostbar so etwas eigentlich war. Kurz schwenkte sie ihren Blick zu den letzten Gästen, die nun die Bude verließen. „Willst du noch einen haben?“, fragte sie, nur aufgrund des hochzufriedenen, genießenden Gesichtsausdrucks des Schwarzhaarigen. Und daran gemessen, wie schnell er sich an dem Okonomiyaki gütlich tat.   Ryoga Hibiki schluckte den Bissen herunter und sah sie verwundert an. „Ukyo, ich will dir nicht zur Last fallen. Oder unverschämt sein“, sprach der Kämpfer, obwohl er natürlich nichts lieber wollte, als noch einen dieser Leckerbissen zu verspeisen.   Die Brünette stand auf und ging um den Tresen herum. „Unsinn Ryoga, du bist weder das eine noch das andere. Außerdem hilft man Freunden immer, wenn sie in Not sind. Und wenn ich mir deinen Bauch ansehe, fällst du mir noch vom Fleisch, wenn ich dich jetzt nicht füttere!“, sprach sie mit einem Augenzwinkern, als sie an ihm vorbei auf die Ladentür zu ging. „Warte kurz, ich schließe gerade den Laden, dann bekommst du so viele Okonomiyaki, bis du platzt. Und das meine ich ernst!“ Sie musste aufgrund seines überraschten Gesichtes grinsen und ging das erste Mal, seit Jahren mit einem Strahlen in den Augen in ihren Feierabend hinein. Zwei Schritte trennten sie noch von der traditionellen Schiebetür, als sie ihre Hand in die Tasche ihres Oberteils steckte, um den Schlüssel hervor zu holen. Sie kannte das Geräusch, wenn dieses Konstrukt aus Holz aufgeschoben wurde und wusste so, dass wohl noch ein Gast eintreten wollte, um ihre Köstlichkeiten verspeisen zu können. Wirklich, sie hatte jetzt Feierabend, diesen Kunden würde sie nun sehr höflich genau darauf hinweisen und hoffen das er ein andermal wieder kam. Mit selbstsicherem Blick sah sie von dem Schlüsselbund in ihrer Hand auf und erstarrte urplötzlich. War im Augenblick dessen, als sie den späten Gast erkannte, ganz und gar nicht mehr die fröhliche, eben erst wieder aufgeblühte Ukyo, die aus der Anwesenheit Ryogas anscheinend so viel Kraft geschöpft hatte.   Das erkannte auch Hibiki. Er hatte ihren scharfen, erschrockenen Atemzug gehört. Das war Grund genug für ihn gewesen, sich um zu drehen, um nach zu sehen, was da los war. Ukyo war eingefroren, starrte wie paralysiert, auf den neuen Besucher des Ladens. Ryoga zog seine Mundwinkel weit nach unten und sah den Mann abschätzend an, erkannte binnen Sekunden, das er was an sich hatte, was er nicht mochte. Doch der eindeutigste Grund, warum er große Abneigungen gegen diesen Mann hegte, waren die Auswirkungen, die er auf Ukyo hatte. Sie war in sich zusammen gesunken, so als ob sie dem Fremden möglichst wenig Angriffsfläche bieten wollte. Die Köchin hätte sich sicher eingerollt, wenn es in ihr möglich gewesen wäre. Unglaublich viel Angst, sah er in den blauen Augen seiner guten Freundin, lähmende Furcht und das nur, weil dieser Schmierlappen so arrogant durch die Tür getreten war. Trainierte Figur, kräftige Finger, Augen wie eine Schlange und eine Gangart, die auf absolute Selbstverherrlichung rückschließen ließ. Auch Ryoga spannte sich an, ballte unbewusst seine Fäuste und bedachte den vermutlichen Kampfkünstler mit einem bitterbösen Blick. Versuchs ruhig, Idiot. Mir jagst du keine Angst ein...,  knurrte er ihm schon gedanklich zu.   Von der Abneigung des jüngeren Martial Arts Kämpfer, bemerkte der Schmierlappen nichts. Kein bisschen. Er war von der Sorte die nur sich sahen, keine Gnade kannten und nie gelernt hatten, was Demut war. Brauchte er auch nicht, aus all seinen Kämpfen, die er bis jetzt bestritten hatte, war er anscheinend immer als Sieger hervor gegangen. Ein Talent, das ihm schon früh in die Wiege gelegt worden war, das Kämpfen. Zu gewinnen war sein Schicksal, seine Bestimmung. Und deswegen hatte er auch alles Recht, sich über Gesetze, die für alle anderen Menschen galten, hin weg zu setzten. Wer konnte ihm denn schon was? Keiner. Da war kein Konkurrent, der in Schlagen konnte, dann würde es auch noch nicht mal die Polizei wagen. Regeln galten für ihn nicht. Und alleine die Erinnerung daran, wie toll er eigentlich war, ließ ihn hochmütig grinsen. Die kleine Köchin, die eine so große Angst vor ihm hatte, war ein wahrer Glückstreffer. Hey, wenn nicht so viele über ihre außergewöhnlichen Okonomiyaki schwärmen würden, wäre er niemals auf sie aufmerksam geworden. Er setzte sich direkt an die Theke und pfiff nach Ukyo, wie nach einem Hund. „Aber ganz schnell! Ein Mal alles! Wie immer!“ Er garnierte dies mit einem wiederholten, dreckigen Lachen. „Und natürlich auf Kosten des Hauses!“ Der Mann ließ seine riesige Faust auf den Tresen krachen, nur um seine laut erschallende Euphorie, noch mal zu unterstreichen.   Das gefiel ihm nicht und wenn Ukyo nichts unternahm, dann würde er diesem Idioten zeigen, wie man sich zu benehmen hatte. Er richtete sich aus seiner lässigen Haltung auf, straffte seine Schultern und drehte sich zu dem Ekel hin. Schenkte ihm einen weiteren, mehr als nur missbilligenden Blick und wollte gerade das Wort ergreifen, als er eine ganz sanfte Berührung an seinem angespannten Oberarm bemerkte. Mit bösem Blick fuhr sein Kopf herum, erkannte die junge Brünette, die da auf einmal hinter ihm stand und ihn bittend ansah. Seine Mimik entspannte sich etwas, verstand aber nicht, wie sie in dieser Situation, nur so energisch mit dem Kopf schütteln konnte. Was tust du, Ukyo?, fragte er sie gedanklich, erntete dafür einen entschuldigenden Blick und ein rasches anheben ihres Fingers vor ihre Lippen. Still zu sein bedeutete sie ihm, flehte ihn darum an, in dem sie danach ihre Hände ineinander faltete. Er murrte leise, doch tat seiner Freundin diesen Gefallen. Ryoga warf dem schlecht erzogenen, weitaus älteren Mann noch einen weiteren grollenden Blick zu, bevor er sich von ihm abwandte.   Sie musste eilig handeln. Angesehen hatte sie es dem jungen Schwarzhaarigen. Diesen abschätzenden Blick, dieser deutliche Ausdruck, der rasch in die Mimik des jüngeren Mannes geschnellt war, dass er diesen unhöflichen Mann nicht mochte. Vor allen Dingen hatte sie es an dem Anspannen seines Körpers gelesen, das Ryoga sich unter Garantie nicht alles gefallen lassen würde, sogar kurz davor gewesen war, das Wort zu erheben. Bei Kami, nicht doch!, hatte sie sich gedacht und war zügig auf ihren guten Freund zu gelaufen. Bitte! Mach nichts! Sei einfach nur leise!, hatte sie ihn gedanklich gebeten, angefleht, aus Angst es würde zu einer Konfrontation kommen. Die im schlimmsten Falle ihren Laden zu Kleinholz verarbeitete. Und das würde dieser Kampf. Natürlich hatte sie dafür einen verständnislosen Blick von Ryoga bekommen. Aber sie hatte daraus gelernt, was passierte, wenn sie sich gegen diesen Parasiten auflehnte. Unbewusst griff sie sich an ihre von Hibiki abgewandte Halsseite. Spürte einen Moment die unnachgiebige Holzwand, ihres eigenen Restaurants im Rücken und den eisenharten Griff des Schmierlappens um ihren Hals. Es war besser, wenn sie tat, was er verlangte... ...wie immer an dieser Stelle, spürte sie ihren Kämpferstolz wehleidig in sich aufheulen. Doch was sollte sie denn auch tun, wenn sie nicht gegen ihn an kam? Niedergeschlagen griff sie nach der Schüssel mit dem Teig.   __________________________________________________________________________________   Wieder einmal hatte sich gezeigt, war man dreist und dazu noch ein so guter Martial Arts Kämpfer wie er, kam man überall viel weiter. Obendrein sicherte dies auch jeden Abend ein völlig kostenloses Abendessen. All seine täglichen Mühen zahlten sich wirklich aus. Würde er nicht Tag für Tag mit seinen Hanteln trainieren, würde er zum Ende eines jeden Tages, nicht so viele Gaststätten haben, die er in regelmäßigen Abständen besuchen konnte. Der Muskelberg lachte laut, klopfte sich auf seinen prallen Bauch, rülpste laut und schenkte sich gleich noch mal in seine Sake Schale ein. Bis zum Rand füllte er es und hob den hochprozentigen, gleich an den Mund, sog die berauschende Flüssigkeit mit zwei großen, gierigen Schlucken runter. Dann knallte er die Schale so hart auf den Tresen, dass sie zersprang. Splitter flogen in alle Richtungen, wurden zur augenblicklich zur Gefahr. Eine beängstigend große Scherbe, die auf die vollkommen in sich eingesunkene Ukyo zu schoss, konnte nur durch ein fliegendes Stäbchen des jüngeren Kämpfers, vom verletzenden Kurs abgebracht werden. Doch auch dass und den wütenden Blick des Verfluchten bekam der Hantel Mann nicht mit. Bevor er lachend den Laden verließ, hinterließ sein unproportionales Gesäß eine übel riechende Duftwolke. Dann flog die Schiebetür, hinter dem Unhold zu.   Mit einem abwertenden Blick, starrte Ryoga Hibiki dem Fremden nach, schüttelte mit dem Kopf und schwor dem Unerzogenen, dass er das sicher nicht noch mal hier abzog. Dafür würde er schon sorgen. Selbst Ukyo konnte ihn dann nicht noch mal aufhalten. Wut zitterte in ihm, seine Anspannung konnte man ihm an seinen geballten Fäusten ansehen, die unruhig neben dem Teller lagen. Sie waren von kräftigen, hervortretenden Adern überzogen und der Kämpfer hätte nichts lieber getan, als diesem Mistkerl seine anmaßende Art und Weise aus seinem dämlichen Schädel zu prügeln. Zu Ukyo drehte er sich nun um und sah sie aufmerksam an, forderte eine Erklärung. Doch die Meisterköchin mied seinen Blick, sah immer noch stur auf ihren Schoß zu ihren zusammen gekrampften Fingern. „Ukyo“, begann er und löste damit ein zusammen Zucken der jungen Frau aus. „Ich verstehe nicht, warum du ihn nicht rausgeworfen hast!“, stellte er in den Raum. Doch Ukyo blieb stumm, gab nur gequälte Geräusche von sich. „Wo ist dein Kampfgeist geblieben?“, fragte er. Erneut keine Antwort, während er sie konzentriert ansah.   Diese Frage war unausweichlich gewesen. Ukyo hatte gewusst, das Ryoga sie stellen würde, spätestens, wenn dieses Kraftpaket ihr Restaurant verlassen würde. Sie hatte Zeit gehabt sich Antworten zu überlegen, doch alles, was ihr eingefallen war, hätte niemals ausgereicht um den erfahrenen Kämpfer an ihrer Theke zu überzeugen können. Trotzdem. Sie musste etwas sagen. Egal was. Vielleicht würde sich Ryoga auch schon, mit einer sehr schwachen Antwort abfinden. „Ich...“, begann sie, doch wusste nicht, wie sie ausdrücken sollte, was sie selber noch nicht mal in ihrem Kopf hatte sortieren können. „Ich...“, wiederholte sie, aber immer kam ihr noch kein Sinn ergebender Satz in den Kopf. „Ryoga“, möglicherweise fiel es ihr einfacher, wenn sie einen anderen Anfang nutzte. „Ich bin nicht mehr die gleiche Ukyo, die du ein Mal gekannt hattest...“, sprach sie leise und sah leidend zu ihm auf. Ein Bekenntnis zu ihrer Schwäche, aber nichts empfand sie gerade als wahrer.   Unübersehbar war sie nicht mehr die Gleiche. Er zwang sich dazu, nicht mit dem Kopf zu Schütteln, würde es doch sicher die junge Frau in eine noch tiefere Schwärze ihres Loch schubsen, wenn sie sah, das sie wirklich keinen mehr hatte. Also sah er sie einfach nur schweigend an und hoffte sie würde Reden. All ihren Kummer aussprechen, mit dem Hintergedanken, sie fand darin Erleichterung. Das, was er in all seinen Reisen gefunden hatte.   Ukyo Kuonji seufzte schwer, senkte etwas den Kopf, aber sah ihn weiterhin an. „Es ist ok, Ryoga“, begann sie und versuchte das Entsetzen in seinen Augen zu übersehen. Sie wusste auch, dass die Art und Weise, wie sich dieser Rüpel ihr gegenüber benahm, ganz und gar nicht in Ordnung war. Aber sie wollte auf etwas anderes heraus. „Der Laden läuft so gut, dass ich keinen Verlust damit mache. Er kommt ja auch nicht jeden Abend. Aber ich mache auch keinen Gewinn damit!“, erklärte sie ihm, doch es änderte nicht viel an seiner Mimik. „Bitte halte mich nicht für geldgierig. Aber ich führe dieses Unternehmen ganz alleine und ich muss gut Wirtschaften. Schließlich schenkt mir keiner den Strom oder die Zutaten“, erläuterte die Brünette.   Eine logische Begründung, das war ihm auch klar, dass man von erwirtschaften Gewinnen, auch wieder Produkte nachkaufen musste, um weiterhin Gewinn machen zu können. Aber ihm ging es um etwas anderes. Früher hatte Ukyo nie aufgegeben, hatte sich Gegnern gestellt, selbst wenn sie viel stärker gewesen waren. Zumindest hatte sie es probiert. Und wenn ein Kampf mit ihrem Spatel aussichtslos oder sinnlos war, hatte sie immer ihren schlauen Kopf benutzt. „Wo ist dein Kampfgeist?“, fragte er noch einmal, viel eindringlicher.   Die junge Frau fühlte sich hilflos, gar bedrängt. Was sollte sie denn auch schon tun, gegen so einen wie den? „Ich hab keinen mehr...“, gab sie schluchzend zu. „... keinen mehr...“, verzweifelt sah sie ihn an, doch konnte sie ihre Tränen wohl nicht mehr länger zurückhalten, schämte sich derer und senkte wieder ihren Blick auf ihre erschlafften Hände.   Er schwieg sie wieder für einen Moment an. Hörte, was sie sagte, glaubte auch, was sie da vor sich her jammerte, aber hatte absolut kein Verständnis dafür. Sie war eine Kämpferin, immer hatte sie gekämpft, wenn es notwendig war. Und wenn es wichtig war. Verflucht, er wusste, dass es verdammt, schwer war sich wieder aufzurichten. Aber sie konnte sich doch nicht so hängen, gar ihren Stolz dermaßen verwahrlosen lassen. „Du hast dich also einfach aufgegeben?“, hakte er nach, doch es war mehr Feststellung, denn Frage. „Ukyo...“, begann er, spürte selbst diesen hässlichen, stechenden Schmerz in seiner Brust, als er an den nächsten Satz dachte, den er aber unbedingt sagen musste. „Ranma war dir wichtig, sehr sogar und um ihn hast du gekämpft bis zum Schluss. Bis Akane...“, dennoch musste er sich unterbrechen, um Kraft zu sammeln „...ihm einen Ring an den Finger gesteckt hatte.“ Er machte eine kurze Pause. „Ist dir dein Laden, deine Ehre als Kämpferin nicht wichtig? Warum hebst du nicht deine Fäuste und verteidigst das hier alles?“, fragte er und machte eine allumfassend deutende Handbewegung.   Jedes seiner Worte war hart. Glaubte er denn eigentlich, ihr war nicht klar, dass sie sich hängen ließ? Wusste er denn nicht, dass sie selbst sich deswegen nicht ausstehen konnte? Aber es war so unglaublich schwer da raus zu kommen. Alleine würde sie es niemals schaffen. Sie brauchte Hilfe. Doch da war keiner... keiner. Zerfallend in Selbstmitleid sah sie gequält auf, starrte erst die geschlossene Eingangstüre an, bevor sie ihre Miene an den jungen Mann wandte. „Ich kann nicht gegen ihn kämpfen. Er ist viel zu stark für mich...“, sie krächzte. „...glaube mir, ich hab’s versucht. Aber es hat nicht geklappt!“, beschwor sie, hob unbewusst ihre Hand erneut an ihren Hals, umfasste ihren Nacken und spürte wieder diesen ekelhaften Würgegriff. „Ich weiß nicht, wie stark er ist. Vielleicht auf deinem oder Ranmas Niveau.“ Sie seufzte markerschütternd. „Nichts konnte ich machen...“, sie zog ihre Brauen zusammen und sah ihn schmerzerfüllt an, flehte darum, dass er doch endlich verstand.   Seine Augen folgten dieser kleinen Geste. Eine scheue Bewegung, die wohl längst verblasste Kampfspuren ertasten wollten. Ukyo fasste sich an den Hals. Die Antwort, die einzig mögliche auf die Frage, warum sie sich ihre Finger mit einem solch erschrockenen Blick an den Nacken legte, schmeckte ihm gar nicht. Wut brodelte in ihm hoch, seine Fäuste ballten sich und er überlegte, ob er nicht sofort aufstehen sollte, nur um diesen Bastard hinterher zu jagen. Er presste seine Zähne zusammen, verfluchte seine Orientierungslosigkeit. Ryoga knurrte böse, sah kurz durch Ukyo hindurch, hörte ihr verzweifeltes Schluchzen und war sofort wieder in der Realität. Dort saß sie. Eine sonst so unglaublich starke Kriegerin, wie ein Haufen Elend. Beistand brauchte sie, um nicht ganz am Boden tiefer Schwermut anzukommen. Mitleid löste die Wut ab, sorgte dafür, dass sich die geballten Hände Ryogas entspannten. „Und warum hast du dann Ranma nicht um Hilfe gebeten?“ Bereits beim sprechen, bereute er schon dies jemals gesagt zu haben. Er war so ein außerordentlicher Dummkopf.   Tatsächlich trat eine neue Flut aus Tränen in ihre Augen, sie blinzelte einmal und schon rannen sie einem Sturzbach gleich ihren Wangen entlang. Verletzt war sie, unbeschreiblich gekränkt und wusste es gar nicht in Worte zu fassen. Ranma um Hilfe bitten? Das ging nicht... das... Sie sank in sich ein und schüttelte heulend den Kopf, während sie ihn weiterhin ansah, ihm zeigte, was er angerichtet hatte. „Bitte geh!“, verlangte sie mit unkontrollierter Stimme von ihm, hob ihren vor Trauer zitternden Arm und wies ihm deutlich die Richtung. „Verlass mein Restaurant!“     Einen Moment harrte er noch auf seinem Hocker, bevor er dieser Anweisung, dieser Bitte folgte und aufstand. Mit einem entschuldigenden Blick und den gleichbedeutenden Worten auf der Zunge wandte er sich schließlich ab. Doch nicht dazu in der Lage, um Verzeihung zu bitten. Ryoga Hibiki verließ das Lokal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)