This Is Called Love von Shunya (Kurzgeschichten Sammlung) ================================================================================ Kapitel 17: Cyrils Bilder ------------------------- Ich weiß nicht wie lange diese Melancholie anhalten wird. Ich fühle mich manchmal als würde ich nicht richtig in diese Welt gehören. Als wäre ich am falschen Ort. Als hätte man mich an der falschen Bushaltestelle abgesetzt und nun sitze ich hier fest bis ein Wunder geschieht. Oder bis mein Tod eintritt. Diese lethargische Stimmung, die tagtäglich auf mein Gemüt drückt nimmt mir jegliche Lebensfreude. Ich habe im Prinzip auf gar nichts mehr Lust. Ich dümpel jeden Tag aufs Neue vor mich hin, befolge meinen üblichen Tagesablauf so wie man es von mir verlangt. „Hast du keine Ahnung was du zeichnen sollst, Cyril?ˮ, fragt mich Mr. Leclerc. Ich sehe stumpf zu ihm auf und zucke mit den Schultern. Ist doch egal was ich zeichne. Es landet sowieso nicht in den Fluren wo all die anderen Bilder zur Schau aufgehängt werden. Wieso also sollte ich mir die Mühe machen und etwas zeichnen? „Dir fällt schon noch etwas ein.ˮ Er lächelt mir aufmunternd zu und geht zu Finn, der in einiger Entfernung neben mir sitzt und streicht seine Hand. Sie versuchen unauffällig zu sein, aber wer genau darauf achtet, dem fällt auf, dass zwischen den beiden etwas läuft. Seit geraumer Zeit. Das ist auch der Grund warum Tony seit einigen Wochen griesgrämig durch die Weltgeschichte flaniert. Seine düsteren Bilder sind noch düsterer geworden, wenn das überhaupt möglich ist. Tony leidet unter Depressionen. Er stopft sich mit allerlei Tabletten voll. An manchen Tagen fängt er grundlos an zu heulen und nur ganz selten gibt es mal Tage an denen er gut gelaunt ist. Besonders schlecht drauf ist er seit Leclerc und Finn zusammen sind, denn vorher hatte Tony etwas mit unserem Kunstlehrer am laufen. Ich habe sie einmal gesehen. Nur ganz kurz, weil Finn den Gang runterkam. Ich habe durch das Fenster der Klasse gesehen. Tony hat zwischen Leclercs Beinen gehangen und ihm den Schwanz geblasen. Ob mehr zwischen ihnen war weiß ich allerdings nicht. Mein Blick fällt wieder auf die Staffelei vor mir und das weiße leere Blatt. Wenn ich es weiß lasse, geht es dann auch als Bild durch? Weiß kann doch für so vieles stehen. Wenn man Fantasie hat. Ich glaube, der Leclerc hat keine Fantasie. Er erwartet, dass ich das Bild mit Farbe fülle. Hauptsache es ist etwas darauf zu erkennen. Ich bin auch so leer wie das Papier. Ich weiß nicht was mit mir los ist. Wieso mir alles in letzter Zeit so gleichgültig erscheint. Vielleicht habe ich ja den Glauben in die Menschheit und das Leben an sich verloren? Es gab so vieles an das ich denken musste. So vieles, dass mich enttäuscht hat und es noch immer tut. Dieser Gedanke, dass ich eigentlich nicht in diese Welt gehöre. Ob es Tony genauso geht? Hat er in Leclerc etwas gesehen? Etwas, dass ihm Hoffnung gab? Etwas, dass ihn zu hoffen wagte seine Depressionen zu überwinden? Ob meine Lethargie auch eine Art von Depression ist? Sie ist doch so vielfältig. Selbst das Denken ist anstrengend. Ich mag nicht mehr. Nicht mehr über solche Dinge nachdenken. Es ist anstrengend... einfach nur anstrengend. Und ich bin müde. Es klingelt. „Okay, das war es für heute. Gute Arbeit, Leute! In der nächsten Stunde machen wir daran weiter!ˮ Leclerc klatscht in die Hände und die Kursteilnehmer suchen eilig das Weite. Lustlos bleibe ich auf meinem Platz sitzen. Pausen. Wozu braucht man die überhaupt? Reine Zeitverschwendung. Man sollte lieber eine Stunde nach der anderen abhalten damit man früher heimgehen kann. Um eine oder zwei Stunden mehr vom Tag zu haben. „Cyril? Du bist ja noch hier.ˮ Er kommt auf mich zu und stellt sich neben mich. „Es ist immer noch weiß. Na, mach dir keine Gedanken. Dir kommt schon noch eine Idee. Gerade, wenn man nicht dran denkt kommt einem oft ein Geistesblitz. Mach dir keinen Kopf, Junge. Für die nächste Stunde hast du bestimmt eine Idee was du zu Papier bringen möchtest.ˮ Wortlos stehe ich auf und gehe aus dem Raum. Aus dem Augenwinkel fällt mir auf, dass Finn noch hier ist. Er sieht mich nur an, als ich zu ihm blicke. Ich schließe die Tür hinter mir, drehe mich kurz um und sehe wie die beiden nahe beieinander stehen. Sehe wie sie sich liebevoll küssen und einander umarmen. Als ich Schritte höre, sehe ich den Gang entlang. Tony ist stehen geblieben und sieht mich ausdruckslos an. Soll das hier ein Blickduell werden? „Sind sie da drin?ˮ, fragt er heiser und räuspert sich. Ich nicke. Er schnieft und blinzelt. Wir sagen beide nichts, stehen nur im Flur der Universität herum wie Statuen, die darauf warten, dass man sie an den richtigen Platz stellt. Nur wo ist der richtige Platz? Schließlich macht Tony auf dem Absatz kehrt und läuft den Flur entlang. Er geht auf die Toiletten zu. Aus einem Impuls heraus folge ich ihm gemächlich ohne Eile. Keine Ahnung wieso. Ich weiß ja eh nicht wie ich mir die Zeit vertreiben soll. Da kann ich ihm genauso gut nachlaufen. Als ich den Toilettenraum betrete, beugt sich Tony über ein Waschbecken und stützt die Arme am Rand ab. Fasziniert sehe ich ihm beim Heulen zu. Er hat die Augen zusammengekniffen, unter den Lidern rinnen die Tränen hindurch, seine Wangen hinab um am Kinn ins Waschbecken zu tropfen. Seine Nase läuft und sein Mund ist leicht geöffnet aus dem immer wieder unterdrückte Schluchzer entweichen. Seine Schultern zucken kaum merklich. Ein innerer Drang überkommt mich. Ich würde ihm zu gerne durch die wuscheligen braunen Locken streichen. Ob sie so weich sind wie ich es mir denke? Ich neige den Kopf zur Seite und als die Tür hinter mir ins Schloss fällt schreckt Tony auf und sieht zu mir. Sein Gesicht ist geplagt von Leid und Schmerz. Da ist etwas in mir. Etwas, das langsam wieder in Erscheinung tritt. Etwas, dass ich nicht in Worte verfassen kann. Ein Leuchten in der Dunkelheit. Nur ganz klein. Kaum wahrnehmbar. Aber es ist da. Hier und jetzt. Tony hat es entfacht, dass wird mir nun klar. Fünf oder sechs Schritte haben uns voneinander getrennt, die ich überbrückt habe und nun dicht vor ihm stehe. Meine Hände liegen auf seinen Wangen, streichen ihm die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn wieder Neue zum Vorschein kommen. Genau wie ich braucht er etwas. Einen Sinn im Leben. Jemanden, der ihm Halt gibt und ihn auffängt, wenn er es am dringendsten braucht. Ich ziehe ihn an mich und schlinge meine Arme fest um seinen Körper. Meine Hand streicht ihm beruhigend über den Rücken. So lange bis er nicht mehr weint. So lange wie er seinen Kopf an meiner Schulter ruhen lässt und es hin nimmt, dass ich ihm durch die Haare streiche. Er riecht gut. Ich drücke ihn von mir und sehe Tony in die Augen. Diese leere, schwarze Dunkelheit darin will ich füllen. Mit Lebensmut, Freude und was es nicht noch alles gibt, dass man empfinden kann. Das Licht in mir wird stärker. Ich spüre es. Wie von selbst suchen meine Lippen seine. Sie sind weich und schmecken salzig von den Tränen. Es stört ihn nicht. Vielleicht ist es ihm auch egal, dass ich ihn jetzt küsse. Vielleicht stellt er sich Leclerc dabei vor? Vielleicht sieht er mich gar nicht. Weiß nicht, dass ich da bin und ihm all meine Aufmerksamkeit schenke. Vielleicht sieht und merkt er es bald. Irgendwann. Vielleicht... Er zieht sich zurück. Zurück in sein Schneckenhaus. Sein Kopf sucht Halt an meiner Schulter. Halt den ihm bedingungslos gewähre. Ich küsse ihn am Hals und streiche mit meiner Nase über die warme, weiche Haut, die so gut riecht. Er heult nicht mehr. Steht einfach nur still an mich gelehnt da und krallt seine Finger in mein Hemd. Ich lege meine Hand auf seine und umgreife sie. Vielleicht ist es das was ich zeichnen muss? Zwei verlorene Seelen in einer Welt in die sie nicht gehören. Die zueinander finden und sich den nötigen Halt geben? Dunkelheit in der ein Licht leuchtet. Ein klitzekleines Licht, das noch wachsen und gedeihen muss bis es irgendwann einmal so groß ist, dass es Wärme schenken kann. Wärme und Geborgenheit. Sein warmer Atem streift meinen Hals. Ruhig und gleichmäßig als würde er schlafen. Die Stille im Raum lässt mich ebenso schläfrig werden. Ich warte noch ein bisschen. Der Bus, der mich abholt kommt bestimmt nicht so zeitig. Ich habe jemanden gefunden mit dem ich mir die Zeit vertreiben kann. So lange bis er mich nicht mehr braucht. Dann steige ich in den Bus ein und fahre dorthin wo ich wirklich hingehöre. Ein leises Lächeln, kaum merklich, schleicht sich auf meine Lippen. Ich habe etwas gefunden, dass mich noch nicht ganz vom Leben trennt. Jemanden, für den es sich lohnt im Hier und Jetzt zu bleiben. Jemand, der mich fasziniert und mich braucht. Der mir zurückgibt was ich verloren geglaubt habe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)