This Is Called Love von Shunya (Kurzgeschichten Sammlung) ================================================================================ Kapitel 13: Zwischenstopp ------------------------- Eigentlich hatte ich mir vorgenommen die Zugfahrt zu verschlafen. Drei Stunden sind schon quälend lang. Was nimmt man nicht alles auf sich um die Familie zu besuchen. Wenigstens ist nun Wochenende, aber morgen Abend muss ich wieder zurück, weil am Montag die Arbeit ruft. Deswegen sitze ich auch so früh am Morgen im Zug. Ich möchte möglichst viel von meiner Familie an diesen zwei Tagen haben. Ich bin eben ein Familienmensch und kann mir gut vorstellen irgendwann selber eine zu haben. Es gibt nur ein winziges Problem: ich bin schwul. Mit den Kindern wird es also schwierig, aber daran will ich im Moment eh noch nicht denken. Woran ich allerdings denke ist der gutaussehende Typ, der sich neben mich gesetzt hat. Er hat braune Haare, die seine Augen ein wenig verdecken. Sie sind wellig, aber sie scheinen auch nicht an ihrem Platz bleiben zu wollen. Es sieht wirr aus. Er trägt einen schwarzen Pullover mit einem knallgelben Smiley darauf. Dazu blaue Jeans und schwarze-weiße Sneaker. Nur einen Blick in sein Gesicht konnte ich noch nicht erhaschen. Schade, aber auch. Ich versuche wieder zu schlafen, aber es ist schon ziemlich unangenehm. Außerdem ist es schrecklich unruhig, da werde ich jedes Mal aufs Neue wach. Ich krame meinen Actionthriller aus dem Rucksack heraus und schlage die Seite auf, an der ich zuletzt aufgehört habe. Mühsam versuche ich mich auf den Text zu konzentrieren, aber die Unterhaltungen der anderen Passagiere lenken mich ständig ab. Ich schätze mal die drei Stunden Zugfahrt sitze ich gelangweilt herum und hoffe darauf, dass die Zeit schnell verstreicht. „Was liest du da?ˮ Ich sehe auf und direkt in sein Gesicht. Grüne Augen hat er. Ein klares Grün. Weiche Gesichtszüge. Wie Typen aus diesen Teeniefilmen in die sich die Mädchen Hals über Kopf verlieben. Was hat so einer denn hier in der Bahn verloren? Direkt neben mir? „Äh... Was?ˮ, frage ich verdattert. Scheiße! Was hat er noch gleich gefragt? „Ich wollte nur wissen was du da liest?ˮ Er lächelt. „Ehm...einen neuen Debutroman. Ist ziemlich viel Action.ˮ Ich halte ihm das Buch entgegen. Er guckt sich das Cover an und liest den Klappentext. „Klingt gut. Wie ist es?ˮ „Bisher kann ich nicht klagen.ˮ Ich grinse und nehme das Buch wieder an mich. Aufs Lesen habe ich jetzt aber noch weniger Lust. Die Angel steckt im Wasser, also muss ich den Fisch auch irgendwie an Land ziehen. Nur wie halte ich das Gespräch in Gang? „Wo fährst du hin?ˮ „Nach Bremen. Meine Familie wohnt dort.ˮ „Ah, ich fahre nur ein paar Stationen in die Richtung.ˮ Er lehnt sich in seinem Sitz zurück und seufzt. „Wieso wohnst du denn von deiner Familie so weit weg?ˮ „Ich habe meine Ausbildung in einer anderen Stadt gemacht und die Firma hat mich direkt danach übernommen. Das Angebot konnte ich nicht ausschlagen, auch wenn es ziemlich weit weg ist.ˮ „Ja, die lange Fahrt ist schon übel.ˮ „Ungefähr drei Stunden.ˮ „Das gibt Rückenschmerzen.ˮ Er lacht. „Ich heiße Timo!ˮ, stelle ich mich spontan vor. „Etienne.ˮ „Franzose?ˮ „Schuldig.ˮ Er lacht und wirft theatralisch die Hände in die Luft. „Ich mache eine Art kleine Rundreise durch Deutschland.ˮ „Du hast gar keinen Akzent.ˮ „Ja, meine Eltern sind Deutsche. Wir sind nach Frankreich gezogen als ich noch klein war. Da habe ich schon Deutsch gesprochen. Französisch musste ich erst mühsam lernen.ˮ „Für Sprachen habe ich so gar kein Gefühl. Liegt mir einfach nicht.ˮ „Zahlen?ˮ „Mathematik? Erst recht nicht!ˮ, wehre ich lachend ab. „Ich bin eher der kreative Typ. Ich zeichne.ˮ „Und was?ˮ „Ein wenig Landschaftsmalerei und Portraits.ˮ „Bist du gut darin?ˮ „Geht so. Ich glaube, es gibt bessere Zeichner.ˮ „Man muss sich immer mit Anderen messen. Das Leben ist ein ewiger Teufelskreis. Das ende nie.ˮ „Hast schon recht. Und du? Was ist dein Fachgebiet?ˮ „Mir die falschen Partner suchen. Mit der Liebe habe ich einfach kein Glück.ˮ Etienne lächelt deprimiert. „Was meinst du?ˮ „Ich habe jemanden kennen gelernt. Den wollte ich besuchen, aber als ich ankam lag er mit 'ner anderen im Bett.ˮ „Er?ˮ, frage ich erstaunt. „Nun, also ich bin Bi. Deswegen wollte ich es mit ihm versuchen. Wir sind uns in allem so ähnlich, aber irgendwie habe ich wohl zu viel erwartet.ˮ Ich schlucke und grinse spöttisch. „So als halber Französe hast du doch einen gewissen Charme oder nicht?ˮ „Scheint ja nicht gewirkt zu haben.ˮ Ich glaube, bei mir schon. Ob das komisch rüberkommt, wenn ich ihm sage, dass ich schwul bin? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Schwule in einem Zug begegnen und dann auch noch nebeneinander sitzen? Nennt man das Schicksal? Vorsichtig, zögernd strecke ich meine Hand aus. Ich berühre seine und streichele über die weiche, ein wenig raue Haut. Erst runzelt Etienne die Stirn, dann sieht er auf meine Hand und zieht seine darunter hervor. „Was machst du da?ˮ, fragt er. Ich ziehe meine Hand zurück und werfe einen Blick aus dem Fenster. Idiot! Er trauert wohl noch. Da will er bestimmt nicht von einem Wildfremden angegrabscht werden. Ich antworte ihm nicht, sondern sehe weiterhin nach draußen. Die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst sehe ich zu wie die Landschaft an mir vorüberzieht. „Stehst du auf Männer?ˮ, will Etienne nach einiger Zeit wissen. Ich nicke ohne ihn anzusehen. „Schon lange?ˮ „Nein.ˮ „Hast du schon...?ˮ, deutet er an. Ich sehe zu ihm und schüttele den Kopf. Bin ich froh, dass das Abteil zurzeit nicht so voll ist. „Also weißt du es noch nicht so lange?ˮ, hakt er noch einmal nach. „Ich glaube unbewusst habe ich es gewusst, aber es hat gedauert bis es mir klar wurde.ˮ „Weiß es deine Familie?ˮ Etienne beugt sich neugierig vor. „Ja, seit ein paar Wochen. Sie haben es gut aufgenommen.ˮ Etienne kramt in seinem Rucksack und zieht zwei Coladosen heraus. „Darauf stoßen wir an!ˮ Er reicht mir eine Dose und streckt dabei die Zunge heraus. Grinsend ziehe ich die Lasche auf und höre das bekannte Sprudeln. Wir stoßen an und trinken. „Hier, ich habe noch Kekse!ˮ Etienne befördert noch eine Tüte mit gemischten Keksen aus dem Rucksack hervor. „Ah, cool. Die mit Marmelade mag ich.ˮ „Da müssten welche drin sein.ˮ Er reißt die Tüte auf und wühlt ein wenig darin herum. Triumphierend hält er mir einen unter die Nase. Ich greife danach und stopfe mir den Keks in den Mund. „Was machst du jetzt? Weiterreisen?ˮ „Ja, was sonst? Der Typ war eh nur ein Zwischenstopp. Ich wollte ihn sehen und es ist gescheitert. So ist das halt.ˮ „Hm...ˮ Ich knabbere an einem Keks und krümel ganz nebenbei meinen Pullover voll. Etienne trinkt aus der Dose und für einen Moment herrscht wieder Stille. „Und wenn ich dein nächster Zwischenstopp bin?ˮ, frage ich dreist. Flirte ich etwa mit ihm? Etienne verschluckt sich an seiner Cola und hustet. Ich grinse und klopfe ihm halbherzig auf den Rücken. „Ist das dein Ernst oder verarschst du mich gerade?ˮ „Sehe ich aus als würde ich es nicht ernst meinen?ˮ Wir sehen uns an und müssen dann beide wie blöde lachen. „Also drei Stunden nach Bremen? Dann brauche ich ein neues Ticket.ˮ „Ich besorge dir eines.ˮ Ich krame in meiner Hosentasche und klicke auf meinem Handy herum. „Hey, das ist echt schräg und nett.ˮ Etienne beugt sich vor und küsst mich spontan auf die Wange. Ich halte verlegen inne und sehe ihm in die Augen. Er ist nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. „Wie lange bleibst du in Bremen?ˮ, fragt er neugierig. „Zwei Tage. Morgen Abend muss ich zurückfahren.ˮ „Zwei Tage. Nur wir zwei und deine Familie.ˮ Er grinst und beugt sich noch etwas weiter vor. „Ein bisschen überhastet, meinst du nicht?ˮ „Wieso?ˮ Stirnrunzelnd betrachte ich ihn. „Wieso soll es überhastet sein? Wir verbringen nur ein Wochenende zusammen.ˮ „Weißt du wie das klingt?ˮ Anzüglich zwinkert Etienne mir zu. „Manchmal muss man auch was riskieren oder nicht? Einfach mal spontan sein.ˮ Etienne nickt und zieht sich zurück. „Stimmt auch wieder. So wie ich mit meiner Deutschlandreise. Ich wollte einfach mal alles anschauen. So viel sehen wie möglich.ˮ „War das spontan?ˮ „Ja, fast. Die Reise wollte ich schon lange machen. Ich habe es einfach vor ein paar Wochen umgesetzt. Ganz spontan.ˮ Er trinkt wieder von seiner Cola. „Ich komme dich mal besuchen. Vielleicht.ˮ „In Frankreich?ˮ „Wo sonst?ˮ Ich zwinkere ihm zu. „So ganz spontan.ˮ Er lacht und lehnt sich seufzend zurück. Etienne sieht mich ernst an. „Ich möchte jetzt auch etwas ganz spontan machen.ˮ „Und was? Einen Zug entführen?ˮ, necke ich ihn. „Falscher Film.ˮ Er lacht und boxt mich leicht gegen die Schulter. „Wenn ich dich jetzt küsse, reißt du mir dann den Kopf ab?ˮ Ich verziehe meinen Mund, wäge ab und schüttele den Kopf. „So ganz spontan wohl eher nicht.ˮ „Genug davon! Ich ziehe es jetzt durch, auch wenn mein Kopf auf dem Spiel steht.ˮ Erheitert lehnt er sich zu mir und hält kurz inne. Wieder starre ich in seine grünen Augen. Seine Lippen legen sich weich auf meine. Ich schließe meine Augen und auch wenn es nicht mein erster Kuss ist, so ist es doch mein erster mit einem Mann. Etienne greift mir in den Nacken und übt einen leichten Druck aus. Wir küssen uns und es fühlt sich gut an. Besser als ich es mir immer in meiner Fantasie ausgemalt habe. Etienne zieht sich zurück und trinkt den letzten Rest seiner Cola. Meine ist noch fast voll. Ich lecke mir über die Lippen. Es schmeckt ein bisschen nach Cola. „Zeigst du mir ein bisschen was von Bremen?ˮ, fragt Etienne. „Klar. Für jeden Kuss eine Sehenswürdigkeit.ˮ „Machen wir davon Fotos?ˮ, flachst Etienne lachend. „Ja, wir spielen Touristen mit allem drum und dran.ˮ „Das könnte mir gefallen.ˮ Etienne lehnt sich an meine Schulter. Sein Kopf ist schwer. „Bestell mal schön mein Ticket.ˮ „Klar, für einen Kuss!ˮ, fordere ich frech. Er lächelt und hebt seinen Kopf ein wenig an. Ohne zu zögern beuge ich mich herunter und küsse ihn. Vielleicht wird die Zugfahrt doch noch ganz unterhaltsam? Mit der richtigen Person vergehen drei Stunden wie im Flug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)