Warum erwachsen werden von Amunet ================================================================================ Kapitel 45: Kapitel 45 ---------------------- Die Uhr des Glockenturms schlug an und das unverwechselbare Glockenspiel erklang. Die Melodie, welche zu jeder Viertelstunde spielte, war ebenso unverkennbar, wie der schwere Ton, den Big Ben erzeugte, sobald die Stunde voll war. Peter kannte das Glockenspiel gut, denn jedes Mal, wenn er nach London kam, konnte er es vernehmen. Er mochte es, um den Turm zu fliegen und zuzusehen, wie die vielen verschiedenen Glocken sich im Rhythmus ihrer Mechanik bewegten. Für ihn war dies faszinierend. Heute jedoch hatte er keine Lust, dem Spiel zuzusehen. Glöckchen neben ihm flog glitzernd und flink um ihn herum und er sah die kleine Fee, die ihn immer begleitete, an. „Was ist?“, fragte er sie und sie blieb in der Luft stehen, was wiederum Peter zwang, ebenfalls anzuhalten. Über das Klirren und Surren ihrer Flügel, sowie ihrer umfangreichen Gesichtsmimik versuchte sie mit ihm zu kommunizieren. Peter kannte Glöckchen lange genug, um zu verstehen, was sie sagen wollte. „Nein, ich kehre zurück nach Nimmerland“, antwortete er ihr auf ihre Frage. Zufrieden, dass Peter bei ihr bleiben würde, sauste die Fee funkelnden Feenstaub verteilend voraus. Nun alleine erlaubte sich Peter die Gedanken an die Ereignisse, die gerade hinter ihm lagen. Er hatte Sleepy und Kugel zu ihren Eltern zurückgebracht. Sie waren ein paar Tage, nachdem er selbst von der Jolly Roger zurückgekommen war, zu ihm gegangen und hatten ihn gebeten, sie Nachhause zu bringen. Peter war furchtbar böse geworden. Erst hatte er mit ihnen geschimpft, dann sie Dummköpfe genannt, weil sie Nimmerland verlassen wollten. Aber als er schließlich erkannte, dass er gar nicht auf die Jungen, sondern auf sich wütend war, hatte er aufgehört und ihrer Bitte zugestimmt. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass ihn verlorene Jungen verließen. Manche waren bei den Kämpfen gegen die Piraten und Indianer gestorben, manche waren Erwachsen geworden und wieder andere waren heimgekehrt. So war nun mal der Lauf der Dinge, die Peter kannte. Dennoch war Peter zornig auf sich selbst. Er beneidete Kugel und Sleepy, weil sie in die Arme derer zurückgingen, die ihnen Wärme gaben. Eine Wärme, die Peter selbst erst durch James kennengelernt hatte. Hier war auch das eigentliche Problem. Er hatte geglaubt, wenn er Hook zurücklassen, ihn nicht mehr sehen würde, dann würden die Gefühle in seinem Inneren verstummen. Doch je länger er von dem Piraten weg war, umso stärker wurde das Ziehen in seinen Gedärmen. Peter wollte es nicht zugegeben, doch die Sehnsucht nach James wurde mit jedem Tag größer, nagte an ihm und er litt. Zwar spielte und tobte er mit den Jungen, ging mit ihnen auf Abenteuersuche, doch wenn er ehrlich zu sich war, dann war er nicht mit ganzem Herzen dabei. Immer wieder ertappte er sich dabei, dass er an Hook dachte. Wenn sie den Indianern einen Streich spielten und wegrennen mussten, dachte er an seine Flucht mit Hook. Daran, dass sie in der alten Hütte gelandet waren und wie er seiner Neugier nachgegeben und den Mann berührt hatte. Wie James ihm ins Ohr raunte, dass dieses Spiel eines von denen war, die man zu Ende spielen musste. Oder wenn sie über die Felsen des Berges kletterten und so taten, als wären sie berühmte Bergsteiger, da dachte er an die Piratenhöhle, welche nun wieder für seine Augen verborgen war. Dachte an den Kampf mit der Meerjungfrau und die unheimlichen Geisterpiraten, aber mehr noch an die Angst, die er verspürt hatte, als James schwer verletzt am Boden lag. Selbst in seinen Träumen wurde Peter von Veilchenblauen Augen verfolgt. James, der ihn anlächelte, bevor er seine Hände verführerisch über seinen Körper gleiten ließ, ihm süße Dinge der Lust ins Ohr raunte und ihn mit seinen Liebkosungen verbrannte. Doch jedes Mal, bevor Hook ihn in seinen Träumen vollständig vereinnahmen konnte, da erwachte Peter. Sein Körper vor Erregung bebend und leidend unter der ungestillten Sehnsucht. Sein Glied, welches dann heiß und pochend an seinem Bauch lag, nahm Peter in die Hand. Er kannte einen Weg, um sich Erlösung zu breiten, weil Hook ihn ihm gelehrt hatte und doch fühlte er eine merkwürdige Leere, nachdem er seinen Samen vergossen hatte. Die Unruhe wollte ihn einfach nicht verlassen. Glöckchen tauchte wieder neben ihm auf. Schalt ihn, weil er so lange brauchte und endlich riss Peter sich aus den düsteren Gedanken. Er sollte wirklich nach Hause fliegen. Nimmerland würde ihn heute wieder wie einen Freund empfangen und wenn auch das Lager der verlorenen Jungen nicht mehr dasselbe sein würde wie am Morgen, so war dort auch Hook. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Umschmeichelte sie auf eine Art, wie man es von Peter Pan nicht kannte. Der ewige Junge, dem der Ruf vorauseilte, ebenso flüchtige Gedanken wie eine Fee zu haben, mit dem sonnigen Gemüt eines Kindes, war nicht für die Schwermut geeignet. Sein Glanz drohte dadurch zu verblassen. Plötzlich rief Glöckchen aufgebracht und Peter begriff erst nicht, worum es ging, doch dann bemerkte er, dass er langsam absank. Seine Fähigkeit zu fliegen schwand. Kurz griff Panik nach seinem Herz, denn er war in unglaublicher Höhe, als er sich auch schon wieder fing. „Fröhliche Gedanken“, sagte er sich. „Fröhliche Gedanken!“ Das erste Bild, welches ihm in den Kopf schoss, war die Nacht, in der Hook ihn seiner Jungfräulichkeit beraubte. Glöckchen schwebte erleichtert vor seinem Gesicht. Ihre Flügel schlugen noch immer sehr schnell von der Aufregung und Peter lächelte ihr schwach entgegen. „Schon gut“, sagte er, „lass und Heim fliegen.“ Peter wartete gar nicht erst ab, ob Glöckchen etwas erwidern würde, sondern flog voraus. Er wollte nicht noch einmal riskieren, von den trüben Gedanken herabgezogen zu werden. London war schon halb hinter ihnen, als die Big Ben die volle Stunde einläutete, aber Peter interessierte dies nicht mehr. Sein Blick war auf den zweiten Stern von links gerichtet, der ihm freudig zurief: „Komm, Peter, Komm.“ oooOOOooo James Anthony Malloray stand mit dem Rücken zum Steuerrad und blickte über das Schiff hinaus auf Nimmerland. Die Luft war eisig kalt. Das Meer um das Schiff herum gefroren und die Insel lag im tiefsten Schnee. Er wusste, dass dies hieß, dass Peter Pan Nimmerland verlassen hatte. Nun, nicht immer verwandelte sich die Insel in ein eisiges Reich, wenn Peter fortflog, doch manches Mal und James vermutete aufgrund neuester Erkenntnisse, wenn Peter sehr aufgewühlt war, dann fror seine Abwesenheit die Insel ein. Sie würde erst wieder mit Sonne und Wärme erfüllt werden, wenn Peter die Macht Nimmerlands zurückbrachte. Es war schon seltsam, wie sehr die Insel mit dem Jungen verbunden war. Aber James dachte darüber nicht nach. Sein Kopf war merkwürdig leer, während er einfach nur auf das Eis starrte. Seit Stunden stand er hier. Trug über seinem nachlässig zusammengeknoteten Hemd nur ein Wams, das lose über seinen Schultern hing. Lippen und Hände trugen eine bläuliche Färbung und er holte sich wahrscheinlich den Tod, doch jeder Versuch von Smee, dem Kapitän eine Decke zu bringen, war fehl geschlagen, ebenso wie der wärmende Grog zu mehreren Tassen neben ihm mittlerweile gefroren war. James wollte die Kälte, begrüßte sie, die er immer gehasst hatte, wie einen Freund. Sommer und Sonne erinnerten ihn an Pan. An diesen fröhlichen, frechen Jungen, der ihm das Herz geraubt hatte. Er wollte Pan nicht in seinem Kopf haben. Nicht in seinem Herzen, denn es schmerzte ihn. Zweimal war er töricht genug gewesen, sich zu verlieben. Samantha hatte seine Liebe mit den Füßen getreten, ihn töten wollen. Aber er hatte sich gerächt. James erinnerte sich noch genau daran, wie entsetzt und angstvoll sie drein gesehen hatte, als er wie ein Geist vor ihr gestanden hatte. Sie war noch immer wunderschön gewesen. Ihre braunen Haare waren kunstvoll frisiert gewesen, der Hut, den sie trug, war in perfekter, farblicher Harmonie zu ihren blauen Augen abgestimmt gewesen und an ihrer Hand war ein Kind. Ein hübsches, kleines Mädchen, das eine entzückende Kopie ihrer Mutter abgab. Die Angst hatte sie veranlasst, das Kind eng an sich heran zu drücken, als befürchtete sie, James würde dem Kind etwas antun. Aber James war kein Monster, welches unschuldige Kinder für die Fehler ihrer Eltern büßen ließ. „Du lebst?“, hatte sie gesagt, bemüht, das Zittern ihres Körpers zu kontrollieren. „Offenbar“, war seine Antwort gewesen. „Du weißt, weshalb ich hier bin?“ „Ja“, hatte Samantha geseufzt. „Um Gnade zu bitten, wird erfolglos sein, nicht wahr?“ „Ich werde dir so viel Güte entgegenbringen, wie du und dein Liebhaber es bei mir taten.“ „Das ist gerecht, will ich meinen. Aber bitte tue es nicht vor meiner Tochter.“ „Keine Sorge, deine Tochter wird von alldem nichts mitbekommen.“ „Danke“, hatte sie gesagt und ihn zum ersten Mal voll Aufrichtigkeit angesehen. Er hatte sich abgewandt, um zu gehen. „James“, hatte sie ihn aufgehalten, „ich weiß, für Vergebung ist es längst zu spät, doch du sollst wissen, dass ich immer bereut habe, was wir dir angetan haben. Marcus und ich haben uns kurz nach dieser Sache getrennt. Ich bin jetzt verheiratet.“ Ein glückliches Lächeln hatte ihre Lippen umspielt. „Mein Mann ist ein guter Mann. Ich liebe ihn. Liebe ihn so, wie ich dich hätte lieben sollen.“ „Dein Gerede wird dich nicht schützen.“ „Ich weiß, aber… Ich wollte nur, dass du weißt, dass auch du jemanden verdienst hat, der dich aufrichtig liebt.“ Mit ihren letzten Worten in den Ohren, hatte James sie stehen lassen. War zurück zu Blackbeards Schiff gekehrt, voller Wut, weil diese Frau kein Stück mehr das falsche Biest war, welches er hatte töten wollen. Die Art von James Rache wurde so nur perfider. Ein ganzes Jahr ließ er sie im Glauben, dass er sie töten wollte. Ein Jahr, in dem sie sich vor dem eigenen Schatten fürchtete, weil ihr immer wieder kleine Nachrichten zugetragen wurden, dass ihr Ende kurz bevor stand. Samantha hatte unter der Last gelitten und dennoch hatte sie das Einzige getan, das James ihr nie verzieh. Um ihren Mann und ihre Tochter zu schützen, hatte sie ihre Familie verlassen. Wollte ihre Familie nicht in die Fehde mit hineinziehen. Monate hatte sie auf dem Land in einer kleinen Hütte verbracht, fern von Wohlstand und Reichtum, den sie immer so geschätzt hatte, bis James zu ihr gekommen war und sie frei gegeben hatte. Er hatte sie noch immer verabscheut, doch die Rechtschaffenheit in ihm konnte nicht länger verantworten, dass ein Kind ohne seine Mutter aufwuchs, so wie es bei ihm der Fall gewesen war. Voll Dankbarkeit hatte Samantha sich vor seine Füße geworfen und das Gemisch an Gefühlen, das ihn in diesem Moment heimgesucht hatte, ließen ihn England für immer verlassen. „Kapitän?“, hörte er Smee hinter sich. „Was?“ „Wollt Ihr nicht doch einen Grog trinken? Er wird euch wärmen.“ „Nein.“ „Bitte, Kapitän, Ihr werdet sterben, wenn Ihr so weiter macht.“ „Verschwinde, Smee!“ „Er wird zurückkommen, wisst Ihr“, sagte Smee. „Natürlich wird er das. Nimmerland ist sein Zuhause.“ „Nein, das meine ich nicht. Er wird zu Euch zurückkehren.“ Zischend atmete James ein, schloss für einen Augenblick die Lider, nur um sich dann zu seinem Bootsmann umzudrehen. „Rede keinen solchen Unsinn.“ „Er kommt, Kapitän, ich weiß es“, beharrte der ältere Mann. „Ich könnte dich für deine Worte kielholen lassen.“ „Ja“, grinste Smee unbeirrt, „doch Ihr werdet es nicht tun, weil Ihr ahnt, dass ich recht habe.“ „Woher nimmst du diese Zuversicht?“, fragte James, der Smee für die Hoffnung, die er ihm machte, am liebsten bestraft hätte. „Weil Pan Euch ebenso liebt wie Ihr ihn.“ „Aber er versteht es nicht. Er hat Angst davor!“, polterte James. „Und ich… Ich kann ihn nicht zwingen, sich seiner Angst zu stellen. Täte ich es, würde ich die Schuld daran tragen, falls Peter Erwachsen wird. Was wäre Nimmerland ohne Peter Pan? Was würde mit der Magie geschehen, die der Junge in sich trägt? Sieh dich doch um!“, schrie James und drehte sich mit weit ausgestreckten Armen um. „Die ganze Insel richtet sich nach ihm. Wartet darauf, dass er die Sonne zurückbringt. Darf ich wirklich so egoistisch sein und Pan für mich alleine fordern?“ Nachsichtig sah Smee ihn an, ehe er ihm sanft eine Decke um die Schultern legte, die er mitgebracht hatte. Seine Hände lagen auf James Rücken und er streichelte mit einer beruhigenden, väterlichen Geste über James Arme, der nun zum ersten Mal wahrnahm, wie ausgekühlt sein Körper war. „Wisst Ihr, Kapitän, manche Probleme lösen sich von alleine. Ihr müsst die Verantwortung nicht alleine übernehmen. Pan hat auch einen Teil davon zu tragen.“ „Er ist ein Kind.“ „Nein, er ist weder Kind, noch Mann. Ein wenig von der Last, die Euch drückt, kann sein schmales Kreuz schultern.“ „Smee“, setzte James an. „Veränderung ist keineswegs immer etwas Schlimmes. Wartet doch einfach ab, was passiert, sobald Pan den Weg zu Euch zurückfindet.“ Wie auf ein geheimes Stichwort, schoben sich die grauen Wolken langsam auf die Seite. Sonnenstrahlen drangen durch die dicke Wolkendecke und fielen auf Land und Meer. Die Strahlen waren warm und das Eis funkelte darin wie Kristall. „Seht doch“, sagte Smee, „Pan kommt Nachhause.“ Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)