Echo von Nordwind ================================================================================ 7 - VII | Weder Fai noch Kurogane hatten in dieser Nacht ein Auge zugetan und als es schließlich zu dämmern begann, stand Kurogane auf und nahm sein Schwert. Er würde keine Sekunde länger als nötig in diesem verdammten, verfluchten Dorf bleiben. Wäre da nicht der bescheuerte Magier mit seiner dämlichen Verletzung so hätte er diesen verteufelten Ort schon nach ihrer ersten Nacht dort wieder verlassen. „Gehen wir,“ befahl Kurogane mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Nicht dass Fai den Eindruck erweckte, als wollte er lieber in der Hütte bleiben. Kurogane kam nicht umhin zu bemerken, dass das Gesicht des Magiers mit jedem Tag, den sie in dieser Welt verbrachten, blasser geworden war und es ihm zunehmend schwerer fiel das heitere Lächeln aufrecht zu halten. Mehr als einmal war ihm bereits aufgefallen, dass die Lippen des Magiers eine ungewöhnliche gerade, dünne Linie bildeten. Und obwohl er sich oft gewünscht hatte Fai das alberne Grinsen aus dem Gesicht schlagen zu können, erweckte dessen Abwesenheit nun sein Misstrauen. Er beobachtete wie Fai nach dem Stock griff und sich mit dessen Hilfe langsam aufraffte. Kurogane entging nicht wie Schmerz in den himmelblauen Augen des blonden Magiers aufblitzte, als dieser das verletzte Bein belastete. Sie würden nicht schnell voran kommen und da Fai dazu tendierte seinen physischen Zustand zu verbergen und keinen Mucks zu machen, wenn er dringend eine Pause benötigte, würde Kurogane umso mehr darauf achten müssen. Doch es half alles nichts, sie mussten diesen verfluchten Ort so schnell wie möglich verlassen und ihre Reisegefährten finden. Kurogane würde keine weitere Nacht in diesem verdammten Dorf verbringen und wenn er Fai dafür tragen musste. Etwas stimmte so ganz und gar nicht mit dieser Ansammlung zerfallener, verlassender Hütten und dem verdammten, finsteren Wald. Nichts in dieser verfluchten, menschenleeren Welt ergab einen Sinn. Weder die albtraumhaften Kreaturen, die Fai in der ersten Nacht hier grundlos angefallen hatten, noch die Tatsache, dass der Wald ihn selbst gefangen gehalten hatte wie in einem Käfig aus Bäumen und Sträuchern, und insbesondere nicht die Ereignisse der letzten Nacht. Sie verließen die Hütte und gingen im Schatten der Bäume am Waldrand entlang nach Osten. Die Sonne stieg langsam am Himmel empor und es versprach bald ein warmer, wolkenklarer Tag zu werden. Die Vögel zwitscherten fröhlich hoch oben im Geäst der Bäume zwischen den dichten sommergrünen Blättern und eine sanfte Brise fuhr durch das hohe, saftig grüne Gras, das sich bis zum Horizont hin erstreckte und Wellen gleich im Wind wogte. Ein Tag wie aus einem Bilderbuch, Kurogane verzerrte missmutig das Gesicht, beinahe als wolle ihn der Himmel wegen seiner Paranoia verspotten. Doch der Himmel war Kurogane egal, war es schon immer gewesen. Er ließ sich von dieser scheinbaren Idylle nicht zum Narren halten. Sie waren schon einige Stunden unterwegs und hatten immer wieder kleinere Pausen eingelegt. Fai ging ungewöhnlich schweigend neben Kurogane, einen Arm auf den Stock gestützt, die andere in der tiefen Manteltasche vergraben. Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten ihm wohl die Sprache verschlagen oder beschäftigten ihn zumindest ebenso sehr wie Kurogane selbst. Er hatte das Geschehen bereits zig Mal in Gedanken wiederholt und konnte sich noch immer keinen Reim daraus machen. Er konnte sich daran erinnern wie er mitten in der Nacht aus der Hütte gegangen war um sich mit ein paar einfachen Schwertübungen wach zu halten. Er war zum Brunnen hinüber gegangen und hatte sein Schwert blank gezogen. Das Schwert, das er eigentlich nicht haben sollte, wie Fai richtig bemerkt hatte. Kurogane war es so sehr gewohnt ein Schwert bei sich zu tragen, dass er dessen Vorhandensein kein einziges Mal in Frage gestellt hatte, doch Fais Worte entsprachen der Wahrheit, er hatte es nicht gehabt, als sie aus Record geflohen waren. Eine weitere unbeantwortete Frage. Draußen im schwachen Mondlicht, als er mit einigen einfachen Übungen begonnen hatte seine Muskeln zu lösen, war mit einem Mal eine vertraute Gestalt aus den tiefen Schatten zwischen den Hütten hervorgetreten. Kurogane war in der Bewegung erstarrt, als er die beinahe geisterhafte Erscheinung seiner Mutter erkannt hatte, die regungslos verharrte und keinen Tag gealtert war seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Er hatte sie angesprochen, doch sie hatte nicht reagiert, bis er mit einem Mal mit leiser, vertrauter Stimme, die Kuroganes Herz einen Schlag aussetzten ließ, gesagt hatte: „Du weißt wer mich getötet hat.“ Sie hatte ihre blasse Hand gehoben und mit dem Finger auf jemanden gezeigt, der hinter Kurogane stand. Als er sich auf ihren Befehl umdrehte, hatte er Fai entdeckt, der das Schwert hielt. Das verfluchte Schwert mit dem seine Mutter ermordet worden war, das Schwert, dessen Träger er niemals zu Gesicht bekommen hatte. Es verschwand jedoch in jener Sekunde als Kurogane nahe genug an Fai heran gekommen war um mit der scharfen Klinge seines Schwerts dessen Leben zu beenden. Die Waffe in Fais Hand war kein Schwert gewesen, es war nicht einmal eine Waffe, sondern nur der Stock, den Kurogane selbst ihm gegeben hatte. Es musste eine Illusion gewesen sein, eine Halluzination. Ein Trick. Jemand hatte ihn hinters Licht führen wollen und ihn dazu bringen sich gegen Fai zu wenden. Kurogane ballte die Hand zur Faust. Und was hatte der dämliche Magier getan, dieser nichtsnutzige, elende Idiot? Nichts. Er hatte einfach nur da gestanden und darauf gewartet, das ihm Kurogane den Kopf vom Hals schnitt, als hätte er jedes Recht dazu. Er war nicht einmal zur Seite gewichen und davon gelaufen wie er es doch sonst immer so elegant tat. Was war nur los mit diesem lebensmüden Wahnsinnigen? Kurogane konnte beim besten Willen nicht begreifen, warum Fai nicht bereit war sein eigenes Leben zu verteidigen und sich zu wehren. „Warum glaubst du ist mein Leben es wert beschützt zu werden?“ Kurogane sah überrascht auf, als Fai neben ihm mit gesenkter Stimme zu sprechen begann, als hätte er Kuroganes Gedanken gelesen. Wer wusste schon wozu der Magier in Wirklichkeit fähig war, wenn doch sonst nichts an ihm echt war. Weder seine Gesten, sein Lächeln oder seine Worte. Kurogane betrachtete den blonden Magier nachdenklich und verärgert zugleich. Fai hatte den Blick steif auf den unsichtbaren Weg vor ihm gerichtet, seine Lippen bildeten eine blasse Linie. Es war ungewöhnlich. Nicht dass Fai sprach, denn Fai konnte, zu Kuroganes Missfallen, einen ganzen Tag lang ununterbrochen reden, ohne dabei tatsächlich irgendetwas zu sagen. Aber dass Fai ihm eine so offene Frage stellte, die ihn selbst betraf, war noch nie vorgekommen. Natürlich aber, wie hätte es auch anders sein können, musste es sich dabei um eine ganz besonders dämliche Frage handeln, die nur dem verflucht, verdrehten Spatzenhirn eines Magiers entspringen konnte. Kurogane spielte einen Moment lang mit dem Gedanken Fai zu ignorieren, entschied sich dann jedoch dazu, dass es besser war zu antworten. Wer konnte schon wissen, ob Fai nicht ausnahmsweise einmal ehrlich zu ihm sein würde? „Weil ich immer die Leben derjenigen schütze, die an meiner Seite kämpfen,“ erwiderte er schließlich ohne ein Zögern in der Stimme. Es war die Wahrheit. Kurogane sah keine Sinn darin andere zu belügen. Lügen hatten in seiner Lebenspraxis keinen Nutzen, sie waren nur dazu gut alles komplizierter zu machen, jedoch nicht dazu geeignet Probleme zu lösen, sie wirklich zu lösen. Lügen waren nur ein Schein und ein Weg sich selbst zu betrügen. „Auch wenn sie nicht kämpfen?“ Fais Stimme verriet nichts über die Gedanken, die bei diesen Worten durch seinen verqueren Kopf schwirrten, auch der Ausdruck in seinem Gesicht blieb unverändert.“ Kurogane seufzte lautlos. Er war nicht auf diese Reise gegangen um mit einem unverbesserlich dämlichen Magier über denn Sinn des Lebens zu diskutieren. Es war eine absolut ziellose und nutzlose Diskussion, wenn man einmal davon absah, dass er diese Reise überhaupt nicht freiwillig angetreten hatte, sondern angeblich um selbst eine Lektion über das Leben zu erteilt zu bekommen. Nun gut, da konnte er wohl auch ebenso gut teilen, was er bisher gelernt hatte. „Jedes Leben ist kostbar,“ erwiderte er schließlich. Er wusste, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen und er war von ihrer Richtigkeit überzeugt. „Es ist das wertvollste, das wir besitzen, denn einmal verloren kann es nicht wiederhergestellt werden.“ Kurogane kam nicht umhin zu bemerken, wie sich der Ausdruck in Fais Augen bei diesen Worten verfinsterte. Er wusste nicht weshalb und Fai würde es ihm mit Sicherheit nicht sagen. „Was, wenn ich jemanden getötet habe?“ Eine ungewöhnliche Bitterkeit erfüllte die Stimme des Magiers, als er die Frage stellte. „Oder Tausende?“ „Tausende?“ wiederholte Kurogane die Frage und schnaubte höhnisch. „Das glaube ich nicht.“ Fai blieb stehen und sah überrascht auf. Seine leicht geweiteten, kobaltblauen Augen trafen auf die Kuroganes. „Warum nicht?“ „Weil du schon daran zerbrechen würdest, wenn du nur einen einzigen töten müsstest.“ Kurogane schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Was für eine bescheuerte Unterhaltung. Er konnte unmöglich feststellen wie viel Wahrheit in Fais Worten lag, doch so wie er den Magier einschätze konnte es nicht allzu viel sein. Und selbst wenn, so interessierte es Kurogane nicht besonders. Er brauchte nichts über die Vergangenheit des Magiers zu wissen und vielleicht wollte er es auch gar nicht. Alles was ihn interessierte war, dass Fai endlich begriff, dass er sein Leben schützen musste, um nicht andere dazu zu zwingen diese Aufgabe für ihn zu übernehmen. Aber Kurogane glaubte nicht, dass der Magier das verstand oder überhaupt verstehen wollte. „Was wenn ich Schuld an ihrem Tod habe?“ Was auch immer geschehen war, Fai schien es nicht loszulassen und Kurogane wurde allmählich wütend. Hörte der Magier ihm überhaupt zu? Hatte er auch nur ein einziges Wort von alledem gehört, das er ihm auf dieser Reise gesagt hatte? „Hast du ihren Tod gewollt?“ fragte er deshalb nun mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. Er war noch niemals ein besonders geduldiger Mensch gewesen. Er konnte anderen beibringen mit einer Klinge umzugehen, doch Ordnung in den verworrenen Schädel eines irren Magiers zu bringen, so dass er wieder klar denken konnte, ging weit über seine Kompetenzen hinaus. „Hast du die Klinge geführt, die ihr Leben beendet hat?“ Fai setzte dazu an etwas zu sagen, doch Kurogane konnte bereits in seine Augen erkennen, welche Antwort ihm auf den Lippen lag. „Dann ist auch kein Blut an deinen Händen,“ fuhr er grimmig fort ohne Fai zu Wort kommen zu lassen. „Mein Klinge hingegen hat vermutlich wirklich Tausende getötet.“ Fai starrte ihn einen Augenblick lang fassungslos an, als wüsste er nicht, was er mit diesen Worten anfangen sollte, dann wandte er sich schließlich wortlos um und ging weiter. Kurogane folgte ihm ebenfalls schweigend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)