Echo von Nordwind ================================================================================ 6 - VI | Dunkelheit füllte den Innenraum der Hütte und das leise Rascheln der Blätter in einer sanften, kühlen Brise drang durch das Fenster mit der zerbrochenen Scheibe herein, als Fai plötzlich mitten in der Nacht wieder erwachte. Er lag neben der Feuerstelle in seinen Mantel gehüllt und öffnete langsam die Augen, während er allmählich den traumlosen Schlaf abstreifte. Etwas hatte ihn geweckt, doch er konnte nicht genau sagen was es gewesen war. Eine Stimme oder eine Berührung? Er erinnerte sich vage an ein seltsames Geräusch, wie Metall, das auf Stein schlug, konnte aber nicht sagen, ob es tatsächlich da gewesen war oder nur in seiner Einbildung existiert hatte. Schlaftrunken strich er sich mit halb offenen Augen die kinnlangen, blonden Strähnen aus der Stirn. War es schon Zeit für seinen Teil der Nachtwache? Hatte Kurogane ihn geweckt? Sie beide hatten den Rest des Tages in missmutigem Schweigen verbracht und waren einander aus dem Weg gegangen so gut es in der kleinen Hütte nach Anbruch der Dunkelheit eben möglich gewesen war. Sie hatten etwas gegessen und ohne ein Wort zu wechseln hatte Kurogane die erste Wache der Nacht übernommen, während Fai sich auf seiner Seite des Feuers in seinen Mantel kuschelte und die Augen schloss. Doch nein, Kurogane war verschwunden. Es war das erste, das Fai auffiel, dann bemerkte er, dass das Feuer in der Mitte der kleinen Hütte beinahe erloschen war. Nur schwach glühten die heruntergebrannten Kohlen in der Finsternis der Nacht. Vielleicht war Kurogane in den Wald gegangen um neues Brennholz zu holen? Doch nein, Fai entdeckte einen Stapel mit trockenen Ästen und Zweigen nicht unweit von der Stelle entfernt, an der er selbst zusammengerollt lag. Müdigkeit drückte auf Fais Lider, die immer schwerer wurden, und der Schlaf rief verlockend seinen Namen. Wahrscheinlich war Kurogane zum Bach hinüber gegangen um sich zu erfrischen, überlegte Fai, während er sich erneut dem trägen Schlummer hingab. Fai schloss die Augen, nur um sie im gleichen Moment wieder schlagartig zu öffnen. Da war es wieder, das Geräusch. Metall auf Stein. Fai setzte sich auf, griff nach dem langen Stock, der an seiner Seite lag und zog sich daran hoch. Er war mit einem Mal hellwach. Er verzog das Gesicht und biss die Zähne zusammen als der Schmerz seinen Knöchel empor schoss. Nichtsdestotrotz humpelte er mit einem Arm auf den Stock gestützt am beinahe erloschenem Feuer vorbei hinüber zum Eingang der Hütte und warf einen Blick hinaus. Erneut vernahm er das Geräusch aus der Richtung in der die Mitte des kleinen Dorfes und der alte Brunnen lagen. Eine bekannte Stimme gesellte sich dazu, doch sie war so leise, dass Fai nicht sagen konnte was Kurogane sprach und mit wem. Da er sich mit seiner Verletzung unmöglich anschleichen konnte und Kurogane seine Anwesenheit wahrscheinlich selbst bei bester Gesundheit sofort bemerken würde, gab Fai sich keinerlei Mühe leise zu sein, als er vor die Hütte hinaus trat und in die Richtung humpelte in der er vage die Gestalt seines Reisegefährten auszumachen glaubte. Die Nacht schwieg still. Kein Wind ging durch das Blätterwerk in den Bäumen oder die dornigen Sträucher am Rande des Dorfs, kein Vogel sang ein spätes Schlaflied, nur das Geräusch von Fais hinkenden Schritten durchbrach die Finsternis, beinahe als stände die Zeit still. Kurogane stand dort regungslos beim Brunnen mit blank gezogenem Schwert im schwachen Mondlicht. Fai blieb stehen, er konnte lediglich die Silhouette seines Gefährten ausmachen und die im diffusen Licht schimmernde Klinge. Fai vernahm Kuroganes leise Stimme, doch er konnte noch immer kein Wort von dem verstehen, was dort gesprochen wurde. War dort noch jemand? Vielleicht verborgen in der Dunkelheit zwischen den anderen Hütten? Fai machte einen weiteren Schritt und öffnete bereits den Mund um den Namen seines Gefährten zu rufen, als der große Ninja plötzlich mit blitzender Klinge zu ihm herumfuhr und Fai mitten in der Bewegung verharren ließ. Fais Augen weiteten sich vor Überraschung, als er den tiefen, kochenden Hass bemerkte, der Kuroganes Gesicht zu einer grimmigen Maske verzerrte. Er hatte noch niemals einen solch gnadenlosen Ausdruck bei seinem Reisegefährten gesehen. „Verräter,“ zischte Kurogane mit einem Mal, als er Fai entdeckte. Er spukte das Wort aus, als läge es wie Gift auf seiner Zunge. Die tief roten Augen glühten beinahe wie lodernde Flammen in der Dunkelheit. Fai erstarrte. Ein eisiger Schauer jagte ihm über den Rücken. Das Wort traf ihn wie ein Schwertstich in die Brust und ließ ihn unwillkürlich zurückweichen. Was wusste Kurogane? Mit wem hatte er gesprochen? Wer hatte Fai verraten? War es die Hexe gewesen? Die Fragen rauschten durch seinen Kopf und eine plötzliche Furcht lähmte seine Gedanken, hielten ihn davon ab klar zu denken. Er konnte nichts weiter tun als stumm in Kuroganes lodernde Augen zu starren und zu hoffen, dass diese Situation nur ein Albtraum war, dass er in Wirklichkeit noch immer in der Hütte schlief. Fai hatte keine Plan für eine Situation wie diese, keine Ausrede, keinen Fluchtweg, keine Lüge. Es war ihm, als wäre der Boden unter seinen Füßen eingebrochen, als hätte die scharfe Klinge auf der er so lange mit traumwandlerischem Leichtsinn getanzt hatte letztendlich ein Schnippchen geschlagen und eingefordert was er ihr so lange wie im Spott versagt hatte. „Du warst es die ganze Zeit.“ Kuroganes Stimme bebte vor brodelndem Zorn. In Sekundenschnelle, schneller als Fai blinzeln konnte, stand Kurogane plötzlich neben ihm. Er schwang sein Schwert, die Klinge schnitt singend durch die kühle Nacht, blitzend im Mondlicht, ehe sie eine Haaresbreite von Fais Kehle entfernt verharrte. Fai hatte noch nicht einmal den Versuch unternommen zurückzuweichen. Die flinke Gewandtheit, mit der er sich gewöhnlich mühelos bewegte, war stumm und leise in der Finsternis verschwunden. Anmut und Leichtfüßigkeit hatten ihn verlassen, während er nichts weiter tun konnte als dem schneidenden Hass in Kuroganes Augen mit tiefer Furcht zu begegnen. Die Kälte hatte seine Muskeln und Glieder zu Eis erstarren lassen. Ein kühler Windhauch fuhr plötzlich über den Dorfplatz, raschelte in den Büschen und trieb einige Strähnen seines sandfarbenen Haares in Fais Stirn. „Wo ist das Schwert?“ Kuroganes Stimme zitterte, als müsse er sich dazu zwingen die Worte hervor zu pressen und den Drang zu unterdrücken die schneidende Klinge tief in Fais Körper zu bohren. Fai stellte überrascht fest, wie mit einem Mal Verunsicherung in den rot glühenden Augen aufblitze, nur um den Bruchteil einer Sekunde später Argwohn zu weichen. „Du hattest es eben noch.“ Irgendwo im Schatten des Waldes begann eine Nachtigall zu singen. „Welches Schwert?“ erwiderte Fai matt. Er fühlte sich plump und schwer, das Gewicht auf seinen Schultern drohte ihn zu erdrücken. Der Schmerz in seinem Bein wurde allmählich unerträglich und er wusste nicht, wie lange er sich noch auf den Beinen halten konnte. „Das Schwert mit dem meine Mutter ermordet wurde,“ antwortete Kurogane zornig. „Du hattest es eben noch in der Hand. Ist das einer deiner Zaubertricks?“ Ein schmales, trauriges Lächeln schlich sich auf Fais Lippen, als ihm klar wurde, dass Kurogane gar nichts wusste. Erleichterung überkam ihn und wusch über ihn hinweg. Er taumelte einen Schritt zurück und sank auf die Knie, während die scharfe Klinge ihm die Haut am Hals aufritzte. Nicht tief genug, dass Blut floss, nur so weit um einen tiefroten Schnitt zu hinterlassen. Der Stab fiel mit einem dumpfen Geräusch neben ihm auf den Boden. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Schwert in der Hand gehabt.“ Fai schloss die brennenden Augen und grub seine Finger tief in die weiche, feuchte Erde. „Du hattest es eben noch.“ Hörte er Kurogane leise die Worte wiederholen wie um sich selbst von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, während er noch immer das Schwert vage in Fais Richtung hielt. „Ich habe es gesehen.“ Fai biss die Zähne zusammen und zwang die Tränen zurück, die sich in seinen Augen bildeten. Waren es Tränen der Erleichterung oder der Enttäuschung, Fai konnte es nicht mit Sicherheit sagen, doch er war nicht bereit sie zuzulassen. „War es nur eine Illusion?“ Er spürte, wie Kurogane langsam sein Schwert zurück zog und eine Schritt auf Fai zu machte. Ehe er jedoch weitergehen konnte, sah Fai auf und streckte den Arm aus um ihn aufzuhalten. „Komm nicht näher!“ Kurogane hielt in der Bewegung inne. Fai brachte es nicht über sich seinem Reisegefährten in die Augen zu sehen und starrte stattdessen verbissen auf einen Punkt an dessen Schulter. Einige Fäden ragten an einer Stelle aus dem Stoff des Mantels hervor, wo eine Naht aufgerissen war. Hatte Kurogane geträumt oder halluziniert? Fai konnte es nicht sagen. Hatte er Fai wirklich mit dem Schwert in der Hand gesehen, das seine Mutter getötet hatte? War es ein Zauber gewesen, den Fai nicht gespürt hatte? Er wusste es nicht. Was er jedoch mit unumstößlicher Sicherheit wusste, war dass Menschen in seiner Umgebung früher oder später den Verstand verloren, dass ihnen ein Unglück widerfuhr, dass sie wahnsinnig wurden und oft schnell starben. Hatte der Fluch, der sein ganzes Leben bestimmt hatte, von seiner Geburt bis zu diesem Moment, ihn letztendlich eingeholt? War das der Grund dafür, das diese seltsamen Dinge in dieser seltsamen Welt geschahen? Kurogane, der im ersten Moment gezögert hatte, schlug Fais Befehl nun in den Wind, überwand in wenigen Schritten den Abstand zwischen ihnen und packte Fais ausgestreckten Arm um ihn wieder auf die Beine zu ziehen. Für einen winzigen Moment begegneten sich ihre Augen – Kobaltblau traf auf Glutrot – dann ging Kurogane wortlos an Fai vorbei und verschwand in den Schatten der Hütten und des hohen Grases, das am Dorfrand wuchs, in Richtung des kleinen Baches. Fai verharrte eine ganze Weile regungslos um sich zu sammeln, dann hob er seinen Stab auf und humpelte zur Hütte zurück. Als er das Innere betrat, warf er einige Zweige und Rindenstücke in die erloschene Glut. Wortlos hob er die Hand und schrieb mit dem Zeigefinger eine Rune in die klare Nachtluft, während die warme Vertrautheit seiner Magie ihn sanft umschmiegte. Er formte mit den Lippen einen stummen Befehl ehe er die Schriftzeichen behutsam auf die Feuerstelle hinunter blies. Zwischen den Zweigen und Rindenstücken stoben plötzlich wie aus dem Nichts golden glühende Funken empor, ehe mit einem Mal zuckende Flammen aufloderten. Fai lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und ließ sich an ihr herab sinken, während er mit leerem Blick in das Feuer hinab starrte. Er war müde, unendlich müde, und der Schlaf drückte schwer auf seine Lider. Und obwohl er nichts lieber wollte als sich dem süßen, traumlosen Vergessen hinzugeben, zwang er sich wach zu bleiben. Es dauerte kaum eine halbe Stunde, ehe Fai leise, beinahe lautlose Schritte vernahm, die sich der Hütte näherten, und Kuroganes große, dunkle Gestalt im Eingang erschien, das Schwert in der Hand. Wortlos setzte sich Kurogane auf seine Seite des Feuers, dann nahm er einen ledernen Lappen aus einer der Innentaschen seines Mantels und zog sein Schwert blank. Fai beobachtete, wie sein Gefährte begann mit geübten Handbewegungen die scharfe Klinge zu reinigen, die im Licht der orangeroten Flammen schimmerte. Es dämmerte inzwischen und die Finsternis zog sich allmählich zurück bis nur noch die langen Schatten zurückblieben. „Woher hast du das Schwert?“ fragte Fai plötzlich in das Schweigen hinein. Kurogane hielt in der Bewegung inne und sah ihn über das Feuer hinweg ratlos an, als verstünde er die Frage nicht. Noch immer war dort ein Funken Argwohn in seinen tieferoten Augen. „Du hattest es nicht in der Hand, als wir Record verlassen haben,“ erläuterte Fai daraufhin schlicht, die Stimme neutral, tonlos. „Wo hast du es gefunden?“ Kurogane schien zu überlegen. „Ich hatte es, als ich in dieser Welt angekommen bin.“ Fai erwartete, dass Kurogane, nachdem sie diese Frage eindeutig nicht geklärt hatten, sich wieder stumm seiner Arbeit zuwenden würde, doch er hatte sich geirrt. Kurogane hielt weiterhin fest den Blick auf ihn gerichtet, so lange bis Fai schließlich den Drang verspürte zur Seite zu schauen, stattdessen jedoch hob er fragend eine Augenbraue. „Warum bist du nicht ausgewichen, als ich dich angegriffen habe?“ Die Frage stand zwischen ihnen wie eine stumme Herausforderung. Fai schwieg, er hatte keine Antwort darauf, keine ehrliche zumindest. Kurogane sprach weiter, als hätte er mit eben dieser Reaktion von Fai gerechnet. „Es ist verdammt schwer jemanden zu beschützen, dem nichts an seinem eigenen Leben liegt.“ Fai starrte seinen Gefährten fassungslos an, der vor einer knappen Stunde noch kurz davor gewesen war Fais Leben eigenhändig zu beenden statt es zu bewahren. Doch er verbiss sich einen spöttischen Kommentar, es gab eine richtigen Zeitpunkt für alles und dies war nicht der Moment Kurogane unnötig zu provozieren. „Ich habe niemals darum gebeten, beschützt zu werden,“ erwiderte er deshalb schlicht und zwang ein mattes Lächeln auf seine Lippen. „Nein, hast du nicht.“ In Sekundenschnelle zog Kurogane ein kleines Messer aus einer der Innentaschen in seinem Mantel, drehte es in der Hand und warf es mit unglaublicher Geschwindigkeit in Richtung von Fais Kopf. Fai reagierte in letzter Sekunde, als die scharfe Spitze des Messers nur noch eine Haaresbreite von seinem Gesicht entfernt war. Er warf seine Kopf zur Seite und für den Bruchteil einer Sekunde schwand das Lächeln von seinen Lippen und wich einem dunkleren und kälterem, einem gefährlichen Ausdruck, der so schnell wieder verblasste, wie er erschienen war. Das Lächeln, heiterer als zuvor, war wieder zurück auf Fais Lippen noch ehe sich die scharfe Klinge des Messers in den bröckelnden Mörtel zwischen den Mauersteinen bohrte. „Was soll der Unsinn, Kuro-rin?“ Die Leichtigkeit in Fais Lächeln reichte nicht seine Augen, doch das tat sie nie. Die kobaltblauen Augen blieben kalt und distanziert, während sie jeder von Kuroganes noch so kleinen Bewegungen folgten. „Du bist schnell und offensichtlich dazu in der Lage dich zu verteidigen,“ stellte Kurogane kühl fest und ignorierte die Verunstaltung seines Namens. „Was ich nicht verstehe, ist warum du dich nicht wehrst anstatt jedem Angriff nur auszuweichen und davon zu laufen.“ Fai bedachte ihn mit einem langen Blick, doch als er den Mund öffnete um mit einer Albernheit das Thema zu wechseln, kam ihm Kurogane zuvor. „Behalte dein falsches Lächeln, deine albernen Witze und deine Distanz. Bleib dabei Fragen zu meiden und vor jedem wegzulaufen, der versucht dem nahe zu kommen, was auch immer du zu verbergen versuchst,“ fuhr Kurogane mit gesenkter Stimme fort, während der Ausdruck in seinem Gesicht sich zunehmend verfinsterte. „Aber fang endlich an richtig zu kämpfen oder du bringst uns noch alle in Gefahr.“ Fai spielte mit dem Gedanken Kurogane darauf hinzuweisen, dass die einzige Gefahr für Fai in den letzten Stunden von dem missgestimmten Ninja selbst ausgegangen war, verbiss sich aber den Kommentar, als Kurogane schließlich hinzufügte: „Du kannst deine Lügen behalten, aber du wirst deinen Feinden selbst gegenüber treten müssen. Ich kann dir nur den Rücken freihalten.“ Fai zog das Messer aus der Wand, betrachtete es einen Augenblick lang und warf es dann mit einer schnellen, geschickten Bewegung zurück in Kuroganes Richtung, der es träge mit der Hand in der Luft fing. „Was weißt du schon von meinen Lügen?“ Kurogane hob eine Augenbraue und starrte Fai über die Flammen hinweg finster an. „So einiges,“ erwiderte er frostig. „Ich bekomme sie jedes Mal zu hören, wenn ich dich etwas frage.“ Fai starrte mit klirrend kalten kobaltblauen Augen zurück, das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden und seine Stimme klang bitter, als er schließlich sprach. „Vielleicht solltest du mir dann keine Fragen stellen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)