Falling Rain von Inori90 ================================================================================ Kapitel 1: Er soll leben! ------------------------- Haben wir es denn nicht verdient in dieser Welt zu existieren? Wir wollen doch auch nur leben. Leben. So wie die Menschen, wie die Tiere. Wir wollen Geborgenheit, Sicherheit, Liebe, einen Ort, den wir unser Zuhause nennen können. Denn auch wenn die meisten Menschen denken, dass wir nur Killermaschinen ohne Gefühle sind, so sind wir ihnen eben nicht so unähnlich. Wir wollen doch auch nur leben. Also essen wir, um am Leben zu bleiben. Und wir kämpfen. Versuchen uns unseren Platz in dieser Welt zu erkämpfen, um zu überleben. Diese Welt soll zur Hölle fahren. Sie alle sollen zur Hölle fahren! Wäre ich doch nur als Mensch geboren worden! Ich, meine Eltern, mein Bruder. Wahrscheinlich hätten wir dann ein besseres Leben gehabt. Dann wären wir noch heute eine Familie und würden über Alltägliches streiten. Mama würde leckere Gerichte kochen, Papa einen gewöhnlichen Beruf ausüben und ich hätte meinen Bruder noch immer an meiner Seite.  Ich müsste nicht verstecken, was ich wirklich bin, mich wie ein Mensch verhalten und keine Sachen essen, die mich krank machen, nur um meine beste Freundin glücklich zu machen und keinen Verdacht zu erregen. Doch es kam nun mal anders und meine Familie ist nicht mehr. Aber das ist doch eigentlich alles Nebensache. All meine Wünsche sind mir jetzt egal. Ich akzeptiere mein verkorkstes Leben so wie es ist. Immerhin bin ich am Leben und habe Freunde, die mich unterstützen, habe ein Dach über dem Kopf. Ich stelle all meine Ansprüche nach hinten, würde versprechen, nie wieder einen Wunsch zu hegen, außer diesen einen. Denn jetzt gerade will ich nur, dass er überlebt. Dass er seine grauen Augen öffnet und mir zulächelt.  Meine Hände graben sich verkrampft und verzweifelt in die Erde neben seinem leblosen Körper. Regen durchnässt meine Kleidung, meine Haare. Aber ich spüre die Nässe und die Kälte kaum. Ich höre michnur  selbst immer wieder seinen Namen wimmern, voller Schmerz und Trauer. Seine weißen Haare sind voller Dreck und Blut, genau so wie der Rest seines Körpers. Seine schwarze Maske ist zerfetzt,  wie beinahe alles an ihm, sodass ich sein  schmerzverzerrtes Gesicht sehen kann. Sein Anblick zerreißt mir beinahe das Herz. Meine Tränen vermischen sich mit den Regentropfen. Die Wärme der Flüssigkeit erlischt sofort auf meinen kalten Wangen.  Ich höre, wie Yomo sich neben mich stellt und mir die Hand auf die Schulter legt. Dadurch muss ich noch mehr weinen. „Ich bringe ihn ins Re:. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“ Der sonst so schweigsame Riese kniet sich vor dem schwer verletzten Ghoul nieder und hebt ihn vorsichtig hoch. Ich kann ihm nur erschöpft dabei zusehen. Meine Beine wollen sich nicht bewegen. Zu tief sitzt noch der Schock. Yomo entfernt sich schnellen Schrittes. Ich bin etwas erleichtert. So schwach wie ich gerade bin, hätte ich ihn nicht in Sicherheit bringen können. Mein Blick geht gen Himmel. Der Regen peitscht mir unbarmherzig ins Gesicht, tropft mir in die Augen. Der Himmel ist grau und trüb.  Der Kampf ist zu Ende. Die CCG wird einige Zeit brauchen, um genug neue Leute zu rekrutieren. In dieser Zeit würden wir uns aus dem Staub machen und eine neue Bleibe suchen. Das Re: ist Geschichte, genau so wie das Antik zuvor. Aber auch das hat keine Bedeutung. Solange Kaneki am Leben bleibt. Was ist er nur für ein Weichei gewesen zu Beginn. Hat sich in seiner Verzweiflung gewunden, sein neues Ich nicht akzeptieren können. So ein verletzlicher, kleiner Jammerlappen. Aber mit der Zeit hat er sich zurecht gefunden, immer sein Bestes getan, hat geholfen, wo er konnte. Wenn seine Stärke auch nicht im Kräftemessen lag, so lag sie in seinem Herzen. Das habe ich aber erst erkannt als er uns verlassen hat und jemand anderes geworden ist. Ich verfluche Jason heute noch dafür. Und mich, weil ich nicht früh genug da gewesen bin, um Kaneki vor ihm zu beschützen. Ich will wirklich nicht wissen, was Kaneki hat durchstehen müssen. Es muss die Hölle gewesen sein. Und dann – Als die Chancen nicht schlecht standen, dass er ins Antik zurückkehrt – da sah es so aus als hätte dieser verdammte Arima ihn umgebracht. Aber da nie eine Leiche gefunden wurde, gab es immer noch Hoffnung. Und dann, ein paar Jahre nach diesem Vorfall, kam er einfach in unser neues Zuhause. Ohne jegliche Erinnerung, aber er war es. Ohne Zweifel. Und er wirkte so glücklich wie nie zuvor. Ich war komplett überfordert. Auf der einen Seite wollte ich ihn schütteln und ihm seine Erinnerungen einprügeln, auf der anderen Seite schien ihm sein neues Leben gut zu tun und das wollte ich nicht kaputt machen. Bis zu diesem Tag als ihn seine Vergangenheit einholte und sich die Kameraden seines Squads gegen ihn stellten. Diese verdammten scheiß Menschen! Sollen sie doch verrecken!! Sie sind Schuld, wenn Kaneki sein Leben verlieren sollte! Sie! Sie allein! Ich werde jeden einzelnen von ihnen töten, sollte er sterben! Mein ganzer Körper bebt vor Zorn als ich mich langsam erhebe. Mit gesenkten Blick und mit zitternden Knien mache ich mich auf den Weg zum Café und versuche an nichts zu denken. Sonst hätte ich wahrscheinlich meine ganze Umgebung in Schutt und Asche gelegt. Ich will ihn nie wieder verlieren.  Zögernd öffne ich die Tür zum Café Re:. Die kleine Glocke ertönt kurz. Danach ist es totenstill. Ohne mich in dem dunklen Raum umzusehen trete ich an die Treppen heran, die mich zu den Schlafgemächern führen würden. Mit einem Mal packt mich die Angst. Ich will nicht wissen, was da oben auf mich wartet. Ob er seinen letzten Atemzug getan hat. Will nicht sehen wie er da liegt und das Leben aus ihm heraus fließt. Doch hier stehen zu bleiben ist auch keine Option, also steige ich schweren Herzens die Stufen hinauf. Eine Blutspur zieht sich den Gang entlang, weshalb ich genau sehe, in welches Zimmer Yomo Kaneki gebracht hat.  Ich drücke die Klinke herunter und trete in den Raum.  Es ist dunkel. Ich kann Yomos Blondschopf in der einen Ecke erkennen. Immerhin ist das hier sein Zimmer. Rechts am Fenster befindet sich Yomos Bett, das vom hellen Mond angestrahlt wird. Kanekis weiße Haare leuchten beinahe gespenstisch im Mondschein. Die Laken auf dem Bett sind mehr blutrot als weiß unter Kanekis geschundenem Körper. Yomo hat seine Verletzungen so gut wie es ging verbunden. Ich trete ein paar Schritte vor.  Sein Körper hat sich schon etwas regeneriert, die Wunden sind nicht mehr ganz so tief und ein paar Gliedmaßen sind bereits nachgewachsen. Ich höre mich selbst erleichtert ausatmen. Auch sein Gesichtsausdruck hat sich verändert. Er sieht so aus als würde er friedlich schlafen. Sein Mund ist ein wenig geöffnet, was ihn jünger aussehen lässt. Meine Knie geben nach, doch bevor ich auf dem Boden landen kann, lasse ich mich erschöpft  auf den Bettrand sinken.  Yomo erhebt sich raschelnd und lässt uns beide allein.  Mein Blick ruht auf Kanekis entspanntem  Gesicht. So lange... So lange wusste ich nicht, ob ich es glauben sollte. Ich wollte mich schon damit abfinden, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Damit, dass Kaneki wirklich tot war. Aber dann kam er mit seinen Kollegen in mein Café. Mit diesen weißen Haaren, die am Hinterkopf schwarz nachwuchsen. Ich hätte ihn überall wieder erkannt, denn er hatte noch immer dieselben grauen Augen. Nur waren diese nicht mehr getrübt vor Schmerz und Verzweiflung.  Und nun ist er hier. Bei mir. Direkt vor mir. Ich weiß, dass er sich wieder an mich erinnern kann. Immerhin ist er wegen seiner wiedergewonnenen Erinnerungen durchgedreht und ist sogar in mein Café gestürmt, um sich zu vergewissern, dass alles wahr ist. Kurz danach ist die Katastrophe geschehen. Aber was wird er tun, wenn er aufwacht? Wird er mich wieder verlassen? Das werde ich nicht zulassen... Wie von selbst bewegen sich meine Arme auf den Halbghoul zu. Mit Tränen in den Augen nähert sich mein Gesicht seinem, meine Hände legen sich um seinen Nacken. Ich liege halb auf ihm, was ihm Schmerzen bereiten könnte, aber das geht mir einfach irgendwo vorbei. Ich will, dass er bleibt. Vielleicht ist das egoistisch und sonst was und ja, das ist wieder ein Wunsch mehr. Aber nach allem, was wir beide durchgemacht haben, sollte es uns doch gegönnt sein auch einmal Glück zu erfahren. Denn wir existieren eben auf diesem Planeten. Ein paar meiner Tränen tropfen auf Kanekis blasses Gesicht und auf seine Lippen. Es sieht aus als hätte ihn der Regen geküsst.  Auf einmal kommt Bewegung in den jungen Mann unter mir. Seine Augenlider zucken sowie seine Hände und Füße. Ein schwaches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Wenigstens einer meiner beiden Wünsche würde sich erfüllen. Er wird leben und das erfüllt mich mit Freude.  Leider bleibt die andere Sorge bestehen. Plötzlich schlägt der Ghoul die Augen auf. Sie leuchten in einem hellen grau als sie mich zu erkennen scheinen. Sein Gesicht nimmt einen sanften Ausdruck an. Eine Hand legt sich an meine Wange. Er ist ganz nah. „Touka.. “  Seine Stimme ist rau und kratzig, aber sie geht mir durch Mark und Bein. Er würde leben. Leben. Ich verspüre den Drang, ihn zu schlagen, ihm zu sagen, was für ein riesengroßer Idiot er doch ist und was für Sorgen ich mir all die Jahre gemacht habe, aber ich kann ihm nichts vorwerfen. Also schlucke ich jedes harte Wort, das mir in den Sinn kommt, hinunter und küsse ihn einfach. Ich sehe, wie seine Augen sich weiten – Ob vor Überraschung oder Schock kann ich nicht genau deuten – doch dann schließen sie sich, weshalb ich es ihm gleichtue. Er erwidert meinen Kuss, schlingt die Arme um mich und zittert leicht. Immer wieder seufzt er meinen Namen als könnte er nicht glauben, dass ich wirklich da bin. „Touka... Touka...“ Als wir uns voneinander lösen sind wir beide atemlos. Mein Herz rast vor Aufregung, doch ich bin regungslos. Kanekis Augen mustern mich wieder. In ihnen liegt Erleichterung, Freude, Sehnsucht. Wieder legt sich eine Hand an meine Wange, streicht sanft über sie und ein wohliger Schauer durchfährt mich. Ich nehme seine verbundene Hand und küsse sie. „Du bist hier“, wispert Kaneki leise.  „Ja, ich bin hier. Und du auch.“ Er lächelt. „Es ist vorbei.“ Ich nicke ihm zustimmend zu. „Ja, wir sind erstmal außer Gefahr. Aber wir müssen bald aufbrechen.“ „Wohin?“ „Keine Ahnung. Weg aus diesem Bezirk, weg aus dieser Stadt.“ Die Angst ist wieder da. Was würde er nun sagen? Würde er mitkommen? Er schließt seine Augen wieder. Auf einmal sieht er unendlich müde aus. Aber er würde leben. Schweigend streicht er mir durchs Haar. „Was wirst du nun tun?“, höre ich mich selbst fragen und somit meine Gedanken laut aussprechen. „Wohin willst du gehen?“ Noch immer schweigt er, die Augen geschlossen, doch dann tut er etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Mit einem Ruck setzt er sich auf. Ich kippe überrascht nach hinten, doch er hält mich mit beiden Armen fest und drückt mich näher zu sich heran. Wieder liegen unsere Lippen aufeinander. Diesmal höre ich den Halbghoul scharf einatmen als hätte er Probleme damit, nicht den Verstand zu verlieren. Seine Finger üben einen so festen Druck aus, dass sich seine Nägel beinahe in mein Fleisch bohren. Er beißt mir in die Lippe und leckt gierig darüber. In mir fängt es an zu brodeln. Einerseits habe ich Angst, dass er die Kontrolle verliert und mich verschlingen wird, auf der anderen würde ich zu gern auch von ihm kosten. Sein erregtes Knurren lässt auch mich das Feuer in mir spüren. Aber dann hört er mit einem Mal auf und starrt mich erschrocken an. Sein rechtes Ghoulauge ist erwacht und funkelt bedrohlich. Rote Adern breiten sich in ihnen aus.  „T-tut mir leid“, stammelt er und zuckt mit schuldbewusster Miene zurück wie ein aufgeschrecktes Tier. Ich spüre, wie mir das Blut das Kinn herunter rinnt, während ich mich beherrschen muss, um nicht über ihn herzufallen. „Alles ist gut“, sage ich stattdessen so ruhig wie möglich. „Es ist gut.“ Ich wische mir das Blut vom Kinn und fahre langsam mit der Zunge darüber. Kanekis köstlicher Geschmack erfüllt meinen Mund. Mein Gehirn setzt aus. Erst als ich merke, dass Kaneki und ich uns gegenseitig beißen, küssen und liebkosen, werde ich plötzlich wieder klar. Der weißhaarige Halbghoul liegt auf mir. Ich kann sein ganzes Gewicht auf mir spüren. Haut an Haut spüre ich seine Wärme. Wir sind nackt. Im ersten Moment bin ich total erschrocken, lasse die heiße Haut unter mir los und werde mir seiner Berührungen bewusst. Kanekis Knurren und Schmatzen erfüllt den Raum. Er saugt an meinem Hals, ganz nah an meinem Ohr. Der metallische Geruch von Blut liegt in der Luft und ich kann ihn überall riechen und schmecken. Es erregt und erschaudert mich zugleich. Doch ich merke, dass ich keine Angst zu haben brauche, denn in seinem Tun steckt keine unstillbare Gier, kein unstillbarer Hunger, sondern Leidenschaft und Liebe. Immer wieder leckt er über die wunde Stellen. Sein Atem wandert meinen Hals abwärts, küsst jeden Zentimeter. Seine Hände erkunden meinen Körper, fahren langsam über meine Brüste, streichen über die Innenseite meiner Schenkel. Ein wohliger Seufzer entweicht meiner Kehle. Und dann höre ich ihn immer wieder die gleichen Worte murmeln. „Bleib' bei mir. Bleib' bei mir. Ich lasse dich nie wieder los.“ Mehr muss ich nicht hören, um mich meinem Glück hinzugeben. Ich schließe die Augen und lasse mich von meinen Instinkten führen. Wir schenken uns all die Liebe, die wir uns all die Jahre für den anderen aufgespart haben, lecken unsere Wunden, geben dem anderen neue Lebensenergie. Kanekis graue Augen werden immer heller im Licht der aufgehenden Sonne, seine blasse Haut sieht beinahe durchsichtig aus. Ich fahre gedankenverloren über seine Bauchmuskeln, den Blick auf sein Gesicht geheftet.  Die ganze Nacht sind wir wach geblieben, haben uns geliebt und zwischendurch nur dagelegen und uns angeschaut. Wir liegen in unserem Blut, sind überall damit bedeckt, aber das stört uns kein bisschen. Noch nie habe ich mich so wohl gefühlt wie in diesen Stunden mit ihm. Er sieht mich so an, als hätte ich ihn von seinem unendlichen Leid befreit. So als fühle er genau das gleiche, wie ich in diesem Moment. Ich wünschte, wir könnten ewig so bleiben. Seine Wunden haben sich längst geschlossen, nur das getrocknete Blut zeugt von seinen vorherigen Verletzungen – die von der Schlacht gegen die CCG, aber auch von unserem nächtlichen Kampf. Er hat nicht die Kontrolle verloren, sondern ist er selbst geblieben. Auf dem Schlachtfeld und auch bei mir. Er hat endlich die Kraft, die zu beschützen, die ihm wichtig sind. Er hat uns alle gerettet.  Seufzend nimmt mich der weiße Halbghoul in den Arm. Seine Haut ist warm. „Ich gehe mit euch.“ Seine Stimme ist heiser, aber fest entschlossen. Mein Herz fängt wie wild an zu klopfen bei diesen Worten. Ein glückliches Lächeln legt sich auf meine Lippen. Er wird leben. Hier. Hier bei mir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)