Zeras von Livinja (Halbe Welten) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Es kratzte leise an der Tür. Es kratzte zum vierten Mal an diesem Abend und Daihade sprang gereizt auf, um sie zu öffnen. -“Verschwinde!“, krächzte sie die rotäugige Ratte an, die sich ihr fauchend entgegenstreckte. „Du hast nichts gesehen.“, sprach die junge Frau nun etwas ruhiger. Im gleichen Zug entspannte sich das Gesicht des Tieres und aufmerksam schaute es Daihade an, in stiller Erwartung. „Du hast nichts gesehen und vergisst, dass du hier warst. Geh nun.“ Und die Ratte tat, wie ihr gesagt wurde, drehte sich um und entfernte sich, dicht an den Straßenrand gedrückt und im Schatten der Felsen. Die junge Frau schloss die Tür schnell und lehnte sich mit dem Rücken gegen das dicke, robuste, dunkle Holz. Ihre hellblauen Augen starrten auf eine Wiege, die in der Nähe des Kamins stand, dessen Licht die kleine Höhle erhellte. Das kleine Bündel, das dort lag war Schuld an dem Kratzen. An dem Kratzen, Quieken, Schaben und an den Blicken, die sie durch ihr Fenster trafen, wenn sie diese nicht mit Leinen abhing. Langsam ging sie auf ihr Kind zu, das friedlich und nichts ahnend dort lag und schlief. Sie betrachtete es, so verliebt wie nur eine Mutter ihr Neugeborenes betrachten konnte. Es war so klein, blass und zierlich, wirkte so zerbrechlich. Die Augen waren durch verschlossene Augenlider verdeckt und ein Tuch war um den Rest des Kindes gewickelt. Nur eine kleine Faust schaute heraus, dicht an das Kinn gepresst. Die Finger waren dünn, lang und die Haut so dünn und blass, dass man die feinen Adern sehen konnte. Es war also ein Thryth, nichts an ihm war unüblich. Daihade war eine hübsche Frau. Wie alle Thryth war sie klein und schmächtig gebaut, besaß dünnes, graues Haar, dass sie zu hauchdünnen Zöpfen geflochten hatte. Ihre Nase war typischerweise kaum ausgeprägt, auch der Nasenrücken war recht flach, dafür hatte sie hohe Wangenknochen und eine breite Stirn. Ihre Augen waren verhältnismäßig groß. So auch die des Kindes. Wieder klopfte es. Daihade ballte eine Hand zur Faust, presste die Lippen zusammen, drehte sich dann stürmisch um und lief schnellen Schrittes zur Tür, um dieses dann aufzureißen. -“Es reicht!“, rief sie, stockte dann jedoch, als eine Thryth vor ihr stand. „Oh.“ -“Komme ich ungelegen?“, fragte die etwas ältere Thryth verwundert. Ihr Gesicht war wie das von Daihade, nur war es um einiges faltiger und eine Kapuze war bis tief ins Gesicht gezogen. Auch der Rest des Körpers war von einem dicken Umhang eingeschlossen. -“Nein, nein. Verzeih mir.“, stotterte Daihade betroffen und räusperte sich leise. Schnell schaute sie sich um und blickte dann wieder auf ihre Besucherin. -“Darf ich...?“, fragte diese und zeigte mit einem langen, blassen Zeigefinger auf das Innere der Höhle. -“Oh, natürlich, komm herein.“, erwiderte die junge Frau etwas zerstreut, trat beiseite und ließ die ältere eintreten. Bevor sie die Tür hinter sich schloss, warf sie noch einen Blick nach draußen und tatsächlich sah sie wieder einen kleinen Schatten, der sich in schlängelnden Bahnen und mit kaum hörbaren Trippelschritten näherte. Schnell ließ Daihade die Tür ins Schloss fallen. Die ältere Frau hatte ihre Kapuze zurück geworfen. Zum Vorschein kam ein kahler Kopf, der mit blauer und weißer Farbe in verschlungenen Mustern verziert war. -“Er sieht so friedlich aus.“, flüsterte die Frau, während sie an dem Bettchen des Kindes stand. -“Er ist friedlich.“, entgegnete Daihade und trat dazu, ein vorsichtiges Lächeln huschte über ihre Lippen und zeigten, wie stolz sie auf den Jungen war. -“Sie suchen nach ihm.“, sprach die ältere. Ein Schaudern ging durch den Körper der jungen Mutter, dann wurde sie starr. -“Dashella?“, sagte sie nur leise und sie merkte, dass ihre Stimme versagte. -“Ich weiß es. Aber sonst ahnt es niemand.“, sprach die Besucherin ruhig, ihr Blick ruhte auf dem Jungen. Daihade schwieg. „Ich werde schweigen und kein Wort darüber verlieren. Aber du wirst beobachtet.“ -“Ich weiß. Ich bin seit drei Tagen und Nächten ohne Schlaf.“, flüstert Daihade. Und wirklich scheinen ihre große Augen tief in ihren Augenhöhlen zu liegen, umrandet von dunklen Schatten. -“Du wirst das so nicht lange durchhalten. Nicht alleine.“, meinte die ältere und mustert die Mutter. -“Ich muss.“ -“Wie?“ -“Sie kommen, sie schauen, sie lauschen. Und ich sage ihnen, dass sie nicht hier waren, nichts gesehen und nichts gehört haben.“ Die ältere nickt leicht. „Aber willst du es jeder Ratte, jeder Schlange, jeder Schabe sagen? Wie willst du deine Augen und Ohren überall haben, wenn du übermüdet bist? Du hast nun einen Sohn. Wie lange kannst du das schaffen?“ -“So lange, wie es nötig ist. Irgendwann werden sie aufgeben. Wieviele Tage wollen sie es wohl hier versuchen, wenn sie nichts finden?“ -“Du weißt es doch. Sie müssen nicht schlafen. Sie sind unzählige. Du bist nur eine. Sie haben ihre Augen und Ohren überall. Ich glaube nicht, dass sie so schnell aufgeben werden.“ Einen kurzen Moment schwiegen beiden und lauschten nur dem Atem des Säuglings, der weiterhin schlief, nichtsahnend der Gefahren, die draußen lauerten. -“Was soll ich tun?“, fragte Daihade und klang dabei leicht verzweifelt. -“Schlafen.“ -“Wie könnte ich? Gerade eben habe ich schon wieder eins gesehen. Sie sind vor meiner Höhle.“ -“Sie sind überall. Sie sind auch vor anderen Höhlen. Fünfhundert Höhlen gibt es in dieser Stadt und etwa ein dutzend Kinder. Sie sind vor jeder dieser Höhlen und auch vor den anderen. Sie sehen nur. Schlüsse wird jemand anderes ziehen.“ -“Ich möchte nicht, dass mein Sohn gesehen wird. Sollen sie doch die Kinder der anderen anstarren und ihnen von diesen erzählen. Raren gehört mir.“ -“Ich werde aufpassen. Ruh dich einen Moment aus.“, sprach Dashella und legte eine Hand vorsichtig auf Daihades Arm. „Nur einen Moment die Augen schließen“. Doch die junge Mutter schien sie nicht zu hören. -“Sie sind vermehrt hier, weil sie ihn hier erwarten.“, murmelte sie in Gedanken. „Wenn ich nicht hier wäre...“ -“Daihade. Du redest schon wirr. Ein wenig Schlaf...“ -“Nein, ich kann nicht. Ich kann nicht riskieren, dass ihn jemand sieht. Auch wenn er nicht erkannt wird. Ich muss gehen.“ -“Aber wo willst du denn hin, mein Kind? Wie willst du überleben, fern der Verbunde?“ Daihade antwortete nicht und lief zum Fenster, um sich dort davon zu vergewissern, dass die Tücher keine neugierigen Blicke hindurch erlaubten. -“Dai...?“, fragte die ältere zaghaft. -“Dashella. Du hast Recht, ich werde etwas schlafen.“, sie drehte sich zu ihrer Besucherin um. „Aber bitte mach dir keine Mühe. Du kannst solange nach Hause gehen. Wir sehen uns morgen.“ Einen kurzen Moment schauten die beiden sich tief in die Augen, dann senkte Dashella den Blick, zog sich ihre Kapuze wieder über die Stirn und ging langsam mit gebeugter Haltung zur Tür. -“Dann erhol dich gut, mein Kind. Es wird schon nichts in der Zeit passieren.“ -“Das denke ich auch.“, antwortete Daihade leise und nickend. Noch einen kurzen Moment zögerte die ältere an der Tür, dann öffnete sie diese und trat hinaus – direkt auf eine Schabe, die in dem Moment versucht hatte, sich durch den Türschlitz zu drücken. Es knackte leise, Dashella hob den Fuß und betrachtete die zuckenden Beine und Fühler des toten Insekts. Kurz warf sie der Mutter einen Blick zu. Diese jedoch schaute das Insekt nur ohne eine Regung ihres Gesichts an. -“Das Licht möge dich finden, Dashella.“, sagte sie leise und förmlich, den Blick nicht von dem Insekt nehmend. -“Es möge uns beide finden.“, antwortete die ältere Frau und ging dann zögernd die Straße hinab. Daihade stand noch immer in der Tür. Mittlerweile hatte sie den Blick von dem Insekt gezogen und ließ ihn nun über den Himmel und den Teil der Stadt gleiten, den sie von dort aus sehen konnte. Es war dunkel. Nicht allzu dunkel, ein leichter, heller Schleier war immer am Horizont zu sehen, aber es war Nacht. Es war immer Nacht in Thryd, dem Kontinent, der kein Sonnenlicht kannte. So waren auch die Bewohner von Thryd den Umständen angepasst. Blass, mit großen, hellen Augen die jedes noch so schwache Licht nutzen konnten, um zu sehen. Pflanzen, die in Dunkelheit blühten, Tiere, deren Haut kalt war und die in der Dunkelheit jagten. Die Dunkelheit macht einem keine Angst, wenn man es nicht anders kennt. Was macht einem dann Angst in Thryd? Wie immer das Unbekannte. Das, was man nicht einschätzen kann. Das, was man nicht kontrollieren kann. Dinge, auf die man nicht eingestellt ist. Daihade zog sich zurück, versperrte erneut die Sicht auf das Kind, auf ihr Kind. Dann ging sie zu ihm, betrachtete ihn mit glänzenden Augen und hob ihn schließlich hoch in ihren Arm. Raren öffnete seinen zahnlosen Mund, in einem stillen, empörten Schrei darüber, dass er aus seinem Schlaf gerissen wurde. Dann öffnete er seine hellen, gelben Augen. -“Raren. Mein stilles, liebes Kind. Mein Licht.“, flüsterte Daihade leise und küsste ihm auf die Stirn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)