Millenium von abgemeldet (Die Argentum-Chroniken) ================================================================================ Kapitel 2: Blutgeburt --------------------- Wir glauben das, was wir sehen. Und wir sehen das, was wir glauben. Diese Worte schwirrten immer und immer wieder durch den Kopf des Jungen mit dem Hut. Sein weiter, schwarzer Mantel wehte im eisigen Wind der über die verschneiten Dächer des kleinen Dorfes fegte. Sein Saum war zerrissen, die Fütterung angefressen, doch die Person wirkte alles andere als herunter gekommen. Ihre Füße wurden von festen Lederstiefeln von der frostigen Kälte warm gehalten, ebenso wie die Finger in dünne Handschuhe gepackt waren. Das Gesicht des Jungen war unter dem breitkrempigen Hut nicht erkennbar, doch sein heißer Atem stieg in dichten Wolken in die vom Mond erhellte Nacht und verlieh der Gestalt etwas dämonisches, unheimliches. Ein Geräusch ertönte, als schlüge ein Vogel mit seinen Flügeln und erhebe sich in die Luft und der Kopf des jungen Mannes fuhr herum. Er war auf der Jagd, genauso wie der Rabe, der über ihm kreiste und dessen unheilvolle, gelbe Augen die überschaubare Fläche des kleinen Städtchens taxierten. Er stieß einen lauten, krächzenden Schrei aus, der jedem Menschen durch Mark und Bein gehen musste. Doch der Junge hob langsam seinen Kopf, blickte in Richtung des Raben und des Mondes und ein schmaler Teil seines Kiefers wurde sichtbar, bis schließlich sein Mund von dem bleichen Licht erhellt wurde. Er verzerrte sich zu einem schmallippigen Grinsen und seine blasse Zunge fuhr darüber, lüstern und hungrig. Die Jagd hatte begonnen. Mit einer wirbelnden Bewegung schwang sich der junge Mann von dem Dach, auf dem er verweilt hatte, herunter und stürzte hinab in die lehmigen Gassen des Städtchens. Sein Aufprall verlief beinahe lautlos, dennoch versanken seine Stiefel ein gutes Stück in dem winterlichen Matsch, der die Gasse bedeckte. Mit einem schmatzenden Geräusch rannte er unvermittelt los, der Rabe stets über ihm, ihn bewachend. Immer wieder gab er unheilvolle Töne von sich und Hutträger huschte von Gasse zu Gasse, darauf bedacht, so wenig wie möglich im fahlen Licht des Mondes aufzutauchen. Der Junge schloss die Augen, noch während er auf eine Mauer zuschoss und einen Bruchteil einer Sekunde, ehe er kollidierte, öffnete er sie erneut, doch leuchteten sie nun in einem unheilvollen, durchdringenden Gelb. Das Gelb des Raben. Der Körper des Jungen schoss in die Luft und mit einem Sprung von unwahrscheinlicher Reichweite katapultierte er sich über die Mauer hinweg, landete sanft auf der anderen Seite und stand einer von Blut bedeckten Kreatur gegenüber. „Ich wusste, dass du hier auftauchen würdest, Jäger“, stieß der Blutbedeckte mit einem irren Tonfall aus und wischte sich dabei den roten Mund an seinem zerfetzten Ärmel ab. Seine messerspitzen Zähne glänzten im Mondlicht, das die Gasse just in diesem Moment erreichte und erhellte. Die Gestalt veränderte sich, ihr eben noch wirres, dunkles Haar, wurde fahl und spröde, ebenso, wie die Haut des des Wesens. Es schien binnen Sekunden zu altern, während aus den Fingern und Nägeln lange, hornbesetzte Klauen wurden und die ohnehin scharfen Zähne noch ein mal an Länge zunahmen. Insbesondere die Eckzähne des Monsters wuchsen und dann riss es den Mund auf und jeder, der die Kreatur nun sah, würde bezweifeln, dass dies einmal ein Mensch gewesen war. „Stirb, elender Bastard“, kreischte der Vampir und stürzte auf den Jungen zu, der sich mit linken Hand jedoch an die Hutkrempe fasste und einen Satz zur Seite machte. Er wich noch zwei, drei Schritte zurück, ehe er seinen Gegner genauer fixierte. Offenbar war sich das Wesen seiner vollen Kräfte noch nicht bewusst und das musste er ausnutzen. Im nächsten Moment stürmte der Vampir auf ihn zu und der Junge rettete sich mit einem Überschlag nach hinten, wobei er jedoch erneut seinen Hut davor bewahren musste, in den Dreck zu fallen. Nun, da er einigen Abstand zwischen sie gebracht hatte, konnte er auch zum Gegenangriff ansetzen. „Princeps gloriosissime caelestis militiae, sancte Michael Archangele.“ Glorreichster Fürst der himmlischen Heerscharen, heiliger Erzengel Michael. Die Wörter kamen leise, ja beinahe schwach über die Lippen des Jungen. Dennoch hatte er nun die volle Aufmerksamkeit des Vampirs. „Defende nos in praelio adversus principes et potestates.“ Verteidige uns im Kampfe gegen die Fürsten und Gewalten. „Nein“, keuchte die Kreatur der Unterwelt, als sie bemerkte, was der Junge da vorhatte und welchen Vorgang er da unwiderruflich in Gang setzen wollte. „Tu das nicht, Jäger.“ „Adversus mundi rectores tenebrarum harum.“ Gegen die Weltherrscher dieser Finsternis. „Du begehst einen schrecklichen Fehler, Jäger!“ Die Stimme des Vampirs wurde krächzender, als er bemerkte, wie auswegslos die Situation für ihn wurde und das verdorbene Wesen setzte zu einer Verzweiflungstat an. Mit einem lauten Aufschrei sprang es auf den Jungen zu, doch dieser wirbelte herum und verschwand in der Wirbelbewegung seines zerrissenen Mantels. Nur ein paar Meter hinter dem vorwärtshastenden Vampir tauchte er wieder auf und fuhr mit seiner Rezitation fort, als sei nichts weiter vorgefallen. „Contra spiritualia nequitiae, in caelestibus.“ Gegen die bösen Geister unter dem Himmel. Ein heiserer Aufschrei ertönte, als sich ein heller, heißer Bolzen in die Brust des Wesens bohrte und dieses zusammenbrach. Hatte der Vampir vermutet, dies sei das Ende gewesen, so musste der Jäger ihn jedoch enttäuschen, denn die wahre Qual hatte für ihn erst begonnen. Der Junge näherte sich dem wehrlosen, zitternden Wesen, dessen eigenes Blut nun seinen Körper bedeckte. Es rann aus einem tiefen Loch in seiner Brust, denn der Bolzen war bereits wieder verschwunden. Der Hutträger stieß die Kreatur mit einem Tritt endgültig auf den Boden und warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Dann legte er Zeige- und Mittelfinger aneinander und richtete sie auf den Vampir. „Veni in auxilium hominum; quos Deus ad imaginem similitudinis suae fecit, et a tyrannide diaboli emit pretio magno.“ Komm den Menschen zu Hilfe, die Gott nach seinem Ebenbild erschaffen und aus der Tyrannei des Teufels um einen hohen Preis erkauft hat. Aus dem Nichts tauchten drei weitere Bolzen auf, die für einen Augenblick noch über der am Boden liegenden Kreatur schwebten und dann in ihren Oberkörper hineinfuhren. Lediglich ein Keuchen kam über die Lippen des zuckenden Vampirs, als sein Schicksal endgültig besiegelt wurde, was der Jäger mit einem leichten Lächeln begrüßte, das seine schmalen Lippen umspielte. Zwischen den vier Einstichen in seiner Brust, zeichneten sich nun schmale, silbrige Linien ab. Sie brannten sich in die Haut des Vampirs, verschmorten das Fleisch und hinterließen ein perfektes Kreuz. „Ecce Crucem Domini!“ Seht das Kreuz des Herrn! Die Stimme des Jungen wurde bei jedem Wort lauter, nahm an Kraft zu und aus dem leichten Lächeln wurde ein niederträchtigen Grinsen. „Fugite, partes adversae.“ Flieht, ihr feindlichen Mächte! Das Kreuz begann zu brennen. Weiße, grelle Flammen schossen aus der Brust des Vampirs in die kalte Nacht empor und erhellten die Gasse, während sie auf den sterbenden Körper übergriffen. Die Kreatur am Boden wand sich, als ihr Körper aufgefressen, von den Qualen, die die heiligen Worte ihm bereiteten, aufgezehrt wurde. „Vergiss nicht meinen Namen nicht, wenn du jemals in der Hölle nach ihm gefragt wirst.“ Der Junge rückte seinen Hut im matten Mondschein zurecht und zum ersten Mal erlangte der sterbende Vampir einen direkten Blick in das blasse Gesicht des jungen Manns. Seine Augen hatten inzwischen wieder einen normalen, braunen Farbton angenommen, doch auf den Lippen spiegelte sich noch immer diese Lust, das Verlangen nach dem Tod des Vampirs wieder. „Andrej Jareniskij ist mein Name. Behalte ihn.“ Dann erlosch das Augenlicht des Unterweltlers, als es von den Flammen vernichtet wurde und Sekunden später blieb nur die verkohlte und ausgezehrte Hülle des Verdorbenen zurück. Andrej strich mit seinen Finger von Kopf bis Fuß über die Hülle und langsam begann sich diese in Asche aufzulösen, wurde vom seichten Wind in den Himmel emporgehoben und stieg, stieg immer weiter, als wolle sie die Sterne erreichen. „Komm her, Nevermore und bring mich fort von diesem Ort.“ Der Rabe stieß aus der Luft zu seinem Freund herab und landete auf dessen Schulter. Dann packte Andrej den Vogel und als dieser sich in die Lüfte erhob, erschien nur ein schwarzer Wirbel um die beiden herum, als verdrehe sich die Dimension und im nächsten Moment waren sie beide von der russischen Winternacht verschluckt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)