Mnemophobia von Flordelis ================================================================================ Prolog: Davor: Wasser --------------------- Oh, well I'm going home, Back to the place where I belong, And where your love has always been enough for me. I'm not running from. No, I think you got me all wrong. I don't regret this life I chose for me. But these places and these faces are getting old. I said these places and these faces are getting old, So I'm going home. I'm going home. Das Lied verklang, während ich tiefer und tiefer sank. Ich war mir sicher, dass es eigentlich bereits schon lange aus war, dass im Radio meines laufenden Autos längst ein anderes Lied gespielt wurde. Aber in meinem Kopf war es immer noch zu hören, es begann einfach von vorne, nur dass es immer leiser wurde, je tiefer mein Körper sank. Ich war umgeben von Wasser, es war angenehm kühl, versprach mir in diesem Moment den Frieden, nach dem ich mich so lange gesehnt hatte. Auch wenn ich dem Ruf nicht freiwillig gefolgt war, befand ich mich nun hier und sah, wie das Licht sich immer weiter von mir entfernte, ich mich immer mehr dem Grund des Sees näherte. Ich wusste, dass ich bald von allem, was mich quälte, frei sein würde, und dieses Wissen machte mich derart glücklich, dass ich am liebsten geweint hätte. Kurz bevor ich von Dunkelheit übermannt wurde, sah ich, wie etwas durch die Wasseroberfläche brach, den bis dahin ruhigen See in Aufruhr versetzte und direkt auf mich zuschwamm. Ich wollte lächeln und diesem anderen Wesen die Hand entgegenstrecken, damit wir beide Teil des Friedens werden könnten, aber da wurde die Dunkelheit bereits übermächtig und mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder etwas sehen konnte, lag ich auf Gras, ich konnte es deutlich unter meinen Fingern spüren. Meine Kleidung war nass und klebte an meinem Körper, aber das störte mich nicht. Regungslos starrte ich in den Himmel hinauf, in dem ich unzählige Sterne sehen konnte, noch nie waren sie mir derart zahlreich erschienen. Sie wirkten gar nicht mehr wie Sterne, eigentlich erinnerten sie mich mehr an Glasscherben, die jemand unachtsam auf einen dunkelblauen Teppich gefegt hatte. Es kam mir vor, als würde ich die wütende Stimme meines Bruders hören können, der mich wegen dem zerbrochenen Glas anschrie. Aber ich hörte ihn nicht. Ich hörte gar nichts. Genau genommen atmete ich in diesem Moment nicht einmal. Das fiel mir aber erst auf, als ich die Person, die mir andauernd schmerzhaft auf den Brustkorb drückte, anfauchen wollte, dass sie mich endlich in Ruhe lassen sollte. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht einmal Luft holen, ich war eingesperrt in diesen reglosen Körper, einen nutzlosen Sack Haut, gefüllt mit Fleisch, Knochen und Blut und für einen kurzen Moment glaubte ich, dies sei die Hölle. Es war fern von allen biblischen Vorstellungen, die ich kannte, aber gefiel mir doch ein wenig besser, als die eigentliche, mit dem ganzen Feuer, deswegen wusste ich aber auch, dass es nicht die Hölle sein konnte – welchen Sinn sollte das denn sonst machen, wenn man nicht ewig mit seinem schlimmsten Albtraum konfrontiert wird? Dann schoss das Wasser aus mir heraus, eine überraschend übel schmeckende Brühe, leicht abgestanden, die meine Lungen verließ und sich dafür über mich ergoss. Ich hustete und sog im gleichen Augenblick wieder Sauerstoff ein, schnappte buchstäblich wie ein Ertrinkender nach Luft. Wie aus weiter Ferne hörte ich eine Stimme, die nach einer besorgten Frage klang, dann verlor ich mich wieder in Dunkelheit. Die Fahrt im Krankenwagen, die Notaufnahme, die ersten Gespräche nach meiner stationären Aufnahme … An all das erinnere ich mich kaum noch. Es ist, als würde ich versuchen, durch ein verschmutztes Fenster in einen Raum zu sehen, der in unregelmäßigen Abständen wieder schlagartig dunkel wurde, nur um dann für den Bruchteil einer Sekunde hell erleuchtet zu sein. Aber alles, was man dann sieht, ist verschmiert und so undeutlich, dass man sich alles in diesen Schemen vorstellen könnte – oder gar nichts. Meine erste klare Erinnerung setzt an meinem dritten Tag in diesem Krankenhausbett ein. Es war der Tag, an dem der Arzt endlich kam, um mit mir über das weitere Vorgehen zu sprechen. Ich kannte diesen Mann mit der Halbglatze und dem Schnauzbart nicht, hatte seinen Namen auch nicht verstanden oder ihn mir schlichtweg im Nachhinein nicht gemerkt. Aber ich erinnere mich immer noch daran, dass ich mich fragte, warum Cowen so lange auf sich warten ließ, mich wieder aus dem Krankenhaus zu holen. Bestimmt hatte man ihm davon erzählt, dass ich einen Suizidversuch – der eigentlich keiner gewesen war – hinter mir habe, also warum wartete er so lange? Ich wollte nach ihm fragen, aber der Arzt ließ mich nicht zu Wort kommen und schließlich sprach er von einer sehr guten psycho-somatischen Klinik, die auf Fälle wie meinen spezialisiert sei. Da es Cowen wohl egal zu sein schien, wo ich war, beschloss ich, auch nicht eher nachzugeben und stimmte, ohne darüber nachzudenken, zu, nach Athamos verlegt zu werden. Also schickte man mich genau dorthin … und das ist auch überhaupt der Grund, warum ich das alles hier schreibe. Mein Therapeut, Vincent, hat mich aufgefordert, alles festzuhalten, woran ich mich erinnere, also tue ich das – und hoffe, dass es mehr als nur eine Beschäftigungstherapie ist. Ich muss nur dafür sorgen, dass Cowen das hier nie seht, sonst bringt der mich am Ende wirklich noch um und ich darf nicht zu viele Smileys machen, weil Vincent ja auch reinsehen will. Denke ich jedenfalls. Aber gut, dann schreibe ich wohl besser, wie mein erster Tag so war, sonst sehe am Ende nicht einmal mehr ich durch (als ob ich das jemals getan hätte *lol*). (Okay, okay, ab sofort wirklich weniger von dem Zeug, ich nehme das ernst, versprochen!) Also gut, mein erster Tag in Athamos … den werde ich wohl nie vergessen. 4. April 2015: Ankunft ---------------------- Athamos ist beeindruckend. Das kann man nicht anders sagen. Es ist ein strahlend weißes Gebäude, das auf den ersten Blick nicht wie ein Krankenhaus aussieht, sondern vielmehr wie ein nobles Luxushotel. Fährt man auf der Straße entlang, die zum Haupteingang führt und sieht dann, wie es hinter den Bäumen auftaucht, wie es von einem Hügel aus die gesamte Umgebung überblickt, fühlt man sich für einen Moment sicher entweder wie der unwichtigste Mensch der Welt – oder wie ein Promi, so fühlte ich mich jedenfalls. Bei der Vorstellung, dass ich hier einen All-inclusive-Urlaub machte, fühlte ich mich auch nicht ganz so abgeneigt, was diese Sache anging. Die Fenster blendeten mich wegen des einfallenden Sonnenlichts, deswegen kniff ich die Augen zusammen und wandte dann den Blick auf die andere Seite des Wagens. Der Rasen fiel an dieser Stelle steil ab und ging bald in ein undurchdringliches Gebüsch hinter, an das sich wiederum Wald anschloss. Wenn man hier wegläuft, kann man sich bestimmt ganz schön leicht verirren. (Eigentlich habe ich das aus Spaß sogar versucht und mich wirklich heftig verfranst, dann war das kein Spaß mehr, aber darüber erzähle ich später mehr.) Die Hufeisenform des Baus scheint einen direkt in die Arme nehmen zu wollen, wenn man schließlich in die Einfahrt fährt – nur um einen dann niemals wieder gehen zu lassen. Wie so anhängliche Freunde, die einen total lieben, die man aber eigentlich gar nicht ausstehen kann. Ist schon komisch, dass gerade die einem immer am treuesten bleiben, oder? Ach, na ja, wie auch immer. Ein Pfleger aus dem Krankenhaus, in dem ich bis dahin gewesen war, hatte mich nach Athamos begleitet, unter der Auflage, dass meine Hände gefesselt werden, damit ich keinen Unsinn mache. Yeah, du Genie, was hätte ich getan, wenn wir einen Unfall gebaut hätten? Das hätte ich damals fragen sollen, hab ich aber nicht, weil es eh nichts bringt. Wenn die einmal denken, man sei verrückt und will sich selbst umbringen, glauben die einem nichts mehr und alles, was man sagt, macht es nur noch schlimmer. Ich kann ja schon froh sein, dass ich nicht im Krankenwagen fahren musste. Also nicht nochmal. Als wir endlich da waren, wurden wir bereits empfangen, so dass ich mich echt wie ein Star fühlen konnte. Okay, ein Star, der gerade von der Polizei abgeführt wurde, aber hey, Ruhm ist Ruhm. Die Person, die uns begrüßte, erschien mir aber viel eher wie ein Star. Ihre hellblauen Augen waren normal genug, aber ihr langes, zu einem Zopf gebundenes Haar war violett! Violett! „Woah!“, entfuhr es mir nach der üblichen Grußformel begeistert. „Ist die Haarfarbe echt?“ Sie (also Naola, so heißt sie, sollte ich vielleicht erwähnen) lachte darauf nur, was eigentlich keine Antwort war, aber ich glaubte es einfach mal weiter. Ich hatte den Gedanken, dass ich ihr erklären müsste, warum ich mit Handschellen gefesselt war, aber sie überging das einfach und führte uns hinein. Auch drinnen sah alles eher wie ein Hotel aus. Es gab eine Rezeption aus einladendem hellen Holz, Sofas und Sessel säumten den Eingangsbereich, der aber vollkommen verlassen war. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, ob sich Patienten dort aufhalten durften oder ob es ein Bereich war, der einzig Besuchern vorbehalten war. Inzwischen weiß ich ja, dass Patienten da auch hindürfen, aber die wenigsten dort herumsitzen wollen. Wer hat schon gern das Gefühl, dauernd von der Rezeptionistin im Auge behalten zu werden? Oder von Leuten, die von draußen hereinkommen? Jedenfalls brachte Naola uns dann zum Oberarzt dieser Einrichtung. Dr. Tharom ist ein ziemlich streng aussehender Kerl, aber das muss ich ja eigentlich nicht erzählen, Vincent kennt ihn ja. Falls irgendwer anderes das hier liest, sollte er besser nicht zu viel erfahren. Man weiß ja nie. Jedenfalls meinte Dr. Tharom, dass ich hier ganz richtig bin, obwohl er mir zumindest endlich zuhörte, als ich sagte, ich hab nicht versucht, mich umzubringen. Allerdings glaubt er mir wohl nicht, dass ich nur betrunken schwimmen gehen wollte. Er meint, in der Notaufnahme wäre mir Blut abgenommen worden und die Untersuchung hätte ergeben, dass ich gar keinen Alkohol im Blut hatte. Ich kapier das zwar nicht, weil ich mich ganz genau daran erinnere, ein paar Flaschen Bier geleert zu haben, aber Dr. Tharom sagte, dass ich mich irren muss. Ärzte. Nachdem ich bei ihm gewesen bin, kam ich zu Dr. Belfond, der mich auf meinen körperlichen Zustand untersuchen sollte. Ich war voll erstaunt, weil der Kerl einfach … riesig ist. Ich hab noch nie einen so großen Mann gesehen. Da fühlte ich mich fast wie ein Zwerg. Und er war genauso mürrisch wie Dr. Tharom, da fühlte ich mich ja sofort heimisch. Nein, im Ernst, mein Bruder Cowen ist genauso. Wenigstens hat mich hier noch niemand angeschrien, obwohl ich schon ganz schön viel Mist gebaut habe, seit ich hier bin. Nach Dr. Belfond kam ich zu … Dr. Belfond. Also, seiner Frau. Jedenfalls schätze ich, dass sie seine Frau ist, irgendwie traue ich mich aber auch nicht, jemanden danach zu fragen. Frau Doktor hat mir Blut abgenommen und mich dann gefragt, warum ich sie dauernd anstarre. Meine Begründung – ihr Haar ist grün! – muss sie wohl verwirrt haben, denn sie hat darauf nur die Stirn gerunzelt und mich dann mit Ias mitgeschickt. Also, was Haarfarben angeht, bin ich echt im Paradies gelandet. Ias hat purpur-farbenes Haar, das ist so cool. Ich könnte das echt dauernd anstarren. Schade, dass sie es meistens zu einem Dutt frisiert. Aber ich kann es kaum erwarten, dass Cowen mich abholen kommt. Dann führe ich ihn an all diesen Personen vorbei, damit er sehen kann, dass es voll normal ist, wenn man so eine seltsame außergewöhnliche Haarfarbe hat. Aber so wie ich ihn kenne, wird er mich dann nur dafür anschreien, wenn wir wieder zu Hause sind. Ias brachte mich dann zu den Patientenzimmern, dabei fiel mir aber auf, dass eine der Türen im Treppenhaus mit Klebebändern versperrt ist. Als ich nachfragte, erklärte Ias mir, dass es ein Flügel des Krankenhauses ist, der vor kurzem erst komplett ausgebrannt ist. Dabei sah sie mich mit einem Blick an, dass ich glaubte, sie wüsste, welche Angst ich vor Feuer habe. Ich fühlte mich in dem Moment jedenfalls nicht sonderlich gut, deswegen sind wir lieber weitergegangen. Inzwischen war es schon Abend und der Kerl, der mich hergebracht hatte, war wieder weg. Das Abendessen war längst vorbei, ich hatte aber eh keinen Hunger, also störte mich das nicht. Die Räume für die Patienten sind ganz nett. Hatte Angst, dass es typische Krankenhauszimmer sind, aber eigentlich wirken sie mehr, als wären wir in einer Jugendherberge. Finde ich ganz nett. Weniger nett finde ich, dass wir auch selbst kochen sollen, hatte eigentlich mehr Komfort erwartet, aber na ja, ich werde schon keinen vergiften. Hoffe ich. Im Aufenthaltsraum befanden sich zu dem Zeitpunkt einige andere Patienten. Zu dem Zeitpunkt kannte ich die natürlich noch nicht, deswegen waren es für mich lauter Fremde, die mich nicht weiter interessierten. Aber sie konzentrierten sich auch lieber auf ein Gespräch, das sie gerade untereinander führten, also ignorierte ich alle. Ias führte mich in mein Zimmer – und dort stellte ich fest, dass mein Mitbewohner wohl eine ziemliche Schlafmütze ist. Jedenfalls dachte ich das damals, ich wusste ja nicht, wie sehr ich mich irrte. Jedenfalls lag mein Mitbewohner auf seinem Bett und hatte die Decke so weit hochgezogen, dass ich nur sein schwarzes Haar sehen konnte. Ich erwartete, dass Ias die Decke wegziehen und ihn wecken würde. Immerhin musste sie doch sichergehen, dass er noch lebte. Aber sie ignorierte ihn vollkommen und erklärte nur rasch, dass sein Name Kieran sei und ich mich vorstellen sollte, sobald er wach wäre. Da hakte ich lieber nicht nach, denn zu dem Zeitpunkt dachte ich ja noch, dass es seine Sache wäre, wenn er sich etwas antat und es keinen kümmerte. Klingt vielleicht total kaltschnäuzig, dabei meine ich das eher aus Verständnis heraus. Wenn sich jemand echt umbringen will, warum sollte ich das Recht haben, das zu verhindern? Außerdem schien es Ias ja nicht weiter zu kümmern. Also warum sollte es dann mich kümmern, dachte ich. Heute weiß ich ja, dass Kieran sich nicht umbringen würde. Deswegen mache ich mir keine Sorgen mehr um ihn. Ehrlich gesagt hab ich eher den Eindruck, ich muss mir um mich Sorgen machen. Wenn ich mit Vincent darüber spreche, sagt er mir aber immer nur, ich soll mir keine Gedanken darum machen. Was für ein bescheuerter Rat ist denn das? Aber wenn ich ihn das frage, macht er immer nur irgendwelche Notizen. Alter. Jedenfalls hab ich an dem Tag aber nicht mehr viel gemacht. Nachdem ich meine wenigen Sachen ausgepackt habe, ohne dass Kieran dabei aufgewacht ist, bin ich ins Bett gegangen, um zu schlafen. Dabei fiel mir dann auch auf, dass er echt noch lebt, denn er seufzte leise im Schlaf und drehte sich dann auf die Seite. Vielleicht hatte er auch nur bemerkt, dass noch jemand im Zimmer war, wollte aber nicht zeigen, dass er wach war. Ich brauchte jedenfalls nicht lange, um einzuschlafen. Deswegen konnte ich auch nicht verstehen, was mir dann am Tag danach über Kieran gesagt wurde, aber das ist Stoff für einen anderen Eintrag. Hier mach ich erst mal Schluss. Vincent will, dass ich meine Träume gesondert aufschreibe, also mache ich das auch. Wenn ich überhaupt was träume. Albtraum 4. April 2015: Schreie ------------------------------- In dieser ersten Nacht träumte ich tatsächlich. In diesem Traum saß ich in einem Zimmer, das ich nicht kannte. Es wirkte kahl und unpersönlich, nicht wie ein Ort, an dem ich mich wohlfühlen könnte. Und das tat ich auch nicht. Ich saß auf dem Bett, den Rücken gegen die Wand, die Knie angezogen, die Arme darum geschlungen. Meine Decke war schützend um mich gelegt, nur meine Augen waren frei, damit ich sehen konnte, was um mich herum vorging. Es war dunkel, aber ich konnte die Umrisse eines metallenen Tischs und eines Stuhls ausmachen. Irgendwo, in weiter Ferne, konnte ich das gequälte Schreien von irgendetwas ausmachen. Ich wusste nicht, was es war, aber ich war mir total sicher, dass es mich töten würde, wenn es mich fand. Also versuchte ich, möglichst wenig und so leise wie nur irgendwie möglich zu atmen. Aber es brachte nichts. Das Schreien kam immer näher, die Angst lähmte mich, so dass ich nicht einmal mehr fliehen konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. Schon bei der Erinnerung daran, spüre ich wieder Panik, aber Vincent will das ja unbedingt. Ich hoffe, du weißt das zu würdigen, Vince. Schließlich waren die Schreie so nah, dass ich schon einzelne unterscheiden und bestimmen konnte, dass es sich um mindestens fünf verschiedene Wesen handelte. Sie waren da draußen und sie suchten nach mir. Was sie mit mir tun wollten, weiß ich nicht, aber ich wusste, dass sie wegen mir dort waren. Ein lautes Hämmern schloss sich dem Klopfen an. Ich schickte Stoßgebet um Stoßgebet in den Himmel, an alle Gottheiten, die es gab, da ich nicht wählerisch sein wollte. Bämm! Sie waren noch zwei Türen entfernt. Ich wünschte, ich könnte einfach verschwinden. BÄMM! Nur noch eine Tür entfernt. Ich wünschte, sie würden einfach verschwinden. Mit einem lauten Knall zerbarst die Tür, gleichzeitig sprang etwas kreischend gegen das Fenster. Ich sah den unnatürlichen Umriss dieses Etwas hinter der Milchglasscheibe, dann packte mich das, was ins Zimmer gestürmt war, ein scharfer Schmerz zuckte durch meinen Arm – und im nächsten Moment wachte ich bereits auf, zu meinem ersten richtigen Tag in der Klinik. 5. April 2015: Bro ------------------ Am nächsten Morgen stellte ich erst einmal fest, dass das andere Bett leer war. Das half mir gut, den Albtraum schnell irgendwohin zu verdrängen, weil ich mich langsam fragte, ob der andere was gegen mich haben könnte. Vielleicht hatte er mich ja im Schlaf beobachtet, beschlossen, dass ihm mein Gesicht nicht passte und war deswegen abgehauen. Heute weiß ich natürlich, dass Kieran sowas nicht macht, aber damals kannte ich ihn ja noch gar nicht. Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich raus und traf direkt auf Ias, die mich gerade holen wollte, um mich zur Medikamentenausgabe zu bringen – und dort traf ich dann auch auf den Großteil meiner Mitpatienten. Nicht alle, weil mir nachher gesagt wurde, dass manche auch erst abends Medikamente benötigten, aber immerhin. Und eigentlich interessierte mich ohnehin nur einer von denen, die ich in der Schlange traf. Nein, nicht Kieran, der gehört zu den Abend-Pillen-Typen. Nein, ich traf da Faren, meinen Bro. ;) (Ja, ich hab gesagt, ich höre auf mit den Smileys, aber sorry, Vince, bei Faren kann ich halt nicht anders.) Jedenfalls, als ich ihn traf, war ich erst voll erstaunt, weil wir uns echt SO ähnlich sehen, nur unsere Haarfarben (er braun, ich schwarz) und unseren Frisuren (er einen hohen Pferdeschwanz, ich einen hängenden) sind anders. Wir haben sogar darüber gescherzt, dass wir Zwillinge sind, die man bei der Geburt getrennt hat, weil alle anderen Angst hatten, unsere Großartigkeit könnte das Universum sprengen. Aber nach einem kurzem Fragen-und-Antworten-Spiel war uns beiden klar, dass das nicht sein konnte. Er war im Juli geboren, ich im Februar des folgenden Jahres. Wir beschlossen trotzdem, weiter so zu tun als seien wir Zwillinge, nur damit wir ein wenig Spaß haben können. Außerdem kam es mir ohnehin so vor, als würden wir uns schon ewig kennen. Faren zeigte mir dann auch den Rest der Station, erklärte mir mehr von den Regeln (die ich hoffentlich nicht für dich wiederholen muss, Vince) und erzählte mir dann auch, weswegen er hier sei. Anscheinend hatte er mitangesehen, wie seine Freundin gestorben ist (auf ziemlich brutale Weise) und das hat ihn so sehr aus der Bahn geworfen, dass er hierher musste. Er hat einen Grund dafür, ich nicht, egal was Dr. Tharom sagt. (Wann kommt Cowen endlich, um mich abzuholen? Sonst braucht er auch nicht so lange.) Ich glaube mich zu erinnern, dass ich an diesem Tag auch versuchte, Cowen anzurufen, aber niemand nahm den Anruf an. Ich nahm an, dass er ziemlich sauer sein muss, das war ich gewöhnt und machte mir dann an diesem Tag keine Gedanken mehr darum. Deswegen saß ich dann bis zum Mittagessen mit Faren in der Lounge, wo wir uns über einige der Mitpatienten unterhielten. Er nickte zumeist in die Richtung der entsprechenden Personen und erzählte mir dann, warum sie hier waren. Ich erinnere mich nicht mehr an jeden, weil manche inzwischen auch schon wieder entlassen wurden, aber mir blieb zumindest Mara im Gedächtnis, die eigentlich stets in einer Ecke saß und las. Vermutlich macht sie das heute auch noch, aber sie wurde vor kurzem auch entlassen, deswegen weiß ich es natürlich nicht. „Sie ist unausgeglichen“, hatte Faren gesagt. „Wenn du mit ihr redest, weißt du nie, wie ihre Reaktion ausfallen wird. Aber wenn Blicke töten könnten, wäre ich schon längst six feet under.“ Er hatte sie tatsächlich angesprochen, um, entsprechend seines Charakters mit ihr zu flirten. Es musste wirklich geschmerzt haben, abgewiesen zu werden … vor den Augen aller anderen Patienten. Ich beschloss in dem Moment, dass ich mich eher von ihr fernhalten würde. Bücher lese ich eh nicht, also hätte es auch nichts zum Reden gegeben. Nachdem Faren mir die Namen aller Anwesenden und auch deren Krankheiten gesagt hatte, fragte ich ihn nach Kieran. Er schwieg für einen Moment, sein ausdrucksloser Blick ging ins Leere, als müsste er sich erst an irgendetwas erinnern. Ich frage mich heute noch, was genau es gewesen ist. Kieran selbst kann es nicht sein, denn über den sprach er dann sehr fließend: „Der ist so ein Fall für sich. Die meiste Zeit will er allein sein, deswegen siehst du ihn hier auch nur selten.“ „Nicht mal beim Essen?“ Farens Blick wanderte kurz nach oben. „Ich glaube, er isst für sich in der Mensa. Das ist tatsächlich erlaubt. Aber normalerweise essen wir lieber in der Gruppe. Ist auch cooler, weil man sich ja kennt und all das.“ Mir war ziemlich egal, ob wir in der Gruppe oder allein aßen, ich war schon froh, dass es überhaupt Essen geben sollte. Und ich hoffte, es war einigermaßen in Ordnung. Heute kann ich bestätigen, dass das Essen ziemlich gut ist. Ein Grund, hier zu bleiben, wenn Cowen schon nicht auftaucht. „Und warum ist Kieran hier?“ Faren zuckte mit den Schultern. „Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber anscheinend hat er irgendwas, das sich Demonophobia oder so nennt. Also eine Angst vor Dämonen.“ Er kommentierte das nicht weiter, aber ich fragte mich, wieso jemand so eine Angst entwickelte. Ich versteh es auch heute noch nicht so wirklich, aber Phobien sind ja sowieso irrational, stimmt's, Vincent? Jedenfalls wusste ich dann, dass ich mir keine Sorgen machen musste, dass Kieran einfach mein Gesicht nicht mochte. Wahrscheinlich würde ich ihn nicht einmal sehen, dachte ich in dem Moment – und da traf Faren mich hart mit seiner nächsten Frage: „Warum bist du eigentlich hier?“ Nach seiner Geschichte hatte ich erst recht das Gefühl, dass ich kein Recht hätte, mich über irgendwas zu beklagen – und es gibt ja auch absolut nichts, worüber ich mich beschwere. Mir geht es gut! (Ich betone das gern noch ein paarmal für dich, Vince.) Deswegen wollte ich das auch überspielen und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, das ist nur ein Missverständnis. Ich hab ein paar Bier getrunken, bin dann schwimmen gegangen und fast ertrunken. Jetzt glauben alle, ich wollte mich umbringen.“ Ich hoffte, Faren würde das Thema damit beenden, aber er stellte noch eine Frage: „Hättest du denn einen Grund dafür?“ „Nein, natürlich nicht. Klar, es läuft nicht alles wie im Bilderbuch, aber ich komme im Grunde schon klar. Also warum sollte ich mir irgendetwas antun wollen?“ Das stellte ihn endlich zufrieden, er ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen sprachen wir den Rest des Tages – wenn wir nicht gerade vom Essen abgelenkt waren (und den Essensplan muss ich hoffentlich nicht wiederholen) – von allerlei anderen Dingen und entdeckten so immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen uns (sei es Musik, Fernsehen, Filme oder Videospiele, wir hatten echt denselben Geschmack). Es war wirklich als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Therapien gab es an diesem Tag nicht – soweit ich mich erinnere – deswegen hatten wir jede Menge Zeit, bis es schließlich Abend wurde. Kieran war noch nicht wieder aufgetaucht, aber ich machte mir keine großen Gedanken mehr darum. Irgendwann würde ich den Kerl, der sich vor Dämonen fürchtete, bestimmt noch sehen, davon war ich überzeugt. So ging ich dann ins Bett und war überraschend schnell eingeschlafen, ohne einen Traum diesmal, zumindest erinnere ich mich an keinen. Deswegen muss ich nichts dazu aufschreiben. Und meine erste richtige Begegnung mit Kieran ist ohnehin einen eigenen Eintrag wert, also schreibe ich ein andermal weiter. Hoffentlich hattest du bis hierher Spaß, Vincent, denn ab sofort wird es erst wirklich interessant. ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)