Mnemophobia von Flordelis ================================================================================ 5. April 2015: Bro ------------------ Am nächsten Morgen stellte ich erst einmal fest, dass das andere Bett leer war. Das half mir gut, den Albtraum schnell irgendwohin zu verdrängen, weil ich mich langsam fragte, ob der andere was gegen mich haben könnte. Vielleicht hatte er mich ja im Schlaf beobachtet, beschlossen, dass ihm mein Gesicht nicht passte und war deswegen abgehauen. Heute weiß ich natürlich, dass Kieran sowas nicht macht, aber damals kannte ich ihn ja noch gar nicht. Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich raus und traf direkt auf Ias, die mich gerade holen wollte, um mich zur Medikamentenausgabe zu bringen – und dort traf ich dann auch auf den Großteil meiner Mitpatienten. Nicht alle, weil mir nachher gesagt wurde, dass manche auch erst abends Medikamente benötigten, aber immerhin. Und eigentlich interessierte mich ohnehin nur einer von denen, die ich in der Schlange traf. Nein, nicht Kieran, der gehört zu den Abend-Pillen-Typen. Nein, ich traf da Faren, meinen Bro. ;) (Ja, ich hab gesagt, ich höre auf mit den Smileys, aber sorry, Vince, bei Faren kann ich halt nicht anders.) Jedenfalls, als ich ihn traf, war ich erst voll erstaunt, weil wir uns echt SO ähnlich sehen, nur unsere Haarfarben (er braun, ich schwarz) und unseren Frisuren (er einen hohen Pferdeschwanz, ich einen hängenden) sind anders. Wir haben sogar darüber gescherzt, dass wir Zwillinge sind, die man bei der Geburt getrennt hat, weil alle anderen Angst hatten, unsere Großartigkeit könnte das Universum sprengen. Aber nach einem kurzem Fragen-und-Antworten-Spiel war uns beiden klar, dass das nicht sein konnte. Er war im Juli geboren, ich im Februar des folgenden Jahres. Wir beschlossen trotzdem, weiter so zu tun als seien wir Zwillinge, nur damit wir ein wenig Spaß haben können. Außerdem kam es mir ohnehin so vor, als würden wir uns schon ewig kennen. Faren zeigte mir dann auch den Rest der Station, erklärte mir mehr von den Regeln (die ich hoffentlich nicht für dich wiederholen muss, Vince) und erzählte mir dann auch, weswegen er hier sei. Anscheinend hatte er mitangesehen, wie seine Freundin gestorben ist (auf ziemlich brutale Weise) und das hat ihn so sehr aus der Bahn geworfen, dass er hierher musste. Er hat einen Grund dafür, ich nicht, egal was Dr. Tharom sagt. (Wann kommt Cowen endlich, um mich abzuholen? Sonst braucht er auch nicht so lange.) Ich glaube mich zu erinnern, dass ich an diesem Tag auch versuchte, Cowen anzurufen, aber niemand nahm den Anruf an. Ich nahm an, dass er ziemlich sauer sein muss, das war ich gewöhnt und machte mir dann an diesem Tag keine Gedanken mehr darum. Deswegen saß ich dann bis zum Mittagessen mit Faren in der Lounge, wo wir uns über einige der Mitpatienten unterhielten. Er nickte zumeist in die Richtung der entsprechenden Personen und erzählte mir dann, warum sie hier waren. Ich erinnere mich nicht mehr an jeden, weil manche inzwischen auch schon wieder entlassen wurden, aber mir blieb zumindest Mara im Gedächtnis, die eigentlich stets in einer Ecke saß und las. Vermutlich macht sie das heute auch noch, aber sie wurde vor kurzem auch entlassen, deswegen weiß ich es natürlich nicht. „Sie ist unausgeglichen“, hatte Faren gesagt. „Wenn du mit ihr redest, weißt du nie, wie ihre Reaktion ausfallen wird. Aber wenn Blicke töten könnten, wäre ich schon längst six feet under.“ Er hatte sie tatsächlich angesprochen, um, entsprechend seines Charakters mit ihr zu flirten. Es musste wirklich geschmerzt haben, abgewiesen zu werden … vor den Augen aller anderen Patienten. Ich beschloss in dem Moment, dass ich mich eher von ihr fernhalten würde. Bücher lese ich eh nicht, also hätte es auch nichts zum Reden gegeben. Nachdem Faren mir die Namen aller Anwesenden und auch deren Krankheiten gesagt hatte, fragte ich ihn nach Kieran. Er schwieg für einen Moment, sein ausdrucksloser Blick ging ins Leere, als müsste er sich erst an irgendetwas erinnern. Ich frage mich heute noch, was genau es gewesen ist. Kieran selbst kann es nicht sein, denn über den sprach er dann sehr fließend: „Der ist so ein Fall für sich. Die meiste Zeit will er allein sein, deswegen siehst du ihn hier auch nur selten.“ „Nicht mal beim Essen?“ Farens Blick wanderte kurz nach oben. „Ich glaube, er isst für sich in der Mensa. Das ist tatsächlich erlaubt. Aber normalerweise essen wir lieber in der Gruppe. Ist auch cooler, weil man sich ja kennt und all das.“ Mir war ziemlich egal, ob wir in der Gruppe oder allein aßen, ich war schon froh, dass es überhaupt Essen geben sollte. Und ich hoffte, es war einigermaßen in Ordnung. Heute kann ich bestätigen, dass das Essen ziemlich gut ist. Ein Grund, hier zu bleiben, wenn Cowen schon nicht auftaucht. „Und warum ist Kieran hier?“ Faren zuckte mit den Schultern. „Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber anscheinend hat er irgendwas, das sich Demonophobia oder so nennt. Also eine Angst vor Dämonen.“ Er kommentierte das nicht weiter, aber ich fragte mich, wieso jemand so eine Angst entwickelte. Ich versteh es auch heute noch nicht so wirklich, aber Phobien sind ja sowieso irrational, stimmt's, Vincent? Jedenfalls wusste ich dann, dass ich mir keine Sorgen machen musste, dass Kieran einfach mein Gesicht nicht mochte. Wahrscheinlich würde ich ihn nicht einmal sehen, dachte ich in dem Moment – und da traf Faren mich hart mit seiner nächsten Frage: „Warum bist du eigentlich hier?“ Nach seiner Geschichte hatte ich erst recht das Gefühl, dass ich kein Recht hätte, mich über irgendwas zu beklagen – und es gibt ja auch absolut nichts, worüber ich mich beschwere. Mir geht es gut! (Ich betone das gern noch ein paarmal für dich, Vince.) Deswegen wollte ich das auch überspielen und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, das ist nur ein Missverständnis. Ich hab ein paar Bier getrunken, bin dann schwimmen gegangen und fast ertrunken. Jetzt glauben alle, ich wollte mich umbringen.“ Ich hoffte, Faren würde das Thema damit beenden, aber er stellte noch eine Frage: „Hättest du denn einen Grund dafür?“ „Nein, natürlich nicht. Klar, es läuft nicht alles wie im Bilderbuch, aber ich komme im Grunde schon klar. Also warum sollte ich mir irgendetwas antun wollen?“ Das stellte ihn endlich zufrieden, er ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen sprachen wir den Rest des Tages – wenn wir nicht gerade vom Essen abgelenkt waren (und den Essensplan muss ich hoffentlich nicht wiederholen) – von allerlei anderen Dingen und entdeckten so immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen uns (sei es Musik, Fernsehen, Filme oder Videospiele, wir hatten echt denselben Geschmack). Es war wirklich als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Therapien gab es an diesem Tag nicht – soweit ich mich erinnere – deswegen hatten wir jede Menge Zeit, bis es schließlich Abend wurde. Kieran war noch nicht wieder aufgetaucht, aber ich machte mir keine großen Gedanken mehr darum. Irgendwann würde ich den Kerl, der sich vor Dämonen fürchtete, bestimmt noch sehen, davon war ich überzeugt. So ging ich dann ins Bett und war überraschend schnell eingeschlafen, ohne einen Traum diesmal, zumindest erinnere ich mich an keinen. Deswegen muss ich nichts dazu aufschreiben. Und meine erste richtige Begegnung mit Kieran ist ohnehin einen eigenen Eintrag wert, also schreibe ich ein andermal weiter. Hoffentlich hattest du bis hierher Spaß, Vincent, denn ab sofort wird es erst wirklich interessant. ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)