Last Desire: After Story II von Sky- (A Goddamn Chaos) ================================================================================ Prolog: Die Hochzeit -------------------- Irgendwie kam es ihm vor wie ein Traum. Ein wunderbarer Traum, aus dem er nie wieder aufwachen wollte. Ja es war einfach viel zu schön, als dass es wahr sein konnte und niemals hätte er sich zu träumen gewagt, dass er sich eines Tages in dieser Situation befinden würde und sein Leben eine solche Entwicklung machen würde. All das hier war für ihn in diesem Moment wie ein Märchen, so kitschig das auch klingen mochte, aber anders konnte er es einfach nicht beschreiben. Obwohl er für gewöhnlich nicht so emotional war, konnte er kaum noch atmen. Seine Brust schnürte sich zusammen und er war den Tränen nahe. Und so schaffte er es kaum noch, sich auf die Worte zu konzentrieren, die gesprochen wurden. In seinem Kopf herrschte ein einziges Chaos, er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig und es wurde seine gewaltige Gefühlsachterbahn nur noch verschlimmert. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders und dachte an die letzten Tage und Wochen zurück. Die Vorbereitungen, die langen Gespräche und die Aufregung. Er dachte daran zurück, wie er mit Delta und Rumiko alles geplant und besprochen hatte, der ganze Stress und die Emotionen dabei. Alles nur für diesen einen besonderen Tag. Irgendwie hatte alles gewirkt, als läge dieser eine bedeutende Tag in weiter Ferne. Ihm war so, als würde es noch lange dauern und er hätte genügend Zeit, um sich keinen Stress machen zu müssen. Doch es war einfach so schnell vorübergegangen, ohne dass er es wirklich realisiert hatte. Denn ehe er sich versah, war auch schon der Junggesellenabschied gekommen, den er zusammen mit Rumiko und ihren Freunden im Lovely Evening gefeiert hatte. Er hatte sich mal wieder komplett abgeschossen und sich wie ein Vollidiot aufgeführt, wie es leider immer der Fall war, wenn er betrunken war. Er hatte versucht, 2.198,446 mit einer Karotte zu multiplizieren, war der felsenfesten Überzeugung gewesen, dass auf Area 51 an mutierten Schneemännern geforscht wurde und es wurde weiß Gott noch was an Mist und Nonsens geredet, den Beyond natürlich mit seiner Kamera aufnehmen musste. Dann hatte er auch noch angefangen, mit einer Stehlampe zu flirten und hatte sich schließlich nur noch wie ein Kleinkind aufgeführt. Damit war er natürlich der absolute Lacher gewesen, aber was war er auch so blöd gewesen und hatte sich auf dieses verdammte Spiel eingelassen und jedes Mal einen Kurzen gekippt, wenn Gordon Ramsay in seiner Show das Wort „Fuck“ sagte. Hätte er nicht freiwillig aufgegeben, dann würde er jetzt sicher im Koma liegen. Woher hätte er auch wissen sollen, dass dieser verdammte Ramsay fluchte wie ein Bierkutscher und das F-Wort öfter benutzte als jeder andere Koch auf der Welt? Aber er war zum Glück nicht der Einzige, dem es an Trinkfestigkeit mangelte. Andrew vertrug auch nicht viel und war schließlich eingeschlafen und war auch nicht mehr aufzuwecken gewesen. Aber zum Glück waren sie alle wieder fit, da Oliver ein gutes Mittel kannte, um den Kater zu bekämpfen. Das Rezept hatte er auf einer seiner Reisen aus Südamerika mitgebracht. Jeremiel hatte das Problem zum Glück nicht gehabt, er hatte seinen Pegel wieder zurückgesetzt, um topfit zu sein und so hatte er auch nicht mit dem Kater nach dem Saufgelage zu kämpfen. Trotzdem hatte er etwas verschlafen und war direkt in eine völlige Hektik verfallen. Hätte Liam ihn nicht wieder auf den Boden geholt und die Ruhe bewahrt, wäre alles noch komplett durcheinander geraten und Delta war da in der Hinsicht auch keine Hilfe gewesen. Der war ja mindestens genauso aufgeregt und machte nichts als Stress. Zwischendurch war Jeremiel sogar ziemlich schlecht geworden. Nicht etwa wegen dem gestrigen Saufgelage, sondern vor lauter Aufregung und sein Herz raste wie verrückt. Da er sich selbst nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte, hatte Oliver ihm ein kleines Hausmittelchen gegeben, welches ein gut bewährtes Beruhigungsmittel sein sollte. Es schmeckte fürchterlich, aber tatsächlich hatte es geholfen, dass er nicht mehr ganz so angespannt mit den Nerven war. Hoffentlich hatte er wegen dem Teufelszeug, das Oliver ihm verabreicht hatte, keinen Mundgeruch… das wäre das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Er hörte Deltas Schluchzer in den hinteren Reihen und konnte sich gut vorstellen, wie der gerade am Weinen war. Er würde heulen, wie ein femininer Schwuler in Frauenkimonos nur heulen konnte. Und wahrscheinlich würden Rumiko, Eva und seine Mutter auch nicht wirklich die Tränen zurückhalten können. Einzig L würde wahrscheinlich wieder dreinschauen, als wolle er das alles hier sofort abbrechen wollen. Doch für den Fall hatte Jeremiel weitergedacht und Samajim damit beauftragt, den Teil mit der Einwende der Anwesenden einfach auszulassen um seinem jüngeren Zwillingsbruder auch noch die letzte Möglichkeit zu nehmen, das alles hier aufzuhalten. Zwar hatte L versprochen, sich nicht mehr einzumischen und Jeremiels Entscheidung zu akzeptieren, aber dieser wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Immerhin kannte er seinen Bruder inzwischen gut genug. Tief atmete er durch und versuchte ruhig zu bleiben. Es lief alles gut, alles war perfekt und er würde den letzten Schritt gehen und Liam endlich heiraten. Doch als Samajim (der die Trauung ohne das Wissen der Kirche vollzog) Liam die entscheidende Frage stellte und dieser Jeremiel mit seinen tiefroten Augen ansah und seine Hand festhielt und ein „ja ich will“ sprach, da konnte der 26-jährige seine Tränen nicht zurückhalten. Seine ganze Beherrschung war weg und nie in seinem Leben hatte er sich so glücklich gefühlt wie jetzt. Und als Samajim sich an ihn wandte und ihn fragte „Jeremiel Lawliet, willst du Liam lieben und ihn ehren, in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod euch scheidet? So antworte jetzt mit ja, ich will“, da musste sich Jeremiel an die gemeinsame Zeit zurückerinnern. Die schwierigen Anfänge, die Missverständnisse und Hindernisse. All die Schwierigkeiten, die sie überwunden hatten… all die Probleme, die sie gelöst hatten und selbst ihre ganzen Unterschiede, die gegen eine Beziehung gesprochen hatten. Das alles hatte sie nicht aufhalten können, selbst als Liam gesagt hatte, dass es zwischen ihnen niemals funktionieren könne. Besonders nicht nach den Dingen, die er Jeremiel zu Anfang angetan hatte. Doch dieser hatte ihm verziehen und sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Selbst seine Entführung und das Projekt hatten sie beide nicht auseinanderreißen können. Und Jeremiel war sich von ganzem Herzen sicher, dass er diesen Entschluss auch in Zukunft niemals bereuen würde. Liam und er waren füreinander bestimmt und er wollte die Ewigkeit mit ihm verbringen. Und nichts und niemand würde ihn von dieser Entscheidung abbringen. So atmete er tief durch und antwortete ruhig und gefasst „Ja, ich will“ und nachdem sie die Ringe an den Ringfinger des jeweils anderen gesteckt hatten, legte Jeremiel seine Arme um Liams Schultern, streckte sich ein wenig um ihn entgegenzukommen und Liam, der sah wie emotional der 26-jährige in diesem Moment war, lächelte sanft und strich ihm eine Träne weg, dann beugte er sich zu ihm herunter und küsste ihn. Doch selbst ein so beherrschter und kühler Charakter wie Liam konnte in diesem Augenblick nicht verbergen, wie glücklich er in diesem Moment war. Es war endlich vollbracht. Sie hatten geheiratet. Und noch nie waren sie beide so glücklich wie in diesem Augenblick. Kapitel 1: Die Feier -------------------- Die Emotionen waren überwältigend gewesen und selbst jetzt gab es ein paar Augen, die nicht trocken blieben. Kaum, dass die Trauung vollzogen war und sie sich der Feier widmen wollten, da stürzte sich ohne Vorwarnung Delta auf Jeremiel. Sein Make-up war durch die Tränen ein klein wenig verschmiert und er trug selbst heute einen Kimono, dieses Mal aber einen weißen mit goldenen Stickereien. Sein Haar war kunstvoll hochgesteckt worden und in diesem Moment wirkte er selbst fast wie eine japanische Braut. „Oh Engelchen!“ rief er theatralisch und umarmte Jeremiel, wobei er ihn so fest hielt, dass es dem Ärmsten fast die Rippen brach. „Ich freue mich ja so für dich. Endlich haben du und Herzchen geheiratet. Ach Mensch, ihr seid so ein süßes Paar.“ Jeremiel, dem regelrecht die Luft aus den Lungen gepresst wurde, versuchte Delta irgendwie zu signalisieren, ihn doch bitte loszulassen, doch der Kimonoträger war ganz in seinem Element und so war es schließlich Johnny, der Delta wegzerrte und sagte „Bei Fuß, Delta! Du bringst ihn ja noch mit deiner Liebe um.“ „Schön wäre es“, schluchzte dieser und wischte sich die Tränen mit einem Taschentuch weg. „Ich hab doch noch so viel Liebe zu geben.“ „Ja, ja. Wir wissen es alle. Und jetzt lass ihn los.“ Damit ließ der Kimonoträger von ihm ab und Jeremiel konnte wieder Luft holen. Benommen wankte dieser ein wenig, aber Liam hielt ihn fest und meinte zu seinem Untergebenen „Wenn du nicht aufpasst, erdrückst du ihn noch mit deiner Liebe. Und zwar wortwörtlich.“ „Ich bin eben leidenschaftlich, Herzchen!“ Sie lachten und machten sich zusammen auf den Weg zu Liams Anwesen, wo die Feier stattfinden sollte. Alle machten einen gut gelaunten Eindruck und freuten sich, lediglich eine einzige Person machte einen etwas deplatzierten Eindruck. Anne Ludwig, Levis ehemalige Ausbilderin und derzeitige Kollegin war ebenfalls zur Hochzeit aufgekreuzt, da sich ihr Schützling unbedingt mal eine Hochzeit ansehen wollte. Sie hatte sich die ganze Zeit deutlich auf Distanz zu den anderen gehalten und schien auch nicht wirklich an einem Gespräch interessiert zu sein. Stattdessen achtete sie lediglich darauf, dass Kenan in ihrem Blickfeld blieb, damit sie auf ihn aufpassen konnte. Den Jungen hatten Rumiko, Frederica und die anderen sofort in ihre Kreise aufgenommen und insbesondere letztere hatte Kenan richtig lieb gewonnen und spielte zusammen mit ihm, Sheol und Ezra Fußball, nachdem diese ihm gezeigt hatten, wie es funktionierte. So waren die Jungs beschäftigt, Elion gesellte sich schließlich zu ihnen dazu und Oliver konnte es sich nicht nehmen lassen, da auch mitzumachen. Andrew blieb bei der anderen Partygesellschaft. Charity, Faith und Eden waren bei Babysittern untergebracht worden, damit sie ungestört feiern konnten und wie nicht anders zu erwarten war, wurde viel gefeiert. Levi, Nastasja und Eva sangen russische Trinklieder und Delta legte eine Tanzeinlage ein. Diese wurde vorzeitig von Johnny und Marcel beendet, als der Kimonoträger damit begann, eine Stripshow daraus zu machen. Nun ja, vielleicht wäre es nicht ganz so schlimm gewesen, wenn da nicht schon die Jüngeren wieder zurück waren und das mit ansahen. Sheol hatte ihn nur mit offenem Mund angestarrt und nichts mehr gesagt, Ezra hatte den Blick abgewendet und gemeint „Und da wundert man sich, dass ich zum Therapeuten gehe…“, während Elion geistesgegenwärtig eine Hand vor Kenans Augen hielt, um ihm den Anblick zu ersparen. Delta war zwar etwas beleidigt, aber er verschwand daraufhin mit Johnny irgendwo hin und niemand wollte sich in diesem Moment vorstellen, was die beiden machen würden. Nach diesem kurzen Zwischenfall ging die Feier weiter und sogleich kam Nastasja an, die zu Liam meinte „Wenn du dich schon um meinen Sohn gut kümmern willst, dann beweise es mir. Los! Armdrücken. Wir beide.“ Und das wollte sich niemand wirklich entgehen lassen. Vor allem weil Nastasja genauso wie Levi eine Chajal war und aufgrund dessen mit den Kräften eines Sefiras sehr gut mithalten konnte, selbst als Mensch. Sofort wurden die ersten Wetteinsätze geschlossen und es wurde kurz umgeräumt und Nastasja krempelte den Ärmel ihres Shirts hoch. Dafür, dass sie rein äußerlich nicht direkt danach aussah, hatte sie für eine Frau ordentlich Muskeln und mit Sicherheit galt dasselbe auch für den Rest ihres Körpers. Selbst als berufstätige Mutter trainierte sie immer noch regelmäßig, um sich fit zu halten. Liam setzte sich ihr gegenüber und dann begann das Armdrücken. Beide schenkten sich nichts und gingen aufs Ganze. Die Anstrengung war ihnen beiden anzusehen und die anderen machten es sich zur Aufgabe, die beiden anzufeuern. Die einen standen hinter Nastasja, die anderen feuerten Liam an. Lange Zeit sah es nicht danach aus, als würde sich etwas ergeben, bis der Mafiaboss mit viel Mühe Nastasjas Arm auf den Tisch drücken konnte. Es gab Beifall und als Sheol meinte „Ist ja auch voll lahm, beim Armdrücken gegen eine Frau anzutreten“, da ließ es sich seine Adoptivmutter nicht nehmen, ihm eine Lektion erteilen. Sheol, der nämlich meinte, dass Armdrücken gegen eine Frau leicht war, wurde gnadenlos von Nastasja vor den Augen der anderen besiegt und dabei waren nicht mal fünf Sekunden vergangen. Und irgendwie wurde daraus ein kleiner Wettstreit. Außer L und Ezra wollten alle mal zum Spaß mitmachen und ein kleines Turnier startete schließlich. L fungierte als Schiedsrichter, während Ezra eine Strichliste führte. Dem 16-jährigen war aber schon anzusehen, dass ihm irgendwie das Verständnis fehlte, warum sich alle so verrückt aufführen mussten. Naja… jede Familie war eben anders. Und seine war eben ziemlich schräg. Schließlich aber waren nur noch zwei Kandidaten übrig, die nun gegeneinander antraten: Anne und Levi. Die schweigsame Halb-Naphil hatte sich eigentlich bis jetzt rausgehalten, bis Kenan dann schließlich auf die Idee kam, sie zu fragen, ob sie nicht auch mal mitmachen könne. Tja und da hatte sie kurzerhand mitgemischt und jeden ihrer Kontrahenten gnadenlos besiegt, selbst Liam. Nun standen sie und Levi sich gegenüber und sie waren alle gespannt auf das Ergebnis. Die beiden Stärksten in der Gruppe… und dann auch noch Anne, Levis alte Lehrmeisterin. Nun würde sich herausstellen, wer von ihnen der oder die Stärkere war. Eva legte eine Hand auf die Schulter ihres Mannes und bat ihn, nicht allzu grob zu sein. Doch der schnaubte nur kurz und meinte „Ich muss eher aufpassen, dass sie mir nicht noch den Arm bricht.“ „Los Anne!“ rief Kenan, sprang aufgeregt auf und ab und klatschte dabei anfeuernd mit den Händen. „Du schaffst das! Du kannst das, Anne!“ Und damit warf die Halb-Naphil Levi einen eiskalten Blick zu, der deutlich sagte, dass sie gewiss nicht verlieren würde. Schon gar nicht, weil sie Kenan nicht enttäuschen wollte. Der 622-jährige sah die Botschaft in ihren Augen, lächelte herausfordernd und meinte nur „Allzu leicht werde ich es dir jedenfalls nicht machen. Immerhin sieht meine Frau mir zu.“ Damit ergriffen sie die Hand des jeweils anderen und warteten auf das Startsignal. Alle warteten gespannt, nur Jeremiel wandte sich kurz an Beyond und flüsterte „Zehn Mäuse auf die Madonna.“ L vergewisserte sich, dass beide Kontrahenten bereit waren, dann rief er „Los!“, woraufhin ein harter Kampf zwischen ihnen ausbrach. Levi war anzusehen, dass er ordentlich zu kämpfen hatte. Anne hingegen verzog nicht ein einziges Mal die Miene und wirkte eher, als wartete sie darauf, dass er endlich mal anfangen würde. Kenan verfolgte den Wettkampf aufgeregt und gab sein Bestes, um Anne anzufeuern, während sich der Großteil der Familie auf Levis Seite stellte. Dieser legte ordentlich einen Zahn zu, um es seiner alten Lehrmeisterin nicht allzu einfach zu machen und dieser war nun auch anzusehen, dass sie ernst machen musste. Sie zog die Augenbrauen zusammen und ihr Blick verfinsterte sich deutlich, doch das war es auch schon. Aber anscheinend war das ein deutliches Zeichen dafür, dass sie einen harten Gegner vor sich hatte. Es schien sich ewig hinzuziehen, bis Anne dann beschloss, die Sache endlich zu beenden. Und mit einem lauten Knall donnerte sie Levis Hand auf den Tisch, woraufhin L verkündete „Anne hat gewonnen“. Damit wandte sich Jeremiel mit einem zufriedenen Lächeln an Beyond und meinte fast schon schadenfroh „Scheint so, als würdest du mir zehn Dollar schulden.“ Der Serienmörder grummelte leise und rief dann „L, dein Bruder zockt mich hier in einer Tour ab.“ „Was kann ich dafür, wenn du schlecht im Wetten bist?“ entgegnete Jeremiel nur mit einem Schulterzucken. „Selbst beim Pokern bist du absolut miserabel.“ „Aber auch nur, weil du Sams Pokerface kannst. Und außerdem hast du die Situation schamlos ausgenutzt, als Delta damit begonnen hat, sich einfach auszuziehen. Ihr habt das doch eingefädelt.“ „Was kann ich denn dafür, dass Delta gleich an Strippoker denkt und sich vor uns allen auszieht?“ Alles Diskutieren war zwecklos. Beyond musste die zehn Dollar zahlen und so stand Anne als Siegerin fest. Kenan war natürlich überglücklich und umarmte seine Ziehmutter freudestrahlend. Diese lächelte liebevoll und streichelte ihm den Kopf, bevor sie ihm einen Kuss auf die Stirn gab. Schließlich wurde die Musik wieder ordentlich aufgedreht und es wurde getanzt und gefeiert. Wer hätte gedacht, dass es ein solches Happy End für sie geben würde? Jeder hatte sein eigenes Glück gefunden, alle Wogen waren geglättet und alle Schwierigkeiten waren überwunden worden. Selbst Ezras Problem mit seinem neuen Klassenlehrer hatte sich geklärt, nachdem Jeremiel genug Beweise gefunden hatte, die er der Polizei zukommen ließ, die daraufhin seinen Lehrer und ehemaligen Pflegevater sofort verhaftete. Gegen ihn wurde nun wegen Missbrauch Minderjähriger, Besitz und Handel mit Kinderpornografie sowie Nötigung und Körperverletzung ermittelt. Auf ihn würde eine mehrjährige Haftstrafe warten und seinen Job als Lehrer war er damit auch los. Doch die Überraschung wurde umso größer, als dann wenig später auch Ain, Elohim zu Besuch kamen. Ihre sechs Kinder waren in der Heimat geblieben, um ihre Eltern für die Zeit ihrer Abwesenheit zu vertreten. Da nach der Splittergruppenaffäre die Sicherheitsstufen erhöht worden waren, hatten Dathans Geschwister, die von Ajin wiederbelebt worden waren, die Aufgabe erhalten, ihre Eltern zu unterstützen. Teruma und Jamin, die die ältesten Geschwister waren, waren die stellvertretende Befehlsgewalt geworden und wurden von ihren jüngeren Geschwistern unterstützt. Kohen der Zweitjüngste unter ihnen, unterstützte zusammen mit seinem Bruder Sabriel die Hagana. Es hatte ein tränenreiches Wiedersehen mit der ganzen Familie gegeben und auch Dathan war einfach nur überglücklich gewesen, seine Geschwister nach all den tragischen Ereignissen wiedersehen zu können. Eine Zeit lang war fraglich geblieben, was denn mit ihm geschehen sollte. Denn als eine der Entitäten wäre es auch seine Aufgabe, in die Heimat zurückzukehren und seine Familie zu unterstützen. Doch da hatte seine Mutter den Kopf geschüttelt, gelächelt und gesagt „Dein Platz ist in der Menschenwelt und deshalb ist es auch deine Aufgabe, diese zu beschützen.“ Und so war es beschlossen, dass Dathan in der Menschenwelt bleiben würde und alle waren mit dieser Entscheidung einverstanden gewesen. Da das Familientreffen etwas länger gedauert hatte als geplant, war Dathan auch erst seit gestern Abend wieder zurück. Und bei der Gelegenheit sprach ihn auch sogleich Frederica an. „Und?“ fragte sie ihn neugierig. „Wie war das Treffen mit deiner Familie?“ „Ganz gut. Wir haben alle viel Spaß gehabt und es hat mich wahnsinnig gefreut, meine Geschwister wiederzusehen. Aber es war schon irgendwie seltsam. Immerhin waren sie damals noch Kinder und ich war noch so klein gewesen. Aber wir haben uns alle super verstanden und haben auch viel gemeinsam unternommen. Allerdings war Großvater nicht lange bei uns, sondern nur kurz.“ „Wie war er denn so?“ „Naja, er wirkte etwas gereizt. Mum meinte, dass er wahrscheinlich wegen der Attentatsgeschichte und der Splittergruppenaffäre noch ziemlich sauer ist, außerdem soll es in der Shinigamiwelt wohl Ärger geben und da muss er sich darum kümmern. Tja, aber er hat versprochen, mal vorbeizuschauen, wenn er die Angelegenheit geklärt hat. Wie gesagt, er war nicht lange da und da hatte ich nicht die Chance, ihn wirklich kennen zu lernen. Nachdem meine Mutter gestorben ist, hat er sich ja komplett zurückgezogen und so habe ich ihn nie wirklich kennen gelernt.“ „Wie kommt es, dass er sich gar nicht um euch gekümmert hat, nachdem eure Mutter gestorben ist?“ Unsicher zuckte Dathan mit den Achseln und erklärte, dass sein Großvater eben seine eigenen Wege ging und eine sehr lange Zeit geschlafen habe. Und er hatte eben seine eigene Art zu leben. „Er ist in der Hinsicht wie ein ungezähmtes Tier: er kommt und geht wann er will und lässt sich von niemandem etwas sagen. Mum sagte, dass er vom Charakter her nicht gerade einfach sei, aber er ist weder gut noch böse. Und er vergisst nie, wenn man ihm einen Gefallen erweist. Ich denke, dass er eigentlich ganz nett ist. Wahrscheinlich hatte er nur einen schlechten Tag erwischt.“ Sie gingen schließlich zum Buffet und unterhielten sich noch weiter, während Jeremiel und L mal wieder wegen irgendetwas am Diskutieren waren und Nastasja zusammen mit Levi und Oliver ein Wetttrinken veranstaltete. Ezra und Sheol beschäftigten sich ein wenig mit Kenan. „Und wie sind deine Geschwister so?“ Dathan schmunzelte und erklärte „Irgendwie erinnern sie mich ein bisschen an die anderen. Teruma ist fast so wie Nastasja. Sie hat das Sagen von uns und sie ist recht streng zu uns. Jamin ist ein wenig verträumt und ist oft mit den Gedanken ganz woanders. Kohen ist ein ziemlich fröhlicher Geselle und hat ein großes Herz. Manchmal erinnert er mich ein wenig an dich. Vielleicht könnte es mit euch ja was werden. Immerhin bist du hier die Einzige von uns, die noch niemanden hat.“ „Wie?“ rief Frederica und ihre Wangen liefen rot an. Und bei ihrer eh schon schneeweißen Haut sah man es umso deutlicher. Und ein wenig verärgert sah sie schon aus, als sie meinte „Warum denken immer alle, sie müssten mich unbedingt verkuppeln, nur weil ich gerade keinen Freund habe? Ich komme auch ganz gut ohne zurecht. Ich stehe Beyond und L als Assistentin zur Seite und helfe zwischendurch bei Oliver und Andrew aus, wenn sie einen Babysitter brauchen, um auch mal ihre freie Zeit zu genießen. Ich bin glücklich mit meinem Leben und ich habe sowieso keine Zeit für eine Beziehung!“ „Aber wünschst du dir nicht mal jemanden an deiner Seite, der dir nah sein kann? Ich meine… du bist 445 Jahre alt und du hattest nie jemanden, außer Nastasja und ihre Familie. Und danach warst du wieder allein. Das muss doch einsam für dich sein.“ Frederica schüttelte nur den Kopf und setzte sich wieder. Dann begann sie zu essen. „Mag sein, dass es Momente wie diese gab. Aber es reicht mir auch, wenn ich meine Familie habe. L ist mein kleiner Bruder und nachdem Watari im Ruhestand ist, muss ich eine gute Assistentin sein. Ich hab Spaß daran und ich bin wenigstens nicht alleine. Und außerdem bin ich wenigstens nicht mehr eingesperrt. Die Zeit im Institut war die Hölle. Ich habe manchmal nur geweint, weil ich mich so allein gefühlt habe und die mentalen Gespräche mit Elion oder mit Andrew waren die einzigen Momente gewesen, in denen ich nicht so ganz einsam war. Ich habe es niemandem gesagt, weil ich keinem ein schlechtes Gewissen machen wollte. Wenn ich ihnen sage, dass es mir nicht gut geht wegen der Institutsgeschichte, dann macht sich Andrew Vorwürfe, weil er mich zurückgelassen hat. Watari gibt sich die Schuld, weil er nicht nach mir gesucht hat und allen geht es dann schlecht. Und das will ich doch auch nicht. Ich habe damals gewusst, dass ich sterben werde, wenn ich diesen Weg gehe, aber hätte ich dieses Opfer nicht gebracht, dann wäre jemand anderes gestorben. Ich bin ja schon dankbar genug dafür, dass Sariel mir ihren Körper überlassen hat und ich dank ihr und Elion eine zweite Chance bekommen habe. Aber… na ja…“ „Du willst niemandem zur Last fallen“, ergänzte Dathan und nickte verständnisvoll. Er kannte das selbst sehr gut. Es gab auch Momente, wo er sich nutzlos oder überflüssig vorkam und dann befürchtete, den anderen ein Problem zu werden. „In der Hinsicht bist du genauso wie Andrew.“ „Ich weiß“, seufzte Frederica und stocherte etwas lustlos in ihrem Essen herum. „Und manchmal hasse ich mich auch echt dafür, dass ich nicht stärker sein kann, so wie Eva oder Liam. Die beiden wissen sich immer zu helfen und sie sind stark genug, um alles zu schaffen.“ „Es hat doch niemand gesagt, dass du es nicht bist“, erklärte der Bibliothekar und legte seinerseits deutlich mehr Appetit an den Tag. „Immerhin hast du doch die Zeitschleifengeschichte konsequent durchgezogen und es geschafft, Andrew und Beyond das Leben zu retten. Und du hast L all die Jahre beschützt und dich für deine Familie geopfert. Das zeigt doch, dass du stark bist und ich denke, dass der Mann, der eines Tages mal dein Freund wird, der glücklichste Mann der Welt sein wird. Du meinst zwar, dass du nicht so stark wie Eva bist… in gewisser Hinsicht magst du dich tatsächlich von ihr unterscheiden, auch wenn ihr euch extrem ähnlich seid. Eva ist viel älter als du und hat mehr Erfahrung. Zwar sind 445 Jahre ein stolzes Alter, aber für uns Unvergängliche ist es dennoch sehr jung. In den Maßstäben gerechnet wärst du noch ein Kind. Und ich denke, dass das der springende Punkt ist. Du bist noch nicht erwachsen, Frederica. L, Nastasja und die anderen leben in einer anderen Zeit. Mit 18 Jahren gelten die Menschen schon als erwachsen, aber für uns sind 18 Jahre so, als wären wir gerade erst geboren. Ich weiß, aus meinem Mund klingt das irgendwie seltsam, vor allem weil ich lange Zeit in dem Glauben gelebt habe, ich sei ein Mensch. Aber inzwischen habe ich mich an das Leben als Entität gewöhnt und ich will meiner Aufgabe auch gerecht werden und diese Welt beschützen, die meine Eltern mir anvertraut haben. Ich will für Nastasja und die anderen da sein und dafür sorgen, dass es immer so bleibt wie jetzt und wir alle glücklich sind. Und hey: irgendwann wirst du auch schon deinen Traumprinzen finden. Du weißt ja: unverhofft kommt oft. Hast du dir denn nie vorgestellt, wie dein Traumprinz sein sollte?“ Das Albinomädchen lächelte verlegen und schien sich noch nicht ganz zu trauen, offen darüber zu sprechen. „Also… besondere Wünsche habe ich jetzt nicht so direkt. Auf jeden Fall muss es jemand sein, der ehrlich ist und der treu zu mir hält. Er muss nicht unbedingt der wohlerzogene Schwiegermuttertraum sein, denn ich weiß besser als so manch andere, dass es keinen Mr. Perfect gibt und da würde ich sowieso nirgendwo eine Chance haben. Er kann ruhig etwas schräg sein. Ich fände es wenigstens schön, wenn wir genug Interessen teilen und er mich zum Lachen bringen kann. Er muss mich nicht mit Rosen und Pralinen bombardieren, das hält sowieso kein Mann auf Dauer durch. Außer vielleicht Oliver, der Andrew immer wieder aufs Neue mit irgendetwas überrascht. Er braucht mir einfach nur zu zeigen, dass er mich wirklich liebt und dass ich ihm auch wichtig bin.“ „Du brauchst eine starke Hand und gleichzeitig jemanden, der auf deine Wünsche und Bedürfnisse eingeht. Tja… da würde mir jetzt spontan Liam einfallen und der ist jetzt verheiratet. Dann wäre da Oliver, der auch schon vergeben ist und die einzige Person, die mir nur noch einfallen würde, wäre diese Anne, aber die ist der Inbegriff einer antisozialen Persönlichkeit. Und ich glaube, an Frauen hättest du kein Interesse.“ „Nicht wirklich“, gab Frederica zu und seufzte leicht deprimiert. „Aber da sehen wir es ja: alle guten Männer sind vergeben oder schwul. Und in dieser Familie sind sie gleich beides.“ „Manchmal kann das Leben ein absolutes Arschloch sein. Das hat zumindest mein Großvater mal gesagt.“ Kapitel 2: Ein ungebetener Gast ------------------------------- Die Feier hatte so langsam ihren Höhepunkt erreicht und es wurde ausgelassen gefeiert. Gerade saßen sie alle zusammen und machten sich daraus einen kleinen Spaß, Sheol aufzuziehen. Auch Frederica blieb nicht wirklich verschont und musste sich die eine oder andere Stichelei gefallen lassen, weil sie die einzige Single in der Gruppe war. Aber im Großen und Ganzen war es doch eine schöne Feier. Schließlich aber erhob sich Jeremiel und teilte allen mit, dass er etwas Wichtiges zu verkünden habe. Nun waren alle ruhig geworden und warteten gespannt auf das, was er sagen wollte. Der 26-jährige räusperte sich und ließ den Blick kurz durch die Runde schweifen, bevor er mit seiner Rede begann. „Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um euch noch mal für alles zu danken, was ihr für mich getan habt. Wie ihr selbst wisst, habe ich in meinem alten Leben unverzeihliche Fehler gemacht. Ich habe Leben zerstört und euch schlimme Dinge angetan, die ich am liebsten nicht aussprechen möchte. Geschweige denn, dass ich mich daran erinnern will. Und doch habt ihr mich aufgenommen als Mitglied eurer Familie und ihr seid für mich da gewesen, wenn es Schwierigkeiten gab. Ihr habt mir das Leben gerettet und mir eine zweite Chance gegeben. Ich glaube, ich würde hier jetzt nicht stehen, wenn ihr nicht gewesen wärt. Deshalb möchte ich mich bei meiner Familie bedanken. Besonders bei L, Beyond und Andrew. Ihr seid diejenigen gewesen, die am meisten unter Sam Leens zu leiden hatten. Was euch passiert ist, war schrecklich und ich wünschte, ich könnte all das rückgängig machen. Umso dankbarer bin ich euch, dass ihr mich trotzdem in eure Familie aufgenommen habt, auch wenn es nicht leicht war. Bei Mum möchte ich mich dafür bedanken, dass sie mich mit derselben Herzlichkeit als ihren Sohn aufgenommen hat wie L. Aber vor allem gilt mein Dank Eva und Liam. Ohne euch beide wäre ich gar nicht erst am Leben. Ihr habt mir erst mein Leben als Jeremiel Lawliet ermöglicht und Liam war immer für mich da gewesen. Er hat mich vor den Menschenhändlern gerettet und mir Kraft und Halt gegeben, als ich nicht wusste, wer ich war. Und…“ Ein ohrenbetäubender Lärm unterbrach den 26-jährigen und mit einem Mal wurden die Türen aus den Angeln gerissen. Eine gewaltige Druckwelle erfasste sie und instinktiv gingen sie alle in Deckung. Liam, Eva und die anderen Unvergänglichen in der Gruppe erhoben sich sofort, da sie die Anwesenheit einer weiteren Person wahrnahmen, die nicht menschlichen Ursprungs war. „Hey, was ist denn das hier? Feiert da jemand ne Party?“ hörten sie jemanden rufen und aus der durch das Chaos entstandenen Staubwolke trat ein junger Mann hervor, der genauso stechend gelbe Augen hatte wie Anne. Sein brünettes Haar war etwas länger gewachsen und verlieh ihm etwas Wildes und Unzähmbares, sein Gesicht war mit Piercings gezeichnet und er trug einen schwarzen Pullover mit dem Aufdruck „Z?“ und schwarzweiß gestreiften Ärmeln. Seine Fingernägel waren schwarz lackiert und er trug an den Fingern Totenkopfringe und des Weiteren noch Nietenarm- und Halsbänder. Seine schwarze Hose war zerschlissen und er trug schwarze Lederstiefel. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Amüsiert ließ er den Blick durch die Runde schweifen und meinte „Na ihr Flachzangen? Was wird denn gefeiert?“ Einen Moment lang herrschte Stille, doch dann kamen Johnny, Marcel und Delta dazu und stellten sich ihm in den Weg. Und sonderlich begeistert wirkten sie nicht. Währenddessen reagierte Frederica da deutlich geistesgegenwärtiger und brachte Watari, Sheol und Ezra raus, da es gewaltig nach Ärger aussah. „Hey du Freak, das ist eine Hochzeit und du bist nicht eingeladen. Also verzieh dich, oder…“ „Oder was?“ unterbrach der Unbekannte Johnny und grinste herablassend. „Wollt ihr mich rausschmeißen? Na das will ich sehen.“ Das ließ sich der Seraph nicht zwei Mal sagen. Gemeinsam mit Delta griff er an, doch der Fremde wich einfach aus, packte sie und schleuderte sie direkt durch den Saal und dabei krachten sie durch die Wand. Als nächstes stieß er Marcel mit einem Tritt weg und dieser segelte ebenfalls durch den Raum, wobei er gegen Kenan stieß und ihn mit sich zu Boden riss. In diesem Moment regte sich etwas in den eiskalten Augen der Halb-Naphil. Ihre Augen schienen den Fremden regelrecht zu durchbohren und blanke Mordlust lag in ihrem Blick. Blitzschnell schoss sie auf den Angreifer zu und zog ihre Dolche, wobei sie direkt auf sein Herz und seine Halsschlagader zielte. Der Fremde machte sich nicht die Mühe, auszuweichen und so stieß Anne zu, doch… sie ging einfach durch ihn hindurch. Selbst Anne, die für gewöhnlich niemals Emotionen zeigte, wenn es nicht um Kenan ging, war die Verwunderung anzusehen und sie verstand nicht, was passiert war. Wieso nur ging sie einfach durch ihn hindurch, wenn der Kerl gerade noch Liams Untergebene verprügelt hatte? Das war doch unmöglich. Die Sefirot und Seraphim lebten in dieser Welt alle in menschlichen Körpern, da konnte er sich doch nicht einfach so auflösen, sodass alles durch ihn hindurch ging. Was war das nur für ein mieser Trick? Noch bevor sie reagieren konnte, wurde sie an den Haaren gepackt und gegen die Wand geschleudert, woraufhin sie zu Boden stürzte. „Was soll das?“ rief Jeremiel und wollte sich selbst den Fremden vorknöpfen, aber davon hielt Liam ihn lieber ab. Wenn der Kerl es sogar schaffte, Anne fertig zu machen, dann war mit ihm ganz sicher nicht zu spaßen. Zwar war Jeremiel jetzt ein Sefira, aber das Kämpfen war eindeutig nicht seine Stärke. „Wer sind Sie und warum tun sie das?“ Der Fremde lachte und sein Grinsen wurde nur noch breiter. Und in diesem Moment erinnerte es eher an das eines Geisteskranken. „Wer ich bin, willst du wissen? Na ich bin Gott!“ „Der Witz war gut“, meinte Beyond nur und ihm war anzusehen, dass er auch am liebsten gleich auf ihn losgehen würde. Aber er blieb vernünftig. Mit dem konnte er es ganz gewiss nicht aufnehmen. So viel stand fest. „Und sonst geht’s dir gut, oder?“ Der Fremde schenkte ihm kaum Beachtung, aber dann geriet Ain in sein Blickfeld, die bis jetzt noch gar nichts gesagt hatte. Das beinahe schon wahnsinnig anmutende Grinsen wich einem fröhlichen Lächeln und er kam mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu und rief freudestrahlend „Ain! Meine süße kleine Ain! Es ist doch immer schön, dich zu sehen.“ „Vater…“, sagte sie und wirkte etwas überrascht. „Was… was machst du hier?“ „VATER?!“ kam es aus der ganzen Runde und nun waren sie alle sprachlos. Und als sie auch noch sahen, wie sich die beiden in den Armen lagen und so vertraut miteinander wirkten, kam ihnen das alles irgendwie mehr wie ein schlechter Scherz vor. Beyond wandte sich an Dathan, der neben ihn stand und fragte „Kannst du mir das erklären?“ Der Unvergängliche nickte. „Das ist Ajin Gamur, mein Großvater.“ Immer noch herrschte Sprachlosigkeit und keiner konnte so wirklich glauben, dass dieser Irre, der einfach eben so Liams Leute und dann auch noch Anne vermöbelt und die Tür regelrecht aus den Angeln gesprengt hatte, wirklich Ajin Gamur sein sollte. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Schließlich aber hatte sich Nastasja so einigermaßen gefangen und kam schon direkt mit einer Schimpftirade an, da sie stinksauer war. Immerhin war dies ja die Hochzeit ihres Sohnes. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, hier so ein Theater zu machen und sich hier wie ein Hooligan aufzuführen?“ Ajin warf ihr einen etwas herablassenden Blick zu und der hatte auch nicht viel Freundliches an sich. „Ganz einfach, Schnecke: weil ich verfickt noch mal Gott bin. Ich Gott, ichse wissen alles, ichse können alles, ichse dürfen alles!“ „Das ist also… Gott…“, stellte Rumiko etwas nüchtern fest und wandte sich an Jamie. „Jetzt weiß ich auch, warum ich Atheistin bin…“ „Ja ganz Recht, ich bin Gott!“ verkündete Ajin fast schon feierlich und breitete die Arme aus. „Erblickt meine Allmächtigkeit und erschauert, ihr Maden!“ „Tu ich auch so“, kommentierte Beyond trocken und schien den Kerl nicht sonderlich ernst zu nehmen. Stattdessen war er immer noch der Auffassung, dass dieser Vollidiot nicht mehr alle Latten am Zaun hatte. Und gleichzeitig begann er sich auch zu fragen, wie jemand wie Ain bloß die Tochter von dem sein konnte. Sie war vom Charakter her komplett anders und selbst Dathan und Elohim waren das krasse Gegenteil dazu. Das konnte ja noch heiter werden, wenn der wirklich der Gott war. „Und außerdem“ fügte Ajin noch hinzu und verschränkte die Arme. „Ich bin Äonen lang ohne diese Scheißdinger ausgekommen, die ihr Türen nennt. Also sehe ich auch keine sonderlichen Gründe darin, sie zu benutzen. Hier wird nach meinen Regeln gespielt und nur nach meinen, capice, Puppe?“ Nastasja funkelte ihn böse an und sah aus, als wolle sie ihm gleich eine reinhauen. Schon schlimm genug, dass dieser Hooligan die Hochzeitsfeier stören musste, jetzt nahm er sich auch noch die unverschämte Frechheit heraus, sie „Puppe“ oder „Schnecke“ zu nennen. Doch Dathan hielt sie zurück, da er befürchtete, dass die Sache sonst eskalieren könnte. Immerhin wusste er, wie gefährlich sein Großvater sein konnte. „Ähm… Großvater, was… was führt dich eigentlich in die Menschenwelt?“ „Ach ja“, rief Ajin. „Da war ja noch was!“ Und damit wandte er sich an Ain und Elohim und verkündete „Ich hab beschlossen, den Laden hier dicht zu machen.“ „Wie jetzt dichtmachen?“ fragte Rumiko. „Was soll das heißen?“ „Ich mach hier Schluss mit lustig. Ich hab diesen Kackladen hier satt. Ich werde diese Welt hier zerstören, damit ich endlich meine Ruhe habe.“ Ein entsetztes Schweigen trat ein und einige wurden kreidebleich. Hatten sie da gerade richtig gehört und Ajin wollte ihre Welt zerstören? Ja aber warum? Was hatten sie getan, dass er sich zu so einer Entscheidung bewogen hatte? Das konnte er doch nie und nimmer ernst meinen. Sogar Ain und Elohim waren entsetzt, als sie das hörten und stellten ihn sofort zur Rede. „Vater, das kannst du doch nicht tun!“ rief Ain und stellte sich direkt vor ihm hin. „Was haben dir die Menschen getan, dass du ihnen einfach ihre Welt zerstören willst? Hast du denn vergessen, dass hier nicht nur Menschen leben? Dein Enkel Nivkha lebt hier und er ist glücklich in dieser Welt. Sag es mir, warum willst du das tun?“ „Die Menschen haben mir nichts getan, außer dass sie mir wie immer total auf den Piss gehen, denn was anderes können sie ja anscheinend nicht. Aber der Hauptgrund für meine Entscheidung ist dieser kleine 17-jährige Japsenspacko, der meint, er müsse mit den Death Notes herumspielen und einen auf Obergott machen, obwohl das verfickt noch mal mein gottverdammter Job ist.“ 17-jähriger Japaner? Dann musste er wohl Kira damit meinen. Soweit sich alle richtig erinnerten, hatte der Shinigami Ryuk sein Death Note in die Menschenwelt fallen lassen und Light Yagami hatte es benutzt, um Verbrecher zu töten. Er war schließlich durch L erfolgreich gestoppt worden, bevor die Sache noch weiter aus dem Ruder geraten konnte. Aber… der Fall lag jetzt fast zwei Jahre zurück! Warum ließ sich Ajin erst jetzt blicken und nicht schon viel früher und was hatte Kira damit zu tun, dass die Welt nun zerstört werden sollte? Nun, die Antwort war überraschend. Ajin atmete laut aus und erklärte „Seit dieser Geschichte meinen immer mehr Shinigami, sie müssten ihre Death Notes in die Menschenwelt runterschmeißen, um sich somit die Langeweile zu vertreiben. Und was ist? Es gibt nur Ärger, den natürlich ich wieder in Ordnung bringen muss. Und nicht nur das: ich habe gerade mal zwölf Jahre lang geschlafen. Wisst ihr mickrigen Menschen überhaupt, was das bedeutet? Das war nicht mal ein verdammter Schönheitsschlaf! Und ich habe keinen Bock mehr, mir dieses Irrenhaus auch nur eine Sekunde länger anzusehen. Ich will meine wohl verdiente Ruhe haben und aus diesem Grund werde ich die Wurzel allen Übels beseitigen und diese Welt hier zerstören. Aber ich dachte mir, ich bin mal so nett und warne euch vor. Ich weiß ja, dass meine süße kleine Ain ja sehr an euch zu hängen scheint. Deswegen könnt ihr eure Koffer packen und in die Heimat ziehen. Bin ich nicht großzügig? Keine Bange, ihr braucht auch nicht gleich auf die Knie zu fallen und mir zu danken.“ „Bei dir hackt’s wohl!“ kam es von Johnny, der sich zusammen mit Delta wieder von der heftigen Abreibung erholt hatte und bereit war, jederzeit wieder anzugreifen. „Als ob wir vor dir auf die Knie fallen, wenn du unser Zuhause zerstören willst. Was gibt dir das Recht dazu?“ „Weil ich Gott bin, verdammt noch mal. Brauchst du noch einen Grund?“ „Toller Gott…“ Man sah merklich wie Ajin immer gereizter wurde und kurz davor stand, einen Wutanfall zu bekommen. Noch nie hatte es jemand gewagt, ihn so dermaßen respektlos zu behandeln, ohne dafür gleich umgebracht zu werden. Und nun erdreisteten sich diese mickrigen Menschen und ein vorlauter Seraph einfach, so mit ihm zu sprechen? Ain sah sofort die drohende Gefahr und versuchte, die angespannte Situation zu retten und ihren Vater zu beruhigen, bevor es nur noch schlimmer wurde und die Welt erst recht zerstört wurde. Doch bevor sie etwas sagen konnte, schoss ein Messer auf Ajin zu und durchbohrte seinen Kopf. Nun war sein Grinsen endgültig gewichen und man sah deutlich eine Ader auf seiner Schläfe pulsieren. Er zog das Messer aus seinem Kopf heraus und es trat nicht einmal Blut aus. Stattdessen schloss sich die Wunde sofort wieder und er drückte das Messer in seiner Hand so zusammen, dass es zerbrach wie Glas, anstatt zu verbiegen. „Okay… WELCHE SAU WAR DAS? Wer von euch verfickten Affenärschen hat mir ein Messer in den Schädel gerammt? Das reicht, die Sau bring ich eigenhändig um!!!“ Schnell wurden fragende Blicke ausgetauscht und jeder fragte sich, wer denn so verrückt war und einfach so ein Messer nach ihm warf. Doch die Frage klärte sich, als Anne wieder zum Angriff überging. Mit zwei Dolchen bewaffnet stürzte sie sich ohne Vorwarnung wieder auf ihn und es schien ihr vollkommen egal zu sein, was Ajin für Ziele verfolgte. Für sie zählte nur, dass wegen ihm Kenan verletzt worden war und dafür musste er bezahlen. Doch Ajin fing den Angriff ab und verpasste ihr eine Kopfnuss, woraufhin er sie im Genick packte und ihr Gesicht gegen die Wand stieß. „So, du Baka-Bitch willst also unbedingt Ärger machen? Fein, den kriegst du auch. Das wirst du mir büßen.“ „Nein, hör auf. Lass Anne in Ruhe!“ rief Kenan und wollte seiner Ziehmutter zu Hilfe eilen, doch Eva hielt ihn zurück, bevor noch ein weiteres Unglück passieren konnte. Doch Ajin war so in Rage, dass man befürchten musste, er würde noch ein Blutbad anrichten. Er erhob schon seine Faust, um Anne den Rest zu geben, doch da hielt Elohim ihn am Arm fest und Ain selbst stellte sich dazwischen. „Vater, bitte beruhige dich doch. Sie ist nur eine Halb-Naphil und sie wollte lediglich den Jungen beschützen.“ „Ajin, es bringt doch nichts, wenn es schon wieder einen Streit zwischen uns gibt“, kam es von Elohim. „Erinnerst du dich noch, als Ain und du damals gegeneinander gekämpft hattet? Wir hatten uns geschworen, untereinander nie wieder zu bekämpfen und stattdessen eine friedliche Lösung zu finden. Also bitte. Wir können doch eine andere Lösung finden, welche nicht unbedingt die Zerstörung der Menschenwelt nach sich zieht. Vergiss nicht, dein Enkel lebt hier und diese Menschen sind seine Familie. Und Ain und ich haben den Menschen sehr viel zu verdanken.“ Zuerst schien es nicht danach auszusehen, als wolle Ajin sich beruhigen, aber dann seufzte er und ließ die Faust sinken. Anne, die durch die heftigen Gewalteinwirkungen das Bewusstsein verloren hatte, sank blutend zusammen. Bei den anderen wurde es nun mucksmäuschenstill und keiner wagte es mehr, noch irgendetwas zu sagen, was Ajin nur noch mehr reizen konnte. Schließlich wandte sich dieser an Dathan und er hob die Augenbrauen, als er ihn so betrachtete. „Ah Nivkha, du siehst gut aus. Wir hatten ja leider nicht das Vergnügen, uns näher kennen zu lernen. So, deine Eltern meinen, diese Menschen bedeuten dir etwas. Ist das so?“ Dathan sah nicht wirklich danach aus, als würde er den Mut finden, zu antworten. Der heftige Wutausbruch seines Großvaters hatte ihn ziemlich eingeschüchtert und in diesem Zustand hatte er ihn nicht mal beim Familientreff erlebt. Etwas zögerlich nickte er und antwortete „Ja, ich lebe bei ihnen und sie haben mich in ihre Familie aufgenommen. Und… und…“ Er atmete tief durch und nahm all seinen Mut zusammen. „Und außerdem möchte ich nicht, dass du so respektlos mit meiner Freundin sprichst!“ Einen Moment lang schwieg der Brünette, dann aber brach er in ein lautes Gelächter aus. „Du und diese Menschenfrau? Sag mal mein Junge, haben sie dich zu heiß gebadet, oder wie? Du als Entität… als eine Gottheit schlechthin bist du mit dieser Menschenfrau zusammen? Hahaha!!! Der Witz war gut, beinahe hätte ich dir das echt abgekauft.“ „Das ist kein Witz“, erklärte Dathan und klang nun deutlich selbstbewusster, wobei er sich vor Nastasja und die anderen stellte und mit ernster Miene erklärte „und diese Welt steht unter meinem Schutz. Ich werde nicht zulassen, dass du meinen Freunden, noch irgendjemandem sonst etwas antust. Und wenn ich dich dafür aufhalten muss.“ Ajins giftgelbe Augen hatten etwas Lauerndes angenommen. Sie erinnerten fast an die Augen eines Dämons und schienen sich direkt durch Dathans Körper zu bohren und in sein tiefstes Inneres zu blicken. Er kam auf ihn zu und packte ihn am Kragen. „Jetzt lass dir mal eines hinter die Ohren schreiben, Kleiner. Mag sein, dass du mein Enkel bist, aber du solltest mal langsam etwas mehr Achtung und Respekt vor Erwachsenen haben. Du bist ja noch grün hinter den Ohren und hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst. Und eines werde ich dir mal verklickern: das ist doch eine absolute Lachnummer, die du hier abziehst. Also halt mal schön die Goschen und lass das gefälligst Erwachsene klären.“ „Nun hab ich langsam genug!“ Liam hatte sich erhoben und trennte die beiden voneinander. „Regelt die Familienstreitigkeiten woanders, wenn ihr es nicht lassen könnt, aber ich habe keine Lust auf den ganzen Zirkus.“ „Oho, Araphel will also auch was sagen“, stichelte Ajin und lachte höhnisch. „Na meinen allerherzlichsten Glückwunsch, mein Lieber. Da hast du dich ja richtig vom Saulus zum Paulus gewandelt und dir doch tatsächlich diesen Menschen da angelacht. Was genau ist er jetzt? Dein Spielzeug oder dein Haustier?“ „Wagen Sie es nicht, so über Jeremiel zu reden.“ Die Lage spitzte sich immer weiter zu und wieder versuchten Ain und Elohim, die angespannte Situation zu entschärfen und die erhitzten Gemüter zu beruhigen, aber es schien vergeblich zu sein. L erkannte schnell, dass die Bemühungen vergebens waren. Ajin legte es absichtlich auf einen Streit an und provozierte in einer Tour, um das Chaos perfekt zu machen. Aber wozu? Was bezweckte er denn damit, hier reinzuplatzen, das Ende der Welt zu verkünden und wirklich überall nur Streit zu entfachen? „Wie es scheint, hat er schlechte Laune“, hörte er Eva murmeln, die das Ganze mit großer Besorgnis betrachtete. „Ach, du kennst ihn also näher?“ Sie nickte und erklärte „Ich war immerhin 444 Jahre lang seine Dienerin. Das war nötig, um meine Familie zurückzuholen. Und wenn sich Ajin so aufführt, dann steht es mit seiner Laune überhaupt nicht zum Besten und in dem Zustand ist er extrem gefährlich und unberechenbar. Da kam es nicht selten vor, dass er sogar ganze Planeten zerstört hat, weil er sauer war. Er hat leider ein leicht reizbares Temperament und reagiert ohnehin schon extrem aggressiv darauf, wenn man ihm nicht mit gebührendem Respekt begegnet. Lediglich Ain darf sich so einiges rausnehmen, weil er vollkommen vernarrt in seine Tochter ist. Nun ja, für gewöhnlich lässt er sich kaum blicken und ist nur in der Shinigamiwelt zu sprechen. Er hält sich eigentlich immer aus allem raus und kümmert sich nur um seine Angelegenheiten. Aber dass er diese Welt hier zerstören will und das auch noch so laut rausposaunt, zeigt eigentlich, dass er deswegen so gereizt ist, weil er schlecht geschlafen hat. Da hat er keinerlei Frustrationstoleranz.“ „Damit ich das richtig verstehe… unser aller Leben hängt von seiner Laune ab? Da würde ich Kira deutlich bevorzugen.“ Kapitel 3: Ein Kampf um die Welt -------------------------------- Nachdem es Ain gelungen war, ihren Vater davon abzuhalten, alles kurz und klein zu schlagen und ihn einigermaßen zu beruhigen, ergriff Elohim schließlich das Wort. Er hoffte noch, einen Kompromiss finden zu können, mit dem beide Parteien zufrieden waren. „Ajin, vielleicht können wir ja eine andere Lösung für das Problem finden. Dass die Shinigami damit anfangen, ihre Death Notes den Menschen zuzuspielen, ist wirklich ein Problem, das sehe ich ja auch ein. Aber es ist doch kein Grund, die Menschen dafür bezahlen zu lassen. Die können ja am allerwenigsten etwas für diese Situation.“ Ajin verschränkte die Arme und sah Elohim mit einem gefährlichen Blick an. Dann erklärte er mit strengem Ton „Meine Entscheidungen sind immer endgültig, El. Ich mag dich sehr und du bist ein guter Kerl, aber du wirst nichts daran ändern. Ich werde die Menschenwelt vernichten, ob es dir nun passt oder nicht. Und da wird mich auch niemand aufhalten.“ „Von wegen!“ rief Dathan. „Ich lasse nicht zu, dass du das machst. Und da ist es mir egal, ob du mein Großvater bist oder nicht.“ Der Brünette mit den giftgelben Augen seufzte genervt und verschränkte die Arme. Immer noch wirkte er extrem gereizt und knirschte mit den Zähnen. Dann aber spielte sich ein hinterhältiges Grinsen auf sein Gesicht und er schien sich wohl etwas Neues ausgedacht zu haben. „Fein“, sagte er nur und wandte sich an die anderen. „Ich lasse mich auf einen Kompromiss ein. Aber nur weil du es bist El und weil ich auch keine Lust auf Stress mit Ain oder meinem Enkel haben will. Wir klären das bei einem Dukrav. Wenn es jemand schafft, mich zu schlagen, dann werde ich (entgegen meiner Art) von der Zerstörung der Welt absehen.“ „Wie bitte?“ fragte Ain und glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Aber das wird kein fairer Kampf werden und das weißt du genauso wie wir.“ „Deshalb werden wir die Regeln etwas anpassen. Ihr könnt alle gemeinsam gegen mich antreten. Ach ja! Und ich will, dass Nivkha auch am Kampf teilnimmt.“ „Das geht nicht“, wandte Elohim ein. „Wir Entitäten haben uns geschworen, nie wieder gegeneinander zu kämpfen.“ Doch Ajin war von seinem Entschluss nicht abzubringen und erklärte „Ich will ihn nur ein wenig testen, mehr nicht. Wenn dein Sohn einen guten Job macht, überlege ich es mir vielleicht.“ „Ähm, entschuldigt bitte mal!“ Elion meldete sich etwas zögerlich, der bis jetzt gar nichts gesagt hatte und lieber im Hintergrund geblieben war. „Ich verstehe jetzt gerade im Moment gar nichts mehr. Was ist ein Dukrav und wieso darf Dathan eigentlich nicht mitkämpfen?“ Da Ajin wohl keine Lust für Erklärungen hatte, übernahm Elohim die Sache. „Ein Dukrav ist ein Zweikampf zwischen zwei Unvergänglichen, der unter strengen Regeln abläuft, die aber noch gleich erläutert werden. Dabei wird auch ein unparteiischer Schiedsrichter bestimmt, der auf die Einhaltungen der Regeln Acht gibt. Diese Zweikämpfe waren ursprünglich dafür da, um die Machtkämpfe der Sefirot in geregelte Bahnen zu lenken und einen fairen Kampf zu gewährleisten. Dabei wird gekämpft, bis einer kampfunfähig ist, der Schiedsrichter den Kampf abbricht oder wenn einer von beiden verstirbt.“ Also eine Art Gladiatorenkampf, wenn man es sich so überlegte. Das klang nicht sonderlich beruhigend. Vor allem, weil das Schicksal der Welt davon abhängen sollte. Und was die andere Geschichte betraf, erklärte Elohim „Vor langer Zeit hatten Ain und Ajin einen sehr heftigen Streit gehabt, nämlich als wir uns entschlossen hatten, eine feste Form anzunehmen. Ajin war strikt dagegen gewesen, vor allem weil Ain und ich ein Paar waren und eine Familie gründen wollten. Immerhin war ich ihre Schöpfung und da war es in seinen Augen fast wie Inzest, auch wenn es streng genommen keiner ist, aber es hing eben mit der Mentalität zusammen. Jedenfalls gerieten sie so heftig aneinander, dass sie sogar gegeneinander kämpften. Da die Macht der Entitäten jedoch grenzenlos ist, werden sie niemals müde und verlieren nie an Kraft. Darum nahm der Kampf zwischen ihnen kein Ende. Äonen vergingen, ohne dass einer von ihnen aufgeben wollte. Jeder wollte seinen Standpunkt durchsetzen, bis ich dann schließlich dazwischengegangen bin und den Kampf beendet habe. Danach schworen wir uns, dass die Entitäten nie wieder gegeneinander kämpfen würden. Aus dem einfachen Grund, weil es ein Kampf wäre, der niemals enden würde. Selbst für Ajin ist dieses Gesetz heilig und dieses Gesetz ist auch der Grund, warum er damals nicht während der Sefirotkriege mitgewirkt hat, um mich aufzuhalten. Das eherne Gesetz der Entitäten hielt uns beide davon ab. Und da Nivkha auch eine Entität ist, darf er auch nicht gegen unseresgleichen kämpfen.“ „Wie gesagt, ich will ihn nur testen und sehen, ob er wenigstens sein Schwert vernünftig halten kann“, erklärte Ajin und wirkte nun nicht mehr aggressiv, sondern eher gelangweilt. „Also was ist, ihr Pappnasen?“ fragte er nun und wandte sich an die anderen. „Wer von euch will es mit mir versuchen? Wie gesagt: wenn jemand von euch es schafft, mich beim Dukrav zu schlagen, dann werde ich die Welt nicht zerstören. Na, bin ich nicht großherzig zu euch? Ich würde vorschlagen, wir gehen nach draußen und dann können wir mal sehen, wer von euch genug Eier in der Hose hat.“ Damit wandte sich Ajin um und steuerte direkt die Wand zu. Zuerst wollten sie noch etwas diesbezüglich sagen, doch er ging durch diese einfach hindurch, als wäre er ein Geist. Jamie sah dies und fragte in seiner naiven Art „Ist er ein Geist?“ „Nein, nicht so wirklich“, erklärte Ain, die sich mit einem leisen Seufzer durch die Haare fuhr und nicht wirklich begeistert vom Ausgang der Situation wirkte. „Wir Entitäten können keine menschlichen Körper als Wirt benutzen, weil unsere Macht viel zu stark ist. Nivkha ist die große Ausnahme, weil er noch nicht gelernt hat, seine ganze Kraft freizusetzen und sich deshalb auf dem Level eines Sefirots befindet. Wir passen uns aber den Bedingungen der Menschenwelt an, um nicht aufzufallen, aber Vater ist in der Hinsicht recht schmerzfrei und lebt allein nach seinen Regeln. So ist er eben. Es tut mir wirklich leid, dass das alles so gekommen ist und er die Feier ruiniert hat. Das tut mir wirklich von ganzem Herzen leid.“ „Du kannst ja wohl nichts dafür“, meinte Beyond, der ziemlich gereizt wegen der ganzen Geschichte war. „Einzig dein Vater hat Schuld. Tja, wie es scheint, ist Gott ein größenwahnsinniger gestörter Psychopath.“ Einige nickten zustimmend, wobei sie nun überlegen mussten, wie sie vorgehen wollten. Denn Fakt war, dass von diesem Kampf die Zukunft ihrer Welt abhängen würde und Ajin wirkte nicht gerade danach, als würde er Scherze machen. Es war schon hart und sie fragten sich, ob es denn keine Hoffnung mehr geben würde, wenn sie scheiterten. Liam ließ sich von Delta sein Schwert reichen und meinte „Dem werde ich es ganz sicher nicht so leicht machen. So viel steht fest.“ Evas Augen weiteten sich, als sie das hörte und sie konnte nicht fassen, dass ihr Bruder das wirklich ernst meinte. „Das… das kannst du nicht ernst meinen!“ rief sie und ergriff Liams Arm. „Das überlebst du nicht. Gegen Ajin Gamur kann niemand gewinnen.“ „Das wird sich zeigen“, meinte der Mafiaboss nur und sein Blick war finsterer denn je. „Aber ich sitz gewiss nicht untätig herum und lass diesen Kerl unsere Welt zerstören. Und außerdem lass ich es mir ganz sicher nicht gefallen, wenn er so herablassend über Jeremiel spricht.“ „Das ist verrückt! Das wirst du nicht alleine schaffen.“ Doch da Liam sich von seinem Entschluss nicht abbringen lassen wollte, besann sich Eva, seufzte kurz und schüttelte nur den Kopf, wobei sie meinte „Das ist doch verrückt.“ Aber dann, nachdem sie kurz überlegt hatte, nickte sie und fügte hinzu „Ich werde mitkämpfen. Alleine wirst du es nicht schaffen und ich werde sehen, dass ich mein Bestes tue, um dir zu helfen.“ „Dann werde ich auch mit von der Partie sein“, meldete sich Levi, der Evas Hand ergriff. „Ich sitz doch nicht untätig herum, während meine Frau gegen Ajin Gamur kämpft. Was wäre ich denn für ein Ehemann?“ Und auch Anne, die sich wieder berappelt hatte, schien ihr Vorhaben noch nicht aufgegeben zu haben und wollte Ajin eine Lektion erteilen. Ganz überraschend schloss sich noch Elion an, worüber Nastasja aber überhaupt nicht begeistert war. Sie packte ihn am Kragen und rief „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das ist gefährlich, was du da machst! Du machst da nicht mit, immerhin habe ich deiner Mutter versprochen, mich gut um dich zu kümmern!“ „Unsere Welt spielt auf dem Spiel!“ erklärte Elion und riss sich los. „Da kann ich doch nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Natürlich mag ich es nicht, kämpfen zu müssen und ich hasse das. Aber ich kann doch nicht herumsitzen und nur zusehen, während Eva, Levi und die anderen ihr Leben riskieren, um uns zu beschützen. Und außerdem bin ich ein Proxy. Selbst wenn ich sterben sollte, morgen bin ich wieder auf den Beinen. Also lass mich das bitte tun.“ Und bei dieser Argumentation konnte Nastasja ihn schlecht zurückhalten. Elion hatte ja Recht. Seine Eigenschaft als Proxy ermöglichte es ihm, bis zum Tod zu kämpfen und am nächsten Tag trotzdem wieder aufzustehen. Dennoch war ihr nicht wohl bei der Sache. Sie selbst hätte auch gerne mitgeholfen, aber sie wusste so gut wie jeder andere auch, dass sie keine Chancen gegen Ajin hatte. Schon gar nicht als Mensch und sie wäre den anderen nur im Weg. „Pass aber trotzdem auf dich auf.“ „Das werde ich, keine Sorge.“ Sie gingen auf den großen Platz, der schließlich zum Kampffeld bestimmt wurde. Ain stieß kurz mit der Fußspitze auf dem Boden auf und eine weiße Linie zeigte sich, die die Grenzen der Fläche markierte. Anne, Liam, Dathan, Elion, Eva und Levi traten vor und machten sich bereit. Da die Regeln nun geändert wurden, erklärte Ajin sie. „So, es wird folgendermaßen ablaufen: die Waffenregeln sind wie bei einem normalen Dukrav. Wir verwenden nur jene, die vorher offen dargelegt wurden. Bei einem Verstoß fliegt derjenige raus. Dasselbe gilt für den Fall, sollte jemand aus dem Feld rausfliegen. Es wird gekämpft, bis einer tot oder kampfunfähig ist oder wenn der Schiedsrichter es entscheidet. Normalerweise ist der Dukrav ein strikter Zweitkampf, aber um euch eine kleine Chance zu geben, dürft ihr alle auf einmal gegen mich kämpfen. Ob ihr zusammenarbeitet oder nicht, ist ganz allein eure Sache. Und um es noch ein bisschen fairer zu gestalten, werde ich auf den Gebrauch meiner Kräfte verzichten. Ach ja, bevor ich es vergesse: beim Dukrav dürfen weder Verletzungen zurückgesetzt, noch die Kraftreserven wiederhergestellt werden. Auch bei dem Verstoß fliegt derjenige hochkant raus. Der Einsatz ist ganz klar: wenn ich gewinne, zerstöre ich die Menschenwelt. Wenn überraschenderweise ihr gewinnen solltet, verzieh ich mich wieder und lass eure Welt in Ruhe. Klar soweit?“ Alle nickten und damit wies Ain an, die Waffen zu zeigen, die jeder von ihnen benutzen würde. Die Unvergänglichen entschieden sich für ihre Sefiraschwerter, Elion würde ohne Waffe kämpfen und Anne hatte ihre Dolche. Schließlich war Ajin an der Reihe und zuerst sah es danach aus, als sei er unbewaffnet. Dann aber ließ er aus dem Ring, den er am Zeigefinger trug, eine winzige Klinge hervorschnellen und schlitzte sich dann seine linke Handfläche auf. Zuerst fragten sie sich, was das bedeuten sollte, doch dann sahen sie, dass statt Blut eine pechschwarze Flüssigkeit aus der Wunde heraustropfte. Zuerst waren es nur einzelne Tropfen, dann quoll eine zähflüssige Masse heraus und aus dieser begann sich erst ein Stab zu formen, bis sich das undefinierbare Etwas als eine Sense entpuppte. Sie war groß, schwarz und ein Skelett zierte sie. „Das ist eine echte Todessense“, erklärte Ajin stolz. „Sie ist die letzte, die noch übrig geblieben ist, nachdem ich diesen Shinigami-Schwachmaten die ihren weggenommen habe. Sie ist äußerst tödlich und sogar für andere Entitäten gefährlich.“ Nachdem die Sense vollständig war, schloss sich die Wunde an Ajins Handfläche auch sofort wieder. „Habt ihr die Regeln verstanden, oder gibt es noch Fragen?“ Tatsächlich hatte Liam eine. „Woher wissen wir, dass du auch wirklich unsere Welt verschonen wirst, wenn wir dich besiegen?“ Hier funkelte ihn der Brünette gefährlich an und warf ihm einen tödlichen Blick zu. „Willst du mir unterstellen, dass ich lüge? Hör mal Freundchen, ich glaube, ich muss dir mal persönlich ein paar Manieren einprügeln, damit du etwas mehr Achtung vor Älteren hast. Aber was will man von Araphel den Schlächter auch anderes erwarten? Du warst schon immer ein respektloses Aas gewesen.“ Liam wollte schon auf ihn losgehen, doch Eva und Levi hielten ihn zurück. „Nicht“, warnte Eva ihn. „Er hat Recht, Liam.“ „Ach ja?“ fragte der Mafiaboss seine Schwester gereizt. „Soll ich mich etwa von ihm beleidigen lassen?“ „Du weißt nicht, mit wem du dich da anlegst!“ rief sie verzweifelt. „Ajin Gamur ist das höchste und mächtigste Wesen, das jemals existiert hat und auch je existieren wird. Du hast Glück, dass er so viel Rücksicht hat, weil du dich nicht an dein altes Leben erinnerst, sonst hätte er dich längst umgebracht.“ „Du tätest gut daran, auf deine Schwester zu hören, Araphel“, bekräftigte Ajin mit einem provokanten Grinsen. „Normalerweise dulde ich bei niemandem einen solchen Umgangston. Aber da sich deine Schwester all die Zeit so für dich eingesetzt hat, werde ich mal nicht ganz so streng sein. Immerhin hat sie 444 Jahre lang so gebuckelt, um deinen Liebsten zurückzuholen und sie hat sogar mit dem Leben für dich gebürgt. Aber lass dir eines gesagt sein: auch ich habe meine Geduldsgrenzen und wenn du nicht aufpasst, bist du deinen Kopf schneller los, als du gucken kannst.“ „So ein Verhalten ist doch genauso selbstgerecht wie das dieser großen Alten, die Elohims Familie getötet haben“, entgegnete der Mafiaboss und sah nicht danach aus, als würde er sich von Ajins Warnung einschüchtern lassen. „Kaum, dass jemand etwas Falsches sagt, ist er tot. Und du rechtfertigst es einfach damit, dass du Gott bist, oder was?“ „Ja, ganz recht“, bestätigte Ajin. „Ohne mich gäbe es all das hier gar nicht. Ich bin der Schöpfer von Leben und Tod und ich bewahre diesen ewigen Kreislauf. Ich schlage Welten zu Trümmern, damit neue aufgebaut werden können. Mein Werk baut auf einem höheren Prinzip auf und ihr seid nur kleine mickrige Ameisen. Fakt ist: ich gebe einen Scheiß drauf, was du für Probleme hast! Also Ain, ich wäre soweit.“ Die Blondhaarige wandte sich nun an die anderen und sah sie mit gemischten Gefühlen an. „Und ihr? Seid ihr soweit?“ Ein einstimmiges Nicken kam zur Antwort und so verkündete Ain „Dann könnt ihr anfangen.“ Ohne zu zögern griffen Liam und Anne an, deren Motivation wohl am Stärksten war. Anne startete direkt einen Angriff von vorn, während Liam Ajin von hinten mit dem Schwert erstechen wollte. Doch das schien diesen nicht sonderlich zu beunruhigen. Er stand seelenruhig da und lächelte selbstgefällig, wobei er nur sagte „Viel zu vorhersehbar, ihr beiden“ und sich dann vom Boden abstieß und hochsprang. Das geschah so blitzschnell, dass weder Anne noch Liam die Möglichkeit hatten, ihm zu folgen und ein Zusammenprall zwischen ihnen war unvermeidlich. Liam versuchte noch, schnell genug den Angriff abzubrechen, um Anne nicht noch mit dem Schwert zu erwischen, doch die Halb-Naphil machte sich nicht die Mühe. Sie rammte den Dolch in Liams Brust und sprang einfach über ihn drüber, wobei er durch den Angriff zu Boden stürzte. Der Mafiaboss war stinksauer und rief „Was sollte das?“ „Du stehst mir im Weg“, antwortete Anne mit kalter Stimme und schenkte ihm nicht wirklich Beachtung, geschweige denn, dass sie Reue zeigte. Als Jeremiel das sah, musste er sich unfreiwillig an Sam Leens erinnern. Dieselbe kaltherzige und skrupellose Art… Anne kannte keine Verbündeten, allerhöchstens nur Zweckgemeinschaften und alle anderen waren nur Feinde. Und ihr gesamtes Leben drehte sich nur um diesen kleinen Jungen, für den sie sogar bereit war, es mit Ajin Gamur persönlich aufzunehmen, um ihn zu bestrafen. Sie war Liam in der Hinsicht ähnlich, ging aber deutlich skrupelloser vor und besaß ein viel kaltherzigeres und völlig antisoziales Wesen. Wahrscheinlich war das der Grund, warum er so fasziniert von ihr war. Anne griff nun Ajin an und schlug mit dem Dolch nach ihm, doch er blockte diese mühelos mit seinem Sensenstab ab. Auch die Angriffe von Levi und Eva, die sich fast synchron bewegten, als wären sie ein eingespieltes Team, konnte er sich locker vom Hals zu halten. Elion und Dathan hielten sich hingegen erst noch zurück und sahen sich das an. Der Proxy schüttelte den Kopf und murmelte „So wird das nichts. Wenn wir nicht alle gemeinsam mit einer Strategie vorgehen, dann schaffen wir das niemals.“ „Das denke ich auch“, stimmte Dathan kopfnickend zu. „Aber ich glaube, das kannst du bei Anne vergessen. Und mit Liam wird es sowieso schwierig. Okay, wir sollten uns mit Levi und Eva absprechen und sehen, dass wir die Angriffe besser koordiniert kriegen. Vielleicht schaffen wir es am besten durch Teamarbeit.“ Elion nickte. „Okay, dann werde ich ihn erst mal beschäftigen und du sprichst mit den beiden.“ Damit lief Elion los und griff Ajin an, während sich Dathan um die Lagebesprechung kümmerte. Da der Proxy keine Waffe hatte, war es etwas schwerer für ihn, da er ständig der Sensenklinge ausweichen musste. Obwohl die Sense groß und unhandlich war, beherrschte Ajin sie perfekt und konnte blitzschnell zuschlagen. Elion hasste es zu kämpfen und das sah ihm der Unvergängliche auch an. „Man sieht wirklich, wie viel du von Elohim hast. Dieselbe friedfertige und aufopferungsvolle Ader. War doch vorauszusehen, dass du hier die Ablenkung spielst, damit die anderen sich eine Strategie überlegen können, um mich zu schlagen.“ Elion wich einem weiteren Angriff aus und versuchte es mit einem Roundhouse Kick. Die jahrelange grausame und unmenschliche Ausbildung im Institut kam ihm jetzt hier deutlich zugute. Selten war er so dankbar, dass er Kampfsport beherrschte und selbst ohne Waffen effektiv kämpfen konnte. Dazu waren die Proxys ja ausgebildet worden. Doch egal was er auch versuchte, Ajin fing jeden Angriff mühelos ab. Wie konnte das sein? „Du willst wissen wie? Nun, dann frag dich doch mal, warum Gott alles weiß. Ich kenne all eure Gedanken, euer Wesen, eure schmutzigsten Geheimnisse. Ich weiß alles über euch und brauch noch nicht einmal eure Gedanken zu lesen, um zu wissen, was ihr für Charaktere seid. Araphel ist der Kompromisslose, der für seine Familie einsteht und es sich nicht gefallen lässt, wenn man ihn an seine Vergangenheit erinnert. Und er legt sich ausnahmslos mit jedem an, der es wagt, jene zu bedrohen, die unter seinem Schutz stehen. Außerdem liebt er es, Kämpfe durch eiskalte Strategien zu gewinnen, anstatt seine Macht als Sefira zu benutzen. Dass Eva hier mitmachen würde, war genauso vorhersehbar, denn für ihren Bruder würde sie alles tun und ihn beschützen. Auch davor, dass ich ihm den Arsch aufreiße. Levi hält als treuer Ehemann zu ihr und du… du willst einfach nur versuchen, deine Familie zu beschützen. Und Anne… die geht doch jedem an die Gurgel, der ihren kleinen Goldschatz auch nur schief anglotzt. Ach scheiße… ihr seid aber auch verdammt vorhersehbar. Genauso wie eure Angriffe und eure Taktiken. Das ist langweilig… also mach ich jetzt mal Schluss mit diesem Unsinn. Ene, mene, muh… und raus bist du!“ Damit schlug Ajin mit der Sense zu und die Klinge riss eine tiefe Wunde quer über den Körper des Proxys. Als Nastasja das sah, wollte sie schon aufs Feld eilen, um ihm zu helfen, doch Elohim hielt sie mit der Erklärung zurück, dass das zu gefährlich sei. In dem Moment kassierte der schwer verletzte Elion einen Tritt in die Magengrube. Die Wucht des Trittes war so gewaltig, dass der Proxy mehrere Meter weit geschleudert wurde und aus dem Feld flog. Elohim eilte zu ihm und fing den Schwerverletzten auf, damit er sich um die Verletzungen kümmern konnte. Trotzdem sah es ziemlich übel aus und der Kampf wurde immer brutaler. „Wie kann dieser Kerl da nur Gott sein und gleichzeitig so brutal sein?“ fragte Nastasja verständnislos und strich sanft über Elions Stirn, während Elohim die Verletzungen heilte. „Ajin hat nicht viel für die Sefirot übrig und da macht er kein Geheimnis draus. Aber er hat auch andere Seiten, auch wenn man sie nicht sofort erkennt. Wenn er wirklich Ernst machen würde, dann wäre von Elion nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen hat er ihn aus dem Feld rausgeworfen und ihn somit disqualifiziert, ohne dass dieser sterben musste.“ „Und was soll das Ganze denn dann für einen Zweck haben?“ „Tja“, murmelte Elohim und dachte nach. „Das ist bei Ajin schwer zu sagen. Vielleicht will er sich einfach nur abreagieren, oder er will sich die Langeweile vertreiben. Glaub mir, wenn er wirklich ernst kämpfen würde, dann wäre der Kampf schon nach wenigen Sekunden entschieden gewesen.“ Kapitel 4: Der Deal ------------------- Nach Elions plötzlicher Rauswurf aus dem Kampffeld hatte dies für einen kurzen Stopp gesorgt und Dathan sah mit Entsetzen, dass der Proxy schwer verletzt war und stark blutete. „Elion!“ rief er und überlegte für einen Moment, ob er nicht zu ihm eilen und ihm helfen sollte, doch da rief sein Vater ihm zu „Alles in Ordnung, ich kümmere mich um ihn.“ „Da hast du es gehört, Nivkha“, kam es von Ajin und er konnte als Nächstes Anne aus dem Feld werfen. Sie wurde gegen einen Baum geschleudert, durch den sie durchbrach, bis die Hausmauer den Flug schließlich beendete. Hart prallte sie gegen die massive Wand und stürzte zu Boden und blieb dort liegen. Kenan eilte zu ihr, der sich große Sorgen um die Halb-Naphil machte. Levi und Eva hatten Liam derweil wieder auf die Beine geholfen und wollten gemeinsam angreifen. Doch jeder Angriff wurde sofort abgeschmettert, ohne dass sich Ajin großartig anstrengen musste. „Du solltest dich eher auf den Kampf konzentrieren, anstatt dir immer nur Gedanken darum zu machen, was mit den anderen ist. Du bist wirklich viel zu menschlich… deshalb bist du auch so schwach.“ Mit einem gezielten Sensenhieb durchbohrte Ajin Evas Unterleib und schwer verletzt brach die Sefira zusammen. Levi, dem das Leben seiner Frau im Moment wichtiger war, brachte sie zur Grenze des Feldes, während Liam Ajin beschäftigte. Elohim nahm die schwer verletzte Eva entgegen, um sich um sie zu kümmern. Nachdem Ajin dem Mafiaboss eins verpasst und ihn somit abgeschüttelt hatte, kam er auf Levi zu, um ihn anzugreifen, doch da ging Dathan dazwischen und blockte den Angriff mit dem Schwert ab. Doch die Kraft, die sein Großvater dabei freisetzte, war so gewaltig, dass er kaum dagegenhalten konnte. Und das schien diesen nur noch wütender zu machen. „Was bist du für ein verdammter Schwächling…“, knurrte er und schlug wieder zu und wieder hatte Dathan alle Mühe, um dieser gewaltigen Kraft entgegenzuwirken. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, während sein Großvater unbarmherzig auf ihn losging. „Du bist ja noch schwächer als die Sefirot. Selbst die Naphil-Frau hatte mehr Power. Das ist wirklich mehr als enttäuschend, selbst für deine Verhältnisse. Ich glaube, du lässt mir keine andere Wahl.“ Damit schlug Ajin ihm das Schwert aus der Hand, setzte ihn mit einem kurzen Schlag in die Magengrube außer Gefecht und legte dann seine Hand auf Dathans Stirn. „Dann wollen wir doch mal sehen, was da wirklich in dir steckt.“ Einen Moment lang geschah nichts und alle hielten inne, da sie wissen wollten, was denn jetzt passierte. Sie spürten alle, wie sich die Atmosphäre zu ändern begann. Es war, als würde sie sich elektrisch aufladen und eine fast unerträgliche Spannung baute sich auf. Dathan schrie und es sah sich aus, als würde sich sein Körper verkrampfen. Ein heftiges Beben ließ die Erde erzittern und ein lauter und unmenschlicher Schrei, der nicht von dieser Welt war, ertönte und trieb ihnen einen eiskalten Schauer über den Rücken. Mit einem Male riss die Erde auf und ein Spalt tat sich auf. Unzählige schwarze Skelettarme griffen nach Ajin und versuchten, ihn zu packen. Dathan selbst schrie und seine Augen verdrehten sich. Ain sah dies und wollte schon einschreiten, um das alles zu unterbrechen, doch da ließ Ajin von ihm ab und meinte nur „So, ich glaube das war’s erst mal für dich, mein Junge.“ Damit tippte er ihm kurz mit dem Zeigefinger auf die Stirn, woraufhin Dathan bewusstlos auf dem Boden zusammenbrach. Der Spalt begann sich wieder zu schließen und diese Skelettarme verschwanden wieder in die Tiefen. Kaum jemand von den menschlichen Mitgliedern in der Runde verstand so wirklich, was da geschehen war, da ging der Kampf auch schon weiter und so waren nur noch Levi und Liam übrig. Die anderen verfolgten das Geschehen und bemerkten nicht, dass Frederica herbeigeeilt kam. Sie sah mit Entsetzen, wie Levi einfach zusammengestaucht wurde und regungslos am Boden lag und selbst Liam konnte sich kaum noch bewegen. Ajin lachte höhnisch, packte den übel zugerichteten Mafiaboss an den Haaren und drückte ihn auf die Knie. „Mann was seid ihr doch alle für Waschlappen. Da kann euch der Laden hier auch nicht so sonderlich wichtig sein, wenn ihr so schnell aufgebt. Das ist ja langweilig! Dabei hatte ich mir doch so viel Entertainment erhofft, bevor es endlich losgeht. Wirklich enttäuschend. Naja, aber was will man von so einem Sauhaufen wie euch denn erwarten? Ihr kriegt ja eh nichts gebacken. Na denn… Es wird Zeit, diese ganze Show zu beenden.“ Damit erhob Ajin die Faust und wollte Liam einen Schlag ins Gesicht verpassen, um es ein für alle Male zu Ende zu bringen und damit auch den letzten Gegner auszuschalten. Als Frederica das sah, konnte sie nicht mehr an sich halten. Sie war entsetzt, aber auch vor allem wütend und ging direkt zu den beiden hin. „Hey!“ rief sie und durch den lauten Ruf abgelenkt, ließ Ajin von Liam ab und sah zu ihr. Er hob die Augenbrauen und bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, verpasste Frederica ihm eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Mit einem Male war alles verstummt. Selbst Ain und Elohim konnten nicht glauben, was sie da sahen. Noch nie war es jemandem gelungen, Ajin Gamur zu schlagen. Und dann auch noch eine Ohrfeige. So etwas hatte es noch nie gegeben und nie hatte es jemand gewagt, so etwas zu tun. Dazu hatten alle viel zu viel Angst vor seiner Vergeltung gehabt. Und doch war es gerade passiert. Frederica war einfach aufs Kampffeld getreten und hatte ihm eine Ohrfeige verpasst. Und nicht nur Ain und Elohim, sondern insbesondere auch Ajin schien erstaunt zu sein. „Was fällt Ihnen eigentlich ein?“ rief das Albinomädchen wütend und baute sich vor ihm auf. „Wir feiern hier eine Hochzeit und Sie platzen einfach so rein und schlagen meine Familie zusammen? Schämen Sie sich nicht? Wenn Sie Streit suchen, dann verschwinden Sie gefälligst, aber lassen Sie meine Familie in Frieden.“ „Frederica, nicht!“ rief Eva, die sich wieder halbwegs erholt hatte und wieder aufstehen wollte, doch sie war zu schwach dazu. Sie wandte sich dann an Ajin. „Bitte Herr, sie ist noch ein junges Seraph-Mädchen und hat keine Ahnung. Bitte bestraft sie nicht! Es ist meine Schuld, weil ich ihr nicht die nötige Ehrfurcht vor Euch beigebracht habe. Aber bitte tut ihr nichts!“ Doch Ajin schien gar nicht sauer über die Ohrfeige zu sein. Er betrachtete Frederica mit einem Blick, den man als reges Interesse interpretieren konnte. Es lag nichts Provokantes und Herablassendes mehr in seinen Augen und so ließ er die Sense sinken. „Na holla!“ rief er und wandte sich ihr voll und ganz zu. „Das ist mir noch nie passiert, dass jemand es gewagt hat, mir eine reinzuhauen. Und dann auch noch ein so schönes Mädchen wie du.“ „Äh…“ Fredericas Wut war nun völliger Verwirrung gewichen und sie verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Mit so etwas hatte sie jetzt überhaupt nicht gerechnet. Sie schrie den Kerl an und ohrfeigte ihn und er machte ihr auch noch ein Kompliment? Was war denn mit ihm los? „Wie… ähm…“ Sie war in diesem Moment so konfus, dass sie nicht einmal eine Frage zustande brachte. Ajin hingegen war die Selbstsicherheit in Person und grinste gut gelaunt. Dann musterte er sie aufmerksam und setzte ein beinahe schon verführerisches Lächeln auf. „Hat dir schon mal jemand gesagt, was für ein gebärfreudiges Becken du hast?“ Und als wäre das nicht schon schlimm genug, spürte sie auch noch Ajins Hand auf ihrem Hintern. Das reichte ihr nun endgültig. Mit einem lauten „Du Perversling!“ gab sie ihm eine weitere Ohrfeige, dann drehte sie sich um und ergriff die Flucht. Ajin sah ihr noch hinterher und seine Wange war schon rot angelaufen. „Was für eine Frau“, sagte er nur und schmunzelte. „Aber verdammt süß…“ Einen Moment lang blieb er stehen und sagte nichts. Er schien alles andere völlig vergessen zu haben und war gänzlich abgelenkt. Dann aber kehrte er doch wieder ins eigentliche Geschehen zurück, als Liam wieder angreifen wollte. Er schlug ihn endgültig bewusstlos, sodass Ain verkündete, dass Ajin der Sieger sei. Angst und Entsetzen machten sich breit. Vor allem, als der Unvergängliche verkündete „So, damit ist es entschieden. Ich mach eure Welt platt. Packt also schon mal die Koffer.“ „Warte!“ Ajin wandte sich Beyond zu, der sich zu Wort gemeldet hatte und den er mit einem herablassenden Blick strafte. „Können wir nicht einen Handel schließen? Ich meine… du scheinst ja ganz schön auf Frederica zu stehen, oder etwa nicht?“ Nun wich dieser herablassende Blick regem Interesse und der Serienmörder hatte es tatsächlich geschafft, Ajins volle Aufmerksamkeit zu gewinnen. Also doch… der Kerl hatte sich in Frederica verguckt. L, der das nicht wirklich glauben konnte, was Beyond im Schilde führte, stieß ihm in die Seite und flüsterte „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“ „Was denn?“ zischte Beyond. „Wenn ich uns allen so den Arsch retten kann?“ „Also du meinst, ich bräuchte eure Hilfe, um ihr Herz zu gewinnen? Ausgerechnet ich?“ „Natürlich“, antwortete Beyond überzeugt. „Mit diesem ganzen Gottgehabe wirst du bei ihr ganz sicher keinen Blumentopf gewinnen. Nur damit du es weißt: Frederica gibt einen Scheiß auf das, was du bist. Und nach der Nummer mit dem völlig bescheuerten Anbaggerungsspruch und dem Pograbschen wirst du echt schwere Geschütze auffahren müssen, damit sie dir noch mal eine Chance gibt.“ „Wieso soll das mit dem gebärfreudigen Becken kein Kompliment sein? Vor 2000 Jahren war das für Frauen noch ein echtes Kompliment gewesen.“ „Ja aber das war vor 2000 Jahren. Heutzutage wird es als Mann, bist du fett verstanden und das ist der Killer schlechthin. Ich glaub, du hast echt keine Ahnung, wie man mit Frauen vernünftig spricht.“ Aber du, dachte L und schüttelte den Kopf. Dabei warst du nie mit einer Frau zusammen und die einzige Frau, mit der du je zusammengelebt hast, war deine Adoptivschwester. Na das kann ja noch heiter werden. Ich glaub nicht, dass Ajin sich auf so was einlässt… Doch zu seiner Überraschung nickte dieser nach kurzem Nachdenken und sagte dann „Also gut. Ihr helft mir, diese scharfe Braut zu erobern und wenn es klappt, dann werde ich eure Welt in Ruhe lassen.“ Und damit wandte er sich Ain zu. „Okay, die Sache hat sich vorerst erledigt. Ich werde mit der Weltzerstörung wohl noch etwas warten.“ Damit war es endlich vorbei und sofort eilte Nastasja zu Dathan, der kreidebleich und ohne Bewusstsein auf dem Boden lag. Sie prüfte seinen Puls und seinen Herzschlag, stellte aber mit Erleichterung fest, dass es nichts Ernstes war. „Was… was haben Sie mit Dathan gemacht?“ fragte sie Ajin, der nun seine Sense wieder verschwinden ließ und die Hände in die Hosentaschen steckte. „Ich hab seine Kraft entfesselt, damit der Junge sich mal richtig zur Wehr setzen kann. Seine Kondition war ja selbst für Seraph-Verhältnisse katastrophal und ich wollte natürlich herausfinden, was er denn für Kräfte hat. Und wie es scheint, kommt der Junge ganz nach seinem Großvater. Er besitzt die Fähigkeit der Nekromantie und damit beherrscht er den Tod.“ „Und… wann wird er wieder aufwachen?“ „Der schläft erst mal für den Rest des Tages, vielleicht auch den nächsten. Immerhin findet jetzt der Wandlungsprozess statt. Als Entität kann er wohl kaum länger in diesem beengenden Körper bleiben. Da wird man ja klaustrophobisch. Aber keine Bange, ich hab ihm dabei genug Wissen übertragen, damit wenigstens anständig damit umgehen kann.“ Dann hatte Ajin also niemandem von ihnen etwas Ernsthaftes angetan und nicht vorgehabt, sie alle umzubringen, oder wie durfte man das verstehen? „Sie wollten die anderen also nicht töten?“ Ein genervtes Seufzen kam von dem Unvergänglichen, der sich durch die Haare fuhr und erklärte „Ich hab das nur getan, weil ihr Ain und Elohim zurückgeholt habt. Erwartet also nicht von mir, dass ich immer so gnädig sein werde. Und außerdem habt ihr euch ja die ganze Zeit um meinen Enkel Nivkha gekümmert. Also dann…“ Damit ging Ajin und schien es wohl für selbstverständlich zu halten, noch weiter dazubleiben. Und da niemand sich wirklich traute, ihn noch mehr zu reizen, duldeten sie ihn lieber bei sich. Elohim kümmerte sich derweil um seinen Sohn und als sie wieder zurück im Festsaal waren, kamen schon Ezra, Watari und Sheol herbei. Diese wollten natürlich wissen, was denn los war und bekamen sogleich die kurze Zusammenfassung von L. Und als sie hörten, auf was für einen Deal sich Beyond da eingelassen hatte, da schlug sich Ezra die Hand gegen die Stirn und stöhnte laut. „Ich glaube es nicht. Ausgerechnet Beyond will Beziehungsratschläge geben? Oh Mann, die Welt ist so was von am Arsch.“ „Da gebe selbst ich bessere Tipps“, murmelte Sheol und schien schon das Ende der Welt vor seinen Augen zu sehen. „Wir sind echt geliefert…“ Nachdem sich alle soweit berappelt hatten, mussten sie überlegen, wie sie vorgehen sollten. Es galt nun, Ajin irgendwie bei Laune zu halten und ihn nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Außerdem mussten sie sich eine Strategie überlegen, denn aus der Nummer, die Beyond verzapft hatte, kamen sie gewiss nicht mehr raus. Außerdem mussten sie irgendwie Frederica davon überzeugen, dass sie Ajin eine Chance gab. Das würde nicht ganz einfach werden, aber… L versprach schon, sich darum zu kümmern. Ajin hatte sich derweil einen Platz gesucht und begann nun Cheesecake zu essen und mit Ain zu reden, während sich die anderen zusammensetzten. Als Erstes kassierte Beyond eine Kopfnuss von seiner Adoptivschwester, die ihn fragte, was er sich denn bei der Aktion überhaupt gedacht habe. „Du kannst doch nicht einfach über Fredericas Kopf hinweg entscheiden, sie mit diesem… diesem Verrückten zu verkuppeln! Da macht sie nie und nimmer mit.“ „Hast du eine bessere Idee?“ entgegnete der Serienmörder und zog eine Schmollmiene. „Der Kerl steht offensichtlich total auf sie und wenn das die einzige Chance ist, ihn davon abzuhalten, die Welt zu zerstören, dann ist das doch die beste Lösung. L redet ja mit ihr und wenn wir ihm erst mal beigebracht haben, wie man vernünftig mit Frauen umgeht, dann funktioniert es wahrscheinlich.“ „Funktionieren? Hallo geht’s noch? Wie willst du ihm denn bitteschön beibringen, wie man richtig mit einer Frau umgeht, wenn du doch keine Ahnung hast? Den einzigen engen Kontakt, den du je zu einer Frau hattest, war entweder zu mir oder zu deinen zwei Mordopfern Quarter Queen und Backyard Bottomslash.“ „Vergiss nicht Naomi Misora und Hester.“ „Du hast doch echt einen Knall…“ Elion, der sich langsam wieder erholt hatte, kam dazu, als er merkte, dass zwischen den beiden Geschwistern Streit herrschte. „Also ich denke, jeder hat die Chance auf wahre Liebe verdient. Und gemeinsam können wir selbst ihn zu seinem Glück verhelfen. Alleine wird Beyond das nicht schaffen, das stimmt. Aber wenn wir alle zusammenarbeiten, dann finden wir schon einen Weg.“ „Ja aber wenn die Chemie nicht passt, dann kann man auch nicht wirklich etwas machen“, erklärte Rumiko mit Nachdruck in der Stimme. „Und nach dem Start wird es fast unmöglich sein, dass sich Frederica in diesen Psychopathen verliebt.“ „Ich kann euch hören, nur damit ihr’s wisst!“ rief Ajin zu ihnen herüber, während er auch noch das zweite Stück Cheesecake verputzte und nicht den Anschein erweckte, als würde er so schnell damit aufhören. Oliver wandte sich schließlich an Andrew. „Hey Andy, du bist doch schon seit knapp elf Jahren mit Frederica befreundet und kennst sie besser als jeder andere von uns. Wie schätzt du die Sache ein?“ Der rothaarige Engländer musste nachdenken, denn es war schon eine recht verfahrene Situation. „Nun“, murmelte er schließlich. „Es wird nicht einfach werden. Wahrscheinlich wird sie uns zuliebe bei dem Spielchen mitmachen. Aber es ist erst einmal wichtig, dass Ajin sich entschuldigt und die Sache richtig stellt. Ansonsten wird Frederica nicht sonderlich kooperativ sein.“ Einstimmig nickten sie und schließlich wandte sich Beyond an Ajin, der sie erwartungsvoll ansah. „Und? Wie krieg ich sie rum?“ „Erst mal ist es wichtig, dich erst mal zu entschuldigen. Einmal für den Pograbscher und zum anderen für den Spruch. Der war nämlich mehr als beleidigend.“ Ajin dachte kurz nach, nickte und erklärte sch einverstanden, woraufhin er fragte „Und dann?“ „Wir werden mit ihr reden und sie davon überzeugen, dir noch eine Chance zu geben. Und danach wird es wohl auf ein Date hinauslaufen, wenn alles gut geht.“ „Und danach geht es in die Kiste?“ „Nein.“ „Wann denn dann?“ „So circa nach dem zehnten bis elften Date, wenn man sich den Scherbenhaufen ansieht, den du mit der Aktion fabriziert hast.“ „ELF DATES?“ rief Ajin fassungslos, verdrehte laut stöhnend die Augen und raufte sich die Haare. Er hatte sich die Sache irgendwie einfacher vorgestellt und hatte nicht gedacht, dass es so viel Aufwand und Arbeit brauchte, um das Herz einer Frau zu erobern. Hätte er das vorher gewusst, dann hätte er sich etwas anderes überlegt. „Oh Mann, damals war alles noch ganz einfach gewesen. Da hat man anderen noch eins mit der Keule über den Schädel gezogen und sie dann in die Höhle geschleift. Das war die ganze Romantik an der Geschichte gewesen und damit hatte es sich. Und heutzutage reicht es nicht mal mehr, Gott zu ein, um eure Weibchen zu beeindrucken.“ Nun ja, einige ließen sich vielleicht davon beeindrucken, aber gewiss nicht Frederica. Für sie zählten die inneren Werte und damit konnte Ajin leider nicht sonderlich punkten. Nicht nach dem ganzen Durcheinander, das er verursacht hatte. Nastasja räusperte sich. „Man spricht bei uns von Frauen und nicht von Weibchen.“ „Ja und? Bei den Tieren gibt es ja auch nur Männchen und Weibchen. Und im Grunde seid ihr nur höher entwickelte Primaten und mehr nicht.“ Oje, das konnte ja noch heiter werden. Da würde noch ein gewaltiges Stück Arbeit auf sie alle zukommen, um so einen ungehobelten, provokativen und vulgären Rüpel wie Ajin zum Casanova zu machen. Das grenzte ja schon fast an eine Unmöglichkeit. L hatte sich währenddessen mit Frederica zurückgezogen, um in Ruhe mit ihr zu sprechen. Diese war immer noch völlig durch den Wind und regte sich regelrecht auf. „Wie kommt er dazu, mir so etwas zu sagen und mir an den Hintern zu fassen? Bin ich… bin ich wirklich so dick?“ „Das hat er nicht so gemeint“, erklärte L und versuchte Frederica ein wenig zu beruhigen. Da sie beide fast wie Geschwister waren, hatte der Detektiv es als das Beste befunden, wenn er mit ihr redete. „Ich denke, er wollte dir nur ein nettes Kompliment machen und hat nicht die richtigen Worte gefunden.“ „Nicht die richtigen Worte ist gut. Jeder andere Spruch wäre besser gewesen und vor allem: das rechtfertigt immer noch nicht die Tatsache, dass er mich begrabscht hat. Einfach nur schrecklich…“ Der 26-jährige erkannte, dass es kein leichtes Stück Arbeit werden würde, um Frederica zu überreden, aber wenn er nicht zulassen wollte, dass Ajin die ganze Welt zerstörte, dann war es wohl besser, wenn er nicht locker ließ. Auf Ains und Elohims Hilfe konnten sie sich jedenfalls nicht verlassen, denn die waren an diesen Schwur gebunden, der es ihnen verbot, gegen Ajin zu kämpfen. „Du hör mal Frederica, das alles ist etwas unglücklich gelaufen. Fakt ist, dass er dich sehr zu mögen scheint und er will dich näher kennen lernen.“ Frederica fiel fast aus allen Wolken, als sie das hörte. „Wie bitte? Soll das hier etwa schon wieder irgendein Versuch eurerseits werden, mich mit irgendjemandem zu verkuppeln, nur weil ich hier die einzige Single bin? Ich kenne ihn nicht mal!“ „Sein Name ist Ajin Gamur. Er ist… Ains Vater und Dathans Großvater.“ Wäre Fredericas Haut nicht ohnehin schon schneeweiß gewesen, dann hätte man gesehen, wie sie all ihre Gesichtsfarbe verlor. Erst jetzt wurde ihr in diesem Moment wirklich bewusst, was da passiert war. Sie hatte Ajin Gamur, dem höchsten und mächtigsten aller Wesen, dem Gott der Zerstörung und des Chaos und gleichzeitig dem König der Shinigami zweimal eine Ohrfeige verpasst. Und eben jener Ajin Gamur hatte sich in sie verliebt. „Ja aber… Warum ausgerechnet ich? Und vor allem: warum ausgerechnet er?“ Doch auf die Frage wusste selbst L keine Antwort. Kapitel 5: Ajins Verwunderung ----------------------------- Nachdem L Frederica gut zugeredet hatte und auch die anderen Ajin zu gutem Benehmen ermahnt hatten, ließ man die beiden in Ruhe miteinander reden, wobei sie wirklich hofften, dass Ajin sich zusammenriss und es nicht schon wieder verbockte. Auch Nastasja hatte ihm erklärt, dass er auch mitarbeiten musste, wenn er erreichen wollte, dass sich Frederica auf ein Date mit ihm einließ. Das Albinomädchen hätte sich am liebsten geweigert, diesen ungehobelten Kerl wiederzusehen, aber da sie wusste, dass von seiner Laune das Schicksal der ganzen Welt abhing, da hatte sie sich wohl oder übel darauf eingelassen. Ajin setzte ein charmantes Lächeln auf (was aber bei ihm etwas zwielichtig aussah) und grüßte sie. „Ich glaube, wir zwei wurden einander noch nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Ajin Gamur. Ich wollte mich noch für die Aktion vorhin aufrichtig entschuldigen. Da war ich wohl etwas vorschnell gewesen und habe vielleicht etwas kopflos gehandelt.“ „Kopflos trifft es gut… Mein Name ist Frederica, ich bin Evas Schöpfung.“ „Frederica… ein sehr hübscher Name.“ „Ähm… danke…“ „Du darfst auch gerne Big Sexy zu mir sagen.“ Sofort ging sie wieder auf Abstand und starrte ihn entgeistert an. Oh Gott Beyond, was hast du mir da nur angetan? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, dachte sie und spielte erneut mit dem Gedanken, bloß schnell abzuhauen und das am besten weit weg. Das war doch ein blanker Alptraum! Das konnte Ajin doch nie und nimmer ernst meinen… oder? Sie stand wirklich kurz davor, abzuhauen und die ganze Aktion abzubrechen. Hauptsache sie kam weg von diesem Verrückten. Aber andererseits… sie konnte ihre Familie nicht hängen lassen. Vor allem, weil das Schicksal der Welt auf dem Spiel stand. „Danke, ich verzichte“, erklärte sie und verschränkte die Arme. „Wenigstens hast du dich entschuldigt. Erwarte aber keine Entschuldigung für die Ohrfeige, die hast du mehr als verdient.“ „Schon klar“, sagte er nur und schien sich nicht sonderlich darum zu kümmern. Die ganze Situation war ihr unangenehm… er war ihr unangenehm. Sie konnte diesen Kerl einfach nicht ausstehen. Dieses arrogante, selbstgefällige und egoistische Gehabe war genau das, was sie überhaupt nicht leiden konnte. Nun gut, sonderlich attraktiv war der Kerl ja jetzt auch nicht. Zwar war er groß und hatte mit Sicherheit einen gut gebauten Körper, der durch die ganze Kleidung versteckt wurde, aber diese ganzen Piercings, die Frisur und diese giftgelben dämonischen Augen zusammen mit diesem breiten Grinsen verliehen ihm etwas Wildes, Unzähmbares und Rebellisches. Es war ihm direkt anzusehen, dass er jemand war, der nur nach seinen eigenen Regeln lebte und sich nichts gefallen ließ. Und vor allem hatte er ein ziemlich loses Mundwerk. „Was genau willst du eigentlich von mir?“ „Na ich find dich süß und ich will mit dir gehen.“ Auch das noch, jetzt läuft das auch noch auf ein Date hinaus. Beyond, am liebsten würde ich dich erwürgen! Frederica seufzte geschlagen. Sie hatte die Wahl: entweder würde sie nein sagen und Ajin zerstörte die Welt, oder aber sie ließ sich darauf ein und ertrug ihn. Naja, vielleicht… vielleicht steckte da eventuell eine Art guter Kern in ihm und womöglich war er nicht immer so aggressiv, rüpelhaft und respektlos, wie er sich vorhin noch aufgeführt hatte. Wenn sie schon allein an Ezra und Elion dachte… Ezra war ja auch nicht wirklich die Höflichkeit vom Lande und dennoch waren er und Elion ein glückliches Paar. Und sogar Sheol hatte trotz seines Verhaltens eine Freundin. Im Grunde war Ajin irgendwie eine Mischung aus Sheol, Ezra und vielleicht auch noch Beyond. Sie wusste, dass sie das mit Sicherheit noch bereuen würde. Dieser Ajin würde sie mit Sicherheit noch viele Nerven kosten, aber dennoch würde sie wohl mit ihm ausgehen. „Warum ausgerechnet ich?“ Der Brünette mit den giftgelben Augen zuckte nur mit den Achseln und erklärte „Du erinnerst mich eben ein Stück weit an Ain. Dieselbe fröhliche und leichtherzige Natur. Und außerdem siehst du süß aus.“ Frederica setzte sich schließlich und beschloss, Ajin einfach mal etwas zu befragen. Womöglich fanden sich irgendwelche Interessen, die sie gemeinsam hatten und vielleicht konnte man darauf ja etwas aufbauen. „Was genau magst du denn eigentlich?“ „Chaos und Zerstörung, Schlafen und dieses leckere süße Menschengebäck, das ihr Cheesecake nennt. Außerdem mag ich das Kämpfen. Vor allem, weil ich immer gewinne. Was ich nicht mag sind diese verdammten Bittsteller, die immer meinen, sie müssten mir mit ihren Problemen auf den Piss gehen. Dann als nächstes hasse ich Frauen, die sich dümmer anstellen als sie eh schon sind und dann noch Menschen, die meinen, sie müssten sich als Gott verehren lassen, obwohl das immer noch mir zusteht.“ Frederica sah ihn mit gemischten Gefühlen an und wieder riet ihr diese kleine Stimme in ihrem Kopf, bloß schnell abzuhauen und diesen Kerl in den Wind zu schießen. Das konnte doch nie und nimmer gut gehen. Da waren doch überhaupt keine Gemeinsamkeiten vorhanden! Wie sollte das denn also überhaupt funktionieren? Geschlagen seufzte Frederica erneut und wieder spürte sie innerlich den Drang, Beyond eine reinzuhauen als Rache dafür, dass er sie in diese Situation gebracht hatte. „Soll das heißen, du hast gegen jeden etwas?“ „Es ist nicht die Menschheit, die mich stört, sondern der Mensch selbst, der mich anwidert. So ging das Zitat irgendwie.“ Wieder hörte das Albinomädchen diese leise Stimme in ihrem Kopf, die ihr riet, schleunigst das Weite zu suchen und den Kerl abzuservieren, bevor es zu spät war. Normalerweise hätte sie es ja auch getan. Aber nun war sie in dieser mehr als beschissenen Lage und musste sich überlegen, was sie nun tun sollte. Wenn sie ihn jetzt abservierte, würde Ajin die ganze Welt zerstören. Und er sah nur davon ab, wenn sie mit ihm ausging. Also blieb ihr keine andere Wahl. Sie musste mitmachen, wenn sie ihre Familie nicht im Stich lassen wollte. Auch wenn dieser Ajin ihr alles andere als sympathisch war. Aber vielleicht steckte ja irgendwo eine nette Seite in ihm. Eine Chance hatte er jedenfalls verdient, auch wenn er sich unmöglich aufgeführt hatte. Nun, zumindest hatte er sich entschuldigt. Also beschloss sie, fürs Erste die Fragerei sein zu lassen, bevor es nur noch schlimmer wurde. „Also gut. Wenn du wirklich mit mir ausgehen willst, dann stelle ich drei Bedingungen. Du darfst dieser Welt nichts tun und dasselbe gilt für meine Familie. Und ich will auch nicht, dass du mir wieder an den Hintern grabscht, geschweige denn die hier!“ Und damit deutete sie auf ihren Busen. Mit diesen Bedingungen konnte Ajin ganz gut leben und er erklärte sich einverstanden. „Okay, hab’s kapiert. Welt heil lassen, Familie nichts tun und die Finger bei mir behalten. Kein Problem.“ „Gut. Dann meldest du dich bei mir. Entschuldige, aber ich sehe mal lieber nach den anderen, ob alles in Ordnung ist.“ Damit erhob sich Frederica und ging. Ajin blieb hingegen noch etwas alleine, lehnte sich zurück und aß noch ein drittes Stück Kuchen. Na das lief ja doch wunderbar. Er hatte sie schon mal so weit, dass sie sich bereitwillig auf ein Date mit ihm einließ. Und den Rest würde er auch noch hinkriegen. Zwar zierte sie sich noch, aber er würde schon dafür sorgen, dass sie ihre Meinung änderte. Dieses Mädchen… sie schien anders zu sein als all die anderen, die er erlebt hatte. Sie schien mehr zu sehen und vor allem anders zu sehen als die anderen. Sie besaß eine ähnlich fröhliche Ader wie Ain, war aber dennoch sehr sensibel und es lag eine gewisse Unsicherheit in ihrem Blick. Gleich schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, da war er völlig hin und weg von ihr gewesen. Er wollte sie bei sich haben und ihr nah sein. Und das war ihm noch nie passiert. Außer seiner Tochter und ihrer Familie war ihm nie jemand wichtig gewesen. Die Sefirot konnte er nicht ausstehen, für die anderen Rassen hatte er auch nichts übrig. Er war immer zufrieden gewesen, alleine zu sein und alles tun und lassen zu können, ohne dass jemand ihn dafür in die Schranken wies. Sie alle fürchteten sich vor ihm und das nutzte er auch schamlos aus. Er war vulgär, er rastete aus und richtete Chaos und Zerstörung an und er liebte es. Aber nun… nun war dieses Mädchen aufgetaucht und warf sein Leben völlig aus der Bahn. Zum ersten Mal war ihm jemand wichtig gewesen, der nicht zu seiner Familie gehörte. Ein einfaches Seraph-Mädchen, das gerade mal 445 Jahre alt war. Für so mickrige Lebewesen wie die Menschen ein unvorstellbar langes Alter, aber für Seraphverhältnisse war sie noch extrem jung. Und was hatte sie denn schon für herausragende Eigenschaften? Sie war zwar eine gute Kämpferin, konnte aber nie und nimmer mit einem Sefira mithalten. Darum hatte sie gegen eine Entität nicht mal den Hauch einer Chance. Das einzig Besondere, das sie beherrschte, war die Manipulation der Zeit. Sie war nicht nur in der Lage, individuelle, sondern auch die weltliche Zeit zu manipulieren und eine weltweite Zeitschleife zu erschaffen und aufrecht zu erhalten. Nur die wenigsten Sefirot waren dazu in der Lage. Außer Nazir und Samajim beherrschte nur Araphel diese Technik. Nun gut, das war außergewöhnlich aber ansonsten… Dieses Mädchen war fast genauso wie alle anderen Seraphim. Bis eben auf die Tatsache, dass er das Gefühl hatte, sie würde „mehr“ sehen. Was auch immer das bedeuten mochte. Wenn er ehrlich war, konnte er sich das selbst nicht genau erklären. Naja… solange er abwesend war, konnte sich ja Mavet, eine seiner zehn Emanationen, um die Sache kümmern. Der würde das Ding schon schaukeln. Nun galt es zu überlegen, wie er Frederica um den Finger wickeln konnte. Aber dafür hatte er ja Beyond und die anderen. Seine „kleinen Äffchen“. Zu irgendetwas mussten die ja gut sein. Frederica war inzwischen wieder zu den anderen zurückgekehrt und wurde sofort gefragt, wie es denn gelaufen sei. „Tja, wie soll ich sagen? Zumindest hat er bei mir entschuldigt und versprochen, die Welt heil zu lassen, mich nicht wieder anzufassen und euch auch in Frieden zu lassen. Er wird sich bei mir melden, wenn er sich mit mir zum Date treffen will.“ „Danke, dass du das machst“, sagte Beyond schließlich und wollte sie zum Dank umarmen, doch da bekam er von ihr eine Kopfnuss verpasst. „Du hast mir doch diesen Schlamassel erst eingebrockt. Dieser Kerl ist ein ungehobelter Perversling, selbstverliebt und größenwahnsinnig. Ich mache das hier wirklich nur, weil die Welt auf dem Spiel steht. Nur, damit das klar ist!“ Dass das Albinomädchen nicht gerade mit Freudensprüngen reagieren würde, war ja abzusehen gewesen. Immerhin hatte dieser Ajin ihr einfach so an den Hintern gefasst und ihr auch nicht gerade das beste Kompliment gemacht. Dass dieser sich in sie verliebt hatte und Beyond einfach so auf den Trichter kam, die beiden zu verkuppeln, war für das Albinomädchen nicht gerade ein Grund zur Begeisterung. „Ich ahne jetzt schon, dass das in einer absoluten Katastrophe enden wird. Aber euch zuliebe werde ich es durchziehen. Doch wie gesagt: ich glaube, das wird noch in einem totalen Desaster enden!“ Schließlich wandte sie sich Ain zu. „Sag mal, ist Ajin immer so extrem drauf?“ „Er war es nicht immer“, erklärte die Unvergängliche und strich sich eine Strähne zurück. „Als nur die Entitäten existiert hatten, da besaß er zwar eine ganz eigene Definition von Humor, die manche auch als makaber bezeichnen konnten und er hatte schon damals ein recht buntes Vokabular. Aber so aggressiv und streitlustig war er früher nicht gewesen.“ „Das war er auch erst, nachdem er wieder aufgewacht ist“, erklärte Elohim, der wieder zurückgekommen war, nachdem er sich um seinen bewusstlosen Sohn gekümmert hatte. „Als Ain bei Nivkhas Geburt verstorben ist, hat sich Ajin deutlich zurückgezogen und dann für eine lange Zeit schlafen gelegt. Er ist kurz vor Beginn der Sefirotkriege wieder aufgewacht und seitdem ist er sehr aufbrausend, aggressiv, streitlustig und nachtragend. Ich hab auch keine Ahnung, warum er sich so aufführt und was der Grund ist, wieso er schon seit Äonen so eine schlechte Laune hat.“ „Dass Vater sich plötzlich für dich interessiert und sich ausnahmsweise nicht ganz so schlimm aufführt, scheint zumindest ein Zeichen zu sein, dass er sich wirklich für dich interessiert und das ist noch nie wirklich passiert. Normalerweise sind die einzigen, für die er sich wirklich interessiert, seine Familie. Ehrlich gesagt bin ich selbst völlig erstaunt, dass er sich jemals verlieben könnte.“ „Ja… vor allem, weil er eher in sich selbst verliebt zu sein scheint“, kommentierte Sheol. Ein zustimmendes Nicken kam von ein paar anderen, wobei Andrew hinzufügte „Also auf mich wirkte er irgendwie, als wolle er sich um jeden Preis zur Schau stellen und Aufmerksamkeit erhaschen. Wenn ich nicht wüsste, dass er tatsächlich Gott ist, dann hätte ich gedacht, er ist ein größenwahnsinniger Spinner. Tut mir leid, dass ich das so heftig sage, aber anders kann ich es nicht ausdrücken.“ Ain war ihm nicht böse deswegen, sondern nickte verständnisvoll und gestand „Er ist wirklich nicht gerade einfach. Ich weiß selbst nicht, warum er so extrem reizbar und aggressiv ist. Vielleicht hängt ihm die Verschwörungsgeschichte noch nach. Ich weiß es wirklich nicht. Aber vielleicht wird er ja wieder etwas ruhiger. Zumindest hoffe ich das.“ „Na wenigstens hat er niemanden während des Kampfes ernsthaft verletzt oder sogar getötet. Bei ihm wäre ich mir da nicht so sicher gewesen.“ „Ach ich glaube, das gehörte ein bisschen mit zu seiner Show“, meinte Oliver schließlich. „Manche Leute verhalten sich ja so aggressiv, weil sie ihre wahren Gefühle verbergen wollen. Nehmen wir Ezra als Beispiel.“ Der 16-jährige wollte schon lautstark abstreiten, aber sie wussten alle, dass es stimmte. Da die Feier gelaufen war und sie nach dem heutigen Schreck auch keine Lust mehr zum Feiern verspürten, traten sie allesamt den Heimweg an. Ain und Elohim kehrten zurück in die Heimat, Nastasja und Elion brachten den immer noch bewusstlosen Dathan zum Auto. Frederica, die immer noch ein wenig sauer auf Beyond war, sprach die meiste Zeit kein Wort und ihre schlechte Stimmung entging den beiden durchaus nicht. Geschlagen seufzte der Serienmörder. „Es tut mir ja leid, dass ich dich mit ihm verkuppeln wollte. Aber in der Situation hab ich einfach keine bessere Lösung gefunden, bevor der uns noch die ganze Welt zerstört hätte.“ „Glaubst du etwa, ich wüsste das nicht?“ fragte das Albinomädchen. „Natürlich ist mir klar, dass die ganze Welt auf dem Spiel steht. Aber da darf ich ja wohl trotzdem noch das Recht haben, sauer zu sein, weil ich dafür herhalten muss.“ „Findest du ihn denn so schlimm?“ „Er ist ganz anders als ich und allein schon als ich ihn nach seinen Hobbys gefragt habe, wollte ich nur noch weg. Da sind einfach keine Gemeinsamkeiten vorhanden! Ich glaube echt nicht, dass das wirklich funktioniert. Und überhaupt: ich will einfach keinen Freund. Ich hatte eigentlich vorgehabt, Single zu bleiben.“ „Wieso denn eigentlich?“ fragte Rumiko verständnislos. „Du bist doch ein hübsches Mädchen und hast einen tollen Charakter. Wieso willst du denn da keinen Freund?“ „Weil ich Besseres zu tun habe“, erklärte das Albinomädchen kurz und knapp und schien offenbar nicht weiter darauf eingehen zu wollen. Aber die ehemalige Lehrerin blieb hartnäckig. „Ja und? Ich hab zwei Jobs, zwei Kinder und bin trotzdem mit Jamie glücklich verheiratet. Nicht alle Männer sind Schweine, wenn es das ist, was dich davon abhält. Und das sagt dir eine Frau, die eine Abneigung gegen heterosexuelle Männer hat!“ „Ich habe es nun mal nicht nötig, mit dem nächstbesten Kerl auszugehen.“ „Stehst du etwa auf Frauen?“ Entgeistert starrte das Albinomädchen die Halbjapanerin an und wurde rot um die Wangen. „Nein!“ rief sie laut. „Wie kommst du jetzt auf den Unsinn?“ „Hätte ja sein können.“ „Hätte, hätte, Fahrradkette. Ihr alle veralbert mich schon die ganze Zeit, nur weil ich Single bin. Ich verstehe einfach nicht, warum das für euch alle so ein großes Thema ist. Warum diskutiert denn niemand, wann L und Beyond mal endlich heiraten wollen.“ „Ganz einfach: weil alle wissen, dass wir beide keine Lust auf den ganzen Quatsch haben.“ Hier aber blickte Beyond den Detektiv an und meinte dann nach kurzem Zögern „Ach… wenn ich so darüber nachdenke… so schlecht ist das doch gar nicht. Jetzt nicht mit dem ganzen Drumherum. Aber jetzt, wo ich so darüber nachdenke, verstehe ich so langsam, warum alle heiraten.“ L warf ihm einen ungläubigen Blick zu und konnte nicht wirklich glauben, was er da hörte. „Hast du Fieber oder so?“ Und um sicherzugehen, legte er eine Hand auf Beyonds Stirn, stellte aber nichts Ungewöhnliches fest. Der BB-Mörder verneinte diese Frage und meinte nur „Ach vergiss es.“ Aber man hörte schon, dass er ein kleines bisschen gereizt war. Rumiko ahnte insgeheim schon, dass es darauf hinauslaufen würde, dass sie nachher mal wieder die Streitschlichterin spielen durfte. Wie so oft schon… Ajin hatte es sich auf seinem Diwan bequem gemacht und dachte nach. Er war unruhig und das passte eigentlich gar nicht zu ihm. Und das merkte auch seine Enkelin Teruma, die ihn besuchen gekommen war. „Großvater, was ist denn mit dir los? Du wirkst irgendwie so komisch.“ Er setzte sich auf und legte einen Arm um seine älteste Enkelin. Er tätschelte ihren Kopf, so wie er es früher getan hatte und lachte. „Ach weißt du, irgendwie ist die Sache echt verrückt. Ich wollte die Menschenwelt auslöschen und damit endlich diesen ganzen Terz in der Shinigamiwelt beenden und was ist? Da haut mir dieses Mädchen eine rein.“ Teruma konnte es nicht glauben und sah ihn verblüfft an. „Wie? Ein… ein Mädchen hat dich geschlagen und du hast dir das gefallen lassen?“ „Komischerweise ja. Aber sie war eben verdammt süß.“ Noch nie hatte Teruma von Ajin solche Worte gehört. Aber dann begann sie zu ahnen, was die Ursache war und kicherte. „Ich glaub es ja nicht. Sag bloß, du hast dich verliebt.“ „Ich kann es ja auch nicht glauben“, gab Ajin zu und lehnte sich mit einem leisen Seufzer zurück. „Und das irritiert mich so dermaßen, dass mir selbst die Lust aufs Fluchen vergangen ist.“ „Das merkt man sofort. Und ich dachte schon, du wärst krank.“ „Mach dich nicht lächerlich. Ich kann doch gar nicht krank werden. Aber erzähl schon, was führt dich denn überhaupt hierher?“ „Na ich wollte doch mal hören, wie es meinem kleinen Bruder geht.“ „Ach, der fühlt sich sauwohl. Der hat ja diese Menschenfrau an seiner Seite und scheint damit zufrieden zu sein. Allerdings ist er ein verdammter Schwächling, wie sich herausgestellt hat, also hab ich mal ein wenig nachgeholfen. Wenn der Junge schon seine Familie und seine Welt beschützen will, dann auch richtig. Ansonsten kann der sich ja nicht mal gegen die Sefirot behaupten und das könnte spätestens dann zum Problem werden, wenn die nächste Splittergruppe meint, sie müsste Jagd auf euch machen.“ „Dann wolltest du ihm also helfen?“ „Blöde Frage“, entgegnete Ajin. „Noch mal lasse ich nicht zu, dass sie euch etwas tun. Und deshalb braucht dein kleiner Bruder auch seine Kraft für den Moment, wo es erneut gefährlich wird. Aber nun… irgendwie scheint alles komplett in eine Richtung zu laufen, wie ich sie nicht erwartet hatte. Ich wollte die Welt zerstören, um die Unruhe in der Shinigamiwelt zu beenden. Und ich wollte meinen jüngsten Enkel nach Hause holen. Aber jetzt scheint es so, als würde alles in eine völlig andere Richtung verlaufen. Statt die Probleme der Shinigami zu lösen und meinen Enkel endlich nach Hause zu holen, will ich unbedingt dieses Mädchen. Zum ersten Mal gibt es da jemanden, der mir wichtiger ist als meine Familie. Ich kapier’s nicht.“ „Dass du mal überfragt sein könntest, wundert mich wirklich. Aber wenn dir dieses Mädchen so wichtig ist, dann solltest du sie dir schnappen. Vielleicht bist du dann nicht mehr ganz so griesgrämig, Großvater.“ „Pass ja auf, was du sagst. Sonst gibt es gleich richtig Rabatz hier!“ Kapitel 6: Der erste Versuch ---------------------------- Eigentlich wollten L und Beyond ausnahmsweise ein bisschen länger im Bett bleiben, nachdem sie den letzten Fall so gut gelöst hatten. Nach den letzten schlaflosen Nächten und der vielen Arbeit hatten sie sich das auch verdient. Und außerdem war ihre gemeinsame Nacht etwas lang geworden und nun wollten sie noch ein wenig die Ruhe genießen, wozu sie aber nicht kamen, denn da riss sie ein lautes „AUFWACHEN IHR WICHSCONTAINER!!!“ aus dem Halbschlaf und diese laute Stimme schreckte sie so auf, dass Beyond aufschrie und ihm fast das Herz stehen blieb und L fiel direkt aus dem Bett. Ein giftgelbes Augenpaar starrte böse funkelnd auf sie herab und als sich die beiden Schlaftrunkenen die Augen rieben, da erkannten sie Ajin, der mit verschränkten Armen und überkreuzten Beinen da saß. Oder besser gesagt… er schwebte viel mehr in der Luft. „Seit wann bist du hier im Zimmer?“ „Seit drei Stunden. Irgendwann ist mir langweilig geworden, euch beiden beim Pennen zuzuschauen, da hab ich einem von euch die Fingernägel angepinselt.“ Beyond sah nach und bemerkte sofort, dass L tatsächlich rot lackierte Fingernägel mit Glitter hatte. Und dieser war alles andere als begeistert darüber, aber Ajin konnte sich ein breites Grinsen und ein amüsiertes Kichern natürlich nicht verkneifen. Der Serienmörder seufzte genervt. „Wie zum Teufel bist du hier überhaupt reingekommen?“ „Beyond, er kann durch Wände gehen, schon vergessen?“ kam es von L, der sich wieder ins Bett verkriechen wollte. Ajin nickte und betonte „Falls du es schon vergessen haben solltest: Ich bin Gott. Ich weiß, kann und darf alles. Und jetzt hopp! Ich hab ein Mädchen zu erobern und ihr zwei Halbbomber könnt eure Analpolonaise auf später verschieben. Mein Problem ist wichtiger, also zack, zack!!!“ L sah erst Ajin mit einem tödlichen Blick an, dann wandte er sich Beyond zu und grummelte „Mach du das, ich bleib im Bett.“ „Was? Wieso denn ausgerechnet ich?“ „Weil du uns diesen Schwachsinn doch erst eingebrockt hast. Also gehst du das auch gefälligst ausbaden.“ Damit schmiss L Beyond aus dem Bett und ging selbst wieder schlafen. Beyond verschwand kurz ins Bad und sah dabei auf die Uhr. Es war 5 Uhr morgens. Als er das sah, wandte er sich genervt an den ungebetenen Gast. „Um die Uhrzeit weckst du uns auf?“ „Hey, ich wollte mich mit ihr heute zum Date verabreden und du hast mir gefälligst dabei zu helfen, Äffchen.“ „Ja aber doch nicht so früh, verdammt. Jeder halbwegs vernünftige Mensch schläft um die Uhrzeit noch, wenn er nicht gerade Schichtarbeiter ist. Und ich bin kein Äffchen!“ „Interessiert mich nicht.“ „War klar…“ Da Frederica um die Uhrzeit noch schlief, ging Beyond nach einer kurzen Dusche in die Küche und machte sich einen Kaffee um wach zu werden. Er war noch ziemlich müde und fragte auch schließlich, warum Ajin so früh auf der Matte stand. Die Antwort war einfach. „Ich brauche im Gegensatz zu euch keinen Schlaf. Ich mache es aber trotzdem, wenn mir danach ist. Das kann schon mal ein paar tausend Jahre dauern. Dafür bin ich aber auch wiederum Milliarden Jahre wach. Je nachdem, ob was Interessantes passiert oder nicht. Wenn nicht, schlaf ich einfach weiter.“ Na toll. Dann heißt das also, wir müssen ihn auch nachts ertragen, oder wie darf ich das verstehen? Müde gähnte der Serienmörder und genehmigte sich schließlich ein Glas Marmelade. Ajin aß ein Stück Cheesecake, wobei es ein Rätsel blieb, woher er das denn schon wieder hatte. „Also erzähl mal, worauf stehen eure Weibchen denn so und wie springt man denn vernünftig mit denen um?“ „Erstens: sie niemals Weibchen nennen, zweitens: sich nicht wie ein Vollarsch aufführen so wie gestern. Wenn du mit ihr auf ein Date willst, dann sollte es für den Anfang etwas einfaches sein. Einen Kinobesuch zum Beispiel.“ „Und das ist alles?“ rief Ajin entgeistert. Da hatte er sich deutlich mehr vorgestellt und irgendwie kam ihm das wie die reinste Mogelpackung vor. „Und wann wird gefummelt?“ „Wahrscheinlich nie, wenn du dich nicht zusammenreißt. Aus Erfahrung mit meiner Adoptivschwester kann ich dir sagen, was für Typen bei den Frauen keine Chance haben. Und das sind ungepflegte Nerds, Machos und Paschas, vulgäre Schläger, notorische Fremdgeher und Typen, die noch bei Mutti wohnen und sich von ihr die Socken bügeln lassen. Und vor allem hassen sie Typen, die nur das Eine wollen und komplett triebgesteuert sind. Es sei denn, die Frau ist eine Nymphomanin. Der letzte Kerl, der Rumiko an die Wäsche wollte, kam mit einem Hodenbruch und einer ausgekugelten Schulter ins Krankenhaus.“ „Ja schon klar. Ich hab Frederica schon versprochen, dass ich meine Hände bei mir behalten werde.“ „Und bitte keinen so grottenschlechten Spruch wie gestern. Keine Frau will hören, dass sie ein gebärfreudiges Becken hat.“ „Und was ist mit Ich bin vom TÜV, darf ich deine Hupen testen?“ Wenn Beyond nicht wüsste, dass das wirklich ernst gemeint war, dann hätte er längst laut losgelacht. Zugegeben, er hatte auch nicht die größte Ahnung, welche Sprüche am besten bei Frauen funktionierten, aber selbst er würde nie und nimmer so etwas gerne hören. Keiner würde das, es sei denn, die Frau war komplett hirnamputiert und verzweifelt. „Lass das lieber“, riet er nur und erklärte „Wenn du Frederica schon Komplimente machen willst, dann versuch mal was einfaches. Vielleicht, dass sie schöne Augen hat oder sie eine tolle Frisur hat… So etwas in der Art eben. Ach ja… Bei einem Date bezahlt immer der Kerl.“ „Pfft… und wo liegt da die Gleichberechtigung?“ „Frauen definieren die Emanzipation so, dass letzten Endes die Männer um Gleichberechtigung kämpfen müssen.“ „Ihr Menschen habt doch allesamt einen an der Waffel. Da seid ihr mir als primitive Höhlenmenschen, die nur „Ugh“ und „Booga“ sagen konnten, deutlich lieber gewesen.“ „Ich verstehe, was du meinst… Aber jedenfalls solltest du dich zurückhalten und dich nicht ganz so überheblich aufführen. Dieses Ich bin Gott, ich bin das Zentrum der Welt kommt bei niemandem gut an.“ „Aber es stimmt doch. Und früher haben die Frauen drauf gestanden.“ „Vor 2000 Jahren vielleicht und da haben sie den letzten Kerl umgebracht, der sich Gott oder Gottessohn geschimpft hat. Manche Frauen kaufen es ja noch ab, wenn man sich als reicher Geschäftsmann, als Astronaut oder als Promi ausgibt. Aber keiner kauft es dir ab, wenn du herumposaunst, dass du Gott bist. Wirklich alles ist realistischer und glaubwürdiger als das. Viel eher würde man denken, du bist aus einer Sekte oder aus einer Nervenheilanstalt ausgebrochen. Und zwischen den beiden liegt auch nicht sonderlich viel Unterschied.“ „Und als was soll ich mich dann ausgeben? Als Pornostar?“ Beyond klatschte sich die Hand vor die Stirn. Oh Gott, wie konnte man nur so dämlich sein? Das machte dieser Kerl doch mit Absicht… „Frederica weiß schon, dass du Gott bist, da brauchst du dich nicht als Pornostar ausgeben. Das ist übrigens auch keine sonderlich gute Idee, um auf Weiberfang zu gehen, es sei denn, du bist auf einen One Night Stand aus. Lad sie am Besten erst mal ins Kino ein. Das ist ein guter Anfang und da kann man nicht allzu viel falsch machen.“ „Und wann geht es richtig zur Sache?“ „Jedenfalls nicht nach dem ersten Date. So wie du dich gestern aufgeführt hast… Frederica will eigentlich gar keinen Freund, aus welchem Grund auch immer und sie ist da sehr zurückhaltend. Dementsprechend wird das noch eine harte Nuss werden. Trag nicht so dick auf, dann wird das schon werden.“ Ajin hörte sich das alles an und nickte zwischendurch, aber sonderlich überzeugt klang er nicht. „Sag mal, hast du irgendwelche positiven Eigenschaften, mit denen du punkten kannst, außer dass du Gott bist und deine Macht genauso grenzenlos ist wie dein Ego?“ „Willst du mich gerade beleidigen?“ „Nein, aber es muss doch irgendetwas geben, was nicht ganz so abschreckend auf andere reagieren könnte.“ „Pah, die sind doch nur abgeschreckt, weil sie von meiner Allmächtigkeit eingeschüchtert sind.“ „Ja…“, meinte Beyond ironisch. „Daran wird es wohl liegen.“ Sie diskutierten noch knapp zwei Stunden weiter, bis L schließlich aufstand und kurz darauf war ein lautes „Guten Morgen!“ zu hören, als Frederica die Treppe hochkam. Sie bewohnte die untere Etage und war meistens um 7:30 Uhr da. Wenn es einen schwierigen Fall gab, arbeitete sie auch nachts und schlief dann tagsüber ein wenig. Dieses Mal war sie schon etwas früher aufgestanden und war auch schon beim Bäcker gewesen. „Ich hab uns Brötchen mitgebracht und…“ Sie verstummte, als sie Ajin und Beyond zusammen in der Küche sah. Vor Schreck ließ sie die Brottüte aus der Hand fallen, doch Ajin stoppte einfach den Fall und ließ diese unversehrt auf den Tisch wandern. „Hallo Prinzessin! Ist es hier drin wirklich so heiß, oder bist du das?“ grüßte er sie mit einem verführerischen Lächeln. „Na? Hat’s wehgetan, als du vom Himmel gefallen bist?“ Am liebsten hätte sich Beyond die Hand vor die Stirn geschlagen. Wie konnte sich ein Gott nur so katastrophal anstellen, wenn es um das Flirten mit Frauen ging? Irgendwie schien der Kerl wirklich keine Ahnung zu haben. Und so langsam tat es ihm für Frederica leid, dass sie das alles ausbaden und diesen Kerl ertragen musste. „Na Baby“, sagte er nun und stand auf, dann kam er näher. Frederica sah eher danach aus, als wolle sie vor einem potentiellen Triebtäter flüchten und als wäre sie zu sehr vor Angst erstarrt. „Wie wäre es mit einem romantischen Kinoabend, nur wir zwei Hübschen?“ Das Albinomädchen brachte erst keinen Ton hervor und hätte wohl am liebsten abgelehnt. Doch sie schluckte all das runter und zwang sich zu einem Lächeln. „Gerne. Wie spät sollen wir uns treffen?“ „Ich hol dich so gegen 18 Uhr ab.“ Damit zwinkerte ihr verführerisch zu und Frederica lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ajin verabschiedete sich schließlich, da er bei seinem Enkel nach dem Rechten sehen wollte und verschwand einfach durch die Wand. Nun musste sich die 445-jährige erst mal setzen. „Hilfe“, murmelte sie. „Ich glaube mir wird gerade ganz schlecht…“ „Zugegeben, in Sachen Flirten muss er wirklich mehr Nachhilfe bekommen. Aber er gibt sich jedenfalls Mühe.“ „Trotzdem mag ich seine Art nicht.“ Wenig später kam L schließlich dazu und wünschte beiden einen guten Morgen und fragte sogleich nach, was der kurze Unterricht mit Ajin ergeben hatte. „Er hat Frederica zum Kino eingeladen. Da kann ja nicht sonderlich viel schief gehen. Hoffe ich zumindest.“ Sonderlich überzeugt klang Beyond aber nicht dabei. Und auch L und Frederica waren sich nicht ganz so sicher, ob auch wirklich alles glatt laufen würde. Aber um der Zukunft der Welt willen würde sie das trotzdem durchziehen. „Warum musste er sich ausgerechnet in mich verlieben?“ fragte Frederica und seufzte geschlagen. „Es gibt so viele andere Frauen auf der Welt und ausgerechnet mich muss es erwischen. Womit habe ich das nur verdient?“ Am Abend kam Ajin pünktlich um 18 Uhr vorbei, um Frederica abzuholen. Diese versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie viel Überwindung es sie kostete. L und Beyond ließen es sich natürlich nicht nehmen, den beiden heimlich zu folgen und zu sehen, was sich denn ergab. Und ehe sie sich versahen, waren sie auch schon in Gesellschaft von Anne, Kenan, Elion und Ezra. Auf Fragen hin, wieso sie hier waren, erklärte Ezra „Na wir wollen sehen, was bei Beyonds Schnapsidee herauskommt“, während Anne gar nichts sagte und stattdessen Kenan erklärte, dass er unbedingt sehen wollte, wie es ist, wenn sich zwei ineinander verlieben. Na darauf konnte der Junge noch lange warten, so wie es aussah. Als sie sahen, dass die „Zielpersonen“ das Kino ansteuerten, schüttelte Ezra nur den Kopf und wandte sich an Beyond. „Noch einfallsloser ging es wohl nicht, oder?“ „Ach und du weißt das natürlich besser.“ „Na ich hab jedenfalls mehr Ahnung als du“, entgegnete der 16-jährige selbstbewusst und blieb auch bei seiner Meinung. Sie folgten auf sicherem Abstand und gerieten dabei in eine Diskussion. „Ach ja?“ fragte Beyond schließlich. „Und was sollen die beiden deiner Meinung nach machen?“ „Na vielleicht irgendetwas, das Frederica gerne macht. Elion und ich machen das auch immer so. Wenn wir auf Dates gehen, dann überlegen wir uns auch, was dem anderen Spaß machen könnte. Kino ist das Langweiligste, was man sich für ein Date aussuchen kann.“ „Und wieso?“ „Wie sollen die denn ins Gespräch kommen und sich besser kennen lernen, wenn sie sich den Film ansehen müssen? Und je nachdem in was für einen Film sie reingehen, wird das noch in einer Vollkatastrophe enden. Oder wie siehst du das, Elion?“ Der Proxy überlegte kurz. Er kannte Frederica schon seit Jahren und wusste deshalb auch, was sie liebte und was sie nicht mochte. Und er musste zugeben, dass Ezra gar nicht mal so falsch lag mit seinen Ansichten. „Es stimmt schon“, sagte er schließlich. „Wenn es mit den beiden klappen sollte, dann sollte Ajin lernen, mehr auf Fredericas persönliche Wünsche einzugehen und nicht immer sich selbst ins Zentrum zu stellen. Aber wer weiß. Vielleicht klappt es ja auch so.“ „Glaub ich eher nicht“, murmelte Ezra. „Ich wette, das wird ziemlich in die Hose gehen.“ „Okay, wie viel?“ Sie drehten sich um und sahen, dass noch Oliver, Nastasja, Rumiko, Eva, Levi, Andrew, Sheol und Jeremiel dabei waren, die offenbar auch sehen wollten, ob es tatsächlich funktionierte. Ja sogar Delta war dabei, der offenbar gerade nichts Besseres zu tun hatte und natürlich unbedingt sehen musste, was zwischen den beiden ging. Ungläubig sah Beyond die versammelte Mannschaft an und fragte „Äh… veranstaltet ihr hier irgendwie gerade ein Kaffeekränzchen, oder was soll der Auflauf?“ „Na wir wollen doch auch sehen, ob es zwischen denen funktioniert oder nicht. Wir sind eben neugierig.“ „Ihr habt doch den Schuss nicht gehört.“ „Ach ja? Und was macht ihr dann hier?“ „Touchè…“ „Also was ist?“ fragte Nastasja erneut. „Wer hat Lust auf eine kleine Wette?“ Da es wenigstens auf diese Weise etwas unterhaltsamer werden würde, erklärten sich alle einverstanden und begannen ihre Wetteinsätze zu machen. Dabei wurde diskutiert, ob das erste Date funktionieren würde und wenn nicht, wie lange es dauern würde, bis es in einer Katastrophe endete. Nur Levi schüttelte den Kopf und meinte „Na ihr habt ja Nerven, dass ihr in so einer ernsten Situation Wetten abschließt.“ „Irgendwann gewöhnt man sich daran“, erklärte Oliver. „Wir haben schon so viele heftige Sachen erlebt und alles ist gut gegangen, da stumpft man irgendwann ein wenig gegen so etwas ab.“ Daraufhin sagte der ehemalige Head Hunter nichts mehr. Frederica war immer noch ein wenig mulmig zumute, sagte aber nichts und als sie das Kino erreichten, sah sich Ajin an, was alles lief und entschied sich dann für einen Horrorfilm. Ein sehr blutiger und brutaler Slasher, der der armen Frederica mehr als auf den Magen schlug. Ajin selbst schien sich jedoch köstlich zu amüsieren und es eher als eine Art Komödie anzusehen, denn immer, wenn jemandem die Eingeweide herausgerissen, der Kopf abgesägt wurde oder irgendetwas anderes Brutales folgte, brach er in ein so lautes Gelächter aus, dass einigen wirklich die Frage ins Gesicht geschrieben stand, was denn mit dem Kerl bloß los war. Teilweise wurden sogar Beschwerden gegen ihn laut. Und als dann auch noch eines der Kinder in dem Film auf besonders grausame Art und Weise sterben musste, da wurde es Frederica endgültig zu viel. Vor allem, weil ihre „Begleitung“ sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen konnte. Sie wollte sich das nicht eine Sekunde länger mit ansehen und ging nach draußen. Ajin folgte ihr wenig später und fragte, was denn los sei und wieso sie gegangen war. Frederica, die zwar vieles aushalten konnte, die aber so ein Blutbad nicht mit ansehen konnte, wandte sich von ihm ab und erklärte „Du findest es ja vielleicht lustig, wenn andere so brutal sterben müssen, aber ich kann nicht über so etwas Ernstes lachen, okay? Ich frage mich langsam, wie man nur so sein kann, dass man sich darüber amüsiert, wenn andere mit einer Kettensäge zerstümmelt werden.“ „Meine Güte, das war doch alles nicht echt. Du nimmst das viel zu persönlich.“ „Hast du eine Ahnung!“ rief sie. „Ich habe in den vergangenen 445 Jahren genug erlebt und gesehen, was die Menschen alles getan haben, da muss ich mir so etwas nicht auch noch auf der Kinoleinwand ansehen!“ „Du nimmst das alles zu persönlich“, wiederholte der Unvergängliche mit den giftgelben Augen. „Glaubst du ernsthaft, das hört auf? Nein, das tut es nicht. Es wird immer diese Gemetzel geben und wenn man lange genug lebt, dann stumpft man eben dagegen ab. Und es ist ja nur ein Film und bei dem ist niemand zu Schaden gekommen.“ „So will ich ganz sicher niemals werden, dass mir der Tod anderer vollkommen egal wird, so wie dir.“ Damit wollte sie gehen, doch Ajin hielt sie am Arm fest und als sich ihre Blicke trafen, da sah Frederica, dass er auf einmal viel ernster war. Es lag nicht mehr dieses Abgehobene und Selbstgefällige in seinem Blick, sondern er schien mit einem Male näher zu sein… und menschlicher. „Lass dir mal eines gesagt sein, Mädchen. Es ist mir ganz gewiss nicht egal, wenn jemand stirbt, der mir wichtig ist. Aber es ist nun mal Fakt, dass der Tod unvermeidlich und ein Teil des Lebens ist. Egal ob du vergänglich oder unvergänglich bist. Und als Verkörperung des Nichts ist es nun mal mein gottverdammter Job, diesen Kreislauf zu bewahren und dafür zu sorgen, dass alles seinem vorbestimmten Weg nachgeht. Es gibt Dinge, die unvermeidlich sind. Sowohl der Tod, als auch das Leben. Und als Entität stehen wir über diesen Gesetzen und bewahren sie, um die höchste Ordnung zu gewährleisten. So und jetzt verklickere ich dir mal was: wenn man schon so viele Tode miterlebt hat, dann stumpft man halt irgendwann dagegen ab und wenn man sonst nichts Besseres hat, dann ist der Tod eben das beste Entertainment, was du kriegen kannst. Fakt ist: mir ist es scheißegal, ob sie den Vollhonks auf der Leinwand das Hirn durch die Nase rausziehen, sich gegenseitig die Ärsche mit der Kettensäge aufreißen oder einen auf Hexenverbrenner machen. Und überhaupt: es gibt genügend Menschen, die sich diesen Scheiß reinziehen, eben weil sie Spaß an so etwas haben.“ „Aber ich hab nun mal keinen Spaß daran, andere sterben zu sehen, okay? Ich kann über so etwas nicht lachen und ich kann auch die Leute überhaupt nicht verstehen, die meinen, sie müssten in Spielen andere töten.“ „Oh ich sehe schon. Du gehörst zu der Sorte, die meinen, dass Kiddies, die Shooter-Games zocken, zu Amokläufern werden, ne? Jetzt lass dir mal was sagen: zwischen Fiktion und Realität ist ein meilenweiter Unterschied und es geht eben nicht bloß ums Töten, sondern um den Adrenalinkick. Nur weil manche Leute Slasher lieben, werden sie doch nicht gleich die Nachbarskatze töten oder mit einem Maschinengewehr auf die Familie losgehen. Nun gut, ich akzeptiere es, dass du so etwas nicht sehen kannst. Mein Fehler, das gebe ich zu. Aber vielleicht solltest du mal deine Sicht ein wenig überdenken. Soll ich dich nach Hause bringen?“ „Nein danke, ich finde den Weg schon allein.“ Damit ging Frederica und ahnte nicht, was der Rest der Familie da heimlich veranstaltete. Sie war viel zu wütend und brauchte sowieso erst mal einen Spaziergang, um sich abzureagieren. Was fiel diesem Kerl bloß ein, sie in so einen Film zu schleifen und ihr so etwas zuzumuten? Der hatte sie doch nicht mehr alle. Doch auch wenn sie gerade furchtbar wütend war, so konnte diesen ernsten Blick nicht vergessen, mit dem er sie angesehen hatte. Irgendwie war er vollkommen anders gewesen, als sie ihm vorgeworfen hatte, dass ihn der Tod aller anderen völlig kalt ließ. Wenn sie ehrlich war, war sie wohl etwas ungerecht gewesen. Immerhin hatte Ajin seine Familie verloren. Seine Tochter, seine Enkel, seinen Schwiegersohn… Er mochte zwar ein Arschloch sein, aber man hatte gesehen, dass er Ain als seine Tochter sehr liebte und er hatte Dathan während des Dukravs zwar ziemlich verprügelt, aber er hatte ihm geholfen, seine wahren Kräfte freizusetzen. Und er ließ sich von Dathan auch Großvater nennen. Man konnte ihm so einiges vorhalten, aber seine Familie schien ihm sehr wichtig zu sein. Und sicherlich war auch der Tod seiner Familie nicht spurlos an ihn vorbeigegangen. Wahrscheinlich hatte er das damit gemeint, dass sie noch mal ihre Sichtweise überdenken sollte. Für ihn war der Tod etwas ganz Normales und deshalb ging er auch anders damit um. Und irgendwie hatte er ja Recht. Nur weil man sich solch brutale Filme ansah, hieß das noch lange nicht, dass man Spaß daran hatte, wenn Menschen im realen Leben starben. So langsam wich die Wut bei Frederica und sie seufzte geschlagen. „Ich glaube, ich muss mich morgen bei ihm entschuldigen…“ Kapitel 7: Schlechte Stimmung ----------------------------- Nachdem das erste Date komplett schief gegangen war, kam Ajin direkt am nächsten Morgen wieder vorbei und wie immer weckte er die beiden in seiner typischen Art und Weise auf. „Hey ihr Rosettenakrobaten! Aufstehen!“ Wortlos schubste L Beyond aus dem Bett und schlief weiter. Der Serienmörder landete unsanft auf seinem Hinterteil und fragte genervt „Wieso klopfst du nicht einfach an die Tür an?“ „Weil ich Gott bin. Ich bin Äonen lang ohne diese Scheißdinger ausgekommen und ich sehe nicht ein, warum ich jetzt anfangen sollte, sie zu benutzen.“ Da Frederica gerade einkaufen war und sie somit ungestört reden konnten, gingen sie ins Wohnzimmer, wo Ajin sich erst mal tierisch darüber aufregte, dass das gestrige Date nicht so gut verlaufen war, wie er sich das erst erhofft hatte. Beyond hatte sichtlich Mühe, ihn zu beruhigen, da klingelte es auch schon an der Tür und als Beyond nachsehen ging, standen Ezra und Elion auf der Matte. „Hey, wenn das mal nicht der Kampffussel und seine Nanny sind“, stichelte Ajin und grinste amüsiert. Ezra funkelte ihn böse an und wollte schon auf ihn losgehen, doch Elion hielt ihn zurück und verhinderte somit einen aufkommenden Streit. „Was gibt’s?“ fragte Beyond. „Braucht ihr Hilfe?“ „Wir sind eher gekommen um dir zu helfen“, erklärte der Proxy und kam nun zusammen mit Ezra herein. „Da der gestrige Abend ja nicht so gut gelaufen ist, wollte Ezra dir ein paar konstruktive Tipps geben, wie ein Date richtig läuft.“ „Aha und ihr zwei wollt also mehr Ahnung haben?“ „Na jedenfalls mehr als du!“ erklärte Ezra und setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch und Elion nahm neben ihm Platz. „Das mit dem Kino war doch echt eine dumme Idee gewesen. Wenn du mit Frederica zusammenkommen willst, müsst ihr euch erst mal besser kennen lernen. Deshalb würde ich sagen, ihr solltet irgendetwas machen, wo ihr mal ins Gespräch kommt.“ „Soll ich sie also doch zum Essen ausführen?“ „Bei deinem Benehmen würde es eher schwierig werden. Warum macht ihr nicht einfach einen Abstecher ans Meer? So habt ihr Ruhe und könntet das alles wieder in Ordnung bringen.“ „Da klingt doch selbst der Kinobesuch besser“, knurrte der Unvergängliche schlecht gelaunt und verzog beleidigt die Miene. „Und hinterher läuft sie noch vor lauter Langeweile weg, was?“ „Das wird schon klappen“, versicherte Ezra, doch Beyond hatte da eine andere Idee und meinte „Geh doch mit ihr in den Vergnügungspark. Frederica liebt doch so was.“ „Ja aber bei einem Date, wenn sie sich nicht mal richtig kennen?“ „Ach und du hast natürlich Ahnung. Du bist doch mit Elion zusammengekommen, bevor ihr überhaupt ein Date hattet.“ „Dasselbe gilt ja eigentlich auch für dich und L“, wandte Elion ein, um Ezra ein Stück weit in Schutz zu nehmen. „Und ihr habt nie ein richtiges Date gehabt.“ „Mag sein. Und ihr?“ „Wir haben jede Woche mindestens ein Date.“ „Wozu denn, wenn ihr doch sowieso schon zusammen wohnt?“ „Weil es uns eben wichtig ist.“ Hier merkte man, wie verschieden beide Paare waren. L und Beyond waren da eher die Unromantischen, die es nicht wirklich nötig hatten, sich gegenseitig mit Blumen und Pralinen zu nerven. Sie begnügten sich auch mit einer einfach gehaltenen Beziehung, während Elion und Ezra hingegen mehr für ihre Beziehung taten. Insbesondere Ezra brauchte das auch, weil diese gemeinsamen Momente mit Elion ihm besonders viel Kraft gaben nach all dem Ärger der letzten Jahre. Elion konnte ihn mit seiner guten Laune und seiner positiven Lebenseinstellung aufbauen und ihm Mut machen, wenn es dem 16-jährigen gerade nicht gut ging. Denn Fakt war, dass Ezra sich in einer schwierigen Phase befand. Er stritt sich mit seiner Adoptivmutter, lehnte sich gegen Regeln auf und war teilweise mit sich selbst überfordert und wusste nicht, wohin mit sich. Da hatte er nicht nur Schwierigkeiten mit seiner Adoptivmutter, er hatte auch manchmal einige Probleme in der Schule. Er sehnte sich manchmal diese Unabhängigkeit wieder herbei, wo er ganz alleine wohnte. Aber andererseits zweifelte er auch an sich selbst und war in einem Zwiespalt gefangen, was ihn zusätzlich verunsicherte. Da war Elion auch eine Art Rettungsanker für ihn, auf den er sich verlassen konnte. Der Proxy wusste genau, wie er mit Ezra umzugehen hatte. Er war geduldig, aufmerksam und strahlte die nötige Ruhe aus, die es brauchte, um einen so schwierigen Charakter wie Ezra richtig zu handhaben. „Ich kann wirklich nur raten, Ezras Vorschlag zu beherzigen“, riet der 28-jährige Proxy. „Frederica ist durch die gestrige Aktion noch weniger von der ganzen Geschichte angetan als vorher und ich denke, ein vernünftiges und offenes Gespräch würde euch beiden helfen.“ „Ich soll allen Ernstes über meine Gefühle reden?“ Elion nickte und immer noch sah Ajin alles andere als überzeugt aus. „Sehe ich vielleicht aus wie ein Weichei?“ „Dann lass es halt sein, wenn du es nicht ernst meinst“, sagte Ezra genervt und verschränkte die Arme. „Aber Fakt ist: wenn du nicht endlich mal etwas mehr Feingefühl zeigst, dann hat Frederica endgültig die Schnauze voll. Sie macht das in erster Linie nur deshalb, weil du sonst die ganze Welt zerstörst.“ Nun sagte der Unvergängliche nichts mehr, sondern schwieg eine Weile und dachte anscheinend nach. Dann schließlich nickte er und sagte „Okay ihr Klugscheißer, ich werde es mal mit dem versuchen, was der Fruchtzwerg da sagt.“ „Wie hast du…“ „Ezra, lass es lieber“, unterbrach Elion und hielt den 16-jährigen zurück. „Das bringt doch nichts.“ Trotzdem hätte der kurz geratene High School Schüler am liebsten ein paar Takte gesagt und Ajin eine reingehauen. Aber er hatte nicht miterlebt, wie gefährlich Ajin war und vor allem welche Macht er besaß. Da wäre es nur gefährlich gewesen, ihn nur noch mehr zu reizen. „Ich leih mir Frederica so gegen 13 Uhr aus. Währenddessen bin ich in China. Ich hab grad Hunger auf Pekingente.“ Mit diesen Worten verschwand Ajin durch die Wand und damit war er fort. Wenig später kam Frederica mit den Einkäufen zurück und war überrascht, Ezra und Elion hier zu sehen. „Was macht ihr denn hier? Habt ihr keinen Unterricht?“ „Die Vorlesung bei Professor Brockheimer ist ausgefallen und an der High School ist heute eine Lehrerkonferenz, weshalb er und Sheol heute schulfrei haben. Wir sind aber auch gleich weg, weil wir heute ins Einkaufszentrum gehen wollten.“ Damit verabschiedeten sich die beiden und gingen. Damit wandten sich L an die 445-jährige und sagte ihr Bescheid, dass Ajin sie um 13 Uhr abholen würde. Sie nahm es ein wenig resigniert an, nickte nur und ging in die Küche, um die Einkäufe auszupacken. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie nicht begeistert war, aber auch etwas anderes schien sie zu beschäftigen. Sie hielt den Blick gesenkt und so fragte L nach. „Was ist los mit dir? Ist es dir so zuwider, ihn zu treffen?“ „Das ist es nicht“, murmelte sie und seufzte. „Ich hab ihn wohl gestern etwas vor den Kopf getroffen, als ich ihm gesagt habe, ihm wäre der Tod anderer vollkommen egal. Und das hat ihn wahrscheinlich ziemlich verletzt. Wie… wie war er denn drauf, als er hier war?“ „So wie immer. Laut, vulgär und sehr von sich überzeugt. Aber er hat auch nichts in der Art angedeutet, dass du ihm irgendetwas gesagt hast, was ihn verletzt hätte. Stattdessen ist er immer noch wild entschlossen, mit dir zusammenzukommen.“ Das schien Frederica etwas zu beruhigen und sie lächelte schwach. Sie hatte schon ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie ihm so etwas gesagt hatte, wo Ajin doch zuerst seine Tochter, dann seine Enkelkinder und dann noch seinen Schwiegersohn verloren hatte. „Es ist nicht so, dass ich ihn hasse. Ich mag einfach nur seine überhebliche, rücksichtslose und provokante Art einfach nicht. Das ist alles.“ Nachdem alle Einkäufe ausgepackt waren, begann Frederica nun damit, das Essen vorzubereiten. Sie ging wie immer gewissenhaft ihrer Arbeit nach, aber sie war sehr nachdenklich und still und das bereitete L Sorgen. Denn das war eigentlich nicht Fredericas Art. Für gewöhnlich war sie fröhlich und redselig und verbreitete gute Laune. Aber seit Ajins Auftauchen war sie neben der Spur und irgendetwas beschäftigte sie, worüber sie aber nicht reden wollte. „Ist da noch irgendetwas anderes, was dir Kopfschmerzen bereitet?“ „Nein“, antwortete das Albinomädchen und band sich ihre schneeweißen Haare zu einem Zopf zusammen. „Es ist alles in Ordnung, wirklich. Es ist nur diese Verkupplungsgeschichte, die für mich nicht gerade amüsant ist.“ „Hör mal“, sagte L schließlich und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Wenn es so schlimm für dich ist, dann werden wir versuchen, eine andere Lösung zu finden. Uns bleibt ja immer noch die Möglichkeit, Ain und Elohim um Hilfe zu bitten. Vielleicht finden sie ja einen anderen Weg, um Ajin von seinem Plan abzubringen.“ „Es geht schon“, versicherte Frederica erneut, wobei ihr Ton aber schon fast etwas Gereiztes annahm. So entfernte sich L wieder und fragte sich, was denn mit Frederica los war. Na hoffentlich legte sich das bald wieder, denn er machte sich schon Sorgen um sie. Für ihn war Frederica wie eine Schwester. Sie hatte sich damals liebevoll um ihn gekümmert, wenn seine Eltern arbeiten mussten und sie hatte ihr Leben geopfert, um ihn und die anderen zu beschützen. In solchen Momenten kristallisierte sich sehr stark heraus, dass sie sowohl zu Andrew, als auch zu Eva viele Ähnlichkeiten hatte. Sie war ein sehr liebevoller Familienmensch und würde für ihre Familie jedes Opfer bringen. Sogar den eigenen Tod würde sie in Kauf nehmen. Aber sie war auch ein sehr sensibler und unsicherer Charakter. Sie verschwieg ihre Schwächen und versuchte ihre Unsicherheit zu überspielen, um niemandem zur Last zu fallen. Ihre Selbstlosigkeit war da manchmal ziemlich ungesund für sie selbst. „Also L, was willst du heute zum Dessert haben?“ „Überrasch mich.“ „Okay. Ich glaube, ich hab da auch schon was. Ich wollte mich mal selbst an einem Parfait versuchen und ich glaube, es ist mir sogar ganz gut gelungen.“ „Frederica?“ Das Albinomädchen wandte sich Beyond zu und in diesem Moment lag irgendetwas in ihrem Blick. Irgendetwas Verletzliches und in sich Gekehrtes. „Du musst nicht denken, du müsstest alles ertragen. Du kannst auch mit uns reden. Ganz egal, was es ist.“ Sie versprach es, aber insgeheim wusste L schon, dass Frederica es nicht sagen würde. Stattdessen würde sie es einfach für sich behalten und so tun, als wäre alles in bester Ordnung. So machte sie das Essen und dann im Anschluss das Dessert und war völlig in Gedanken versunken, als sie plötzlich eine Stimme hinter sich hörte. „Na hallo. So wie du aussiehst, hast du ja nur auf mich gewartet, was?“ Sie fuhr zusammen und drehte sich um, da sah sie auch schon Ajin, der sofort seine Hände hob um zu zeigen, dass er nichts Unanständiges vorhatte. „Nur nicht gleich erschrecken. Ich hab dieses Mal meine Hände bei mir gelassen.“ Laut atmete Frederica aus und sah auf die Uhr. Es war Punkt 13 Uhr. Also in Sachen Pünktlichkeit war er jedenfalls zuverlässig. „Du bist sicher wegen dem Date hier. Ich bin sofort fertig. Ich bring nur das hier noch eben zu Beyond und L, dann bin ich soweit.“ „Ist gut. Ich kann warten.“ Damit brachte Frederica den Nachtisch zu Beyond und L und gab ihnen Bescheid, dass sie jetzt weggehen würde. Dass schon heimlich die nächste Familienwette abgeschlossen wurde (die letzte Runde hatten Jeremiel und Nastasja gewonnen), wusste sie allerdings nicht. Und es war auch besser, wenn sie nicht davon erfuhr. Nachdem sich Frederica Jacke und Schuhe angezogen hatte, ging sie in Begleitung von Ajin nach draußen und gemeinsam machten sie sich auf dem Weg zum Hafen. Die Stimmung war nicht die beste und es herrschte eine Zeit lang beklemmendes Schweigen zwischen ihnen. Dann aber, als sie den Hafen erreichten und ein wenig spazieren gingen, seufzte Frederica geschlagen und senkte den Blick. „Ajin?“ Damit unterbrach sie das tiefe Schweigen und sah ihn mit ihren roten Augen an. „Ja?“ Er wandte sich ihr zu und sah zu ihr herab. Er war vom Körperbau fast genauso groß wie Liam, wenn auch er nicht dieselbe furchteinflößende Erscheinung besaß. Stattdessen waren es allein seine Augen, die auf andere beängstigend wirken konnten. Doch Frederica störte das nicht wirklich. Das einzig Unangenehme an ihm war seine Art. „Ich wollte mich entschuldigen für das, was ich gesagt habe. Dass ich dir an den Kopf geworfen habe, dass dir der Tod anderer vollkommen egal ist. Dabei hast du doch deine ganze Familie verloren und das war sicher schlimm genug für dich.“ „Schon gut, ich bin dir da auch nicht nachtragend“, winkte er ab und lehnte sich nun gegen das Geländer, wobei er aufs Meer hinaussah. Frederica tat es ihm gleich, „Was genau ist denn eigentlich dein Problem mit Männern?“ „Wie?“ fragte sie nun und war verwirrt. „Wie kommst du darauf, dass ich ein Problem mit Männern habe?“ „Vielleicht nicht direkt mit den Kerlen selbst, aber kaum, dass das Thema Beziehung im Raum steht, da wirst du auf einmal ganz still und verhältst dich komplett anders. Du gehst sofort auf Abwehr und ich weiß, dass das nicht nur an mir liegt.“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ „Ach ja? Nur zu deiner Information: Ich bin Gott und das sag ich nicht bloß, um zu prahlen. Ich verkörpere mehr als nur die Ewigkeit und die Grenzenlosigkeit, geschweige denn die Zerstörung. Ich bin das Nichts, der Anfang und das Ende aller Dinge. Selbst wenn alles zu Ende gehen sollte, so existiert immer noch das Nichts, weil es nichts mehr gibt. Damit verkörpere ich das Paradoxon des Seins und stehe damit über allen Dingen. Und deshalb habe ich auch die Macht über alle Dinge. Darum bleibt mir nichts verborgen. Auch nicht die Schuldgefühle, die dich davon abhalten, dich auf jemanden einzulassen.“ Frederica sagte nichts. Sie verkrampfte sich und wich seinem Blick aus. Auch wenn sie schwieg, ihr Körper sprach eine eindeutige Sprache. „Wenn du mal ehrlich zu dir selbst sein würdest, dann würdest du auch erkennen, dass du dich doch nach Nähe sehnst.“ „Wird das wieder irgendein Anmachversuch von dir?“ „Nein“, erklärte Ajin und war mit einem Male wieder so ernst wie gestern. Es war seltsam, ihn so zu erleben. Er wirkte da mit einem Male so anders und sie konnte nicht mal erklären wieso. „Ich sage nur, was Fakt ist. Du wehrst dich doch so sehr gegen den Gedanken an eine Beziehung, weil du dir selbst nicht verzeihen kannst.“ „Hör auf…“, kam es von Frederica und ihre Hände verkrallten sich am Geländer und sie biss die Zähne zusammen. Doch Ajin sprach einfach weiter, als hätte er ihr nicht zugehört. „Du kannst dir selbst nicht verzeihen, dass du vor 21 Jahren einen unschuldigen Menschen getötet hast.“ „HÖR AUF!“ rief Frederica und schlug zu. Wieder verpasste sie ihm eine Ohrfeige und Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Hör auf damit. Du hast doch keine Ahnung, wie es sich anfühlt zu wissen, dass man das Leben eines unschuldigen Menschen zerstört hat und Schuld daran zu haben, dass alle um mich herum ins Unglück gestürzt wurden. Hätte ich damals Joseph nicht getötet, dann wäre Alice Wammy nicht so geworden. Ich bin schuld daran, dass ich Wataris Tochter ins Unglück gestürzt und Nastasjas Familie in Gefahr gebracht habe. Wäre ich nicht gewesen, dann hätten so viele Menschen nicht sterben müssen.“ „Das ist doch totaler Nonsens“, erklärte Ajin und schien sich nicht sonderlich um die Ohrfeige zu scheren. „Nicht du hast Schuld, dass das Projekt in diese Richtung gelaufen ist und dass die Familie Lawliet zum Opfer fällt, hast du genauso wenig zu verantworten. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Alice Wammy so geworden ist. Du hast das getan, was Eva dir aufgetragen hat: deine Familie zusammenzuführen und sie zu beschützen. Dass Joseph Brown nicht die Ermordung der Familie Lawliet angeordnet hat, sondern lediglich Alice in Schutz nehmen wollte, konntest du nicht wissen. Wenn du ihn nicht getötet hättest, dann hätte es Alice getan, wenn Elohims Hass sie noch weiter vereinnahmt hätte. Und glaub mir: das wäre der Fall gewesen. Wie viel willst du denn noch büßen müssen, hm?“ „Wieso büßen? Wovon redest du?“ „Wer hat sich denn 20 Jahre lang so von diesem Psychopathen James malträtieren lassen und die ganze Zeit in Qualen ausgehalten, nur um dann zu sterben? Du hast genug ertragen und solltest dir langsam mal selbst verzeihen. Vor allem, weil Joseph und Alice doch jetzt ein neues Leben führen, nachdem ich ihnen den Neuanfang ermöglicht habe. Sämtliche Opfer von Projekt AIN SOPH haben eine neue Chance erhalten und sie sind glücklich und zufrieden mit dem, was sie jetzt haben. Anstatt also die ganze Zeit nur in der Vergangenheit zu leben, solltest du langsam mal damit aufhören, dir ständig die Schuld zu geben und dir dein eigenes Glück zu versauen.“ „Ach ja und du meinst jetzt auch noch, du könntest hier Therapeut spielen und mir Ratschläge zu geben. Dabei bist du doch selbst keinen Deut besser. Du hast ja nicht mal eine Ahnung davon, was es bedeutet, respektvoll mit anderen umzugehen. Ständig spielst du dich hier als Gott auf und prahlst damit, dass du alles kannst und weißt. Du schubst andere nur herum und schüchterst sie ein, nur weil du die Macht dazu hast und alle Angst vor dir haben. Aber weißt du was? Ich kann dir mal sagen, warum du so aggressiv drauf bist: du bist frustriert, weil du niemanden hast. Was glaubst du wohl, warum all das hier entstanden ist? Doch nur deshalb, weil du einsam warst und niemanden hattest, außer dir selbst. Dann ist Ain gestorben und du bist einfach gegangen und hast Elohim und die anderen zurückgelassen. Und jetzt? Jetzt bist du wieder alleine, weil alle ihr eigenes Leben haben und dieses Leben jetzt ohne dich führen. Was du da veranstaltest, ist doch im Grunde genau das Verhalten eines kleinen fünfjährigen Kindes, das um Aufmerksamkeit bettelt. Und das ist armselig.“ Ajin verstummte und betrachtete Frederica aufmerksam. Noch nie hatte jemand gesagt, dass er armselig war oder dass er einsam war. Er hatte sich selbst nie großartig darum gekümmert, wie er wirklich fühlte oder was der Beweggrund für seine ständigen Wutausbrüche waren. Er hatte es einfach auf den Ärger mit den Sefirot geschoben und auch auf die Probleme in der Shinigamiwelt. Aber war er wirklich so frustriert, weil er „einsam“ war? Die Einsamkeit hatte ihm nie etwas ausgemacht. Selbst damals nicht, als es außer ihm nichts anderes gab. Aber im Grunde hatte das alles nur deshalb anfangen können, weil er sich gefragt hatte, ob es denn auch etwas anderes geben könnte, als nur das Nichts. Er hatte sich zu fragen begonnen, ob es nicht vielleicht auch das „Alles“ geben könnte. Irgendwie… Aus diesem Gedanken heraus war Ain geboren worden. Sein Gegenstück… seine Tochter. Und als er zurückdachte, wie er, Ain und Elohim zusammengelebt hatten als Familie. Und die Kinder… Und dann Ains Tod. Zum ersten Mal hatte er erkannt, was der Tod bedeutete und wie schmerzhaft er sein konnte. Er hatte gelernt, was Trauer bedeutete und wie es sich anfühlte, jemanden zu verlieren, den man liebte. Und jetzt? Jetzt waren Ain und Elohim wieder da und sie herrschten über die Heimat, zusammen mit ihren Kindern. Sie hatten alle ihr eigenes Leben und kümmerten sich um andere. Und er? Er war allein. In dem Moment konnte Ajin nicht anders, als ungläubig darüber zu schmunzeln. Schon seltsam… obwohl ich Gott bin, scheint mich dieses Mädchen viel besser zu kennen, als ich mich selbst. Kapitel 8: Unsichere Gefühle ---------------------------- Es herrschte Stille zwischen ihnen und Ajin hatte wieder diesen nachdenklichen Blick, der irgendwie gar nicht zu der Person passen wollte, die Frederica auf der Hochzeitsfeier erlebt hatte. Sie hatte eigentlich erwartet, dass er laut und ausfallend wurde oder sich aufregte. Doch stattdessen wurde er ruhig und das war ihr irgendwie fremd. „Ja“, sagte er schließlich und lehnte sich über das Geländer, woraufhin er wieder aufs Meer hinaussah. „Da hast du vollkommen Recht. Gott ist verdammt einsam. Nachdem Ain während der Geburt meines siebten Enkels einfach gestorben ist, war das für mich der wohl schwerste Schlag, der mich je getroffen hat. Ich hab zum ersten Mal etwas verloren, das mir wichtig war und ich wollte daraufhin alles vernichten, um Ain wieder zurückzuholen. Aber ich habe es nicht getan, weil ich der Ansicht war, dass dies das Erbe meiner Tochter war und man es deshalb in Ehren halten sollte. Deshalb habe ich die Sefirot und ihre Welt verschont. Aber es tat mir einfach so weh zu wissen, dass Ain für immer fort war, dass ich einfach nur noch müde war und schlafen wollte. Und dann war auch schon der Krieg ausgebrochen, als ich wieder aufgewacht war und sowohl Elohim als auch meine Enkel waren fort. Nur Nivkha hatte überlebt und alles, was ich für ihn tun konnte war, dafür zu sorgen, dass er sicher in der Menschenwelt aufwachsen und versteckt unter den Asylanten leben konnte. Tja und seitdem bringt mich eben alles auf die Palme. Die Probleme der Sefirot und diese ganzen Bittsteller, weil alle meinen, ich müsste ihr Leben in Ordnung bringen, nur weil ich die Macht dazu habe. Wirklich alle wollen immer irgendwas von mir. Ich will ein einziges Mal erleben, wo jemand nicht sofort irgendetwas von mir verlangt.“ „Du willst jemanden, der dich so liebt wie du wirklich bist, nicht wahr?“ Ajin schwieg und atmete schließlich tief durch. „Naja“, sagte er schließlich und kratzte sich am Kopf. „Wie es scheint, ist unser Date wohl irgendwie zur Therapiesitzung geworden.“ Damit streckte er sich und sah aus, als würde er weitergehen wollen. Und das verwunderte Frederica etwas. Vor allem, weil er nicht auf ihre letzte Frage geantwortet hatte. „Ähm… wo willst du hin?“ „Zurück“, erklärte er nur. „Ich glaube, das macht keinen Sinn mehr, das alles noch weiter erzwingen zu wollen. Im Grunde machst du das ja nur, weil du deine Familie nicht im Stich lassen und weil du die Welt vor dem durchgeknallten Psychopathen schützen willst. Ich will dich nicht weiter quälen, so ein Arsch bin ich ja nun auch wieder nicht. Wenn du mir noch einen einzigen Gefallen tust, dann lasse ich dich und deine Familie in Ruhe und verschwinde.“ Von dieser Wendung war Frederica jetzt mehr als überrascht. Sie hatte eigentlich erwartet gehabt, dass Ajin das bis zum bitteren Ende durchziehen würde und mit allen Mitteln versuchen würde, sein Ziel zu erreichen. Doch stattdessen gab er einfach auf. Warum? Sie verstand das nicht und sie wurde auch nicht schlau aus ihm. Was war nur in ihn gefahren? War es vielleicht deswegen, weil sie ihn auf diese persönlichen Dinge angesprochen hatte? „Was… was für ein Gefallen?“ „Nichts Weltbewegendes, keine Bange. Ich will nur mal sehen, wie Cheesecake gemacht wird.“ Das war alles? Nun, Frederica hatte schon fast befürchtet, dass er was anderes von ihr verlangen könnte, was ihr unangenehm war. „Okay, kein Problem“, sagte sie. „Aber nur, wenn du mithilfst.“ „Ich und Backen? Ich als Gott?“ „Warum nicht?“ entgegnete sie nur. „Du hast doch gesagt, dass du alles kannst. Dann dürfte so etwas doch kein Problem darstellen, oder nicht?“ Dem konnte Ajin kaum widersprechen und so gingen sie wieder nach Hause zurück. Und nun, da auch so langsam der Druck von Frederica abfiel, war sie auch ein wenig lockerer als die letzten Tage. Als sie wieder zuhause waren und in die Küche gingen, kamen sie ein wenig ins Gespräch. „Sag mal, wenn du doch alles weißt, dann müsstest du doch die Antworten auf alle Fragen des Lebens haben, oder?“ „Eigentlich schon“, begann der Unvergängliche. „Aber ich habe eben auch nicht immer großartig Lust, den Therapeuten oder Lebensberater zu spielen. Und manchmal kommen die Leute echt auf die dümmsten Ideen. Wie zum Beispiel ob die Henne oder das Ei zuerst da war. Was interessieren mich denn bitte Hühner und Eier? Das erste haut man sich in den Backofen, das zweite in die Pfanne. Fertig aus. Und ich wurde auch schon oft genug nach dem Sinn des Lebens gefragt.“ „Und was hast du geantwortet?“ „Dass ich keine verdammte Seelsorge bin.“ „Und was denkst du, was der Sinn des Lebens ist?“ „Jeder muss sich seinen Lebenssinn selbst suchen. Ich verstehe sowieso nicht, warum man unbedingt einen braucht und warum alle stets und ständig ihre eigene Existenz hinterfragen müssen und sich fragen müssen, ob die Erde nun flach oder rund ist und ob sie sich um die Sonne dreht oder umgekehrt. Genauso wie diese Diskussionen, ob Gott nun real oder fiktiv ist. Jeder sollte das glauben, was er will und anderen damit nicht auf den Piss gehen. Die einen glauben, dass der Lebenssinn darin besteht, nach dem Glück zu streben, andere sehen ihn darin, ihrem Gott zu dienen und andere haben es sich zur Aufgabe gemacht, mir den letzten Nerv zu rauben. Es reicht doch, dass man die Möglichkeit hat, sich sein eigenes Leben zu gestalten. Da verstehe ich einfach nicht, wieso sich alle gegenseitig das Leben schwer machen müssen. Es ist mir auch egal, was andere machen.“ „Und wieso?“ „Na weil jeder selbst für sein Leben verantwortlich ist und wenn irgendwelche grenzdebilen Vollspinner meinen, sie müssten sich das Leben und ihre Zukunft versauen, dann haben sie auch gefälligst die Konsequenzen zu fragen. Dass manche Menschen an Gott glauben, um schwere Zeiten zu überstehen oder weil das den Gemeinschaftssinn stärkt, dann soll mir das recht sein. Und wenn sie meinen, in meinem Namen Kriege führen und andere Menschen töten zu müssen, ist mir das egal. Nur weil ich Gott bin, heißt das noch lange nicht, dass ich in der Verpflichtung bin, den Weltverbesserer zu spielen und alles geradezubiegen, was andere verzapfen. Jeder soll aus seinen Fehlern lernen und wenn er es nicht tut, ist es nicht mein Problem.“ Es klang schon ein wenig zynisch, aber als Frederica so darüber nachdachte, steckte auch etwas Wahres dahinter. Sich nur auf göttliche Hilfe zu verlassen, ohne selbst etwas gegen das eigene Elend zu tun, war nicht richtig und da hatte er auch Recht. Jeder trug die Verantwortung für sein eigenes Leben und musste dann dementsprechend auch mit den Konsequenzen leben. Während sie sich unterhielten, wies Frederica Ajin an, die Eier zu trennen. Doch da zeigte sich schnell, dass er alles andere als geschickt darin war und sogleich ein heilloses Durcheinander anrichtete. Er zerbrach die Eier gänzlich und kriegte damit auch das Trennen nicht hin. Dabei begann er wütend zu fluchen und als Frederica das sah, konnte sie nicht anders als zu lachen. Schließlich nahm sie selbst ein Ei. „Ich zeig dir mal, wie es richtig geht.“ Ajin grummelte etwas missmutig vor sich hin, da es ihn ziemlich aufregte, dass er so etwas einfaches nicht zustande brachte. Frederica hingegen beobachte amüsiert, wie ungeschickt sich Ajin beim Backen anstellte und wirklich alles falsch machte, was man nur falsch machen konnte. Sieh an, dachte sie sich, während sie ihn beobachte. Zwar weiß er offenbar alles und kann ganze Welten zerstören und erschaffen, aber bei so ganz einfachen Dingen wie Backen scheint ihm gänzlich die Praxiserfahrung zu fehlen. „Hast du denn noch nie Kuchen oder irgendetwas anderes gebacken oder gekocht?“ „Nee, wozu denn auch?“ erwiderte Ajin und ließ sich zeigen, was er alles machen musste, wobei sich aber auch schnell herausstellte, dass er nicht gerade der Geduldigste war und schnell aus der Haut fuhr. „Im Gegensatz zu allen anderen muss ich weder essen, trinken oder schlafen. Ich mach es einfach nur, weil ich Lust dazu habe und es ein guter Zeitvertreib ist. Und da hab ich mir nie die Mühe machen müssen und alles so umständlich zu machen wie die Menschen. Wenn ich etwas will, erschaffe ich es mir einfach.“ Na das erklärte so einiges für Frederica. „Und wieso willst du auf Menschenart Cheesecake machen?“ „Na weil ich das Zeug mag und wissen wollte, wie die Menschen das eben machen.“ Es herrschte ein bisschen Chaos in der Küche, aber letzten Endes stimmte das Ergebnis und so schlecht war es ja auch nicht. Es sah zwar ein bisschen wie ein Unfall aus, aber es schmeckte trotzdem nicht schlecht. Gemeinsam aßen sie Kuchen, redeten ein bisschen zusammen und schließlich kamen Beyond und L hinzu, die erstaunt waren, dass die beiden schon wieder zurück waren. „Seit wann seid ihr denn wieder zurück?“ „Seit einer Stunde. Habt ihr nichts mitgekriegt?“ „Nicht direkt“, gab L zu. „Wir waren mit einem neuen Fall beschäftigt. Und was habt ihr hier in der Küche veranstaltet?“ „Ajin hat mich gebeten, mit ihm zusammen Cheesecake zu backen. Dabei ist es ein klein wenig chaotisch geworden.“ „Ich werde auch nicht mehr weiter stören“, erklärte Ajin schließlich und ging in Richtung Tür. „Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde euch in Ruhe lassen und in meine eigene Welt zurückkehren. Und eure Welt werde ich auch nicht zerstören. Und das mit den Dates hat sich auch erledigt. Entschuldigt den ganzen Ärger.“ Damit verschwand Ajin direkt durch die geschlossene Tür und Beyond wollte diese schon öffnen um nachzusehen, ob er jetzt wirklich durch die Tür hindurchgegangen war, aber stattdessen war Ajin einfach verschwunden. Etwas verdattert sahen sich die beiden Männer an und wussten nicht so recht, was sie davon halten sollten. „Sagt mal… hab ich das jetzt richtig verstanden?“ fragte Beyond nach einer längeren Pause. „Ajin will also nicht unsere Welt zerstören?“ „So sieht es wohl aus“, murmelte L, doch seine Aufmerksamkeit galt eher Frederica. Diese wirkte etwas abgelenkt und so fragte er auch, ob bei ihr alles in Ordnung sei. Doch anstatt wie immer mit „Ja, mir geht es gut“ zu antworten, murmelte sie nur „Ich weiß nicht“ und machte sich nun daran, die Küche aufzuräumen. So langsam machten sich L und Beyond Sorgen um sie, doch da sie nicht wirklich Ahnung hatten, wie sie helfen konnten, gingen sie nebenan bei den Millers klingeln und schon öffnete Rumiko. „Na? Habt ihr zwei wieder Streit?“ „Nein, nichts dergleichen“, versicherte L ihr direkt. „Es ist nur so, dass wir uns Sorgen um Frederica machen.“ „Aha. Ist das Date wieder schief gelaufen?“ „Eigentlich nicht. Er hat es von sich aus beendet und gesagt, er würde uns von nun an in Ruhe lassen.“ „Verdammt. Jetzt muss ich Ezra und Elion je 30$ zahlen. Naja, aber es ist doch super, dass dieser Ajin jetzt gegangen ist und nicht mehr darauf aus ist, die Welt zu vernichten. Und was ist jetzt das Problem?“ „Frederica wirkt ziemlich neben der Spur und wir machen uns Sorgen. Vielleicht könntest du ja mit ihr reden.“ Rumiko sah abwechselnd die beiden an und nickte schließlich. In der Familie war sie nicht selten die Familientherapeutin, nicht nur für L und Beyond. Hin und wieder hatte sie auch Ezra und Elion auf die richtige Spur gebracht oder auch mal bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen Andrew und Oliver geholfen. „Schatz!“ rief sie schließlich und wandte sich um und rief in Richtung Wohnzimmertür „Ich bin kurz drüben.“ „Musst du wieder Streit schlichten gehen?“ kam es aus dem Wohnzimmer. „Nein“, antwortete die Halbjapanerin in einem lauteren Ton, damit Jamie sie verstehen konnte. „Ich geh kurz mit Frederica reden.“ „Ist gut. Viel Glück, Ruby.“ Damit ging Rumiko zu ihnen rüber und bat sie, sie alleine mit Frederica reden zu lassen. Also zogen sich Beyond und L zurück und die ehemalige Lehrerin fand das Albinomädchen in der Küche wieder, wo sie noch mit Aufräumen beschäftigt war. „Hey, soll ich dir eben helfen? Zu zweit geht es schneller.“ „Äh… danke, Rumiko.“ Und während sie zusammen den Abwasch erledigten, kamen sie ins Gespräch. Die 27-jährige Halbjapanerin, die dank ihres Psychologiestudiums genug Erfahrungen hatte, wusste genau, wie sie dieses Thema am besten ansprechen konnte und wie sie vorgehen musste, um Frederica zum Reden zu bringen. „Und? Wie war denn das zweite Date denn so? Ist es wieder so schlimm gelaufen?“ Die 445-jährige Seraph senkte den Blick und schwieg erst. „Naja, wir haben uns erst etwas gestritten, weil er mich an einen recht wunden Punkt getroffen hat. Aber im Grunde hatte er eigentlich Recht. Der Grund, warum ich keine Beziehung will, ist der, weil ich mir einfach nicht verzeihen kann, dass ich Joseph damals getötet habe, obwohl er doch unschuldig war. Er hat nur versucht, Alice in Schutz zu nehmen.“ „Aber du konntest das doch nicht wissen. Und du hast schon genug dafür gebüßt.“ „Das hat er auch gesagt. Und danach hab ich ihm vorgehalten, dass er sich nur deswegen so unmöglich aufführt, weil er frustriert ist, weil er ganz alleine ist. Dabei habe ich ihm auch gesagt, dass ich mich nur deshalb mit ihm treffe, weil er sonst die Welt zerstören würde.“ „Und was hat er dann gesagt?“ „Nicht viel. Er hat dann klein bei gegeben und mich nur noch gebeten, ihm zu zeigen, wie man Cheesecake macht. Und ehrlich gesagt war es viel besser als bei unseren vermasselten Dates und wir hatten sogar gelacht. Dann hat er sich verabschiedet und ist gegangen. Das war es. Und er hat versprochen, die Welt nicht zu zerstören.“ Die Halbjapanerin nickte bedächtig und ließ sich noch ein paar Details schildern. Dann schließlich fragte sie „Bist du so bedrückt, weil du wegen der Vorwürfe gegen ihn ein schlechtes Gewissen hast, oder liegt es daran, weil du ihn irgendwie doch sympathisch findest?“ „Ich weiß es nicht“, seufzte die Weißhaarige niedergeschlagen. „Ehrlich gesagt finde ich seine aufdringliche Art widerlich und am liebsten würde ich einfach nur weglaufen und ihn nie wieder sehen. Aber als wir zusammen in der Küche waren und er selbst nicht dazu in der Lage war, Eier zu trennen und Cheesecake zu backen, da hatten wir irgendwie Spaß gehabt und die Stimmung war ganz anders gewesen. Und das verstehe ich irgendwie nicht. Du vielleicht?“ Die ehemalige Lehrerin dachte kurz nach, um sich das alles in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Dann schließlich hatte sie ihre Antwort gefunden. „Das Problem war einfach, dass ihr beide zu verkrampft ward und alles aufgezwungen war. In deinem Kopf herrschte nur der Gedanke Ich habe keine Wahl, ich muss das tun und Ajin stand wahrscheinlich genauso unter Stress wie du, weil er höchstwahrscheinlich keine Erfahrungen in Sachen Dates hat. Deshalb ist es auch schief gelaufen, weil er sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufgeführt hat und du ihn mit aller Macht von dir gestoßen hast, weil du dich allgemein gegen Beziehungen sträubst. Und dass er sich dann nicht gerade zivilisiert aufführt, war dann eben ein gefundenes Fressen für dich. Aber als er dann begonnen hat, auf zwischenmenschlicher Ebene mit dir zu reden, da muss es irgendetwas gegeben haben, was du anziehend fandest. Oder vielleicht hast du ihn auch von einer ganz neuen Seite kennen gelernt, die vielleicht sympathisch an ihm war. So wie zum Beispiel die Tatsache, dass er absolut ungeschickt im Backen ist. Allerdings gibt es einen wichtigen Grund, warum dir das Backen mit ihm Spaß gemacht hat. Das war nicht nur allein die Tatsache, weil du ihn mal von einer menschlicheren Seite kennen gelernt hast, sondern weil der Stress weg war. Indem Ajin nämlich von sich aus die ganze Aktion abgeblasen und dich sozusagen von dem ganzen Druck befreit hat, konntet ihr euch zum ersten Mal auf einer anderen Ebene begegnen und viel freier und offener miteinander reden. Tja und nun bist du unsicher, weil du nicht weißt, was du für ihn fühlst.“ „Warum ist das ausgerechnet bei mir so schwer?“ fragte Frederica und klang schon beinahe verzweifelt. „Wieso funktioniert es bei anderen, nur nicht bei mir?“ „Ach das redest du dir nur ein“, wandte die engagierte Halbjapanerin ein. „Fast alle Beziehungen haben schwierig angefangen. Beyond wollte L erst umbringen, Andrew hat auch erst Beyond geliebt, bevor er sich dann in Oliver verliebte. Zwischen Ezra und Elion lief es auch nicht immer rund auch Liam und Jeremiel hatten einige Startschwierigkeiten.“ „Ja und bei dir ist es von Anfang an gut gelaufen…“ „Aber auch nur, weil wir damals direkt neben Jamie gewohnt hatten und uns schon seit der Grundschule kannten. Und es ist doch nicht schlimm, wenn du dir über deine Gefühle noch nicht im Klaren bist. Warum rufst du nicht mal bei Andrew an? Er kann da sicher aus Erfahrung sprechen und dir vielleicht einen guten Ratschlag unter Freunden geben.“ Ja, da hatte Rumiko wahrscheinlich Recht. Sie und Andrew kannten sich schon seit elf Jahren und da konnte er ihr vielleicht weiterhelfen. „Was meinst du, was ich tun soll?“ „Ich rate ja immer, auf dein Herz zu hören, aber da dein Herz nicht weiß, was es will, würde ich sagen, du versuchst es noch mal mit ihm um zu erkennen, wie du wirklich fühlst. Aber rede erst mal in Ruhe mit Andrew. Vielleicht hilft es dir ja.“ „Danke.“ Damit umarmte das Albinomädchen sie und rief bei den O’Briens an. Sie hatte Glück, denn Andrew war heute da und er bemerkte auch direkt „Du klingst ziemlich bedrückt, Frederica. Was ist denn los?“ Daraufhin erzählte sie ihm alles und was sie beschäftigte. Schließlich war im Hintergrund das Geschrei eines Babys zu hören und Andrew musste das Telefon kurz beiseite legen, um seine Tochter zu beruhigen. Es dauerte aber zum Glück nicht lange, bis Charity mit dem Schreien wieder aufgehört hatte und Andrew wieder ans Telefon gehen konnte. „Also ich kann dich gut verstehen, was das betrifft. Weißt du, als ich zu Oliver gekommen bin, da habe ich auch nicht sonderlich viel von ihm gehalten. Ich hielt ihn für einen Spinner und Träumer, der fernab jeder Realität lebte und der nie etwas ernst nimmt. Aber als ich erkannt habe, was wirklich hinter seinem Charakter steckt und warum er so war, da habe ich ihn mit anderen Augen gesehen. Und dann sind wir uns auch näher gekommen. Na gut, ich muss zugeben: ich war angetrunken und ein wenig bekifft. Aber ich war sehr unsicher gewesen, weil ich gedacht habe, dass ich es nicht wert bin, mit einem so tollen Menschen mit ihm zusammen zu sein. Doch Oliver hat mir das Gegenteil bewiesen und wir haben uns ausgesprochen. Vielleicht hilft dir das auch.“ „Dann rätst du mir also, ich soll Ajin aufsuchen und mit ihm reden?“ „Das wäre die beste Lösung. Vielleicht erkennst du auf die Weise, was du für ihn fühlst. Triff dich einfach noch mal mit ihm. Aber jetzt nicht zu einem offiziellen Date, sondern geht es einfach ganz langsam und entspannt an. Dann klappt es vielleicht besser. Nenn es einfach ein Kennlerntreffen.“ Damit bedankte sich Frederica für den freundschaftlichen Rat und verabschiedete sich von Andrew, der ihr ans Herz legte, alles langsam anzugehen und sich von niemandem zu etwas drängen zu lassen. So war das Telefonat beendet und nun galt es zu überlegen, was sie jetzt tun sollte. Ajin war mit Sicherheit in die Heimat zurückgekehrt und dummerweise hatte Frederica keine Ahnung, wie sie dorthin gelangen konnte. Nein, Ajin sagte, er würde in „seine“ Welt zurückkehren. Demnach würde er also nicht in der Heimat sein. Also wo dann? Und vor allem: wie gelangte sie dahin? Sie hatte keine Ahnung, wie man in die Heimat gelangte. Sie war allerhöchstens in die Welt der leeren Träume gereist, wo Nazir ihr den Umgang mit ihren Fähigkeiten gelehrt hatte. Vielleicht konnte er sie zu Ajin bringen. Frederica wandte sich schließlich an Rumiko. „Ich werde mich auf den Weg machen, um Ajin zu suchen.“ „Weißt du überhaupt wo er ist?“ „Nicht direkt, aber womöglich habe ich Glück und Nazir kann mir weiterhelfen. Immerhin ist er einer von Ajins Dienern und hält sich in der Welt der leeren Träume auf. Da ich keine Ahnung habe, wie ich in die Shinigamiwelt, die Heimat oder in Ajins Welt gelangen kann, werde ich einfach mal ihn fragen. „Okay, dann pass auf dich auf. Ich sag L und Beyond Bescheid, dass du weg bist.“ So verabschiedete sich Frederica und machte sich auf den Weg. Sie hoffte nur, dass es auch funktionierte, denn hundertprozentig sicher war sie sich da nicht. Kapitel 9: Rea die Stürmische ----------------------------- Der Lärm war noch lauter als die letzten Tage und Teruma und Rea sahen, wie das Chaos und die Zerstörung langsam ein Ausmaß annahmen, das langsam nicht mehr hinnehmbar war. Besorgt tauschten die beiden Schwestern kurze Blicke aus. „Seit Großvater in der Menschenwelt war, ist er noch gereizter als sonst“, bemerkte Rea. „Kann es sein, dass irgendetwas passiert ist, was ich verpasst habe, Schwesterherz?“ Teruma verschränkte die Arme und musste nachdenken. „Ich glaube, er hat da ein Mädchen kennen gelernt, das er sehr mag. Offenbar ist es nicht ganz so gut gelaufen und nun ist er erst recht mürrisch.“ „Und er hat einfach aufgegeben? Das passt doch gar nicht zu ihm. Irgendetwas muss passiert sein. Ich glaube, ich rede mal mit ihm. Vielleicht kann ich ja helfen.“ Doch Teruma blieb da skeptisch, denn sie kannte Ajin als ältestes Kind von Ain und Elohim am längsten und wusste, dass es keine gute Idee war, Ajin zu stören, wenn er so dermaßen schlecht gelaunt war. Aber andererseits… Rea hatte schon immer eine sehr enge Bindung zu ihrem Großvater gehabt, enger noch als die anderen. Ein Versuch war es ja wert. „Dann versuch dein Glück. Pass aber trotzdem auf dich auf, ja?“ „Mach ich, keine Sorgen! Es wird schon gut gehen. Großvater und ich haben uns doch schon immer gut verstanden.“ Damit machte sich Rea auf den Weg in der Hoffnung, dass sie vielleicht etwas erreichen konnte. Es ging ja nicht an, dass Ajins Laune sich immer weiter verschlechterte und er sich schon über Kleinigkeiten so dermaßen aufregte, dass man Angst um sein Leben haben musste. Von Teruma hatte sie ja schon erfahren, dass ihr Großvater sogar geplant hatte, die Menschenwelt zu zerstören und sich dann mit ein paar Sefirot geprügelt hatte und sogar Nivkha nicht verschont geblieben war. Was auch immer der Grund für Ajins Aggressionen waren, dieses Mädchen, in das er wohl verliebt war, spielte eine wichtige Rolle. Es war für sie ein Rätsel, dass er einfach so wieder gegangen war, ohne um das Mädchen zu kämpfen, wo es doch eh schon ein Wunder war, dass er sich überhaupt verliebt hatte. Ohne Umwege erreichte sie die leere Welt, in der ihr Großvater lebte. Donner war zu hören und das war meist ein Zeichen dafür, dass es lebensbedrohlich war, Ajin sprechen zu wollen. Denn das war meist ein erstes Signal dafür, dass er kurz vorm Explodieren stand. „Raus hier!“ hörte sie eine laute Stimme wettern und alles um sie herum begann zu beben. „Großvater? Ich bin es nur.“ „Lass mich allein.“ Doch Rea kam näher und sah Ajin auf seinem Diwan liegen. Er sah nicht sonderlich gut aus und als er sie sah, seufzte er nur und setzte sich hin, damit sie Platz nehmen konnte. Er gab es auf, sie rausschicken zu wollen. Das würde sie auch nicht aufhalten. „Was gibt es denn, Rea?“ „Ich mach mir Sorgen um dich, Großvater. Seit wir zurück sind, bist du andauernd nur gereizt und aggressiv. Dabei warst du früher nicht so gewesen. Ist es wegen diesem Mädchen, dass du so reizbar bist? Was ist denn überhaupt passiert? Erzähl mal.“ Eigentlich hatte Ajin überhaupt keine Lust auf Gespräche, aber… Rea war seine Enkelin und seiner Familie konnte er schlecht irgendwelche Wünsche abschlagen. „Ich wollte zuerst in die Menschenwelt, um diese zu zerstören, weil ich zum einen den Ärger mit diesen Vollspacken von Shinigamis beenden und zum anderen deinen Bruder Nivkha endlich nach Hause holen wollte. Aber es ist dann ein wenig anders gelaufen. Beim Dukrav ist nämlich ein Seraph-Mädchen namens Frederica aufgetaucht und hat mir eine gescheuert.“ Rea war sprachlos und sah ihn fast schon entgeistert an. „Sie hat dir eine Ohrfeige verpasst? Und du hast dir das gefallen lassen?“ „Was soll ich sagen?“ murmelte Ajin und zuckte mit den Schultern. „Das nennt man wohl Liebe auf dem ersten Hieb.“ „Und dann?“ „Ich hab mit so einem Hampelmann einen Deal abgeschlossen. Ich lass die Welt heil, wenn er mir hilft, mich mit Frederica zu verkuppeln. Aber es ist nicht so ganz glatt gelaufen und schließlich habe ich es dann aufgegeben. Es war so offensichtlich, dass sie von mir angewidert war und das nur gemacht hat, weil sie die Menschenwelt retten wollte. Da ist so etwas von vornherein zum Scheitern verurteilt und ich will auch nicht ihre Gefühle oder ihre Gedanken manipulieren, um sie zu zwingen, mich zu lieben. Das wäre ja sowieso nicht dasselbe.“ Ach so war das also. So langsam verstand Rea das Problem. Ajin hatte Liebeskummer und war deswegen so aggressiv. Aber dieses ganze Verhalten passte doch gar nicht zu ihm. Normalerweise setzte er immer seinen Willen durch und scherte sich einen Dreck um die Meinung anderer. Dass er einfach so klein bei gegeben hatte, war völlig neu. „War es denn die ganze Zeit so schlimm oder hattet ihr auch mal Spaß?“ „Naja, sie hat sich ziemlich darüber amüsiert, dass ich Schwierigkeiten mit diesem Menschenkram hatte. Und da sind wir auch ein bisschen ins Gespräch gekommen. Da hatte ich aber auch die ganze Datingaktion abgebrochen.“ „Und du glaubst, dass sie dich nicht mag?“ „Ich gebe ja zu, dass ich vom Flirten keine Ahnung habe und es vielleicht nicht ganz so geschickt angegangen bin…“ „Was heißt nicht ganz so geschickt? Was hast du ihr denn gesagt?“ „Ich hab ihr gleich beim ersten Mal gesagt, dass sie ein gebärfreudiges Becken hat.“ Einen Moment lang starrte Rea ihn ungläubig an, dann schlug sie sich die Hand gegen die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, dazu fällt mir nichts mehr ein. Ach Großvater, das kannst du einer Frau doch nicht sagen. Das hört niemand gerne. Aber… dass ihr am Ende doch Spaß hattet und sie sogar gelacht hat, zeigt doch eigentlich, dass sie dich nicht ganz so abstoßend findet, wie du dachtest. Vielleicht war das ja auch nur deshalb, weil du dich so unmöglich aufgeführt hast. Da wäre jede Frau erst mal abgeschreckt. Vielleicht solltest du es noch mal versuchen und mit ihr reden.“ „Ich glaub, das bringt nichts. Sie war froh gewesen, als die ganze Sache vorbei war und ich will sie nicht noch weiter belästigen.“ „Diese Töne kennt man ja gar nicht von dir.“ Ajin schwieg und lehnte sich zurück. Er stand völlig neben sich und so hatte ihn noch niemand erlebt. Nicht mal seine Familie. Und das machte Rea schon Sorgen. „Großvater?“ Ein leiser Seufzer entfuhr ihm und er rieb sich die Augen. „Ich glaube, ich bin müde geworden.“ Sie wusste, was das bedeutete. Das alles nahm ihn so sehr mit, dass er sich dazu entschloss, wieder eine lange Zeit zu schlafen, um darüber hinwegzukommen. Das letzte Mal war nach dem Tod ihrer Mutter gewesen. Ajin liebte seine Tochter über alles und ihr plötzlicher Tod war für ihn ein schwerer Schock gewesen. Und dass er sich wieder so müde fühlte und schlafen wollte, war ein deutliches Anzeichen dafür, dass ihm das mit dem geplatzten Date sehr nahe ging. Ajin musste diese Frederica wirklich sehr lieben. „Ach Großvater, das ist doch auch keine Lösung. Bevor du dich schlafen legst, lass mich doch erst mal mit Frederica reden. Vielleicht hast du da irgendetwas missverstanden und sie mag dich vielleicht, war aber womöglich zu schüchtern. Ein Versuch schadet ja nicht und wenn du jetzt einschläfst, weißt du ja, was das bedeutet. Also reiß dich doch mal zusammen. Hey, es bringt doch nichts, einfach so die Hoffnung aufzugeben. Das bist doch nicht du. Also lächle doch mal und gib nicht auf.“ Rea strahlte wie ein kleiner Sonnenschein und ihr Lächeln hatte etwas von einem Kind an einem Weihnachtsabend. Sie war schon immer die Fröhlichste der sieben Geschwister gewesen und hatte schon als Kind eine aufgedrehte Art besessen. Im Gegensatz zu den anderen hatte sie eine viel stärkere Bindung zu ihrem Großvater als zu ihren Eltern und sie kam ihn oft besuchen. Dagegen hatte Ajin ja nichts, denn er liebte seine Familie und natürlich auch seine Enkel. Aber seit er so gereizt war, konnte selbst Rea seine Stimmung nicht sonderlich bessern. „Überlass das nur mir, ja? Ich werde einfach mal mit Frederica reden, vielleicht findet sich ja eine Lösung. Es wird schon alles gut werden, Großvater. Da bin ich mir sicher.“ In diesem Moment konnte Ajin nicht anders als zu schmunzeln, dann drückte Rea ihm auch schon einen Kuss auf die Wange, bevor sie wieder aufstand. „Und wag es bloß nicht, dich schlafen zu legen!“ „Ach du würdest doch sicher mit einer Pauke herumhämmern, nur um mich wieder aufzuwecken.“ „Das kann gut möglich sein.“ Mit einem fröhlichen und scherzhaften Zwinkern ging Rea nun und ließ Ajin allein. Frederica hatte die Welt der leeren Träume erreicht und fand auch schon Nazir, der auf dem Dach eines zerfallenen Hauses saß, welches wie so viele andere Dinge durch die Leere schwebte und nach und nach zerfiel. Es war ein surrealer Ort, an dem niemand lebte. Dies hier wurde auch der Weltenfriedhof genannt. Hier waren die Trümmer untergegangener Welten, die langsam ins Nichts verschwanden. Und hier wachte Nazir, wenn er nicht in der Heimat war, um wichtige Dinge zu regeln. Aber da er neutral war und sich für gewöhnlich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischte, kam es recht selten vor, dass er diesen Ort verließ. „Nazir?“ Obwohl er aussah wie ein 12-jähriges Kind, durfte man ihn nicht unterschätzen, denn selbst Samajim konnte es nicht mit ihm aufnehmen. Vor dem Umsturz der alten Ordnung war er der ranghöchste Sefira gewesen und wurde von allen als Lehrmeister respektiert. Und im Gegensatz zu den anderen Sefirot stand er unter Ajins Befehl und war sein Bote. Deshalb sah Frederica bei ihm auch die beste Chance, um ans Ziel zu kommen. „Ich muss Ajin Gamur sprechen. Kannst du mir sagen, wie ich dorthin komme?“ Nazirs graue Augen, in denen sich die Ewigkeit zu spiegeln schienen, ruhten auf ihr und es lag etwas Geheimnisvolles in diesem Blick. Keiner hatte ihn je durchschauen und seine wahren Gedanken und Absichten erkennen können. Nicht mal seine eigene Schwester. „Es tut mir leid, aber du kannst ihn nicht sprechen.“ „Was? Wieso denn nicht?“ „Mein Herr will von niemandem gestört werden und aus diesem Grund kann ich niemanden zu ihm lassen.“ Na super. Das hatte ihr noch gefehlt. Jetzt war sie zwar da, aber keiner konnte mit Ajin sprechen. Und in dem Fall würde Nazir auch wahrscheinlich keine Ausnahme machen. In dem Fall half es nur, über Ain und Elohim zu ihm zu kommen. „Kann ich wenigstens mit Ain oder Elohim sprechen?“ „Die sind gerade in einer wichtigen Ratsversammlung.“ „Ja und wen kann ich dann von den Entitäten sprechen, außer Dathan?“ „Mich zum Beispiel.“ Frederica drehte sich erschrocken um, als sie plötzlich ein Mädchen sah, das ungefähr vom Aussehen ihr Alter hatte. Sie besaß eine sehr fröhliche Natur und hatte ein kindliches Lächeln. Ihr Haar wurde von einigen bunten Strähnen durchzogen und sie trug bunte Kleidung. „Entschuldige“, sagte sie sofort, als sie sah, wie sehr sie die 445-jährige erschreckt hatte. „Das war jetzt nicht meine Absicht. Hallo, ich heiße Rea. Ich bin die Drittjüngste der sieben Geschwister und Nivkhas ältere Schwester. Und du bist sicher Frederica, nicht wahr?“ „Äh ja…“ „Super“, rief Rea direkt und umarmte sie stürmisch. Sie wirkte ein wenig aufgedreht und nahm sofort Frederica an die Hand. „Dann kannst du gleich mit mir mitkommen. Ich hatte sowieso vor, mich ein wenig mit dir zu unterhalten.“ „Wieso? Was hab ich…“ Ehe Frederica wirklich verstand, was hier eigentlich passierte, fand sie sich auch schon im Anwesen der Familie Ain Sophs wieder, wo Rea auch schon ein Mädchen traf, das schon etwas älter und erwachsener wirkte. „Schwesterherz, ich hab Besuch mitgebracht!“ Das Mädchen mit den langen brünetten Haaren wandte sich zu ihnen um und war überrascht. Bevor sie aber fragen konnte, begann Rea wieder zu reden. „Das ist Teruma, die Älteste von uns. Deshalb nennen wir sie auch alle die „Große“. Schwesterherz, das ist Frederica, Großvaters Herzensdame.“ Die Brünette war ein wenig erstaunt darüber, lächelte dann aber herzlich und grüßte Frederica, bevor sie sich mit der Erklärung entschuldigte „Ich muss zur Ratssitzung und bin jetzt deshalb auch weg. Rea, wenn du nachher Sabriel siehst: Malakh hatte da noch ein paar wichtige Dinge zu besprechen, was die Teameinteilung der Hagana angeht.“ „Okay, mach ich. Viel Glück noch.“ Damit verabschiedete sich Teruma auch schon, woraufhin sich Rea und Frederica in ein großes Zimmer zurückzogen, wo sie ungestört waren und reden konnten. „Entschuldige bitte, dass ich dich so überfalle und regelrecht entführe. Manchmal bin ich da ein bisschen stürmisch, was das betrifft. Großvater meinte schon damals, man hätte mich besser Se’ara nennen sollen, weil dies natürlich „Sturm“ bedeutet. Also Liebes, du wolltest also meine Eltern sprechen?“ „Eigentlich wollte ich zu Ajin“, gab Frederica zu. „Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich zu ihm hinkommen soll und Nazir hat mich nicht zu ihm gelassen. Also wollte ich Ain und Elohim bitten, mir zu helfen. Aber die waren ja auch nicht zu sprechen.“ „Ja, Großvater ist momentan noch gereizter als sonst und er hat einen so großen Wutanfall gehabt, dass er die halbe Shinigamiwelt in Schutt und Asche gelegt hat. Er lässt kaum jemanden an sich heran und will sich am liebsten wieder schlafen legen.“ „Es ist sicher nicht einfach mit so einem Großvater, oder?“ fragte Frederica, doch Rea schüttelte nur den Kopf und erklärte „Er ist eigentlich nicht so. Aber er hat eben Schwierigkeiten, anderen auf eine halbwegs normale Ebene zu begegnen, wenn es nicht seine Familie ist. Da benimmt er sich manchmal etwas daneben und er kann auch einfach keine Gefühle so deutlich zeigen. Stattdessen wird er eben aggressiv. Normalerweise ist er anderen gegenüber auch alles andere als gesellig und deshalb haben wir uns alle gewundert, dass er sich tatsächlich verliebt hat. Das passt eigentlich gar nicht zu ihm, weil er zu allen eine emotionale Distanz hegt. Weil er die höchste Entität ist, besitzt er zwar grenzenlose Macht über alles, sogar über uns, aber er muss auch damit leben, dass er immer da sein wird. Selbst wenn alle verstorben und alle Welten zerstört sind, wird er immer noch da sein und bis in alle Ewigkeit existieren. Das ist die Bürde, die er trägt und das prägt leider auch den Charakter. Darum hat er mit der Zeit eine sehr herablassende Haltung anderen gegenüber entwickelt.“ „Und wie kommt ihr damit klar?“ „Wir akzeptieren und lieben ihn so wie er ist. Er lebt sein eigenes Leben, hat seine eigenen Regeln und seine eigene Art zu leben und das wissen wir alle, deshalb lassen wir ihn seinen Weg gehen und sind für ihn da, wenn er uns braucht. Aber ich glaube, dass das nicht das ist, was ihn glücklich macht. Er braucht jemanden, der ihm Grenzen setzt und auch den Mut hat, sich gegen ihn durchzusetzen. Aber vor allem wünscht er sich jemanden an seiner Seite, der ihn so lieben kann wie er ist und nicht nur deswegen, weil er so eine hohe Stellung hat. Denn er hat oft die Erfahrung machen müssen, dass alle nur irgendetwas von ihm wollten. Deshalb bleibt er auch lieber alleine oder bei uns.“ Hier musste Frederica an ihre Begegnung mit Ajin zurückdenken. Sie hatte ihn ohne zu zögern geohrfeigt, obwohl er Liam und die anderen mühelos besiegt hatte. In dem Moment hatte sie völlig ausgeblendet, wer oder was er war. Sie hatte einfach nur den Kerl gesehen, der ihre Freunde verletzt und die Hochzeitsfeier gesprengt hatte. Ob das der Grund war, warum sich Ajin in sie verliebt hatte? Weil sie keine Angst vor ihm hatte oder etwas von ihm wollte? Und hatte Ajin nicht selbst gesagt, dass er sich wünschte, dass ein Mal jemand zu ihm kommen würde, der nichts von ihm verlangte? „Wie stehst du eigentlich zu Großvater?“ Diese Frage brachte das Albinomädchen ein wenig aus dem Konzept und sie wusste auch nicht, wie sie antworten sollte. Wie denn auch? Sie wusste ja nicht mal, was sie eigentlich fühlte. „Ich weiß es nicht“, gab sie schließlich zu. „Am Anfang fand ich ihn einfach nur furchtbar und seine Flirtversuche waren mir unangenehm, eben weil sie auch so schlecht waren. Aber… es gab auch Momente, in denen er nicht so war und wo er ganz vernünftig auf mich gewirkt hatte. Und als wir zusammen gebacken haben, da hatten wir sogar Spaß.“ „Warte mal“, rief Rea, als sie das hörte. „Großvater und backen???“ Frederica nickte und erklärte „Er bat mich noch, ihm zu zeigen, wie man Cheesecake backt.“ Immer noch war Rea völlig überrumpelt und starrte Frederica mit offenem Mund an. Sie war sprachlos und brauchte einen Moment um wirklich zu verarbeiten, was sie da gehört hatte. Dann aber schüttelte sie den Kopf und lachte. „Ich glaube es nicht. Dass Großvater mal so etwas tun würde… Er würde niemals irgendetwas auf Menschenart machen, weil er immer der Ansicht war, es sei unter seiner Würde als höchste Entität. Dass er sich dazu bewegt und gegen seine eigenen Prinzipien verstößt, ist eigentlich der beste Beweis dafür, dass du etwas ganz Besonderes bist.“ „Ich?“ fragte Frederica und klang alles andere als überzeugt. „Was soll denn an mir denn schon besonders sein?“ „Du hast eine besondere Wirkung auf Großvater. Und dass er sich jetzt wieder schlafen legen will, nachdem das zwischen euch beiden gescheitert ist, bedeutet eigentlich nur, dass er ziemlichen Liebeskummer hat. Nur leider ist er überhaupt nicht der Typ, der direkt über Gefühle spricht oder sensibel wird. Er hat noch nie geweint, selbst bei Mutters Tod nicht. Stattdessen wird er gereizt, dann verliert er den Antrieb und die Motivation und zieht sich zurück.“ „Ja aber wieso hat er dann die ganze Sache abgebrochen?“ „Das hat mich ja auch gewundert. Denn eigentlich ist er ein absoluter Sturkopf, der immer seinen Willen durchsetzen muss, ohne Rücksicht auf Verluste. Wahrscheinlich muss ihn die Tatsache beschäftigt haben, dass du dich auf diese Dategeschichte eingelassen hast, um deine Welt zu beschützen. Das muss ihn wohl ziemlich getroffen haben und wahrscheinlich hat er deswegen die Reißleine gezogen: weil er dich nicht noch mehr quälen wollte.“ Frederica seufzte leise und dachte nach. Warum musste die Liebe so dermaßen schwierig sein? Warum konnte sie nicht mit Gewissheit sagen, ob sie Ajin nun liebte oder nicht? Wieso war es denn so schwer? Als könnte Rea ihre Gedanken gelesen, legte sie einen Arm um sie und erklärte „Zerbrich dir nicht den Kopf. Ich bring dich gleich zu Großvater und dann könnt ihr schauen, wie ihr weitermachen wollt. Du kannst auch gerne mich um Rat fragen, wenn du willst. Hey wie wär’s? Wollen wir Freundinnen sein?“ Diese Frage kam etwas plötzlich, wie so vieles von Rea. Aber sie hatte eben eine aufgedrehte und etwas stürmische Art, die sie auch irgendwie sympathisch machte. Es war schon komisch. Zwar war sie Dathans Schwester, aber sie war ganz anders als er. Aber wie Dathan berichtet hatte, waren seine Geschwister alle vom Charakter her anders. Teruma war die pflichtbewusste große Schwester, Jamin eher der Verträumte, Kohen der mit den großen Ideen und Rea die Stürmische und Lebhafte. Und Dathan war da eben der Schüchterne. Fredericas rote Augen ruhten auf Reas, die genauso grasgrün waren wie die ihrer Mutter. Sie lächelte und nickte. „Ja gerne“, sagte sie schließlich. „Dann lass uns Freundinnen sein.“ „Oh super!“ rief Rea und umarmte sie. Sie freute sich riesig und machte sich sogleich mit Frederica auf den Weg. „Weißt du, für dich könnte ich mir auch einen hübschen Seraphnamen ausdenken.“ „Ach ja? Und… an welchen hättest du gedacht?“ „Simea. Das bedeutet Gott liebt dich.“ Kapitel 10: Ein dritter Versuch ------------------------------- Immer noch grollte lauter Donner und allein diese endlose Welt, in der nichts existierte, wirkte auf Frederica etwas befremdlich und unheimlich. Hier gab es wirklich gar nichts… weder Licht noch Dunkelheit. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt und in dem Moment war sie froh, dass Rea bei ihr war. „Großvater!“ Sie fanden Ajin schließlich, der auf einem Diwan lag und die Augen geschlossen hatte. Es sah aus, als wäre er eingeschlafen. So friedlich wie er da lag, konnte sich Frederica einfach nicht den Gedanken verkneifen, dass er irgendwie süß aussah. Rea seufzte und begann ihn an den Schultern durchzurütteln. „Großvater, ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht einschlafen. Hey, wach auf! Ich hab Besuch mitgebracht.“ Als das auch nichts brachte, gab sie ihm kurzerhand eine Ohrfeige und das weckte den Schlafenden endlich auf. „Gottverdammte Scheiße, Rea. Ich hab nicht gepennt, ich hab nur meine Augen ausgeruht.“ „Deine Ausreden waren auch schon mal besser. Und jetzt steh auf. Frederica ist hier.“ „Was?“ Ajin war mit einem Male schlagartig wach und konnte erst selbst nicht glauben, was er da hörte, aber dann sah er, dass Frederica tatsächlich hier war und das verwunderte ihn nun doch. Rea zwinkerte dem Albinomädchen zu und verabschiedete sich, damit die beiden in Ruhe miteinander reden konnten. So waren sie schließlich allein hier in dieser leeren und grenzenlosen Welt. Es war Frederica anzusehen, dass ihr dieser Ort nicht sonderlich angenehm war. „Hier lebst du also?“ „Na logo. Das ist immerhin ein Teil von mir. Quasi die Geburtsstätte aller Dinge.“ „Es ist ziemlich leer und trostlos hier.“ „Weil es nun mal das Nichts ist. Und ich hab auch nie einen Anlass gesehen, hier etwas daran zu ändern. Aber sag mal, wieso bist du denn eigentlich hier?“ Ajin bot ihr einen Sitzplatz an, als plötzlich aus dem Nichts ein Stuhl aufgetaucht war, auf dem Frederica Platz nahm. Sie wirkte etwas nervös und fand erst nicht die richtigen Worte. „Weißt du, ich hab mich schon gewundert, warum du die Datingaktion abgebrochen hast und… ähm…“ „Ich wollte dich nicht noch mehr quälen als ohnehin schon. Ich hab ja gemerkt, dass das nichts bringt.“ „Wenn ich ehrlich sein soll, fand ich deine rüpelhafte und arrogante und herablassende Art sehr unangenehm. Aber das heißt nicht, dass ich dich überhaupt nicht mag. Ehrlich gesagt fand ich das Backen mit dir eigentlich ganz lustig und ich habe auch noch mal über deine Worte nachgedacht. Ich gebe zu, dass ich mich von meinen Schuldgefühlen bremsen lasse und mir selbst so ziemlich im Weg stehe. Und da ich meine Gefühle einfach nicht einordnen kann, bin ich irgendwie überfordert. Ich weiß nicht, was ich fühle und was ich will. Im Moment verstehe ich mich selbst nicht mehr, aber ich wollte dich auch nicht einfach so gehen lassen.“ Ajin sagte nichts, sah sie nur verwundert an und irgendwie wurde Frederica das Gefühl nicht los, als würde er in sie hineinsehen… in ihr Innerstes und in ihre Seele. Und das brachte sie erst aus dem Konzept, bis sie ihre Worte wieder fand und fragte „Wollen wir nicht vielleicht noch einen Versuch starten?“ Immer noch sagte Ajin kein Wort, sondern starrte sie etwas ungläubig an und konnte nicht wirklich fassen, was sie da gesagt hatte. „Du willst tatsächlich noch mal ein Date mit mir?“ „Nennen wir es nicht direkt ein Date. Aber vielleicht können wir uns so besser kennen lernen. Aber nur mit der Bitte, dass du dich vielleicht ein bisschen zurücknimmst, ja?“ Ajin war sofort einverstanden und schien immer noch nicht glauben zu können, dass Frederica tatsächlich noch mal ein „Date“ wollte, nachdem die letzten beiden Versuche schon so katastrophal verlaufen waren. Also hatte Rea doch Recht gehabt. Ajin versprach ihr, sich so gut es ging zu benehmen und vereinbarte mit ihr, dass er sie morgen um 10 Uhr abholen wollte. „Ich glaube, ich hab da auch schon eine Idee, was wir machen könnten.“ „Aha und was?“ „Lass dich einfach überraschen. Aber jetzt bring ich dich erst mal wieder zurück.“ Damit erhob sich Ajin von seinem Diwan und nahm Fredericas Hand und sie gingen los. Eine Sekunde später fand sie sich in ihrem Zimmer wieder und war erst einmal verwirrt, wie sie denn so schnell hierher gekommen waren. „W-wie…“ „Schon vergessen? Ich bin Gott, ich kann alles.“ Damit ließ er ihre Hand los und verabschiedete sich. Er ging einfach durch die Wand und war damit wieder verschwunden. Frederica stand erst einen Moment lang da und musste sich sortieren. Dann ging sie schließlich zu L und Beyond, die sich im Wohnzimmer am Kabbeln waren, wobei ganz klar zu sehen war, dass es gleich nicht mehr bei einer Kabbelei bleiben würde. „Oh entschuldigt bitte“, rief sie sofort. „Ich werde auch nicht weiter stören. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich zurück bin und dass ich morgen wieder verabredet bin.“ „Wo warst du denn so lange?“ fragte Beyond sie und Frederica gab die kurze Zusammenfassung ihrer Reise und was alles passiert war. Was sie nicht ahnte war, dass sie, kurz nachdem sie die beiden wieder alleine ließ als sie noch ein paar Sachen einkaufen gehen musste, Beyond alle anderen anrief und sie über den neuesten Stand der Dinge informierte. Und natürlich wollten sie alle wieder eine Wette abschließen, wie lange es dieses Mal brauchen würde, damit es in die Hose ging. So wurde das Schäferstündchen auf später verschoben und stattdessen traf eine Stunde später die Wettgemeinschaft ein und sogar Anne war dabei, wobei sich aber keiner wirklich erklären konnte, was sie denn hier wollte. „Also ihr wisst Bescheid“, sagte Beyond und ließ den Blick durch die Runde schweifen. „Frederica und Ajin wollen sich noch mal zu einem Date treffen, aber dieses Mal will er sich offenbar was einfallen lassen. Wir haben keine Ahnung, was er dieses Mal verzapfen wird. Nun gilt es: wird es klappen, wird es nicht klappen und wenn nein, wie wird es in die Hose gehen?“ Nach und nach machten alle ihre Einsätze und wieder konnte Levi, der ebenfalls mit von der Partie war, nur den Kopf schütteln. „Deine Familie ist wirklich schräg, Eva.“ Schließlich stieg auch Anne in die Wette mit ein, nachdem Kenan sie angebettelt hatte. „Wie kommt es eigentlich, dass Frederica sich noch mal mit ihm treffen will?“ fragte Nastasja schließlich, die nicht ganz mitbekommen hatte, was zwischendurch passiert war. Als sie erfuhr, dass Frederica womöglich etwas für Ajin empfinden könnte, war sie erst einmal sprachlos und konnte sich das nicht vorstellen. „Chto za huy???“ rief sie und nur ein Teil der Anwesenden hatte verstanden, was sie gesagt hatte. „Frederica empfindet etwas für diesen Kerl, der sie bei der ersten Begegnung begrabscht hat?“ „Manchmal schreibt das Leben eben die merkwürdigsten Geschichten“, meinte Elion schließlich und wandte sich an Ezra. „Nicht wahr?“ Der 16-jährige sagte nichts dazu, errötete aber leicht. Andrew konnte dem Proxy nur zustimmen. „Jeder von uns hat eben seine eigene ungewöhnliche Romanze. Schau dir doch deine Söhne an. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass auch Frederica sich einen ungewöhnlichen Partner sucht.“ „Ich frage mich echt, woher das kommt“, seufzte die Russin und ungläubig schüttelte sie den Kopf. „L ist mit einem Serienmörder zusammen, der ihn anfangs umbringen wollte. Jeremiel krallt sich einen Mafiaboss und was ist mit Frederica? Sie datet den Kerl, der unsere Welt zerstören wollte. Ich frage mich ernsthaft, ob ich in der Erziehung irgendwelche Fehler gemacht habe.“ „Ach was“, wandte Oliver ein. „Das ist doch Quatsch. Du bist eine tolle Mutter und wenn es wirklich an deiner Erziehung liegen würde, dann wären Elion und Ezra jetzt nicht zusammen. Ganz zu schweigen von Sheol, der sich ja gleich in Sariel verschossen hat. Und überhaupt: unsere Familie ist schon verrückt genug, da kommt es auf einen weiteren Verrückten auch nicht mehr an. Vor allem, weil Ajin ja auch Dathans Großvater ist. Ach ja! Wie geht es ihm eigentlich inzwischen?“ „Er ist wieder aufgewacht und hat sich gut erholt. Zwischendurch ist Ajin vorbeigekommen, um nach ihm zu sehen und hat mit ihm geredet. Er arbeitet jetzt auch wieder.“ Na das war doch wenigstens eine gute Nachricht, nachdem Dathan knapp eineinhalb Tage ohne Bewusstsein gewesen war. Und nachdem sich herumgesprochen hatte, dass die Welt nicht mehr länger in Gefahr war, hatte sich Erleichterung überall breit gemacht. Nur Eva war mehr als verwundert, als sie davon gehört hatte und auch jetzt sah sie mehr als nachdenklich aus. „Ich kann immer noch nicht wirklich glauben, dass Ajin tatsächlich seine Meinung geändert hat. Das tut er für gewöhnlich nie und er zieht seine Pläne konsequent durch und lässt sich nie von irgendjemandem reinreden. Das ist mehr als merkwürdig.“ „Tja, wenn man verliebt ist, können die verrücktesten Sachen passieren“, erklärte Oliver und bekam ein zustimmendes Nicken von seinem Lebensgefährten. „Offenbar hat unser Schneeweißchen einen ziemlichen Einfluss auf den großen Obergott. Das wird sicher noch spaßig werden.“ „Vielleicht können wir das ja zu unserem Vorteil nutzen“, schlug Beyond schließlich vor. „Wenn er doch so allmächtig ist, dann können wir doch…“ „Die beiden einfach in Ruhe ihr Ding machen lassen“, unterbrach Eva ihn streng und verschränkte die Arme. „Ich hab ja zu eurer Wettaktion nichts gesagt, aber die Gefühle anderer auszunutzen, das geht zu weit. Also da hört bei mir der Spaß auf.“ „Eva hat Recht“, stimmte Elion zu, der das genauso sah. „Außerdem wissen wir doch, wie aggressiv Ajin auf Bittsteller reagiert. Wir sollten von Glück reden, dass er von der Zerstörung der Welt abgesehen hat. Da wäre es nur gefährlich, wenn wir ihn mit so etwas provozieren und Frederica für so etwas benutzen. Und es ist auch nicht richtig, so etwas zu tun.“ Dem stimmten die anderen zu und Beyond gab daraufhin klein bei. Stattdessen meinte er nur, um das Thema zu wechseln „Ach Mensch, dann ist auch unsere Frederica bald in einer Beziehung, wenn der Typ es nicht vermasselt. Ich glaub, die einzige Single in der Runde wäre nur noch unsere Madonna hier, weil der kleine Knirps nicht zählt.“ Anne sagte nichts, stattdessen ruhte nur ihr eiskalter Blick auf den Serienmörder. Dann aber meldete sich Kenan zu Wort. „Das stimmt gar nicht. Anne hatte mal jemanden, den sie ganz doll lieb hatte!“ „Ach echt? Und welcher Irre wollte sich die denn antun?“ „Das war Korban und er war ganz lieb. Aber Anne sagte, er ist fortgegangen und…“ Er sprach nicht weiter, als Anne stumm eine Hand auf seine Schulter legte. Wohl deshalb, um ihn zu ermahnen, nichts mehr dazu zu sagen. Daraufhin senkte der Junge schuldbewusst den Kopf und murmelte „Entschuldigung, Anne.“ Am liebsten hätte Beyond weiter nachgehakt, denn es interessierte ihn natürlich schon, was für ein Wahnsinniger mit der Madonna mit den Eisaugen was anfangen würde, aber er ließ es doch lieber sein. Mit Anne wollte er sich lieber nicht anlegen. Nicht nachdem sie sogar Ajin mehrmals attackiert hatte, nur weil seinetwegen Kenan verletzt worden war. Die verstand da keinen Spaß. Aber dummerweise musste Sheol mit dieser Frage kommen. „Was ist denn aus deinem Macker geworden?“ fragte er direkt, woraufhin er sofort von Nastasja ermahnt wurde. Anne sah ihn nur kalt an, hielt Kenan die Ohren zu und erklärte „Ich hab ihn getötet.“ Und hier bereute der kurz geratene Rotschopf seine Frage auch sofort wieder und sagte nichts mehr. Und dasselbe galt auch für die anderen. Eine Weile lang herrschte Schweigen, bis sich schließlich nach einer Weile Jeremiel meldete. „Also wie wollen wir das machen? Folgen wir den beiden, oder spüren wir sie auf?“ „Ich wäre für die zweite Möglichkeit“, meinte L, der sich alles durch den Kopf gehen ließ. „Es würde nur auffallen, wenn wir alle ihnen hinterher schleichen würden. Deshalb wäre es das Sinnvollste, wir stoßen hinzu, wenn sie ihr Ziel erreicht haben und sehen dann, was passiert.“ „Also wirklich L“, rief seine Mutter vorwurfsvoll. „Wenigstens von dir hätte ich etwas anderes erwartet.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“, kam es von Beyond. „Immerhin hat er während seiner Ermittlungen im Fall Kira diese Misa Amane rund um die Uhr bewachen lassen und sogar nachts mit Infrarot. Und soweit ich erfahren habe, hat er sich sogar an Kira ketten lassen und das wochenlang.“ Die gebürtige Russin schüttelte nur den Kopf und sagte lieber nichts dazu. Es war vielleicht auch ratsam, denn immerhin war sie ja auch bei den Spionageaktionen mit Frederica und Ajin dabei gewesen und wettete fleißig mit. Schließlich begannen sie zu rätseln, wo denn das nächste Date sein würde. Auf jeden Fall kein Kino oder so. Es muss wahrscheinlich irgendetwas sein, was Ajin gefällt.“ „In dem Fall wird es entweder eine Wrestlingshow oder ein Autorennen sein“, meinte Eva. „Oder irgendetwas anderes in der Art. Für romantische Dinge ist er nicht wirklich geschaffen.“ „Das glaube ich nicht“, meldete sich Ezra. „Ich wette, dieses Mal wird er sich richtig Mühe geben, jetzt nachdem er geschnallt hat, dass die Gottnummer ihn nicht weiterbringen wird.“ Dem schloss sich Elion an und auch Oliver war derselben Meinung. „Ich glaub auch, dass er sich jetzt richtig Mühe geben wird. Immerhin geht’s jetzt ums Eingemachte.“ Charity, die bisher ganz friedlich gewesen war und neugierig alles um sich herum mit ihren großen smaragdgrünen Augen beobachtet hatte, begann plötzlich zu schreien und unterbrach damit die Gesprächsrunde. Sofort nahm Oliver sie auf den Arm und tröstete sie. Und tatsächlich beruhigte sich die Kleine kurz darauf und der 27-jährige Ire behielt sie daraufhin auf dem Arm. „Ihr beide macht das ja richtig gut“, bemerkte Nastasja sofort. „Wenn ich so an früher zurückdenke, da war es unvorstellbar gewesen, dass gleichgeschlechtliche Paare ein Kind adoptieren und aufziehen. Geschweige denn, dass überhaupt eine Heirat für sie möglich war.“ „Zum Glück leben wir in Amerika“, meinte der gebürtige Ire und lachte. „Hier ist es ja wesentlich einfacher, vor allem was homosexuelle Ehen und das Thema Leihmutterschaft betrifft. Den Amerikanern kann man ja vorhalten was man will, aber wenigstens hierfür muss man sie loben. Und Rumiko hat uns ja wirklich gut geholfen. Ohne sie hätten wir es kaum geschafft, ein Kind zu adoptieren. Und so besteht wenigstens eine Verwandtschaft zu der Kleinen. Hey, stellt euch mal vor, wir werden alle irgendwann mal Eltern. Was meint ihr?“ Fragende Blicke wurden ausgetauscht und so wie sich an den Blicken erkennen ließ, waren viele von ihnen unterschiedlicher Meinung. L’s Blick sagte deutlich „Nein danke!“, Ezra und Sheol waren noch zu jung, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und wollten erst mal die Schule schaffen. Elion hingegen schien sich offenbar schon vorstellen zu können, eines Tages mal eigene Kinder zu haben. Beyond war nicht wirklich anzusehen, wie er dazu stand und Eva und Levi waren sich einig, dass sie auf jeden Fall Nachwuchs haben wollten. Anne, die Kenan auf ihrem Schoß hatte, sagte erst nichts, streichelte ihrem Schützling den Kopf und erklärte „Solange ich Kenan habe, brauche ich niemanden.“ „Okay, damit hatten wir das auch geklärt“, warf Beyond schließlich ein. „Aber lasst uns wieder auf das eigentliche Thema zurückkommen. Frederica und Ajin sind morgen um zehn Uhr verabredet. Morgen ist Sonntag, was also heißt: shoppen fällt flach. Was hat denn alles am Sonntag geöffnet außer Kinos?“ „Restaurants und Spielhallen zum Beispiel.“ „Hast du noch mehr sinnfreie Ideen, Zwerg?“ „Du wolltest eine Antwort haben und ich hab eine gegeben, Blödmann“, meckerte Ezra zurück und wirkte ziemlich eingeschnappt. „Und nenn mich nie wieder Zwerg, klar?“ Sie saßen noch eine Weile zusammen und rätselten, was Ajin wohl für das Date geplant hatte. Schließlich kam Frederica dazu, die gerade vom Einkauf zurück war und sich natürlich erst mal wunderte, warum denn die ganze Truppe versammelt war und vor allem was Anne hier zu suchen hatte. Nun, für das zweite hatte keiner so wirklich eine Erklärung und Anne schwieg wie immer, aber was das erste anbelangte, so schwiegen sie lieber über die Wette und erklärten einfach „Na wir haben natürlich mitgekriegt, dass du wieder ein Date mit Ajin hast und da waren wir natürlich neugierig und haben darüber gesprochen.“ „Habt ihr keine anderen Hobbys?“ „Offenbar nicht“, bemerkte Jeremiel etwas nüchtern und Beyond und Sheol konnten sich ein Lachen natürlich nicht verkneifen. Frederica sagte dazu lieber nichts, setzte sich dann aber auch schließlich dazu und wurde natürlich erst mal über weitere Einzelheiten ausgefragt. „Also erzähl mal. Wo will er denn mit dir hingehen?“ „Er sagte nur, ich soll mich überraschen lassen“, erklärte das Albinomädchen und zuckte unsicher mit den Schultern. „Näheres wollte er nicht verraten. Ehrlich gesagt bin ich auch gespannt darauf, was er vorhat. Na hoffentlich wird es nichts Hektisches und Brutales. Inzwischen traue ich ihm ja schon so einiges zu. Aber ich glaube, dass er sich dieses Mal wirklich Mühe geben will.“ „Was würdest du dir denn vorstellen, wohin du am liebsten gehen würdest?“ Frederica dachte nach. „Also es muss ja nicht übertrieben sein. Ich würde mich auch über Kleinigkeiten freuen, wie zum Beispiel einem schönen Ausflug. Solange es nicht allzu übertrieben ist.“ Ja, das passte zu Frederica. Sie liebte die einfachen Dinge im Leben und war noch nie für Prunk und Protz zu haben. Wahrscheinlich war es deswegen so schwer zwischen ihr und Ajin, weil dieser ganz anders gestrickt war. Er liebte es genau andersherum und hielt nichts von Schlichtheit und Bescheidenheit. Sie waren Gegensätze, die erst einmal lernen mussten, miteinander zu harmonieren und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Ansonsten würde es nur wieder schief gehen. „Vielleicht waren diese zwei Fehlschläge ja auch nötig gewesen, damit Ajin versteht, dass er sich mehr auf dich einlassen muss, wenn es klappen soll.“ Elions Worten konnte man nicht viel entgegnen und auch Frederica hoffte, dass der nächste Versuch wesentlich besser verlief als nach dem Reinfall mit dem Kinobesuch. Wie ging der Spruch noch mal? Aller guten Dinge sind drei. Aber trotzdem beschäftigte sie schon sehr, was Ajin sich denn ausgedacht hatte und was er vorhatte. Auf der einen Seite ahnte sie schon, dass es wieder in die Hose gehen würde, aber auf der anderen Seite hoffte sie ja, dass es endlich klappen würde. Und vor allem hoffte sie, dass sie sich dann endlich mehr über ihre Gefühle im Klaren wurde. Sie wollte für sich selbst wissen, was sie für Ajin fühlte und ob es wirklich Liebe, oder nur freundschaftliche Sympathien waren. Am Abend gingen alle wieder ihre eigenen Wege und während Beyond und L beschäftigt war, ging Frederica aufs Dach und betrachtete den sternenklaren Himmel. Sie war damals oft abends aufs Dach gegangen, wenn sie nachdenken wollte. Es beruhigte sie, die vielen Sterne zu sehen. In solchen Fällen dachte sie, dass Eva vielleicht irgendwo sei und auf sie aufpasste. Da kam sie sich manchmal vor wie ein allein gelassenes Kind, das nur noch seinen Halt im Glauben an Gott hatte. Und jetzt? Sie wusste nicht, was sie fühlen oder denken sollte. Sie war innerlich so durcheinander und zerrissen, dass sie sich in diesem Moment irgendwie sehr einsam vorkam. Und aus einem unerklärlichen Grund überkam sie eine tiefe Traurigkeit und Melancholie. Sie musste wieder an Ajins Worte denken, die er bei ihrem gemeinsamen Ausflug gesagt hatte. Auch wenn sie es ungern zugab. Er hatte Recht. Nur wegen ihrer Schuldgefühle verbot sie sich ihr eigenes Glück. Die ganze Zeit hatte sie sich schwere Vorwürfe gemacht, weil sie den Falschen getötet hatte. Sie hatte Joseph getötet, obwohl dieser nur Alice beschützen wollte. Und als Strafe für ihr Vergehen hatte sie auf ihr eigenes Glück verzichten wollen, weil sie das von anderen zerstört hatte. Aber jetzt erkannte sie wirklich, wie einsam sie tief in ihrem Herzen war. Sie wollte jemanden an ihrer Seite, der sie so liebte wie sie war, sie beschützte und ihr Halt gab… und der sie zum Lachen bringen konnte, wenn es ihr nicht gut ging. Während sie diesen Gedanken nachging, sammelten sich Tränen in ihren Augenwinkeln und sie verstand sich selbst nicht mehr. Warum nur weinte sie auf einmal? Vielleicht weil sie Ajins Einsamkeit besser verstehen konnte als andere? Kapitel 11: Eine zaghafte Annäherung ------------------------------------ Frederica hatte fast die ganze Nacht nicht schlafen können und fand einfach keine Ruhe. Darum war sie auch sehr früh wieder auf den Beinen und das sogar noch vor Beyond und L. In der Nacht las sie Das Orchideenzimmer, den neuesten Celia Walters Roman und gegen sieben Uhr bereitete sie das Frühstück vor. Dabei summte sie leise ein Lied vor sich hin und merkte selbst, dass sie unruhig war. Nur konnte sie sich das irgendwie nicht so wirklich erklären. Bei ihren letzten zwei Dates war sie nicht so aufgeregt gewesen, warum also ausgerechnet jetzt? Irgendwie verstand sie sich selbst nicht mehr wirklich. Gegen acht Uhr standen Beyond und L auf, wobei es wieder eine kurze Auseinandersetzung zwischen den beiden gab, weil L kaum laufen konnte und er Beyond vorwarf, dass dieser mal wieder zu grob war und es wie schon so oft übertreiben musste. Frederica kannte diese Zankereien schon zur Genüge und lächelte nur amüsiert darüber. Die beiden zankten sich zwar oft genug, aber sie liebten sich dennoch mehr als alles andere auf der Welt. „Guten Morgen, ihr beiden“, grüßte sie und kochte schon mal Kaffee, während die zwei erst mal ins Bad verschwanden. Nachdem sie sich selbst mit einem einfachen Frühstück selbst gestärkt hatte, ging sie in ihr Zimmer, um sich für die Verabredung mit Ajin zurechtzumachen. Sie zog ein hübsches weißes Kleid an und dazu legte sie die silberne Halskette mit dem Schmetterlingsanhänger an, die Lacie ihr vor ihrem Tod geschenkt hatte. Es war ihr Abschiedsgeschenk gewesen… Manchmal gab es Tage, an denen Frederica ihre Freundin vermisste und sich wünschte, sie hätte sie retten können. Sie besaß die Macht, die Zeit zurückzudrehen und es vielleicht ungeschehen zu machen und Lacies Leben zu retten. Manchmal hatte sie sogar mit dem Gedanken gespielt, aber Liam hatte ihr davon abgeraten. Er hatte nur gesagt „Die Zeit ist oft genug zurückgedreht worden“ und damit hatte er auch Recht. Lacie hätte nicht gewollt, dass man sie retten würde. Sie hatte gewusst, dass sie sterben musste, weil ihr Tod nötig war, um Ain Soph wiederzubeleben. Sie war die ganze Zeit Ain Soph gewesen, doch solange sie in diesem sterblichen Körper gefangen war und auch ihr Bewusstsein eingeschränkt war, konnte sie nicht die sein, die sie eigentlich sein sollte. Das war ihr klar gewesen und deshalb hatte sie dem Tod ins Auge gesehen, damit sie endlich wieder die wahre Ain Soph sein konnte. Das wusste auch Frederica und mit ihrem Opfer hatte Lacie die Terrorherrschaft in der Heimat beendet und den Frieden gebracht. Sie hatte dafür gesorgt, dass es besser wurde und das Leid endlich beendet wurde. Und allein darauf kam es an. Trotzdem vermisste sie Lacie und wünschte sich, sie wenigstens noch ein Mal zu sehen und ihr zu sagen, dass es ihr leid tat, dass sie ihr nicht helfen konnte. Manchmal fragte sich Frederica, aus welchem Grund Lacie ihr die Kette geschenkt hatte. Womöglich als Zeichen der Verbundenheit, weil sie ein ähnliches Schicksal teilten? Oder vielleicht war diese Kette auch ein geheimer Wunsch von Lacie gewesen, dass etwas von ihr nach ihrem Tod weiterexistieren würde. Ein Beweis dafür, dass sie existiert hatte. Ja. Sie hatte Frederica diese Kette mit der unausgesprochenen Bitte geschenkt, dass sie sich daran erinnerte, dass Lacie Dravis wirklich existiert hatte und dass sie gestorben war. „Du siehst hübsch aus.“ Das Albinomädchen erschrak, als sie plötzlich eine Stimme hörte und zuerst dachte sie, es wäre Ajin, doch es war L, der an der Tür stand. „L, erschreck mich doch nicht so!“ Frederica bürstete ihre Haare und flocht sich einen Fischgrätzopf, wobei sie aber im Nachhinein feststellen musste, dass sie irgendwie wie Elsa aus dem Film „Die Eiskönigin“ aussah. Zuerst wollte sie den Zopf lösen und etwas anderes versuchen, aber L hielt sie davon ab. „Das sieht doch hübsch aus. Lass es ruhig so.“ „Ich komm mir aber irgendwie so vor wie eine Walt Disney Figur.“ „Es wäre meines Erachtens neu, dass es Albinos in Disneywerken gibt. Mach dich nicht selbst kleiner. Meine Mutter pflegt immer zu sagen: halte dir deine Stärken vor Augen und sag dir selbst, dass du dich so liebst wie du bist und dass du liebenswert bist, ganz egal welche Macken du hast.“ Etwas unsicher lächelte die 445-jährige Seraph und sah in den Spiegel. Es geschah recht selten, dass sie sich schick kleidete. „Irgendwie verstehe ich das nicht. Die letzten beiden Male wollte ich es einfach nur hinter mich bringen und jetzt? Ich bin nervös und… na ja… sieh mich an!“ „Womöglich ist da ein Funke übergesprungen. Vielleicht hat das Gespräch zwischen euch beiden geholfen, einander besser zu verstehen.“ „Scheint so“, murmelte Frederica und blieb noch ein wenig vor dem Spiegel stehen, dann wandte sie sich L zu und umarmte ihn. „L, ich bin wirklich froh, dass ich ein Teil deiner Familie bin. Ich möchte, dass du das weißt.“ „Natürlich weiß ich das. Du bist doch meine große Schwester und wirst es immer bleiben. Und wir alle wollen doch, dass du glücklich bist.“ Es tat gut, diese Worte von L zu hören. Und diese Umarmung gab ihr auch ein Stück weit Kraft. Tief atmete sie durch und man sah ihr die Nervosität deutlich an. „Wie spät?“ L schaute auf sein Handy und stellte fest, dass es 9:55 Uhr war. In fünf Minuten würde es also soweit sein. Ihr drittes Date mit Ajin, wenn man es so sah. Zwar hatte sie es nicht direkt als Date bezeichnet, doch das Endergebnis war trotzdem dasselbe. „L, wie schafft man es eigentlich, sich in jemanden zu verlieben, der ganz anders ist und mit dem man kaum etwas gemeinsam hat?“ „Tja“, murmelte der Detektiv und begann wie so oft an seiner Daumenkuppe zu knabbern. „Man sieht etwas in denjenigen, was man anziehend findet. Und mit der Zeit entdeckt man auch Gemeinsamkeiten und auf die Weise harmoniert man auch gut mit demjenigen, auch wenn es nicht immer einfach ist. Zwischen mir und Beyond ist es ja auch nicht immer leicht. Wir streiten uns für gewöhnlich sehr oft, aber wir wissen dennoch immer, was wir an dem anderen lieben und das ist stärker als alle Differenzen.“ „Stimmt. Aber… ich frage mich, ob ich wirklich dazu fähig bin, jemanden überhaupt zu lieben.“ „Ausgerechnet du? Jetzt mach dich nicht lächerlich. Die Bedenken hätte viel eher eigentlich ich haben sollen. Immerhin war ich derjenige, der seine Gefühle gänzlich verschlossen hat, um nie wieder so schwach zu sein wie damals, als ich meine Familie nicht retten konnte. Weder meine Eltern, noch dich.“ Frederica tätschelte ihm mit einem liebevollen Lächeln den Kopf, so wie sie es damals zu tun pflegte, als er noch klein war. „L, du warst damals doch erst fünf Jahre alt, als das passiert ist. Da hättest du nichts ausrichten können. Wir sind alle stolz auf das, was du bis jetzt erreicht hast und du hast überlebt. Das ist die Hauptsache. Und eines darfst du nie vergessen: dein Name ist mehr als nur ein Name. Er ist deine Bestimmung.“ „Ja, für uns haben Namen nämlich einen tieferen Sinn als für dieses kleine Menschenvölkchen.“ Frederica zuckte erschrocken zusammen, als sie plötzlich eine Stimme hinter sich hörte, die ihr mehr als vertraut vorkam. Sie drehte sich um und sah, dass es tatsächlich Ajin war, der mal wieder aus dem Nichts erschienen war. „Ajin“, rief sie und musste erst mal ihr wie verrückt schlagendes Herz beruhigen. „Warum kannst du nicht an die Tür klopfen, wenn du schon kommen willst?“ „Ich bin Gott, ich darf das“, erklärte er mit einem schelmischen Grinsen und damit war für ihn die Sache geklärt. Stattdessen musterte er aufmerksam Fredericas Kleid und konnte nicht anders als zu bemerken „In dem Kleid siehst du verdammt scharf aus.“ Naja, das beste Kompliment war es nicht gerade für jemanden wie Frederica, aber sie verstand schon, was er damit sagen wollte und sie stammelte ein etwas verlegenes „Danke.“ Doch dann zog er die Augenbrauen zusammen und schien nachzudenken und dann murmelte er „Aber es fehlt da noch etwas.“ „Und was?“ fragte die 445-jährige und blickte etwas unsicher auf ihr Kleid herab. „Etwas Farbe“, erklärte Ajin und tippte kurz ihr Kleid an. Und mit einem Male begannen sich rote Flecken zu bilden, die sich langsam auf dem Kleid ausbreiteten und sich zu Rosen formten. Mit einem Male war ihr Kleid mit roten Rosenmustern verziert und dann steckte Ajin ihr eine echte Rose ins Haar und erklärte „Rote Rosen stehen dir. Passt zu deinen Augen.“ Frederica verschlug es die Sprache und ihre Wangen glühten. Hilfe, was passierte da nur? Hatten Ajins Versuche bisher immer nur für Ablehnung und Unwohlsein gesorgt, wusste sie auf einmal nicht mehr, wohin mit sich, brachte kein einziges Wort zustande und errötete auch noch dabei. Wann hatte es denn bitte angefangen, nicht mehr unangenehm für sie zu sein, wenn er ihr etwas unbeholfene Komplimente machte? „Äh… i-ich… also…“ Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte und war gänzlich überfordert. „Bist du bereit für unseren kleinen Ausflug?“ Sie nickte nur und so legte Ajin vorsichtig einen Arm um ihre Schultern, um sie nicht noch mal so sehr zu erschrecken. „Nun, dann lass uns gehen.“ Und ohne sich von L zu verabschieden, ging er mit ihr los und wie immer gingen sie direkt durch die Wand. Es war für Frederica jedes Mal ein mehr als merkwürdiges Erlebnis, durch Wände zu gehen, als wären sie gar nicht da und dann an einem völlig neuen Ort rauszukommen. Und als sie hindurchgegangen waren, fanden sie sie sich auf einem großen weitläufigen Gelände wieder. Es gab einen Weg, der zu beiden Seiten mit Glasfenstern gesichert war und man hatte einen guten Ausblick auf die Bäume. Doch so wirklich konnte Frederica nicht erkennen, wo sie denn waren. „Wo genau sind wir hier eigentlich?“ „Soweit ich weiß an einem Ort, wo die Menschen ihr Leben gerne Vögel beobachten.“ „Vögel?“ Fredericas Augen wurden groß und sie konnte es nicht glauben. Sie ging zu einem der Fenster hin und sah tatsächlich einen Weißkopfadler auf einem Ast sitzen, der sein Gefieder putzte. Nun war sie endgültig sprachlos. Woher wusste Ajin von ihrer Leidenschaft für Vögel? Als hätte er ihre Gedanken gelesen, erklärte er „Als Gott weiß man eben alles. Und nachdem ich schon dumm genug war, auf die schwachsinnigen und hirnverbrannten Ideen der anderen zu hören, dachte ich an Wilhelm Tell: eine Axt im Haus erspart den Zimmermann.“ „Ich wusste gar nicht, dass du dich mich mit Literatur auskennst.“ „Wenn ich Langeweile hab, wühle ich mich ein bisschen durch Ains Bibliothek. Außerdem sind mir diese Autorenfritzen sehr gut bekannt. Und was ich ein Mal weiß, vergesse ich nie wieder. Ganz egal, was es ist.“ Sie gingen den Weg entlang und Frederica kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Schon lange hatte sie sich insgeheim schon mal vorgenommen, mal eine Vogelwarte zu besuchen, um so ihrer Leidenschaft nachzugehen, aber sie hatte es immer verschoben und während ihrer Zeit im Institut hatte es sowieso nicht geklappt. Und danach war für sie immer etwas dazwischengekommen. Als sie dann zu den etwas südländischeren Vögeln kamen und darunter auch Papageien, Kakadus und Aras zu bestaunen waren, da wandte sich Ajin Frederica zu und fragte „Willst du sie mal ganz nah sehen?“ „Wie jetzt nah?“ Hierauf ergriff er ihre Hand und ging mit ihr einfach durch die Glasscheibe hindurch und waren damit auf der anderen Seite. Das Albinomädchen wandte sich erschrocken ihrer Begleitung zu. „Das… das ist doch verboten. Was ist, wenn uns jemand sieht?“ „Mir ist es scheißegal, ob es verboten ist. Und uns sieht schon keiner.“ „Ja aber…“ „Kein aber“, unterbrach Ajin sie. „Glaubst du etwa, die Shinigami sind die Einzigen, die für die Menschen unsichtbar sind? Fakt ist: seit wir anwesend sind, beachtet uns keine Sau. Wir sind also wie Kristen Stewart und Justin Bieber.“ Frederica musste bei diesem fiesen Witz lachen und fragte „Hast du schon mal in diesem Zustand absichtlich irgendjemanden erschreckt oder so?“ „Klar hab ich das. Den armen Edgar hat es im Sanatorium fast zu Tode erschreckt und was diese Pfeife Ed betrifft, der kam natürlich sofort mit seinem Geister- und Dämonenquatsch an und wollte das ganze Haus exorzieren lassen. Aber heutzutage ist es nicht mehr ganz so lustig wie vor 1000 Jahren. Da waren die Leutchen noch so abergläubisch, dass es schon fast zu einfach war, sie zu erschrecken.“ Sieh an, er hat auch Sinn für Humor, dachte sich Frederica und schmunzelte. Und wie sich herausstellte, hatte ihre Begleitung eine ganz besondere Vorliebe für schwarzen Humor. So meinte er irgendwann „Moses hat die Israeliten 40 Jahre lang durch die Wüste geführt, weil er sich geschämt hat, mit ihnen auf der Straße gesehen zu werden.“ Und dann kam er mit dem nächsten Witz, der es in sich hatte. „Jesus geht durch die Wüste. Da kommt ihm ein alter, blinder Mann mit wallendem, weißem Haar entgegen, die Arme suchend ausgestreckt: „Ich suche meinen Sohn, ich suche meinen verlorenen Sohn“. Meint Jesus zu ihm: Vielleicht kann ich dir helfen alter Mann. Beschreibe mir deinen Sohn, woran kann man ihn erkennen?“ Der alte Mann: „Er hat von Nägeln stammende Löcher an Händen und Füßen.“ Darauf Jesus: „VATER!!! und der alte Mann „PINOCCHIO!!!““ Frederica lachte fast schon Tränen und obwohl sie für gewöhnlich nicht die größte Freundin von schwarzem Humor war, so klangen sie aus Ajins Mund allesamt witzig. In dem Moment erschien es ihr auch wie ein Rätsel, dass sie vorher nichts mit ihm zu tun haben wollte. Sie sah ihn auf einmal mit ganz anderen Augen und sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie das kommen konnte. Was war der Auslöser gewesen, dass sich ihre Meinung über ihn geändert hatte? Vielleicht dieser Spaziergang, bei dem er ihr klar und deutlich gezeigt hatte, wie er wirklich fühlte und mehr in ihm steckte, als nur dieser arrogante Mistkerl, der sie begrabscht hatte? Es ist wirklich verrückt, dachte sie und verstand sich selbst nicht mehr. Ich treffe mich mit jemandem, der mir an den Hintern gefasst hat, der grottenschlecht im Flirten ist und der obendrein einen cholerischen und vulgären Charakter hat. Und das Verrückteste an der ganzen Geschichte ist: ich bin wirklich drauf und dran, mich in ihn zu verlieben. Als wäre das hier eine Art Märchenversion von „Die Schöne und das Biest“. Tja, nicht jedes Mädchen kann einen Märchenprinzen zum Freund haben, oder? Äh… Augenblick mal! Frederica konnte nicht glauben, was sie da gerade tatsächlich dachte. FREUND??? Ich bin noch nicht mal richtig in ihn verliebt, wieso denke ich jetzt schon von ihm als Freund? Nein, das geht mir alles viel zu schnell. Das kommt alles so plötzlich! Die 445-jährige Seraph war völlig durcheinander und wusste nicht einmal, was sie denken sollte, als sie da auch schon etwas auf ihrer Schulter spürte. Zuerst dachte sie, es sei Ajins Hand, aber es war ein Kakadu. Näher gesagt ein Gelbhaubenkakadu. Vorsichtig nahm Frederica ihn auf ihre Hand und strich ihm vorsichtig über den Kopf und gab ihm schließlich etwas Obst zu fressen. „Vögel sind wirklich wunderbare Tiere“, murmelte sie schließlich und war froh, dass sie sich selbst von diesen Gedanken ablenken konnte. „Fast alle sind monogam und bleiben bis an ihr Lebensende bei ihrem Partner. Vor allem Kakadus und Papageien sind sehr soziale Vögel. Und vor allem sind es sehr schöne Tiere.“ „Und sie vermitteln einem das Gefühl völliger Freiheit.“ „Ja, das stimmt“, bestätigte sie und begann den Kakadu zu streicheln. Diesem schien das sichtlich zu gefallen. „Während meiner Zeit im Institut habe ich mir oft vorgestellt, ich wäre ein Vogel und könnte einfach davonfliegen und dort sein, wo ich will. Keine Pflichten, keine Schmerzen, kein Käfig…“ „Ach glaub mir, Freiheit kann auch ein Fluch sein“, erklärte Ajin und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Man beginnt sich zu langweilen, man geht irgendwann nur noch verantwortungslos mit ihr um und weiß sie nicht zu schätzen. Und Freiheit an sich gibt es für niemanden von allem, was nach mir existiert. Es gibt immer Einschränkungen, selbst für die Seraphim und Sefirot. Jeder lässt sich von seiner Natur steuern, das ist unvermeidlich. Man hat immer ein begrenztes Maß an Freiheit zur Verfügung und damit muss man umgehen können. Vollkommene Freiheit bedeutet, frei von Leben und Tod, Zeit und Raum zu sein und sich weder von Instinkten, noch von geistigen Einschränkungen fesseln zu lassen. Und das ist unmöglich. Ich bin die Ausnahme von der Regel, weil ich nun mal das Grundgerüst aller Dinge verkörpere. Ich existiere außerhalb jeglicher Gesetze, weil ich sie geschaffen habe und mich ihnen nicht unterordnen muss. Aber vollkommene Freiheit bedeutet auch, einen hohen Preis dafür zu zahlen. Ich werde niemals aufhören zu existieren. Denn das Nichts steht selbst außerhalb der Gesetze von Existenz und Nichtexistenz, weil es sich in einem so genannten Existenzparadoxon befindet. Folglich also werde ich da sein, wenn alle Welten untergegangen sind und selbst Ain und Elohim nicht mehr leben. In solchen Momenten beneide ich manchmal die Menschen. Sie leben in ihrer beschränkten kleinen Welt wie Goldfische im Glas, haben hochstrebende Träume und ihr Leben endet, wenn es am besten enden sollte. Zumindest meistens… Sie träumen davon, unsterblich zu werden und haben dabei keine Ahnung, was das für sie bedeutet.“ „Es ist wohl ein ziemlich einsames Leben, oder?“ „Man gewöhnt sich daran und man hat auch kein Gefühl für Zeit und dergleichen. Meist schlafe ich einfach, dann merkt man das eh nicht sonderlich. Aber dementsprechend ist man auch schlecht gelaunt, wenn man aufgeweckt wird und es nur irgendwelche Leute sind, die dich um den nächsten Schwachsinn bitten.“ „Hört sich nicht gerade nach einem schönen Leben an.“ „Aber irgendjemand muss es ja führen. Ganz streng genommen unterliege sogar ich dem Gesetz, dass ich als das Nichts da sein muss, wenn nichts mehr existiert. Ist ne echt komplizierte Kiste und ein Widerspruch in sich, aber es ist nicht zu ändern.“ „Und wieso bist du dann der König der Shinigami?“ „Eine Beschäftigung muss man ja haben. Und da das Jenseits nun mal das Nichts ist, weil alles, was stirbt, wieder zu meiner Kraft zurückkehrt, hab ich eben die Pflicht übernommen, auf den Laden aufzupassen.“ „Und wer kümmert sich dann während deiner Abwesenheit darum?“ Sie gingen ein Stück weiter und es war für Frederica schon ein seltsames Gefühl, dass sie hier frei herumgehen konnten, ohne dass jemand sie wirklich sah. Für Ajin hingegen schien es wohl das Normalste auf der Welt zu sein, aber bei ihm brauchte man sich ja auch nicht wundern. „Nachdem ich Ain erschuf, da habe ich auch zehn Emanationen geschaffen. Sie sind den Sefirot sehr ähnlich, haben aber eine weitaus wichtigere Aufgabe. Sie bilden nämlich das „Grundgerüst“ der Welt und wachen über die Gesetze von Zeit und Raum, Leben und Tod, die Äquivalenz der Dinge, Träume, Individualismus und über die Seelen und das Gesetz der Existenz und Nichtexistenz.“ „Davon hat mir Eva nie erzählt.“ „Kein Wunder. Selbst die Sefirot wissen nicht von ihrer Existenz oder haben nur Legenden gehört. Die Emanationen halten sich für gewöhnlich außerhalb der Welten auf oder sind ständig auf Reisen. Während meiner Abwesenheit kümmert sich Mavet um meine Stellvertretung in der Shinigamiwelt. Die Emanationen sind unsterblich und das aus gutem Grund: wenn alles zu Ende gehen sollte, muss ich nicht noch mal ganz von vorne anfangen.“ „Und du wärst dann nicht ganz so alleine, oder?“ „…“ Ajin sagte nichts, aber Frederica spürte trotzdem, dass sie Recht hatte. Und dann als der Kakadu wegflog und sie einen seltsamen Glanz in Ajins Augen sah, der etwas so Tiefes und Unendliches in sich trug, da ergriff sie seinen Arm und hakte sich bei ihm unter. Etwas überrascht blieb er stehen und sah zu ihr herunter, denn nach der Ansage, die sie nach der Grabschaktion gemacht hatte, war er wirklich davon ausgegangen, dass es noch lange brauchen würde, bis sie Körperkontakt zulassen würde. Aber offenbar war es doch tatsächlich sinnvoller, sie den ersten Schritt machen zu lassen und sich einfach ruhig zu verhalten. Tja, sie ist eben wie ein scheues Tier, dachte er sich. Man muss dann in dem Fall wohl warten, bis es von selbst kommt und dann vorsichtig sein, damit es nicht gleich wieder abhaut. Und so wie es scheint, zahlt es sich wohl tatsächlich aus. Kapitel 12: Ein (un)ruhiger Abend --------------------------------- Als es langsam dunkel wurde, verließen sie die Vogelwarte und über Ajins Umweg gelangten sie kurz darauf auf die Shoppingmeile, wo sie schließlich eine Bar aufsuchten. Um den Tag ausklingen zu lassen, konnte es ja nicht schaden, auch mal was trinken zu gehen. Frederica sah sich etwas irritiert um, denn das hier sah ganz und gar nicht nach Boston aus. „Sag mal Ajin, wo genau sind wir denn eigentlich?“ „In New York.“ „Was? Wieso sind wir denn hier?“ „Weil man hier gut was trinken gehen kann. Ist eigentlich ne ganz nette Gegend, wenn man vom vielen Dreck absieht. Ich war zwar schon mal in Deutschland was trinken, aber leider sind die Deutschen dort genauso lustig wie eine Raufasertapete. Kein Sinn für Humor…“ Sie bestellten sich Cocktails und setzten sich in eine etwas ruhigere Ecke, wo Ajin ein paar Anekdoten vom Stapel ließ. Einige waren etwas makaber, aber inzwischen hatte sich Frederica ganz gut mit dieser Art von Humor angefreundet und konnte auch darüber lachen. Insbesondere wenn er prekäre Details von anderen ausplauderte. Schließlich, als die Stimmung etwas ruhiger wurde und der erste Cocktail ausgetrunken war, da wagte das Albinomädchen eine Frage. „Du hör mal Ajin. Wenn… wenn es etwas mehr zwischen uns werden soll… also nur rein hypothetisch… wie soll es dann weitergehen?“ Etwas verwirrt sah der Unvergängliche sie an und schien erst nicht ganz zu begreifen, was sie ihm damit sagen wollte, aber dann fiel der Groschen und er streckte sich kurz. „Nun, dann würdest du mit mir in meiner Welt leben.“ In seiner Welt… in der Welt, in welcher es rein gar nichts gab… Nicht gerade das, was sich Frederica vorstellen würde. Sie liebte diese Welt hier und sie wollte dieses Leben auch nicht aufgeben. „Gibt es… gibt es denn keine andere Möglichkeit?“ „Es gibt immer welche, es wäre nur die naheliegendste gewesen. Was schwebt dir da im Kopf herum?“ „Naja“, murmelte sie und strich eine Haarsträhne zurück, die sich gelöst hatte. Ihr Herz schlug nun schneller und die Aufregung war wieder da. Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte und konnte kaum noch einen vernünftigen Gedanken fassen. Allein schon, wenn sie seine giftgelben Augen sah, war ihr, als würde ihre Brust explodieren und sie fand einfach keine Ruhe. War es wirklich so weit gekommen mit ihr? War sie wirklich verliebt? Die Symptome deuteten zumindest darauf hin. „Ich habe hier meine Freunde und meine Familie“, erklärte sie schließlich. „Ich bin glücklich hier in dieser Welt und ich habe hier ein Leben, das ich nicht aufgeben will. L und Beyond brauchen mich, für Nastasja bin ich ein festes Familienmitglied und für Andrew und Elion bin ich eine gute Freundin. Sie sind alle meine Familie und ich will sie nicht verlassen.“ „Dann sag doch einfach, was du willst.“ „Könntest… könntest du nicht hier bleiben? Hier bei mir?“ Frederica lief rot an, als sie realisierte, was sie da gerade gesagt hatte. Oh Gott, hab ich das jetzt wirklich zu ihm gesagt? Hilfe, was ist nur mit mir los? Ich hab ihn doch wirklich nicht allen Ernstes gefragt, ob er meinetwegen in dieser Welt bleiben könnte? „Ve-ve-vergiss es“, rief sie und machte abwehrende Gesten mit den Händen, während sie aufsprang. „Da-da-das ist eine total blöde Idee gewesen. Tut mir leid…“ Damit rannte sie fluchtartig aus der Bar und eilte blindlings die Straßen entlang. Dass Ajin sie in null Komma nichts wieder einholen konnte, kam ihr in diesem Moment gar nicht erst in den Sinn. Aber sie wollte einfach nur weg von hier und Ajin am liebsten nicht mehr über den Weg laufen. Nicht, nachdem sie so etwas gesagt hatte. Sie schämte sich zu sehr dafür… sie schämte sich für ihre eigenen Gefühle. Sie kam sich irgendwie selbst ziemlich erbärmlich vor, dass sie sich ausgerechnet in so einen Kerl verlieben konnte, der sie am Anfang so behandelt hatte. Das war doch… erbärmlich? War das der Gedanke, den sie wirklich hatte? Dass ihre Liebe zu Ajin erbärmlich war? Sie wusste, dass es nicht zwischen ihnen klappen konnte. Sie waren einfach zu verschieden und sie war nur ein Seraph. Erschaffen aus dem letzten Wunsch eines anderen Seraphs. Sie war ein Nichts und er? Er war der König der Shinigami, Herr über das Nichts und der Gott des Chaos und der Zerstörung. Ajin Gamur, genannt „der Endgültige“. Was war sie denn schon im Vergleich zu ihm? Es würde nie und nimmer zwischen ihnen klappen, das wusste sie jetzt schon. Es war das Beste, wenn er eine andere fand. Was würde Ajin wohl dazu sagen, wenn sie ihm das ins Gesicht gesagt hätte? Nun… wahrscheinlich hätte er in diesem Moment wieder dieses listige Lächeln und diesen unheimlichen Glanz in den Augen gehabt. Und mit Sicherheit hätte er sie gefragt „Ist das wirklich der Grund, warum du wegläufst? Ist es nicht viel eher, weil du Angst hast?“ Hatte sie denn Angst? War das wirklich der Grund, warum sie die Flucht ergriffen hatte? Weil sie Angst vor einer festen Beziehung hatte? Frederica wusste es selbst nicht und hasste sich dafür, dass sie so feige war. Warum konnte sie nicht so stark sein wie Eva und einfach das Risiko eingehen und die Sache durchziehen? Stattdessen lief sie davon und bewies damit nur, wie feige sie eigentlich war. Sie blieb schließlich stehen und lehnte sich gegen eine Hauswand, während sie wieder zu Atem kam. „Die Einzige hier, die erbärmlich ist, bin ich…“ Warum kann ich nicht so stark sein wie die anderen? Das war die Frage, die sie in diesem Moment am meisten quälte. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, beschloss sie, zurück zur Bar zu gehen und sich bei Ajin zu entschuldigen. Wenn er nicht schon vorher zu ihr kam, würde er mit Sicherheit gleich auftauchen und dann musste sie ihm irgendwie die ganze Sache erklären. So ging sie wieder zurück und war völlig in Gedanken versunken. Deshalb merkte sie auch erst viel zu spät, wie jemand von hinten auf sie zugerannt kam und sie packte. „Hey!“ rief sie und sofort war noch ein Zweiter da, der sie an den Armen festhielt. „Lasst mich sofort los!“ Doch die beiden Männer hielten sie unerbittlich fest und zerrten sie zu einem Van mit getönten Scheiben. Das war nicht gut. Als ob es nicht schon schlimm genug war, dass sie einfach abgehauen war, jetzt wollten diese Männer sie auch noch entführen? Darauf hatte sie jetzt wirklich keine Lust. Es war wohl besser, die beiden schlafen zu schicken und dann zu gehen. Ihr Gehirn so dermaßen zu überlasten, dass sie das Bewusstsein verloren, war für Frederica eine leichte Kunst und würde wenigstens nicht so viel Aufsehen erregen, als sie gleich mithilfe der Resonanzkatastrophe in Fetzen zu reißen. Ganz zu schweigen davon, dass das ihrem eigenen Körper erheblich schadete. „Na wartet, ich…“ Ein infernalischer Schmerz durchjagte ihren Körper, als sie grob an den Haaren gezogen wurde und damit ihr gesamter Verstand vollständig gelähmt wurde. Sie war nicht in der Lage, ihre Kraft einzusetzen, geschweige denn sich weiter zur Wehr zu setzen. Als sie vor Schmerz schrie, wurde ihr Mund mit Klebeband zugeklebt und dann wurde sie auch schon in den Van gebracht. „Los, fahr!“ rief einer der Männer dem Fahrer zu, der daraufhin Gas gab und losfuhr. Einer der Fremden, der Frederica an den Haaren gepackt hielt, grinste und betrachtete sie mit einem lüsternen Grinsen. „Die Kleine ist wirklich eine Schönheit. Mit der lässt sich sicher gut Kohle verdienen.“ „Man ist die blass. Selbst die Haare sind ganz weiß. Ob die irgendwie was hat?“ „Scheiß drauf. Hinterher kriegen die doch eh alle nen Tripper oder sonst was.“ „Ich glaub, das ist ein Albino oder so. Die sind alle so kreidebleich.“ „Geil, dann haben wir ja eine richtige Rarität aufgegriffen.“ Scheiße, das sind sicher irgendwelche Leute, die Mädchen entführen und an Bordelle verkaufen. Ach Mann, mein Tag muss aber auch immer beschissener verlaufen. Und solange sie nicht endlich meine Haare loslassen, kann ich mich nicht genug konzentrieren. Ein lautes „SCHEISSE!!!“ riss sie aus ihren Gedanken, als der Fahrer plötzlich auf die Bremse trat. Eine Sekunde später ging ein heftiger Ruck durch den Van, als dieser abrupt zum Stehen kam. Ein lauter Knall ging durch den Wagen und er bäumte sich hinten sogar auf, als kurz darauf auch schon die Tür herausgerissen wurde, als wäre sie aus Papier. Es war Ajin und er riss mit bloßen Händen fast den halben Van auseinander. Seine giftgelben Augen funkelten mörderisch und er war stinksauer. „Wer von euch gottverschissenen Motherfuckern hat euch eigentlich erlaubt, einfach so mit meinem Date abzuhauen? Das reicht, ich reiß euch eigenhändig die Wirbelsäulen heraus und mach mir daraus ein Springseil!“ „Fuck verdammt.“ Sofort zogen die Männer ihre Pistolen und wollten das Feuer eröffnen, doch kaum, dass sie den Abzug betätigten, zerfielen die Waffen in ihre Einzelteile und bevor sie überhaupt realisierten, was geschah, zerrte Ajin den ersten am Kragen heraus und grinste ihn böse an. „So du Sitzpisser. Das hast du nicht umsonst getan. Niemand vergreift sich ungeschoren an Frederica.“ Und damit schlug Ajin ihm in den Brustkorb. Der Mann brach stöhnend zusammen, als ein entsetzliches Knirschen ertönte, das von zerbrechenden Knochen stammte und einem Menschen einen Schauer über den Rücken kagen konnte. Der Verletzte würgte Blut hervor, dann blieb er liegen. „Tja Keule, Pech gehabt. Ich brauch nämlich nicht mehr als einen Schlag, um sämtliche Knochen in deinem Körper zu brechen. So und jetzt zu dir…“ Damit zerrte er den zweiten heraus, dann wandte er sich an Frederica, die inzwischen wieder das Klebeband von ihrem Mund gelöst hatte. „Das war doch der, der dich an den Haaren angefasst hat, oder?“ Das Albinomädchen brachte keinen Ton hervor und konnte dementsprechend auch keine Antwort geben. Aber ihr Blick sagte genug. Es war der Kerl, der ihr diese Schmerzen zugefügt hatte. Eiskalte Mordlust funkelte in Ajins Augen und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten Grinsen. Der Mann hatte Todesangst und ahnte, dass ihm noch Schlimmes bevorstand. „N-nein… bitte nicht… ich…“ „Du wagst es, mich anzubetteln, du dreckige kleine Made? Du hast wohl den Schuss nicht gehört. Erst entführst du meine Verabredung und tust ihr weh und jetzt bettelst du mich an? Na warte, das kommt dich teuer zu stehen.“ Damit zerrte Ajin ihn von den Füßen hoch und setzte dann eine gewaltige Druckwelle frei, die den Mann in die Luft schleuderte. Er schoss so hoch, dass er kaum noch zu sehen war und Ajin winkte ihm noch hämisch grinsend hinterher. „Guten Flug noch, Arschloch. Lass dir besser auf dem Weg Flügel wachsen, sonst wird’s beim Aufprall noch echt wehtun.“ Der Fahrer war nun ausgestiegen und hatte ein Messer in der Hand. Ohne zu zögern griff er Ajin damit an und wollte auf ihn einstechen, doch dieser wehrte den Angriff mühelos ab und packte dann den Angreifer am Handgelenk und drückte unerbittlich zu, sodass es ein hässliches Knirschen gab. Der Mann schrie und ließ die Waffe fallen. Ajin hingegen war fast wie im Blutrausch. Er lachte verächtlich, als er sein Opfer vor Schmerz wimmernd auf dem Boden knien sah. „Ja, ja… ein menschlicher Körper ist aber auch wirklich verdammt zerbrechlich. So du kleiner Spast. Du wolltest mich also abstechen? Ich sag dir mal was, du Arschgeige: du hast dich mit dem falschen Gott angelegt. Das wird dir noch leid tun. Typen wie du, die Mädchen zu dritt angreifen, haben keinerlei Rückrat. Und deshalb werde ich dir jetzt dein verficktes Rückrad zerbröseln, dass du nie wieder aufstehen kannst!!!“ Und damit packte Ajin ihn und drückte seinen Rücken in eine beinahe unmögliche Lage, bis es ein fürchterliches Knacken gab und laute Schreie die Straße erfüllten. Doch keiner schenkte dem Geschehen Beachtung. Es war auch eine leichte Sache für Ajin, dieses blutige Geschehen vor den Augen der Leute zu verbergen. Nachdem er dem Fahrer das Rückrad gebrochen hatte, warf er ihn zu Boden und trat ihm mit dem Absatz seines Stiefels zwischen die Beine, was dem Kerl endgültig den Rest gab. Nachdem er sichergestellt hatte, dass es keinen Ärger mehr geben würde, holte er Frederica aus dem Van und setzte sie vorsichtig auf dem Boden ab. „Sorry, dass ich erst jetzt komme. Ich dachte, du bräuchtest etwas Zeit, um dich zu beruhigen. Als das dann aus dem Ruder gelaufen ist, hab ich mich gle…“ Er kam nicht dazu, zu Ende zu sprechen, als sich Frederica an ihn klammerte und am ganzen Körper zitterte. Sie schluchzte leise und war völlig durch den Wind. „Lass uns besser verschwinden“, sagte er nur und alles, was das Albinomädchen spürte, war ein leichter Sog, der sich fast wie eine Art magnetische Anziehungskraft anfühlte. Als er sich wieder von ihr löste, fanden sie sich auf einem Steg wieder. Vor ihnen erstreckte sich ein riesiger See und gemeinsam setzten sie sich und langsam aber sicher beruhigte sich Frederica wieder. „Entschuldige, dass ich so viel Ärger gemacht habe“, schluchzte sie und wischte sich die Tränen weg. „Ich war einfach so durcheinander gewesen und hab nicht aufgepasst.“ „Schon in Ordnung. Es ist ja nichts passiert und diesen Wichsnasen hab ich auch erst mal ordentlich den Arsch aufgerissen. Ist nicht das erste Chaos, das ich angerichtet habe und mit Sicherheit auch nicht das letzte. Hauptsache mit dir ist alles in Ordnung. Diese versuchte Entführung muss ja einiges wieder bei dir wachgerufen haben, oder?“ Niedergeschlagen nickte sie und senkte den Blick. Im Wasser schwammen mehrere Papierlaternen und gaben ein wunderschönes Licht ab und verliehen dem Ganzen eine romantische Atmosphäre. „Manchmal habe ich immer noch Alpträume von den 20 Jahren, die ich im Institut verbringen musste. Insbesondere, wenn ich wieder Schmerzen in meinen Haaren spüre, da kommt diese Angst wieder, dass ich mich nicht bewegen kann und eingesperrt bin. Und… und dass ich an diesen schrecklichen Maschinen angeschlossen bin.“ „Hast du nie mit irgendjemandem geredet?“ „Nein“, antwortete sie. „Ich wollte nicht schwach erscheinen, nachdem es schon für alle so ein großer Schock war, dass ich gestorben bin. Da wollte ich ihnen nicht noch mehr Kummer bereiten.“ „Das ist doch totaler Nonsens, den du da redest“, erklärte Ajin und hatte wieder seinen fast schon provokanten und herablassenden Ton wiedergefunden. Aber wahrscheinlich war das auch der Ton, mit dem er andere belehrte. „Wozu hat man denn bitteschön eine Familie, wenn man über solche Dinge nicht redet? Du erzählst immer, dass du anderen helfen willst und du für deine Familie da sein willst. Aber in erster Linie solltest du dir lieber mal zuerst helfen, bevor du mit den anderen anfängst. Was glaubst du, was mit dem Letzten passiert ist, der nie über seine Probleme geredet hat und alles mit sich alleine ausgemacht hat? Er ist vom Dach gesprungen und du hast dieses Paradebeispiel von Selbstzerstörung doch in der Familie. Da verstehe ich wirklich nicht, warum du das trotzdem machst, wenn du doch weißt, wohin das führt.“ „Vielleicht… vielleicht hatte ich bisher einfach niemanden, bei dem ich das Gefühl hatte, ich könnte mit ihm darüber sprechen. Nicht, dass ich den anderen nicht vertrauen würde. Aber ich glaube, ich brauchte da einfach jemanden, der… naja…“ „Den du mit deinen Problemen belasten kannst, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben“, ergänzte Ajin und verstand schon, was das hieß. Sogleich legte er einen Arm um Fredericas Schultern und sah mit einem fast schon gedankenverlorenen Blick aufs Wasser hinaus. „Ich verstehe schon, was du meinst. Jedes Lebewesen braucht auch mal jemanden, der ihm Halt gibt. Naja, es gibt vielleicht ein paar wenige Ausnahmen, aber die sind ja auch eher die Seltenheit. Aber in der Hinsicht bist du auch wie dein Freund Andrew… Du brauchst jemanden, der dich aufbauen kann, auf den du dich verlassen kannst und der dich beschützt. Es mag sein, dass ich nicht der Traumtyp schlechthin bin. Ich gebe zu, dass ich ein cholerisches Temperament habe. Ich bin ein Sadist und ich liebe es, Dinge zu zerstören, weil das nun mal ein Teil meiner „Natur“ ist. Es ist ein wichtiger Bestandteil dieser Welt und einer muss den Job ja machen. Ich bin nicht gerade der Höflichste und mit Sicherheit der Alptraum aller Schwiegereltern… Aber es ändert nichts daran, dass ich dich liebe. Natürlich wäre es mir am liebsten, du würdest mit mir kommen und in meiner Welt leben. Aber ich kann auch verstehen, wenn du es nicht willst. Wie ich schon sagte: es gibt für alles eine Lösung. Die Menschen sagen da ja immer Wenn der Prophet nicht zum Berg gehen will, dann muss der Berg eben zum Propheten kommen. Für meine Verhältnisse wird diese Welt sowieso ein recht kurzes Leben haben und da habe ich nichts dagegen, bei dir zu bleiben und es in dieser Welt zu versuchen.“ Frederica war erst sprachlos und wusste nicht, was sie sagen sollte. Hatte Ajin da etwa wirklich angeboten, dass er stattdessen bei ihr bleiben könnte? „Ajin…“ „Ich kann gut verstehen, dass du bei deiner Familie bleiben willst. Ich habe ja selbst eine und auch wenn ich bisher das unabhängige und ungebundene Leben genossen habe, so habe ich auch nichts dagegen, wenn ich stattdessen eine Weile in dieser Welt abhänge, wenn das der einzige Weg für dich ist.“ „Aber wie willst du das mit deiner Aufgabe vereinbaren? Du bist immerhin der König der Shinigami und der Herr des Nichts.“ „In der Heimat hat meine Tochter das Regiment inne, da brauch ich mich nicht weiter darum zu kümmern. Was die Shinigamiwelt betrifft, so sind Armonia Justin und Mavet die beste Stellvertretung. Und ich denke, das wird schon klappen.“ „Du willst… tatsächlich hier bleiben?“ „Klar. Wenn es mit uns beiden ernst werden sollte…“ Nun, damit wollte sich Frederica noch ein wenig Zeit lassen. Zwar hatte sie inzwischen das Gefühl, als könnte sie Ajin vertrauen und als könnte es tatsächlich zwischen ihnen beiden ernster werden, aber sie wollte die Dinge nicht überstürzen. Sie wollte sich Zeit lassen, um sich ihrer Gefühle für ihn hundertprozentig sicher zu sein und auch hundertprozentig zu wissen, dass das mit ihnen beiden auch wirklich eine Zukunft hatte. „Lass uns noch ein bisschen Zeit, okay? Ich will nichts überstürzen und ich denke, wir können uns gerne öfter noch treffen. Ehrlich gesagt fand ich den Tag mit dir wirklich sehr schön, trotz des Zwischenfalls. Natürlich stimmt es was du sagst und du hast eine brutale, rücksichtslose und vulgäre Seite. Aber bist auch anders und kannst auch ernst, aufmerksam und verständnisvoll sein. Du hast dir wirklich Mühe gegeben und ich hab mich auch wirklich sehr gefreut über den Ausflug heute. Ich brauche keinen Luxus und keine Macht. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben, wie zum Beispiel einfach mal bei schönem Wetter einen Ausflug zu machen, Vögel zu beobachten oder den Geruch frischer Kräuter. Ich liebe das Gefühl, wenn ich meine Hände in einen Körnersack eintauche oder das Geräusch von Regen an der Fensterscheibe. Das sind auch schon Dinge, die mir Freude machen und da brauche ich keine Luxusjacht oder ein superschickes Luxushotel.“ Ajin schmunzelte und nickte. „Du bist da echt genauso wie Elohim und Ain… Hey, was denkst du? Wollen wir eine Runde schwimmen gehen?“ „Was? Hier?“ Diese Frage kam für Frederica etwas überraschend und als Ajin auch noch damit begann, seinen Pullover auszuziehen, war sie ein wenig überfahren. „Klar. Das Wetter ist schön, das Wasser ist nicht so verdammt arschkalt, dass einem die Eier abfallen. Außerdem ist es schon knapp 8.000 Jahre her, dass ich das letzte Mal schwimmen war.“ „Wieso vor 8.000 Jahren?“ „Davor war Eiszeit. Da geht doch keine Sau freiwillig schwimmen.“ Nun, diesem Argument konnte Frederica nicht widersprechen. Allerdings gab es gegen bei der Sache einen Haken. „Ich kann nicht ins Wasser. Ich hab keinen Bikini dabei und nackt schwimmen gehe ich sicher nicht.“ „Da liegt einer direkt neben dir.“ Damit deutete er auf einen roten Bikini, der direkt neben ihr lag und zuerst wollte sie fragen, wo der denn auf einmal her kam, aber da sie sich ja wieder daran erinnerte, dass Ajin allmächtig war, erübrigte sich die Frage auch wieder. Als Ajin seinen Pullover ausgezogen hatte, sah Frederica zum ersten Mal, dass er mehrere Tätowierungen hatte. Auf seinem Rücken war ein Skelett in einem weißen Gewand abgebildet, welches die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Es hatte Flügel wie ein Engel und einen Heiligenschein. An seiner linken Schulter prangte ein schwarzer Drache mit weit geöffnetem Maul, während seinen rechten Arm eine weiße Schlange zierte. Ihr Oberkörper machte eine Krümmung und rahmte damit ein Symbol ein, welches sich als zwei sich überlappende Unendlichkeitszeichen herausstellte. Frederica konnte nicht anders, als diese Tattoos zu bewundern, doch sogleich sah sie auch, dass Ajin nicht nur im Gesicht Piercings trug. Auch seine Brust und sein Bauchnabel und auch seine Zunge waren gepierct. „Deine Tattoos sehen schön aus. Haben sie eine bestimmte Bedeutung?“ „Klar. Der Engel auf meinem Rücken verkörpert sowohl Leben als auch Tod in einer einzigen Form. Der Drache verkörpert Schöpfung und Zerstörung, Monster und Gottheit. Für die westliche Welt ist er eher ein zerstörerisches Monster, im Osten gilt er jedoch als Symbol des Glücks, der Wunder und steht führ ein langes Leben. Der Drache des Westens repräsentiert das Chaos, der östliche Drache hingegen bringt Ordnung in das Chaos. Die Schlange ist ein Symbol für die Unendlichkeit und Dualität. Sie steht für Bosheit und Heimtücke, aber auch für Weisheit und den Kreislauf von Leben und Tod. Außerdem steht sie für die Wiedergeburt. Die doppelte Unendlichkeit symbolisiert in meinem Falle das Paradoxon, in welchem ich lebe.“ Fast schon ehrfurchtsvoll strich Frederica über das Schlangentattoo, doch ihr Blick blieb nicht allein bei den Tattoos. Ohne es selbst direkt zu merken, hatte sie Ajins Körper aufmerksam betrachtet und konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass er ziemlich gut gebaut war. Und genau das ließ sie wieder rot werden vor Scham darüber, als sie merkte, was sie da dachte. Oje, jetzt wurde sie wieder so furchtbar nervös und ihr Herz begann zu rasen. „Äh… Ajin?“ „Ja?“ „Kannst du… kannst du dich bitte umdrehen, während ich mich umziehe?“ „Klar, kein Problem. Ich spring schon mal ins Wasser. Kannst ja nachkommen, wenn du fertig bist.“ Damit sprang er vom Steg ins Wasser hinein. Nach kurzem Zögern zog Frederica den Bikini an, der ihr wirklich perfekt passte und dann ging sie ebenfalls ins Wasser. Tatsächlich war es gar nicht so kalt, wie sie angenommen hatte und erst jetzt merkte sie, wie angenehm es sich anfühlte, einfach im Wasser zu treiben. Dieses Gefühl der Schwerelosigkeit war einfach zu herrlich. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie das letzte Mal schwimmen war. Tatsächlich war das letzte Mal vor über 100 Jahren gewesen. Sie hatte schon fast wieder vergessen, wie es sich anfühlte. Nun schwamm Ajin zu ihr herüber und ließ sich rücklings auf dem Wasser treiben. „Ich glaube, so langsam verstehe ich, was du damit meinst, als du sagtest, man solle die kleinen Dinge im Leben genießen. Das hier gehört definitiv dazu.“ Kapitel 13: Böse Überraschung für Ajin -------------------------------------- Frederica kehrte erst spät in der Nacht zurück und L und Beyond wunderten sich natürlich, was denn alles gewesen war. Immerhin hatten sie dank Eva und Dathan herausgefunden, dass Frederica und Ajin erst in Wisconsin, dann plötzlich in New York und dann an einem See in China gewesen waren. Da war es für sie kaum möglich gewesen, ihnen zu folgen und so wussten sie eben auch nicht, was denn alles passiert war. Frederica lächelte verlegen und strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Ich glaube, ich hab mich endgültig in ihn verliebt.“ Beyond und L tauschten viel sagende Blicke aus, dann aber spielte sich ein Lächeln auf ihre Lippen und dann tätschelte der Detektiv Frederica den Kopf und freute sich sichtlich für sie. „Das ist doch die Hauptsache bei der ganzen Geschichte. Man sieht es dir auch wirklich an.“ Frederica setzte sich zu ihnen ins Wohnzimmer und erzählte von ihrem Ausflug mit Ajin und was sie alles erlebt hatten. Auch die Entführung ließ sie nicht aus, wobei Beyond dann natürlich unbedingt fragen musste „Und was hat der Obergott dann gemacht?“ Hier kratzte sich Frederica etwas verlegen die Wange. „Er hat sie ziemlich verprügelt und dafür gesorgt, dass sie niemandem mehr etwas tun.“ „Kann mir schon vorstellen, dass der Kerl ziemlich brutal war“, meinte der Serienmörder und wandte sich an L. „Nachdem wir ihn schon bei diesem Kampf auf Jeremiels Hochzeit erlebt haben… Und da hat er sich ja noch deutlich zurückgehalten.“ Die 445-jährige entschloss sich lieber dazu, erst mal nichts über die Knochenbrüche und das zertrümmerte Rückrad, geschweige denn den tödlichen Freiflug zu erzählen. „Und dir ist nichts passiert?“ „Nein, zum Glück nicht. Ich hätte mich ja auch selbst befreit, hätten diese Kerle mich nicht an den Haaren festgehalten. Aber wie gesagt: mit mir ist alles in Ordnung und es geht mir gut.“ „Und wie seid ihr verblieben?“ „Wir werden uns erst mal noch ein paar Male treffen, bevor es wirklich ernst zwischen uns wird. Ich will mir einfach hundertprozentig sicher sein, dass er auch der Richtige ist.“ Nun, diese Entscheidung war auch vernünftig und verständlich und da es schon reichlich spät war, ging Frederica zu Bett, war aber immer noch viel zu aufgeregt, als dass sie wirklich in Ruhe schlafen könnte. Immer und immer wieder ließ sie diesen Tag Revue passieren und immer noch schlug ihr Herz höher, wenn sie an diese Zeit mit Ajin dachte. Und vor allem konnte sie nicht aufhören zu lächeln. Jetzt mit einem Male erschien es ihr nicht mehr ganz so schlimm, verliebt zu sein. Die nächsten Tage und Wochen trafen sich Frederica und Ajin immer öfter und glücklicherweise gab es keine unangenehmen Zwischenfälle. Einzige Ausnahme war, als ein Auto um die Ecke raste und ihn fast über den Haufen gefahren hätte. Da hatte er wieder einen Wutanfall gekriegt und seine Faust in die Motorhaube geschlagen und den Wagen fast zu Kleinholz verarbeitet. Es war wohl nicht zu ändern, dass er ein etwas schwieriges Temperament hatte und schnell aus der Haut fahren konnte, wenn man ihn reizte. Aber Frederica hatte da schon so eine gewisse Vermutung, woran das denn liegen könnte, dass er ständig nur aggressiv war und gleich so rabiat vorging. Und einen Monat später, als sie sich oft genug getroffen hatten, stand nun die große Frage im Raum, wie es denn weitergehen sollte. Hatte das mit ihnen beiden Zukunft, oder eher nicht? Nun, Fredericas Entscheidung stand fest und sie nahm Ajins Hand und hielt sie fest, als sie zum Reden ansetzte. „Ajin, ich habe mir das alles lange durch den Kopf gehen lassen. Weißt du, die Zeit mit dir hat mir wirklich Spaß gemacht und ich habe auch selbst gemerkt, dass ich wirklich Gefühle für dich habe. Und… ich fände es schön, wenn du bei mir bleiben könntest. Ich habe schon mit Beyond und L darüber gesprochen und sie sind damit einverstanden, dass du in die untere Wohnung bei mir einziehst. Allerdings gibt es Bedingungen. Sowohl von ihrer Seite als auch von meiner Seite aus.“ Bedingungen? Ajin wurde misstrauisch und verengte die Augen zu Schlitzen. Noch nie hatte er sich den Regeln anderer untergeordnet und er hatte auch nicht vor, daran etwas zu ändern. Er war frei und unabhängig und lebte nur nach seinen eigenen Regeln. Und jetzt so was. Naja… wenn er bei Frederica bleiben wollte, musste er wohl oder übel mitspielen. Rea und die anderen hatten ihm auch eingeschärft, von der Gottesschiene runterzukommen und sich mal etwas mehr anzupassen. „Sag schon, was sind die Bedingungen?“ „L und Beyond stellen als Voraussetzung, dass du sie nicht störst und nicht wieder die Weltzerstörung planst.“ „Ist gebongt. Und was verlangst du?“ „Dass du dir einen Job suchst.“ Einen Moment lang starrte Ajin sie an, als hätte sie den Verstand verloren, doch es sah nicht so aus, als würde sie Scherze machen. Nein, sie meinte es ernst. „Ich und ein Job? Ich als Gott?“ „Natürlich“, antwortete Frederica wie selbstverständlich. „Liam ist Mafiaboss und Chirurg, Eva ist Betreuerin im Nephilimheim, Jeremiel arbeitet als Detektiv und ich bin L’s Assistentin. Und Dathan arbeitet als Bibliothekar an der Harvard Universität. Wenn du hier in dieser Welt leben willst, dann musst du dich auch anpassen und ich glaube, dass dir das auch mal gut tut. Du zerstörst zwar immer alles und machst dir einen Spaß daraus, Gott zu spielen und die Menschen niederzumachen, aber du hast keine Ahnung, was es heißt, keine Kräfte zu haben und hart arbeiten zu müssen. Und wahrscheinlich ist das auch der Grund für deine schlechte Laune: du bist nicht ausgelastet! Du brauchst eine sinnvolle Beschäftigung und deshalb wirst du auch einen Job annehmen.“ „Wozu denn bitte? Wenn ich etwas brauche, erschaffe ich es mir ganz einfach. Da brauch ich doch nicht dafür zu arbeiten. Auf Geld bin ich ganz sicher nicht angewiesen.“ „Das mag ja sein“, setzte Frederica fort und blieb standhaft. „Aber du weißt einfach nicht zu schätzen, was es heißt, Essen auf dem Tisch zu haben oder sich irgendwelche Dinge zu leisten, wenn man gar nichts dafür tun muss. Du hast selbst zugegeben, dass du arrogant, aggressiv und herablassend bist und das stimmt auch. Mag sein, dass du das alles nicht brauchst, aber du solltest mal langsam lernen, was es heißt, nichts zu haben und etwas für die Dinge zu tun, die du als selbstverständlich ansiehst. Dann lernst du auch die einfachen Dinge im Leben zu schätzen und bist dann auch selbst viel ausgeglichener und weniger aggressiv.“ Diese Entwicklung gefiel Ajin ganz und gar nicht. Wieso zum Teufel kam Frederica denn auf einmal damit an, dass er einen Job annehmen sollte? Einen Job, als wäre er ein stinknormaler Mensch? Er als Gott? Das war doch unter seiner Würde! „Ist das hier irgendwie versteckte Kamera oder was ist los?“ „Das ist mein Ernst“, erklärte Frederica. „Wenn du in dieser Welt leben willst, musst du dich anpassen und um nicht aufzufallen, wäre es am sinnvollsten, wenn du wie ein Mensch lebst. Und so kommt dir auch gewiss keine Langeweile auf. Denn beim Backen hat sich ja deutlich gezeigt, dass es dir deutlich an Erfahrung mangelt, was die einfachsten Dinge betrifft. Und so lernst du auch etwas dazu.“ „Ich weiß schon alles, da brauch ich nicht noch was zu lernen.“ „Mag sein, dass du alles weißt und die Macht hast, Welten zu zerstören und zu erschaffen, aber mit so einfachen Dingen kennst du dich nicht aus und deshalb tut es dir auch mal ganz gut, etwas Konstruktives und anderweitig Sinnvolles zu machen.“ Mürrisch grummelte er und war sichtlich verstimmt. Das war überhaupt nicht so verlaufen wie er wollte und er war stinksauer, dass hier tatsächlich von ihm erwartet wurde, einen Job anzunehmen. Und dann noch ein entwürdigender Menschenjob. Das war ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit. Für gewöhnlich hätte er spätestens jetzt sofort Widerworte gegeben und den ganzen Laden kurz und klein geschlagen, weil sich jemand erdreistete, so etwas von ihm zu verlangen. Aber… Frederica war seine Freundin und er wollte sie nicht verlieren. Er liebte sie und sie meinte es ernst mit ihm. Sie liebte ihn so wie er war, ohne irgendwelche Hintergedanken zu haben und da musste er wohl auch mal bereit sein, Opfer zu bringen. „Und was für einen Job soll ich annehmen?“ „Das darfst du dir selbst aussuchen. Solange es ein anständiger Job ist und er nicht kriminell ist. Er sollte auch zu dir passen.“ Ajin dachte nach. „Gib mir Zeit, darüber nachzudenken, okay? Versteh mich nicht falsch, aber das hat noch nie jemand von mit verlangt. Geschweige denn, dass jemand es irgendwann mal gewagt hätte, so etwas von mir zu erwarten.“ „Hast du denn so ein großes Problem damit?“ „Es kostet Überwindung“, gestand er und seufzte. „Aber ich würde es dennoch in Betracht ziehen, weil du es bist, die mich darum bittet. Jedem anderen hätte ich schon längst den Arsch aufgerissen, da kannst du dir sicher sein.“ Damit gab sich Frederica erst mal zufrieden, denn ihr war schon von Anfang an klar gewesen, dass Ajin keine Luftsprünge machen würde. Und so verschwand er erst mal, um noch mal in Ruhe über alles nachzudenken. Die Familie hingegen fackelte nicht lange, sondern vereinbarte sogleich das nächste Treffen, wo die neueste Nachricht verkündet wurde. Als es hieß, dass Ajin von nun an in der Menschenwelt leben würde und auf Fredericas Wunsch hin auf Jobsuche gehen musste, waren die Reaktionen eher unterschiedlich. Die einen waren überrascht, andere wiederum konnten sich ein Lachen nicht verkneifen. Nur Anne, die aus rätselhaften Gründen schon wieder mit von der Partie war, zeigte wie immer überhaupt keine Reaktion. Schließlich warf L in die Runde „Also die Frage ist jetzt, welcher Job zu ihm passt.“ „Mich würde eher die Frage interessieren, warum Anne dabei ist.“ Einige Augenpaare ruhten auf der schwarzhaarigen Madonna mit den Eisaugen, doch die gab keinen Ton von sich und so würde diese Frage wohl offen bleiben. Also wandten sie sich der Hauptfrage zu, die wohl wieder in einem kleinen Glücksspiel enden würde. „Bei seinem Temperament würde ich sagen, der würde einen guten Türsteher abgeben“, meinte Nastasja und dies setzte Beyond gleich auf die Liste. Dieser war für „Pyrotechniker“, während Oliver und Andrew eher auf „Bauarbeiter“ tippten. Anne setzte auf „Auftragskiller“, bis erklärt wurde, dass es ein Job sein sollte, der nicht illegal war. Daraufhin überdachte sie noch mal ihre Entscheidung, bis sie schließlich „Gefängniswärter“ sagte. Levi musste lange überlegen, bis er schließlich meinte „Ich könnte ihn mir bei einem Security-Unternehmen vorstellen… irgendwie…“, wobei Eva meinte „Also ich sehe ihn da mehr bei einem eher anstrengenden und herausfordernden Job. Mehr in Richtung Straßenbau.“ Sheol hingegen war eher für etwas unkonventionellere Ideen und meinte breit grinsend „Stellt euch vor, er wird Gynäkologe.“ Nastasja und Rumiko tauschten kurze Blicke aus und waren derselben Meinung, dass sie sich von dem dann ganz sicher nicht untersuchen lassen würden. Die Vorstellung wäre einfach grauenhaft. Ezra hatte keinen Plan und riet einfach „Telefonservice“, wobei er erklärte „Bei einer Beschwerdestelle wäre er am allerbesten aufgehoben.“ Elion grübelte noch und meinte „Also ich finde, wir sollten ihm auch mal eine andere Seite zutrauen. Immerhin haben wir doch an Frederica gesehen, dass er auch eine nette Seite haben kann. Vielleicht ist er ja ein guter Koch.“ „Wenn er nicht mal das Backen hinkriegt?“ „Es gibt Köche, die nicht backen können.“ „Dann könnte er genauso gut Florist werden“, meinte Nastasja und Sheol prustete laut vor Lachen, als er sich Ajin Gamur im Blumenladen vorstellen musste. „Oder Jobvermittler beim Arbeitsamt.“ Als sie sich entscheiden musste, legte sie sich auf das zweite fest: Jobvermittler beim Arbeitsamt. Argumentation „Die sind sowieso alle unverschämt und dreist. Da würde er nicht sonderlich auffallen.“ L und Jeremiel waren die Einzigen die keine Vorschläge gemacht hatten. Angestrengt dachten die Lawliet-Zwillinge nach und überlegten sich, wie sie sich entscheiden sollten. Jeremiel legte wie immer sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, während L an seiner Daumenkuppe knabberte. Er kam schließlich auf „Soldat“, während Jeremiel einfach „Fleischer“ sagte. Damit waren nun alle Ideen festgehalten und wie immer erfuhr Frederica nichts davon. Es vergingen einige Tage, bis Ajin sich wieder unangekündigt meldete und mal wieder urplötzlich mitten im Zimmer stand und der überraschten Frederica einen Heidenschreck einjagte. „Also in Zukunft wirst du dir bitte angewöhnen, die Tür zu benutzen.“ „Ach komm, gönn mir den Spaß wenigstens noch ein letztes Mal.“ „Dann willst du es also wirklich durchziehen und hier ein normales Leben führen? Dir ist schon klar, dass du dann auf den Großteil deiner Kraft verzichten musst.“ Doch damit schien sich Ajin schon ganz gut angefreundet zu haben und zuckte nur mit den Achseln. „Nicht so tragisch“, meinte er nur. „Ich hab es so eingerichtet, dass ich sechs Tage die Woche hier bin. Sonntags bin ich dann in der Shinigamiwelt, um dort zu retten, was dort noch überhaupt zu retten ist. Es kann auch sein, dass ich mal nachts weggehen muss, wenn Mavet das nicht geregelt kriegt und ich mich darum kümmern muss. So bin ich dann die meiste Zeit hier. Schlaf brauche ich eh nicht und so kriege ich alles unter einen Hut.“ Damit war Frederica einverstanden und so gingen sie ins Wohnzimmer, um zu besprechen, wie es denn mit der Jobsuche aussehen sollte. „Also solange du rein gar nichts hast, wirst du dich wohl oder übel arbeitslos melden.“ Ajin sah sie wieder mit diesem „Bist du verrückt?“ Blick an uns sagte erst mal nichts, bis er sie dann eher tonlos bemerkte „So langsam habe ich das Gefühl, du machst das mit Absicht als nachträgliche Bestrafung dafür, dass ich zum falschen Zeitpunkt in dein Zimmer gekommen bin.“ „Man kann sich auch anstellen. Vielen Menschen ergeht es nicht anders.“ „Was für eine Ironie“, knurrte der Unvergängliche und grummelte missmutig. „Gott muss Arbeitslosengeld beantragen gehen.“ Um das erst mal zu verdauen, erschuf er sich erst mal Cheesecake, um seine Stimmung etwas anzuheben. Doch selbst das wollte nicht wirklich helfen, aber Frederica hatte da auch nicht gerade Mitleid mit ihm, sondern war fest entschlossen, die Sache durchzuziehen. „Hast du dir wenigstens schon mal Gedanken gemacht, was du denn werden willst.“ „Ganz ehrlich? Ich hab keinen Plan. Bei so vielen Jobs, wie die Menschen sie haben, blickt doch keiner mehr durch. Da beneide ich echt die gute alte Steinzeit. Da gab es nämlich nur zwei Berufe: Jäger und Sammler. Da war es wenigstens noch übersichtlich und alle haben die Schnauze gehalten, weil sie noch zu dumm zum Sprechen waren. Naja, ich werde einfach mal durchtesten, was der Heini von der Vermittlung mir so alles andrehen wird. Um den Dokumentenkram brauch ich mir sowieso keine Sorgen zu machen. Ich verändere einfach die Geschichte so weit, dass ich schon irgendwo als normaler Mensch unterkomme und zumindest anständige Papiere nachweisen kann. Oder wir machen es ganz einfach und ich werde gleich Pornodarsteller.“ „Kommt nicht infrage!“ rief Frederica sofort, als sie das hörte. „Du nimmst einen anständigen Job an.“ „Hey, das ist diskriminierend den Nutten gegenüber. Die müssen fürs Bumsen und Blasen immerhin auch Steuern bezahlen, so wie jeder Büromensch.“ „Trotzdem. Du nimmst vernünftigen Job an, den man auch gelernt haben muss. Meinetwegen kannst du auch einen Putzjob annehmen, aber ich möchte nicht, dass du mit anderen Frauen ins Bett gehst.“ „Kein Problem. Mit Männern kann ich auch ganz gut, solange ich der Obere bin.“ „Ajin!“ „Hey, das war ein Scherz. Kein Problem. Dann eben kein Pornodarsteller.“ „Auch kein Stripper oder Callboy, geschweige denn Erotikmodel.“ Frederica war sauer und so langsam merkte Ajin auch, dass er die Art von Scherz doch besser bleiben lassen sollte. Also hielt er die Klappe und so überlegten sie weiter, welchen Job er denn annehmen sollte. „Also eines weiß ich schon mal“, meinte sie schließlich. „Konditor wirst du jedenfalls nicht. Wir haben ja schon beim Backen bemerkt, dass du das überhaupt nicht drauf hast. Hast du denn irgendwelche Vorlieben?“ „Außer, dass ich gerne fluche und Dinge zerstöre?“ Tja, das dürfte wohl nicht ganz so einfach werden. Schließlich hatte Frederica aber eine andere Idee. „Warum machst du nicht einen Test um zu sehen, welche Berufe am besten zu dir passen? Es gibt so viele junge Menschen heutzutage, die überhaupt keine Perspektiven haben und selber nicht wissen, was sie werden sollen. Vielleicht hilft es dir ja auch.“ „Hm… Ich trau dem Braten zwar immer noch nicht so wirklich, aber na gut. Dir zuliebe lasse ich mich auf den ganzen Quatsch ein. Schlimmer kann es ja auch nicht mehr werden.“ Nachdem Ajin auch das zweite Stück Cheesecake verputzt hatte, erkundigte er sich ganz nebenbei „Und deine beiden Pappenheimer sind sich ganz sicher, dass sie sich das wirklich antun wollen?“ „Nicht wirklich“, gab Frederica zu. „Aber mir zuliebe wollen sie das trotzdem tun. Aber eben auch nur unter der Bedingung, dass du dich zusammenreißt und sie nicht störst.“ „Du hast echt eine tolle Familie, weißt du das? Zwar sind sie verdammt neugierig und lassen sich jeden erdenklichen Blödsinn einfallen, aber du bist ihnen echt wichtig und ich weiß selbst, dass ich nicht gerade der Schmusekater bin. Um ehrlich zu sein: ich liebe es, mich wie ein Arsch zu benehmen und es wird mir auch ein Stück weit fehlen. Aber ich werde mich zusammenreißen so gut es geht und für dich werde ich dieses Spielchen spielen.“ „Du wirst das schon schaffen, Ajin. Ich helfe dir natürlich gern dabei und ich glaube auch, dass wir das gemeinsam schaffen können.“ „Ich hasse Leute mit Optimismus“, grummelte er nur. Aber wahrscheinlich war er nur deshalb so miesepetrig, weil er ein Leben als Gott gewohnt war und von nun an nun ganz kleine Brötchen backen musste. Da wären viele in seiner Situation schlecht drauf. Um ihn wenigstens ein bisschen aufzumuntern, rutschte Frederica näher zu ihm heran und ergriff seine Hand. Und dann… ganz überraschend, hob er ihr Kinn an, um ihr ins Gesicht zu sehen und dann küsste er sie. Es war ein etwas forscher Kuss, aber dennoch leidenschaftlich. Nach einem kurzen unsicheren Zögern erwiderte Frederica den Kuss und legte ihre Arme um seine Schultern. Nach einer Weile lösten sich ihre Lippen voneinander und ihre Augen ruhten auf den seinen. Schließlich aber strich Ajin ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, hielt sie vorsichtig und küsste sie. Das war für Frederica ein ziemlich merkwürdiges Gefühl, vor allem, weil sie wie alle anderen Unvergänglichen Reizempfinden in ihren Haaren hatte. Sie wich seinem Blick aus und wirkte ziemlich verlegen. „Du siehst ziemlich niedlich aus, wenn du so beschämt dreinblickst.“ „Na das ist doch, weil du mit meinen Haaren spielen musst. Was, wenn ich das mit deinen machen würde?“ „Mach ruhig, meine sind komplett unempfindlich. Ich habe einen ganz anderen Körper als ihr alle und damit auch keinerlei Schwachstellen. Naja… eine Schwachstelle habe ich schon…“ Und hier suchte das Albinomädchen wieder den Blick zu ihm. „Und welche wäre das?“ Ein Grinsen zog sich über Ajins Lippen und listig fragte er „Hab ich dich neugierig gemacht?“ „Ein bisschen“, gab sie verlegen zu. Hieraufhin küsste er sie wieder und nun war er es, der sie im Arm hielt. „Nun, das sind jene, die mir alles bedeuten. Und das heißt im Klartext: du bist meine Schwachstelle. Sogar mehr noch als meine Familie.“ Und damit drückte er sie nun sanft aber entschieden nieder und beugte sich über sie. Seine Augen, die etwas Mächtiges und Gefährliches in sich bargen, wirkten auf Frederica in diesem Moment wie die eines Raubtieres oder eines Dämons. Eine gewisse Vorahnung überkam sie, was nun gleich geschehen würde. Sie war nervös und sie hatte auch ein Stück weit Angst. Nicht, dass sie es nicht wollte, aber ihre ersten Erfahrungen waren nicht die schönsten gewesen. Insbesondere weil es James und seine Leute waren, die sich während ihrer Zeit im Institut an ihr vergangen hatten. Schließlich aber schaffte sie es aber, ihren Mut zusammenzunehmen und endlich etwas zu sagen. „Bitte tu mir nicht weh.“ „Das werde ich nicht“, versicherte er ihr und strich ihr wieder vorsichtig durchs Haar. „Und ich werde sowieso jeden Bastard umbringen, der es wagen sollte, dir wehzutun.“ Kapitel 14: Ajin vs. Arbeitsamt ------------------------------- Ajins Laune war auf dem absoluten Tiefpunkt und wäre da nicht sein Versprechen an Frederica gewesen, dann hätte er das alles sofort abgeblasen und erst einmal richtig Randale gemacht. Ja, am liebsten hätte er den Laden erst mal komplett kurz und klein geschlagen, um so richtig Dampf abzulassen. Dann fühlte er sich wenigstens besser und hatte dann auch nicht diese ganze Wut im Bauch. Aber daraus wurde erst mal nichts. Stattdessen musste er zum Arbeitsamt und diesen Schwachsinn über sich ergehen lassen, von dem er jetzt schon wusste, dass es totaler Nonsens war. Und als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er diese Demütigung über sich erlassen musste, nein er hatte auch noch einen Aufpasser an der Backe. „Musstest du unbedingt mitkommen?“ grummelte er und sah zu Rea, die ihn begleitete und fröhlich grinste wie immer. Na wenigstens die hatte ihren Spaß bei der ganzen Sache. Gut gelaunt erklärte sie „Frederica hat mich darum gebeten. Sie hat ja keine Zeit und sie sagte, dass wenigstens einer dich begleiten sollte, wenn du zum Arbeitsamt gehst.“ „Um sicherzugehen, dass ich keine Randale mache, oder weil sie sichergehen will, dass ich mich nicht drücke?“ „Ich schätze mal beides. Verständlicherweise. Aber Kopf hoch, Großvater. Das wird schon werden. Und nur weil du jetzt einen Menschenjob annehmen willst, denkt doch niemand schlecht von dir. Im Gegenteil! Wir sind alle stolz auf dich und wir wollen dir alle helfen, auch Mama!“ „Trotzdem… ich brauch keinen Aufpasser. Ich bin immerhin Gott.“ Als aufmunternde Geste klopfte sie ihm auf die Schulter und nahm seine Hand. Nachdem sie sich mit ihren Geschwistern besprochen hatte, waren alle der Meinung, dass es tatsächlich das Beste wäre, wenn sie mitging. Immerhin hatte sie von allen sieben den besten Draht zu Ajin. Da würde es auch leichter gehen, ihn zu beruhigen, wenn er die Beherrschung verlieren sollte. „Und versuch bitte, dich mit deinen Gemeinheiten ein klein wenig zurückzuhalten.“ „Ich bin nicht gemein, ich bin nur schonungslos ehrlich.“ Schließlich hatten sie das Arbeitsamt erreicht und nach einem kurzen Gespräch mit der Dame an der Rezeption gingen sie hoch in die erste Etage, wo Ajins Sachbearbeiter warten würde. Auf dem Weg dahin schärfte Rea ihm aber noch ein, sich unauffällig zu verhalten. „Kein Mensch wird dir abkaufen, dass ich deine Enkelin bin, deshalb bin ich entweder deine Schwester oder deine Cousine.“ „Das brauchst du mir nicht zu erklären. Ich weiß schon, was ich tue, also überlass das mir. Ich mag zwar das letzte Mal vor knapp zwei oder dreitausend Jahren hier gewesen sein, aber so ganz weltfremd bin ich nicht, klar?“ Sie warteten vor Raum 105 und wurden schließlich nach knapp einer halben Stunde Wartezeit von einem gewissen Mr. Chapman hereingebeten. Dieser Kerl war ungefähr das, was man sich unter einem Verkäufer im TV Shopping Kanal vorstellen würde. Eine starke Ausstrahlung, ein absolutes Verkäuferlächeln und dennoch komplett seelenlose Augen, als wäre sein Charakter so falsch wie der Großteil seines Körpers. Und Ajin brauchte kein Gott zu sein, um zu wissen, dass der Schmierlappen ein Toupet trug. Es sah aus wie ein behaarter Putzlappen und am liebsten hätte er dem Kerl angeraten, sich doch gleich eine Glatze rasieren zu lassen. Das sah immerhin besser aus, als sich die letzten Haare quer über die Halbglatze zu kämmen, oder sich Toupets oder Haarimplantate zuzulegen. Und in seinen Augen sah der Kopf von diesem Chapman aus, als wäre darauf ein Tier gestorben. Wer kaufte denn auch heute noch bitteschön so potthässliche Toupets? Obwohl noch kein Wort gesagt hatte, hasste Ajin diesen Kerl abgrundtief und hätte ihm am liebsten dieses falsche Grinsen mit einer Drahtbürste aus dem Gesicht gescheuert. Allein dieses dämliche Grinsen war für ihn schon blanke Provokation, vor allem bei seiner eh schon ziemlich schlechten Laune. Trotzdem versuchte er sich zusammenzureißen. Immerhin hatte er es ja versprochen. Außerdem wollte er mit seiner Enkelin keinen Streit. Ebenso wenig wie mit Frederica, wenn die erfuhr, dass er sich mal wieder wie die komplette Axt im Walde aufgeführt hatte. Naja, er konnte ja seine Gemeinheiten immer noch in Gedanken laut aussprechen. Das hob zumindest etwas seine Stimmung. „Guten Tag, ich bin Mr. Chapman, Ihr Sachbearbeiter.“ Das weiß ich auch so, immerhin steht das dick und fett auf deinem Namensschild, an der Tür und noch zusätzlich auf dem Schild auf deinem Schreibtisch. Und als wäre das nicht schon genug, trägst du auch noch ein Namensschild an deinem Hemd. Ich kann lesen, Arschloch… Ajin zwang sich zu einem Lächeln und gab ihm zur Begrüßung die Hand. Dabei drückte er aber aufgrund seiner angestauten Aggressionen so fest zu, dass er dem Kerl fast die Hand brach. „Ajin Gamur, freut mich.“ …NICHT!!! Auch Mr. Chapman, dessen Hand ziemlich schmerzte, machte gute Miene zum bösen Spiel und lachte. „Na da hat ja jemand einen kräftigen Händedruck.“ Ich zeig dir gleich einen kräftigen Händedruck, dachte Ajin und grinste in sich hinein. Dann bleibt von deinen Schmiergriffeln nämlich nichts mehr übrig. „Und das ist dann wahrscheinlich Ihre Freundin?“ „Meine Schwester“, konterte Ajin, woraufhin Mr. Chapman hastig eine Entschuldigung aussprach. Der Sachbearbeiter räusperte sich und begann nun auf seiner Tastatur zu tippen. „Also Mr. Gamur. Sie wollen sich arbeitssuchend melden?“ „Sonst wäre ich ja wohl kaum hier, oder?“ Wieder versuchte es Mr. Chapman mit einem Lächeln, aber das war genauso falsch wie seine Haare. Immer wieder starrte Ajin auf dieses hässliche Teil und spielte mit dem Gedanken, es ihm einfach vom Kopf zu reißen und es aus dem Fenster zu schmeißen. Oder noch besser: es in eine dicke fette Tarantel zu verwandeln. Das wäre ein Spaß. „Auch wieder wahr. Also erst einmal bräuchte ich ein paar Daten von Ihnen. Wie war noch mal Ihr Name?“ „Ajin Gamur.“ „Interessanter Name.“ „Kommt aus dem Hebräischen.“ „Dann sind Sie also jüdisch?“ „Nur weil mein Name mit dem Judentum in Verbindung steht, bin ich noch lange kein Jude, Sie Rassist!“ Ermahnend stieß Rea ihn in die Seite. Genervt seufzte der Unvergängliche und murmelte eine kurze Entschuldigung vor sich hin und daraufhin machte Mr. Chapman weiter und bohrte noch weiter in diesem Thema rum, als wäre es nicht schon schlimm genug. Aber offensichtlich war er da bereits vollkommen schmerzfrei. Naja, er hatte aber auch in seiner gesamten Laufbahn keinen wütenden Ajin Gamur erlebt. Darum ahnte er auch nicht, auf welch dünnem Eis er sich da gerade bewegte. „Haben Sie Immigrationshintergründe?“ „Was soll die Frage?“ „Na Gamur ist nicht gerade ein amerikanischer Name…“ „Ach und Sie finden, dass New Leipzig ein amerikanischer Name für eine Stadt ist, oder wie? Und wie gesagt: nur weil ich einen jüdischen Namen habe, bin ich noch lange kein Ausländer, Sie…“ Wieder stieß Rea ihn in die Seite und Ajin atmete laut aus. „Ich bin Amerikaner, nur zur Info. Meine Urgroßeltern sind während des Holocausts aus Deutschland geflüchtet, also ein bisschen mehr Verständnis, wenn ich bitten darf.“ Und diese Frage entwaffnete den Sachbearbeiter sofort und ihm war anzusehen, dass ihm dies nun mehr als peinlich war. „Entschuldigen Sie, Mr. Gamur. Ich wollte keine Wunden aufreißen.“ Naja, vielleicht war es nicht gerade richtig, dass er diesem Möchtegernsachbearbeiter so eine Geschichte auftischte, aber das war eben seine Art, sich zu rächen. Wenn schon nicht auf seine übliche Art und Weise, dann eben mit solchen Mitteln. Und er brach auch nicht sein Versprechen. Wenn es beschissen lief, dann war das nicht seine Schuld, sondern die von diesem Vollidioten Walter Leslie Chapman. Oh wie gerne würde er ihn mit seinem Namen ärgern… Schließlich musste Ajin seine Papiere vorlegen, die er sich einfach mal eben erschaffen hatte. Er hatte sich inzwischen schon eine gute Vergangenheit zurechtgeschustert und wirklich alles arrangiert. Zeugnisse, Klassenfotos, Erinnerungen der vermeintlichen Mitschüler, Geburtsurkunden und Steuer-ID. Alles, was der Durchschnittsmensch eben brauchte. Oder eben auch nicht brauchte… Für ihn war so etwas nicht mal im Geringsten eine großartige Herausforderung. Er konnte die Realität und die Geschichte so hinbiegen, wie er es gerade wollte. Das war eben der Vorteil, wenn man Gott war. Manchmal hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, einfach mal zum Joke Schwarzenegger zum Präsidenten zu machen. Das wäre seiner Meinung nach der Brüller schlechthin gewesen. Aber einen besseren Präsidenten als Clinton würde es seiner Meinung nach sowieso nie geben. Nur er war dreist genug, um sich von der Praktikantin einen blasen zu lassen und das dann auch noch auffliegen zu lassen. Neben Nixon mit seiner Watergate-Affäre sein absoluter Favorit. Nach und nach begann Mr. Chapman die Daten im System zu übernehmen. „Also gut, Mr. Gamur. Was haben Sie nach Ihrem Schulabschluss gemacht?“ Tja, die Frage hatte er sich auch gestellt. Und zugegeben, es war nicht einfach gewesen. Was genau machte ein Mensch, der keinen Plan hat, was er nach der Schule machen sollte und der keinerlei Ziele verfolgt und dennoch keine Lust zum Arbeiten hatte? In dem Fall gab es nur eine richtige Antwort: „Ich hab BWL studiert.“ „Eine Ausbildung haben Sie nicht.“ „Nee. Hatte keinen Plan, was ich machen soll. Da hat mich meine Familie bequatscht, ich solle es mal mit einer Beratung versuchen.“ „Genau. Wir bieten auch einen Berufsorientierungstest an, um zu bestimmen, welche Berufe theoretisch für Sie infrage kommen könnten. Dazu werden Sie einen Fragebogen bekommen, den Sie wahrheitsgemäß ausfüllen und anhand der Ergebnisse werden wir herausfinden, welche Berufe für Sie infrage kommen könnten.“ „Na dann mal her damit…“ Nachdem Mr. Chapman noch eine gefühlte Ewigkeit auf seiner Tastatur herumgetippt hatte, wurde Ajin ein Fragebogen überreicht. „Sie können den Test auch gerne zuhause ausfüllen und ihn dann zuschicken. Wir werden uns dann die nächsten Tage melden, wenn wir den Test ausgewertet und ein ungefähres Profil erstellt haben.“ Ich wette, der Kerl will mich bloß loswerden, damit er sich um den nächsten hoffnungslosen Fall kümmern kann, dachte Ajin und knirschte unmerklich mit den Zähnen. Oh wie gerne würde er jetzt alles kurz und klein schlagen und diesem Lackaffen den PC um die Ohren hauen, ihm sein Toupet in den Rachen stopfen und ihn dann aus dem Fenster befördern. Ajin grinste nur und fragte frech „Muss ich unbedingt gehen? Jetzt, wo ich schon mal hier bin, kann ich doch eben den Test ausfüllen, finden Sie nicht?“ „Na das nenne ich mal engagiert.“ Nein du Flachzange, das nennt man einfach „zu faul für den ganzen Aufwand“, dachte Ajin, aber er verkniff sich diese Antwort und bevor er sich dem Fragebogen widmete, wandte er sich an Rea. „Ich komm schon klar. Warum gehst du nicht in das Cafe gegenüber? Ich werde schon kein Chaos anrichten und es würde sowieso nur langweilig werden, wenn du hier die ganze Zeit wegen mir wartest. Wenn hier schon jemand den Scheiß mit mir absitzen muss, dann er, denn er wird dafür ja auchbezahlt.“ „Ist gut. Aber bitte reiß dich zusammen. Ich komm dich gleich wieder abholen, wenn du den Fragebogen ausgefüllt hast und fertig bist.“ Damit verließ Rea den Raum und Ajin hatte endlich sein Ziel erreicht. Endlich konnte er diesen Schwachsinn ausfüllen, ohne dass sie ihm dabei über die Schulter sah und ihm noch in die Parade fuhr. Zugegeben, manche Fragen waren wirklich mehr als dämlich und sorgten nicht gerade dafür, dass seine Motivation großartig gefördert wurde. Zum Beispiel die Frage „Worin liegen Ihre Stärken?“ Na das war ganz einfach: Das Sagen zu haben, Kritisieren, physische Stärke, großes Allgemeinwissen, Ausdauer und Belastbarkeit, gutes Aussehen, Charme, Charisma, Kreativität (im Bestrafen von Leuten) und vor allem Durchsetzungsfähigkeit! Tja und worin lagen seine Schwächen? Auch hier war die Antwort einfach: „Cheesecake, meine Familie, meine Freundin.“ Und nach kurzem Überlegen fügte er noch „mangelnde Kritikfähigkeit“ und „sehr geringe Aggressionstoleranz“ hinzu. Als Nächstes wurden Fragen gestellt, die den Umgang mit Kunden betraf. Auch als gefragt wurde „Sind Sie teamfähig?“, antwortete er wahrheitsgetreu „Ja, solange ich hier das Sagen habe!“ Oder auch Situationsfragen wie „Wie handeln Sie, wenn Sie kritisiert werden?“ beantwortete er einfach mit „Ich sorg dafür, dass er nicht mehr in der Lage sein wird, mich jemals wieder zu kritisieren.“ Mit den Antworten selbst hatte er kein Problem. Immerhin hatte dieser Schwachkopf Chapman ja gesagt, er solle ehrlich antworten. Also schön, jetzt wurde gefragt, als welchen Typ er sich ansah. Nachdem er kurz gegrübelt hatte, kreuzte er den dominanten Chef an. Aber manchmal gab es in dem Test auch Auswahlmöglichkeiten, die überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprachen. So zum Beispiel auf die Frage „Sind Sie eher A: ein Idealist, B: ein Realist“, da schrieb er einfach „C: Ein Misanthrop“. Er hasste diese Fragen, wo man schon vorgefertigte Antworten hatte. Vor allem, weil diese auch noch größtenteils nicht wirklich auf ihn zugeschnitten waren. Naja, was war von so einem dämlichen Menschentest auch anderes zu erwarten? Er war genauso beschränkt, wie diese felllosen Primaten. Da war so etwas ja ziemlich vorhersehbar. Naja, sein bescheuerter Sachbearbeiter war ja auch ein hervorragendes Beispiel von seiner Theorie, dass es neben dem Homo Sapiens auch den so genannten Homo Absurdus gab. Es ging immer weiter mit dem Test und schließlich folgte noch ein Einstellungstest, der auch das Allgemeinwissen abfragte. So zum Beispiel, wer Amerika entdeckt habe. Er konnte darüber nur lachen, denn er ahnte, was für eine Antwort erwartet wurde. Columbus natürlich. Aber das konnte sich dieser Schwachmat in seine falschen Haare schmieren. Er wusste es nämlich besser. „Leif Eriksson, der übrigens in Neufundland gelandet ist. Euer Kolumbus hat sich da knapp 492 Jahre verspätet, Sie Genie…“ Als dann auch noch nach seinen Interessen gefragt wurde, begann er sich ernsthaft zu fragen, welchen Sinn dieser Test denn hatte und ob er wirklich so hilfreich war, wie angepriesen wurde. Dem Arbeitsamt traute er ohnehin nicht über den Weg und das hatte nicht unbedingt mit seiner derzeitigen Situation zu tun. Er traute nämlich nichts, was von Menschen entwickelt wurde. Denn er wusste, dass es immer einen Haken an der ganzen Sache gab. Und auch hier gab es einen, das wusste er jetzt schon. Während er den Test ausfüllte, beschäftigte sich sein erkorener Lieblingsfeind Mr. Chapman damit, sich durch das Haus zu telefonieren, um sich die Zeit zu vertreiben. Na solange er Ajin nicht noch mehr auf die Nerven ging, konnte es diesem egal sein. Also Interessen… Tja, was gab es denn da Feines, was er eintragen konnte? „Cheesecake essen, schlafen, den Ton angeben, Chaos zu verbreiten, Zeit mit meiner Freundin zu verbringen, andere zu verarschen, mich über die potthässliche Matte meines Sachbearbeiters zu beömmeln, die er allen Ernstes als Toupet bezeichnet.“ Naja… noch ehrlicher konnte man doch wirklich nicht sein, oder? Nachdem er wirklich jede einzelne Seite aus diesem Fragebogen ausgefüllt hatte, knallte er diesen seinem Sachbearbeiter vor die Nase und wartete, dass dieser endlich sein Telefonat beendete und ihm dann sagte, was Sache war. Aber der Kerl hörte nicht auf zu telefonieren. So wartete Ajin sichtlich genervt und verschränkte die Arme. Plötzlich ging eine kurze Vibration durch seine Hosentasche und er bemerkte, dass er eine Nachricht von Rea auf seinem Handy erhalten hatte. Eine weitere Bedingung von Frederica war gewesen, dass er sich auch auf die Kommunikationswege der Menschen beschränkte, immerhin befolgten auch Ain und Elohim die Gebräuche der Vergänglichen. Er sah sofort, dass Rea ihm ein Foto geschickt hatte. Es zeigte sie und Dathan, den sie offenbar zufällig im Cafe begegnet war und gleich zusammen mit ihm ein Selfie gemacht hatte. Noch so eine bescheuerte Angewohnheit der Menschen: sie fotografierten sich selbst bei jeder nächstbesten Gelegenheit, als ob sie ihre Visagen nicht schon oft genug vor der Linse gehabt hätten. Darunter hatte sie geschrieben „Immer schön lächeln nicht vergessen!“ Zwar verzog er die Mundwinkel, doch es sah nicht wirklich nach einem Lächeln aus. Und zur Antwort schrieb er Ich bin Gott, hol mich hier raus, verdammt!!! Aber Rea würde darüber nur lachen und es als kleinen Scherz abtun. Schließlich hatte Mr. Chapman sein Telefonat beendet und war sichtlich zufrieden. „Na das ist ja wunderbar, Mr. Gamur. Da waren Sie ja schnell fertig. Und? Wie fanden Sie den Test?“ Ganz im Ernst? Ich würde ihn dir da reinschieben, wo keine Sonne scheint und das so tief, dass du die nächsten drei Jahre nur Buchstaben scheißen kannst. Das halte ich von deinem Test, dachte sich Ajin, aber er verkniff sich diese Antwort lieber und murmelte nur „War ganz okay.“ „Hatten Sie irgendwo Schwierigkeiten?“ Ja, diesen Schwachsinn überhaupt ernst zu nehmen. „Nein, nicht wirklich. Der Test war wie gesagt recht einfach.“ „Dann ist ja gut. Okay, wir werden den Test dann auswerten und Ihnen in den nächsten Tagen das Ergebnis per Post zukommen lassen. Wenn Sie Fragen haben, können Sie jederzeit gerne anrufen.“ Ach wirklich? Gut, dann werde ich dich mal um drei Uhr morgens anrufen und fragen, ob dein Toupet vielleicht aus Hundefell besteht. Ajin musste bei diesem Gedanken grinsen und er stellte sich bildhaft die Reaktion dieses Blödmanns vor, wenn er ihn wirklich beim Wort nahm. Das wäre wirklich zu herrlich. „Okay. Vielen Dank, Mr. Chapman. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.“ Damit reichte Ajin ihm zum Abschied die Hand, doch sein Sachbearbeiter zögerte. Mit Sicherheit tat ihm immer noch die Hand weh. Na hoffentlich ist der Gute Linkshänder, dachte Ajin. Sonst hat er nämlich ein Problem, wenn er sich heute Abend einen runterholen will. Schließlich aber gab Mr. Chapman ihm die Hand und wieder drückte Ajin ordentlich zu, wobei er sich aber sein freundliches Lächeln bewahrte. Nun, für andere hätte es in diesem Moment eher wie das Lächeln eines Psychopathen gewirkt, kurz bevor er ein Blutbad anrichtete. Und das schien auch sein Sachbearbeiter so langsam aber sicher zu merken. Schließlich verließ Ajin das Büro und war heilfroh, als er endlich das Arbeitsamt verlassen konnte. Er ging in das Cafe gegenüber, wo Rea wartete und sich mit Dathan unterhielt. Zu Ajins Freude schien es seinem jüngsten Enkel sehr gut zu gehen und das besserte auch gleich seine Stimmung ein klein wenig. „Hey mein Junge, gut schaust du aus. Wie geht es dir denn?“ „Ganz gut, Großvater“, antwortete Dathan ein klein wenig schüchtern und lächelte. „Ich hab gehört, du hattest einen Termin beim Arbeitsamt. Und? Wie war es denn?“ „Frag nicht“, knurrte Ajin, als er wieder daran dachte. „Es ist mir echt ein Rätsel, was sich die Menschen bei solch einem Schwachsinn gedacht haben. Naja. Es ist, wie es ist. Ich hab diesen bescheuerten Berufsorientierungstest gemacht und bin mal gespannt, welchen Job die mir allen Ernstes zutrauen.“ „Ach, das wird schon werden“, meinte Dathan und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Ich hab es lange Zeit auch ohne Kräfte geschafft und als normaler Mensch gelebt, dann schaffst du das auch. Und sieh es doch mal so: auf die Weise kannst du Frederica beweisen, dass du es wirklich ernst meinst und das wird eurer Beziehung auch ganz gut tun.“ Ajin setzte sich schließlich zu den beiden dazu und bestellte zwei Stück Cheesecake und einen Espresso bei der Kellnerin. Wenn er schon mal hier war, konnte er auch mal etwas Zeit mit seinen Enkeln verbringen. „Und wie läuft es mit dir und deiner Menschenfreundin?“ „Ganz gut. Naja zugegeben, es ist mit Ezra und Sheol gerade nicht einfach, weil sie beide eben in einer schwierigen Phase stecken. Aber ich versuch so gut es geht zu helfen, nur hab ich irgendwie das Gefühl, Sheol nimmt mich nicht sonderlich ernst.“ „Du musst da mal ein wenig mehr auf den Tisch hauen, mein Junge. Ansonsten hat der Bengel keinen Respekt vor dir. Solange du dich nicht durchsetzen kannst, wird das nichts. Aber das schaffst du schon. Immerhin kommst du zu einem gewissen Teil nach mir, da wirst du schon einen Weg finden, um diesem Frechdachs zu zeigen, wer hier der Chef ist. Teenies muss man zeigen, wie die Rangordnung im Rudel ist. Das gilt sowohl im Tierreich, als auch für die Menschen.“ Naja, vielleicht war der Vergleich nicht ganz so gut, aber Ajin hatte da auch nicht ganz Unrecht. Etwas unsicher lächelte Dathan. „Mag sein, dass du Recht hast, Großvater. Aber es ist leider nicht so einfach wie man denkt.“ „Wir haben alle unsere Probleme. Aber wenn gar nichts mehr geht und deine Eltern gerade nicht da sein können, kannst du auch gern zu mir kommen. Wozu hat man denn sonst Großeltern?“ Und damit tätschelte Ajin seinem jüngsten Enkel den Kopf. „Du machst das schon. Das weiß ich.“ Einige Tage später kam das Ergebnis des Tests per Post. Natürlich war Ajin gespannt, welchen Job das Arbeitsamt ihm nach den Antworten zutraute, die er gegeben hatte. Und das Ergebnis war seiner Meinung nach eine einzige Verarschung: 1. Fahrlehrer 2. Busfahrer 3. Polizist 4. Security und Personenschutz 5. Kaufmann für Dialogmarketing 6. Paketzusteller 7. Straßenbauarbeiter 8. Sozialpädagoge 9. Zahnarzt 10. Gynäkologe 11. Lehrer 12. Fleischer Kapitel 15: Aller Anfang ist schwer ----------------------------------- Ajin beschlich ein echt mieses Gefühl, als er am nächsten Tag seinen Job an der Fahrschule antrat. Immer noch war es ihm ein totales Rätsel, wie diese Schwachköpfe vom Arbeitsamt auf den Trichter kamen, er würde einen guten Fahrlehrer abgeben. Auch Frederica hatte bei der Liste den Kopf geschüttelt und gemeint „Also ehrlich gesagt kann ich dich in diesen vorgeschlagenen Berufen nicht so wirklich sehen. Zumindest in einigen davon nicht.“ Daraufhin hatte er angeboten gehabt, dass er noch mal auf die Sache mit dem Strippen zurückkommen könnte, doch das hatte seine Freundin gar nicht erst zugelassen und ihm erklärt, dass er gefälligst einen anständigen Job suchen sollte. „Mach es doch einfach so“, hatte sie schließlich zu ihm gesagt. „Du suchst dir erst mal drei aus der Liste aus, die du dir vorstellen könntest und dann versuchst du es einfach.“ Er hatte sich wohl oder übel einverstanden erklärt, aber nicht ganz verstanden, wie man bei der Jobauswahl auf so ein Ergebnis kommen konnte. „Jetzt mal ernsthaft“, hatte er eingewandt. „Dem Fragebogen nach bin ich ein totales Arschloch, das sich nichts sagen lässt und seine Mitmenschen wie den letzten Dreck behandelt. Und da schlagen die mich als Fahrlehrer vor. Entweder hat das Arbeitsamt einen gewissen Hang zu schwarzem Humor, oder aber eure Fahrlehrer sind wirklich allesamt so katastrophal. In dem Fall hab ich fast schon Mitleid mit der Jugend.“ Doch die ganze Diskussion hatte rein gar nichts gebracht und so war er nun hier gelandet. Zum Glück hatte er eine Fahrschülerin, die schon erste Erfahrungen im Autofahren hatte, da er heute erst mal nur Vertretung für einen anderen Fahrlehrer machte. Na hoffentlich ging das gut, denn er bezweifelte, dass er die mentale Stärke besaß, diesen Schwachsinn durchzustehen, ohne gleich auszurasten. Schließlich hörte er ein kurzes Räuspern und da stand auch schon seine Fahrschülerin. Und die sah mit den langen lockigen Haaren und der Jeansjacke aus, als wäre sie einer Epoche entsprungen, in der man über Geschmack nicht streiten konnte, weil es diesen gar nicht gab. Nämlich den 80ern. Sie sah aus wie die amerikanische Version von Nena. „Sind… sind Sie mein Fahrlehrer?“ Oje, eine von der schüchternen Sorte. Im ersten Moment musste er an Frederica denken, aber den Gedanken verwarf er sofort wieder. Nein, Frederica hatte da deutlich mehr Feuer unterm Hintern. Er setzte ein Lächeln auf und nickte. „Ja ganz Recht. Mein Name ist Ajin Gamur. Und du bist?“ „Felicia.“ Warum musste Ajin bei diesem Namen an eine Katze denken? Naja… solange dieses Mädchen nicht Priscilla hieß, ging es ja noch. Sonst wäre er schlimmstenfalls noch in lautes Gelächter ausgebrochen. „Okay Felicia. Dann setz dich rein und wir fangen an.“ So setzte sich Ajin auf dem Beifahrersitz und nun musste Felicia erst mal nachdenken, was zu tun war. Also wie war das noch mal? Unsicher wanderte ihr Blick vom Lenkrad zu den diversen Knöpfen, zum Schaltknüppel und dann wieder zum Lenkrad. „Wie viele Fahrstunden hattest du schon?“ „Ähm… sechs…“ „Und da weißt du immer noch nicht, wie man einen Wagen startet? Was hast du mit deinem Fahrlehrer denn bitteschön im Auto getrieben? Aber ich kann auch gerne die Version für Dumme erklären: Kupplung durchtreten und den verdammten Schlüssel umdrehen!“ Die Schwarzhaarige folgte seinen Anweisungen und startete den Wagen. Nun aber war sie gänzlich überfordert mit der Situation, denn nun lief der Wagen. Jetzt stellte sich die große Frage, was nun zu tun war. Wieder wanderte Felicias Blick unsicher durch das Innere des Wagens und es tat sich rein gar nichts. Es sah verdächtig danach aus, als hätte sie überhaupt keinen Plan und Ajin bezweifelte so langsam, dass das Mädchen wirklich schon sechs Fahrstunden hatte. Allein schon während der ersten Fahrstunde muss man doch wenigstens das Gangschalten und Lenken hinbekommen. Genauso wie die Bremsfunktion, aber diese Tussnelda war komplett ahnungslos! Als hätte sie wirklich nur im Auto gesessen, um mit jemandem rumzumachen. „Kupplung durchtreten, ersten Gang rein und vor allem: die scheiß Handbremse lösen…“ Wieder tat Felicia alles, was er sagte und so rollte der Wagen nach vorne. „So und jetzt fahr aus der Parklücke raus. Das wirst du ja wohl hoffentlich hinkriegen, oder soll ich dir eine Anleitung dazu schreiben?“ „Ich krieg das hin! Ich krieg das hin.“ Wer’s glaubt, wird selig, Schätzchen. „Na dann zeig mal, was du drauf hast.“ Vorsichtig begann sie nun damit, aus der Parklücke herauszufahren und sie wollte schon auf die Straße raus ohne überhaupt nach links oder rechts zu sehen, da schrie Ajin laut „HAAAAAALT!!!“ woraufhin sie erschrocken aufschrie und das Gaspedal durchdrückte. Zitternd hielt sie das Lenkrad fest umklammert und sah aus, als hätte sie den Schock ihres Lebens gehabt. Geschah ihr ganz recht. „Also Fel, wenn du nicht gerade vorhast, dich ins Jenseits zu befördern und mich zu verarschen, dann solltest du vielleicht und eventuell in Betracht ziehen, dass es VERFICKT NOCH MAL ANDERE AUTOS AUF DER STRASSE GIBT!!! Also sperr die Glotzer auf und sieh gefälligst nach links und rechts, bevor du uns in den sicheren Tod manövrierst.“ „Entschuldigung!“ Oh Mann, die ist ja noch schlimmer als gedacht. Na, dann wollen wir mal für ein wenig Stimmung sorgen, wenn sie uns gleich sowieso umbringen wird. Also schaltete Ajin das Radio an mit der Erklärung „Vielleicht bist du ja etwas entspannter, wenn nebenbei etwas Musik läuft.“ „D-danke“, stammelte Felicia, die nun einen erneuten Versuch wagte, dieses Mal aber aufpasste. Schließlich, als die Musik nun richtig gut wurde, ließ es sich Ajin nicht nehmen, lauthals mitzusingen. „No stop signs, speed limit Nobody’s gonna slow me down Like a wheel, gonna spin it Nobody’s gonna mess me around. Hey, Satan paid my dues Playin’ in a rockin’ band Hey momma, look at me I’m on my way to the Promised Land, wooh I’m on a highway to Hell On the highway to hell Highway to hell I’m on the highway to Hell.” Ajin liebe diesen Song. Rocksongs waren etwas, das die Menschen verdammt gut beherrschten. Dass dieser Song aber nicht wirklich half, Felicia Mut zu machen, interessierte ihn in diesem Moment wenig. „Links…“ Die Schwarzhaarige ordnete sich nun ein und wartete an der Ampel. „Sagen Sie, Mr. Gamur… wie lange sind Sie schon Fahrlehrer?“ „Das ist mein erster Tag heute, Schätzchen.“ „Was?“ rief sie schon beinahe entsetzt und hätte fast einen Auffahrunfall riskiert, doch auch das juckte den Unvergänglichen wenig. Er lehnte sich zurück und sang fröhlich „Highway to Hell“ weiter. „Jep und witzigerweise hab ich auch noch nie in einem Auto gesessen. Aber keine Bange, ich hab trotzdem eine Fahrlizenz. Ist nicht meine Schuld, dass ich jetzt hier absitzen muss. Anscheinend wird jeder Fahrlehrer, wenn man in diesem Orientierungsfragebogen reinschreibt, dass man ein totales Arschloch ist.“ Nun stand Felicia fast vor einer Panik. Und das auch nicht ganz unberechtigt. Immerhin erfuhr sie gerade, dass ihr Vertretungsfahrlehrer nie in einem Auto gesessen hatte. Nicht gerade beruhigend für eine Fahrschülerin, die gerade erst mit dem Autofahren angefangen hatte. „Ich muss aber zugeben, dass du dich gar nicht mal so blöd anstellst, wie ich zunächst befürchten musste, Fel. Du könntest zwar mal etwas öfter in die Rückspiegel schauen, aber zumindest fährst du besser als diese Blindschleiche da vor dir. So und jetzt scharf nach links.“ „Aber das ist eine Einbahnstraße!“ „Hey, bist du hier der Fahrlehrer oder ich? Ich sag dir, du sollst nach links einen U-Turn machen.“ „Einen was?“ „Scharf abbiegen und in die andere Richtung!“ Felicia war sich nicht ganz sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war, aber sie tat es trotzdem und schließlich sagte Ajin nach einer Weile „Fahr rechts ran“, woraufhin sie vor einem Cafe stehen blieben. Daraufhin öffnete der Unvergängliche die Tür und sagte nur „Ich hol mir eben einen Kaffee. Um das hier durchzustehen brauch ich etwas Starkes. Warte kurz hier.“ Damit stieg er aus und verschwand in das Cafe. Währenddessen fragte sich die Fahrschülerin, ob das hier nicht vielleicht so etwas wie versteckte Kamera sein könnte. Ja genau. Irgendwo lief hier eine versteckte Kamera und das alles war hier Teil einer Sendung. Kein Fahrlehrer der Welt war so! Oder noch besser: das war alles nur ein verrückter Traum. Sie lag noch in ihrem Bett und träumte einen total bizarren Traum, weil sie Schiss vor der nächsten Fahrstunde hatte. Wenig später kam Ajin mit einem Coffee to go zurück und setzte sich wieder in den Wagen. „Also Schnecke, dann drück auf die Tube und zeig mal, wie gut du fahren kannst.“ Damit fuhr Felicia wieder los und Ajin trank derweil genüsslich seinen Kaffee. „Wenn Sie noch nie in einem Auto gefahren sind, wieso machen Sie diesen Job?“ „Meine Freundin hat verlangt, dass ich einen Job annehme. Tja und weil dieser Spast Chapman meinte, ich würde einen guten Fahrlehrer abgeben, hab ich eben heute Morgen angefangen. Gratulation. Du bist die Erste, die in den Genuss kommt, meine Fahrschülerin zu sein.“ Damit klopfte er ihr auf die Schulter und ließ sie in aller Seelenruhe weiterfahren. Schließlich gab er das Kommando „rechts“ und trank dabei genüsslich seinen Kaffee weiter. So ging die Fahrt weiter, bis sie an einer Kreuzung hielten und sie ganz vorne waren. Sie hörten lautes Motorengeheul und sie sahen neben sich ein Cabrio, welches offenbar einer Straßengang gehörte. „M-Mr. Gamur?“ „Okay, der Arsch will es nicht anders.“ Damit wandte er sich an Felicia. „Wenn die Ampel auf grün geht, drückst du das Gaspedal durch.“ „Und wieso?“ „Na weil der Hurensohn uns gerade zu einem Wettrennen herausgefordert hat und ums Verrecken nicht werde ich den gewinnen lassen. Der hat mir doch gerade den Mittelfinger gezeigt. Das wird er mir büßen.“ „Äh ich glaube nicht, dass…“ „Ich bin der Fahrlehrer und hab hier das Sagen. Und wenn dich jemand zum Wettrennen herausfordert, dann lass ihn gefälligst Asphaltstaub schlucken.“ Und da die Studentin nicht wusste, was sie tun sollte, folgte sie der Anweisung ihres Fahrlehrers und kaum, dass die Ampel auf Grün sprang, trat sie das Gaspedal durch und der Motor heulte laut auf. Sie rasten los und Ajin feuerte sie noch zusätzlich lautstark an. „Gib Gas, Ernie!“ rief er lauthals und Felicia, die völlig überfordert mit der Gesamtsituation war und nicht mehr wusste, was sie tun oder überhaupt denken sollte, tat natürlich alles, was er ihr sagte, wobei sie aber den Tränen nahe stand und sich wahrscheinlich am liebsten wünschte, sie hätte die Fahrstunde abgesagt und wäre im Bett geblieben. Aber gleichzeitig fragte sie sich auch, ob das hier wirklich passierte, oder ob sie nicht vielleicht doch noch träumte und sie tief und fest schlief. So etwas konnte doch nie und nimmer wirklich passieren. Ein solcher Fahrlehrer, der sich genauso wie ein durchgeknallter Arsch benahm wie Jack Nicholson in seinem Film „Die Wutprobe“, konnte doch nur das Produkt eines kranken Traums sein. Ja genau, das war ein Traum… nur ein Traum und gleich wachte sie wieder in ihrem Bett auf und es war alles wieder beim Alten. Zumindest hatte sie noch die leise Hoffnung. Doch als hätte der Kerl neben ihr ihre Gedanken gelesen, lachte er laut und klopfte auf Felicias Schulter. „Du glaubst allen Ernstes, das wäre ein Traum? Nun, bei meinem Aussehen würde mich das auch nicht wundern. Aber ich bin genauso real wie gerade unsere Fahrstunde hier.“ „Oh Gott!“ schrie Felicia und schaffte es im allerletzten Moment, einem Auto auszuweichen. Ajin hingegen lachte, als wäre das der beste Tag in seinem Leben. „Tja Schätzchen, da haut die Realität der Hoffnung mal wieder eine aufs Maul. Also lehn dich zurück und genieß die Show einfach. Was anderes wird dir wohl kaum übrig bleiben. Und… hey!!!“ Im letzten Moment trat er auf die Bremse, als ein Wagen um die Ecke kam und beinahe mit ihnen kollidiert wäre. „Diese verdammte Drecksau hat uns geschnitten. Los, drück auf die Tube und fahr hinten drauf. Den kaufen wir uns.“ „Ich… ich…“ Felicia standen die Tränen in den Augen und sie zitterte am ganzen Körper. In dem Moment ließ sich schwer sagen, was ihr am meisten Angst bereitete. Ihr geistesgestörter Fahrlehrer, die lebensgefährlichen Manöver oder die Tatsache, dass sie dabei war, ein Riesenverfahren wegen unzähliger Verkehrsdelikte angehängt zu bekommen. Dass sie den Führerschein erst mal vergessen konnte, war da noch ihr geringstes Problem. Schlimmstenfalls kam sie noch ins Gefängnis und dann war es aus. Ihre Eltern würden sie umbringen und ihr Leben wäre vorbei. Ich werde hier noch draufgehen, wenn das so weitergeht… „Ach was, jetzt spiel hier nicht mal gleich die Dramaqueen, Puppe. Gib lieber Gas, sonst haut uns der Arsch noch ab. Los, gib mehr Gas und leg den fünften Gang endlich ein, sonst fliegt uns noch der Motor um die Ohren.“ Damit legte Felicia nun den höchsten Gang ein und verfolgte den Fahrer, der sie geschnitten hatte und tatsächlich wurde dieser langsamer. Zuerst wollte sie bremsen, doch das ließ Ajin nicht zu. „Halt drauf und fahr ihm hinten auf die Motorhaube rauf.“ Und so ging kurz darauf ein heftiger Ruck durch den Wagen, es knallte laut und durch die Kraft wurden Felicia und Ajin nach vorn geschleudert. Glücklicherweise hielt der Sicherheitsgurt sie fest und zusätzlich sprang noch der Airbag auf und drückte sie zurück. Der Unvergängliche lachte und ließ den Airbag erst mal platzen und sah zur Windschutzscheibe raus. Es war ein Totalschaden und die hintere Hälfte des anderen Wagens war genauso eingedrückt wie die Motorhaube des Fahrschulautos. Er lachte laut und wandte sich Felicia zu, die völlig am Ende war. „Super gemacht, Mädchen. Dem hast du es echt gezeigt. Also wenn es nach mir ginge, dann hättest du bestanden. Tja, was den Wagen betrifft, da würde ich glatt sagen: er ist tot, Jim.“ Sie sagte nichts und als sie erkannte, was für einen Schaden sie angerichtet hatte, verdrehte sie mit einem leisen Seufzer die Augen und sie wurde ohnmächtig. Sogleich stieg Ajin aus und wurde auch schon von dem wütenden Fahrer des anderen Wagens erwartet. „Hey du Arschloch, was sollte das? Hast du keine Augen im Kopf oder bist du behindert?“ „Selbst Schuld, du Pisskopf“, gab Ajin zurück und baute sich vor ihm auf. „Niemand klaut mir ungestraft die Vorfahrt.“ „Und dafür rammst du meinen Wagen? Du Pisser, ich mach dich kalt!!!“ Damit zog der Mann eine Pistole und schoss Ajin direkt ins Auge. Dieser schrie auf, doch anstatt, dass er tot zu Boden fiel, blieb er einfach stehen und blutete noch nicht mal. „Scheiße Mann, wieso schießt du mir ins Auge? Das tut weh, verdammt!!!“ „W-warum stirbst du nicht?“ Wieder schoss er, doch keine der Kugeln schien Ajin überhaupt etwas anzuhaben. Dieser packte den Arm des Mannes und dann schlug er ihm ins Gesicht und riss ihn von den Füßen. „Na weil ich verdammt noch mal Gott bin. Das ist der Grund. Und jetzt reicht es mir endgültig. Ich reiß dir den Arsch auf und denn mach ich Hackfleisch aus dir!“ Es kam zu einer heftigen Prügelei, bei der schließlich die Polizei anrückte und versuchte, die Streitenden auseinanderzubringen. Doch es half nichts. Einen wütenden Ajin Gamur bekam man selbst mit Panzern nicht wieder runter. Und als auch noch geschossen wurde, half das auch nicht sonderlich viel. Schließlich aber wurde es Ajin nun doch zu blöd. Er setzte die komplette Zeit wieder zurück und stoppte genau an dem Abend, bevor er es sich in den Kopf gesetzt hatte, es mit der Fahrschule zu versuchen. Er war wieder in der Wohnung, die er sich mit Frederica teilte und da diese ja selbst eine Unvergängliche war und die weltliche Zeit beherrschte, hatte sie sofort gemerkt, dass irgendetwas passiert war und fragte „Hast du etwa gerade die Zeit zurückgedreht?“ „Ja hab ich“, sagte er nur und setzte sich auf die Couch und legte die Füße hoch. Frederica reichte ihm ein frisch gekühltes Bier und fragte „Dann ist es in der Fahrschule wohl nicht ganz so gut gelaufen, oder? Erzähl schon, was ist passiert?“ „Nichts Weltbewegendes.“ „Ajin!“ „Es könnte eventuell sein, dass ich eine Fahrschülerin traumatisiert, einen Mann krankenhausreif geprügelt, zwei Wagen zu Schrott gefahren und einen Polizeieinsatz provoziert habe, bei dem es zu einer wilden Schießerei kam.“ „Wie bitte?“ „Aber wenigstens hab ich mir Mühe gegeben. Ist nicht meine Schuld, dass die Baka-Bitch selbst nach sechs Fahrstunden nichts auf die Reihe gekriegt hat und total verkrampft war. Hey, ich hab sogar Musik im Radio gespielt, damit sie locker wird. Aber was kann ich dafür, dass sie „Highway to Hell“ nicht mag?“ Fassungslos schüttelte Frederica den Kopf, als sie das hörte. Es war ihr echt ein Rätsel, wie man an einen einzigen Tag innerhalb von 90 Minuten eine Katastrophe von solchen Ausmaßen anrichten konnte. Aber andererseits hatte sie irgendwie schon von Anfang an gewusst, dass das nicht wirklich Ajins Beruf war. Deshalb verwunderte es sie auch nicht, dass er versagt hatte. „Na dein Mangel an Einfühlungsvermögen erstaunt mich immer wieder“, meinte sie schließlich, aber sie nahm es gefasster auf, als er selbst geahnt hätte. „Wenigstens hast du die Zeit zurückgesetzt und den Vorfall ungeschehen gemacht.“ „Ist eh besser. Und morgen versuch ich dann mal was anderes. Aber ehrlich: ich kapier echt nicht, wie dieser Schwachmat vom Arbeitsamt auf den Trichter kam, mich zum Fahrlehrer machen zu wollen. Ich hab dir ja gleich gesagt, dass es eine beschissene Idee ist.“ „Aber du hast es zumindest versucht. Das muss man dir auch zugute kommen lassen. Zwar denke ich, dass es vielleicht nicht so eskaliert wäre, wenn du dich ein bisschen mehr im Griff gehabt hättest, aber… wir wissen beide, dass das nicht wirklich dein Beruf ist. Es war zumindest einen Versuch wert. Also dann… was willst du als Nächstes versuchen?“ Frederica holte die Liste hervor und strich schon mal Fahrlehrer durch und gleich danach auch Busfahrer und Lehrer. Sie waren sich beide einig, dass sich das genauso erledigt hatte nach dem Reinfall mit dem Job als Fahrlehrer. „Warum versuchst du nicht einfach mal etwas in die andere Richtung?“ schlug Frederica schließlich vor. „Wenn du nicht direkt mit Menschen zu tun hast, fällt es dir vielleicht leichter, dich unter Kontrolle zu halten. Warum versuchst du es nicht mal mit Dialogmarketing? Wenn es da auch nicht klappt, könnte man vielleicht besser eine goldene Mitte finden, wenn wir uns vorsichtig vorantasten.“ Ajin schaute sie eine Weile lang an und überlegte. „Ich und Dialogmarketing? Ich sitze acht Stunden am Tag am Telefon, belästige die Leute stets und ständig und treib sie damit in den Wahnsinn, während ich versuche, sie so zu bequatschen, dass sie gar nicht mehr wissen, wo oben und unten ist? Na das hört sich doch nach dem absoluten Traumjob an.“ Am nächsten Tag kehrte Ajin nach einer erneuten Zeitzurücksetzung zurück und setzte sich wieder wortlos aufs Sofa hin. „Was ist denn passiert?“ fragte Frederica, denn sie hatte irgendwie damit gerechnet, dass es vielleicht besser laufen würde. Vor allem, weil Ajin dieses Mal deutlich motivierter gewesen war. Aber anscheinend hatten sie sich beide geirrt. „Ich sag es mal so“, meinte er schließlich und nahm sich ein Bier. „Die haben alle eine Strichliste geführt, wie viele Abschlüsse sie geschafft haben.“ „Ja und weiter?“ „Ich hatte die meisten.“ „Und wieso ist es dann so schlecht gelaufen?“ „Ich hab gedacht, die Liste ist dazu da, um festzuhalten, wie viele Leute man am Telefon in den Selbstmord getrieben hat.“ „Oh…“ Das war das Einzige, was Frederica hervorbrachte und so schnappte sich Ajin wieder die Liste. Nachdem er „Kaufmann für Dialogmarketing“ durchgestrichen hatte, schaute er sich die Liste noch mal genauer an und dachte nach. „Hm… Ich glaube, ich versuch es mal als Zahnarzt.“ Kapitel 16: Gruppenabend ------------------------ Einige Tage später setzten sich Beyond, Frederica und L zusammen ins Wohnzimmer, um über Ajins Fortschritte in Sachen Jobsuche zu sprechen. Und allein schon an ihrem Gesichtsausdruck war zu erkennen, dass es bisher nicht ganz so gut gelaufen war. „Erzähl schon“, sagte Beyond schließlich. „Wie hat er sich denn bisher geschlagen?“ „Er gibt sich Mühe“, meinte das Albinomädchen nach einigem Zögern, aber sonderlich überzeugend klang es nicht. „Aber es ist bei seinem Temperament leider sehr schwer, das Richtige für ihn zu finden. Nach der Pleite mit der Fahrschule und dem Callcenter hat er als Zahnarzt zehn Kinder traumatisiert und vier Klagen wegen Körperverletzung und Beleidigung bekommen und hat die halbe Arztpraxis zerlegt. Und beim Straßenbau hat er sich geprügelt, einen Sachschaden von knapp 1,5 Millionen Dollar angerichtet und einem Mitglied des Stadtrates den Helm an den Kopf geworfen und ihn damit ins Koma befördert. Auch als Friseur hatte er überhaupt kein Talent und einer 12-jährigen Schülerin die Haare giftgrün gefärbt. Wenn er nicht wirklich ernsthaft versuchen würde, einen passenden Job zu finden, würde ich wirklich glauben, er sabotiert alles mit Absicht, um sich zu drücken. Aber das wäre auch nicht fair ihm gegenüber. Immerhin hat er sich ja schon damit einverstanden erklärt, als Mensch zu leben und sich anzupassen.“ „Manche Leute kann man eben nicht ändern“, meinte L schließlich und wandte sich dabei gleich an Beyond. „Nicht wahr?“ „Absolut nicht“, bestätigte der Serienmörder, der genau wusste, dass er in der Hinsicht genauso wie Ajin war. „Aber du liebst mich doch genau dafür, oder nicht, Pandabärchen?“ L sagte nichts dazu und räusperte sich nur. „Jedenfalls kann wohl keiner von Ajin erwarten, dass er gänzlich zum normalen Durchschnittscharakter wird. Ich denke einfach, dass er einen Beruf braucht, wo er nicht ganz so viel Schaden anrichten kann und wo er von seinen Interessen und Vorlieben her am besten hinpasst. Das Arbeitsamt scheint ja wohl mächtig danebengegriffen zu haben.“ „Und wenn er es mal mit Handwerksberufen ausprobiert wie zum Beispiel Elektroniker oder Schreiner?“ „Also wenn er Elektroniker wird, dann wird es mit Sicherheit noch sehr düster werden für uns alle“, meinte L, der Ajin ja nicht sonderlich viel zutraute. „Am besten wäre ein Beruf, wo er möglichst wenig Gefahrenquellen ausgesetzt wird. Einfach nur aus dem Grund, damit der Schaden für andere möglichst minimiert wird.“ „Um es mal zusammenzufassen“, sagte Beyond schließlich. „Er braucht einen Job, der für seinen Charakter perfekt geeignet ist, wo es nicht gleich in einer Vollkatastrophe endet, wenn er über die Stränge schlägt, wo er ausgelastet ist und sich nicht langweilt und wo er sich abreagieren kann. Und zudem muss es noch ein Job sein, wo er keine Lebensgefahr für andere darstellen kann, so wie in der Fahrschule. Am besten darf er so wenig Kontakt zu Menschen haben wie möglich, selbst am Telefon nicht. Oh Mann, das wird echt hart.“ Das konnte auch Frederica nicht abstreiten und sie rechnete es Ajin auch hoch an, dass er trotzdem weiter dran blieb und sich bemühte, wirklich alles auszuprobieren und sich nicht unterkriegen zu lassen. Aber so langsam war sie mit ihrem Latein am Ende. „L, könntest du nicht noch einen zweiten…“ „Vergiss es“, sagte der Detektiv sofort, der sich schon denken konnte, was Frederica fragen wollte. „Nein danke. Ich glaube, das wird sicher nichts werden.“ „Aber wo soll ich ihn denn dann unterbringen?“ fragte sie beinahe hilflos und atmete laut aus, wobei sie sich ins Sofa fallen ließ. „Für gewöhnlich ist es doch nicht so schwer, zu wissen, wo man hingehört. Ich meine, jeder findet irgendwann mal das Richtige für sich und dass man mal Fehlentscheidungen trifft, ist ja nachvollziehbar. Selbst Rumiko hat vor ein paar Monaten ihren Job als Lehrerin an den Nagel gehängt und führt jetzt stattdessen das Lovely Evening. Aber Ajin kann wirklich keinen Job durchziehen, ohne dass es gleich zum Supergau wird. Ehrlich, ich liebe ihn wirklich, aber so langsam weiß ich auch nicht mehr weiter. Vielleicht sollte ich mich mal mit Ain und Elohim besprechen, ob die vielleicht eine Idee haben. Immerhin kennen sie ihn schon lange genug und womöglich haben die eine Idee. Oder vielleicht braucht er einfach mal einen etwas verrückteren Job. Vielleicht eignet er sich ja als Barkeeper in der Bar.“ „Damit er die warmen Brüder in den Wahnsinn treibt, oder wie?“ fragte Beyond. „Ich glaub, Rumiko wird da nicht mitspielen. Dazu liebt sie ihre Bar viel zu sehr. Und vergiss nicht, als er sich als Koch versucht hat und zur Probe etwas in der Kantine von Vention gekocht hat.“ Ja, sie erinnerte sich noch gut daran. 18 Lebensmittelvergiftungen, 20 Tote… Ein rabenschwarzer Tag für das Kochhandwerk. Zum Glück hatten Andrew und Oliver zusammen mit Ridley auswärts gegessen. „Manchmal stehe ich kurz davor zu sagen, dass er für menschliche Arbeit ungeeignet ist. Aber… ach Mann, er bemüht sich wirklich und er sagt sogar von sich aus, welche Jobs er als nächstes ausprobieren will. Er macht das ja alles in erster Linie nur für mich, weil er mich liebt und auch beweisen will, dass er es ernst mit mir meint. Und ich finde das ja auch total süß von ihm und ich finde es einfach nur frustrierend, dass es partout nicht klappen will. Er steckt das ja ganz gut weg, aber ich merke ja auch, dass diese ganzen Fehlschläge ihn nerven und ziemlich an seinem Ego kratzen.“ „Na die paar Dämpfer tun ihm aber auch mal ganz gut, findest du nicht?“ kam es von Beyond und sogar L musste zustimmen. „Auf die Weise erkennt er auch endlich mal, dass er nicht der tolle Hecht ist, für den er sich hält. Aber wie ging dieser Spruch noch gleich? Gut Ding will Weile haben.“ „Beyond hat Recht. Manchmal braucht es eben ein paar Fehlschläge, damit man in die richtige Richtung findet. Andrews Fehlschläge in Sachen Liebe haben ja auch schließlich dazu geführt, dass er jetzt mit Oliver verheiratet ist und sogar eine kleine Tochter hat. Irgendwann findet Ajin schon den richtigen Beruf und dann ist auch der ganze Ärger vorbei. Wo ist er denn eigentlich?“ „Er versucht es heute als Fachkraft für Lagerlogistik. Inzwischen haben wir die Zeitrücksetzungsgeschichte auch aufgehört und stattdessen hat er andere Wege gefunden, den Mist ungeschehen zu machen, den er verzapft hat. Auf Dauer wäre es auch etwas nervend gewesen. Wir werden ja sehen, wie es funktionieren wird. Er war jedenfalls optimistisch.“ „Aber wirklich überzeugt siehst du nicht aus.“ „Naja“, murmelte sie. „Ich kann ihn mir einfach nicht in all diesen Berufen vorstellen, die er ausprobiert hat. Und das Problem ist halt, dass mir kein Beruf einfällt, in welchen ich ihn wirklich sehen würde. Das ist wirklich zum Verzweifeln. Naja, heute Abend hat mich Rea eingeladen. Sie und Teruma wollen wohl einen Club besuchen und haben mich gefragt, ob ich mitkommen will. Offenbar wollen sie mich in die Familie einbinden, seitdem alle wissen, dass ich mit Ajin zusammen bin. Da hab ich auch mal die Chance, ein bisschen abzuschalten.“ „Wird dir wahrscheinlich auch mal gut tun“, stimmte Beyond zu, denn ihm und L war nicht entgangen, dass das Jobthema bei ihr Spuren hinterlassen hatte und sie ein wenig gestresst war. Und das drückte auch deutlich auf ihre Stimmung nieder. „Und was macht dann dein Prinz Charming?“ „Er wollte wohl mit Dathan einen Männerabend machen oder so. Immerhin hat er ja viel Zeit nachzuholen, nachdem er immer den Kontakt zu ihm vermieden hat. Und da ja seine ganze Familie wieder zurückgekehrt ist, sucht er ja auch wieder verstärkt den Kontakt zu ihr. Jedenfalls soll wohl auch Elohim mit von der Partie sein und sein Freund Hajjim, den Ajin jetzt auch zurückgeholt hat.“ „Offenbar kehren wohl alle wieder zurück, die damals Opfer der Verschwörung geworden sind.“ „Ich denke, Ajin will wohl damit Wiedergutmachung bei Elohim leisten, weil er damals nicht für ihn und seine Familie da gewesen war. Er geht zwar immer seine eigenen Wege und bleibt nun mal unabhängig von anderen, aber man merkt schon, dass es ihm leid tut, dass er Elohim damals allein gelassen hat. Zwar sagt er immer, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist, aber ich glaube, er gibt sich ein wenig mit die Schuld daran, dass es damals so eskaliert ist.“ Nun, dass Ajin Schuldgefühle gegenüber seiner Familie hatte, hatten L und Beyond nicht wirklich gemerkt, denn der Kerl war fast derselbe Arsch wie immer gewesen. Nur mit dem Unterschied, dass er nicht mehr ganz so ausfallend war. Aber Frederica sah ihn auch mit anderen Augen und in der Hinsicht hatte sie Ähnlichkeiten mit Elion: sie konnte bei Ajin genauso zwischen den Zeilen lesen, wie Elion bei Ezra. Sie konnte hinter die Maske des aufbrausenden und arroganten Gottes blicken und sein wahres Wesen verstehen. Und das war es auch, was Ajin wohl an ihr liebte. „Macht seine Familie ihm überhaupt Vorwürfe?“ „Nein. Sie wissen ja, wie er ist und sie verstehen ja auch seine Gründe. Ajin hat Ains Tod verdammt hart getroffen und nur weil er der Schöpfer aller Dinge ist, heißt es ja nicht, dass er für alles und jeden verantwortlich ist. Aber nachdem er nun eben weiß, was alles zu diesem Krieg damals geführt hat, denkt er sich wahrscheinlich, dass es vielleicht nicht so weit gekommen wäre, wenn er für seine Familie da gewesen wäre. Und das will er jetzt eben wieder gut machen, auch wenn er das nie offen zugeben würde. Er ist kein schlechter Charakter. Er hat gute Seiten, nur die mag er eben einfach nicht zeigen, weil er sich lieber als Mistkerl gibt.“ „Und wozu denn bitteschön?“ „Na weil er will, dass man Angst vor ihm hat und ihn hasst. Nur so kann er sich eben vor den ganzen Bittstellern schützen. Und weil er eben das Los hat, der Endgültige zu sein, versucht er zu allem eine Distanz zu wahren und sich von allem abzuschotten. Und jetzt, da er sich zum ersten Mal verliebt hat, fällt ihm der soziale Umgang eben ziemlich schwer, weil er diesen irgendwie… naja… verlernt hat.“ Nach allem, was so passiert war, hätte keiner von ihnen solche Worte über Ajin verloren. Aber tatsächlich schien Frederica ihn besser zu kennen als er selbst. Sie nahm ihn in Schutz, obwohl er sie ziemlich mies angebaggert und ihr sogar an den Hintern gefasst hatte. „Ich finde, ihr seid ein echt süßes Paar“, meinte Beyond schließlich und aß genüsslich seine Erdbeermarmelade. „Und wahrscheinlich hast du auch mal einen echt verrückten Freund wie ihn gebraucht. Aber sag mal, wie ist das denn eigentlich, wenn ihr irgendwann mal Kinder haben solltet? Was genau werden die dann?“ „Sie werden Entitäten“, erklärte das Albinomädchen ganz einfach. „Weil Entitäten grenzenlose Wesen sind, können sie nicht herabgestuft werden, genauso wenig wie ihre Nachkommen. Eigentlich ist das ja recht einfach. Ein Kind zwischen einem Vergänglichen und Unvergänglichen ist ein Naphil, also so ungefähr wie die Proxys eben halt. Und ein Kind zwischen einem Seraph und einem Sefira ist eben ein Halb-Sefira, beziehungsweise ein Halb-Seraph. Es gibt aber auch sehr seltene Fälle, wo ein solches Mischlingskind als vollwertiger Sefira oder Seraph zur Welt kommt, wenn es hauptsächlich nur von einem Elternteil die Fähigkeiten erbt.“ „Also das heißt: selbst wenn du ein Mensch wärst, dann wäre dein Kind eine Entität?“ „Ganz genau. Denn Ajins Erbteil ist einfach zu stark. Aber wie kommst du jetzt auf Kinder? Ajin und ich sind gerade erst zusammen und du beginnst mich schon als Mutter zu verplanen. Bevor ich Mutter werde, solltet ihr euch mal übers Heiraten unterhalten.“ Damit erhob sich Frederica und ging in die Küche, um Nachschlag für L und Beyond zu holen. Sie hatte selbst gemachtes Erdbeersorbet vorbereitet und war natürlich gespannt, wie gut es ankam. Aber während sie die Süßspeise anrichtete, wanderten ihre Gedanken wieder zu Ajin. Ob es wieder so ein Durcheinander werden würde wie die letzten Versuche? Oder würde vielleicht doch alles gut gehen und er hatte endlich den perfekten Job gefunden? Innerlich hoffte sie es ja, allein schon für ihn. Aber im Grunde zweifelte sie irgendwie daran. Es klingelte an der Tür und im ersten Moment rechnete sie schon fest damit, dass es Ajin war. Doch es war überraschenderweise Jeremiel. „Hey Jeremiel, was führt dich denn hierher?“ „Ach Liam ist heute Abend zusammen mit Delta, Marcel und Johnny zu einem Geschäftsgespräch und du weißt ja, wie er ist: er will mich nicht dabei haben.“ „L würde ihm auch den Hals umdrehen, wenn er das wagen sollte.“ Dem konnte Jeremiel nur zustimmen. „Na jedenfalls dachte ich, L und Beyond hätten vielleicht Zeit. Oliver und Andrew müssen sich ja um ihre Tochter kümmern und Elion ist schon mit Ezra verplant. Dathan trifft sich mit seinem Großvater und seinem Vater und Mum wollte ein wenig trainieren gehen, um in Form zu bleiben. Tja und Fälle habe ich derzeit auch keine. Oder hast du Zeit?“ Leider musste sie ihn vertrösten, als sie erklärte „Dathans Schwestern wollen mit mir einen Mädelsabend machen. Naja ich hoffe, dass sie mir helfen können, was Ajins Jobsuche angeht. Leider endet wirklich jeder Versuch in einer Katastrophe und so langsam bin ich mit meinem Latein am Ende. Momentan versucht er sich im Bereich Lager, Logistik und Spedition, aber ich bin ehrlich gesagt skeptisch. Naja, vielleicht kommt ja noch der rettende Geistesblitz. Ähm, ich hab Erdbeersorbet gemacht. Möchtest du auch was?“ „Gerne.“ Während Frederica noch eine zusätzliche Portion vorbereitete, wanderte Jeremiels Blick zu einem Schreiben, welches am Kühlschrank heftete. Es war die Liste mit den vorgeschlagenen Jobs vom Arbeitsamt. Viele davon waren durchgestrichen, andere waren draufgeschrieben worden. Der ältere Lawliet-Zwilling überflog sie kurz und blieb bei einem Beruf hängen, der seine Aufmerksamkeit erregte. Einen Moment lang überlegte er noch, dann holte er einen Stift hervor und als Frederica gerade nicht hinsah, kreiste er diesen ein, lächelte zufrieden und steckte den Stift wieder ein. Im Anschluss half er ihr, die Sachen rüberzutragen und grüßte dabei seinen Bruder und auch Beyond. „Hey ihr beiden. Wie schaut’s aus?“ „Ganz okay. Und was treibt dich hierher?“ „Liam ist mit dem Chaoten-Trio auf ein „Geschäftstreffen“ und da alle anderen auch schon Pläne hatten, dachte ich, ich schau mal bei euch vorbei.“ An L’s Gesicht war schon abzulesen, was er dachte, aber er schwieg lieber dazu, was auch eine ganz vernünftige Idee war. Denn er wollte nicht schon wieder mit seinem Bruder streiten. Vor allem nicht nach dem Zoff während der Verlobungsfeier. Da hatte Jeremiel mehr als deutlich klar gemacht, dass er hinter Liam stehen würde. Ganz egal, was auch passierte. Also sagte er gar nichts dazu und erkundigte sich stattdessen danach, wie es denn mit der Arbeit voranging. „Ganz gut“, antwortete sein Bruder und machte einen optimistischen Eindruck. „Der Fall mit dem Engelmörder war zwar etwas knifflig, aber es lief im Großen und Ganzen gut. Momentan hab ich noch etwas Leerlauf, aber bald wird sicher wieder was Neues kommen.“ „So schnell werden wir nicht arbeitslos“, meinte Beyond und lachte. „Es wird immer Verbrechen geben und Polizisten, die auf der Stelle treten. Bestes Beispiel ist der Texas Bomber letztes Jahr. Da konntest du die Bullen wirklich vergessen. Hey! Wie wäre es heute Abend mit einer kleinen Pokerrunde?“ „Zu dritt?“ „Wir könnten ja nachher mal Nastasja anrufen und sie fragen, ob sie Lust hat, mitzumachen.“ Gesagt getan und so rief L seine Mutter an, die eigentlich ins Sportstudio wollte, um ein bisschen zu trainieren. Als sie aber von der Pokerrunde erfuhr, versprach sie, nach dem Sport vorbeizuschauen. Und durch eine Verkettung ungeklärter Umstände kam es so, dass Frederica sich am Abend verabschiedete und sogar Eva in Begleitung hatte. Und da Eva weg war, kam es, dass Levi sich der Pokerrunde anschloss und er hatte auch gleich Anne und Kenan im Schlepptau. Wie der ehemalige Head Hunter erklärte, hatte Kenan unbedingt sehen wollen, wie eine Pokerrunde aussah und da Anne ihm nie einen Wunsch abschlug, war sie einfach mitgekommen. Jeremiel war ein wenig erstaunt und fragte Anne, ob sie überhaupt schon mal gepokert habe, worauf er aber keine Antwort erhielt. Und irgendwie ahnten sie alle, dass es noch dick kommen würde. Jeremiel hatte ein absolutes Talent im Pokerface machen und Anne… von der wusste doch nie jemand, was sie gerade dachte oder fühlte. Selbst ihre Augen waren komplett verschlossen. Und wenn sie genauso gut pokerte wie sie kämpfte, dann konnten sie alle einpacken. Nastasja hingegen hatte die geniale Idee, die Pokerrunde russischer zu gestalten. „Immer, wenn die Karten gelegt werden, müssen die Verlierer einen kurzen kippen.“ „Mum, wir vertragen keinen Alkohol“, wandte L ein, doch das war der 31-jährigen Russin herzlich egal. „Ach was. Ihr stellt euch aber auch echt an. Na kommt, lasst uns Spaß haben! Wenn die anderen das können, dann können wir das doch alle Male. Und mit Alkohol wird alles lustiger.“ „Okay… aber wehe, irgendjemand nimmt etwas mit der Kamera auf. Das gilt vor allem für dich, Beyond!“ L warf dem Serienmörder einen warnenden Blick zu. Immerhin hatte dieser sich so eine Gemeinheit geleistet, als er L heimlich abgefüllt hatte. Dieser hob abwehrend die Hände und versicherte, dass er sich doch keine solche Dummheit leisten würde. Doch sonderlich überzeugend war er nicht gerade. Ajin hatte schon seinen dritten Drink und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er puren Alkohol getrunken, nur dummerweise wurde der nicht verkauft, zumindest nicht in Bars. Na wenigstens hatten die anderen ihren Spaß. Elohim hatte gute Laune und das hatte auch seinen Grund. Immerhin war sein bester Freund wieder zurück und nach all den schrecklichen Dingen, die damals passiert waren, wollten sie auch mal wieder die glücklichen Zeiten von damals wieder aufleben lassen. Auch Samajim hatte sich der Gruppe angeschlossen, während Nabi sich alleine einen ruhigen Abend gönnte. Natürlich war Ajin zufrieden damit, dass Elohim glücklich über Hajjims Rückkehr war und er musste auch zugeben, dass dieser ein wirklich sympathischer Geselle war. Immerhin besaß dieser eine ähnliche Leichtherzigkeit wie seine Tochter. Aber das alles mochte seine Stimmung nicht wirklich zu heben. Nein, dafür frustrierten ihn die ganzen Jobpleiten und es nervte ihn einfach, dass nichts wirklich funktionieren wollte. Selbst der Versuch in der Lagerlogistik endete in einer Katastrophe. Die Regale waren wie Dominosteine umgefallen, ein Sachschaden in Millionenhöhe war entstanden, drei Gabelstapler waren explodiert und zwei Maschinen waren komplett Schrott. Aber was hatte er erwartet? Als Gott des Chaos und der Zerstörung war das eben das Beste, was er konnte… „Hey Leute“, kam es plötzlich und als Ajin den Blick hob, sah er, dass es Dathan war, der sich ein klein wenig verspätet hatte. „Entschuldigt, dass ich erst jetzt komme. Ich hab ein wenig die Zeit aus den Augen verloren.“ „Ist doch kein Weltuntergang“, meinte Ajin nur und begrüßte seinen jüngsten Enkel. „Hauptsache ist, dass du da bist. Dein Vater hat ja auch schon sichtlich Spaß, wie man sieht.“ Nun erhob sich auch Elohim, um seinen Sohn zu grüßen und sogleich bemerkte auch Hajjim „Meine Güte, ich glaub’s ja nicht. Du bist also der kleine Nivkha? Himmel, du bist ja groß geworden.“ „Onkel Hajjim!“ Dathan konnte es nicht glauben, als er sich wieder an den alten Freund seines Vaters erinnerte. Er umarmte ihn fast schon stürmisch und war überwältigt. „Ja aber wie… ich dachte, du…“ „Dein Großvater hat mich zurückgeholt, weil er meinte, dein Vater bräuchte jede Hilfe, die er kriegen kann.“ „Ist das wahr?“ Die rot leuchtenden Augen des Unvergänglichen ruhten auf den Shinigamikönig, der das alles mit einer Miene abtat, als wäre das alles keine große Sache. „Das alles hat alles Sinn und Zweck und aus diesem Grund hab ich euch auch alle herbestellt. Ich hab da nämlich eine Entscheidung getroffen, was insbesondere deinen Entschluss betrifft, dass du in der Menschenwelt bleiben willst, mein Lieber. Denn dazu will ich dir auch noch ein paar Takte sagen.“ Und Ajins Tonfall ließ nichts Gutes erahnen. Kapitel 17: Eine gute Nachricht ------------------------------- „Wie… wie meinst du das, Großvater?“ fragte Dathan etwas unsicher, denn irgendwie ahnte er nichts Gutes, wenn Ajin in so einem Tonfall sprach. Meist bedeutete es dann, dass er wegen irgendetwas ziemlich ungehalten war und eine Standpauke halten wollte, die sich gewaschen hatte. Natürlich wusste er, dass dieser nicht sonderlich begeistert reagiert hatte, als er erfahren hatte, dass sein jüngster Enkel in der Menschenwelt bleiben und auch noch eine Menschenfrau heiraten wollte. Doch wenn Dathan ehrlich war, hatte er wirklich gedacht, dieses Thema wäre inzwischen geklärt. Und nun hatte sein Großvater seinen Vater und dessen zwei beste Freunde versammelt. „Was genau willst du mit mir besprechen?“ „Nun“, sagte Ajin und leerte sein Glas Whiskey. „Da deine Entscheidung offenbar endgültig ist, dass du so lange wie möglich in der Menschenwelt verbringen willst, werde ich diese Entscheidung natürlich genauso akzeptieren wie deine Eltern. Nichtsdestotrotz ändert es nichts an der Tatsache, dass du als Entität Pflichten hast, genauso wie deine Geschwister. Deshalb fällt dir auch die Aufgabe zu, die Menschenwelt zu beschützen. Insbesondere deine andere Familie. Samajim bleibt sowieso hier, um im Falle eines Notfalls da zu sein und außerdem wird er dieses Unheiltrio im Auge behalten. Auch auf dich wird er ein Auge haben und auf dich aufpassen. Und auch Hajjim wird zu deiner Unterstützung da sein.“ „Wieso denn ausgerechnet Onkel Hajjim?“ „Weil er es war, der die Menschenwelt oder besser gesagt die Welt der Vergänglichen erschaffen hat. Aus diesem Grund wird er auch als ihr Verwalter zuständig sein und ein Auge auf den weiteren Verlauf haben. Denn so wie es scheint, wird die Menschenwelt immer beliebter für alle Arten von Unvergänglichen, aus welchem Grund auch immer. Und damit du Zeit für deine kleine Menschenfamilie hast, werden dir Samajim und Hajjim helfend zur Seite stehen, was deinen Job als Entität angeht. Wenn ich dich schon nicht dazu kriege, nach Hause zu kommen und ich sowieso erst mal in dieser Welt bleibe, dann will ich wenigstens dafür sorgen, dass hier alles geordnet zugeht und die Sefirot nicht auch noch diese Welt in einen Saustall verwandeln. Also erwarte ich von euch, dass ihr euren Job anständig macht und mir nicht noch mehr Ärger bereitet, als ich eh schon habe.“ „Keine Sorge, ich werde mich gut um Nivkha und vor allem um diese Welt kümmern“, versprach Hajjim und tätschelte Dathan den Kopf. „Wir kriegen das schon geregelt. Aber Mensch Nivkha, ich kann mich nur wiederholen, wie groß du geworden bist. Dabei warst du damals noch so klein gewesen und hast bei mir oder bei Samajim auf dem Schoß gesessen. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du inzwischen erwachsen bist. Aber da sieht man auch, dass du nach deinem Großvater kommst. Nur scheint es mir, als wärst du immer noch ziemlich schüchtern so wie damals.“ Das konnte Dathan leider nicht abstreiten. Zwar hatte er seine Berührungsängste inzwischen schon ganz gut im Griff, aber leider konnte er an seiner Schüchternheit nicht viel ändern. Selbst nicht, seitdem sein Großvater seine ganze Kraft entfesselt und aus ihm eine vollwertige Entität gemacht hatte. Und wahrscheinlich würde er auch für immer so bleiben und das wusste auch Ajin. Aus diesem Grund hatte er es als das Beste angesehen, wenn er Hajjim mit der Aufgabe betraute, auf diese Welt aufzupassen. Sein jüngster Enkel war vom Wesen her einfach ungeeignet dafür. Etwas schüchtern wich Dathan den Blicken der anderen aus, suchte dann aber den Kontakt zu seinem Großvater. „Danke für alles.“ „Lass stecken“, meinte Ajin und setzte ein Lächeln auf. „Dafür erwarte ich aber auch, dass du mir das ja nicht vermasselst. Bau dir ein anständiges Leben auf und beschütz deine Familie.“ Dathan versprach es und kam auch gleich auf das nächste Thema zu sprechen. „Sag mal Großvater, wie läuft es denn eigentlich bei der Jobsuche? Hat sich da schon was ergeben?“ „Nein“, grummelte Ajin und schlagartig verfinsterte sich wieder seine Miene. „Irgendwie wird das nichts. Egal was ich auch versuche, es endet in einer Vollkatastrophe und wenn ich Pech habe, hat Frederica endgültig die Schnauze voll. Hätte ich an ihrer Stelle auch.“ „Das glaube ich nicht“, meinte Dathan und schüttelte den Kopf. „Frederica liebt dich und auch wenn das Ganze gerade frustrierend für euch beide ist, sie steht hinter dir und sie weiß ja auch, dass du dich bemühst. Es wird schon werden. Manche brauchen eben halt etwas länger, um den perfekten Job zu finden, aber bei dir wird das schon noch irgendwann mal werden. Da bin ich mir hundertprozentig sicher.“ „Kann mich mal jemand aufklären?“ fragte Hajjim, der ja nicht wirklich auf dem neuesten Stand der Dinge war. „Was hör ich hier von Jobsuche?“ „Großvater hat sich in Frederica verliebt. Ein Seraphmädchen, das von Eva erschaffen worden ist. Also von deiner positiven Hälfte. Naja und sie stellt eben halt die Bedingung, dass er hier in der Menschenwelt bleibt und einen Job annimmt um zu lernen, was es heißt, wirklich hart arbeiten zu müssen.“ Hajjim verschluckte sich fast an seinem Drink und wandte sich an Elohim. „Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen, oder?“ „Nein, es ist die Wahrheit“, versicherte dieser. „Das Unmögliche ist tatsächlich eingetreten. Ajin ist verliebt und entgegen seiner sonstigen Art hat er sich bereit erklärt, am Leben der Menschen teilzuhaben. Davor hat es allerdings ein wenig gekracht.“ „Wieso? Habt ihr euch gestritten?“ „Nein, er wollte die Welt zerstören und hat sich mit deinen Abkömmlingen und ein paar anderen geprügelt.“ „Was denn?“ gab Ajin in einem etwas respektlosen Ton zurück. „Erstens hatte ich Langeweile, zweitens schlechte Laune und drittens nur Ärger. Da bin ich eben halt etwas direkter geworden. Und außerdem wollte ich mal meinen jüngsten Enkel auf die Probe stellen. Aber da Samajim ja seine ganze Kraft unterdrückt hatte, war ja nicht sonderlich viel zu erwarten gewesen. Also war das auch wieder eine gute Gelegenheit gewesen, um seine wahre Kraft zu entfesseln und ihm auch gleichzeitig das Wissen der Entitäten zu übermitteln. Das wird er irgendwann mal bitter nötig haben und die Zeit des Exils ist ja jetzt auch vorbei.“ Sie bestellten sich noch weitere Drinks und es wurde recht fröhliche Männerrunde. Und dabei kamen sie auf alte Anekdoten zu sprechen. So fragte Samajim Elohim „Weißt du noch, wie Rakshasa seine Narbe im Gesicht gekriegt hat?“ „Oh ja“, meinte dieser und nickte. „Ehrlich gesagt hatte ich fast schon Angst vor dir gekriegt, Hajjim. Das war einer der Momente, wo du mir wirklich unheimlich geworden bist.“ Natürlich war Dathan neugierig und fragte sofort nach. „Was war denn los gewesen?“ „Nun“, begann Samajim und räusperte sich. „Du hast mit deinem Bruder Jamin draußen gespielt und da kam Rakshasa an und wollte euch beide töten. Dein Vater war gerade dabei, deiner Schwester Rea zu helfen, die sich schlimm verletzt hatte und zu der Zeit war Hajjim bei ihm. Tja und als Rakshasa euch angreifen wollte, ging er dazwischen und verpasste ihm eine Nabe quer über das Gesicht. Hey Hajjim, zeig ihm doch mal, wie du Rakshasa eingeschüchtert hast.“ Doch dieser lachte nur kurz und winkte ab. „Nein, ich glaub das will er lieber nicht sehen.“ „Ach komm schon, jetzt sei mal nicht so. Na komm, zeig ihm mal deine dunkle Seite.“ Hajjim haderte noch kurz mit sich, aber dann gab er schließlich nach. Er packte Dathan am Kragen, hielt ihm ein Messer vors Gesicht und plötzlich war dieser freundliche und etwas verträumte Blick gänzlich verschwunden. In seinen Augen war pure Mordlust zu sehen und allein schon diese Augen zu sehen, machte Dathan Angst. „Ich warne dich“, zischte der Unvergängliche und sah Dathan mit einem beinahe manischen Blick an. „Solltest du es auch nur ein Mal wagen, dich an meinen Freunden zu vergreifen, dann schwöre ich dir: ich werde dich töten. Ich schlitz dich auf und werfe deine Überreste den Aasfressern vor. Wag es auch nur ein Mal und ich werde dich bis ans Ende der Welt jagen. Ich werde dich finden und dann wirst du dir wünschen, du wärst mir niemals begegnet. Halte dich von meinen Freunden fern oder es war das Letzte, was du getan hast, bevor ich dich absteche wie ein Schlachtvieh.“ Selten hatte Dathan so viel Angst gehabt wie in diesem Moment. Obwohl er Hajjim als einen sehr herzlichen und neugierigen Gesellen kannte, der zwar nichts von Verpflichtungen hielt, dafür aber für viele Dinge schnell zu begeistern war, hatte dieser offenbar eine ganz andere Seite. Ihm war als würde er eine völlig andere Person sehen. Und diese erinnerte ihn ein wenig an Liam. Nein, nicht ganz. Es war Araphel… Hier sah man deutlich, dass Eva und Liam aus ihm entstanden waren. Samajim klopfte ihm auf den Rücken und lachte. Hajjim fand das weniger lustig. „Ihr findet das witzig, aber ich mag es überhaupt nicht, ihm Angst zu machen. Meine dunkle Seite ist ein sehr guter Schutz für mich selbst und für meine Freunde, aber ich hasse es, sie zu missbrauchen. Dazu ist sie nicht da.“ „Ach so“, meinte Dathan, der sich langsam wieder von dem Schreck erholte. „Dann ist Araphel also nicht als mordendes Monster gedacht gewesen, sondern als Schutz?“ „Ganz genau. Um deine Freunde vor jenen zu beschützen, die kaltblütig und grausam sind, muss man sich selbst eine Seite zulegen, die kaltblütig und grausam ist. Aber letztendlich hat mir das auch nicht viel gebracht. Ich konnte deine Familie nicht beschützen und habe mit dem Leben bezahlen müssen. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Miswa so etwas getan hat. Genauso wenig wie ich es glauben kann, dass sie den Genozid an den Seraphim durchgeführt hat. Sie war zwar schon immer sehr streng, aber sie stand auch für Ordnung und Gerechtigkeit. Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte, dass sie so etwas Grausames getan hat. Ich war zwar nicht mit ihr befreundet, aber sie hatte nichts gegen die Seraphim. Die einzige Erklärung, die ich für ihren Sinneswandel habe, ist die, dass sie von Rakshasa manipuliert wurde.“ „Denke ich auch“, stimmte Samajim kopfnickend zu. „Er hat es schon immer verstanden, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und andere wie Puppen tanzen zu lassen. Aber das ändert auch nichts an Miswas Gräueltaten.“ Doch irgendetwas beschäftigte Hajjim. Er wirkte in Gedanken versunken und er reagierte auch erst nicht, als Samajim ihn ansprach. Dann aber hob er den Blick und fragte „Wie bitte?“ „Ich fragte, woran du gerade denkst.“ „Mir war, als wäre da etwas Wichtiges gewesen, aber ich kann mich nicht erinnern.“ „Du hast Gedächtnislücken? Sieht dir nicht ähnlich.“ „Naja… ich kann es mir auch nicht erklären. Aber es war sehr wichtig und ich wollte mit Elohim darüber sprechen, kam aber nicht mehr dazu. Vielleicht fällt es mir ja wieder ein.“ Es wurde noch ein recht lustiger Abend, bis Ajin spät nachts wieder nach Hause zurückkehrte. Wieder zurück erwartete ihn die fröhliche Pokerrunde, die ein klein wenig außer Kontrolle geraten war. Grund dafür waren Jeremiel und L, die aufgrund der Tatsache, dass sie keinen Alkohol vertrugen, völlig außer Rand und Band waren. Da er zu betrunken war, um alleine nach Hause zu gehen, hatte Gishi sich bereit erklärt, ihn nach Hause zu bringen. Doch er hielt sich an der Couch fest und rief wie ein bockiges 4-jähriges Kind „Nein, ich will noch nicht gehen. Du bist gemeeeeeein.“ L hingegen kicherte die ganze Zeit, hatte ein schiefes Grinsen im Gesicht und redete irgendwelchen Schwachsinn vor sich hin wie zum Beispiel „Es trinkt der Mensch, es säuft das Pferd, bei uns ist es heute umgekehrt.“ Und gleich darauf folgte der nächste Schwachsinn, der natürlich für genügend Lachstoff bei den anderen sorgte. „Semmelbrösel in den Socken halten den schlimmsten Schweißfuß trocken. Und hast du Lust, nimm einen zur Brust. Und hast du Gelüste, nimm am besten beide Brüste.“ „Und was glaubt ihr wohl, wie viel Löffel Salz man braucht, um das Meer trocken zu legen?“ rief Jeremiel in die Runde. „Ich sag’s euch!“ Doch statt einer Antwort, kam nur ein lautes Rülpsen heraus und Nastasja war immer noch bei ihrem Trinkwettkampf mit Levi. Anne war zwischenzeitlich gegangen, nachdem Kenan eingeschlafen war und sie deshalb für sich keinen Grund mehr sah, weiterhin hier zu bleiben. Kurz darauf kehrte auch Frederica zurück und wunderte sich natürlich erst einmal, was hier vor sich ging. Sie schafften es dann aber doch noch mit vereinten Kräften, Jeremiel in den Wagen zu verfrachten, L ins Bett zu bringen und der Rest verabschiedete sich. „Na wenigstens hatten alle einen lustigen Abend“, meinte das Albinomädchen und wandte sich dann an ihren Freund. „Und wie war deiner?“ „Naja, ganz gut eben. Eine willkommene Abwechslung nach den ganzen Fehlschlägen. Und ich glaube, ich hab El und meinem Enkel eine kleine Freude machen können.“ „Tief in deinem Inneren hast du eben doch ein gutes Herz.“ „Häng mir bloß nicht so etwas an. Ich bin aus Leidenschaft ein Drecksack.“ „Wie du meinst. Ich schon mal ins Bett. Ich bin echt müde…“ „Ich komm gleich nach.“ Ajin ging in die Küche und holte sich aus dem Kühlschrank den Rest vom Erdbeersorbet. Etwas Süßes konnte er ganz gut gebrauchen. Dabei bemerkte er, dass etwas anders auf der Liste war. Anstatt, dass nur dunkle Linien und aufgelistete Berufe zu sehen waren, sah er nun, dass etwas eingekreist worden war. Es war ein Beruf, der schon vom Arbeitsamt vorgeschlagen worden war, den er aber bisher noch nicht in Betracht gezogen hatte: Fleischer. Na ob das vielleicht wirklich so eine gute Idee war nach all den Katastrophen, die er angerichtet hatte? Er war sich da nicht ganz so sicher, aber welche anderen Ideen hatte er denn schon? So langsam gingen ihm diese aus und auch wenn er es bezweifelte, dass es wirklich funktionieren würde, so wollte er es versuchen. Allein schon Frederica zuliebe. Er wollte sie glücklich machen und sie sollte wissen, dass er bereit war, für sie alles zu tun. Na gut, dann wollte er morgen den Versuch starten. Nachdem er das Erdbeersorbet gegessen hatte, ging er in die untere Etage, wo er mit Frederica zusammen wohnte. Diese lag schon im Bett, war aber noch wach und rieb sich müde die Augen. „Alles okay bei dir?“ „Ja, alles bestens. Morgen werde ich gleich den nächsten Versuch starten.“ „Und was hast du dir ausgesucht?“ „Fleischer. Mal sehen, wie lange das hält.“ Am nächsten Morgen war Ajin recht früh auf den Beinen. Er brauchte ja keinen Schlaf und tat es nur, um die Zeit totzuschlagen, wo nichts Interessantes passierte. Es war auch schon alles arrangiert worden. Zeugnisse, eine abgeschlossene Ausbildung und so weiter. Er musste nur noch heute zur Arbeit und dann sehen, ob es klappte. Seinen Betrieb hatte er auch schon. Bevor er aber ging, wollte er noch etwas erledigen. Also ging er nach oben zu Beyond und L, betrat das Schlafzimmer. Er sah die beiden friedlich schlafen und konnte sich diese eine Gemeinheit nicht verkneifen. „AUFSTEHEN, IHR ROSETTENRAMMLER!!!“ Vor Schreck fiel Beyond aus dem Bett, L hingegen stöhnte gequält auf, da ihm der Kater erheblich zu schaffen machte. „Was zum…“ Beyond rieb sich müde die Augen und war mehr als sauer. „Was brüllst du so früh schon wieder so rum?“ „Ich habe mir was überlegt“, erklärte Ajin und räusperte sich. „Zwar hast du nicht wirklich viel Geistreiches dazu beigesteuert, mich mit Frederica zu verkuppeln, aber letzten Endes bin ich ja irgendwie doch zu der Ansicht gekommen, dass ihr mir doch einen recht guten Dienst erwiesen habt. Und das vergesse ich nie. Also werde ich euch das hier geben.“ Er ergriff Beyonds linkes Handgelenk und in diesem Moment durchfuhr ein stechender Schmerz Beyonds Hand und er schrie laut auf, dann zog er seine Hand zurück. Er sah eine weiße Schlange auf Ajins Arm, eine Tätowierung. Und sie bewegte sich. Ja, sie besaß ein Eigenleben und als er auf seine Hand sah, erkannte er zwei kleine Bissspuren, die sofort wieder verheilten. „Was sollte das? Hat dein… hat dein Tattoo mich gerade gebissen?“ „Du siehst darin nur ein Tattoo, aber die Schlange verkörpert mehr. Sie ist das Symbol für das Leben, für die Ewigkeit und die Zeit. Und sie wird euch eines Tages einen guten Dienst erweisen, so wie ihr mir. Wenn die Zeit gekommen ist, werdet ihr es schon sehen.“ „Und dafür musstest du uns extra aufwecken?“ „Lasst mir doch den Spaß. Ich bin jetzt eh weg und versuch mich mit dem nächsten Job. Also dann bis später, ihr Flachzangen.“ Damit verabschiedete sich Ajin und ließ die beiden zurück. Seine Adresse war ein Fleischerbetrieb knapp zwanzig Minuten Fußmarsch entfernt. Normalerweise hätte er seine übliche Abkürzung genommen, aber er ließ es sein, da er Frederica ja versprochen hatte, seine Kraft nicht zu benutzen. Außer vielleicht, es lag ein Notfall vor oder er musste irgendetwas rückgängig machen, was er verbockt hatte. Na hoffentlich funktionierte es dieses Mal. Denn so langsam aber sicher hatte er wirklich keine Lust mehr auf diese ganzen Fehlschläge. Ajin lief die Straße entlang und summte dabei ein kleines Liedchen vor sich hin, um sich in Stimmung zu bringen. Schließlich erreichte er die Fleischerei und meldete sich sogleich auch beim Meister, der ihn mit einem kräftigen Händedruck grüßte und ihm zuallererst seine Arbeitskleidung in die Hand drückte. Naja, die waren zwar nicht gerade Ajins erste Wahl, aber sonderlich anspruchsvoll war er in der Hinsicht ja auch nicht. Von menschlicher Mode konnte man ohnehin nicht viel erwarten. Nachdem Ajin seine Arbeitskleidung angezogen hatte, führte ihn der Meister zu seinem Arbeitsplatz, gab ihm Kettenhandschuhe und verschiedene Messer, eine kleine elektrische Säge und ein frisch geschlachtetes Rind mit der Erklärung „Das zerlegst du erst mal. Pass mir ja auf, dass du das Filet nicht zerschnibbelst und dass die Sehnen abgelöst werden. Die Abfälle packst du mir hier in die Kiste. Ich schau gleich noch mal vorbei.“ „Ja, Chef“, antwortete Ajin und so ließ der Meister ihn allein. Nun sah der Unvergängliche seinen „Patienten“ an einem Haken herunterhängen. Kopflos, gehäutet und entdarmt. Für den Einstieg musste er also nur noch die ganzen Fleichstücke herausschneiden. Allein der Gedanke, dass er tatsächlich gegen Geld ein totes Lebewesen zerlegen durfte, klang für ihn zu schön um wahr zu sein. Er musste sich wirklich ein Grinsen verkneifen und suchte sich sogleich ein Messer. Es war eine wunderbare Qualität, verdammt gut geschärft und wartete nur darauf, frisches Fleisch zu zerschneiden. Bevor Ajin aber mit der Arbeit begann, studierte er die Liste und die Abbildung, an dieser er gut erkennen konnte, welches Fleisch er von welchem Körperteil gewinnen konnte. Für ihn sah es wie ein hübsches Puzzlebildchen aus und er dachte sich nur „Na so schwer kann das ja wohl auch nicht sein.“ Also schnappte er sich sein Werkzeug und begann mit der Arbeit. Er stellte schnell fest, dass die Menschen es wirklich gut verstanden, scharfe Messer herzustellen. Das war kein Vergleich zu dem, was sie vor 2000 Jahren noch hatten. Doch während er seine Arbeit verrichtete, wartete irgendetwas in ihm insgeheim darauf, dass gleich der große Knall kam. Irgendetwas würde gleich wieder wahnsinnig schief laufen und dann nahm die Katastrophe ihren Lauf. Aber seltsamerweise kam sie selbst dann nicht, als er das ganze Rind zerlegt hatte und der Meister zurückkam, um nach dem Rechten zu sehen. „Na da bist du aber schnell fertig“, meinte er und begutachtete die Arbeit. „Sieht gut aus“, meinte er schließlich. „Ein paar kleine Fehler sind zwar dabei, aber im Großen und Ganzen eine gute Arbeit. Als nächstes machst du Schwein und Lamm. Und dachte mal besser darauf, etwas glatter und nicht mit der Struktur zu schneiden.“ Wow, dachte Ajin und konnte es irgendwie selbst gerade nicht glauben. Offenbar kann ich doch was richtig machen, was Menschenjobs betrifft. Und wie es scheint, stell ich mich gar nicht mal so blöd an. Zumindest gab es bis jetzt noch keine Schwerverletzten und Toten, geschweige denn dass der Chef komplett ausgerastet ist. Und so schlecht ist die Arbeit auch nicht. Ehrlich gesagt kann ich mich echt daran gewöhnen. Ajin erledigte die Aufgaben und arbeitete alles ab, was ihm aufgetragen wurde. Selbst nach Wochen war es noch ein echt seltsames Gefühl, dass er Anweisungen befolgen musste und am Anfang hatte es ihn noch ziemlich genervt. Aber inzwischen konnte er sich so einigermaßen damit arrangieren. Das Verrückteste aber war, dass er nicht ein einziges Mal ausgerastet war oder anderweitig die Beherrschung verloren hatte. Nein, er konnte hier ganz einfach seine Sachen abarbeiten, er erledigte seine Arbeiten und der einzige Fehler, der ihm an diesem Tag unterlief war, dass er eine Maschine nicht ganz richtig eingestellt hatte, aber ansonsten gab es keine Verletzten, keine Todesopfer, keine Explosionen und keine Sachschäden im fünf- bis sechsstelligen Bereich. Und das erstaunte ihn wirklich. Vor allem, als der Meister zum Feierabend hin zu ihm kam und meinte „Wenn du noch interessiert bist, kriegst du den Job.“ Und natürlich nahm Ajin das Angebot sofort an und konnte es kaum erwarten, Frederica die gute Nachricht mitzuteilen. Epilog: Familienbande --------------------- Wenige Tage später traf sich noch mal die gesamte Familie, um Ajins Erfolg zu feiern, dass er nach langer Suche endlich einen passenden Job gefunden hatte und diesen sogar behalten konnte. Mit den Kollegen kam er halbwegs zurecht, die Arbeit machte ihm ganz offensichtlich Spaß und es hatte selbst nach zwei Wochen keine ernsten Zwischenfälle gegeben. Keine Schwerverletzten, Traumaopfer oder Todesfälle. Keine Schäden im fünf- bis sechsstelligen Bereich und es hatte auch keine Explosionen gegeben. Für Ajin ein persönlicher Bestrekord. Alles sah danach aus, als würde es endlich klappen und das war nicht nur für Frederica ein Grund zum Feiern. Auch ihm fiel ein Stein vom Herzen und man merkte es ihm auch wirklich an. Er benahm sich nämlich nicht ganz so ausfallend und aggressiv wie sonst und war schon fast nett. Ein paar der anderen waren ein klein wenig verstimmt, weil sie alle die Wette verloren hatten. Nur Jeremiel war guter Laune, denn letztendlich hatte er genau richtig gelegen mit seiner Einschätzung und es war allen ein Rätsel, wie er nur so genau einschätzen konnte, was der richtige Beruf für ihn war. Und als sie alle zusammen saßen, mussten sie natürlich unbedingt nachfragen. Der ältere Lawliet-Zwilling, der übrigens auch fast alle anderen Wetten gewonnen hatte, lächelte zufrieden wie ein Sieger und erklärte ihnen das Geheimnis, was auch Ajin selbst interessierte. „Das ist doch eigentlich ganz einfach“, erklärte er und trank einen Schluck Kaffee, den er im Gegensatz zu seinem Bruder lieber schwarz und ohne Zucker trank. „Man muss einfach die Tatsache berücksichtigen, dass Ajin der Gott des Chaos und der Zerstörung ist. Demnach hat er auch kein sonderliches Händchen in konstruktiven Dingen. Also bleibt ihm eher ein Beruf, wo er seine anderen Fähigkeiten besser zum Einsatz bringen kann. Hinzu kommt, dass er eine Vorliebe für Brutales hat und der Umgang mit totem Material ist für ihn viel besser geeignet als Lebendes. Das waren alles Puzzleteile, die es nur noch zusammenzusetzen galt. Also musste es ein Beruf sein, der mit dem Tod in Verbindung steht, wo er seine zerstörerische Ader in einem gesunden Maß ausleben kann und er nicht allzu viel Kontakt mit Kunden hat. Weder persönlich, noch am Telefon. Letztendlich blieben neben Fleischer auch zum Beispiel Taxidermist übrig. Aber ich dachte mir, dass Fleischer die bessere Wahl wäre. So ist es nämlich indirekt etwas Konstruktives.“ „Taxidermist?“ fragte Ezra verständnislos, der mit dem Wort überhaupt nichts anzufangen wusste. „Ist das wieder so eine neumodische Bezeichnung für Taxifahrer?“ „Nein, das ist die Fachbezeichnung für Tierpräparatoren“, erklärte Elion ihm. „Diese Leute stopfen tote Tiere aus, welche sich die Leute dann zur Dekoration in die Wohnung stellen.“ Angewidert über diesen Gedanken verzog Ezra das Gesicht und murmelte nur ein „abartig“ dahin. Er liebte Tiere über alles und da war es für ihn unvorstellbar, dass es Leute gab, die Tiere ausstopften und sich dann in die Wohnung stellten. Auch Elion konnte sich mit diesem Gedanken nur schwer anfreunden, aber es gab eben solche Leute. „Jedenfalls hab ich mir schon von Anfang gedacht, dass Fleischer genau der richtige Beruf für Ajin ist. Immerhin kann er dort Tiere schlachten und zerlegen und macht damit etwas, woran er Spaß hat und wofür er auch eine sehr gute Eignung hat. Und auf die Weise kann auch nicht allzu viel schief gehen. Im Grunde war es nichts Weiteres als ein bisschen Detektivarbeit und Profiling.“ Damit warf er L einen kurzen Blick zu, der allzu deutlich „Na? Hab ich dich etwa übertrumpft, Bruderherz?“ zu sagen schien. Und L, der ein ziemlich schlechter Verlierer war, schmollte und funkelte Jeremiel böse an. Es war aber auch wirklich zu peinlich für ihn, dass er als Meisterdetektiv nicht in der Lage war zu erkennen, was nun der richtige Job für Ajin war. Und dass ausgerechnet sein älterer Zwillingsbruder ihn übertrumpfen musste, der noch gar nicht so lange als Detektiv tätig war, nagte doch ziemlich an ihn und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er vielleicht noch etwas vom Stapel gelassen. Aber das würden seine Mutter und Beyond gar nicht erst zulassen und Jeremiel ließ sich ja sowieso nichts sagen. Er hatte die Runde eindeutig gegen seinen Bruder verloren und musste zugeben, dass Jeremiel wirklich einen guten Spürsinn besaß. „Tja, wie es aussieht, zockt uns dein Bruder fast ständig in einer Tour ab. Beim Pokern, beim Schach und sogar beim Wetten. Jetzt mal ernsthaft: wie zum Teufel machst du das überhaupt?“ fragte Beyond und ahnte schon, dass ein mieser Trick dahintersteckte. Doch Jeremiel erklärte ganz überraschend „Ich pokere hin und wieder mal abends mit Delta und Johnny, wenn Liam keine Zeit hat. Und die beiden waren die besten Lehrer, die ich kriegen konnte. Und was die Sache mit der Wette angeht… ich glaube, ich hab einfach eine ziemlich gute Einschätzung von anderen Leuten.“ „Ach ja?“ fragte L und wollte schon etwas sagen, was wahrscheinlich mit Liam zu tun hatte, doch das ließ seine Mutter gar nicht erst zu. „Ganz recht, dein Bruder hat eine sehr gute Menschenkenntnis und darauf bin ich sehr stolz. In der Hinsicht kommt er eben ganz nach seinem Vater.“ Sie blickte L warnend an, so als wolle sie ihm signalisieren, dass er endlich damit aufhören sollte, gegen Liam zu sticheln. Und L, der sich lieber nicht mit seiner Mutter anlegen wollte, gab deshalb klein bei und blieb still. Ajin entging dies durchaus nicht und er lachte lauthals, dann legte er einen Arm um Dathans Schultern und grinste amüsiert. „Junge, so langsam mag ich deine Freundin richtig. Und ich glaub, so übel wird es in der Menschenwelt vielleicht doch nicht. Auf jeden Fall lässt es sich hier ein paar tausend Jahre ganz gut leben… eventuell.“ „Und es kommt auch nicht oft vor, dass wir nach Liam, Eva, Frederica und Dathan jetzt auch noch Ajin Gamur in unserer Familie haben“, ergänzte Rumiko und schmunzelte. „Wir haben schon echt eine verrückte Familie.“ „Mag sein, dass sie verrückt ist“, meinte Sheol schließlich. „Aber in meinen Augen sind wir die coolste Familie.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)