Kintsukuroi von Blackwolf (Repair With Gold) ================================================================================ Kapitel 1: Kintsukuroi - Repair With Gold ----------------------------------------- Kakashi bemühte sich, den Wunsch Sasukes Kopf in den Boden zu stampfen, aufzugeben, doch der unwissende Ausdruck auf dem Gesicht seines Gegenübers machte es ihm nicht gerade leicht. Der abtrünnige Sohn des Dorfes war an diesem Morgen endgültig zurückgekehrt, doch es war nur allzu offensichtlich, dass er keinerlei Ahnung hatte, welchen Platz im Dorf er einnehmen sollte. Geschweige denn, was die erste Aufgabe war, die er zu erledigen hatte, da er nun wieder anwesend war. „Sasuke“, begann er schließlich geduldig. „Ich werde es dir gerne erklären. Hier, nimm das.“ Er reichte Sasuke die graumelierte Sakeschale, die auf seinem Schreibtisch gestanden hatte. Zögernd nahm Sasuke das Gefäß entgegen und betrachtete es mit unverhohlenem Argwohn. „Jetzt wirf es auf den Boden“, forderte Kakashi ihn ungerührt auf, während er die Fingerspitzen seiner Hände zu einem Dreieck zusammentreffen ließ. „Wie bitte?“ Überrascht sah Sasuke seinen alten Mentor an, eine der Augenbrauen wurde ungläubig in die Höhe gezogen. „Mach schon.“ Ungeduld schwang in Kakashis Stimme mit. Der Schwarzhaarige zuckte ergeben mit den Schultern und ließ das filigrane Gefäß auf den Steinboden fallen. Die Schüssel zerspran unter Klirren in mehrere Teile. „Erledigt.“ „Ist die Schale zerbrochen?“, fragte Kakashi überflüssigerweise. „Ja.“ „Nun entschuldige dich bei ihr.“ Sasuke verdrehte die Augen. „Entschuldigung“, sagte er und betrachtete den kleinen Scherbenhaufen vor seinen Füßen. „Und, ist die Schale nun wieder ganz, so wie sie es vorher war?“ „Nein“, brachte Sasuke heraus und leicht senkte er beschämt den Kopf. Kakashi nickte. „Verstehst du es jetzt?“ Sasuke starrte Kakashi an, seine Wangen waren leicht gerötet. „Ich denke schon“, sagte er, kniete nieder, sammelte die einzelnen Scherben ein, ließ sie in seine Tasche gleiten und verließ das Zimmer des Hokages ohne weiteren Gruß. Sie blickte nicht von dem schweren, in Leder gebundenen Buch über Heilpflanzen auf, das sie in den Händen hielt, doch Naruto konnte sehen, dass sie nicht mehr darin las. Für einen Moment dachte er, dass sie es ihm gegen den Kopf schmettern würde, als Strafe dafür, dass er es war, der ihr die Nachricht von Sasukes Rückkehr gebracht hatte. Er wusste, dass sie Sasuke noch liebte, aber er hatte auch gesehen, wie sehr sie von dieser Liebe verwundet worden war. „Es heißt Zeit heilt alle Wunden“, sagte sie schließlich leise. „Ich stimme nicht zu. Die Wunden bleiben. Über die Zeit wird der Verstand zum Schutz seiner Gesundheit die Wunden mit Narbengewebe überdecken und den Schmerz lindern. Aber er wird niemals verschwinden.“ Sakura seufzte und klappte das Buch zu, um es schließlich bedächtig auf den Tisch zu legen. „Es tut mir wirklich leid, Naruto.“ Ihre Augen sahen ihm suchend ins Gesicht. „Das was ich dir angetan habe, es muss schlimm gewesen sein. Deswegen freue ich mich unglaublich, dass du jemanden gefunden hast, der dich so wertschätzt, wie du es verdienst.“ „Ach, Sakura!“, rief Naruto aus und umfing sie mit der Herzlichkeit seiner festen Umarmung. „Du bist meine beste Freundin, aber eben auch meine erste große Liebe.“ Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Du solltest positiver werden. Das Gefühl, das dir das Herz gebrochen hat, ist manchmal auch das einzige, das es wieder heilen kann.“ Er zwinkerte sie aus seinen blauen Augen voller Zuversicht an. „Es gibt zwei Arten von Vergebung in dieser Welt: Die eine wird angewendeten, weil tatsächlich alles in Ordnung ist, weil alles wieder heil ist. Und die andere Art Vergebung ist die, die man anwendet, weil jemand verzweifelt Vergebung braucht, oder weil du es genauso sehr brauchst, diesem Jemand zu vergeben. Denn ein Herz kann sich in alten Wunden verbeißen und verbittern“, erklärte Naruto, während er ihr bedächtig über den Rücken strich. Sakura ging einen Schritt zurück und sah ihn sprachlos an. Immerhin war er nicht bekannt dafür, weise Worte von sich zu geben, doch die Beziehung zu Hinata hatte ihn auf sehr wundersame Weise reifen lassen. „Danke“, erklärte sie aufrichtig. „Ich denke, dass ich nun bereit bin. Weißt du zufällig, wo ich Sasuke heute Abend finden kann?“ Naruto nickte, als hätte er mit der Frage gerechnet. „Nach dem Gespräch mit Kakashi ist er wahrscheinlich in seine alte Wohnung gegangen.“ Sakura warf die Schultern zurück. „Augen zu und durch?“, fragte sie Naruto unsicher. Dieser nickte zustimmend. „Augen zu und durch.“ Mit einer kurzen Umarmung, in der sie die Kraft echter Freundschaft in sich aufsaugen konnte, verabschiedeten sie sich. „Oh, was eine wunderbare Seele, so hell in dir. Mit der Kraft das gebrochene Herz der Sonne zu heilen, und der Macht dem Mond das Augenlicht wieder zu geben“, zitierte Kakashi voller Bewunderung, als er aus dem Fenster blickte und sah, wie Sakura im orangenen Schein der Laternen die Straße überquerte und in die Gasse in Richtung Sasukes Wohnung abbog. Er hatte ihn immer in ihr gesehen, schon seit sie ein kleines Mädchen gewesen war – diesen Hunger eine andere Person bis zu ihrem höchsten Selbst zu lieben, und dies war auch der Grund dafür, dass er sie unumkehrbar und für immer liebte. Er wusste, dass es Liebe war, weil er wollte, dass sie glücklich war, selbst, wenn er nicht Teil dieses Glücks war. Sein Blick viel auf das gerahmte Foto von Team 7, das auf seinem Schreibtisch stand und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Doch, er war Teil ihres Glücks. Zufrieden seufzend öffnete er das Fenster um die frische Nachtluft einzuatmen und in den Sternenhimmel, unterlegt von dunkelblauem Samt, zu starren. Sie bog in die schmale Gasse ein, die zu seiner Wohnung führte. Ein leichter Schauder überkam sie und brachte sie zum Stehen; war es die Angst ihn wieder zu sehen oder nur dir frische Brise der Nachtluft? Sie schloss kurz die Augen und als sie sie wieder öffnete, sah sie ihn am anderen Ende der Gasse. Auch er stand da und schaute sie für einen Moment an – und es fühlte sich nicht an wie ein Blick des Grußes nach langer Abwesenheit, sondern wie der Blick von jemandem, der an sie gedacht hatte jeden einzelnen Tag der vergangenen Jahre. Sie war sich nicht sicher, es war nur ein kurzer Augenblick, so flüchtig, da er sich abwendete, als sie ihn auffing. Dann setzte er sich langsamen Schrittes in Bewegung und kam auf sie zu. Sie nahm nur beiläufig zur Kenntnis, dass auch sie weiter gelaufen war. Als sie sich in der Mitte der kleinen Gasse trafen, blieben sie beide abrupt stehen. „Willkommen zurück, Sasuke.“ Ihre Lippen hatten sich scheinbar ohne ihr Zutun bewegt. Sie starrte ihn forschend an. Sein schwarzes Haar war länger geworden, es hing ihm in unordentlichen Strähnen ins Gesicht. Außerdem trug er noch seinen Reiseumhang, dessen Saum vom Staub der Straßen, auf denen er die letzten Jahre gewandert war, starrte. „Sakura.“ Es war ein kaum wahrnehmbares Flüstern, dass ihr der Wind entgegen getrieben hatte. Sie sah, wie sein Adamsapfel hüpfte, als er schluckte. „Ich bin heute Vormittag zurückgekehrt“, erklärte er schließlich. „Ich weiß.“ Sie schauderte schon wieder. „Naruto hat es mir erzählt. Deswegen bin ich gekommen.“ Sasukes Schultern strafften sich etwas, dann sagte er: „Ich dachte, dass du vielleicht mit der Zeit“ - „Mit der Zeit, mit der Zeit“, echote Sakura heftig und hob die Arme. „Das haben alle gesagt. Mit der Zeit würde ich mich nicht mehr so schlecht fühlen. Aber ich wollte nicht, dass die Zeit mich heilt. Es gibt einen Grund, warum ich so bin, wie ich bin. Ich wollte, dass mich die Zeit hässlich und verworren mit deinem Verlust macht, mich mit dir brandmarkt. Ich werde dich nicht beseitigen. Ich will nicht wieder Abschied von dir nehmen.“ Sie konnte ihr eigenes Herz in ihrer Brust klopfen hören; beinahe war sie sich sicher, dass man sehen konnte, wie es in ihrem Brustkorb pulsierte und flatterte. „Das musst du auch nicht“, sagte er und machte einen Schritt auf sie zu. „Was passiert ist. Ich kann es nicht rückgängig machen.“ „Ich weiß.“ Ihr Blick war gezeichnet von dem Schmerz, den er ihr über die Jahre hinweg zugefügt hatte; es verletzte ihn selbst, sie so zu sehen und zu wissen, dass er der Grund dafür war. Ebenso erkannte er aber, dass sie wusste, dass es ihm selbst weh getan hatte, was er ihr angetan hatte, denn mit jeder Dosis Schmerz, hatte er sich selbst verwundet. „Schmerz ist ein nervtötender Teil des Seins. Ich habe gelernt, dass er sich anfühlt wie eine Stichwunde ins Herz, etwas, wovon ich wünschte, dass wir alle in unserem Leben darauf verzichten könnten. Er ist wie eine plötzliche Verletzung, der man nicht entgehen kann. Aber andererseits habe ich auch gelernt, dass ich gerade wegen des Schmerzes die Schönheit, die Sanftheit und den Frieden des Heilens fühlen kann. Schmerz ist der schnelle Stich ins Herz, aber Heilen fühlt sich an, wie der Wind, der dir ins Gesicht streicht, wenn du deine Flügel spannst, wenn du fliegst! Wir haben zwar selbst keine Flügel, die uns aus dem Rücken wachsen, aber Heilen ist die eine Sache, die am ehesten das Gefühl des Windes in unseren Gesichtern hervorruft.“ Mit einem großen Schritt schloss Sakura die Lücke, die zwischen ihnen war und legte ihm ihre kalte Hand auf die Wange. Bedächtig strich sie mit ihrem Daumen über seine Lippen, ihr Blick erfüllt von einem übermenschlichen Verständnis. Schmerz ist wie Wasser, dachte er. Er findet seinen Weg und dringt durch jedes Siegel. Es gibt keinen Weg ihn aufzuhalten. Manchmal muss man in ihm versinken, bevor man lernen kann, wieder an die Oberfläche zu schwimmen. „Der Schmerz einer Verletzung verschwindet in Sekunden. Alles, was danach kommt, ist der Schmerz der Heilung.“ Er schenkte ihr einen aufrichtigen Blick voller Entschuldigungen. „Ich habe vergessen, dass du es auch sehen kannst. Ins Leben zurück zu kommen… schmerzt.“ Er griff in seine Tasche. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Als er seine Hand aus der Tasche zog, hielt er Kakashis Sakeschale in der Hand. Goldene Linien markierten die ehemaligen Bruchstellen. Sakura nahm die Schale aus seinen Händen entgegen und betrachtete sie. „Das ist kintsukuroi. Wenn Keramik zerbrochen wurde, kann sie so repariert werden. Und wird durch das reparierende Gold wertvoller und schöner als zuvor.“ Nun legte er seine Hand an ihr Kinn, seine traurigen Augen fest auf die ihren gerichtet. „Die Dinge werden niemals mehr so sein, wie sie es früher waren, aber ich werde alles daran legen, dass ich repariere, was ich zwischen uns zerbrochen habe. Und ich hoffe, es wird schöner, als du es dir jemals erträumt hast.“ Sie erwiderte standhaft seinen Blick, auch wenn sich ihre Augenwinkel mit Tränen füllten. „Sasuke, Dinge sind nur Dinge – sie haben nicht die Macht zu verletzten oder zu heilen. Nur Menschen können das. Und nur wir alleine können entscheiden, ob wir verletzt oder geheilt werden von den Menschen, die uns lieben.“ Er senkte seinen Blick auf den Boden. War es doch zu spät? Da spürte er, wie sich ihre Hand in seine legte; er blickte auf, in ihre großen Augen. „Heilung ist unmöglich in Einsamkeit. Sie ist das Gegenteil von Einsamkeit. Miteinander, Geselligkeit, das ist Heilung.“ Sie lächelte. „Lass uns gehen.“ Und so zog sie ihn, ohne ein weiteres Wort los, in Richtung seiner Wohnung, und ihr erster gemeinsamer Weg, nach all den Jahren der Trennung, war begleitet von einer heilsamen Stille. Vielleicht ist die wichtigste Sache, die wir anderen Menschen bringen können, die Stille in uns, dachte Sasuke. Nicht die Art von Stille, die gefüllt ist mit unausgesprochener Kritik oder hartem Entzug. Sondern die Sorte Stille, die ein Platz der Zuflucht, der Ruhe und der Akzeptanz jemandes als seines Selbst ist. Wir sind alle hungrig nach dieser Art von Stille. Sie ist schwierig zu finden. In ihrer Gegenwart können wir uns an etwas über den Moment hinweg entsinnen, an eine Kraft, auf der wir unser Leben aufbauen können. Er konnte förmlich sehen, wie die Risse in seinem Inneren sich füllten mit dem sanften Schimmer von Gold. Impulsiv drückte er Sakuras schmale Hand in seiner, und wie ein kleines Echo erwiderte sie diesen Druck. Ein leises Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, denn er spürte nach einem langen, dunklen Winter endlich wieder ihre Sonne auf seiner Haut. Le Fin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)