The Story of a Bastard Child von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 27: Zwischen Ehrlichkeit und Heuchelei ---------------------------------------------- „Was heißt das, dass wir nicht zu ihr können?“, fragte Chiaki aufgebracht und sah so aus als wollte er jeden Augenblick auf den Mann im weißen Kittel losgehen. „Wir sind ihre Freunde! Sie will bestimmt, dass jemand bei ihr ist.“ „Tut mir leid, aber zurzeit dürfen nur Verwandte zu ihr“, erklärte der Arzt genervt. „Warten Sie bitte auf die Ankunft von Frau Yamaguchis Mutter.“ Danach verschwand er den langen Flur entlang und hinterließ bei der kleinen Gruppe ein beängstigendes Schweigen, das sich durch den Wartebereich zog. „Was für ein Pisser“, sagte Chiaki nach einer Weile. Mimi hatte sich bereits hingesetzt und starrte ins Leere. Was war nur passiert? Ihr ging es vor wenigen Stunden noch so gut und dann sowas. Mimi bekam die Bilder nicht mehr aus ihrem Kopf. Sie hatten sich eingebrannt, genauso wie der beißende Geruch von Erbrochenem. „Ich verstehe nicht, warum sie uns nicht reinlassen“, knurrte Chiaki und lief im Kreis. „Hast du nicht gesagt, dass du ihre Schwester bist?“ Mimi zuckte zusammen. Er klang richtig aggressiv. Sie traute sich kaum den Mund aufzumachen. „Sie kann nichts dafür!“, beschwichtigte Masaru und legte plötzlich den Arm um sie. Mit großen Augen verfolgte sie seine liebgemeinte Geste, richtete aber den Kopf schnell wieder zu Chiaki, der vor Zorn ganz rot wurde. „Wir konnten doch nicht ahnen, dass sie auf einmal zusammen bringt“, ertönte auch die Stimme von Yasuo, der sich bisher eher zurückgehalten hatte. Für Mimi ging alles viel zu schnell. Vor wenigen Minuten stand sie noch in der versifften Toilette, als plötzlich zwei Sanitäter reingestürmt kamen und Norikos Vitalfunktionen untersuchten. Es wurde mit Fachbegriffen um sich geworfen und Etsuko redete, in einem scheinbar unbeobachteten Moment, mit einem der Sanitäter. Mimi hatte nicht verstanden, was gesagt wurde, aber sie konnte davon ausgehen, das Etsuko mehr wusste, als sie zugeben wollte. Sie war nicht mit ins Krankenhaus gefahren, versprach aber, sobald sich der Tumult im Club gelegt hatte, nachzukommen. Mimi war gemeinsam mit den Jungs in einem Taxi zum Krankenhaus gefahren. In ihrer Verzweiflung hatte sie sogar eine SMS an ihre Mutter getippt, sich jedoch dagegen entschieden sie abzuschicken. Eine zusätzliche Konfrontation wollte sie wirklich vermeiden, besonders nachdem sie erfahren hatte, dass auch Norikos Mutter auf dem Weg hierher war. Unter diesen Umständen wollte sie sie ganz sicher nicht näher kennen lernen, doch das Schicksal hatte andere Pläne mit ihr. Sie warteten schon über eine halbe Stunde, doch niemand durfte, oder wollte ihnen Auskunft geben. Norikos Mutter war immer noch nicht hier, da es dauerte bis sie auf dem Handy erreicht wurde. Sie kam direkt von der Arbeit. Daher mussten sie noch etwas warten, bis sie eintreffen würde. Währenddessen starb Chiaki vor Anspannung tausend Tode, während Masaru und Yasuo verhältnismäßig ruhig blieben. Chiaki wippte mit dem Bein auf und ab, was Mimi wahnsinnig machte, doch sie wollte nichts sagen, da er sich ja Sorgen um ihre Schwester machte. Sie hingegen konnte sich nicht bewegen, war wie schockgefroren und versuchte die Zusammenhänge zu sehen, wenn es überhaupt welche gab. Plötzlich hörte sie jedoch, wie jemand schrill nach ihr rief. Sie schreckte auf und blickte den Gang hinunter. Eine braunhaarige Frau lief schnurstracks zu Information und fragte lautstark nach ihr. Mimi musste nicht zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass es sich um ihre Mutter handelte. Ihr stockte augenblicklich der Atem. Hektisch kramte sie ihr Handy hervor, um festzustellen, dass sie ausversehen die getippte SMS abgeschickt hatte. Sie sprang sofort auf und wollte sich gerade in Bewegung setzen, als ihre Mutter direkt in ihre Richtung blickte und erleichtert seufzte. Sie kam auf sie zugesteuert und hatte Tränen in den Augen. „Oh mein Gott Mimi, warum schreibst du mir so eine furchtbare SMS“, sagte sie und schlang die Arme um sie. „Ich dachte, dir wäre weiß Gott was passiert.“ „Bei mir ist alles in Ordnung“, murmelte sie kaum hörbar und legte die ebenfalls die Arme um sie. Langsam ließ sie Mimi wieder los, doch ihr Blick verriet ihr, dass etwas nicht stimmte. „Wer sind denn diese Leute? Ich dachte du warst heute bei Sora“, stellte sie fest und zog die Augenbrauen zusammen. Ertappt drehte Mimi den Kopf beiseite. Die Stunde der Wahrheit hatte geschlagen. Sie kam früher, als Mimi es erwartet hätte. „Mama, ich glaube ich muss…“, doch weiter kam sie nicht. Eine Frau in lässiger Kleidung stürmte auf die kleine Gruppe zu und Chiaki sprang sofort auf. „Wo ist sie? Wo ist meine Tochter?“, fragte die Frau, die ihre Haare unordentlich zusammen gesteckt hatte und Mimi und ihre Mutter erst gar nicht weiter beachtete. „Ayame?“ Irritiert blickend wandte sie den Kopf zu ihnen und erstarrte. Sie schluckte und krampfte ihre Finger um den Umhängegurt ihrer Tasche. „Satoe? Was machst du denn hier?“ _ „Das ist jetzt nicht dein Ernst, Mimi?!“ Wütend lief sie den Flur entlang und Mimi drückte ihren Rücken gegen die kühle Wand. Sie hatte ihr alles erzählt, während die anderen immer noch im Wartebereich darauf warteten, dass Ayame zurückkehrte. Sie war vor wenigen Minuten zu Norikos ins Zimmer verschwunden. Der Arzt wollte, so schnell es ihm möglich war, nachkommen. Ihre Mutter hatte sie jedoch von dem Rest getrennt und nahm sie ins Kreuzfeuer. „Was hätte ich denn machen sollen? Ich wollte sie eben kennen lernen“, verteidigte sie sich und ihre Mutter blieb direkt vor ihr stehen. Sie legte ihre Hände auf ihre Schultern und drückte sie sanft gegen die Wand. Ihre Gesichtszüge hatten sich etwas entspannt, obwohl sie immer noch sehr aufgebracht auf Mimi wirkte. „Warum hast du mir nichts gesagt? Warum musstest du mich anlügen?“ „I-Ich…“, stammelte sie und wich ihre Blicken aus, „ich habe gedacht, dass du es vielleicht nicht willst.“ Sie zögerte kurz, sah sie wieder an, konnte ihrem Blick aber nicht standhalten. „Ich wollte dir nicht wehtun“, flüsterte sie schuldig. „Aber Mimi, hier geht es nicht um mich“, antwortete sie und ließ ihre Tochter los. Sie ging ein paar Schritte und schlug die Hände über dem Mund zusammen. „Wie lange verheimlichst du mir das schon?“, wollte sie wissen. Wieder zögerte sie ein wenig, bis sie sich der Frage stellte. „So richtig erst seit Ende Mai“, gestand sie vor ihrer Mutter ein und schielte beschämt zur Seite. Sie wollte es ihr schon viel eher sagen, fand jedoch nie den richtigen Moment. Ihre Mutter fuhr sich über die Stirn und massierte sich die linke Schläfe. Sie schien nicht zu wissen, was sie mit dieser Information anfangen sollte, deswegen gab sie nur ein leises „Okay“ von sich und drehte Mimi den Rücken zu. Im gleichen Moment, tauchte plötzlich Ayame auf und steuerte direkt auf sie zu. Mimi hatte sie sofort bemerkt. Ihr Blick wirkte traurig, aber auch abgeklärt, so als hätte sie eine Ahnung gehabt, was sie da drinnen erwartete. Ein paar Meter vor ihnen, blieb sie stehen. „Sie würde gerne mit dir reden“, sagte sie nur und deutete auf die Tür. Mimi schaute zuerst zu ihr, dann aber zu ihrer Mutter, die sich ihr wieder zugewandt hatte. Sie nickte nur und fuhr sich durch die braunen Haare, die an den Seiten ein wenig abstanden. Unsicher setzte Mimi sich in Bewegung und folgte Ayame wortlos. „Ich werde im Auto auf dich warten“, hörte sie ihre Mutter rufen, bevor diese durch das Treppenhaus verschwand. Mimi ging an den Jungs vorbei, die sie sorgenvoll musterten. Besonders Chiaki schien mit den Nerven komplett am Ende zu sein. Er saß auf seinem Stuhl, leicht nach vorne gebeugt und fasste sich durch die dunklen Haare. Mimis Füße fühlten sich immer schwerer an, so als hätte ihr jemand Beton darüber gegossen. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals und sie wusste noch nicht mal wieso. Ayame begleitete sie nur bis zur Tür und signalisierte ihr, dass Noriko alleine mit ihr sprechen wollte. Schwerfällig drückte sie die Schlenke nach unten und trat in den Raum. Nur ein Bett stand darin, indem Noriko lag und sie zaghaft anlächelte. Sie sah etwas blass aus, mehr aber auch nicht. Mimi schloss die Tür hinter sich und trat vor ans Bett. Erst starrten sich beide für einen kurzen Moment schweigsam an, ehe Mimi das Wort ergriff. „Was ist hier los? Was machst du nur für Sachen?“ „Mein Timing war wirklich schlecht, oder?“ Ihre Stimme klang schwerfällig, so als hätte sie eine taube Zunge. Erst jetzt fiel Mimi auf, dass auch ihre Augen leicht gerötet waren. Hatte sie etwa geweint? Was war hier nur los? Warum machte sich das Gefühl in ihr breit, dass hier etwas nicht stimmte? „Was ist hier los? Ich versteh‘ überhaupt nichts mehr“, gestand sie sich ein und stützte sich am Gitter des Bettes ab. „Ich glaube, ich muss dir was sagen“, eröffnete sie ihr. Sie krallte ihre Finger in die Bettwäsche, löste dann jedoch ihre eine Hand, um sich die aufkommenden Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Mimi merkte, dass es ihr auf einmal unfassbar heiß wurde und sich eine unerklärliche Anspannung in ihrem Körper breit machte. „Was ist los?“, fragte sie wieder, diesmal jedoch klarer und dringlicher. „I-Ich habe dich schon seit Ewigkeiten gesucht und jetzt wo ich dich gefunden habe, geht es mir schlechter“, sie lächelte gequält und fuhr sich mit dem Arm über ihre Augenpartie. „Das nennt man wohl Ironie des Schicksals oder?“ Mimi schüttelte nur den Kopf und legte ihre Stirn in Falten. „Was meinst du? Ich versteh‘ es nicht.“ Noriko senkte den Kopf und knibbelte an ihren Finger. In Mimi machte sich eine Ahnung breit, die eine unfassbare Wut in ihr hochkommen ließ. „JETZT SAG GEFÄLLIGST WAS LOS IST!“, brüllte sie und erschrak über ihre eigene Lautstärke. Noriko blickte sie an. Sie legte ihre Lippen fest aufeinander, sodass ein schmaler Strich entstand. „Mein Krebs ist wieder da!“ „Ich habe es geahnt“, sagte Mimi und ließ das Gitter los. „Wann wolltest du mir davon erzählen? Wenn dir alle Haare ausfallen?“ „Ich wollte es dir sagen, aber ich wusste nicht wie.“ „Wie wäre es mit ‚Mimi, der Krebs ist zurück‘. Ich fass‘ es nicht“, entgegnete sie zornig. „Du hättest es mir sagen müssen!“ „Ich weiß, aber…“ „Nichts aber! Deine Freunde wissen sicher alle Bescheid und ich bin die Dumme, die vorhin vollkommen überrumpelt im Klo stand und nicht wusste was mit dir los ist!“ „Nein, so ist das…“ „Weißt du wie schrecklich ich mich gefühlt habe?“, fragte sie und funkelte sie böse an. „Du lagst da und jeder hat gefragt, was passiert ist! Ich war so überrascht, dass ich nicht wusste wo vorne und hinten ist.“ „Mimi, du verstehst das nicht“, warf sie bedrückt ein. „Ich verstehe es nicht? Dann erklär‘s mir doch!“, erwiderte sie erbost und fuchtelte wild mit den Armen umher. „Es ist nicht so einfach, ich…“ „Man, Noriko jetzt sag einfach…“ „Ich werde sterben!“ Ruckartig blieb Mimi stehen und sah sie entgeistert an. Ihr Mund war leicht geöffnet, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Völlig überfordert stand sie ihr gegenüber, als Noriko ihr erklärte, was mit ihr passiert war. Sie erzählte irgendwas von Leukämie, Metastasen in der Lunge und Leber, Bestrahlungen und das all das nicht half. Doch Mimi bekam nur die Hälfte von dem Gesagten mit. Sie schielte zur Seite, merkte wie sich eine einzelne Träne löste und sich das Gefühl, betrogen geworden zu sein, in ihr ausbreitete. „Wie kannst du mir nur so etwas antun?“ Sie hob den Kopf. Tränen schossen ihre Wangen hinunter. Ihre Tränenreserven waren anscheinend wieder gefüllt und entleerten sich augenblicklich. „Ich habe mir das doch nicht ausgesucht!“, wiedersprach sie. „Das einzige was ich wollte, war dich näher kennen zu lernen.“ Sie seufzte und weinte ebenfalls. Ihre Lippen zitterten und ihre Finger krallten sich erneut in die Bettdecke. „Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt!“ Mimi schüttelte nur ungläubig den Kopf, sodass ihr Zopf leicht mitschwang. „Wie kannst du mir sowas antun“, wiederholte sie und fixierte sie mit einem schmerzerfüllten Blick. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Wut sammelte sich in ihr und suchte ein Ventil, um sich Luft zu machen. Unter Tränen stand sie vor ihr und sagte das, was sie eigentlich nicht sagen wollte. „Du hast meine Familie kaputt gemacht! Wegen dir habe ich meinen Vater verloren! Du bist wirklich das Letzte!“ Ihre Worte hallten den dem kleinen Zimmer. Noriko blickte sie entsetzt an, als sie plötzlich einen quälenden Laut von sich gab und ihren Kopf auf ihre Handflächen legte. Mimi verzog ihr Gesicht schmerzlich und zitterte leicht, bevor sie sich schwerfällig in Bewegung setzte und aus dem Zimmer stürmte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)