Bros Before Hoes von Kathey (Grand Theft Auto V) ================================================================================ Ein ganz normaler Abend ----------------------- »I got you to look after me, and you got me to look after you, and that's why.« ― John Steinbeck     Er musste sich halb über die Brüstung lehnen, um die Musik zu übertönen. Was nicht so absonderlich schwierig gewesen wäre, wenn die Dexy’s Midnight Runners nicht so unglaublich laut „Come on, Eileen“ aus allen und überdies auch noch vollkommen falsch eingestellten Boxen des schäbigen Striplokals geschmettert hätten. Aber wenigstens war der rot ausgeleuchtete Laden bis auf ein paar Betrunkene, sexuell Frustrierte und die Stripperinnen selbst nahezu leer – wen wunderte es auch, immerhin befanden sie sich in North Yankton, dem größten Kaff knapp südlich der kanadischen Grenze zu Amerika. Hierher verirrte sich selten eine Menschenseele und wenn doch, dann fror das arme Schwein ein, bevor es auch nur in Reichweite eines warmen Gebäudes kommen konnte. Wenn es die Temperaturen hier schafften, einmal die Null Gradmarke zu erreichen, dann rissen sich die wenigen Bewohner des Örtchens schon die Klamotten vom Leib und feierten den Sommer, der gerade Einzug gehalten hatte. Ja, abgesehen von ein, zwei Bars und diesem heruntergekommenen Schuppen hier, wo sich das gesamte Mobiliar schon in Fetzen aufzulösen schien, hatte North Yankton absolut nichts zu bieten. Himmel, er würde nur zu gerne wissen, wie er ausgerechnet hier gelandet war, aber im Prinzip war dieser Ort so gut wie jeder andere, und vor allem gab es hier eins nicht: Unmengen an Polizisten. Aber um die musste er sich ohnehin keine Gedanken machen, während er die Stripperin beobachtete, die sich gerade lasziv an einer der Stangen räkelte. Die restlichen Männer, die sich hier aufhielten, hatten es sich an den Tischen bequem gemacht und lallten und freuten sich ihres erbärmlichen Lebens, sie hatten wohl keine Zeit, sich diese Schönheit hier anzusehen, deren Bewegungen so geschmeidig waren wie die einer Raubkatze. „Wow, Baby, so gut, wie du aussiehst, sollte man dich glatt samt einem Biscuit auf einem silbernen Tablett servieren!“ Die Tänzerin machte eine weitere Umdrehung an der Stange, ehe sie mit langsamen Schritten auf ihn zu kam und sich mit einem Lächeln und einer gehobenen Augenbraue näher zu ihm beugte. Sie war ihm in diesem Moment so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast schon berührten, und er konnte nur allzu gut das billige Parfüm riechen, von dem sie immer viel zu viel auflegte. „Die geklauten Sprüche werden aber auch immer schlechter, Townley. Immerhin kennt doch jeder Coming to America.“ Ein schiefes Grinsen kam Michael aus, ehe er sich mit meisterhaft gespielter Entrüstung an die Brust griff. Ihre Worte hatten ihn wahrlich tief getroffen. Natürlich sollte seiner Meinung nach jeder dieses Juwel von einem Film kennen, aber dass dieses Zitat schlecht sein sollte, das verletze ihn doch schon etwas. „Wenn du mir noch eine Chance gibst, dann werde ich es beim nächsten Mal definitiv besser machen…“ Mit einem galanten Lächeln griff er nach der ledernen Brieftasche in seiner Hose und studierte erst einmal die darin vorhandenen Scheine, ehe er mit geschickten Fingern einen Fünfziger aus dem Geldfach zog. Er sah, wie sie das Portmonee interessiert betrachtete, aber eher des Ausweises wegen, der sich im vorderen, transparenten Fach befand und einen grobschlächtigen, blonden Kerl zeigte, der grimmig in die Kamera gestarrt haben musste, als das Foto aufgenommen worden war. „Es soll also ein Tanz sein, Mister Jack Gilligan?“ Der Geldschein wanderte mit einer einzigen, flüssigen Bewegung aus seiner Hand in ihre, ehe sich die Stripperin mit einem überaus grazilen Schwung ihres braunen Haares umwandte und mit mehr als aussagekräftigen Hüftbewegungen in den Bereich hinter der Bühne verschwand, nicht, ohne ihm vorher zu bedeuten, dass er ihr mehr als gerne folgen durfte. „Oh, Mandy, glaub mir, für dich bin ich meinetwegen auch der Typ.“ Im Geheimen dankte er dem ihm recht unbekannten Jack Gilligan dafür, dass er sich seine Brieftasche so einfach hatte abluchsen lassen, während er gestern betrunken in der Bar gesessen hatte. Und noch mehr dankte er ihm dafür, dass er eine große Menge an Bargeld mit sich herumgeschleppt hatte, ansonsten hätte er, blank wie er war, heute nicht einmal hierher zu kommen brauchen. So aber konnte er sich zumindest den Tag mit einem wunderschönen weiblichen Wesen auf seinem Schoß ausklingen lassen. Michael richtete sein günstig erworbenes, rot—schwarz kariertes Hemd, und strich sich die dunklen Haare zurück, ehe er sich auf den Weg nach hinten machte, wo sich die mehr oder minder „privaten“ Bereiche befanden, in die sich die Frauen mitsamt der zahlenden Bevölkerung zurückzogen, wenn nur genug Bares geflossen war.   Mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen betrat Michael den sonst abgesperrten Bereich, grüßte im Vorbeigehen Steve, den Mann von der Security, der dafür Sorge tragen sollte, dass auch wirklich alles bei einem einfachen Lapdance blieb, und ließ sich dann von Amanda am Kragen in eins der Séparées ziehen und in den vollkommen lädiert wirkenden blauen Sessel bugsieren ließ, während die musikalische Untermalung des Clubs passenderweise auf etwas erotisch angehauchtes wechselte. „Das ist der beste Abend der Woche“, frohlockte er mit einem erwartungsvollen Grinsen, während Amanda ihm mit einem knappen Kommentar zu verstehen gab, dass es nicht sehr schmeichelhaft war, dergleichen an einem Montag zu hören. Es brauchte nur ein paar schmeichelnde Kommentare und ein paar freundliche, nicht den Regeln des Clubs entsprechende Berührungen, um sie wieder etwas milder zu stimmen. Und Mann! Diese Frau wusste, wie sie einen um den Finger wickeln konnte. Ja, sie mochte nicht den größten Vorbau in der Geschichte der Stripperinnen haben, aber das, was da war, das wusste sie definitiv einzusetzen. Amandas Hand wanderte gerade seinen Oberschenkel entlang und strich über den Stoff der dunkelblauen Jeans, als sie plötzlich erschrocken die Hand zurückzog. Michael stöhnte entnervt auf, als er das leise Klingeln hörte, das fast vom Lärm hier im Club verschluckt wurde. Das durfte doch jetzt wirklich nicht wahr sein! „Ich würde gerne fragen, ob du dich so sehr freust, mich auf deinem Schoß sitzen zu haben“, begann die Stripperin mit einem hörbar entnervten Unterton in der Stimme. „Aber ich weiß es leider besser.“ Seufzend zog Michael das Handy aus seiner Hosentasche, das gerade zu vibrieren begonnen hatte und anscheinend der Meinung war, ihm mit diesem unglaublich nervigen Klingelton die Suppe verhageln zu müssen. Und dann war da dieser Name auf dem einfarbigen, gerade einmal zweizeiligen Display. Von allen Leuten, die ihn gerade in diesem Augenblick anrufen konnten… „Musst du da rangehen?“ Amanda stand vor ihm, die Arme vor der Brust verschränkt und starrte mit unübersehbarer Missbilligung auf ihn herab. Unter anderen Umständen hätte er das verfluchte Ding jetzt in der nächsten Toilette in Richtung des Ozeans gespült, aber leider war der Anrufer jemand, mit dem er ausgemacht hatte, dass jeder von ihnen 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche und… jedenfalls musste er dauerhaft erreichbar sein. Nur für den Fall der Fälle. „Ich würg ihn schnell ab, keine Sorge.“ Mit einer beschwichtigenden Geste in Amandas Richtung drückte er den Knopf mit dem grünen Ich werde das hier so was von bereuen-Hörer, um den Anruf entgegen zu nehmen. „Was ist, T? Das ist kein gu-“ „Townley!“ Die hysterische Stimme am anderen Ende schrie so laut ins Telefon, dass er es eine gute Armlänge von sich weg halten und dennoch alles verstehen konnte, was ihm entgegen gebrüllt wurde. Und das mochte schon was heißen bei der Lautstärke in dem Laden hier. „Townley, beweg sofort deinen Arsch hierher!“ Michael, der das Handy in seiner Hand mit einer Mischung aus Ekel und Faszination betrachtete, hielt es wieder etwas näher an sein Ohr und begann zu sprechen, während er sich die Nasenwurzel mit der freien Hand zu reiben begann. Nicht. Gut. „Kelly? Ich hab‘ gerade wirklich keine Zeit, also… ich…“ Im Hintergrund konnte er Geschrei und lautes Poltern vernehmen und er konnte sich nur lebhaft vorstellen, was der eigentliche Besitzer des anderen Telefons gerade im Begriff war zu tun – wenn er denn nicht sogar schon mittendrin war im Geschehen. Denn Kelly war die Besitzerin einer Bar ganz in der Nähe, die auf den klangvollen Namen Boobs and Booze hörte. Und wenn ebenjene Kelly, die sonst eigentlich sehr abgebrühte und stoische Barkeeperin schon so weit ging, ihn anzurufen, dann stand ihr die Scheiße wirklich schon bis zu den Knien. „Ist mir scheißegal, ob du gerade keine Zeit hast“, brüllte Kelly ihm ungehalten ins Ohr und mit jedem Wort schien ihre Stimme einen Deut schriller zu werden, so dass ihn Amanda schon fragend ansah. Wahrscheinlich würde die Stimme gleich ungeahnte Höhen erreichen, in der sie nur noch Hunde wahrnehmen konnten, während sie jemandem in der Bar entgegen schrie, dass derjenige niemandem den Billardqueue in der Arsch schieben würde.  „Hör zu, du bist okay und ich mag dich, und deswegen rufe ich dich zuerst an und hole nicht sofort die verdammten Bullen. Aber hol diesen Penner hier weg!“ Wohl ebendiesen Penner, der im Hintergrund gerade etwas davon bellte, dass es nur ein kleiner, beschissener Akzent war und dass er deswegen noch lange nicht nach Kanada gehören würde. „Kelly, der kriegt sich schon wieder ein, ich…“ „Hol! Ihn! Hier! Weg! Du hast zehn Minuten und – Trevor, hör auf, ihn zu beißen, ich schwöre, ich habe eine Schrotflinte hier unter der Theke, ich jage dir eine Ladung…“ Ein lautes Poltern erklang, so, als hätte Kelly das Handy auf den Tresen geschmissen und sich dann der wundervollen Party angeschlossen, die da gerade in ihrer Bar tobte, denn ihre Stimme wurde immer leiser, bis er schließlich nur noch das nach Neandertalern klingende Gegröle wahrnehmen konnte. Mit offenem Mund starrte er auf das Display und dann nach oben zu Amanda, der vieles klarer zu sein schien, als es bei ihm selbst gerade der Fall war. Noch immer suchte er nach den richtigen Worte, als die Stripperin schon den Vorhang beiseite schob und ihn mit einem Blick ansah, als sollte ihn am besten der Blitz beim nächsten Stuhlgang treffen. „Du hast zu tun, oder?“ Michael stemmte sich aus dem Sessel nach oben und blickte Amanda entschuldigend an, während er einen Schritt näher zu ihr trat. Es war leider nicht das erste Mal, dass etwas Derartiges passierte, aber… nun ja, sie kannte es eben wohl schon. Enttäuscht war sie wohl dennoch, denn scheinbar trafen sie sich eindeutig zu oft, als es normal wäre. Himmel, wahrscheinlich munkelten die ersten schon, dass sie schon weit mehr als eine feste Stripper und zu Bestrippender-Beziehung hätten. „Wir sehen uns bald“, sagte er nur leise, ehe er sich auf den Weg nach draußen machte. Erst auf halbem Wege bemerkte er, dass noch immer Kampfgeräusche aus seinem Handy ertönten, weil er sich gar nicht die Mühe gemacht hatte, aufzulegen. Mit einem leisen Grummeln auf den Lippen drückte er den verdammten Knopf so fest, dass er glaubte, das Gehäuse zerspringen zu hören.   ~*~   Wenigstens die Fenster des Boobs and Booze waren noch heil, von draußen machte die Bar absolut nicht den Eindruck, als würde drinnen gerade ein Kampf auf Leben und Tod stattfinden. Michael ließ die Stirn gegen das Lenkrad seines Wagens sinken und ließ Freddy Mercury noch ein paar Worte singen, ehe er sich dazu aufraffen konnte, aus dem Auto zu steigen. Mit mehr Wucht als nötig schlug er die Tür zu, und machte sich auf den Weg hinein. Und je näher er kam, umso lauter wurde es. Scheinbar waren die Kerle noch immer nicht fertig mit ihrer Prügelei. Und so, wie er seinen besten Freund kannte, hatte der noch eine Ausdauer für ein paar weitere Runden. Mit einem leisen Seufzen schob Michael die gesicherte Pistole in den Bund seiner Hose, immerhin konnte man nie mit Sicherheit sagen, ob nicht doch einer von den Kerlen, die sich dort drin befanden, komplett die Beherrschung verlieren würde. Abgesehen von Trevor natürlich. Trevor hatte nicht mal ein gesundes Mindestmaß an Beherrschung, also konnte er auch nichts davon verlieren. Um überhaupt in die Bar zu kommen, musste er über einen Typen steigen, der am Boden im Embryonalstellung zusammen gekauert hatte und sich das Gesicht hielt. Bei der Masse an Blut, die über seine Hände lief, war es nicht schwer zu erraten, dass er einen ziemlich präzisen, wie auch harten Schlag auf die Nase bekommen haben musste. Nun, damit war er ja noch durchaus glimpflich davon gekommen. „Dieser Townley kommt doch eh nicht hierher!“ „Wenn er in ein paar Minuten nicht da ist, prügeln wir ihm eh die Scheiße aus dem Leib!“ „Wie wäre es, wenn ihr euch alle erst mal beruhigt?“ Die Stimmen, von denen er die letzte als Kellys erkennen konnte, redeten weiter wirr durcheinander, wohl ohne zu beachten, wie er um die Ecke und in den Laden trat. Auf dem Boden lagen ein paar zersplitterte Flaschen und Michael trauerte für einen Moment dem Whiskey hinterher, der sich in einer großen Pfütze auf dem Boden ausgebreitet hatte, ehe er sich einen Überblick über die Gesamtsituation verschaffte. Kelly stand hinter ihrer Theke, die Schrotflinte im Anschlag und die Löcher knapp über der Dartscheibe gaben nur zu gut Auskunft darüber, dass sie sich nicht zu schade gewesen war, einen Warnschuss abzugeben, der scheinbar nicht die erwünschte Wirkung gezeigt hatte. Um die letzten drei Männer herum lag ein gutes halbes Dutzend auf dem Boden verteilt, und die meisten davon stöhnten schmerzerfüllt und hielten sich diverse Körperteile. Den einen weiter hinten mochte er sich gar nicht genauer ansehen, denn anscheinend hatte jemand Kellys Warnung bezüglich des Billardstocks nicht wirklich verstanden. „In Ordnung, Leute, Zeit, nach Hause zu gehen“, begrüßte Michael die Personen, die noch bei Bewusstsein waren und im Begriff, sich wieder an die Kehle zu springen. Einer der Männer, ein ziemlich mies gelaunter, blonder Typ, hielt Trevor bisher noch recht erfolgreich in einer Art Würgegriff, der andere, ein untersetzter Mexikaner mit einer tiefen Narbe auf der Stirn, hatte sich mit dem abgebrochenen Stuhlbein eines Barhockers bewaffnet und schlug dieses nun in unregelmäßigen Abständen in seine offene Handfläche. Bei der Art und Weise, wie der sich die Lippen leckte, war nicht schwer zu erkennen, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn das Ding mit Trevors Gesicht hätte Bekanntschaft machen dürfen. Aber seltsamerweise war im Moment alles ungewöhnlich und gefährlich ruhig, nur Trevor knurrte wie ein getroffener Hund, aber das war bei den Verletzungen, die er davongetragen hatte, auch nicht wirklich weiter verwunderlich. Kelly seufzte erleichtert auf, als er zu ihr an die Theke trat. „Na, ein Glück, dass du hier bist. Ich habe die Jungs gerade noch davon abhalten können, ihm seinen sturen Holzschädel einzuschlagen“, begann die Frau und lockerte den Griff um die Waffe ein wenig, während sie die restlichen Schläger mit einem missbilligendem Blick bedachte. „Aber auch nur, weil ich versprochen habe, dass du uns ausbezahlen wirst.“ „Wie viel schuldet er euch?“, fragte Michael ohne Umschweife. Er wusste, dass sie hier nicht rauskommen würden, ehe nicht die Schulden für all das hier beglichen sein würden. Und wohl auch nicht, ehe der Grund für diesen Streit aus der Welt geschafft worden war, wenn es denn überhaupt einen gegeben hatte. „Vierzig für die Getränke“, zählte die Barkeeperin dann sofort auf und Michael wurde das dumme Gefühl nicht los, dass sie innerhalb der letzten zehn Minuten schon eine Rechnung für ihn geschrieben hatte, zumindest in Gedanken. „Fünfzig für den Barhocker…“ „Fünzig Dollar? Kelly, so, wie das Ding zersplittert ist, muss es aus Pappe sein, das ist niemals…“ Kellys wütender Blick ließ ihn verstummen, augenscheinlich war er nicht in der Situation zu verhandeln, also nickte er nur ergeben und hoffte, dass ihm sein gestohlener Geldbeutel noch so viel Geld hergeben würde, ansonsten war er nämlich geradezu blank und er war sich sicher, dass Trevor wohl nicht einmal genug Geld bei sich haben würde, um damit die Getränke zu bezahlen. „Und den Queue kann ich auch nie wieder hernehmen“, fuhr Kelly weiter fort, während sich Michael ungläubig zu Trevor drehte und ihn fassungslos ansah, während sein Mund ein stummes „Wirklich?“ formte. Sein Freund zuckte nur mit den Schultern, jedenfalls so weit, wie es ihm in seiner Lage überhaupt möglich war. Michael hob mit widerwilliger Anerkennung die Augenbrauen, während ihm Kelly weitere zwanzig Dollar auf die Rechnung setzte, ehe sie auf die beiden übrigen Männer deutete. „Und die beiden haben glaube ich schon, was sie wollten, die haben deinen Freund gut bearbeitet. Aber ich denke, es kann nicht schaden, sie mit etwas Geld gnädig zu stimmen.“ „Ja, er hat mich gebissen“, kam es zustimmend von dem Kerl, der noch immer das Stuhlbein in der Hand hatte und deutete auf ein paar nur allzu deutliche Bissspuren an seinem Hals. Sah beinahe danach aus, als hätte sich ein wildes Tier darin verbissen gehabt, und wenn Michael ehrlich zu sich selbst war, dann traf diese Beschreibung auf Trevor nun einmal auch am besten zu. „Das macht er bei jedem, verdammt!“ Michael konnte nur noch ungläubig die Hände in die Luft werfen, aber gut, wenn sie meinte, dass dann damit alles vorbei wäre, dann sollte ihm das nur recht und billig sein. „Fein, warte…“ Er fischte in seiner Hosentasche nach dem Geldbeutel und klappte ihn auf. Erstaunlicherweise hatte sein unbekannter Freund trotz der nun fehlenden fünfzig Dollar, die er vorhin Amanda zugesteckt hatte, noch immer einen guten Batzen Bares bei sich gehabt. „Ich habe hier gut 200 Dollar. Ist damit allen geholfen?“ Er blickte sich um, und nur der Kerl, der Trevor noch immer halb zu erwürgen schien, kam mit ihm im Arm einen Schritt näher. „Ich weiß nicht… ich denke, unsere Schmerzen verdienen etwas mehr Wiedergutmachung, oder?“ Der Schrank drückte seinen Unterarm etwas mehr gegen Trevors Kehlkopf, der Gott sei Dank noch immer davon absah, sich zu wehren und die Situation so wenigstens nicht verschlimmerte. Aber Michael konnte nur allzu gut in seinen Augen lesen und erkennen, dass sein bester Freund nur auf einen geeigneten Moment wartete, um seinen Peiniger in der Luft zerreißen zu können. Was allerdings dann passierte, hatte wohl keiner von ihnen ahnen können. „Hey, warte mal!“ Noch während er die Scheine abzählte und Kelly übergeben wollte, kam der blonde Kerl näher und betrachtete das Portmonee, das sich in Michaels Händen befand. Im selben Moment sah Townley auf und sah den Mann vor sich das erste Mal an diesem Abend wirklich an. Und die Erkenntnis, die er daraufhin hatte, traf ihn mindestens genauso hart wie der Faustschlag, der einige Sekunden später folgte. Scheiße. „Du…“ Große. Scheiße. „…verdammter Hurensohn!“ Jetzt hatte er Jack Gilligan wirklich sauer gemacht.   ~*~   „Was zur Hölle macht ihr da?“ Kellys Stimme hallte durch den Raum, aber Beachtung schenkte ihr keiner der vier Männer. Michael stieß mit dem Rücken mit voller Wucht gegen einen der Stühle und keuchte auf, als ihm durch den Aufprall für einen Moment die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Seine rechte Gesichtshälfte, die Bekanntschaft mit Jacks Faust gemacht hatte, schmerzte furchtbar und für einen Moment war er sich sicher, dass ihm der Schlag den Kiefer gebrochen hatte. „Das war dumm von dir“, bemerkte Michael, nachdem er den Geschmack von Blut in seinem Mund los geworden war. Jack stand vor ihm, das Gesicht so rot, als würde es der aufgehenden Sonne Konkurrenz machen wollen und die Faust immer noch geballt. Was dem grobschlächtigen und sichtbar betrunkenen Mann sicherlich entgangen war, war der Umstand, dass er Trevor losgelassen hatte, um in der Lage zu sein, Michael eine zu verpassen. Und gerade, als er dabei war, seinen Fehler zu realisieren, duckte sich Trevor unter dem Griff des Mannes hinweg und stieß ihm den Ellenbogen direkt in die Magengrube. Jack keuchte auf, während sich Trevor mit Schwung umwandte und ihm einen Schlag direkt ins Gesicht verpasste, der den doch recht großen Kerl ein paar Schritte nach hinten taumeln ließ. „Du kennst seine Mutter doch gar nicht!“, hörte Michael Trevor fluchen und in diesem Moment entkam ihm ungewollt ein leises Lachen. Dinge wie Hurensohn und dergleichen sagte man besser nicht, wenn sein bester Freund anwesend war, irgendwie reagierte er darauf immer etwas gereizt. In der Zwischenzeit hatte sich sein mexikanischer Kumpane, der wohl so gar nichts zu begriffen haben schien, wieder einigermaßen gefangen und kam mit erhobenem Stuhlbein auf Trevor zu gerannt. Der war noch immer damit beschäftigt, Jack zu Boden zu ringen und sich mit ihm einen Schlagabtausch zu liefern und bemerkte gar nicht, dass er gerade wieder in Gefahr schwebte. Und in dieser kurzen Zeit würde es Michael niemals bis zu den dreien schaffen, dafür war ein paar Schritte zu weit entfernt. Blieb also nur noch eins. In einer einzigen fließenden Bewegung zog Michael die Pistole aus seiner Hose und entsicherte sie, während er Maß nahm. Den Kerl brauchte er nicht zu verletzen, das würde Trevor schon machen, wenn er nur erst mal die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte. Hinter der Theke hörte er Kelly protestierend aufschreien. Dann schoss er. Die Kugel fräste sich durch das Holzbein, lies es in tausend kleine Holzsplitter zerbersten, von denen einige in das Gesicht des Mexikaners flogen, ehe sich das Geschoss mit einem lauten Geräusch durch die Dartscheibe und dann in die Wand dahinter bohrte. Nicht das Bullseye, aber für ihn waren das dennoch mindestens 100 Punkte gewesen! Zufrieden ließ Michael die Waffe sinken und sah zu, wie der Kerl vollkommen perplex auf das restliche, nun vollkommen unbrauchbar gewordene Stück Holz in seiner Hand blickte, während Trevor, der eben noch Jacks Gesicht mit Fäusten bearbeitet hatte, nach oben blickte und den Mexikaner vor sich stehen sah. Es brauchte keine zwei Sekunden, da erklang schon ein knirschendes Geräusch, als Trevors Faust auf die breite Nase des anderen Mannes traf. Mit einem Schmerzensschrei ging er zu Boden, und ein paar gebrabbelte mexikanische Flüche entkamen ihm, von denen Michael keinen einzigen verstehen konnte. Seinem besten Freund war das anscheinend egal, er verpasste dem anderen Mann einen Tritt in die Magengrube und war jetzt anscheinend wieder vollkommen in seinem Element, so sehr, wie er bei jedem Tritt fluchte und meckerte. Die meisten nicht jugendfreien Beleidigungen ignorierte Michael geflissentlich, als er seine Waffe wieder zurück in seine Hose schob und zu Trevor hinüber ging, um ihn an der Schulter von dem wimmernden Häufchen Elend weg zu ziehen, dass sich dort vor ihm am Boden befand. Was nicht einmal wirklich so einfach war, so sehr, wie sich der Kerl da gerade hinein steigerte. „Hey, T…“ „Verfluchter Wichser, elender...“ „Trevor.“ „Ein ganz verschissen schwacher Akzent ist das!“ „Trevor!“ „Was?“, schnappte Trevor und blickte Michael wütend an, wahrscheinlich deswegen, weil er hier seiner eigenen Meinung nach noch nicht fertig war. Aber wenn es nach Michael ging, dann würden alle hier Anwesenden für die nächsten Tage genug haben, einen dickeren Kopf hatten sie wahrscheinlich noch nie gehabt. „Es reicht jetzt.“ Immerhin war Trevor selbst nicht mehr gänzlich fit, er sah genau genommen furchtbar scheiße aus, und das mochte in seinem Fall schon was heißen, weil er sonst auch nicht gerade dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Aber mit den teilweise noch blutenden Schrammen und Schnitten im Gesicht und dem fast zugeschwollenen, blauen Auge und dem dunkelbraunen Haar, das trotz seiner Fettigkeit noch mehr zu allein Seiten abstand als sonst… Nun, er sah aus, als könnte er eine Mütze voll Schlaf gebrauchen. „Er soll doch am Ende sicher nicht so scheiße aussehen wie du, oder?“ Immerhin schienen seine Worte die erwünschte Wirkung zu haben, Trevor schüttelte Michaels Hand zwar ab, hörte aber auch damit auf, den Mann auf dem Boden weiter zu bearbeiten. „Entschuldige mal,  Mikey, mein markantes Äußeres ist makellos“, entgegnete ihm sein Freund wütend, während er sich mit seinem schwarzen „Love Fist“-Shirt das Blut aus dem Gesicht wischte. Michael grinste zufrieden und zuckte nur mit den Schultern, zumindest sein Selbstbewusstsein schien keinen einzigen Kratzer abbekommen zu haben. „Ja, Trev. Alle Frauen liegen dir zu Füßen und alle Männer wollen wie du sein. Vielleicht auch andersrum.“ Er hörte Trevor nur leise schnauben, der über ein paar Männer am Boden kletterte (und im Gegensatz zu Michael selbst auch auf sie trat, was den armen Schweinen nur ein paar weitere Schmerzensschreie und weiteres Gestöhne entlockte), während der das restliche Geld, das er bei sich hatte, zusammen suchte und Kelly gab, die mit kreidebleichem Gesicht hinter der Theke stand, wohl nicht wissend, ob sie weiter schreien oder ihnen beiden doch noch eine Kugel verpassen sollte. „285 Dollar“, sagte Michael grinsend und klatschte ihr die Scheine auf den Tresen. „Ich hoffe, du kriegst die Bude wieder auf Vordermann.“ „Ich will euch hier nie wieder sehen“, hörte er die Besitzerin nur bedrohlich leise sagen, ehe ein metallisches Klicken erklang, das nur bedeuten konnte, dass sie ihre Waffe nachlud. Nun… es war definitiv Zeit zu gehen. Und sie sollten wohl innerhalb der nächsten paar Wochen wirklich nicht wieder hierher kommen. „Schönen Abend noch, Kelly!“   ~*~   „Was sollen die ganzen paranoiden Blicke in den Rückspiegel, Mikey?“ Trevors Füße ruhten auf dem Armaturenbrett des Autos, was Michael lediglich mit einem missbilligenden Blick quittierte, ehe er wieder auf die verschneite Straße blickte. Bis zu dem billigen Motel, in dem sie gerade hausen mussten, war es wirklich nicht mehr weit und er hatte lediglich Sorge, dass diese ganze Jack Galligan-Scheiße noch nicht zu Ende war. Aber da ihnen auch nach gut zehn Minuten kein Auto durch die verschneiten Straßen von North Yankton folgte, tat Michael denn Fall als erledigt ab. „Und?“, fragte Trevor dann beiläufig. „Schönen Abend mit dieser… wieheißtsienochgleich gehabt?“ Der Unterton in der Stimme seines besten Freundes gab Michael bereits zu verstehen, dass Trev eigentlich gar keine Antwort darauf wollte. Aber die dumme Frage allein löste schon das Verlangen in ihm aus, so schnell in die Eisen zu gehen, nur, damit er Trevor aus der Frontscheibe fliegen sehen konnte. „Natürlich, T“, spie er dann nach einen Moment aus. „Aber richtig toll wurde der Abend erst, nachdem du dich entschieden hattest, eine Bar zu zerlegen und ich Amanda deswegen sitzen lassen musste! Ab da war der Abend wirklich verschissen fantastisch!“ „Ah, Amanda, das war der Name!“ Trevors Ignoranz machte ihn manchmal schier wahnsinnig! Der Kerl dachte nie, aber auch wirklich nie über die Konsequenzen seiner Handlungen nach! Und wenn er dann schon bis zum Arsch in der Scheiße steckte, dann konnte Michael den Helden spielen und ihm aus besagter Scheiße auch wieder raus helfen. Das war heute so, es war gestern so gewesen, es war jeden gottverdammten Tag so, seit er diesen Chaoten getroffen hatte! Und das Schlimmste war, dass er Trevor nicht einmal wirklich böse deswegen sein konnte, weil er nun mal einfach so war, es war einfach das, was ihn ausmachte. Und im Stich lassen konnte er ihn auch nicht, dafür war er einfach nicht der Typ. „Oi, Kumpel, ‘s war der Name“, äffte Michael den Mann neben sich in einem schlecht nachgemachten kanadischen Akzent nach, wohlwissend, dass Trevor wohl deswegen gleich durch die Decke gehen würde. Und tatsächlich sprach das Gesicht seines Kumpels gerade Bände. Was für ein Anblick! „Ich schwöre, Townley, ich reiß dir den aufgeblasenen Kopf ab und steck ihn dir in deinen fetten Arsch!“ „Ach? Macht man das in Kanada so?“ Trevor holte tief Luft, und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger bedrohlich in Michaels Richtung, ehe er hörbar ausatmete. „Du willst mich doch nur wütend machen, aber den Gefallen tu ich dir nicht! Ich kann nichts dafür, dass du so sexuell frustriert bis!“ Mit einem Mal war die Anspannung, die bis eben noch den gesamten Wagen erfüllt hatte, wie weggepustet und Trevor ließ sich wieder zurück in seinen Sitz sinken. Es war immer wieder beeindruckend, dass sich Michael selbst so viel leisten konnte, jedem anderen hätte Trev wirklich den Kopf abgerissen und nicht nur damit gedroht. Aber das war wohl einer der wenigen Vorteile an einer Freundschaft mit Trevor Philips: Der Kerl war wirklich treu bis in den Tod und wahrscheinlich auch bis darüber hinaus. Wenn er daran dachte, dass er anderen Leuten wirklich ohne zu zögern den Hals umdrehte, wenn sie nur einen kleinen Kommentar über seinen Akzent fallen ließen, dann war er wirklich froh, dass Trevor auf seiner Seite war. Oder er auf Trevors. „Na, wenn du das sagst…“ Michael war auch nicht sonderlich scharf darauf, ein Gespräch in diese Richtung weiter zu führen, und er hatte auch keine große Lust, sich weiter mit Trevor zu streiten, ob nun im Ernst oder im Spaß. „Ist doch ohnehin dämlich, dass du sie bezahlst, damit sie dir einen bläst“, fuhr Trevor dann im Plauderton fort, als wäre nie irgendetwas gewesen. Mit einem schiefen Grinsen, das den frischen Schnitt an seiner Oberlippe fast wieder aufreißen ließ, sah er zu Michael hinüber. „Ich mach so was umsonst.“ „Verpiss dich, T“, murrte Michael leise, für solche Späße war er gerade wirklich nicht in der Stimmung, er wollte nur noch zurück ins Hotel und ins Bett. Aber so, wie er Trevor kannte, würde er jetzt nur weiter sticheln, einfach so, weil er es eben konnte. „Ja, ja, jaaaaa, komm, Mikey, da ist ja nichts dabei, so ein Blowjob unter Freunden, das ist…“ Trevor legte die Stirn in Falten, als würde er angestrengt über eine passendere Bezeichnung nachdenken. „Ein Brojob!“ Michael stöhnte lediglich entnervt auf und schob Trevor von sich, der im Begriff war, etwas näher zu kommen. „Ich sagte: Verpiss. Dich. T.“ Es war verdammt schwierig, auf die Straße zu achten und sich dabei den anderen Mann vom Leib zu halten. Michael fluchte, Trevor grinste nur schief und gab ein paar weitere gute Gründe zum besten, warum man sich das Geld sparen konnte, das man bei Stripperinnen und Nutten ausgab und es war im Grunde pures Glück, dass Trevor sich gerade hinunter gebeugt hatte. Denn im nächsten Moment zersprang die Heckscheibe und die Kugel, die sich durch die Kopfstütze des Beifahrersitzes bohrte, landete nur in der Frontscheibe und nicht in Trevors Hinterkopf. Die beiden Männer sahen sich an, ehe Michael einen Blick in den Rückspiegel warf. Ein Auto ohne Beleuchtung folgte ihnen nach und wer am Steuer saß, das konnten sie sich beide nur allzu gut vorstellen. „Langsam wird Jack etwas lästig…“   ~*~   „Hast du nicht eine größere Wumme, Zuckerstück? Irgendwas, womit ich im Dunkeln auch was treffen kann?“ Trevor hing halb aus dem Beifahrerfenster, Michaels Pistole in der Hand. Drei Kugeln hatte er schon verschossen, und Mikey war sich sicher, dass sich der Psychopath gerade ein wenig wie auf dem Schießstand mit den beweglichen Zielen vorkam, da Michael immer wieder genötigt war, Schlangenlinien zu fahren, um nicht mit einer Kugel im Hinterkopf zu enden. Und zwei Mal hatte Jack sie schon von hinten gerammt, was weder förderlich für den Fahrstil war, noch für den Zustand des ohnehin schon in die Jahre gekommenen Wagens. „Eine Bazooooooooka wäre toll. Oder ‘ne Granate, hast du ‘ne Granate?“ „Ich habe keine verdammte Granate, Trevor, also mach was aus dem, das du hast!“ Michael schwor sich, den Kerl in nächster Zeit mal auf einen Schießstand zu schleppen, es konnte doch verdammt noch mal nicht sein, dass Trevor diesen verdammten Saukerl nicht traf! Am Hotel waren sie schon lange vorbei und alles, was sie jetzt wollten, war, den Kerl loszuwerden, der ihnen an der Stoßstange klebte! „Alles, was ich heute Abend wollte, war ein verdammter Lapdance!“ Und jetzt raste er hier durch den Schnee an der amerikanisch-kanadischen Grenze und musste hoffen, dass er morgen nicht tot und vereist irgendwo am Straßenrand aufgefunden wurde! Er hätte sich wenigstens einen einzigen Abend im Jahr gewünscht, an dem alles mal normal verlief. Aber normal und Trevor Philips passten einfach nicht zusammen, mittlerweile hätte er das eigentlich wissen müssen. „Ach komm, Cupcake, Ämändaaa wartet sicher auf dich.“ Der nächste Schuss traf das Dach von Jacks Auto und Michael überlegte krampfhaft, welche andere Möglichkeit es gab, aus dieser Scheiße rauszukommen, immerhin fasste das Magazin nur noch eine verschissene Kugel. „Trevor, halt dich an irgendwas fest.“ Kaum, dass er die Worte ausgesprochen hatte, ging Michael mit voller Wucht in die Eisen, wobei er darauf Acht geben musste, dass er das Lenkrad bei dem doch recht glatten Untergrund, auf dem sie fuhren, nicht noch verriss. Aber der Wagen kam mit einem protestierenden Quietschen der Bremsen zum Stehen und er konnte noch sehen, wie sehr sich Trevor festkrallen musste, um nicht gänzlich aus dem Auto zu fliegen – erst recht, als ihnen Jacks Auto ungebremst in den Kofferraum krachte. Es gab es knirschendes Geräusch, als Karosserie auf Karosserie traf und er konnte seinen besten Freund herzhaft lachen hören. Trevor war ihm eindeutig zu gut gelaunt dafür, dass sie gerade einen Unfall mitten auf einer unbefahrenen Landstraße gebaut hatten. Michael wuchtete sich aus dem Auto und dankte dem Airbag zeitgleich dafür, dass er seine Arbeit eben nicht getan hatte, und auch T folgte ihm hinaus, die Pistole noch immer in der Hand. Nun, wenn er Jack jetzt noch immer nicht treffen würde, dann musste er mit ihm dringend zum Augenarzt gehen. „Ihr Drecksäcke…!“ Jack Galligan fiel mehr aus seinem Auto, als dass er selbst ausstieg. Kein Wunder, anscheinend hatte er den Airbag mitten ins Gesicht bekommen und die Motorhaube war im Grunde nicht mehr wirklich existent. Es war fast ein Wunder, dass er nicht eingeklemmt worden war, aber natürlich hatten Trevor und Michael so viel Glück nicht gehabt. „Klaut mein Geld, verprügelt mich…!“ Der Mann brachte sich umständlich wieder auf die Füße, sein betrunkener Zustand war wohl gerade nicht wirklich eine Hilfe dabei, sich auf den Beinen zu halten, die ihn nicht mehr wirklich tragen wollten. „Jack, komm schon“, meinte Michael versöhnlich und breitete die Arme aus. „Wir können das doch anders beilegen, oder?“ Ja, er hatte ihm die Brieftasche geklaut und ja, Trevor hatte ihn windelweich geprügelt, aber deswegen mussten sie sich ja noch lange nicht gegenseitig umbringen, das wäre wirklich betrüblich und außerdem auch vollkommen unnötig. „Ich bring‘ euch um!“ Jack schien das anders zu sehen. Michael duckte sich hinter seinem Auto weg, als der blonde Mann begann, um sich zu schießen wie ein Irrer, und hieß Trevor an, es ihm gleich zu tun. Denn so viele Schüsse konnte der Typ ja nicht mehr in seinem Magazin haben, wenn er jetzt alles verballerte, ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, ob er auch wirklich etwas traf. „Ich bringe euch alle beide um!“ Wenn er wenigstens einen Stein oder irgendwas hätte, was er Jack an seine hohle Rübe werfen konnte, dann wäre ihm schon geholfen, aber hier im Schnee irgendwas zu finden, was hilfreich war, das war quasi ein Unterfangen, das einfach nicht gelingen konnte. Michael schlich um das Auto herum, zu der Stelle, an der er seinen besten Freund vermutete. Diese eine letzte Kugel, die er gerade noch im Lauf hatte, damit mussten sie den Kerl auf jeden Fall endlich ausschalten und das endgültig! Trevor hingegen schien sich sicher zu sein, dass dieser Moment jetzt gekommen war, er hockte hinter der offenen Beifahrertür, und kaum, dass die Salve an Kugeln, die sie eben noch in Schach gehalten hatte, für einen Moment vorbei zu sein schien, stand er auf, bereit, Jack endlich den Gnadenschuss zu versetzen. „Und mit dir fange ich an!“ Und entgegen aller Annahmen hatte Jack wohl genau damit gerechnet, dass sich einer von ihnen beiden in diesem Moment zeigen würde. Denn noch bevor Trevor den Abzug betätigen konnte, durchschnitt ein weiterer Schuss die Stille von North Yankton.   ~*~   „Scheiße, Trev. Trevor! Trevor, komm schon!“ Es hatte keine zwei Sekunden gedauert, bis Michael seinen besten Freund erreicht hatte, der rücklings in den Schnee gestürzt war, nachdem der Schuss ihn erwischt hatte. Es war pures Glück, dass Jack betrunken und sauer war und ihn deswegen nur in die linke Schulter getroffen zu haben schien. „Und jetzt du, Townley, komm raus!“ Michael blickte über die Schulter, es würde nicht mehr lange dauern, bis Jack um das Auto herum gegangen war und ihm auch eine Kugel verpassen würde. Aber diesen Moment würde er ganz sicher nicht abwarten! Er würde nicht derjenige sein, der gleich eine Kugel zwischen die Augen bekommen würde! Mit einem Satz schnappte er sich die Waffe, die Trevor fallen gelassen hatte, und presste sich gegen das kalte Metall des Wagens. Einatmen. Er war ein verdammt guter Schütze. Ein verschissen guter Schütze, und er war bei weitem schneller als dieses Arschloch. Ausatmen. Er hatte nur ein paar Sekunden Zeit, ehe der Kerl ihn auch entdecken und auf ihn schießen würde, aber diese paar Sekunden würden ihm reichen, definitiv. Mit einem Mal schnellte Michael hoch, die Pistole geladen und im Anschlag. Jack stand noch immer an Ort und Stelle, die Waffe direkt vor sich, den Lauf nicht gänzlich in die Richtung gerichtet, in der Michael gerade aus seiner Deckung gesprungen war. Perfekt. Der Schuss löste sich, noch bevor Gilligan überhaupt wusste, wie ihm geschah, es war nur allzu gut zu erkennen, wie er die Augen vor Entsetzen weitete, ehe sich die Kugel genau zwischen sie in seinen Kopf bohrte. Mit einem ziemlichen endgültigen, dumpfen Knall stürzte der Mann zu Boden und blieb bewegungslos liegen. Michael nahm sich nicht die Zeit, sich an dem Anblick zu ergötzen und ihm eventuell noch den Mittelfinger zu zeigen, seine Beine trugen ihn wieder direkt zu Trevor hinüber, den er aus dem Schnee zu wuchten versuchte. „T, komm schon, sag mir, dass du noch lebst.“ Die Kugel hatte die Schulter durchschlagen, was ein echter Glücksfall war, da die Kugel zumindest nicht in einem Knochen stecken geblieben war. Pech war nur, dass Trevor blutete wie ein abgestochenes Schwein. „…leb‘ noch“, kam die schwache Antwort, ehe sich Michael T’s gesunden Arm um die Schulter legte und ihn zurück zum Auto schleifte. Und zum ersten Mal betete er zu allen ihm bekannten Göttern, dass das Ding noch fahrtüchtig war. „Komm schon, Kumpel, bringen wir dich hier raus.“ ~*~   Ein Krankenhaus wäre zu auffällig und außerdem zu teuer geworden und alles, was sie in ihrem billigen Motel-Zimmer mit der senfgelben, schon abblätternden Tapete hatten, war ein wenig Alkohol und drei Tage altes Essen vom Chinesen nebenan. Wenigstens war in dem Wagen, den er vor wenigen Minuten mitten in den angrenzenden Wald gefahren und soweit mit trockenen Ästen bedeckt hatte, dass man ihn kaum mehr ausmachen konnte, noch ein Verbandskasten gewesen, für den Moment musste das ausreichen. Er hatte Trevor gerade noch so ins Zimmer geschleppt bekommen und jetzt lag er auf dem Bett und blutete frischfröhlich die Laken voll, zumindest so lange, bis sich Michael daran machte, ihm einen Verband anzulegen, und es war wohl gut, dass Trevor dank des Alkohols und des Blutverlustes nicht einmal alles davon mitbekam. Jammern musste er natürlich trotzdem, aber Michael ignorierte es, so gut es eben ging. „Und wieder musste ich dir den Arsch retten“, murrte er nur leise, während sich Trevor wieder zurück auf das Bett sinken ließ. Nicht, ohne noch ein paar Mal ach so schmerzerfüllt aufzustöhnen, nur für den Fall, dass Mikey noch nicht bemerkt hatte, dass er ja ach so verletzt war. „…ojob“, hörte er seinen besten Freund dann murmeln und beugte sich etwas mehr über das vollgeblutete und schon recht mottenzerfressende Bett, damit er Trevor besser würde verstehen können. „Was?“ „…Willst du dafür nen Brojob?“ Michael rollte mit den Augen, der Blutverlust musste ihm wirklich zugesetzt haben. Oder nicht arg genug, wenn man ihm im Moment so zuhörte… „Du solltest wirklich, wirklich ein wenig schlafen, T, dann kannst du zumindest weniger Scheiße reden.“ Mit einem schwachen Grinsen hob Trevor den Arm, der nicht verletzt war und blickte Michael schwer atmend und aus halb geschlossenen Augen an. „Handjob?“ „Ich schwöre, ich ziehe dir die Nachttischlampe über den Kopf.“ Seine Worte untermauerte er damit, dass er die Lampe mit dem ausgebleichten rosa Lampenschirm umfasste, eine Geste, von der Trevor wenig bis gar nichts mehr zu bemerken schien. „Eh, du bist so’n Spießer, Mikey“, nuschelte T und ließ den Arm wieder sinken und Michael nahm sich vor, ab jetzt einfach zu glauben, dass es Trevor nicht so schlecht gehen konnte, wenn er in der Lage war, noch dumme Witze zu reißen. Ein bisschen Ruhe, und er wäre bald sicher wieder der Alte. Ob das gut oder schlecht war, das würde sich dann sicherlich zeigen. „Schlaf etwas. Ich pass auch auf dich auf.“ Michael machte es sich auf dem Stuhl bequem, den er sich neben das Bett gestellt hatte und begnügte sich damit, den Fernseher zu betrachten, den er ohne Ton zu laufen hatte, doch sein Blick wanderte immer wieder hinüber, damit er auch sicherstellen konnte, dass sich Trevors Zustand nicht weiter verschlechterte. Aber für den Moment schien alles gut zu sein. Morgen würde er irgendwo neues Verbandszeug auftreiben und wenn sie erst mal für ein paar Tage die Köpfe etwas unten gehalten hatten, dann würde der ganze Jack Gilligan-Vorfall sicher bald in Vergessenheit geraten. Er war eine Zeit lang so in Gedanken versunken, dass er regelrecht aufschrak, als er Trevor neben sich sprechen hörte. „Und du willst wirklich kein-“ „Aaah, leck mich doch, T“, murrte Michael entnervt und wandte sich lieber wieder dem klassischen Film zu, der vor einer halben Stunde angefangen hatte. Er brauchte nicht mal Ton, er hätte alle Rollen selbst nachspielen können, wenn er das gewollt hätte. „Hey, ich will mich nur bedanken, du fetter, undankbarer Sack!“ „Bei mir?“, hakte Michael ungläubig nach und betrachtete nun doch wieder seinen besten Freund, der ihn scheinbar abschätzend musterte. „Trevor, wir sind Freunde, Mann. Ich würde dich nie im Stich lassen. Dafür bedankt man sich nicht.“ Mit einem Mal schien sein bester Freund die von Schimmel befallene Decke äußerst interessant zu finden und für eine Weile dachte Mikey schon, dass das Thema erledigt oder Trevor zumindest wieder eingeschlafen wäre. Aber es stellte sich heraus, dass er wohl nur eine Weile gebraucht hatte, um die Tragweite dieser Worte wirklich zu begreifen. Sicher, Michael wusste, dass Trevor nie wirklich Freunde gehabt hatte (und bei allem, was ihm lieb und teuer war, es wunderte ihn nun wirklich nicht), aber dass er das jetzt dennoch so ernst nahm… „Ich würde dich auch nie im Stich lassen, Mikey.“ Der Satz klang für Trevors Verhältnisse so furchtbar ernst, dass Michael für einen Moment überrascht die Augenbrauen hob. „Und… tut mir leid wegen der Nutte.“ „Uuuund da geht die Stimmung dahin“, meinte Michael mit einem tiefen Seufzer, konnte sich aber das Lachen auch nicht wirklich verkneifen. „Mach dir keinen Kopf, das passt schon so. Bruder vor Luder, oder wie man so schön sagt. So was gilt immer.“ Trevor stieß ein leises Schnauben aus, und für den Moment schien alles wieder in Ordnung zu sein, denn zumindest gab er nach einem leisen „Ich bin halt was ganz Besonderes“ wieder Ruhe und ließ Michael mit seinem Film und seinen Gedanken allein in der Dunkelheit des Motelzimmers zurück. Bruder vor Luder… Wenn Michael damals schon gewusst hätte, was in ein paar Jahren folgen würde, dann hätte er ein solches Versprechen wohl kaum gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)