Verlorene Wahl von Calafinwe ================================================================================ Kapitel 3: Flucht ----------------- Karanese, am Nachmittag: "Will sie denn nichts antworten?", flüsterte Petra eingeschüchtert. Seit etwa einer halben Stunde befand sie sich nun mit ihrem Bruder Charly in einem Lagerhaus der Mauergarnison. Ihr gegenüber saß eine offensichtlich hochrangige Angehörige der Aufklärungslegion und starrte sie durch ihre Brille hindurch an. Ihre braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und ihre zu Beginn ziemlich flapsige Art und die dreiste Frage, ob Erd eine Freundin gefunden habe, hatten auf Petra keinen besonders vertrauenswürdigen Eindruck gemacht. Erd, der mit hochrotem Kopf alles abgestritten hatte, aber nun ebenfalls anwesend war, machte ein ernstes Gesicht. Natürlich hatte er sich an Charlys kleine Schwester erinnert, Petra ihrerseits hätte ihn mit seinen kinnlangen Haaren fast nicht erkannt. Und er schien bei weitem nicht mehr so kindisch zu sein wie früher. Was vermutlich auch an seinem Spitzbärtchen lag, das ihn älter wirken ließ, als er tatsächlich war. Zu guter Letzt war da noch drei andere Mitglieder gewesen, die mit allerlei organisatorischen und logistischen Aufgaben beschäftigt gewesen waren. Jetzt schob der älteste der drei Wache vor ihrer Tür, während der Rest weiter arbeitete. Hanji kratzte sich am Kinn. "Das sind schwere Anschuldigungen, die du erhebst", stellte sie klar. Petra starrte verschämt auf den Boden. Dass die an ihrer Geschichte zweifeln würden, war ihr von vornherein klar gewesen. Immerhin war Hanji so fair gewesen, ihr zuzuhören. Während das Mädchen erzählt hatte, war der fröhliche Gesichtsausdruck ihres Gegenübers nach und nach verschwunden. Jetzt schien sie abzuwägen, was sie tun sollte. "Meine Schwester hat keinen Grund, diese Geschichte zu erfinden", erklärte Charly. Erd warf seinem Bekannten aus Kindheitstagen schnell einen Blick zu und schüttelte unmerklich den Kopf. Hanji lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. "Euch ist hoffentlich klar, dass – wenn eure Geschichte der Wahrheit entspricht – ihr in größter Gefahr schwebt, oder?" "Wir?", fragte Petra erstaunt. Sie hob ihren Kopf wieder, um der Kommandantin der kleinen Truppe ins Gesicht zu schauen. "Natürlich ihr! Ob von dir beabsichtigt oder nicht, dein Bruder ist Mitwisser dieser Sache geworden und somit ebenfalls eine Gefahr für die ... Militärpolizei." Petra und Charly warfen sich einen kurzen Blick zu. "Ich wollte niemanden in Gefahr bringen! Ehrlich!", protestierte das Mädchen. "Nein, natürlich nicht", antwortete Hanji beschwichtigend, "Niemand wirft dir vor, absichtlich jemanden in Gefahr gebracht zu haben. ... Trotzdem möchte ich dich darauf hinweisen, dass auch der Aufklärungstrupp in Teufels Küche kommen kann, wenn sich einige seiner Mitglieder mit der Militärpolizei anlegen." Die Vierzehnjährige war einem Heulkrampf nahe und auch Charly schien mittlerweile überzeugt davon, dass seine Idee, den Aufklärungstrupp um Hilfe zu bitten, doch nicht so gut war. Hanjis Brillengläser spiegelten, als sie leicht den Kopf neigte. "Um Himmels Willen, Hanji!", protestierte Erd. Er ging zu Petra hinüber, um das Mädchen tröstend auf die Schulter zu klopfen und machte ein verschämtes Gesicht. "Na schön!" Hanji stand auf und streckte sich einmal ausgiebig so, als wäre sie gerade erst aufgestanden. "Eld, du bist für die beiden verantwortlich, während wir nach Shiganshina reiten!" "Ich?!", fragte der Angesprochene überrascht. "'Die beiden'?!", rief Charly entsetzt. Nur Petra schien ein großer Stein vom Herzen zu fallen. Erd wollte bei Hanji Widerspruch anmelden, drehte sich aber dann schnell zu dem blonden Mädchen hin, als er bemerkte, dass sie schimmernde Augen bekommen hatte und schniefte. "Natürlich du...", fügte die Kommandantin an, "sie ist schließlich deine Freundin." Hanji ging an ihnen vorbei. "Wir reiten los, sobald alles fertig ist. Als seht zu, dass ihr bereit seid... Wir werden nicht auf euch warten!" Charly stolperte ihr hinterher und griff nach ihrem Arm. Hanji blieb stehen und sah ihn fragend an. "Ich muss mit?", stammelte Petras Bruder. "Selbstverständlich!" "Ich kann aber nicht mit. Mein Ausbilder wird mir den Hals umdrehen und mich rauswerfen... Wenn er es nicht sowieso schon gemacht hat." "Willst du dich lieber mit der Militärpolizei auseinandersetzen?", fragte die Braunhaarige leidenschaftslos. "Nein, aber..." "Du bist für sie genauso gefährlich wie Petra. Wenn ihre Geschichte stimmt... Das muss dir doch bewusst sein." Charly sagte nichts. Frustriert ließ er nur die Schultern hängen, während Hanji zu einem der anderen Mitglieder des Aufklärungstrupps hinüber ging und leise mit ihm sprach. Derjenige nickte nur, ließ alles stehen und liegen, wo es war und verließ das Gebäude. Derweil führte Erd Petra aus dem Zimmer heraus. "Wollen wir zu den Pferden gehen?", fragte er nett. Als die beiden draußen waren und Charly ihnen kurz darauf gefolgt war, schüttelte Hanji nur den Kopf. "Wenn das keinen Ärger gibt...", murmelte sie und ging wieder an die Arbeit. * * * In der Wildnis, früher Abend: Petra klammerte sich am Sattel fest. Trotzdem wurde sie auf ihrer fuchsbraunen Stute hin und her geschleudert. Hanji hatte wütend abgelehnt, langsamer zu reiten, als Erd sie darum gebetet hatte und gemeint, dass es besser sei, so schnell wie möglich aus Karanese zu verschwinden. Jetzt versuchte er, der Vierzehnjährigen Tipps zu geben. "Du darfst dich nicht so nah ran ducken!", rief Erd durch den Wind, "Versuch mal, locker im Sattel zu sitzen!" "Leichter gesagt, als getan...!", jammerte Petra. Sie hatte sich sofort mit dem Tier angefreundet, als sie in den Stall gegangen waren. Aber Petra glaubte nicht so recht dran, dass die Stute sie nicht abwerfen würde. "Sie spürt deine Angst! ... ... Wenn der Reiter unruhig ist, überträgt sich das auf das Pferd!" Das Mädchen richtete sich etwas im Sattel auf, presste aber nach wie vor beide Beine an die Seiten des Tieres. Sie wurde erneut durchgeschüttelt, als die Stute mit einem Sprung über einen kleinen Graben hinweg setzte. Anscheinend orientierte sich das Pferd derzeit mehr an seinen Artgenossen als an seinem Reiter. "Ich wünschte, das wär alles nicht passiert!", schrie Petra, blieb aber aufrecht im Sattel. Im Gegensatz zu ihr hatte Charly sehr schnell begriffen, wie man richtig ritt und saß selbstsicher auf seinem gefleckten Hengst. Neben Hanji und Erd bestand ihre Eskorte nur noch aus zwei weiteren Mitgliedern des Militärtrupps. Petra hatte sich die ganze Zeit gewundert, wohin der Fünfte verschwunden war, hatte es aber zwischenzeitlich wieder verdrängt. "Es lässt sich nicht mehr ändern. Wir können nur dafür sorgen, dass euch die Militärpolizei nicht in die Finger bekommt. ... Aber dafür müssen wir schneller reiten!", konterte Erd. "Ouch!" Petra war zu nah an einem Busch vorbeigeritten und hatte ein paar Zweige ins Gesicht bekommen. Einige Tropfen Blut quollen aus Ritzen in der Haut hervor, verflüchtigten sich aber im Wind. "Wieso musste ich mir die Haare schneiden?!", johlte das Mädchen weinerlich durch den Wind. Erd ließ den Kopf hängen. Sie würde es ihm wohl nie verzeihen, dass er mit dieser Idee gekommen war. Und dass er ihr ihren Haarzopf kurzerhand abgeschnitten hatte, als sie unaufmerksam war und eines der Pferde gestreichelt hatte. Wenigstens Charly hatte ihm zugestimmt und versucht, Petra von der Zweckmäßigkeit des Frisurwechsels zu überzeugen. Und dass Petra auch mit kurzen Haaren eine Schönheit sei. Was sie ihm allerdings nicht geglaubt hatte. Seitdem hatte die Vierzehnjährige nicht mehr aufgehört, ihn anzustarren, wohl aus Angst, er würde noch einmal etwas an ihrem Aussehen verändern wollen. "Die wachsen schnell wieder nach...", seufzte er. Die Gruppe flog über die Ebene dahin. Wie Hanji geplant hatte, waren sie ziemlich bald nach ihrem vertraulichen Gespräch aufgebrochen. Die Feldwebel hatte der Mauergarnison noch zwei weitere Pferde abgeschwatzt, während Petra und Charly den anderen Mitgliedern der Aufklärungslegion dabei geholfen hatten, die wenigen Ausrüstungsgegenstände, die sie mitnehmen wollten, zu verpacken. Danach hatte Erd ihnen einen Crashkurs im Reiten verpasst, sie auf die Pferde gesetzt und sie dann unter Aufsicht einige Runden im Schritt und danach sogar im Trab drehen lassen. Doch Galopp über unebenes Gelände war etwas ganz anderes. Die Sonne senkte sich mittlerweile dem Horizont entgegen und sie hatten etwa die Hälfte bis nach Shiganshina zurückgelegt. Doch es würde unweigerlich bereits Nacht sein, wenn sie in der südlichsten Stadt der Menschheit ankamen, wo sich derzeit der Aufklärungstrupp aufhielt. Petra fragte sich die ganze Zeit schon, wie es dort wohl sein würde. Sie war bisher nie aus Karanese heraus gekommen, allenfalls einmal, um mit ihrem Vater die ein oder andere Besorgung zu machen. Das Hinterland von Mauer Maria hatte sich als ziemlich langweilig herausgestellt. Daran konnte auch das vermutlich zehnte Wäldchen nichts mehr ändern, das die kleine Gruppe gerade passierte. Das Mädchen saß mittlerweile etwas entspannter im Sattel, was dazu führte, dass der Galopp ihrer Stute gleichmäßiger zu werden schien. Unbewusst starrte sie nun Erd auf den Hinterkopf, der eine halbe Pferdelänge seitlich vor ihr ritt. Er schien ihren Blick zu fühlen, denn der junge Mann bremste sein Tier etwas und ritt dann auf gleicher Höhe neben ihr. "Ist was?", fragte er. Petra zögerte. Sollte sie ihn wirklich fragen? Möglicherweise unterschied es sich nicht besonders zu dieser Gegend. Aber vielleicht hatte Erd auch Dinge gesehen, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorzustellen mochte. "Warst du schon mal auf der anderen Seite?", wollte sie wissen. Erds Gesichtsausdruck verfinsterte sich. "Ich glaube nicht, dass dich das wirklich so brennend interessiert", meinte er lapidar. "Wah?" "Hinter der Mauer ist es nicht viel anders als hier..." Die Vierzehnjährige sah ihn neugierig an. "Hast du schon mal einen von ihnen gesehen?", hakte sie nach. "Also DAS ist nun wirklich nichts für hübsche Mädchen wie dich!", entgegnete Erd. Petra war immerhin schon erwachsen genug, um knallrot anzulaufen. Erst im zweiten Augenblick begriff sie, dass er elegant das Thema gewechselt hatte. "Warum nicht?", fragte sie entrüstet, "Ich bin gerade im besten Alter, mich der Trainingseinheit anzuschließen." Erd fiel fast vom Pferd. Entsetzt gaffte er seine Freundin aus Kindheitstagen an. "Das überlegst du doch nicht wirklich, oder?!", konterte er. Mit immer noch rotem Gesicht starrte Petra auf den Sattelknauf vor sich. "Schlag dir das lieber wieder aus dem Kopf! Es gibt genügend andere Möglichkeiten, wie du später deinen Unterhalt verdienen kannst. Welche, bei der du nicht befürchten musst, hinter dem nächsten Baum verschlungen zu werden..." Das Mädchen sagte nichts mehr und Erd beließ es dabei. Tatsächlich hatte sie das nur so daher gesagt. Petra hatte noch nie ernsthaft in Betracht gezogen, sich der Trainingseinheit anzuschließen, geschweige denn einer der drei späteren militärischen Einheiten der Menschheit. Und Erd hatte schließlich Recht. Der Aufklärungstrupp hatte nur Platz für wirklich hart gesottene Menschen. 'Und man muss wohl auch eine eigentümliche Ansicht über das eigene Leben haben, um hinter Mauer Maria reiten zu wollen', dachte sie. Unbewusst hatte Petra ihren Blick auf Hanji gerichtet, die vor ihr in das Abendrot ritt. * * * In der Wildnis, nachts: Flinn ritt wie der Blitz, so dass Armand, Louise und Doug alle Mühe hatten, mit ihm mitzukommen. Der Staub, den die Hufe seines Pferdes aufwirbelten, flog ihnen ins Gesicht. "Er reitet, als ob der Boss höchstpersönlich hinter ihm her wäre...!", kommentierte Louise und versuchte, ihr Gesicht vor dem Dreck abzuschirmen. Sie hatte sich das Blut so gut es ging von der Nase gewischt. "Es muss sich um eine alte Angelegenheit handeln", vermutete Armand. Am Nachmittag waren die beiden zusammen mit einem dritten Mitglied des Unterdrückungstrupps in Karanese zu Flinn gestoßen und er hatte sie zu höchster Eile gedrängt. Die gesuchte Person hatte sich mit Hilfe ihres Bruders an den Aufklärungstrupp gewandt und ritt nun einige Meilen vor ihnen über die Ebene nach Shiganshina. Armand, der auch diese Mission leitete, hatte angeordnet, die Pferde gegen ausgeruhte auszutauschen und die 3D-Manöver-Ausrüstung samt Klingen zu überprüfen. Anders als Kenny hatten sie nach wie vor nur die normale Ausrüstung, die auch die Mauergarnison und der Aufklärungstrupp nutzten. Danach waren sie losgeritten. Der Unterdrückungstrupp musste verhindern, dass die Zielpersonen die südliche Stadt von Mauer Maria erreichten. Idealerweise würden sie sie in einem Wäldchen in eine Konfrontation verwickeln, aber wenn die Leute des Aufklärungstrupps wussten, dass sie ihnen bereits auf den Fersen waren, würden sie definitiv im offenen Gelände bleiben. Flinn hatte die Kommandantin der kleinen Gruppe nicht persönlich gekannt. Doch durch seine Beschreibung ihres Aussehens wusste Armand sehr wohl, dass sie es mit Hanji Zoe und ihrer Einheit zu tun hatten. Was ihn mehr beunruhigte, war die Tatsache, dass die Frau ein Mitglied ihrer Truppe voraus geschickt hatte, vermutlich um Hilfe zu holen. Von daher war es nicht verwunderlich, dass sie nur so über die Ebene flogen. Doch was speziell Flinn so zur Eile antrieb, wusste er nicht. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, doch die Leute des Unterdrückungstrupps drosselten die Geschwindigkeit ihrer Pferde nicht. Es war waghalsig, da die Tiere jederzeit in ein Mauseloch oder auf einen Stein treten und so zu Fall gebracht werden konnten. Aber Armand und die anderen mussten die Zielpersonen unbedingt stellen, bevor sie Shiganshina erreichten. Und bevor ihnen jemand zu Hilfe kam. * * * "Das sieht furchtbar aus!", stammelte Petra. Charly lag am Boden mit blutüberströmtem Gesicht. Erd kniete neben ihm und versuchte, dem jungen Mann so gut es ging zu helfen. Petras Bruder hatte sich die Nase und eine Augenbraue blutig geschlagen, als er bei völliger Dunkelheit gegen einen herabhängenden Ast geritten war. Sein Hengst war noch einige Meter weitergelaufen und dann stehen geblieben, als Charly sich plump zu Boden hatte fallen lassen. Nun standen sie zu dritt um ihn herum, während die zwei anderen Mitglieder des Aufklärungstrupps nach Verfolgern Ausschau hielten. "Wir haben keine Zeit, ihn hier zu verarzten", meinte Hanji, "Verbinde ihm die Nase und die Stirn, so gut es geht... Dann reiten wir weiter." Erd unterdrückte einen Fluch und holte seinen Wasserschlauch heraus, um die Wunden wenigstens halbwegs zu säubern. "Hier, du kannst das benutzen." Petra hielt ihm das Stofftaschentuch hin, welches sie am Nachmittag zuvor von ihrem Bruder bekommen hatte. "Das wird wohl gehen müssen..." Erd verband Charly die Stirn. "Nur keine Umstände wegen mir", keuchte der Patient. Er versuchte, sich aufzurichten, war aber noch etwas benommen. "Los, aufsitzen!", befahl Hanji und wandte sich ihrem Pferd zu. Erd zog Charly in die Höhe und Petra hielt die Zügel des Hengstes fest, während der eine dem anderen beim Aufsitzen half. "Wir sollten vielleicht langsamer reiten?", überlegte die Vierzehnjährige, als sie im Sattel saß. "Nein...!", entschied die Anführerin der kleinen Gruppe. Sie ritten los und Erd schob sich unauffällig an Hanji heran, während Petra neben ihrem Bruder her ritt und auf ihn Acht gab. "Werden wir verfolgt?", raunte er ihr zu. Erst einige Augenblicke später nickte sie. "Ich weiß nicht, ob wir direkt verfolgt werden. Aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir hier draußen nicht mehr alleine sind." "Es wird zum Kampf kommen, oder?" Hanji warf einen Blick zurück auf Petra und Charly. "Wenn es dazu kommt, müssen sie die Köder spielen..." Erd seufzte. Er war nach wie vor der Überzeugung, dass es richtig gewesen war, Petra und ihrem Bruder zu helfen. Aber die Angelegenheit entwickelte sich langsam zu etwas, was scheinbar weit über die üblichen Scharmützel zwischen Militärpolizei und Aufklärungstrupp hinaus ging. Wieso verschleppte die Militärpolizei einfache und unbescholtene Bürger? Und warum jagten sie unschuldige blonde Mädchen? Hanji jedenfalls musste Petras Geschichte Glauben schenken. Sonst hätte sie nie eingewilligt, sie auf eigene Gefahr hin nach Shiganshina zu bringen. Erd wollte ihr gerade etwas sagen, als ein Schrei ihrer Nachhut ertönte. "Verdammt!", fluchte Hanji, "Du kümmerst dich, dass die beiden weiterreiten. Wir halten sie auf." "Oh Gott!" Erd tat, wie ihm geheißen, während Hanji mit dem Pferd kehrt machte. Ihre Nachhut war bereits in einen Kampf verwickelt, der sich auf Pferderücken allerdings schwer gestaltete. Und es war nicht auszumachen, mit wie vielen Militärpolizisten sie es zu tun hatten. Gut möglich, dass in der Finsternis noch welche im Hinterhalt lauerten. Die Kommandantin stürzte sich ins Getümmel, ohne weiter auf Erd und seine beiden Schützlinge zu achten. Denen stand wahrlich die Angst in das Gesicht geschrieben. Petra hatte sich wieder auf das Pferd geduckt, was in Anbetracht der Umstände keine schlechte Idee war. Erd ließ sie aufholen. "REITET IMMER WEITER!", brüllte er ihnen durch den Wind zu, "SCHAUT NICHT ZURÜCK!" Er wusste nicht, ob sie ihn gehört hatten. Notgedrungen heftete Erd sich an ihre Fersen und versuchte hin und wieder mit einem Blick über seine linke Schulter, etwas vom Kampf hinter sich mitzubekommen. Doch in der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Nur das häufige Klirren von aufeinander treffenden Klingen verriet ihm, dass seine Kollegen alle Mühe hatten, ihre Verfolger abzuwehren. "VORSICHT!", schrie Petra. Erd bekam sein Pferd gerade noch herumgerissen. Fast wäre er gegen einen großen Felsen geritten, den Charly und seine Schwester bereits umrundet hatten. "Verflucht noch eins!" Etwas flog an ihm vorbei und Erd sah wieder über seine Schulter. "Ist das etwa...?" Der junge Mann holte zu Petra und Charly auf. "Bleibt bloß nicht stehen", raunte er ihnen zu. Dieses Mal war er sich ziemlich sicher, dass sie ihn verstanden, denn die Vierzehnjährige sah ihn mit angstvollen Augen an und nickte schließlich. "Es ist nicht mehr weit bis Shiganshina und Hilfe ist bereits unterwegs! ... Seht nicht zurück!" "Erd? ... ERD!" Der Angesprochene ignorierte Petras furchtsame Rufe und ließ sich zurückfallen, um den Kampf mit seinem Verfolger aufzunehmen. * * * "Lange nicht gesehen, Erd!", rief Flinn über den Lärm hinweg. "Das kann man wohl sagen..." Der Militärpolizist hieb sofort nach seinem Kontrahenten, aber der Schlag war kraftlos und schlecht gezielt. Trotzdem hatte Erd sein Reittier etwas weggelenkt, ließ die Zügel nun vor sich auf den Sattel fallen und griff nach seinen Schwertern. Da sie nach wie vor auf offenem Gelände waren, war sein 3D-Manöver-Apparat so gut wie nutzlos. "Wieso machen wir das nicht wie richtige Männer untereinander aus?", höhnte Flinn, der zu ihm aufgeschlossen hatte. "Hah!" Erd wusste, dass sein alter Bekannter von der Trainingseinheit ihn provozieren und in eine Falle locken wollte. Darauf durfte er sich nicht einlassen. Konzentration erforderte die Situation, so dass Petra und Charly genügend Zeit hatten, zu entkommen. Wie es Hanji und den anderen erging, wusste er nicht. Der junge Mann überlegte, wie er Flinn am besten außer Gefecht setzen konnte, doch schon musste er einen Schlag gegen seinen linken Oberarm in Kauf nehmen. Er zog scharf die Luft ein, als Blut seinen Ärmel tränkte, griff seine Klingen dann aber fester und erwiderte den Angriff. Flinn duckte sich hinweg und stach dann nach Erds Kopf, den dieser gerade noch im letzten Moment wegziehen konnte. "Verschlagen wie eh und je!", kommentierte er diese gemeine Attacke. "Ich würde es 'zielstrebig' nennen", konterte Flinn. Die beiden mussten sich kurzerhand voneinander trennen, wollten sie mit ihren Pferden nicht im nächsten Gebüsch landen. Erds Wunde schmerzte, aber er unterdrückte es. Als sein Gegner gerade von dem Strauch verdeckt wurde, überdachte der junge Mann seine Taktik. Am einfachsten würde es sein, Flinns Pferd auszuschalten. Erd war aber nie im Leben bereit, soweit zu gehen. "Besser ist es, ihn von seinem Pferd zu trennen..." Doch es würde alles andere als einfach sein, an die entsprechende Stelle ranzukommen wo der Sattelgurt den Leib des Tieres umspannte. Zumal Flinn sie mit seinen Beinen abschirmte. Sie passierten die Büsche und ritten dann wieder aufeinander zu. Erd versuchte Flinns Angriff von gerade eben zu kopieren und auf dessen Beine anzuwenden, aber sein Kontrahent durchschaute seinen Plan. "Gefallen dir meine Beine nicht?", rief er gespielt entrüstet. "Die brauchen eine Rasur..." Das wollte Erds alter Bekannter nicht auf sich sitzen lassen. Mit einer wütenden Mine lenkte er sein Pferd gegen das seines Gegners, was diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen schien. Erd bekam seine Halbklingen-Schwerter gerade noch zwischen sich und Flinns Waffen. Danach stemmte er sich mit aller Kraft gegen seinen Kontrahenten, schob den Kopf in seine Richtung und gab Flinn eine Kopfnuss, was diesen mit einem erschrocken "ouch" zurückweichen ließ. Erds Gegner rutschte im Sattel zur Seite, verlor den Halt im rechten Steigbügel und fiel dann vom Pferd, das unbeirrt weiterritt. Wütende Flüche und Kraftausdrücke verfolgten Erd, wurden aber schnell leiser und erstarben dann komplett. Er steckte seine Waffen weg und griff nach den Zügeln des herrenlosen Pferdes. "Einer weniger..." Erd hetzte weiter, um Petra und Charly einzuholen. Von den anderen seiner Truppe war weit und breit nichts zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)