Tollheit und Methode von kaprikorn (Weltenbummler Episode 1) ================================================================================ Kapitel 4: Ausbruch ------------------- **** |[T]| **** And lease this confusion, I'll wander the concrete Wonder if better now having survived Jarring of judgement and reasons defeat The sweet heat of her breath in my mouth I'm alive [HOZIER · THE CODEINE SCENE] "Vorsicht, ist noch recht heiß", hauchte Rose, als sie dem Doctor bedacht die dampfende Tasse reichte. Der starke Geruch von gemahlenen Kräutern hing in der Luft, gepaart mit einem Schuss Milch, der gemächlich auf der Wasseroberfläche schwamm. Das Fenster in dem kleinen Gästeraum stand einen Spalt weit offen und hieß die angenehme Luft von Draußen willkommen, die ob der frühen Jahreszeit weder zu warm, noch zu frisch war. Staub tänzelte gemächlich durch den Sonnenkeil, der sich von der Fensterscheibe aus brach, das Zimmer teilte und gleichsam in sanftes Licht tauchte. Rose hatte es sich auf der Matratze bequem gemacht und war mit dem Rücken an das Kopfende des Bettes gerutscht. Ein Bein angezogen, baumelte das andere lässig von der Bettkante. Der Kopf des Doctors wiederum ruhte an ihrer Brust, wobei der TimeLord immer noch ausgezehrt und schwach, obschon endlich ansprechbar war – und so zuwider es ihm augenscheinlich sein musste, umsorgt zu werden, so wenig wehrte er sich gegen die Aufmerksamkeit, die Rose ihm zukommen ließ. Das Fieber war zurück gegangen und zu seinem neu gewonnenen Bewusstsein hatten sich Hunger und Durst gesellt. Er wollte ihr seinen Zustand mitteilen, gab allerdings mit den ersten, kläglich gekrächzten Worten wieder auf, weil ihm das Sprechen letzten Endes zu viel Kraft kostete. Also saßen sie einfach nur in angenehmer Stille beieinander und tranken stumm ihren Tee. Nach einer Weile dann war der Doctor schließlich an ihrer Brust eingeschlafen, ebenso ruhig und regungslos wie zuvor, aber mit dem leisen Versprechen, dass sie sich am Morgen wiedersehen würden. **** |[T]| **** So vergingen drei Tage. Drei Tage, an denen Rose damit beschäftigt war, sich mit den Bedürfnissen eines Aliens auseinander zu setzen, mit den Launen ihrer Mutter zurecht zu kommen, die sie gleichsam ungefragt zur Hausarbeit einspannte – und ganze drei Tage Sehnsucht nach Raum und Zeit. Einmal war Rose in die TARDIS zurück gekehrt, um ihre Wäsche zu holen und erwischte sich dabei, wie sie begann, mit dem Schiff des Doctors ernsthafte Unterhaltungen zu führen, sentimental zu werden. Denn es war seltsam, zurück im normalen Alltag zu sein und die Zeit so zu erleben, wie sie für gewöhnlich verging: langsam und eintönig, wie ein sich streckender Kaugummi. Sie traute sich kaum laut auszusprechen, wie sehr sie sich darüber freute, bald wieder auf Reisen gehen und Abenteuer erleben zu können, wo sie inzwischen gar nicht mehr glauben konnte, dass sich ihr Dasein zuvor Leben geschimpft hat. Im Ernst, hätte es ihre Bestimmung sein sollen, für den Rest ihres Lebens Klamotten zu verkaufen? Und war es arrogant zu behaupten, dass sie so unendlich froh darüber war, dass der Doctor sie buchstäblich bei der Hand genommen und ihre Existenz völlig auf den Kopf gestellt hat? War es Mum und allen anderen Mitmenschen gegenüber unfair, nie wieder ein Teil des stumpfen, menschlichen Konzepts sein zu wollen? Ja. Und es war okay. Der Verlust von Jack saß ebenfalls tief und hatte sich außerdem in ihr Herz gebohrt wie der Stachel einer Wespe. Überall in der TARDIS, auf der Brücke, im Kontrollraum, im TV-Zimmer oder der kleinen Kombüse, schien sein Echo immer noch anwesend zu sein: sein Schatten, sein Geruch und seine Kleidung … zusammen mit dem dämlichen Grinsen aus ihrer Erinnerung, das er ihr so oft zu schenken vermocht hatte. Es würde ein langes Weilchen dauern, bis sie sich damit arrangieren konnte was geschehen war, bis ihr Kopf das Chaos verarbeitete und ihre Gedanken nicht ständig zurück zu dem ungewöhnlichen Mitstreiter ihrer kleinen Crew wanderte. Er war ihr wie ein Familienmitglied vorgekommen, ein Vertrauter. Ein Freund. Veränderungen waren scheiße. **** |[T]| **** "Ich bin dir eine Erklärung schuldig", murmelte der Doctor schließlich am vierten Abend dumpf, eine Schüssel Suppe in den Händen, die er etwas zu argwöhnisch begutachtete; er mied dabei Roses Blick, die sich auf die Bettkante hatte sinken lassen. Man merkte dem TimeLord allmählich seine wachsende Ungeduld an: den stärker werdenden Drang endlich aufstehen und aus dieser Wohnung, aus London und vor dem gesamten Planeten fliehen zu können. Der menschliche Alltag machte ihn grantig und entlockte ihm nicht selten eine Reihe an boshafter und provokanter Kommentare und Beleidigungen – vor allem in Jackies Richtung, die nur deshalb auf ihren Konter verzichtete, weil sie in gegensätzlicher Gehässigkeit behauptete nicht so tief zu sinken invalide, alte Männer eine Abreibung zu verpassen. Die zurückhaltende Gutmütigkeit Jackies schloss jedoch nicht aus, dass Mama Tyler bereit und gewillt dazu war, den Doctor bei der nächsten Möglichkeit zu vergiften, damit sie ein Problem weniger hatte. Eine gute Portion Misstrauen war daher angebracht. Unverhofft kam schließlich oft, nicht wahr? Der Doctor runzelte die Stirn, schüttelte zu sich selbst den Kopf und heftete sein hellblaues Augenmerk vorsichtig auf seine Begleiterin; die Blässe um seine Nase war immer noch präsent, ansonsten schien er sich gut und sogar schnell zu erholen. Rose hingegen erweckte einen abgekämpften Eindruck. "Es gibt da etwas, das du wissen solltest … über mich. Über die TimeLords …" Er trommelte auf das Porzellan der Schüssel und versuchte die richtigen Worte zu finden, ehe er die Suppe schließlich entschieden auf das Nachtkästchen stellte. Der Gallifreyan knetete abwesend seine Finger und schenkte der Bewegung, den Muskeln und Fasern, die sich unter seiner Haut spannten und bewegten, dabei einen Moment überspitzte Neugierde. "Ich hätte sterben müssen – und ich bin mir noch nicht ganz sicher, was schief gegangen ist. Um ehrlich zu sein … –" "Nein ..!", mischte sich Rose prompt und laut ein, die Stirn in tiefe Falten gefurcht. Als der Doctor jedoch beruhigend nach der Hand seiner Begleiterin griff und sie sanft drückte, biss sie sich auf die Unterlippe, mühsam den Impuls unterdrückend, weiteren Widerspruch zu leisten. "Lass mich erklären." Der Dunkelhaarige lächelte unweigerlich, auch wenn die Geste seine Augen nicht ganz erreichte. "Wir TimeLords haben ein Geschick, einen Trick quasi, um dem Tod von der Schippe zu springen. Einmal abgesehen davon, dass wir den Alterungsprozess unserer Zellen kontrollieren können und deshalb generell anders altern, wie zum Beispiel ihr Menschen, regeneriert und heilt sich unser Körper, wenn er tödlichen Einflüssen von Außen ausgesetzt wird." Der Doctor hob die Schultern: "Wir können nicht sterben. Das heißt: theoretisch können wir das schon, wenn wir die Möglichkeit auf ein sehr langes und sehr langweiliges Leben haben. Ansonsten beginnt unser Lebenszyklus immer wieder von vorne. Wir reinkarnieren." Als Rose dem Gallifreyan einen verständnislosen Blick schenkte, den Mund öffnete, weil ihr etwas auf der Zunge lag, ihn dann jedoch wieder stumm schloss, fügte er hinzu: "Das bedeutet, dass sich jede Zelle in meinem Körper verändert und ich, bis auf mein Bewusstsein, verschwinde – in gewisser Weise. Du könntest es sterben nennen, allerdings ist der Ausdruck viel zu menschlich und daher nicht ganz richtig … Ich ändere lediglich mein Äußeres, meine Prinzipien, meine Gefühle und Eindrücke… die oberste Schicht meiner Persönlichkeit und ein Paar Hautschichten noch mit dazu. Im Innern bleibe ich jedoch der selbe Mann." "Aber…", Rose rieb sich heftig die Stirn und beugte sich schließlich nach vorne, streckte den Zeigefinger nach dem Gesicht des Doctors aus und berührte mit der Fingerkuppe prüfend seine Wange, als wollte sie sich davon überzeugen, dass er ihr gerade versuchte einen Bären aufzubinden – oder um zu testen, ob er daran war sich vor ihr einfach in Luft aufzulösen. "… Das … ist mir zu hoch", gab sie kleinlaut zu. "Ich erwarte nicht von dir, dass du es verstehst, Rose. Ich möchte dich nur warnen … die Energie aus dem Zeitstrom hätte jede einzelne Zelle in meinem Körper töten müssen, ich hatte mit einer Regeneration gerechnet – und mit rotem Haar, wenn ich so offen sein darf." Die Augenbrauen des Doctors begegneten sich gespielt verärgert an seiner Nasenwurzel. Er machte keinen Hehl aus seiner eigenen Irritation. "Bedauerlich. Ist das schlimm?", fragte der Doctor Rose noch einmal direkt, als er seinen Blick wieder auf sie lenkte. "Nein. Ja … ich … keine Ahnung. Was meinst du? Dass du nicht rothaarig bist?" Die Aufmerksamkeit der Blonden wanderte kurz zu dem getrimmten Haarschopf des Doctors, ihre Mundwinkel zuckten: "Ich steh' eher auf dunkle Typen." "Oh." Der Doctor zwinkerte zweimal, merklich überrascht. "Und die Regeneration? Könntest du damit … mit mir … könntest du mit dem Umstand leben, mein dämliches Gesicht irgendwann gegen ein anderes, vielleicht noch viel Dümmeres eintauschen zu müssen, weil … ich weiß nicht … weil ich mich mit einem Dalek prügle und verliere?" Sie bewegten sich auf einem sehr schmalen Grad zwischen Wahnwitz und Verlust – ein Weg, den Rose nicht mochte. Trotzdem überlegte sie, ihm zu liebe, inwiefern sie sich mit der Vorstellung seiner Geschichte arrangieren konnte. Es war schwierig, vor allem weil ihr irgendwie die Phantasie dazu fehlte, sich auszumalen wie es war, wenn man angeblich ein völlig neues Gesicht bekam – aber vielleicht war das Bild in ihrem Kopf zu dem Thema auch einfach nur zu unförmig und übertrieben. Schließlich nickte sie zögernd – und kassierte ein breites, erleichtertes Grinsen ihres außerirdischen Begleiters. "Fantastisch." Der Doctor beugte sich mit ausgebreiteten Armen vor und zog Rose nahezu liebevoll an seine Brust, wo die Blonde seine Zwillingsherzen in einem schnellen Staccato schlagen hören konnte. Die Umarmung erwidernd, krallte sich Rose in das Pyjama-Hemd, das er immer noch trug, gewahr dem Glück, das sie beide gehabt hatten, nachdem auf der GameStation quasi der Krieg ausgebrochen war. Er hätte sterben können. Rose seufzte ungehört und genoss den Geruch von vergangener Zeit, der an ihm haftete. Sie saßen eine ganze Weile derart ungezwungen beieinander, lediglich unterbrochen von dem leisen Rauschen des Fernsehers aus dem Wohnzimmer und dem fernen Straßenverkehr vor dem offenen Fenster. Doch plötzlich unterbrach sie etwas und machte den Doctor stocken. Seine Muskeln spannten sich an, er löste die Umarmung, furchte die Stirn und neigte den Kopf ein wenig in den Nacken, wobei er hörbar mehrmals hintereinander die Luft so tief durch die Nase einsog, dass seine Nasenflügel vibrierten. "Riechst du das?" "Huh?" "Rose!", schwere Schritte polterten über den Gang, gepaart mit Jackies schriller Stimme. Ihre Mutter riss strauchelnd die Türe zum Gästezimmer, den Anflug von blanker Panik auf dem viel zu stark geschminkten Konterfei: "Komm, das musst du sehen!" **** |[T]| **** "… und aus eben diesem Grund möchten wir sie bitten, ihre Häuser nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu verlassen. Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren, dass sich die Polizei um die Geschädigten kümmern wird, allerdings kann niemand für Ihre Sicherheit garantieren, wenn sie leichtsinnig handeln. Nehmen Sie sich unseren Rat also daher bitte zu Herzen." Harriet Jones starrte sie voller Anspannung über den Schreibtisch und durch den Fernseher hinweg an und Rose, Jackie, Mickey und der Doctor, der sich etwas unbeholfen im Türrahmen abstützte, stierten zurück. Die Freude um das indirekte Wiedersehen mit der ehemaligen Abgeordneten währte nur für einen Augenblick und wurde überschattet von der Rede, die sie an ihr Volk richtete. Eine Rede über Wahnsinnige, über Tollwütige, die durch die Straßen der Stadt unterwegs waren – über Menschen, die den Verstand verloren haben und um sich bissen, die gefährlich werden konnten und möglicherweise sogar einen ansteckenden Erreger in sich trugen. Woher die Ursache rührte, wusste allerdings niemand. Aber auf die Weise, wie das Kiefer des Doctors mahlte, als Rose suchend zu ihm umsah, hatte sie eine vage Ahnung, dass es übermenschlicher Natur sein musste. Unter Umständen. Vielleicht. Hoffentlich? "Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen. Ihre Harriet Jones, Premierministerin." Die betuchte Dame mittleren Alters rappelte sich hinter ihrem Schreibtisch hervor und trat, besorgt den Kopf schüttelnd, daran vorbei. Das Bild gefror und wurde schwarz. "Was hat das zu bedeuten?", wollte Rose wissen, doch niemand reagierte. Während Jackie augenscheinlich schockiert über die Nachricht war, arbeitete es bereits hinter der Stirn des Doctors. Mickey rieb sich wild das Ohrläppchen: "Tollwut, so ein Scheiß! Seit 20 Jahren sind bestimmt nie mehr als eine Handvoll Fälle durch die Presse gegangen – und jetzt aus heiterem Himmel eine Epidemie?" "Was werden Sie mit den Menschen machen, die sich angesteckt haben?", Rose war sich sicher, dass sie die Antwort auf ihre Frage nicht mochte. Der Doctor erwiderte ihren Blick beinahe unberührt aus kühlem Augenmerk: "Sie werden sie einfangen, an ihnen experimentieren, weil sie denken, dadurch an eine Lösung für ihr Problem zu kommen." Jackie zuckte zusammen, wurde eine Spur blasser und schauderte. Kaum auszudenken, dass sie und ihre Tochter vor nicht wenigen Tagen einem dieser erkrankten Typen gegenüber standen – weiß der Geier, was hätte passieren können. Sie hätten hellhörig werden müssen, nachdem heute Morgen bereits ein weiterer Übergriff im Radio gekommen war; hätten vorsichtiger und weniger naiv sein müssen. Hätten aufpassen sollen … hatten sie im vergangenen Jahr durch die Aliens tatsächlich nichts gelernt? "Wir müssen Harriet Jones helfen." Der TimeLord nickte bloß abwesend auf Roses Einwand, der von Jackie ohne Umschweife mit einer herrischen Geste im Keim erstickt wurde. Doch Mama-Tyler kam gar nicht so weit, ihre Schimpfe auszupacken, weil in der Wohnung nebenan ein erschütternder Schrei los gelassen wurde der sie übertönte, begleitet von einem wilden Poltern, stampfenden Schritten und dem Schlagen von Türen. Der Doctor war, dicht gefolgt von Rose, als erster an der Wohnungstüre, um gleichsam zurück durch deren Rahmen zu stolpern, weil ihn der vorbei laufende Nachbar sonst ohne Rücksicht umgerempelt hätte. Sie sahen ihm nach, indes auch andere Türen geöffnet wurden, ob des Schauspiels, das sich auf der Wohnetage bot. Der Mann stolperte zweimal in seinem Schritt, donnerte plötzlich frontal gegen die verglaste Etagentüre, versuchte sein Glück ein weiteres Mal erfolglos und nahm letzten Endes, wie ein gejagtes Vieh, die Abkürzung über die Brüstung, vier Stockwerke abwärts. Rose, Jackie, Mickey und Mrs. Richardson aus der Wohnung links von ihnen stürzten schockiert an die Balustrade – nur Mickey sah darüber hinweg nach unten. Mister Richardson war tot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)