Under your wings von SanjaAlexei ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Eren Anfang November wurde er von dem lauten Piepen geweckt. Es war Samstag, da stand er eigentlich nicht vor ein Uhr auf. Doch quälte er sich jetzt um halb neun aus dem Bett und schob die Gardine beiseite. Er hatte ein großes Zimmer mit zwei Fenstern. Das eine war nach vorn gerichtet und gab den Blick auf die Einfahrt frei, das andere ging nach rechts raus und ließ ihn direkt in den verwucherten Garten des verlassenen Nachbarshaus blicken. Ein blauer Absetzer einer Entsorgungsfirma fuhr auf das Grundstück und stellte zwei größere Mulden nahe dem Haus ab, während Gerüstbauer damit beschäftigt waren, das Haus einzurüsten. „Das Haus scheint verkauft zu sein.“ Mikasa kam durch seine Zimmertür auf ihn zu. Sie trug noch ihre kurze, schwarze Schlafshorts und das weite T-Shirt, was bedeutete, dass sie auch gerade erst aufgestanden war. „Hm. Scheint so… Dann warten wir mal ab, was für ein Arschloch von Nachbar diesmal dort einzieht.“ Die, die vor Jahren in diesem Haus zur Miete gewohnt hatten, waren die wohl schlimmsten Nachbarn gewesen, die Eren hier jemals erlebt hatte. Wenn im Sommer eine Blume über den Zaun hing, klingelten sie. War das Gras zu hoch, klingelten sie. Egal was es war, irgendwas haben diese Menschen von Nebenan immer gefunden. Selbst die Polizei war ständig für Nichtigkeiten anrufen worden. Etwa, wenn der Nachbar von der anderen Straßenseite am Samstag den Rasen mähte – dabei war es überhaupt kein Problem. Der Samstag galt als ganz normaler Arbeitstag. Und Eren hoffte, dass es dieses Mal nicht wieder so ein kleinkarierter Wichser sein würde… Darauf konnte er nämlich gut verzichten. Die Gardine nun ganz aufziehend schlüpfte Eren in seine Hausschuhe und ging an Mikasa vorbei. Jetzt noch ins Bett zugehen und versuchen wieder einzuschlafen war sinnlos. „Ich mach Frühstück“, meinte er und lief die Treppe hinunter. Ihre Küche war eine dieser großen, hellen Landhausküchen mit weißen Möbeln und einer gemütlichen Sitzecke neben der Gartentür. Eren mochte die Küche. Nicht nur, weil sie schon seit Ewigkeiten so war, wie sie jetzt war. Seine Mutter hatte sie damals ausgesucht. Zumindest hatte sein Vater ihm das gesagt. Als sie hier eingezogen waren, war Eren gerade vier Jahre alt geworden, daher erinnerte er sich nur an das Wenigste, was damals passiert war. Eren öffnete den großen Kühlschrank, nahm ein paar Eier heraus und Sahne. Kochen war zwar nicht seine größte Stärke – vor allem weil er das Aufräumen hinterher hasste wie die Pest – Mikasa war das besser als Hausfrau geeignet. „Das hat Jean auch an mir gehasst“, murmelte er leise für sich, während er die Pfanne auf den Herd stellte und Öl hineinlaufen ließ. Jean hatte es immer gern gehabt, wenn man ihm alles an den Arsch getragen hatte. Und kochen … das hatte Eren eigentlich nur wegen seinem Ex einigermaßen gelernt. Er hatte Jean immerhin … geliebt und hatte es ihm stets recht machen wollen. Und was tat man nicht alles, wenn man die Welt nur durch die rosarote Brille sah? Richtig! Nahezu alles. Leider. Er und Jean waren beide nicht gerade die ordentlichsten Menschen gewesen und auch hatten sie beide einen sehr komplizierten Charakter. Nur sein Ex … war komplizierter, schwieriger und  … chaotisch gewesen. Es war klar gewesen, dass sie nicht lange miteinander auskommen würden. Allein wegen ihrer Vorgeschichte und alle dem. Wie es überhaupt zu einer Beziehung zwischen ihnen kommen konnte, die auf gegenseitigen Gefühlen für einander beruht hatte, konnte er sich noch immer nicht erklären. „Eren. Gleich gibt’s Butter, wenn du die Sahne weiterhin so schlägst. Lass mich.“ Mikasa drängte ihn beiseite, nahm ihm den Schneebesen und die Schale aus der Hand und machte an seiner Stelle die Omeletts fertig. Hatte er seine Wut wirklich so sehr nach außen getragen? „Jean.“ „Ja“, seufzte er und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Es war zu früh, er war müde und im Moment kam all das von damals immer wieder hoch. Er war nun schon etwas mehr als ein Jahr wieder single und doch nagte es immer wieder an ihm. Die Worte, die damals gefallen waren, hatten sein Selbstwertgefühl mächtig angegriffen und Eren hatte noch immer die Befürchtung, dass er sich davon noch immer nicht erholt hatte. Er hatte Angst, wenn er eine neue Beziehung in Erwägung ziehen würde, alles wieder so enden würde. Er wäre zu anhänglich, zu kuschelig, zu liebesbedürftig. Er würde keinen Raum zum atmen lassen, sei aber auf der anderen Seite zu ichbezogen und schlecht im Bett… Jean war nicht seine erste Liebe gewesen und erst recht nicht der erste Mensch mit dem er zusammen war. Aber Sex war immer … ein Muss gewesen. Bisher hatte er es noch nicht erlebt, dass er sich freute, mit jemanden zu schlafen. Diese Art der körperlichen Nähe war stets ein Muss in der Beziehung gewesen und später bei Jean nur noch … Zwang. In all den Büchern oder in all den Filmen hatte es immer so schön ausgesehen, wenn die Paare zusammen waren und auch wenn es nur Filme gewesen waren, hatte die Harmonie gestimmt. Und nach all den Pornos, die er sich angesehen hatte, hatte er gedacht, dass mit ihm irgendwas nicht stimmte. Er hatte diese Anziehung nie gespürt. Allein bei dem Anblick des Freundes Lust auf mehr zu empfinden… Er kannte das gar nicht. „Vergiss ihn. Es ist lang genug her, Eren. Er hat dich gar nicht verdient…“ Der Geruch von Zwiebeln füllte den Raum, zusammen mit dem typischen Geruch von gebratenen Eiern und Tomaten. „Irgendwann kommt jemand, der bereit ist, dich auch auf Händen zu tragen. Du hast Jean lang genug den roten Teppich zu deinem Leben ausgerollt. Es reicht langsam….“ Und erneut war er froh, dass Mikasa nicht alles wusste. Und sie würde auch nie alles erfahren. Wahrscheinlich würde sie dann jetzt sofort mit dem größten Messer aus dem Messerblock lospreschen und Jean noch auf der Ladentheke des Musikgeschäfts die Kehle aufschlitzen. Sie war so. Mit ihrem extremen Beschützerinstinkt und ihrer enormen Kraft, war sie die perfekte Kampfmaschine. Und Eren wusste, dass sie alles für ihn tun würde, wenn es heißen würde, dass er endlich wieder glücklich und ehrlich lachen würde. Eren parkte den Wagen, als er vom Einkauf zurückkam, vor der Garage und wurde bereits von seiner Schwester erwartet. Lautes Donnern war hier zum stetigen Hintergrundsgeräusch geworden. Dachziegel flogen von oben in die Mulden und zerbrachen. Das ging inzwischen schon seit zwei Stunden so. Als er gefahren war, hatte es angefangen und jetzt war er wieder da und es war nicht gerade viel vom alten Dach verschwunden. „Levi.“ „Hm?“ Zwei Einkaufstüten aus dem Kofferraum des Audis nehmend sah er am Auto vorbei zu seiner Schwester. Doch deutete sie nur auf die Person auf dem Dach des Nachbarhauses. „Levi“, wiederholte sie und Eren folgte ihrem Blick. Von hier konnte er zwar kaum erkennen, um wen es sich dort handeln sollte, aber er glaubte seiner Schwester. Mikasa hatte ihm immerhin noch nie irgendeinen Schwachsinn erzählt. „Hat er den Beruf gewechselt oder was?“ „Keine Ahnung. Ich habe ihn kurz bevor du wieder gekommen bist, im Garten herumlaufen sehen.“ „Ist er allein dort oben?“ „Ja. Scheint so. Ich habe keine andere Person gesehen.“ Das Dach ließ man eigentlich ab- und dann neudecken. Dafür gab es Firmen. An ihrem Haus war bisher noch nichts in Eigenregie passiert. „Warum kauft man eine solch derart abrissfällige Bude?“ Zwar war es ein schönes Haus, aber an all die Arbeit in diesem Altbau wollte Eren gar nicht denken… Er war einfach nur froh, dass ihr Vater stets für Renovierungen und dergleichen Leute kommen ließ. Er war einfach kein Freund von Tapeten und Kleister oder Wandfarbe. „Meinst du wir sollten…“ „Nein.“ „Mikasa. Er wird unser neuer Nachbar.“ „Nein. Ich rede mit dem nicht mehr als nötig.“ Eren warf selbst nur noch einen kurzen Blick auf die Person auf dem Dach und nahm dann die Einkaufstüten vom Boden auf, schloss den Kofferraum und folgte seiner Schwester ins Haus. „Vielleicht hilft er auch nur einem Freund.“ „Als ob der Freunde hätte.“ „Na ja…“ Hanji schien zumindest dieser Bezeichnung am nächsten zukommen. Warum sollte er sonst in ihre Vorlesung kommen und ihr von der Bedrohung ihrer Tiere erzählen? „Was?“ Mikasa schien auf das Thema ‚Levi’ genauso aggressiv zu reagieren, wie Eren auf das Thema ‚Jean’ reagierte. „Ich glaube, er ist zumindest mit Hanji befreundet.“ „Mit deiner Dozentin? Dann kann die Frau auch nicht ganz sauber sein.“ „Ich habe nie behauptet, dass Hanji alle Tassen im Schrank hat, Mikasa. Niemand, der Bio studiert ist normal.“ Zumindest war das seine Ansicht. Oder besser gesagt, jeder der an der Trost Uni studiert, war nicht ganz normal. Und abgesehen von den Kunststudenten an der Shingashina war die Trost Uni eine Ansammlung von Irren und Wahnsinnigen, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wussten. Es gab die Nerds, die Technik-Freaks, die Chemiker – das war eine ganz eigene Spezies Mensch. Zumindest wenn man von der Trost Uni ausging. Eren hatte keine Vergleiche zu Hand, aber die Chemiker waren ihm irgendwie unheimlich. Wenn sie mit ihren weißen Laborkitteln durch die Uni-Flure huschten als seien sie Geister. Eren selbst bezeichnete sich als nichts von alle dem. Zwar gehörte er offiziell zu der Fraktion Info-Streber, aber das war eine andere Geschichte. „Ach so. Hier. Das ist für dich gekommen.“ Mikasa hielt ihm einen weißen Umschlag hin, auf dem nur seine Adresse stand. Die Augenbrauen zusammenziehend riss er die Lasche auf und faltete den Brief auseinander. Er trug das Symbol von Wing-Sec. „Und?“ „Jobangebot“, meinte er nur, als er die Worte überflog und dabei nicht überraschter drinblicken könnte. „Mr. Smith hat mich zum Gespräch vorgeladen… Als Teilzeitkraft im IT-Sektor…“ Mikasa nahm ihm den Schrieb aus der Hand. „Sehr geehrter Herr Jäger, aufgrund Ihrer außerordentlichen Leistungen der vergangen Wochen an der Trost University of Science würde ich Sie gern zu einem Gespräch einladen. Wir unterhalten eine enge Zusammenarbeit der Universität, welche Sie besuchen und erhalten bei Zeiten Empfehlungen von Studenten, die kurz vor dem Abschluss, dem Exam stehen. Sie befinden sich derzeit noch weit von einem Abschluss entfernt, jedoch sind Ihre Leistungen hervorragend, sodass ich Ihnen eine Stelle als Unterstützung unseres IT-Sektors anbieten möchte. Ich erwarte Ihre Nachricht. Gezeichnet E. Smith“, las Mikasa den kurzen Inhalt des Briefes laut vor und machte dabei den Eindruck, als wolle sie das Papier gleich zerreißen oder zerknüllen. „Du hast gar keine Zeit für einen Job!“, zischte sie, dabei hatte Eren nicht einmal gesagt, ob er dieses Angebot überhaupt in Erwägung ziehen würde. „Du studierst. Das ist schon ein Vollzeitjob!“, hängte sie wütend hinterher und warf den Brief auf die Anrichte. „Was erlaubt der sich?“ „Mikasa… Es ist doch nur ein Angebot…“ „Denken die überhaupt nicht nach?“ „Mikasa“, versuchte er es noch einmal und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Und ich habe nicht gesagt, dass ich annehmen werde.“ Wobei das Angebot an sich schon verlockend klang. Und irgendwie löste es auch ein wenig Stolz in ihm aus… Ein Empfehlungsschreiben von der Trost Uni. Da musste er aber tatsächlich aufgefallen sein… „Was hast du gemacht, dass du ein Empfehlungsschreiben bekommst?“, wollte sie wissen und sah ihn an. Ihr Blick bohrte sich beinahe in seine Augen und suchte nach einem eventuell versteckten ‚Mit dem Professor geschlafen’. Doch da konnte sie noch so lange suchen. „Zwei Kurse für höhere Semester belegt. In der Revisionsphase. Ich saß in meinen Basiskursen, langweilte mich und belegte zwei Kurse aus den Aufbaumodulen für Viertsemester. Heißt zwar zwei Klausuren mehr in den Semesterferien aber…“ Er hatte gedacht, dass Informatik komplizierter werden würde. Aber er hatte ein Händchen dafür. Er verstand es einfach, konnte mit Programmen umgehen. Zwar war es für viele nicht verständlich, wie er in Mathe einige Defizite haben konnte, jedoch in der Welt der Bits und Bytes derartige Bestleistungen ablieferte. Ehrlich gesagt: Eren verstand es selbst nicht. Es war für ihn wie Atmen. Das war genauso, als würde man einen Linguisten fragen, wie es ist, zu schreiben und zu sprechen… „Scheiß Streber“, meinte sie dann und er nahm die Hände von ihren Schultern, als er ein leises Lächeln auf ihren Lippen erkannte. „Levi.“ Eren fing ihm am Eingang der Halle ab. So hatte er doch extra gewartet, bis der Trainer hier war. Anfangs hatte er nur Mikasa herfahren wollen, aber jetzt hatte er die Möglichkeit gesehen, mit Levi über den erst gestern erhaltenen Brief von Erwin Smith zu reden. Vielleicht wusste Levi etwas davon. „Was ist?“ Es klang bereits jetzt genervt. Wahrscheinlich hatte Eren ihn auf dem falschen Fuß erwischt und doch würde er fragen. „Ich habe eine Vorladung von Mr. Smith bekommen.“ „Hast du das.“ Es war keine Frage, eher eine Feststellung und das mit einem solch nüchternen Tonfall, dass Eren sich zu wundern begann, woran das lag. „Halt das.“ Ihm wurde eine große, schwarze Sporttasche gegen die Brust gedrückt und Levi wandte sich von ihm ab, zog noch in der Drehung das Handy aus der Hosentasche und entfernte sich ein paar Schritte von ihm. Eren konnte beobachten, dass Levi das Gerät ans Ohr hielt und die freie Hand schob er in die Tasche der schwarzen Armeehose. Die Holster fehlten, doch ansonsten trug Levi das komplette Outfit der Wing-Securtiy. Er konnte nicht verstehen, was der Ältere sagte, aber allein die Körpersprache verriet, dass es kein sehr erfreuliches Gespräch war. Lange dauerte das Telefonat jedoch nicht an und Eren stand einfach nur da, hielt die Tasche fest, die ihm übergeben worden war. „Vergiss den Wisch.“ „Warum?“, wollte er wissen und reichte dem anderen die Sporttasche. „Fehler der dämlichen Tippse.“ „Ach so…“ Eren war die Enttäuschung durchaus anzumerken. Er hatte gedacht, er könnte mit anderen, höheren Semestern der Uni mithalten. Und mit dieser Mitteilung und der daraus folgenden Erkenntnis, noch immer auf dem niedrigen Niveau herum zu schwimmen, sank auch seine Laune als auch sein Selbstbewusstsein wieder auf ein Minimum. „Enttäuscht?“ Eren zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Er hatte genug Übung darin, ein falsches Lächeln echt wirken zu lassen. „Nein. Ich hatte mich schon gewundert, warum ein Erstsemester wie ich zu dieser Ehre komme“, log er deswegen schnell und winkte das Thema durch, als habe es ihn überhaupt nicht berührt. Dabei hatte es doch ein paar Kratzer auf seinem Lack hinterlassen. Levis Blick jedoch schenkte ihm nur einen kurzen Blick, schien die Lüge zu erkennen, beließ es jedoch dabei und ging an ihm vorbei. „Fahr nach Hause.“ Er sah ihm hinterher. Es fiel ihm schwer, den anderen zu duzen oder den Vornamen zu benutzen. Ihm war klar, dass Levi es ihm angeboten hatte und die distanzierte Anrede nicht zu mögen schien. Und das obwohl er bei der Armee war und sie zueinander fremd waren. Nur Eren war es gewohnt, Älteren mit dem gebürtigen Respekt zu begegnen. Selbst bei Hanji … Er adressierte sie trotzdem mit dem formalen Sie oder der Anrede Dr. Zoe. Es kam ihm einfach falsch vor. Und bei Levi … Er kannte ihn nicht und es kam ihm einfach zu vertraut vor, ihn zu duzen und doch tat er es. Nur, um nicht den harten Blick zu sehen, der ihm bei ihrem ersten Aufeinandertreffen zuteil worden war. Den Schlüssel aus der Hosentasche ziehend begann er damit zu spielen. Er überlegte, ob er reingehen und zusehen sollte, oder ob er heimfahren sollte. Doch entschied er sich letztlich dazu, zum Auto zugehen und heim zu fahren. Es war Sonntag, daher hatte er zwar auch Zuhause nichts zutun, aber vielleicht könnte er sich dazu aufraffen, wenigstens etwas für die Uni zutun. „Eren?“ „Hm?“ Er sah in Hanjis große, braune Augen, als er aufblickte. Sie stand vor seinem Tisch in dem Seminarraum und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie wirkte verwundert, aber auch besorgt. „Du bist abwesend.“ „Entschuldigen Sie.“ Er nahm die Brille von der Nase, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. „Worüber haben wir gesprochen, bevor du abgedirftet bist?“ Diese Bloßstellung konnte er jetzt echt nicht gebrauchen, aber er beließ es dabei und beschloss, nicht ganz zuzumachen und Hanji abprallen zulassen. Das war etwas, das er gut konnte. Doch konnte er es sich nicht leisten, den einzigen Dozenten zu verärgern, der einigermaßen was auf ihm zu halten schien. „Mutationen in der Genetik“, antwortete er und hoffte, dass es richtig war. „Ja. Und jetzt sprechen wir über Genommutation. Was kannst du mir dazu sagen?“ „Es gibt zwei Arten der Genommutation. Und sie wird mit der Chromosommutation zu Chromosomaberrationen zusammengefasst…“, begann er und versuchte zwischen all den wirren Gedanken die richtigen Informationen herauszupicken. „Das ist immerhin schon einmal ein Anfang.“ Sie sah sich um und nahm jemanden aus dem Raum dran, der Erens Ausführung präzisierte, ehe sie sich zu ihm hinunterlehnte. „Mein Büro. Um eins. Bring zwei Kaffee mit.“ Es war keine Einladung auf ein Gespräch, es war ein freundlicher Befehl und Hanji schenkte ihm noch ein kurzes Lächeln, ehe sie wieder nach vorn an die Tafel schritt. Irgendwie schaffte er es, zu klopfen. Die beiden großen Becher Kaffee stapelte er übereinander, als er ein Herein hörte und die Klinke hinunterdrücken musste. Hanji saß in einem schwarzen, bequem wirkenden Bürostuhl, der Monitor zeigte irgendwelche Tabellen und Grünpflanzen versperrten beinahe die Sicht aus den großen Fenstern. Sie hatte das Büro für sich allein. Andere Dozenten teilten sich die Räume. Aber scheinbar hatte man als ‚Doktor der Biologie und der Chemie’ Sonderrechte an der Uni. Eren stellte die Kaffeebecher auf dem chaotischen Tisch ab und ließ sich selbst auf den Stuhl für Besucher fallen. Seine Tasche auf dem Boden absetzend sah er sich um. Hanji sagte nichts, ließ ihn einfach machen und ein unangenehmer Schauer lief über seinen Rücken, als die Wand mit den Terrarien erkannte. In einem kroch eine handflächengroße Vogelspinne herum. Eren konnte es nicht verhindern, dass er erschauderte. Diese Viecher waren ihm einfach unheimlich… Und mit einem derart großen Exemplar in einem Raum zu sein… „So, Eren.“ Sein Blick schoss zurück zu Hanji. „Was ist los?“, fragte sie und lehnte sich zurück, überschlug die Beine und nahm ihre randlose Brille von der Nase, um die Gläser mit einem Tuch zu reinigen. „Es ist nichts Wichtiges.“ „Wenn du so derart in einer anderen Welt verschwindest, ist es etwas Wichtiges.“ „Verzeihen Sie, dass ich unaufmerksam war. Es kommt nicht mehr vor.“ „Ich habe dir gesagt, du sollst mich Hanji nennen.“ „Es kommt mir falsch vor“, antwortete er ehrlich. Zwar sprach er zu Hause immer von Hanji, aber er würde sie niemals so nennen können. „Wir sind keine Freunde, keine Bekannte. Sie sind meine Dozentin. Es ist nicht richtig.“ Er hatte es von seiner Mutter über all die Jahre beigebracht bekommen und es war schwer, mit Angewohnheiten zu brechen. An der Schule war es normal und hier war es das ebenso. Zwar war er für sein loses Mundwerk und seine manchmal raue Art bekannt gewesen, aber dennoch würde es ihm im Traum nicht einfallen, einen Vorgesetzten zu duzen. Und Hanji war eben das. Jemand, der im Rang weit über ihm stand. „Dann lass uns Freunde sein, Eren. Ich merke doch, dass dich etwas belastet.“ „Nein. Mich belastet nichts.“ Dabei war das die größte Lüge, die er in den letzten Jahren erzählt hatte. „Hm. Du lügst“, folgte Hanjis nüchtere Antwort und sie schob die Brille zurück auf die Nase. „Was ist los?“ Er konnte ihr nicht von allem erzählen. Und auch nicht von gestern. Und … „Erzähl ruhig. Ich höre dir zu. Deswegen habe dich hergebeten.“ Sie langte nach einem der Kaffeebecher, nahm den Plastikdeckel ab und zog eine Schachtel mit Zuckerwürfeln aus einem Regel hinter ihr. „Ich möchte, dass meine Studenten in einwandfreier Verfassung sind. Noch ist es das erste Semester. Aber die Schonfrist wird bald zu Ende sein, Eren. Dann brauchst du deine volle Konzentration.“ „Ich weiß“, meinte er kleinlaut und erkannte sich selbst nicht wieder. Er war ohnehin nicht er selbst seit einigen Monaten. „Also?“ Eren begann mit dem Saum seines Shirts zu spielen und richtete den Blick zu den Terrarien zurück. In einem konnte er eine Echse erkennen, die sich gerade mühsam auf einen der Stämme quälte und sich dann gemütlich dort niederließ, wo es am wärmsten war. Jetzt gerade wünschte er sich, mit diesem Tier zu tauschen. Er wollte sich auch einfach nur auf einen Stamm legen und keine Sorgen mehr haben müssen. „Ich bin gestern Blumen kaufen gegangen. Meine Schwester, Mikasa, hat die Chance bekommen auf eine Meisterausbildung. Sie ist Frisörin und ich dachte, ein paar Blumen wären nicht verkehrt. Sie mag keine Schokolade“, begann er dann einfach und beobachtete die Tiere in ihren gläsernen Heimen. „Ich bin in den Blumenladen an der Ecke. Der, mit der schönen Schaufensterdekoration und wollte ihr einen Strauß mit blauen Iris zusammenstellen lassen. Ich kenne den Besitzer vom sehen und die Angestellten auch. Und Marco, einer der bereits ausgebildeten Floristen ist ein echt netter Kerl. Sympathisch, zuvorkommend und hilfsbereit – der Inbegriff eines Sunnyboys. Ich mochte ihn von Anfang an. Er war den Tag auch da, freundlich wie immer und hat gleich gefragt, was ich wollte. Es lief alles so wunderbar, bis die Tür erneut aufging und Jean herein kam. Jean ist …“ Konnte er das jetzt sagen? Aber sicherlich wäre Hanji die letzte, die ihn deswegen verurteilen würde, oder? „Er ist mein Ex. Und plötzlich war die Stimmung in dem eigentlich gemütlichen Laden völlig dahin.“ Ein tiefes Seufzen verließ seine Lippen und er schüttelte leicht den Kopf. „Ich sollte Ihnen das nicht erzählen.“ „Doch!“ Es klang ein bisschen zu interessiert und als Eren zu ihr zurück sah, erkannte er tatsächlich ein interessiertes Funkeln in diesem dunklen Braun ihrer Augen. „Erzähl ruhig.“ „Schreiben Sie eine Doktorarbeit in Psychologie oder so ähnlich?“ „Nein. Ich könnte, aber ich will nicht. Aber erzähl ruhig.“ Sie nahm einen großen Schluck des Kaffees und nickte ihm dann zu. „Ok…“ „Jean. Was ist mit ihm? Warum habt ihr die Beziehung beendet?“ „Letztes Jahr hat es … einfach nicht mehr gepasst.“ „Letztes Jahr? Und du – Was ist passiert?“ Er wusste, dass es für die meisten nicht verständlich war, warum dieser Name noch immer eine solch große Wirkung auf ihn hatte. Und auch Hanji war da keine Ausnahme. Aber sie wusste auch nicht, wie er selbst früher war. Sie kannte nur sein jetziges Ich. „Ich habe noch mit niemanden darüber gesprochen. Nicht einmal mit meiner Schwester…“ „Scheinbar wird es aber Zeit dazu, wenn es dich noch immer belastet.“ „Zu Beginn konnten wir uns nicht ausstehen. Wir gingen zusammen in die Mittelschule, er hatte damals die Schule gewechselt und kam zu uns in die Klasse. Wir waren wie Feuer und Wasser. Ein blaues Auge nach dem anderen – Sie kennen das bestimmt. Zwischen Jungs ist das nun mal so. Man kann einander einfach nicht ab. Und irgendwann, er kam eigentlich um meine Schwester zu sehen – ein Vorwand wie ich später merkte, um mich zu sehen. Ich habe keine Ahnung, wann wir diese Gefühle für einander entwickelt hatten, aber sie waren dann einfach da. Am Anfang der Beziehung war auch alles ok, es war wie jede normale Beziehung eben sein sollte.“ „Aber?“ „Der Sex.“ Eren spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Er sprach nicht gern darüber, fühlte sich dann schwach und angreifbar. Es war ihm nicht direkt peinlich, aber es war einfach … ein unangenehmes Thema. „Er war nicht mein erster Freund, natürlich nicht. Ich hatte meine erste Beziehung mit fünfzehn, mein erstes Mal im selben Alter. Ich kam mit Jean zusammen, als wir beide beinahe siebzehn waren. Dazwischen hatte ich den ein oder anderen Versuch einer Beziehung, die jedoch alle den Bach runter gingen. So auch mit Jean. Er entwickelte sich zu dem Klischeebild eines Machos, dabei war klar dass ich über ihm stand. Er wusste das auch. Er fühlte sich in meiner Gegenwart klein, das meinte zumindest meine Schwester. Ich machte den besseren Schulabschluss, hatte die besseren Noten und war … beliebter als er.“ „Und wie hat sich seine Veränderung noch geäußert?“ „In Gewalt… Ich war nie der Typ der gleich losschlug, er war es immer gewesen, von dem die körperliche Gewalt ausgegangen war. Schon damals in der Schulzeit, vor der Beziehung. Er versuchte mich mit Worten fertig zu machen, mein Ego war zu der Zeit etwas stabiler. Und als es nicht klappte, wurden aus Worten Schläge. Und um zum … Problem zurückzukommen…. Ich habe Sex nie als … gut empfunden. Es hat … mir nie Spaß gemacht und ich habe mich nie … von meinem Partner angezogen gefühlt…“ „Wie kam es?“ „Dieser Zwang, dieses Muss. Man muss Sex haben, um eine Beziehung funktionsfähig zu halten. Beim ersten Mal kam es so abrupt und ich hatte meinen Freund nicht enttäuschen wollen, hatte ihn nicht verlieren wollen, weswegen ich einfach zugesagt hatte. Und … es war der reinste Horror…“ Eren biss sich auf die Unterlippe. Er hatte nicht die Chancen gehabt, einen Orgasmus zu faken – Frauen hatten es da einfacher. Aber es hatte seine Partner nie interessiert. Die einzigen Höhepunkte hatte er, wenn er sich selbst befriedigt hatte und das war traurig genug. „Und auch bei Jean … Er hat es irgendwann realisiert und begonnen, mich damit nieder zu machen. Wie genau – das möchte ich nicht erzählen.“ Die Erinnerung daran tat schon weh genug. „Er hat’s geschafft, mich auf den tiefsten Punkt meines Selbst zu bringen und mich dort zu halten. Ich begann nach seiner Pfeife zu tanzen, zu laufen, wenn er nur schnippte und …“ „Dein Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein hat einen mächtigen Knacks bekommen. Das kann man sehen. Du zögerst, wenn du im Unterricht etwas sagt. Du stellst dich selbst mit allem in Frage, selbst wenn die Antworten richtig sind. Die Beziehung zu diesem Jungen hat dich … gebrochen.“ „Ich weiß.“ Zu lange hatte er sich von Jean hin und her schubsen lassen, bis er nicht mehr wusste, wer er eigentlich selbst war. Und selbst jetzt wusste er noch nicht. Manchmal fühlte er sich selbst gegenüber fremd. Es war bei Gott kein schönes Gefühl. „Es hat mich so verletzt, dass er dann einfach gegangen war… Und dann fand ich heraus, dass er mich über drei Monate hinweg mit einem anderen betrogen hatte. Mit …“ „Dem Floristen.“ „Mit Marco. Ja. Und zu sehen, wie liebevoll Jean mit ihm umging… Gestern …“ Eine Taschentuchpackung erschien in seinem Sichtfeld und erst da realisierte er, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. „Entschuldigung“, meinte er nur, zupfte ein Tempo heraus und wischte die Tränen schnell weg. Das war ihm genauso peinlich wie die ganze Geschichte an sich. Männer weinten nicht. Es war ein Zeichen für Schwäche und er wollte verdammt noch mal nicht mehr schwach sein! „Das macht doch nichts, Eren.“ Hanji klang immer so verständnisvoll. Wie eine Mutter, oder eine Kindergärtnerin, die die Kinder tröstete. Er fühlte sich irgendwie wohl in ihrer Nähe. Ihre Art beruhigte ihn… „Und dann noch … Am Samstag bekam ich eine Vorladung von Erwin Smith. Er hat mir eine Stelle im IT-Sektor der Firma angeboten…“ „Einem Erstsemester? Dann musst du gut sein.“ „Nein.“ Eren biss sich auf die Unterlippe, fixierte einen Punkt im Raum und versuchte den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken. „Ich habe mit Levi gesprochen.“ „Levi Levi?“, hakte sie nach und Eren nickte. „Der, der den Tag hier war. Wegen Ihren Tieren…“ „Woher kennst du ihn?“ „Er ist der Trainer meiner Schwester – Matial Arts…“ „Ach. Also was war mit dem Gespräch?“ „Ich weiß, dass er bei Wing-Sec arbeitet. Ich habe ihn gefragt, wegen des Briefs und er hat sofort bei jemanden angerufen. Es war … nur ein Fehler der Sekretärin. Ich hatte den Brief niemals bekommen dürfen.“ „Hey, Eren. Das sagt doch nichts darüber aus, ob du etwas kannst oder nicht?“ „Informatik ist das einzige, was ich richtig kann. Ich liege in den Kursen der höheren Semester im ersten Drittel… Ich…“ „Eren.“ Ihre Hand legte sich auf seine, als er begann das Tempo in kleine Stücke zu zerpflücken. „Setz dich nicht selbst so sehr unter Druck.“ „Ich will aber beweisen, dass ich…“ „Dass du doch für etwas zu gebrauchen bist?“, hakte sie nach und traf damit den Nagel auf den Kopf. „Ich will etwas wert ein, Doc. Ich will … endlich wieder etwas wert sein.“ Er schluckte trocken, spürte, wie seine Kehle sich zuschnürte. „Ich habe Angst, zu versagen und ich … ich will das nicht…“ „Eren. Hey, Eren!“ Sie stand auf und trat auf ihn zu. Ihre warmen Hände legten sich an seine Schultern und sie zog ihn an sich. Und aus einem Reflex heraus schlang er die Arme um ihre schmale Hüfte, hielt sich in dem Stoff ihres Pullovers fest. „Alles wird gut“, flüsterte sie und er spürte Hanjis Finger, die durch sein Haar glitten. Er stand an seinem Fenster und starrte hinaus auf das Grundstück nebenan. Das Dach des Hauses war vollkommen abgedeckt und ein großer LKW lieferte gerade palettenweise schwarze Dachziegel. Er konnte Levi dort stehen sehen. Die Arme vor der Brust verschränkt, beäugte sein zukünftig neuer Nachbar die Taten des Lieferanten. Zwei weitere Männer mit grauen Arbeitsklamotten standen ebenso da. Wahrscheinlich professionelle Dachdecker. Von der Statur her, konnte es hinkommen. Erens Blick glitt zum Haus. Es war ein neuer Dachstuhl gezimmert worden. Da helle Holz strahlte beinahe und das trotz des tristen Wetters. Darunter war grüne Plane angebracht worden. Eren hatte keine Ahnung davon. Er wäre überhaupt keine Hilfe bei solchen Angelegenheiten. Der Fahrer des LKW stieg vom Kran, schritt zu Levi und den beiden anderen. Es schienen ein paar Worte zu fallen, dann folgte ein lässiger Handschlag zwischen dem Fahrer und Levi, ehe ersterer wieder in das Fahrerhaus verschwand und davon fuhr. Als der Ex-Militär sich jedoch in die Richtung seines Hauses wandte, blieb sein Blick an Erens Fenster hingen und Eren verschwand schnell zur Seite. Er wollte nicht spannen oder so etwas in der Art. Er hatte nur nichts zutun, war allein zu Hause. Drei seiner Professoren waren krank, weswegen der komplette Donnerstag für ihn ausfiel. Und Mikasa war noch arbeiten. Warum Levi um diese Uhrzeit – zwölf Uhr am Mittag – frei hatte, wusste er nicht. Aber auf der anderen Seite hatte es ihn auch nicht zu interessieren, was? Er entschied sich, sich umzuziehen und Mikasa im Salon einen kurzen Besuch abzustatten. Es dauerte nicht lange, bis er dort angekommen war, wo er hinwollte. Um diese Zeit waren die Busse leer und die Haltestellen reduzierten sich auf ein Minimum. Als er ausstieg und die wenigen Meter bis zum Salon lief, erkannte er bereits die beiden Aufsteller des Ladens. Der Salon an sich hatte ein angenehmes Ambiente. Rote Wände ließen den großen Raum gemütlich und warm wirken, der Tresen für die Termine und das Kassieren war direkt in der Mitte aufgestellt und aus weißem Holz gefertigt. Die Stühle waren weiß, die Spiegelhalterungen ebenso. Es war dieser Kontrast zwischen den Farben, der einfach alles angenehm werden ließ. „Eren?“ „Hi“, meinte er nur und setzte eines seiner Lächeln auf, als eine Kollegin Mikasas auf ihn zukam. Mina war eine der wenigen Auszubildenden hier im Betrieb. Schwarzes Haar, dunkle Augen – eine unspektakuläre, fast langweilige Ausstrahlung. Sie war uninteressant. Vielleicht war das der Grund, warum sie selten Kunden hatte. Ihre Kopfmassage war grauenhaft, ihr Typverständnis immer daneben und sie machte dennoch weiter. Obwohl der Job nichts für sie war, war sie noch immer hier. Bewundernswert. „Ist Mikasa da?“ „Ja. Moment.“ Sie verschwand für den Bruchteil einer Minute und kam mit seiner Schwester zurück. Sie schien gerade Pause gemacht zu haben. „Stör ich?“ „Nein. Ich habe nur meine Sachen in die Spülmaschine geräumt. Hätte ohnehin weitermachen müssen. Was gibt’s?“, wollte sie wissen und schwang den Gürtel um die Hüften, in welchem sich Rasiermesser, Kämme und Scheren befanden. „Kannst du daran was ändern?“ Er nahm eine längere Strähne seines braunen Haars und hob sie an. Sein Haar war inzwischen bis auf die Schultern gewachsen und sah einfach nur schwachsinnig aus, wenn keine Form darin war. Er hatte zwar schon versucht, der ganzen Masse selbst Herr zu werden, nur war es ihm nie gelungen. Eigentlich hatte er Mikasa nie fragen wollen, aber jetzt reichte es ihm doch langsam. Er passte diesbezüglich perfekt in die Informatiker-Gruppe, aber er trug nicht durchgehend Bandshirts und gab etwas auf Körperhygiene. Daher wollte er nicht wie ein Möchtegern-Metalhead wirken. „Kurz? Wie früher?“, fragte sie und deutete in die Richtung der Waschbecken. „Ich dachte an etwas, das nur ein bisschen kürzer ist, aber mehr Stufen hat…“, erklärte er dann. Eigentlich wollte er eine dieser momentan modernen Herrenfrisuren mit längerem Haar. Ganz kurz würde ihn nur wieder wie ein Kind wirken lassen. „Ok… Vielleicht ein paar hellbraune Strähnen…“, schlug seine Schwester vor. „Um es etwas frischer wirken zu lassen.“ Er ließ sich auf den Stuhl vor dem Waschbecken sinken und lehnte den Kopf zurück. „Hat es irgendeinen Grund?“ Eren musste an die Unterhaltung mit Hanji vor zwei Tagen denken und gab deswegen ein angedeutetes Nicken als Antwort. „Mach dich wieder interessant. Verändere das, was dich selbst an dir stört. Geh vorwärts, ohne zurückzusehen und denk an das, was du kannst. Denk an das, was du wirklich kannst. Lass dich nicht von Worten runterziehen, die nur dazu gedacht waren, dich zu verletzen, dich zu zerstören. Du bist du. Du gehörst nur dir. Denk immer daran.“ Das Gespräch mit Hanji hatte ihm etwas gegeben, was ihm nicht einmal ein Gespräch mit Mikasa hätte geben können. Mikasa war so alt wie er, hatte dieselben Lebenserfahrungen wie er. Aber Hanji war älter, hatte mehr erlebt, mehr Jahre gesehen als er. Und es hatte … gut getan, darüber zu reden ohne einen mit Sorgen getränkten Blick zusehen oder Morddrohungen zu hören. „Ein Neuanfang.“ Zumindest hoffte er auf einen Neuanfang. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)