Geheimnis in Dalaran von Skampi835 ================================================================================ Kapitel 1: In der Kammer ------------------------     Eine Gestalt huschte in der finsteren, kaum drei Schritte großen Kammer von einer Seite zur anderen. Kein Fenster war geöffnet, sodass man ihn, oder das was in der Kammer verborgen lag hätte sehen können. So war es nicht verwunderlich dass etwas scheppernd zu Boden fiel - etwas anderes rollte darüber - und ein gezischtes »Fahr doch zum Nether!«, erklang. Kurz darauf zischte es und es folgte ein erleichtertes Seufzen, als sich der Schein der entfachte Kerze entfaltete und die engen Wände des Raumes beleuchtete. Die Konturen der Regale waren in dem einfachen Kerzenschein deutlich zu erkennen und ein Schimmern huschte über diese. Die Kerze schwebte in der Luft und der Mann hob weitere mit dem wisch seiner Hand in die Luft, die vorher auf dem Boden verstreut gelegen hatten. Leises knistern folgte und diese entfachten sich ebenfalls und der Lichtkegel wurde immer größer und heller. Er würde neue hierher bringen müssen, denn einige hatten den Sturz aus dem Regal nicht gänzlich unbeschadet überlebt.   Mit jeder Kerze die entfacht wurde, erkannte man immer mehr von der Kammer. Sie war kreisrund und drei abgegrenzte Regale zierten die gebogenen Steinwände. Sie sahen vollgestopft aus, doch nur der Magus wusste, dass die verschiedenen Truhen, Bücher und einzelnen Pergamentfetzen geordnet waren. Der Mann - der einen graublauen Umhang und einen ebenso grauen Hut trug - kniete sich zu seiner Tasche hinab und zog eine hölzerne Kiste heraus. Oder sagen wir vielmehr, er mühte sich damit ab die Kiste aus seiner Tasche herauszubekommen. Vielmehr war es, dass er das Leder von der Kiste abstülpte. Er zog kräftig daran und fragte sich dabei, wie im Namen von Graumähne er es eigentlich geschafft hatte die Kiste durch die kleine Öffnung zu pressen. Mit einem weiteren Ächzen befreite er die Kiste von der Tasche - oder umgekehrt - und trug sie zwei Schritte weiter zu einem Regal. Er sah angestrengt aus, während er die Kiste in die unterste Reihe des Regals stellte. Das Holz ächzte, als er sie mit einem leisen Klirren des Inhalts abstellte, doch vielleicht auch nur, weil direkt neben dieser Kiste noch eine weitere, fast identische Kiste bereits gestanden hatte. Er selbst rieb sich die Hände.   Der Mann löste das einfache Schloss an der Frontseite und hob den Deckel um hineinzuspähen. Eine schimmernde Oberfläche aus runden Goldstücken ruhte in der Kiste, die von dem Kerzenschein fast flackerte. Der Magus strich darüber, wobei sich die runden Taler bewegten und es leise klirrte. Leise seufzte der Mann und zog sich seinen Hut vom Kopf um mit der rechten Hand über die eine Lederstulpe gebunden war, durch die schwarzen Haare zu fahren. »Ich weiß, dass es für dich weder ein Trost sein wird, noch dass es deine Schmerzen lindern wird. Und doch würde es eine Hilfe in Nöten sein, sollte es soweit kommen, Riwena.« Die Gedanken des Mannes entglitten ihm kurz, ehe er den schweren Deckel wieder schloss. In dieser Kiste befanden sich 15.000 Goldstücke und in der identischen Kiste daneben, noch einmal der selbe Betrag. Doch dies, war nicht das einzige, das er ihr hinterlassen wollte, sollte er nicht in ihrer Nähe sein um zu helfen, oder ihn ein frühes Ende ereilen.   Der Magus erhob sich aus seiner Hocke und blickte mit seinen braunen Augen über das Regal vor dem er stand. Vom Eingang der Kammer aus gesehen, dessen Tür inzwischen verschwunden war, stand dieses links und deckte 1/3 der Wand ab. Die Regale waren nicht sonderlich hoch, knapp über seiner Kopfhöhe befand sich die oberste Ablagestelle und einen halben Fuß darüber war bereits die Decke der Kammer erreicht. Das Regal war vollgestopft mit verschiedenen Kästchen, Truhen und Schatullen die in dem Kerzenlicht flackerten. Einige bestanden aus einfachem Holz, andere aus Silber und Gold, oder hatten Fassungen für angereihte Edelsteine die in verschiedenen Farben und Formen funkelten. In ihnen ruhten Edelsteine, die er eigenhändig sondiert und aufbereitet hatte. Viele hatte der Mann bearbeitet, geformt, geschliffen und Schmuck daraus gefertigt, doch ein Großteil dieser Edelsteine ruhte in seiner Rohfassung als Brocken oder Splitterscherben in den Truhen.   Mit den Fingern strich der Mann über eine besonders hervorstechende Schatulle aus Mammutelfenbein. Vielleicht lag es aber auch einfach nur an der Tatsache, dass diese kleine Schatulle alleine in einer ganzen Regalreihe auf Brusthöhe stand. Mit dem Daumen fuhr er über die winzigen, detaillierten Einkerbungen und Verschnörkelungen in der Form von Rosenranken und Blättern, die an der Deckeloberseite in ein Wappen einflossen. Das Wappen von Gilneas. Er drückte leicht darauf und mit einem leisen Surren und einem Klicken öffnete sich der Deckel der Elfenbeinschatulle.   Das Innere war mit einem braunen Samtstoff ausgepolstert. Ein ovales, daumengroßes, goldenes Medaillon mit feinen Einkerbungen auf dem Deckel ruhte darin. Es erinnerte an einen Stiel, den man schon lange nicht mehr gesehen hat. Vielen aus Gilneas mögen die Verschnörkelungen jedoch bekannt vorkommen, denn dort hatten die Damen hoher Schicht Schmuck mit ebensolchen Einkerbungen getragen und die anderen, die sich ein solches Schmuckstück nicht leisten konnten, kannten ihn dennoch. Es war ein Muster, welches sich einprägte und welches man immer wieder erkannte, egal wie lange man es nicht gesehen hatte. Das Medaillon ruhte zusammen mit einer langen, goldenen Kette darin. Der Magus nahm es an der Kette heraus und bettete es in seine Handfläche, ehe er es mit sanften Druck auf die Seite öffnete. Der verzierte Deckel schnappte langsam auf und er las über die Gravur die in der Innenseite des Deckels stand. »Es sind die schönen Erinnerungen, die zählen. In Liebe Dreorwyn.«   Der Mann seufzte schwer. Er hoffte es würde noch lange keine solche Zeit kommen, in der man ihn in Erinnerungen bewahren musste. Doch womöglich würde diese Zeit kommen. Mochte es auch nur durch einen magischen Unfall geschehen, in dem er sich zwischen Zeitebenen aufhielt und verfing. Er schloss den Deckel des Medaillons wieder und bettete es in den Samt der Elfenbeinschatulle, ehe er diese wieder schloss. Sein Blick glitt über die anderen Truhen und Schmuckkästchen die er hier gelagert hatte, die Schmuck, Gold und Edelsteine die er selbst hergestellt hatte beinhalteten. Die Münze könnte seinen Wert verlieren, aber dann könnte Riwena den Schmuck verkaufen, ebenso wie die Kästchen die diesen beinhalteten. Dreorwyn hoffte allerdings, dass sie dieses Medaillon, als sein letztes Geschenk an sie behalten würde.   Dafür, dass Dreorwyn ein - so nebenbei ziemlich guter - Goldschmied und Juwelier war, trug er selbst sehr wenig Schmuck bei sich. Das einzige was er bei sich trug, war ein Kristall in der Form einer Tropfenspitze in einer silbernen Fassung. Doch dieses Schmuckstück erfüllte auch nur einen sinnvollen Zweck und half ihm dabei, seine Magie besser unter Kontrolle zu behalten. Riwena, seine Lebensgefährtin und - leider - immer noch nicht Frau, handhabte dies ebenso. Schmuck war schön, doch es sollte nicht zu dick damit aufgetragen werden. Sie hatte ihre ganz eigene Vergangenheit, ebenso wie der Magus, vielleicht mochte es auch daran liegen.   Der Mann schüttelte seinen Kopf und die schwarzen Haare, die wieder einmal zu lang geworden waren flogen in alle Himmelsrichtungen. Mit einem energischen wisch seiner Finger legten sie sich etwas, doch sie waren zu widerspenstig. Er sollte dringend wieder einmal zum Babier. Seufzend drehte er sich dem anderen Regal zu, es stückelte direkt an jenes mit den Kisten und Schmuckschatullen. In diesem Regal befanden sich Bücher, teilweise sehr dicke Bücher und Dreorwyn wusste, wie schwierig einige Seiten von ihnen zu verstehen waren.   Drei Regalreihen sahen fast identisch aus. Zwei bis drei Bücher waren je ganz links aufgereiht. Mit etwas Abstand, ruhten einer oder zwei Stapel Pergamente daneben die mit einem Briefbeschwerer - einem einfachen Marmorstumpen - an Ort und Stelle festgehalten wurden und rechts davon ein paar Notizbüchlein. Auch wenn sich die drei Regalreihen auf den ersten Blick kaum unterschieden - außer dass eines den doppelten Inhalt hatte - war der Unterschied des Inhalts doch massiv.   Sie repräsentierten zwei der großen Runenoberklassen, Macht und Schutz, wobei die dritte Regalreihe eine Unterkategorie, Bannung für sich beanspruchte. Welchen Grund hätte er auch gehabt, Riwena in die Runen der Flüche einzuführen? Sie war so magisch wie ein Kaffeebecher, doch wenn sie diese Runen irgendwann einmal brauchen würde, wollte er nicht, dass sie Flüche nutzte die er ihr hinterlassen hatte. Die Bücher am Anfang der Regalreihen waren einfache Lehrbücher, die den Leser in die Handhabung der Runen einführen sollte. Es war etwas ausführlich, aber aus diesem Grund hatte Dreorwyn noch seine Notizbüchlein dazugelegt.   Die verschiedenen Symbole, die mit Magie in den Pergamenten eingebrannt waren, sowie die Bedeutung der magischen Macht die in ihnen wohnte und die Wirkung würden um sehr vieles klarer werden, wenn man die Bücher las. Riwena würde sich durch die Bücher lesen müssen und sich vieles merken, Formeln und Hinweise beachten, doch - und dessen war sich Dreorwyn sicher - würde sie wissen, wie man sie einsetzen konnte, wenn sie die Runen in Anspruch nehmen müsste. Die Magie, die diesen Pergamenten innewohnte, war mehr wert als all das Gold und die Edelsteine, die in dem ersten Regal lagen. Doch sollte er nicht mehr sein, konnten diese Runen Riwena schützen.   Dreorwyn zog eines der Bücher in dem mittleren Regal heraus. »Schutzrunen, einfache Anwendung.« Das Buch war bestimmt dicker als jedes Geschichtsbuch, welches Dreorwyn je gesehen hatte. Viele Seiten hatte er markiert, sodass es fast schon unübersichtlich wirkte. Er schlug es auf und überflog die ersten Seiten.   *****   »Runen sind eine uralte Schrift, die Formen verschiedener Leylinien nachbildet und so Symbole formt, welche Magie aus dem Nether saugen. So können selbst magieunbegabte auf den Schutz und die Macht magischer Kräfte zurückgreifen. Runen zu schreiben, die auch tatsächlich magische Kräfte innehaben, ist nicht einfach. Ähnlich wie bei vielen Zaubern kann es eine Weile dauern, bis die Rune magische Kräfte freisetzen kann. Ausnahme sind Runen, die direkt auf bestimmte Kraftfelder zurückgreifen können. Je komplexer und mächtiger die Rune, desto länger dauert der Prozess des Aufladens. Runen sind eine Kraftquelle, ein magischer Speicher.«   *****   Dreorwyn blätterte auf die erste Markierung die er in den Seiten gelegt hatte.   *****   »Geht man davon aus, dass man mit Magie nichts zu tun hat, so kann man die Kräfte dennoch benutzen. Man muss sich dann aber vergegenwärtigen, dass die Kraft in den einzelnen Runen irgendwann aufgebraucht ist. Viele Runen haben eine standardmäßige Wirkung von einem halben Tageslauf, bis zu drei Sonnenläufen. Je länger Magie auf eine Rune gewirkt wurde die verschlossen in dem Pergament ruht, desto länger ist die Wirksamkeit. Viele Schutzrunen sind auf einem Zeitraum von einem halben bis einem ganzen Mondzyklus ausgelegt. Es wird dem Magieformer der die Rune zeichnet sehr viel Magie kosten, um einen solchen Zeitraum zu beanspruchen, egal welcher Magieklasse er sich befindet.«   *****   Der Magus runzelte die Stirn. Warum genau hatte er hier eine Markierung gemacht? Riwena sollte kein schlechtes Gewissen oder dergleichen haben, weil er die Runen für sie angefertigt hatte. Außerdem hatte er so den magischen Überschuss abfiltern können, der ihn früher geplagt hatte, seitdem er diese 'Krankheit' gehabt hatte. Zu dieser Zeit hatte er sich dem Tal nicht genähert, wollte es auch gar nicht. Die Magie in ihm war unkontrollierbar geworden und nur die komplette Aufzehrung und schließlich der Kristall um seinen Hals, hatte zu einer Linderung verholfen. Dreorwyn seufzte und entfernte die Markierung auf der Seite. Es ratschte und eine kleine Ecke der Seite befand sich zwischen seinen Fingern, mit der Markierung. Genervt rollte er mit den Augen. War ja klar, dass ihm so etwas passierte. Dreorwyn blätterte auf die nächste Markierung, in der Hoffnung, diese nicht ebenfalls entfernen zu müssen.   *****   »Die Nutzung einer Schutzrune ist auch ohne magische Fähigkeiten sehr simpel. Man benötigt ein aufgeladenes Pergament mit der besagten Rune. Man zeichnet das Symbol zuerst auf dem Pergament nach, damit weckt man die Aufmerksamkeit der Magie. Anschließend zeichnet man die Rune in die Luft, den Gegenstand, oder die Person die geschützt werden soll. Anschließend tippt man auf das Blatt. Die Magie wird daraufhin freigesetzt und die Rune verschwindet von dem Pergament. Sie könnte in der Luft sichtbar sein, wenn sie auf einen Bereich gewirkt wurde, auch auf einem Gegenstand kann man ihn sehen. Allerdings wird eine Schutzrune, sollte sie sorgfältig angefertigt worden sein, nie auf einer Person selbst sichtbar.«   *****   Der Magus nickte zu sich selbst, schloss das Buch wieder und platzierte es wieder zu dem Stapel mit den Schutzrunen. Die eingebrannte Magie, welche in den Pergamenten schlummerte würde ewig erhalten bleiben, bis sie genutzt werden würden. Seine Liebe zu Riwena, würde ebenfalls ewig währen, selbst über seinen Tod hinaus.   Dreorwyn blickte über die unterste Regalreihe. Die Bücher der Magie, die dort gestapelt waren, würden Riwena weniger von Nutzen sein, aber vielleicht würde sie von ihnen etwas lernen. Vielleicht, dass Magie nicht nur schlecht war. Oder sie würde sie jemanden der anderen Animae Lupi geben, der sie gebrauchen konnte, oder einem verlorenen Kind...   Er richtete sich wieder auf. Sein Blick blieb an einem Stapel zusammengebundener Briefe hängen, die in dem angrenzenden Regal gestapelt lagen. Dieses Regal war vermutlich das unübersichtlichste. Überall lagen Schriftrollen, versiegelte aber nicht abgeschickte Briefstapel, Skizzen und Zeichnungen, Bücher, entweder noch heil, oder zerfleddert und teilweise zerrissen und Pergamentfetzen herum.   Doch diese zusammengebundenen Briefe ließen sein Herz erwärmen. Der Mann nahm sie und band das Paket liebevoll auseinander. Wie gerne er doch diese Briefe las. Diese Zeit konnte er sich noch nehmen, danach müsste er aufbrechen. Schließlich wollte er nicht zu spät kommen. Über den Nachmittag bis  zum Abend füllte sich für gewöhnlich das Weitblicktal mit den Animae Lupi. Sei es für eine Besprechung, eine zeremonielle Aufnahme in ihre Gemeinschaft, oder weil sie zusammensaßen, etwas aßen und über den Tag sprachen. Am Abend nahm man die Mitglieder der Gemeinschaft mehr denn je wahr.   Als Dreorwyn seine Kammer in der Bank von Dalaran aufgesucht hatte, war es noch Nacht gewesen. Jetzt würde es bestimmt bereits Dämmern und die Frühaufsteher gingen ihren Geschäften und den täglich anfallenden Arbeiten nach. Selbst er, war bis gestern noch so früh aufgestanden, um für seinen Meister zu schmieden, Edelsteine in ihre Formen zu schleifen, oder feine Gravuren zu ziehen. Doch diese Arbeit hatte er nun nicht mehr.   Er hatte über zwei Jahre diese ganzen Schätze, die sich in dieser Kammer befanden gesammelt, gekauft und gefertigt. Nicht um - wie so viele dachten, mit denen er hier in Dalaran oberflächlichen Kontakt pflegte - sich für einige Jahre zurückzuziehen, einen Hof zu kaufen und Glück in der ländlichen Ruhe zu finden. Nun gut, vielleicht hätte er das sogar getan, wenn es das Schicksal nicht anders, besser mit ihm gemeint gehabt hätte. Doch jetzt wo Dreorwyn so darüber nachdachte, waren dass doch wirklich sehr absurde Gerüchte gewesen. Nein, dies alles hatte er für Riwena angehäuft. Für den Fall, dass er - aus welchen Gründen auch immer - verhindert war und nicht selbst seinen Schutz und seine Unterstützung bieten konnte, könnte sie dies in ihrer Not finden und möglicherweise auch nutzen.   Wohlstand, Hinterlassenschaften, Schutz, Macht und unter anderem Gewissheit und Wahrheit.   Dreorwyn hatte das Band von dem Briefpaket gelöst und nahm den ersten vom Stapel. Es waren an und für sich nur zusammengefaltete Briefe, bereits versiegelt um verschickt zu werden. Er selbst hatte sie bis vor wenigen Wochen noch verfasst, über einen Zeitraum von fast einem halben Jahr, in dem er in Dalaran seiner Arbeit nachgegangen war, oder mehr oder weniger festgesessen hatte, als Lady Proudmoore die Stadt von den Sonnenhäschern 'säuberte'.   ***** Kapitel 2: Die Säuberung Dalarans --------------------------------- *****   Dreorwyn horchte auf, während er über seiner Arbeit saß und gerade eine goldene Schatulle mit winzigen Rubinen bestickte. Er nahm das makroskopische Auge ab, was ein unbequemes Metallgestell um seine Stirn, dass vielfach vergrößerte Linsen vor seinem Auge hielt, war. Er fuhr sich mit den Fingern müde durch seine krausen Haare und fuhr sich über die brennenden Augen. Abermals hatte der Juwelier die Nacht durchgearbeitet um diesen Auftrag so schnell wie möglich fertig zu bekommen. Je schneller die Aufträge beendet wurden, desto mehr Geld verdiente man dabei. Doch jetzt hob er seinen Blick von der Arbeit aus und spähte durch den Raum, der mager durch dämmernde Licht durch die Fenster und durch den Schein einer Schmiede beleuchtet wurde.   Hatte er sich das nur eingebildet, oder hatte er Schreie von der violetten Zitadelle her gehört? Dreorwyn horchte, doch er konnte nichts mehr hören. Der Magier wollte gerade wieder das makroskopische Auge aufsetzen um seine Arbeit fortzusetzen und den Schrei seiner Einbildung, hervorgerufen durch Schlafmangel zuschreiben, als er Klirren von Klingen hörte und das surren der Magie deutlich vernahm.   Wieder blickte er auf, in eine bestimmte Richtung. Es könnte so aussehen, als würde er nur eine Wand anstarren, man könnte allerdings auch annehmen, dass er etwas in dem mannshohen Regal suchte, die über und über mit Hämmern, Schleifern, Rauleder und anderen grobmotorischen Handwerksmaterialen bestückt waren. Nichts, was ein Juwelier oder Goldschmied wirklich gebrauchen konnte. Dennoch starrte Dreorwyn genau darauf - oder besser gesagt, hindurch.   Irrte er sich? Doch nein, erneut konnte er die flimmernde starke Essenz wie ein Leuchtfeuer aufblitzen sehen. Es kam nicht oft vor, dass man Magieessenzen bestimmten Magiern zuordnen konnte, doch die von Jaina Proudmoor war einzigartig. Dreorwyn würde sie überall erkennen. Doch was machte die Lady von Theramore wieder in Dalaran? Sollte sie nicht in Darnassus sein, um die Götterglocke zu bewachen? Diesem Artefakt, welches die Allianz aus Pandaria nach Azeroth brachte und vor Garrosh versteckte?   Dreorwyn wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür zur Schmiede krachend aufflog. Erst jetzt hörte er den Lärm, der durch die offene Tür von den Straßen hineingetragen wurde, als mehrere Sin'dorei in die Schmiede stürmten und die Türe schnell wieder hinter sich verschlossen. Allen voran eine Sin'dorei, die ihm nur allzu bekannt war. Er hätte sie gegrüßt, gefragt was der Aufruhr zu bedeuten hatte, wenn nicht alles so schnell gegangen wäre, als einer der Blutelfen direkt auf ihn zustürmte. Mit einem Faustschlag auf seinen Unterkiefer flog er nahezu rücklings von der Bank auf den Boden. Das makroskopische Auge zerschellte als der Sin'dorei ihn grob auf dem Boden gedrückt hielt, während Dreorwyn stöhnte und glaubte Sternchen zu sehen, oder waren das Magiepartikel? »Nehmt was ihr tragen könnt!«, orderte die Blutelfe die Dreorwyn eigentlich kannte in einem herrischen Ton an. »Macht schnell!«   »Was machen wir mit dem, Tolyria?«, fragte der Blutelf, der Dreorwyn noch immer zu Boden drückte über die Schulter. Seine rote Lederkleidung mit dem Wappen der Sonnenhäscher flatterte etwas, als wäre der Stoff zerfetzt und eingerissen. Und das wo die Sonnenhäscher doch nahezu penibel auf ihr Aussehen achteten. Die Sin'dorei fasste Dreorwyn in ihren Blick. Ihre sorgenvollen Augen weiteten sich etwas, als sie sich ihm näherte. »Shinu alah, Dreorwyn!«, es klang absolut überrascht und sie wirkte sogar etwas beängstigt über die Tatsache, dass er hier war. »Was macht Ihr schon in der Schmiede?!«   Dreorwyn antwortete nicht, verwirrt und entwaffnet starrte er die kräftige Blutelfe an, deren braune Haare für gewöhnlich zu einem einfachen Zopf zusammengebunden waren, jetzt jedoch strähnig über ihr Gesicht hingen, als hätte sie nicht genügend Zeit gefunden es ordentlich zu machen. Tolyria war die Erbauerin, Gründerin und Leiterin der Schmiede hier, stellte eher grobe Platten für Rüstungen her, hatte aber einigen Juwelieren gestattet die Schmiede mit nutzen zu können, solange sie ihr nicht im Weg standen. Sie hatte ihm sogar einige Tricks in der Schmiedekunst beigebracht und ihm gezeigt, wie er seine Fertigkeiten in der Goldschmiedekunst verfeinern konnte. Ihm, einem Juwelier. »Ich... bin nie weg gewesen... durchgearbeitet.«, brachte Dreorwyn ächzend heraus, da der Sin'dorei über ihm seinen Kragen sehr eng hielt.   Mit einem energischem Kopfnicken scheuchte Tolyria den Blutelfen zur Seite, weg von ihm. Sie murmelten kurz und sehr leise, in Thalassisch, ehe der Elf sie zunächst unverständlich anstarrte. Tolyria zischte ihm etwas zu, dann nickte er und lief in die Schmiede hinein. Dreorwyn folgte ihm mit den Augen, während er sich aufrichtete und erkannte, dass alle hektisch Waffen, Pläne, Werkzeuge und andere Utensilien in ihre Taschen stopften. Er rieb sich den Hinterkopf. Der Lärm von den Straßen Dalarans wurde immer lauter und stieg zu einem lauten Pegel aus Schreien und Chaos an. Die Blutelfen packten indessen weiter alles ein, was nicht Niet und Nagelfest war. Schubläden wurden herausgerissen und der Inhalt der unbrauchbar war, auf dem Boden verstreut. Pläne wurden durcheinander gewürfelt, zu große Blaupausen stopfte man in den Brennkessel der Schmiede um sie zu vernichten. Dumpf drangen die panischen und ängstlichen Schreie durch die Wände der Schmiede und dazwischen spürte Dreorwyn immer wieder die magischen Partikel, die in der Ferne fast wie helle Illusionen vor seinem Auge auffunkelten.   Tolyria stand über Dreorwyn und reichte ihm schließlich die Hand, nachdem sie ihn sehr lange gemustert hatte. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben, als er ihre Hilfe dankbar in Anspruch nahm. »Entschuldigt.«, murmelte sie als würde sie neben der Spur stehen. So hatte der Magus sie noch nie gesehen. Normalerweise war Tolyria standfest und eindeutig männlicher als manch einer ihrer Volksgenossen. Doch jetzt wirkte sie einfach nur überfordert. »Was ist los, Tolyria?«, fragte Dreorwyn und rieb sich die schmerzende Stelle am Kinn, auf die der Sin'dorei geschlagen hatte. »Wird Dalaran angegriffen?« Er vermutete bereits das schlimmste. Ein Angriff von Abtrünnigen des blauen Drachenschwarmes? Vielleicht waren einige Kreaturen aus Ulduar ausgebrochen? Hatten die Titanen den alten Plan der Blaupausen wieder aufgenommen und würden nun Azeroth vernichten?   Die Schmiedin schüttelte langsam ihren Kopf. Sie atmete tief ein und dann wieder aus, ehe ihr Blick wieder ernst und stechend wurde, bevor sie Dreorwyn erkannt hatte. »Dies hier, betrifft Euch nicht, Dreorwyn. Die Sonnenhäscher wurden verraten. Wir müssen fliehen.«   »Verraten?« Der Juwelier runzelte seine Stirn, während er sie forschend betrachtete. »Fliehen? Wohin?«   Tolyria schüttelte ihren Kopf und ihre Felmagie benetzten Augen sahen Dreorwyn traurig an. »Die Götterglocke, Dreorwyn. Dieses verfluchte Artefakt aus Pandaria. Anar'alah belore, wäre dieses blöde Scheißteil doch nur dort geblieben!«, zischte sie. »Garrosh hat es stehlen lassen und über Dalaran geschmuggelt um in seinen Besitz zu kommen. Proudmoore glaubt, dass die Sonnenhäscher ihm geholfen haben. Aber wir wissen nichts darüber.«   Sie straffte ihre Schultern, als einer der Blutelfen an ihre Seite trat um ihr etwas zuzuflüstern. Sie nickte knapp und erwiderte etwas auf Thalassisch. Ein kurzer, ernster Blick wurde zuletzt noch ausgetauscht und die Sin'dorei verschwanden durch die Hintertüre. Tolyria blieb mit Dreorwyn zurück inmitten des Chaos, welches sie angerichtet hatten. Sie wirkte angespannt, aber ihr Gesichtsausdruck war hoffnungsvoll und erleichtert. Dreorwyn sah sie verwirrt an, als sie inmitten durch das Chaos aus zersplitterten Holz, kaputten Mobiliar und Pergament stampfte und einen einfachen Schmiedehammer vom Tisch zog. Sie fachte das Feuer im Kessel mit einem Schürhaken an, den sie direkt hineinhielt. »Sie fliehen nach Silbermond. Das einzige das ihnen bleibt. Ihr solltet auch verschwinden, Dreorwyn.«, sprach sie gefasst, als hätte sie sich vom ersten Schock beruhigt.   Dreorwyn blinzelte sie verstohlen an. »Ihr flieht nicht?«, fragte er erstaunt, fast hektisch. »Wenn Jaina in einem solchen Irrglauben ist - wer weiß was sie tut! Dies wäre bereits das zweite Mal, dass sie um eine Stadt die ihr am Herzen liegt betrogen wird.« Auch wenn er die Informationen die Tolyria ihm gegeben hatte nur langsam verarbeitete - mochte es an dem Kinnhaken oder allgemeiner geistiger Umnachtung liegen - war er der Überzeugung, dass seine Lehrmeisterin ebenfalls fliehen sollte. Ansonsten würde es sie das Leben kosten und auch wenn er in dieser Hinsicht auf der falschen Seite der Fraktion stand, wollte er dies nicht. Sie hatte ihm so sehr geholfen, ihn geschult, wenn auch mit vielen, sadistischen Kommentaren und Bemerkungen, doch letzten Endes, hatte sie ihm sogar das Leben gerettet.   Ein freudloses Lachen verließ ihre Lippen, während sie in die Flammen des Brennofens sah. »Ich lebe schon seit dem Wiederaufbau in Dalaran.«, sprach sie in die Flammen hinein. Schatten zogen sich über ihrem Körper und zeichneten die kräftigen Muskeln an ihren Oberarmen ab. »Ich werde nicht fliehen. Dalaran ist alles, was ich habe.«   Der Magus wollte ansetzen. Er hatte sehr viel zwischen den Sonnenhäschern, dem Silbernen Bund und den Kirin Tor mitbekommen. Mit ihnen gelebt und gehandelt. In Dalaran waren sie alle eins gewesen. Keine verschiedenen Fraktionen oder Rassen und dies war für ihn jetzt immer noch so. Doch bevor er auch nur dazu kam etwas zu erwidern, schnitt sie ihm das Wort ab. »Ich habe mein Leben Dalaran gewidmet. Ihm meine Liebe und mein Handwerk geschenkt, damit es zu dieser wunderschönen Stadt werden konnte, die sie jetzt ist. Vielen geht es so wie mir, Dreorwyn.« Ihr Blick war kalt, als sie wieder zu ihm sah. »Ich werde mein zu Hause nicht aufgeben. Wenn ich mein Leben hergeben muss, dann weiß ich, dass ich anderen meines Volkes zur Flucht verhelfen konnte und dass ich in der Stadt sterbe, die ich liebe.« Ihre Augen funkelten. Er sollte sie nicht versuchen zu überreden, es wäre verschwendete Zeit, dies und noch mehr lag in ihrem Blick, den Tolyria ihm zuwarf, ehe sie wieder in die Flammen sah. »Ihr solltet auch verschwinden. Ansonsten wird diese Hexe nicht zögern auch Euch von ihren Wassermonstern jagen zu lassen.«   Dreorwyn war wie erstarrt. Es vergingen mehrere Sekunden, in denen er sie einfach nur anstarrte, ehe er seine Tasche packte und den Mantel, der von den Sin'dorei vom Tisch gezogen und auf den Boden geworfen wurde aufhob. Er bewegte sich zum Hintereingang, hielt inne und sah über die Schulter zu Tolyria zurück. Sie hatte nicht wieder zu ihm aufgesehen, während die Metallstange bereits rot glühte. Sie würde kämpfen, doch sie würde fallen. Dieses Wissen schmerzte Dreorwyn, doch er konnte sie nicht überreden und diese Stärke der Sin'dorei bewegte ihn. Er neigte seinen Kopf vor ihr. »Ihr wart ein guter Lehrmeister, Tolyria. Danke dafür.« Mit diesen Worten öffnete er die Luke des Hintereinganges und schlüpfte hindurch an die Oberfläche.   Als er auf den Straßen Dalarans stand, erkannte er die wunderschöne Stadt, die Heimat der Kirin Tor, der Magie und des Wissens fast nicht wieder. Die Schreie die er nur dumpf zu sich hallen gehört hatte, stammen von blutelfischen Einheimischen, die hier sonst lebten. Wenn sie nicht gerade durch die Stadt rannten, auf der Flucht vor Wasserelementaren die frei herum waberten oder Hochelfen des Silbernen Bundes, dann wurden sie gerade von ihnen in ihren Kammern und Läden überfallen. Holz splitterte und erneut drangen Schreie zu ihm, als an einer Ecke eine Straße weiter gerade die Türe zur Schneiderei eingetreten und überfallen wurde.   Dreorwyn rannte los. Er musste in seine Kammer, vielleicht hatte Tolyria recht und er wäre von dieser 'Säuberung' nicht betroffen. Dennoch schlug ihm das Herz bis zum Hals, als er in eine Seitengasse einbog, bevor mehrere Sin'dorei seinen Weg kreuzten die panisch über die Schulter sahen, während sie vor etwas davonliefen. Eine Nachtelfe mit einer blau glühenden Runenklinge rannte ihnen brüllend hinterher und direkt danach folgte ihr ein weiterer Nachtelf mit einer braunen Füchsin als Gefährte. Sie trieben die Sin'dorei vor sich her, als wären sie irgendein Vieh. Dreorwyn konnte es fast nicht ertragen, aber er konnte ihnen nicht helfen. Er wäre ein Verräter. Nur Tolyria nahm seine Ehre für die Sonnenhäscher mit ins Grab. Er wusste, dass er sich auf die herrische Schmiedin verlassen konnte.   Der Magus atmete tief durch, stieß sich von der Seitenwand ab und folgte dieser mit schnellen Schritten. Wenn ihn jetzt jemand der Sonnenhäscher sah, hatte er schlechte Karten, sofern sie bewaffnet waren. Sie hatten Angst und Angst konnte sie zu Dingen treiben, die sie ansonsten nicht tun würden. Würde er jemanden vom Silbernen Bund über den Weg laufen, würde er sie bitten ihn zu seiner Kammer zu begleiten um diesen Grauen zu entgehen. Sie würden ihm helfen, davon war er überzeugt.   Vor ihm tauchte plötzlich eine schlanke Sin'dorei mit wehendem rubinrotem Umhang und flatternder Robe auf. Sie manifestierte sich erst gerade wieder und Dreorwyn musste stehen bleiben, um nicht in ihren Zauber zu geraten. Mit wachen, grün leuchtenden Augen sah sich die Sonnenhäscherin um, ehe sie Dreorwyn ins Auge fasste. Sie verengte diese und ging mit eiligen Schritte auf ihn zu, das Gesicht zu einer entsetzen Maske verzerrt.   Dreorwyn blieb dort stehen, wo er war und zog ein magisches Schutzschild vor sich auf. Er erwiderte grimmig ihren Blick, als sie ruckartig stehen blieb und ihn verwundert anstarrte. Dreorwyn hatte gehört, dass manche, begabte Sin'dorei die die Magie studierten jeden Schutzzauber erkannten, ob sie seinen Schutz sehen konnte und deswegen stehen blieb? »Ihr greift nicht an?«, fragte sie verwundert und mit einem angenehmen Dialekt in ihrer Stimme. »Ihr verteidigt Euch?« Sie wirkte erstaunt.   Der Magus nickte, senkte sein Schild aber nicht vor ihr. »Ich möchte Euch nichts tun, sondern lediglich zurück in meine Kammer. Aber wenn Ihr mich angreift, werde ich nicht zögern selbiges zu tun.« Sein Blick war entschlossen, seine Stimme ernst. Der Schild war gewöhnlich noch nicht einmal sichtbar, wenn man ansonsten mit der Kunst der Magie vertraut war. Die Sin'dorei blieb jedoch schließlich genau vor diesem Schild stehen und sah ihn durch diesen an, als könnte sie den matten Schleier sehen. Oder war es eine gehobene Kunst der Wahrnehmung, die in die Weissagung reichte? Ihr Blick war etwas ängstlich, ihre roten Haare lagen in großen Locken über ihrem Gesicht und standen stellenweise ab. Sie strahlte eine merkwürdige Ruhe aus, obwohl ihr Gesicht an einer Wange verrußt und ihr Mantel stellenweise zerrissen war und Frost darüber lag. Sie könnte ein gefährlicher Gegner sein.   »Ihr müsst Eure Lady zur Vernunft bringen.«, sprach sie mit zusammengepressten Zähnen. »Sie schlachtet meine Leute ab! Sie sind unschuldig!« Ihre Stimme zitterte, ebenso wie ihr Körper bebte, allerdings vor zurückgehaltener Wut. Sie entgegnete seinem Blick ernst. Bat sie Dreorwyn etwa darum?   Dreorwyn schüttelte seinen Kopf. »Ich kann nichts tun um sie zu beruhigen. Auf mich wird sie nicht hören. Ich bin nur ein einfacher Handwerker in Dalaran. Sie ist in ihrem Hass gefangen, ein zweites Mal verraten worden zu sein.« Er hebt seinen Blick zu ihr. »Wer hat Euch verraten, Sonnenhäscherin?«   Die Sin'dorei biss sich auf die Unterlippe und schüttelte energisch ihren Kopf. Frustriert stöhnte sie. »Der Name wird Euch nichts bringen, Magier.«, sagte sie schlicht und wand sich von ihm ab. »Aber es war einer der Sonnenhäscher. Wir wussten nichts von seinem Verrat an uns und an Dalaran. Ansonsten hätten wir es verhindert. Wir dulden einen solchen Verrat ebenso wenig wie Lady Proudmoore.« Sie wirkte erschöpft, während sie über die Schulter Dreorwyn musterte. Es war so, als würden sich ihre Augen durch ihn hindurch brennen. Ihre Magie neigte sich langsam dem Ende zu und sie wirkte leer, als er seine Wahrnehmung ausweitete um sie zu mustern.   »Ich muss sichergehen, wie viele wir verloren haben.«, murmelte sie leise und ging an ihm vorbei. Dreorwyn nickte lediglich, während sie an ihm vorbeiging und verharrte immer noch an derselben Stelle. Als sie an ihm vorbeiging, senkte er sein Schutzschild und sie blieb kurz stehen. »Ihr lasst mich einfach so ziehen?«, fragte sie über die Schulter, während die Luft noch immer von Schreien erfüllt wurde. Der Magier sah zu ihr zurück. »Ich habe keine Grund dazu.«, murmelte er leise und etwas deprimiert. »Wenn die Sonnenhäscher aus Dalaran vertrieben werden, verlieren die Kirin Tor einen wertvollen Verbündeten. In meinen Augen ist es eine unüberlegte Handlung.« Die Gesichtszüge der Magistrix wurden weich, während sie ihn dankbar musterte. Dann schritt sie weiter den Gang entlang.   Doch plötzlich legten sich magische Ketten um ihren schlanken Körper und zogen sie auf den Boden. Ein spitzer Schrei, eine Handbewegung von der Sin'dorei folgten, ein winziger, feuriger Funke entströmte doch dann drang kein Wort mehr über ihre Lippen, obwohl sie sich bewegten. Zornig sah die Sin'dorei an Dreorwyn vorbei und er wirbelte herum, um ihrem Blick zu folgen. Dreorwyn erkannte den Zauberer weiter hinten in der Gasse stehen und die Wachen des Silbernen Bundes auf sich zustürmen, bevor im grob ein Schild in den Magen geschlagen wurde. Er hustete, keuchte und seine Knie gaben nach, als er einen dumpfen Druck in seinem Nacken spürte. Dann verschwamm seine Sicht und Schwärze umhüllte ihn.   *****   Es war kaum zu glauben, dass seit der Säuberung von Dalaran erst sechs Monate vergangen waren. Dreorwyn wurde des Verrats bezichtigt, den Sonnenhäschern geholfen zu haben. Er erfuhr, dass Tolyria ihr Leben in der Schmiede gelassen hatte, als der Silberne Bund diese stürmte und sie sich weigerte, sich einsperren zu lassen. Die Sin'dorei aus der Gasse allerdings, wurde mit einigen anderen Sonnenhäschern, unter anderem Aethas Sonnenhäscher selbst, von einigen Blutelfen aus Silbermond befreit.   Dreorwyn selbst befand sich noch weitere zwei Monate nach der Säuberung in einer Art Quarantäne und wurde 'befragt'. Was bedeutete, dass sie sein Hirn bis aufs letzte Quintchen mit der Hilfe von speziellen, magischen Formeln durchwühlt hatten, zumindest was die aktuellen Vorkommnisse anging. Er hatte dies gehofft, und dies wurde letzten Endes auch bestätigt, ansonsten hätten sie ihn wohl kaum wieder laufen lassen, sondern hätten ihn direkt nach Sturmwind gebracht. Oder vielleicht hatte das, was er als Sarandar in Gilneas getan hatte, keinen Wert für sie, aber er bezweifelte dies. Er hatte damals wirkliches Glück gehabt.   Seine Augen lasen über die Zeilen mehrerer Briefe, die er in seiner Quarantäne geschrieben hatte.   *****   »Wenn ich es nur früher gesehen hätte, doch alles war wichtiger. Mein närrischer Stolz, mein falscher Eifer. Hätte ich nur früher erkannt, dass er mich von dem Menschen fern hält, dem ich doch am nächsten als irgendjemandem sein möchte. Doch stattdessen sehen meine Augen nur diese trübe, doch ich muss stark sein. Für Euch mein Herz, würde ich durch die Hölle gehen. Und bei den Gebeinen all jener, die ihr Leben in Gilneas lassen mussten, ich werde zu Euch zurückkehren.«   *****   »So sehr sich mein Herz auch schon immer nach Euch gesehnt hat, es war noch nie so stark wie jetzt. Es schmerzt mich und zehrt mich auf. Ich bräuchte Euch, doch ich wage es nicht Euch zu mir zu bitten. Nennt es Scham, oder Eitelkeit. Ich würde niemals wollen, dass Ihr mich in einer solchen Situation sähet, und nun stecke ich doch mitten drin.«   *****   »Stehe hier, so plötzlich der Moment, Unten, am Rande einer Kante... Schwarzer Vorhang fiel über die Welt Die vor Sekunden, herzlich lachte   Fühle, wie ich einsam in den Abgrund falle Schatten schlossen mich von allem aus Bin kleinlich nur, in dieser dunklen Halle Und gnadenlos, im Nichts verlorn   Stürze still, in Fassungslosigkeit Wie soll ich blind verstehen? Suche Antwort, irgendwo Finde nur die Leere hier«   *****   »Der Spott, der Hohn, ich könnte ihn nicht ertragen. Doch wer kann mich schon wahrnehmen? Eine einfache Kerze brennt, das einzige, was übrig bleibt. Ich fühle mich leer, doch meine Gedanken an Euch, Liebste, helfen mir, dies über mich ergehen zu lassen.«   *****   »Ich glaube ich werde wahnsinnig hier drin! Weshalb behalten sie mich so lange hier? Ich habe nichts getan!« Diese Zeilen wurden wieder durchgestrichen. »Ich versuche die Ohren steif zu halten. Wird schon alles gut werden. Immerhin habe ich nichts schlimmes getan. Ich war nur  zu einer falschen Zeit am falschen Ort.«   *****   »Wenn die Dunkelheit zu groß wird, die Stille zu qualvoll und der Schmerz zu endlos, wärmt mich der Gedanke, Euch im Tal zu wissen. In Sicherheit. In der Gemeinschaft Eurer Vertrauten und Freunde. Diese Gedanken machen für mich dies hier alles erträglicher. Auch wenn die Zeit dadurch nicht schneller vergeht, zeigt es mir, was ich schon viel zu lange aus den Augen verloren habe. Vernachlässigt. Ich hoffe Ihr könnt mir verzeihen, Liebste.«   *****   Dreorwyn seufzte langgezogen und faltete die Briefe wieder zusammen, um sie wieder aufeinanderzustapeln und mit dem Band zusammenzubinden. Er hatte sie nicht abschicken können. Einerseits, hätte sich Riwena zu viele Sorgen gemacht. Sorgen, die sie nicht gebraucht hätte und die er ihr nicht bereiten wollte. Nur Graumähne weiß, was sie getan hätte, wenn sie wusste, wo er sich aufhielt! Zum anderen, war es ihm untersagt gewesen. Er hätte sie mit Magie verschicken können, doch er wollte seine Unschuld nicht in ein schlechtes Licht rücken, indem er sich gegen die Regeln der Kirin Tor verhielt. Er hatte jedes einzelne Schriftstück abgeben müssen.   Bei seiner Freilassung schließlich, hatte er sie alle wieder überreicht bekommen. Viel gesagt hatten sie nicht, dass sie ihn irrtümlicherweise festgehalten hatten. Wirklich nachtragen konnte er es ihnen noch nicht einmal, da er später auch erfuhr, wie schwerwiegend dieser Verrat gewesen war. Doch seitdem hatte Dreorwyn Schwierigkeiten gehabt, sich in Dalaran wieder wirklich wohl zu fühlen und es als seine Heimat anzusehen. Es war nicht mehr so vertraut, nicht mehr so unbeschwert. Dalaran hatte an jenem Tag der Säuberung etwas verloren, was der Magus an dieser wunderschönen Stadt sehr geschätzt hatte und damit waren nicht unbedingt die Sin'dorei gemeint, doch es hing mit ihnen stark zusammen.   Doch vermutlich war dies ein weiterer Grund unter vielen, weshalb Dreorwyn dieser Stadt nun den Rücken kehren wollte, um wieder in das Weitblicktal zu gehen. Aber nein. Er schüttelte seinen Kopf, während er den Stapel Briefe zurück in das Regal legte. Er vermisste sie zu sehr und erst zwei Monate in absoluter Abgrenzung mussten ihm das erst beweisen. Dreorwyn hatte es immer gewusst, doch er hatte zu viel gefunden, das ihn ablenkte. Zu viel, das er für wichtiger hielt, doch wenn er so nachdachte, es hatte nie etwas wichtigeres als sie gegeben.   Der Blick des Magiers schweifte weiter über das Regal. Diese Kammer beinhaltete so viel von ihm, dass es fast schon beängstigend war. So viel, was er ihr selbst jetzt noch nicht gesagt hatte. Weil er nicht dazu gekommen war? Weil er Angst hatte, verurteilt zu werden? Er konnte sich selbst diese Fragen nicht beantworten. Vielleicht würde er Riwena eines Tages hierher führen und ihr alles erzählen, alles erklären, oder sie würde selbst darüber stolpern.   Einige Bücher über die Edelsteinkunde zierten eine Ecke des Regales, während daneben einige seiner eigenen Entwürfe gestapelt lagen. Der oberste zeigte eine Zeichnung von einem Kompass mit feinen, filigranen Gravuren. Eine wirklich sehr alte Zeichnung. Sie reichte noch so weit zurück zu der Zeit, als Dreorwyn die Schwarzmähnen verlassen hatte.   Dieser Kompass war einer seiner ersten Entwürfe gewesen, nachdem er sich dazu entschied das Handwerk zu verfeinern. Doch nur dieser Kompass hatte es von all den Entwürfen geschafft, auch gefertigt zu werden. Er sah recht simpel von der Herstellung aus, doch die komplizierten und feinen Verzierungen und Schnörkel rückten diesen einfachen Gegenstand in ein anderes Licht. Die Schnörkel auf dem Deckel waren sogar anders, als die im Blatt. Es könnte sogar etwas an den Stil von Gilneas erinnern. Leicht lächelnd steckte er seine Hand in die Hosentasche und zog den Kompass daraus hervor, der aus diesen Entwürfen entstanden war. Er öffnete das Schnappschloss an der Seite und der Deckel klappte auf. Die bronzene Hülle harmonierte mit dem dunkelgrünen und hellgrünen Blatt unterhalb der Nadel, die stets nach Norden zeigen würde. In dem Deckel hatte er eine Inschrift in feinen Schnörkeln eingraviert. »Damit Ihr stets den Weg zurück findet.«   Beherzt seufzte der Magier, während er auf die Inschrift starrte. Niemals hätte er erwartet, dass dieser Entwurf, mit dem er eine begehrte Stelle bei den Juwelieren Dalarans ergattern konnte, noch einmal von Bedeutung für ihn sein könnte.   ***** Kapitel 3: Der Kompass ----------------------   *****   Es war einer dieser seltenen Tage gewesen, an denen Dreorwyn Besuch erwartete und auch tatsächlich empfing. Wenn man der Tatsache ins Auge sah, war er ein richtiger Einzelgänger geworden. Nicht einmal in Dalaran hatte er sonderlich viele Kontakte, obwohl er Dalaran schon sein zu Hause nannte. Zumindest war es in jedem Fall mehr ein Heim, als Dunkelhain.   Und aus welchen, närrischen Gründen auch immer, war er aufgeregt. Unruhe kroch seine Brust hinauf, während er den verschlossenen Kompass auf dem Tisch drehte. Der Lärm um ihn herum interessierte ihn nicht, doch das Zauberkästchen war wie zu jeder Tageszeit gefüllt, wenn auch nicht mit so vielen Gästen wie beispielsweise Abends. Er konnte sich nicht helfen und war in gewisser Hinsicht dazu gezwungen - ja nahezu genötigt! - einige Gesprächsfetzen mitzubekommen.   »... des Schattenhammerklans! Doch sie ist tot, also muss jemand anderes sie anführen.«   »Habt Ihr das im Hyjal gehört? Selbst ein grüner Drachenwyrm verfiel Hirschhaupts Macht! Das Feuer...«   »Heh, das war mein Bier!«, wurde es durch das Zauberkästchen gebrüllt, was sämtliche Gespräche übertönte und dann landete jemand laut scheppernd hinter der Theke. Der bemitleidenswerte Mann überschlug sich, riss mehrere Gläser und Flaschen mit sich und blieb auf dem Boden hinter der Theke liegen. Der Schankwirt, ein sehr streng dreinschauender Hochelf mit markanten Gesichtszügen und ungewöhnlich breiten Schultern runzelte die Stirn und sah zu dem Unruhestifter. Seine Augen verengten sich und seine Lippen bewegten sich, als er leise etwas zischte, was Dreorwyn aber nicht hören konnte. Eine brummige Antwort des Werfers, ehe er grimmig aus der Schenke stampfte. Das verschüttete Bier samt Krug, immer noch auf dem Boden liegend.   Dreorwyn seufzte langgezogen und leise, während der Quel'dorei einen Lappen über die Theke auf den Boden gleiten ließ, der sich wie von Zauberhand bewegte und die Sauerei wegwischte. Die Augen des Magiers beobachteten den Elfen dabei, wie er dem armen Tropf, der über die Theke geflogen war auf die Beine half. Er stützte sein Kinn in seine Handfläche und drehte den verschlossenen Gegenstand vor sich auf dem Tisch, abermals im Kreis. Heute war ein relativ ruhiger Tag im Zauberkästchen, das merkte der Magier sofort. Normalerweise ging hier mehr zu Bruch, oder einige Wachen des Silbernen Bundes oder der Sonnenhäscher standen in der Schenke um ein wachsames Auge auf die Gäste zu haben. Und bestimmt auch, um allein durch ihre Anwesenheit Störenfriede einzuschüchtern.   Sein Blick wurde auf den Eingang der Taverne gelenkt, als eine ältere Frau eintrat. Der Lederkilt mit moosgrünen Ornamenten und dem Wappen des Zirkel des Cenarius auf der Brust passte sich ihren gezielten Bewegungen an. Das Gesicht der dunkelblonden Frau wurde von Falten an den Augenrändern und einigen um den Mundwinkel geziert. Der wachsame Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen streifte durch die Taverne, als würden sie etwas suchen. Unter den einfachen Schulterpolstern hielt sie eine Ledertasche geschultert, die über ihre Hüfte baumelte. In dem Leder waren Buchstaben eingestanzt, die den Namen dieser Person verrieten. 'Struana'.   Ein Lächeln breitete sich auf den Lippen der Frau aus, als sie ihn erkannte und direkt auf ihn zuging. Dreorwyn erhob sich vom Stuhl und hob seine Arme ausgebreitet auf Brusthöhe um sie zu begrüßen. »Wie ich sehe, habt Ihr hierher gefunden, Struana.« Als sie ihn erreichte, hauchte er ihr einen freundschaftlichen Kuss unter zwei Vertrauten auf die Wange, ohne ihre Haut zu berühren. Die Frau erwiderte die Geste und tat es ihm gleich, mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen. »Natürlich, mein Lieber Saar. Dalaran ist eine wirklich schöne Stadt, allerdings keine, die ich je bevorzugen werde. Viel zu zugeknöpft.«, scherzte sie und blickte ihm schmunzelnd in die Augen. Sie musste noch nicht einmal wirklich weit zu ihm hinaufsehen. Struana und Dreorwyn waren fast gleichgroß könnte man sagen. Vielleicht gab es da eine Hand breit, die sie von der Größe unterschied, wenn überhaupt.   Der Magier entspannte sich fast automatisch, als er in ihre tief wirkenden, bernsteinfarbenen Augen blickte. Es war, als befände sich in ihr eine tiefe Ruhe, die jeden in den Bann ziehen konnte. Fast schon, wie ein ruhiger See, dessen Oberfläche völlig still vor sich ruhte. Der Mann entließ sie aus der Umarmung und zog den Stuhl sich gegenüber aus dem Tisch. »Es ist schön, Euch wieder zu sehen. Sogar als Mensch.« Er hob einen Mundwinkel und deutete mit einem Kopfnicken auf den Stuhl. »Darf ich bitten?«   Struana lachte kurz und hell, ehe sich ein überlegenes Lächeln auf ihren Lippen spiegelte. »Ich glaube, es hätte für Aufregung gesorgt, wenn ich in meiner gewandelten Gestalt durch Dalaran geirrt und nach dem Weg gefragt hätte.« Sie setzte sich auf den Stuhl, den Dreorwyn ihr hielt und nickte ihm zu. »Sehr aufmerksam von dir, danke.«   Dreorwyn beeilte sich auf die andere Seite des Tisches und setzte sich ihr gegenüber. Seine Hand umfasste geschwind die Flasche mit Dalaranrotwein, den er auf zwei Gläser aufteilte - wobei ein Glas nicht einmal halbvoll wird. Er hob das volle Glas am Bauch und stellte es auf dem Bein vor Struana ab. Ihr Blick war amüsiert. »Meine gute Kinderstube hängt noch immer an dir, wie ich sehe.«, sagte sie mit einem gewitzten Lächeln, ehe ihre Finger das Glas umfassten. »Hast du etwas zu feiern?«   Er schmunzelte. »Natürlich. Ansonsten hätte ich Eure Einladung abgelehnt.«   »Was nichts neues gewesen wäre.«, beendete sie seinen Satz bitter süß. War es Tadel? Ihr Blick verriet nichts, ebenso wie ihre Körperhaltung. »Ich musste mich schließlich immer wieder selbst einladen. Ich dachte mir, dass du irgendwann bestimmt nachgegeben hättest.« Struana hob ihr Glas und prostete ihm zu.   Der Magier entgegnete nichts, sondern stieß sein Glas an das ihrige. Ein angenehmer Klang erfüllte die Schenke und beide tranken einen Schluck aus dem Glas, ganz so, wie es die Etikette verlangte.   »Nun?«, begann Struana, ehe sie das Glas auf dem Tisch absetzte. »Wie geht es dir, Saar?«   Dreorwyn zuckte mit den Schultern. Der Kosename, den sie ihn gab, er entsprang noch aus einer sehr alten Zeit. Er hatte ihr schon oft gesagt, dass er nun einen anderen Namen hatte, aber sie konnte oder wollte - er war sich da nicht so sicher - sich nicht an ihn gewöhnen. »Merkwürdig gut.«, er lächelte. »Ich fühle mich seit einer sehr langen Zeit mal wieder frei und lebendig. Als hätte ich lange geschlafen.« Oder als wäre ich eingefroren gewesen, fügte er in seinen Gedanken hinzu.   Die Frau musterte ihn, als wolle sie mit ihren Augen eine Lüge ausfindig machen. Einen Schwindel der nicht existierte, deswegen hatte sie vielleicht auch keinen Erfolg bei ihrer Suche. Struana schüttelte ihren Kopf und die Skepsis wich einem feinen Lächeln. »Das freut mich zu hören. Wirklich. Du bist in ein dunkles Loch gefallen, seit der Sache mit Riwena.«   Da war es, wieder. Ein Schmerz, der seine Lungenflügel für gewöhnlich zusammenziehen ließ. Dreorwyn starrte auf sein Weinglas und drehte es nachdenklich und bemerkenswert ruhig im Stand. Merkwürdig. Etwas hatte sich verändert. Es war lange nicht mehr so stark, wie einst. Nicht mehr so schmerzhaft. »Ja. Scheint so, als sei ich allmählich wieder Gesellschaftsfähig.«, murmelte er, ehe er einen kleinen Schluck von dem Weinglas nahm und ihn lange im Mund behielt, ehe er ihn hinunterschluckte.   Seine Tischbegleitung legte ihren Kopf zur Seite und wischte sich energisch mit der Hand einige dunkelblonde Strähnen aus dem Gesicht. Das Ausbleiben des Gesprächwechsels bedeutete nicht unbedingt etwas positives, zumindest war dies wohl ihre Auffassung. »Was ist mit den Schwarzmähnen?«, fragte sie in einem Ton, als würde sie ihn fragen, wie das Wetter morgen werden würde.   »Was soll mit ihnen sein?«, fragte er. Sein Blick verfinsterte sich merklich, während er schon wieder - oder noch immer - dieses Weinglas anstarrte, als hätte es ihn gebissen. »Sie sind im Dämmerwald, so wie es Väl schon immer vorgesehen hatte. Auch wenn sie keine Allianz mit den Finstermähnen anstrebt, so nahe waren sie ihnen noch nie zuvor. Aber Arue, Berrymoore und Mateo brauchen meine Unterstützung nicht. Auf ein altes Mitglied, das den Schwarzmähnen schon seit ihrer Anfangszeit beratend zur Seite gestanden hat, wird nicht gehört.« Er schüttelte entschieden den Kopf. Niemals konnte er den Dämmerwald sein zu Hause nennen. Er hasste diesen Ort, an dem die Bäume verhinderten, dass die Sonne schien. »Sie werden klar kommen. Oder auch nicht. Väl macht, was sie will, aber was geht mich das an?« Er grollte leise. Seine Stimmung schlug um.   Struana blinzelte mit ihren Augen. Vielleicht kam sie gerade mit den Worten nicht zurecht, oder einfach wegen der Tatsache, dass sie von Dreorwyn kamen. Sie seufzte innerlich. Sie wusste um das, was Väl getan hatte. Die Frau rutschte etwas unruhig auf ihrem Stuhl herum.   Dreorwyn schüttelte seinen Kopf und seine Gedanken klärten sich wieder. Ruhe... Er atmete tief ein, zählte in seinem Kopf bis zehn und atmete die Luft wieder aus. Sein Groll war verschwunden. Das war merkwürdig einfach gewesen. Mit einer ausschweifenden Handbewegung deutete er auf den Tisch. »Der eigentliche Grund, weshalb ich Eurer Selbsteinladung nachgekommen bin.«, begann er und schob Struana den Kompass über den Tisch zu. »Ich werde eines meiner unnützen Talente weiter ausbauen.« Ein Lächeln umspielte Dreorwyns Lippen. War er Stolz? Weshalb nur? Er wusste, welchen Stand er gehabt hatte, und jetzt war er stolz darauf ein einfacher Handwerker zu sein?   Die Frau zog den Kompass zu sich heran und betrachtete den geschlossenen Deckel mit den Gravouren. »Es passt nicht zu dir, einer Arbeit nachzugehen. Du solltest ein kämpferischer Hauptmann werden.« Sie fuhr mit dem Finger über die Messingoberfläche und ihre tadelnden Gesichtszüge wurden weicher. »Dennoch ist gut, dass du einen anderen Weg einschlagen willst, als den, den man dir aufdrücken wollte. Sind das Rosen, Saar?«, warf sie die Frage schließlich in den Raum und drehte den Kompass.   Der Magier nickte langsam und beobachtete Struana genau dabei, wie sie den Kompass musterte. »Eine sehr schöne Arbeit. Es erinnert mich etwas an zu Hause.« Die Druidin lächelte leicht. Vielleicht war die Juwelierskunst und Goldschmiederei das, was ihm Befreiung schaffte. Sie tippte auf den Knopf an der Seite des Schnappschlosses. Der Deckel sprang auf und sie konnte das feine, verzierte Blatt unter dem Glas erkennen. Es war fast moosgrün, etwas ausgebleicht, wies aber auch die selben Verzierungen wie auf dem Deckel auf. Die Nadel über dem Blatt richtete sich auf und deutete nach Norden. Die Ränder waren mit den vier Himmelsrichtungen kunstvoll beschrieben.   Die ältere Frau runzelte ihre Stirn, als sie die Gravour auf der Innenseite des Deckels entdeckte. Es war eine feine, zierliche Schrift. Sie las über die Worte und sah den ihr Gegenüber ernst an. »Damit Ihr stets den Weg zurück findet...«, zitierte sie und beobachtete seine Reaktion. Doch Dreorwyn nahm nur einen Schluck von seinem Glas. »... In Liebe Dreorwyn.« Ihre Worte klangen fast schon wieder tadelnd. »Du hast dich nicht von Väls letzten Ausriss inspirieren lassen, nehme ich stark an, oder Saar?«   Der Magier stellte das Glas ab, sah ihr aber in das ernste Gesicht und entgegnete ihrem strengen Blick mit dem sie ihn musterte. Mehrere Augenblicke lang, sagte er nichts, dann nickte er langsam. »Ihr habt Recht, Struana. Väl gab mir nicht diese Inspiration.«, begann er. Struanas Blick wurde unleserlich. War das etwa Mitgefühl, welches er sehen konnte? Dreorwyn atmete tief ein. »Es war Riwena.«   Die Frau starrte ihn weiterhin mitfühlend an, dann griff sie nach dem Weinglas und leerte es in mehreren, sehr langsamen Zügen, wohl um sich ihre Worte zurechtzulegen. Sie stellte es dann wieder auf dem Tisch ab und drehte es auf dem Bein. »Du liebst sie noch immer? Nach dem, was sie gemacht hat?«, fragte sie. Ihre Stimme war ruhig und nicht fordernd, doch ungläubig. »Nach all der Zeit...?«   Dreorwyn senkte seinen Blick, bis er auf dem Kompass in ihren Händen ruhte. Er wirkte nachdenklich. Riwena hatte ihn verlassen, noch während er in Gilneas gewesen war. Er hatte weitere Spuren gefunden, die Aufschluss für sein früheres Leben gegeben haben und schließlich, hatte er die Lösung gefunden. Er hatte es vernichtet, ein für alle Mal, seine Vergangenheit vernichtet. Frustriert und sehr verstimmt über seine Funde kehrte er nach Surwich zurück, nur um zu erkennen, dass sie nicht mehr dort war.   Anstatt ihn irgendwie in Kenntnis zu setzen, hatte sie ihn im Unwissen gelassen. Dreorwyn erinnerte sich noch sehr genau an die kurze Zeit die sie in Surwich verbracht hatten. Die Zeit bevor er überhaupt etwas von seiner Vergangenheit erahnen konnte, und die Zeit, nachdem er mit der halben Kenntnis zurückgekehrt war. Er hatte sie nicht sehr freundlich behandelt. Riwena hatte ihn gebeten mitzukommen, stattdessen stieß er sie von sich. Dann hatte sie Grantar vorgeschickt. Er hatte Drorwyn erzählt, dass Riwena die Gemeinschaft der Schwarzmähnen verlassen hatte, und dass sie auch nicht wieder zurück zu ihm kommen würde. Sie hatte ihn verlassen und noch nicht einmal den Anstand gehabt, es ihm direkt zu sagen.   Lange hatte Dreorwyn nicht verstanden, weshalb es dazu gekommen war, doch mit der Zeit, der Einsamkeit und noch mehr Zeit hatte er es gesehen. Er selbst trug die Verantwortung für Riwenas Entscheidung. Er hatte sie von sich gestoßen, sich in Schweigen gehüllt und sich vom Rest der Welt abgeschottet um weiteren Geistern seiner Vergangenheit hinterherzujagen.   »Verging überhaupt ein Tag, an dem du nicht an sie gedacht hast?«, riss ihn Struanas Stimme aus seinen Gedanken und er hob seinen Blick zu ihr. Sie sah ihn forschend an, als wollte sie seine Gedanken ergründen. Dreorwyn musste nicht über ihre Frage nachdenken. Langsam schüttelte er seinen Kopf. Wann hatte er nicht an Riwena denken müssen? Einen solchen Tag hatte es nicht gegeben. Zu jeder Zeit hatte er an sie gedacht. Zunächst hatte er sie verflucht und verteufelt, danach hatte er sich nach ihr gesehnt, sie vermisst und nun, hoffte er einfach nur, dass es ihr gut ging.   Struana griff über den Tisch zu Dreorwyns Weinglas, da ihres bereits leer war und trank dieses auch aus. Mit einem leisen seufzen stellte sie es schließlich wieder ab. »Du solltest ablassen, Saar. Es macht dich krank.«   Dreorwyn schüttelte traurig lächelnd seinen Kopf. »Ihr versteht nicht, Struana. Ich habe in vielerlei Hinsicht abgelassen, damit abgeschlossen, wenn Ihr es lieber so nennen wollt.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf den Kompass, der immer noch in ihren Händen ruhte. »Dies ist der Beweis. Sie wird ihren Weg zurück finden. Ob zu mir... - mit diesem Gedanken spiele ich nicht. Ich darf es mir nicht anmaßen, dafür habe ich zu viel kaputt gemacht. Vielmehr zu dem Ort, den sie nun ihr Heim nennt. Zu dem Menschen, den sie liebt. Meine Gefühle für sie werden sich mit der Zeit vielleicht ändern. Doch die Hauptsache ist, dass sie glücklich ist. Das konnte sie nicht mit mir, während meiner gestörten Persönlichkeit.«   »Du hast dich selbst gesucht, Saar.«, Struana sah ihn etwas enttäuscht an. Wieso nur war ihr Blick enttäuscht? Schließlich seufzte sie. »Dass es dich so tief traf... Jeder hätte Verständnis dafür, wenn sie es nur wüssten...«   »Niemand,«, begann Dreorwyn schärfer zu sprechen, als vermutlich gewollt und unterbrach Struana. Seine Stimme wurde zu einem leisen Zischen. »wird von diesem Hochverrat erfahren. Sie wollen nicht wissen, sie wollen verachten, doch keiner Fragte. Also hülle ich mich in Schweigen und warte ab.« Sein Blick war bohrend, als wollte er Struana davon überzeugen. Wovon? Dass es das richtige war, so wie er sich verhielt?   Dreorwyn atmete die Luft leise aus, während sein Blick auf Struana ruhte. Er wollte sie nicht vertreiben. Sie war seine einzige Bezugsperson, seitdem er sich von den Schwarzmähnen fern hielt. »Mit diesem Kompass konnte ich mich bei den Ansässigen Juwelieren beweisen. Sie werden mich lehren die Entwicklungen Dalarans anzuwenden, damit ich meine Fähigkeit weiter ausbauen kann, Struana. Ich habe sozusagen eine gehobene Lehre.«   Struana nickte matt. Es war ihr anzusehen, dass sie mit ihren Gedanken noch woanders war. »Du hast ihn für jemanden gefertigt, an dem deine Gefühle hängen, Saar. Ich hoffe du wirst glücklich, hier in Dalaran.« Ihr ruhiger Blick legte sich auf ihn. »Meine Dienste werden nicht mehr gebraucht, nehme ich an?«   Der Magier sah sie verwundert an, also fügte sie hinzu: »Dich über die Geschehnisse der Schwarzmähnen auf dem laufenden zu halten. Meine Unterstützung, die ich dir anbot, Saar.«   Dreorwyn musterte sie lange, doch dann schüttelte er bitter lächelnd seinen Kopf. »Nein, Struana. Die Schwarzmähnen können auf mich verzichten, und auf Euch ebenso.«   *****   Dies war wahrlich eine sehr alte Erinnerung. Eine um die Entstehung des Kompasses, doch auch um seine ersten Schritte in Dalaran, zumindest was es anging, sich häuslich niederzulassen. Doch da war noch eine, an die er denken musste, während er die Skizze des Kompasses betrachtete. Warum musste er gerade jetzt so sehr an Struana denken? An die Person, mit der er am wenigsten zu tun hatte, und doch so viel gemeinsam? Sein Blick hob sich etwas zu den Regalen und seinen Aufzeichnungen. Tatsächlich, dort war noch etwas. 'Felmagie, Gegenstück der Arkanmagie.' Eines der Bücher, mit denen Riwena vermutlich nichts anfangen konnte.   Manch ein Hexer mag selbst die Kraft des Nethers anzapfen, um seine Zauber zu wirken. Dadurch können sie durchaus in der Lage sein, die bizarren Barrieren, die Azeroth vom Nether trennt zu schwächen, gar zu zerstören...   *****   Struana atmete tief ein und wieder aus, während sie den Anschuldigungen lauschte, die er ausgesprochen hatte. Der Magier sah mit ernstem, stählernen Blick über ihr wölfisches Gesicht in ihre bernsteinfarbenen Augen. »Ist es nicht so, Struana?« Seine Stimme war ruhig und rau. Sehr ruhig. Fast schon bedrohlich könnte man auch sagen. Seine hellbraunen Augen ruhten überlegen auf ihr.   Dreorwyn hatte nicht vor gehabt zu diesen Mitteln zu greifen, doch sie hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Er hatte sie in die Ecke drängen müssen, sodass sie keine Ausflüchte mehr suchen konnte. Seine Pranke ließ von dem Leder ihrer Robe ab, die an den Nähten aufgeplatzt war, als er ihn mit einem schnellen Ruck aufgerissen hatte. Unterhalb ihrer Schulter leuchtete das grüne Symbol des Hexenmeisters matt, als hätte es sich durch ihre Haut gefressen und schimmerte durch das Fell.   »Es war für etwas anderes gedacht, als er es mir gab.«, knurrte sie leise und zog sich den Stoff wieder über die Schulter. »Es verbindet unsere Gedanken.«   »Und gaukelte Euch vor, näher mit ihm verbunden zu sein, als Ihr es eigentlich seid.«, schloss Dreorwyn den Satz. »Seht es ein, Struana. Einem Hexer kann man nicht vertrauen. Er gefährdet nicht nur sein Leben mit seiner abstrusen Magie, sondern auch das Eurige. Und weshalb?! Wegen leichtsinnigen, kindischen Gedanken!« Dreorwyn war aufgebracht und gereizt, wegen der Besorgnis die er sich um seine alte Freundin machte. Seine Stimme wurde aber kaum höher, nein er schrie sie nicht an. Er sprach nur sehr zornig auf sie ein.   Struana legte ihre Ohren an und hob ihre Lefzen. »Rede nicht so von ihm, Saar! Er steht für mich ein!«   »Ihr sagtet doch gerade selbst, dass er Euch verlassen hat!« Der Magier schüttelte seinen Kopf. »Ihr habt mir von seinem Abschiedsbrief erzählt!«   »Er ist nach Pandaria aufgebrochen!«, wütete Struana inzwischen. »Tirenas würde mich niemals zurücklassen, ohne mit mir zu sprechen!«   »Und dennoch steht Ihr hier vor mir, und berichtet mir von Gefühlen, die nicht die Euren sind, die Ihr nicht zuordnen könnt. Und von einem tiefen Schmerz.« Dreorwyns Blick wanderte wieder über die Stelle an ihrer Schulter, wo das Mal eingebrannt war. »Ihr müsst den Zauber auflösen lassen. Ihr solltet ihm nicht folgen, Struana. Jemand in Dalaran kann die Verbindung trennen, aber je weiter Ihr von diesem Dämon entfernt seid, desto schlimmer wird es für Euch. Die Qualen die Ihr wegen ihm jetzt erleidet, werden nicht einfach so aufhören.«   Struana schnaubte zur Antwort die Luft aus ihren Nüstern und schüttelte ihren Kopf. Sie wirkte verzweifelt, zerrissen in ihren Gedanken. »Du glaubst Recht zu reden, Saar. Doch was ist mit dir selbst?« Verletzt und bissig, sah sie ihm in die Augen.   Der schwarzmähnige Worgen sah sie mitfühlend und enttäuscht an. »Ihr vergleicht mich mit einem Hexer? Einem Scharlatan der Magie? Jemanden, der jeden Tag ein Stück seiner Seele opfert und die seiner Liebsten in Gefahr bringt nur, um an mehr Macht zu kommen?« Er seufzte traurig und langgezogen, so wusste er doch, dass sie verstand. Doch das magische Band aus Felmagie verwehrte es ihr scheinbar anders von Tirenas zu denken. »Ich würde Riwena nie in irgendeine Gefahr bringen, schon gar nicht, wenn ich diese verursacht habe, oder selbstständig eine Reise antrete. Das einzige, was ich ihr damit antun werde ist, das Unwissen über mein Schicksal während der Reise, dass alles geschehen könnte, sogar dass ich sterben könnte. Und allein dass sie dieses Wissen haben wird, schmerzt mich mehr, als jeder körperliche Schmerz, den ich erleiden könnte.«   Der Blick der Druidin wurde leerer, je weiter Dreorwyn sprach. »Ihr habt mir beigebracht, wie wichtig es ist, auf das zu achten, was einem am Herzen liegt. Ihr denkt noch immer so, das kann ich in Eurem Blick erkennen, wenn Ihr für Tirenas einsteht. Aber Ihr erfahrt nicht das selbe, was Ihr ihm entgegenbringt, Struana.« Er betrachtete sie eindringlich. »Er verletzt Euch wissentlich und damit wird er Euch zerstören.«   Struana schüttelte ihren Kopf. Ein unehrliches Lächeln umspielte ihre Lefzen. »Du irrst dich, Saar.«, sprach sie, allerdings weitaus unsicherer als vorhin noch. Sie schwankte in ihrer Gewissheit. War Dreorwyn zu ihr vorgedrungen? »Tirenas würde mich niemals verlassen. Für dich mag es ein Fluch sein, aber es ist ein Band, welches uns verknüpft.«   Die Druidin wand sich ab. Sie wirkte geknickt, als bereue sie es Dreorwyn aufgesucht zu haben. Sie hatte gehofft, dass er ihr helfen konnte, doch der Magier konnte es zu seinem eigenen Bedauern nicht. Er verstand nicht, wie sie so blind sein konnte. Struana, die sonst so weitsichtig und achtsam war, die ihm gelehrt hatte, das Leben zu achten und was es bedeutete aufrichtig zu lieben... »Ihr wollt Euch für ihn aufgeben?«, Er klang endlos traurig und fassungslos, während die Worte seinen Mund verließen.   Struana seufzte schwer und ließ ihre Schultern hängen. »Ich kann nicht anders, Saar. Vielleicht bin ich blind, aber ich liebe ihn.« Sie lächelte ihn schmerzhaft an. In diesem Augenblick wirkte sie so schwach, alt und zerbrechlich. »Ich denke, ich kann jetzt verstehen, warum du Riwena nicht vergessen konntest.« Ihre Stimme wirkte dünn, sehr dünn und doch schnitt sie Dreorwyn wie ein Messer.   Er neigte seufzend seinen Kopf und schloss seine Augen für einen kurzen Augenblick. Er hatte versagt und er konnte sie nicht überzeugen. Es traf ihn, dass er nicht zu ihr durchkam, doch er konnte nichts mehr machen. Er könnte in ihren Geist dringen, ihre Gedanken kontrollieren, sodass sie nicht ging und sich behandeln ließ. Doch er konnte es nicht, ohne sich selbst dafür zu hassen. »Ich wünsche Euch viel Glück, Struana. Sichere Pfade.«   »Danke, Saar.«. Sie lächelte matt, ehe sich ihre Gestalt verformte und ein grüner Nebel sie umgab. »Sichere Pfade.« Einen Augenblick später, schwang sie sich flügelschlagend in die Lüfte. Das Krächzen einer Krähe hallte über den verlassenen Gletschern des Kristallsangwaldes wieder. Der Magier befühlte etwas in seiner Brusttasche, während die schwarze Gestalt immer kleiner wurde. »Ich hoffe Ihr kehrt zu mir zurück, so wie ich zu Euch zurückkehrte.«, murmelte er sehr leise vor sich hin.   *****   Dreorwyn musste unweigerlich tief seufzen. Diese Gefühle, die er für Riwena hegte, sie hatten sich nie gelegt. Er übersah Struanas Briefe. Kurze Fetzen schnappte er auf, ab und an verweilte seine Augen sogar auf mehrere Zeilen, in denen Struana über das, was ihr zugestoßen war berichtete, über den Befall der Macht des Shas und ihre zukünftigen Pläne. Anscheinend wusste sie nicht genau, weshalb es sie nach Pandaria gezogen hatte, und weshalb sie so anfällig für das Sha gewesen war. Vermutlich konnte sie sich nicht an ihren Verlobten erinnern. Entweder hervorgerufen durch den Schock dieser befremdlichen Sha-Essenz, oder einer Amnesie, doch wahrscheinlich war es auch besser so.   Diese Frau hatte seinem Leben eine Wendung gegeben, Antworten auf seinen ruhelosen Geist, aber auch Frieden für seine Seele. Sie hatte genaustens gewusst, wer er war, hatte ihn darüber aufgeklärt. Dennoch hatte es das Schicksal nicht gut mit ihr gemeint, als sie ihrem Verlobten nach Pandaria nachgeeilt war. Er hatte sich gewünscht, dass dies ihr erspart geblieben wäre.   Der Magier legte Struanas Briefe zurück in das Regal und auch die Skizze des Kompasses wurde zur Seite gelegt, als sein Blick auf etwas anderem festhing. Es war ebenfalls eine Skizze mit Bleistift auf Papier gezeichnet. Es sah aus wie ein einfacher Edelstein, der in eine Spitze Form geschliffen war. Weshalb sollte man eine so simple Arbeit in einer Skizze verewigen? Es waren sehr viele Randbemerkungen auf das Pergament zu sehen, die sich nur bei näherer Begutachtung lesen ließen. Allerdings musste man auch dazu sagen, dass die Zeit die Schrift verwischen ließ. Dabei fiel auf, dass ein Wort sehr häufig geschrieben worden war. 'Kristallherz'.   Dreorwyn fasste sich an die Brust. Unter der Weste ruhte an einer silbernen Kette dieses Exemplar, die Kette, die er nur trug, da sie einen Sinn und Nutzen für ihn erfüllte.   Es war noch nicht einmal so lange her, als Dreorwyn fluchtartig das Steinkrallengebirge verlassen hatte. Wie hätte er auch ahnen können, dass dieses 'Experiment' von diesem Gnom so schief gehen konnte? Es war ein simpler Zauber gewesen, eine Formel die dem Ziel eine erleichterte Kanalisierung seiner magischen Fähigkeiten zusprach, sofern diese benötigt werden würde.   Magie konnte jeder Trottel wirken, sofern man die Kenntnisse, das Können und die magische Affinität verspürte. Es gibt da aber immer noch eine gewisse 'Begrenzung' wie viel Magie man wirken konnte ohne am Rand seiner Erschöpfung anzukommen. Denn mit jedem gewirkten Zauber fließt ein Teil der Magie durch den Körper und beansprucht ihn, um auch schließlich den Zauber in der gewünschten Form auszuüben. Je nachdem kann es vorkommen, dass ein ungeübter Magier nach einem größeren Zauber keuchte und zitterte, als wäre er durch das gesamte Schlingendorntal gesprintet.   In der Praxis hätte der Zauber, den Gnimo vor einiger Zeit auf ihn gewirkt hatte, diese Mentalität, das Aufnahmevermögen von Magie ausweiten sollen, sodass die Beanspruchung von Energie ihn nicht sichtlich belastete. Dreorwyn hätte stärker werden sollen, viel Aufnahmefähiger, gekonnter in seinen Zaubern, doch irgendetwas musste schief gelaufen sein und zwar gewaltig.   ***** Kapitel 4: Das Kristallherz --------------------------- *****   »Macht sofort, dass es aufhört!«, schrie Dreorwyn, während die Schriftrolle, die er angefasst hatte um sie zu lesen auf einmal in Flammen aufging und er sie von sich wegstieß. Sein Kopf dröhnte, als würde dieser jeden Augenblick platzen. Über dem Magier schwebte eine violette, kleine Wolke, die sich langsam zusehends rot verfärbte.   »Ihr müsst ruhig bleiben, Dreorwyn!«, entgegnete Gnimo und löschte das brennende Papier, welches auf dem Boden gefallen war mit einem Handwisch. »Und vor allen Dingen NICHTS anfassen!«   Dreorwyn fuchtelte mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum, als die rote Wolke plötzlich kleine Regentropfen absonderte, die auf ihn herabregneten. »Ihr habt mir das eingebrockt! Ihr seid nicht in der Lage es rückgängig zu machen! Also MUSS ich doch etwas tun!«   Der Gnom stemmte seine Hände beleidigt in die Hüfte und stierte zu Dreorwyn hinauf. Seine weißen Haare waren zu einer halbwegs annehmbaren Frisur auf toupiert, doch die tiefen Falten verrieten sein wirkliches Alter. In Ordnung, vielleicht auch nicht, bei Gnomen konnte man schließlich nie so genau wissen. Auf jeden Fall war Gnimo schon sehr alt und runzelig. Aber seine Augen waren wach und klar, was man ihm nicht zutrauen würde. Er war in eine Muster besetzte, violett rote Robe gehüllt, die genau auf seine Größe zugeschnitten war. »Ich habe Euch gefragt, ob Ihr den Zauber über Euch ergehen lassen wollt!«   »Zu dem Zeitpunkt sagtet Ihr mir aber nicht, dass er noch nie getestet worden ist!«, brüllte Dreorwyn zurück und starrte genervt zu der Regenwolke hinauf, deren Tropfen immer größer zu werden schienen und er nach kurzer Zeit bereits in einer kleinen Wasserpfütze stand.   »So wird das nichts.«, murrte Gnimo abweisend und mit einem Klatschen seiner Hände verpuffte die Regenwolke über Dreorwyn. »Ich kann nicht den ganzen Tag hinter Euch aufräumen. Außerdem befürchte ich, dass es noch schlimmer wird. Was ist noch einmal im Steinkrallengebirge geschehen?«   Dreorwyn fuhr sich mit seiner Hand gestresst durch die schwarzen Haare. »Ein Busch begann zu brennen...«, murmelte er und schloss seine Augen. Er fühlte sich so machtlos und gleichzeitig so vollgestopft, als hätte er kein Ventil es herauszulassen. Anstatt dass er besser Magie wirken konnte, schien es nun so, als würde er selbst Magie produzieren und das Fassungsvermögen seiner Zellen läuft über und die Magie brach aus ihm heraus.   »Es wird also noch schlimmer werden.«, murrte Gnimo, während er einen Stapel Bücher wieder zurück in die oben liegenden Regale schweben ließ. Diese hatten alle keine Antwort auf die Frage gegeben, wie - oder ob - man den Zauber rückgängig machen konnte. Dreorwyn rieb sich stöhnend seine Schläfen. »Maratras müsste jeden Augenblick eintreffen. Er wird Euch helfen.«   »Kann er es Rückgängig machen?«, fragte Dreorwyn hoffnungsvoll, doch der Gnom schüttelte niedergeschlagen seinen Kopf. »Er kann Euch das Mana entziehen, damit Ihr mir hier nicht explodiert.« Etwas knallte und anstatt der herumliegenden Schriftrollen standen nun Schafe in dem Raum die laut blökten und begannen einige Bücher anzuknabbern. Gnimo schloss genervt seine Augen. »Herrje, könnt Ihr nicht schlafen oder so?«   Dreorwyn ließ sich in einer Ecke des Raumes fallen. »Wenn Ihr mir verratet, wie ich mit diesem Druck in meinem Kopf an Schlaf denken könnte!«, murrte er verzweifelt und legte seinen Kopf nach vorne. Der Magus grub seine Fingernägel in seinen Nacken. Diese Kopfschmerzen waren nicht auszuhalten. Seine Augen waren blutunterlaufen und seine Haut wirkte krank. »Ihr seid ein beschissener Beschwörer.«, knurrte er fast, während er versuchte an etwas normales zu denken. Doch in einer Welt, die förmlich von Magie durchflutet war wie die Azeroths, noch dazu in einer Stadt, welche gemeinhin die Stadt der Magie war, war dies nicht ganz so einfach.   Ein energisches Klopfen an der Tür ertönte und beide sahen auf, während die Schafe in dem Raum noch immer ihre tierischen Laute von sich gaben. Die Türe war allerdings keine wirkliche Türe. Im Grunde genommen konnte man sie als ein Stück massives Holz bezeichnen, welches den Eingang versperrte. Sie besaß kein Schloss. Das Klopfen erstarb allerdings nicht, sondern wurde immer intensiver. »Wer ist da?«, fragte Gnimo laut durch die verschlossene Türe und begann damit ein Schaf nach dem anderen wieder in die eigentliche Schriftrolle zurück zu verwandeln, während die anderen sich vergnügt weiter über die Bücher her machten.   Zunächst bekamen beide keine Antwort, dann rief eine weibliche, tiefe Stimme. »Ich bin es, Tolyria! Mach auf du kleiner Gartenzwerg! Ich brauche meinen Goldschmied und ich weiß genau, dass er da drin ist!«   »Auch das noch...«, stöhnte Dreorwyn verzweifelt, während er seinen Kopf nach hinten gegen die Wand knallen ließ. Vielleicht half ja etwas Schmerz gegen diesen Druck? »Ich habe ihr doch gesagt, dass ich weg bin.« Gut, er hatte Tolyaria, der Meisterschmiedin und irgendwo auch seiner Lehrmeisterin gesagt, dass er für eine Woche im Steinkrallengebirge sein würde, um Riwena und die Gemeinschaft zu besuchen. Die Woche war zwar schon lange verstrichen, aber er hatte auch angedeutet, dass ein eventueller Verzug nicht ausgeschlossen sein könnte.   »Woher willst du wissen, dass er hier ist?«, fragte Gnimo sichtlich genervt und laut rufend durch die verschlossene Tür, die eigentlich keine Tür war, während ein weiteres Schaf zurück zu einer Schriftrolle gewandelt wurde. Durch den Vorfall mit Dreorwyn und dem jetzigen Stress vergaß der vornehme Gnom und Inschriftler sogar seine Manieren und die förmliche Anrede gegenüber der herrischen Schmiedin.   Kurz war es stumm vor der Tür. »Willste mich verarschen?! Dein Haus hat gerade nen neuen Anstrich bekommen! Nen grünen!« Dreorwyn verdrehte entwaffnet die Augen und rieb sich seine Schläfen. Das konnte doch nur alles ein Alptraum sein. »Außerdem fangen Schwerter nich einfach das fliegen an! Und nachdem keine Lehrlinge der Kirin Tor da sind um Schabernak zu treiben, sondern sich darum kümmern, dass alles wieder 'normal' wird und du n beschissener Magier bist, kann nur der Edelsteinheini dahinter stecken!«   »Ich hasse sie.«, murrte Dreorwyn leise und starrte düster zu der Blockade am Eingang. Doch zumindest in einem Punkt stimmte er Tolyria voll und ganz zu. Gnimo war ein beschissener Magier, oder zumindest ein Beschwörer. Schafe zurück in Schriftrollen wandeln, konnte er. Es kam schon einmal öfters vor, dass Tolyria ihre Beherrschung verlor, meistens bei ihrer Arbeit, wenn die anderen Schmiede nicht sauber arbeiteten. Aber nachdem was sie berichtete, fühlte er sich sehr unwohl.   »Jetzt ist es rot!«, brüllte die Sin'dorei nach mehreren Momenten von draußen durch die Tür.   »Ist ja gut!«, rief Gnimo heraus, der inzwischen im Gesicht rot angelaufen war, nachdem das letzte Schaf wieder eine Schriftrolle war und mit einem weiteren Handwisch verschwand die massive Tür. Die braunen, langen Haare der Sin'dorei waren zu einem dicken Zopf geflochten und sie stampfte in ihrer Arbeiterkleidung in den Inschriftlerladen, die teilweise rußgeschwärzt war. Ihre grünen Augen fixierten Dreorwyn, der in der Ecke noch immer zusammengesunken vor sich hin starrte. »Bist du verrückt? Wenn du so weiter machst, schmeißen die dich noch aus der Stadt raus!«   Dreorwyn hob sein Gesicht mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen. »Ich hatte angenommen, es würde sich auf einen Raum beschränken.«, murmelte er leise, während sich eine dünne Frostschicht über seine Beine zog. Doch irgendwie fehlte dem Magier die Motivation sie zu beachten. Er hatte nicht gewollt, dass sie mitbekam, in welches Chaos er sich hinein manövriert hatte. Doch nun stand die Sin'dorei mit einem strafendem Blick und den Händen in die Hüfte gestemmt vor ihm. Ob er jetzt seine Anstellung verlor?   Tolyria zog die Augenbrauen zusammen, während sie ihn skeptisch musterte. »Was isn mit dem los?«, fragte sie schließlich den Gnom zu ihrer Seite, der nur schulterzuckend den Kopf schüttelte. »Ein fehlgeschlagener Zauber. Und seitdem zaubert er ohne es zu wollen.«, seufzte er leise.   »Was?!«, Tolyria sah Gnimo an, als habe dieser den Verstand verloren. »Du und deine verrückten Experimente! Hab dir doch gesagt, dass die nur Ärger bringen!«, tobte sie, während sich die Frostschicht langsam über den Fußboden zog. »Und kannst nichts dagegen machen, oder bist du son Sadist, dass du ihn nicht von dem Zauber erlöst?«, schnauzte sie kaltschnäuzig den Inschriftenkundigen an. Dabei warf sie immer wieder einen prüfenden Blick zu Dreorwyn um diesen genau zu Mustern.   Gnimo seufzte schwer und ausdauernd lange. Doch bevor er etwas antworten konnte, steckte ein junger Mann seinen Kopf durch den Eingang. »Störe ich?«, fragte er. Die hellblauen Augen des Mannes schweiften durch den Raum und blieben dann schließlich zwischen Tolyria und Gnimo hängen. Das braune, kurze Haar war im Nacken etwas länger und war zu einem kurzen, dünnen Zopf zusammengebunden worden. Er trug eine grüne Lederweste und eine braune Leinenhose mit dazu passenden Stiefeln. Die Kleidung des Mannes war stellenweise mit kleinen, goldenen Mustern bestickt.   Der Gnom wandte sich zunächst mürrisch zu dem Besucher um und er wollte bereits erwähnen, dass der Laden für heute geschlossen hatte, doch dann hellte sich seine Miene auf. »Maratras! Dem großen Zahnrad sei Dank, komm rein und kümmert Euch um den Mann, bevor er noch den kompletten Boden einfriert und wir hier herum schlittern dürfen.«, sagte er fingerfuchtelnd in Dreorwyns Richtung zeigend. Der Magier seufzte nur kläglich. Am liebsten wollte er im Erdboden versinken, doch das bewirkte seine frei herumwirbelnde Magie schließlich nicht.   Maratras trat in den Raum und musterte den Magier in der Ecke, der sich lustlos daran machte an seinen Oberschenkeln entlang die Frostschicht abzureiben. Langsam wurde es doch kalt darunter. Leider sah es nur nicht so aus, als wäre dies sehr von Erfolg gekrönt. Maratras ging vor Dreorwyn in die Hocke und musterte ihn eingehend. Der Magier hob nur seinen Kopf um ihn anzusehen. Die Gesichtszüge seines Gegenübers wirkten freundlich und fast noch jungenhaft. Allein Dreorwyns Aussehen hätte Maratras dazu veranlassen können, dass er wieder zurückgewichen wäre. Das mürrische »Was?«, von Dreorwyn hätte dafür alleine nicht ausgereicht.   Doch Maratras schien die Ruhe weg zu haben. Freundlich lächelte er und legte zwei Finger einer Hand auf Dreorwyns Schläfe. »Das könnte jetzt etwas weh tun, Magus. Aber es wird Euch Erleichterung verschaffen.« Feinstaubähniche Partikel aus Mana lösten sich mit einem Türkisen Schimmer, als er die Finger von seiner Schläfe zurückzog, so als würden diese direkt aus Dreorwyn herausgezogen werden. Dreorwyn stöhnte leise und krümmte sich zusammen. Es fühlte sich an, als würde mit Gewalt ein Stück seines Gehirnes aus ihm herausgerissen werden und ein ebenso tiefes Loch hinterließ es auch in ihm. Doch dann entspannte er sich nach mehreren Herzschlägen, als die Erleichterung durch seinen Körper floss und diese viel größer war, als der Schmerz der zurückblieb.   »Gut, das wären schon einmal zwei Manasteine.«, murmelte der Mann, der in der Hocke vor ihm saß und zwei kleine Murmeln vor sich in der Hand hielt. »Der Rest wird nicht so abrupt sein, versprochen.« Der Magier hob seinen Kopf zu Maratras und nickte ihm dankbar und jetzt auch sehr entkräftet zu. Die Erleichterung und die darauffolgende Erschöpfung brach über ihn herein, als hätte er ein Jahrzehnt nicht geschlafen. Dreorwyn spürte, wie er weiter machte, mehr Mana aus ihm heraus sog und diese in weitere, kleine Manasteine umwandeln würde. Doch diesmal sehr viel langsamer und angenehmer, sodass er sich seiner Erschöpfung hingeben konnte.   Die Stimmen drangen nur noch dumpf zu ihm, als würde er in einem einzelnen Raum, oder hinter einer dicken Glasscheibe sitzen. »Also ist er krank?«, fragte Tolyria ungeduldig mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ihr Blick wanderte von der Ecke in der Dreorwyn lehnte und Maratras ihm so gut es ihm möglich war Linderung verschaffte, wieder zu dem Gnom. »So könnte man es durchaus auch nennen, ja.«, entgegnete Gnimo und wandte sich ihr wieder mit einem mürrischen Gesichtsausdruck zu. Schließlich verlief das Gespräch nicht unbedingt zu seinem Vorteil.   Die Meisterschmiedin schnaubte ungehalten. »Und du kannst den Zauber nicht wieder rückgängig machen?« Gnimo schüttelte energisch seinen Kopf. »Ich weiß nicht wie. Ich habe den Zauber der das verursacht hat durch einen Zufall gefunden und ihn... sagen wir so, etwas abgeändert.« Tolyria starrte den Gnom mit einer gerümpften Nase und ungläubigen Blick an. Ihr strafender Blick sprach Bände. Gnimo hob abwehrend die Arme. »Ich kann doch auch nichts dafür! Vielleicht liegt es an seinen Zellen oder so, dass sich der Zauber so merkwürdig auswirkt!«   Die Sin'dorei stöhnte genervt. »Also...«, raunte sie und rieb sich die Stelle zwischen Nasenrücken und Augen. »Er produziert eigenständig Mana - wie auch immer - kann es aber nicht fassen, weswegen es in unkontrollierte Zauber überschlägt?«, fasste sie zusammen. Gnimo nickte zustimmend. »So könnte man es durchaus nennen, ja.«   »Anu Belore...«, murmelte sie und schüttelte ungläubig ihren Kopf. »Also müsste es etwas geben, das ihm die Magie entzieht so wie-«, sie deutete mit einem Kopfnicken wieder zu Dreorwyn und Maratras, der weiterhin dabei war ihm das Mana zu entziehen. Eine dritte Murmel aus violettem Glanz formte sich in seiner Handfläche und ihm stand leicht der Schweiß auf der Stirn. »Ich glaube kaum, dass sich Dreorwyn damit zufrieden geben wird, wenn wir ihm jemanden an die Seite stellen der-«, begann Gnimo, doch die Blutelfe unterbrach ihn unwirsch. »Kim'jael! Das meinte ich nicht!«, schnaubte sie ungehalten und drehte sich mit einer wegwerfenden Handbewegung zum Gehen um. »Ich weiß was er braucht. Ich werde es besorgen.«   Mit diesen Worten verließ sie die Inschrifterstube. Dreorwyn sah noch wie sie ging, doch dann schloss er seine Augen und glitt in einen unruhigen, erschöpften Schlaf über. Der Druck in seinem Kopf war immer noch vorhanden, doch lange nicht mehr so groß wie noch am Morgen.       Drei Tage lang hatte Maratras ihm die Magie entzogen und um die dreißig Manasteine hatte er nur durch diese überschüssige Magie herstellen können, doch inzwischen wirkte selbst er mit seinem Latein am Ende. »So kann es auf jeden Fall nicht weiter gehen.«, murrte er öfters als nur einmal, als er von einem Spaziergang wieder zurückkam, oder nachdem er gerade aufgestanden war. Man konnte gut behaupten, dass der Mann voll eingespannt war. Doch Dreorwyn konnte nicht wirklich viel dazu beitragen. In ihm schien ein stetiges Ungleichgewicht zu herrschen. Entweder war er so ausgetrocknet von Magie, dass er sich nicht mehr bewegen konnte, oder er war unruhig, wegen dem Überschuss. Es war Dreorwyn sichtlich unangenehm, dass er Maratras eine solche Last war, doch wenn er ihn fragte winkte dieser lediglich mit einem leichten Lächeln ab. Auch wenn er völlig kaputt wirkte. »Macht Euch deswegen keine Gedanken, Dreorwyn. Die Manasteine kann ich gut gebrauchen.« Das war auch der Grund, weshalb er ihm half, weil er die Manasteine für seine Pläne benötigte. Welche Pläne das allerdings waren, hatte er ihm nie verraten.   Am vierten Tag kehrte Tolyria zurück. Sie hatte ein paar Worte mit Gnimo gewechselt, der sie zunächst skeptisch angesehen hatte. Dann jedoch wirkte er einsichtig. Maratras blieb vorsichtshalber in der Nähe, sollte etwas schief gehen, während sich die Sin'dorei dem Magier gegenüber setzte. Sie packte einen Edelstein aus ihrer Tasche, der noch zusätzlich in einen funkelnden und Runenverzierten Stoff gehüllt war. Sie berührte den Stein nicht selbst, als fürchtete sie, einen Fingerabdruck darauf zu hinterlassen. Die Blutelfe überreichte Dreorwyn den Kristall in seine ausgestreckte Hand und zog den Stoff zurück. Er war bereits geschliffen und wirkte filigran, elegant und leicht. Doch selbst der Magier spürte, dass das Aussehen nicht das einzig sonderbare an diesem Edelstein war. Dreorwyn hob ihn auf Augenhöhe um ihn besser in Augenschein nehmen zu können, doch Tolyria senkte seinen Arm wieder in seinen Schoß. »Nicht bewegen. Ich habe das noch nie gemacht und ich muss mich konzentrieren.«   Dreorwyn folgte ihrem Befehl, während die Blutelfe mit ihrem Zeigefinger auf seine Brust tippte und schließlich auf den Stein in seinen Händen. Sie wirkte dabei äußerst konzentriert, als würde sie einen Zauber weben. Der Edelstein glühte zunächst matt violett auf, dann strahlte er für einen Wimpernschlag und dann dimmte das Leuchten beständig ab. Zufrieden hob Tolyria die Mundwinkel und ihr grün schimmernder Blick hob sich zu ihrem Gegenüber. »Dies ist ein Kristallherz, Dreorwyn.«   »Ein Kristallherz?« Der Magier hob nur fragend eine Augenbraue und musterte seine Lehrmeisterin, weshalb sie etwas weiter ausholte. »Ihr könnt es auch einen reinen Edelstein nennen. Einen Speicher für die Magie. Doch ein Kristallherz hat noch immer einen bestimmten Nutzen, eine Funktion. Normalerweise bindet man ihn an eine Magiequelle, beispielsweise Ley um so eine direkte Verbindung zu einer nutzbaren Magiequelle zu haben. Da dein Problem aber darin besteht zu viel Magie in dir zu haben, habe ich seine Funktionsweise verändert. Es geht ganz einfach, sofern man einige Kenntnisse über diese Steine hat. Ich habe ihn auf dich angepasst, sodass dein derzeitiger Manahaushalt wieder einen Normalstand erreicht. Das Kristallherz speichert die überschüssige Magie in sich, wie ein endloser Manastein. Sollte es doch einmal vorkommen, dass sich zu viel Magie ansammeln sollte, dann setzt das Kristallherz diese gespeicherte Magie wieder frei in die Welt. Du kannst es so sehen...«, begann sie und deutete mit einer Handbewegung ernst auf sich. »Die Sin'dorei haben gelernt das Mana aus Lebewesen zu entziehen, da der Sonnenbrunnen zerstört war und wir der Sucht anheimfielen. So reagiert auch das Kristallherz nun auf dich. Allerdings saugt er dich nicht völlig leer, sondern nimmt nur stets einen Teil in sich auf. Wenn der Speicher voll wird, setzt er den Überschuss frei, damit er nicht überlastet wird.«   Dreorwyn hob eine Augenbraue, als er begann, langsam zu verstehen. »Magie entziehen um sie selbst zu nutzen.«, murmelte er leise. Tolyria nickte zufrieden, vermutlich da er sie verstand. »Immer wenn du Magie wirkst, wirst du automatisch zuerst die gespeicherte Magie des Kristallherzens antasten. Erst wenn dieser Speicher leer ist, wird die Magie deiner Umgebung angetastet. Also achte in Zukunft darauf wie du Magie nutzt.« Sie erhob sich wieder und klopfte sich nicht vorhanden Staub von der Hose, während Maratras und Gnimo sie beobachteten. Maratras sah dabei zwar erleichtert doch nicht gänzlich zufrieden aus. Auch wenn er jetzt schon sehr viele Manasteine hatte, schienen sie ihm nicht zu genügen. Aber das konnte Dreorwyn egal sein. Er war so erleichtert, dass sich eine Lösung für sein Problem finden ließ. »Außerdem unterdrückt er den Fluch etwas. Aber du solltest darauf achten, dass du in Zukunft mindestens einen Zauber am Tag wirkst. Ein Portalzauber eignet sich dazu hervorragend.« Sie zwinkerte ihm grinsend zu. »Und ab morgen erwarte ich dich wieder in meiner Schmiede.«   Dreorwyn nickte matt und drehte den Stein zwischen seinen Fingern. Die Oberfläche war glatt, angenehm und kühl. Es war ein praktischer Speicher, er würde wissen, wie er ihn nutzen musste. Dennoch wäre es ihm lieber, wenn der Zauber auf ihm wieder aufgehoben werden würde, doch Gnimo hatte bis jetzt noch keine Lösung gefunden. Vermutlich würde er auch in Zukunft keine finden. Letzten Endes war er nun doch irgendwie an das gewünschte Resultat gekommen, wenn auch mit Umwegen. »Und jetzt leg dich hin.«, riss ihn Tolyria's barsche Stimme aus seinen Gedanken. »Du siehst beschissen aus. Also ruh dich aus.«   Der Mann lächelte erschöpft. »Reizend.«, murmelte er, während sich die Sin'dorei umdrehte und mit großen Schritten aus dem Raum stampfte. Vermutlich wusste sie, dass sie ihm hiermit eine immense Last von den Schulten genommen, wenn nicht sogar sein Leben bewahrt hatte.   *****   Der Magier ließ die Skizze dort liegen, wo er sie im Regal gefunden hatte und rieb sich stattdessen die Augen. Was für eine aufregende Zeit das gewesen war. Er hätte sehr gut auf sie verzichten könnten. Seitdem hatte er sich stets an ihre Vorgabe gehalten, auch wenn er eine Zeit lang nicht hatte zaubern können. Danach war er einen riesigen Sprung in seinen magischen Künsten nach vorne gemacht. Er verdankte Tolyria sehr viel. Wie sehr wünschte er sich, diese Willensstarke Frau würde noch leben, doch sie fiel der Säuberung zum Opfer, wie so viele ihrer Art. Eine weitere Seele, die er gemocht hatte und die durch die grausame Hand des Krieges Azeroth genommen worden war. Er wünschte es würde enden, doch dieser Gedanke war reines Wunschdenken. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war - so schlimm der Zwist mit der Horde auch war - den Verlassenen konnte man nicht vergeben.   Mit schwerem Herzen wanderten seine Augen das Regal weiter hinab. Dreorwyn spürte die Nostalgie, die in dem Regal innewohnte, aber auch die Last, die sich über seine Schultern legte. Eine Last und eine Angst, die er immer mit sich tragen würde, denn seine Schuld klebte an ihm wie ein Schatten, der ihn stetig verfolgte. Mittig standen drei Bücher und eine Münze, die unter einer Glasglocke gesichert von Staub ruhte. Doch nun, dies war nicht der einzige Grund, warum die Münze gesondert dort stand.   Seine Finger umschlossen ein Buch mit einem dunklen Ledereinband. Als er es herauszog musste er seine Nase rümpfen. Das Buch sah nicht nur modrig, zerfleddert und über die Jahre hin stark mitgenommen aus, es roch auch danach. Warum hatte der Magus also ein so altes Buch, das aussah, dass es jeden Augenblick aus dem Einband raus fliegen würde? Doch bereits die erste Seite gab Aufschluss darauf. Auch wenn die Handschrift grauenhaft war und nur schwer leserlich.   ***** Kapitel 5: Einträge im zerfledderten Tagebuch --------------------------------------------- *****   01        Ich habe lange überlegt wie ich beginnen soll... Doch das hier soll mir schließlich dabei helfen, meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen... also... ... Was für ein unsagbarer Unfug!   02        ... Ich bin mir nicht sicher wie, aber die Nachtelfen haben mich aufgegabelt. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, nur noch, dass ich mich unter ein paar Trümmern hervorgezogen habe. Nachtelfen sind so riesige Wesen mit langen, abstehenden Ohren! Die wollten mich nach Darnassus bringen. Weiß der Nether wo das sein soll. Sie sind mir unheimlich, sie sehen merkwürdig aus, gruselig und ich habe das Gefühl, als würden sie mich nicht sonderlich mögen. Liegt das an diesem komischen Ritual, welches sie gemacht hatten? Nun, es war in gewisser Hinsicht verschwendet. Sie sagten mir, dass ich eigentlich ein Mensch wäre und ich meine 'alte' Form wieder annehmen sollte nach dem Ritual. Wenn ich mich so betrachte, sieht das aber nicht so danach aus. Ich habe mir meinen Weg aus Gilneas durchgekämpft (gut, ich bin viel mehr geschwommen...) das ging aber erstaunlich gut! Immer, als ich dachte, ich schaffe es nicht mehr an Land und ich ertrinke, habe ich einen riesigen Satz nach vorne gemacht. War schon etwas merkwürdig, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, aber in dem Augenblick war mir das ziemlich egal. (Bin ja ums Überleben geschwommen.) ... Latorsch möchte irgendetwas...   03        Gut... wo war ich gewesen? Achja! Dass ich auf dieser 'Reise' mein letztes Hemd in der Brennenden Steppe verloren habe, muss ich nicht extra erwähnen, oder? Überhaupt... ich habe mich wohl kaum von einem Tier unterschieden. Vielleicht bin ich ja auch eines? Zumindest haben das einige Worgen behauptet, denen ich in den Hügellanden über den Weg gelaufen bin. Sie sagten, der Fluch sei ein Segen. Was denn bitte für ein Fluch? Ich verstehe es nicht. Sie hatten mir angeboten, dass ich mich ihnen anschließen könnte. Natürlich habe ich abgelehnt, so viele Worgen waren mir doch etwas... suspekt. Aber vielleicht hätte ich noch vorher nach dem Weg fragen sollen. Denn ich habe mich komplett verlaufen. Gut, woher hätte ich wissen sollen, dass irgend so ein König aus Gilneas (wusste wirklich nicht, dass wir einen König hatten) bereits in Sturmwind war und ich ruhig die Bahn von Eisenschmiede hätte benutzen können! Mal ganz davon abgesehen, - woher hätte ich wissen sollen, dass Eisenschmiede eine Tiefenbahn hat?! Jeden den ich traf, egal ob Troll oder Zwerg, die hätten doch auf mich geschossen, wenn ich die nach dem Weg gefragt hätte! Genug davon... Nach der Brennenden Steppe und dem Rotkammgebirge wo ich endlich auf Menschen und auch wieder auf Worgen gestoßen bin, musste ich mir einreden, dass ich durch den Dämmerwald muss. Was für ein absurder Gedanke! Alle dort drin sind wahnsinnig! Hätte ich das nur mal früher gewusst...   *****   Dreorwyn schüttelte seinen Kopf über seine eigene Unbeholfenheit und die Naivität, die er damals gehabt hatte. Er sah zu der Kerze hinauf, um auszumachen, wie lange er wohl schon hier war. Dann setzte er sich auf den Boden und las weiter. Es konnte ja nicht schaden in seinen ersten Erinnerungen zu wühlen. Außerdem konnte er sich nicht erinnern, wann er dieses alte Tagebuch jemals so aufmerksam zuletzt gelesen hatte.   *****   Ich dachte, sie wären ebenso wie die Worgen aus dem Hügelland. Doch ich habe mich getäuscht. Dass ist nur eine Bande von Verrückten! Die haben wirklich geglaubt, sie seien Tiere. Dass man mit denen nicht vernünftig reden konnte, hätte mir schon klar sein sollen, als sie mich angegriffen haben. Drei von denen haben mich vom Weg geschleppt und haben mich dann verhört. Ich musste mir so einen Quatsch anhören, von wegen ich wäre ein Spion und warum ich in deren Revier eingedrungen war. Ich bin da gerade noch mit beiden Ohren heil raus gekommen! Sie hatten mir einige unschöne Bisswunden und Kratzspuren auf dem Weg mitgegeben. Die Wunden haben geschmerzt, aber ich bin weggekommen. Immerhin...   *****   Dreorwyn blätterte weiter, gedankenverloren. Seine erste Erfahrung mit dem Dämmerwald war nicht so berauschend gewesen. Hasste er deshalb diesen Ort sogar noch mehr als Gilneas? Nein, da war noch etwas anderes. Vielleicht war es auch einfach nur, dass sich die Vorfälle im Dämmerwald einfach gehäuft hatten. Selbst wenn er jetzt daran dachte, glaubte er, dass die Narben auf seiner rechten Schulter und auf der Rückenmitte brannten. Energisch rieb er sich am Hals. »Reiß dich zusammen.«, murrte er genervt zu sich selbst. Das war nur Einbildung, auch wenn er sämtliche Ereignisse aus dem Dämmerwald noch sehr lebhaft in Erinnerung hatte. Der Magus beugte sich wieder über das modrige Buch und las weiter.   *****   04        Kai ist so eine Nervensäge!   *****   Dreorwyn runzelte die Stirn. Kai...? Ach... Kai... Schließlich seufzte er sehr lange und ausdauernd. Diese alte Fehde...   *****   Diese kleine Pest! Ich hätte wissen müssen, dass sie das ist! Die hat doch echt Nerven, mir zu folgen... Das bringt mich zu meiner angebrochenen Erzählung weiter! Als ich in Westfall halb verhungert und ausgeblutet und einfach nur erschöpft angekommen bin - ja, ich bin zunächst zusammengeklappt! Ich dachte, ich wache nicht mehr auf, doch nun... das Schicksal ist launisch, sagen wir es so.   Ich habe mir danach etwas zum Essen gesucht, hatte auch schon tagelang nichts mehr gegessen. Und dann läuft mir dieses dumme Mädel über den Weg. Und nein, sie hat es nicht dabei belassen mir unglaublich auf die Nerven zu gehen! Diese dumme Gans hat mich angegriffen! Mit ihren Dolchen! Keine Ahnung, was diese halbe Portion wirklich wollte, vielleicht dachte sie auch einfach nur, mein Fell würde sich auf dem Boden und mein Kopf an einer Wand gut machen. Und als ich mich verteidigte, rammte sie mir ihren Arm ins Maul!   Ich hatte sie gebissen, jetzt weiß ich, was passiert ist, doch was macht sie jetzt wieder hier? Will sie mich zum Narren halten? Latorisch dieser Idiot hat mich gerade gefragt, was ich mir dabei gedacht hätte Menschen anzufallen und zu beißen. Ich habe diese Schnepfe nicht beißen wollen, Fel nochmal! Es war ein Unfall gewesen, den sie verursacht hat! Ich sollte mal ein ernstes Wörtchen mit ihr reden.   *****   Dreorwyn sog die Luft scharf ein. Das hatte er fast vergessen. Nicht, dass so etwas vorgefallen war, viel mehr, dass diese Frau Kai hieß. Was wohl aus ihr geworden war? Nun, vermutlich war sie Tod und ihr Schicksal konnte ihm ohnehin egal sein. Schließlich hatte sie ihn zunächst verfolgt, und als es nicht so funktionierte, ihn wegen diesem 'Vorfall' zu belangen, war sie auch mehr oder weniger ruhig geworden. Der Magier schüttelte seinen Kopf. Weshalb machte er sich gerade Gedanken um die? Jeder Gedanke an ihr wäre verschwendet. Manchmal war sie einfach nur nervig gewesen, doch andererseits... Ja andererseits, hatte er sich mit ihr doch recht gut verstanden zum Schluss, auch wenn sie sehr still geworden war. Es war so eine Art Hassliebe zwischen ihnen gewesen.   Der Blick des Magiers fiel wieder auf die vergilbten und stellenweise zerfledderten und eingerissenen Seiten des alten Buches. Er blätterte eine Seite um, damit er weiter lesen konnte. Irgendwie war es ungemein erheiternd für ihn, diese alten Gedanken zu lesen.   *****   05        Ich überspringe jetzt einfach den Teil, bei dem ich in Westfall herumgeirrt und schließlich Aranuvill begegnet bin. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich meine Wunden aus dem Dämmerwald blöderweise entzündet. Mein Körper hat gebrannt, doch alleine wusste ich, dass ich verrecken würde. Wie ein Tier, das ich auch war. Aranuvill ist eine Worgen, die mich mehr ungewollt mitnehmen musste. Ich weiß nicht genau, was mich geritten hatte, doch ich fragte sie, woher sie käme und, ob sie alleine unterwegs war. Sie hat daraufhin gelacht. »Als könnte jemand von uns alleine hier draußen existieren.«, hatte sie gesagt. Sie hat mich mit in das Rotkammgebirge geführt, zu der zerfallenen Burg Steinwacht, wie ich später erfuhr. Es erwartete mich eine ziemliche Wendung meiner Denkweise. Es war ein Rudel Worgen, ähnlich wie die in den Hügellanden, doch viel weniger. Ich war verwirrt, war ich vielleicht doch nur ein Tier? Ich stimmte einem Schwur zu, um zu überleben. Diese Worgen liefen alle nahezu so herum, wie ich, nur dass ich eine Robe den zerrissenen Lumpen vorgezogen hätte. Doch ihre Priester hatten mich geheilt, dies war wichtig für mich. Es war eine Gemeinschaft, ein Pakt. Das Rudel der Schwarzmähnen und Selestross war ihr Anführer, der 'Alpha'. Ich habe vorläufig mitgespielt und werde weiterhin mitspielen. Oder sagen wir es so, ich glaubte wirklich, diese Art zu leben sei normal. Ungefähr zwei Wochen später nahm sich Selestross das Leben und Latorsch wurde der neue Alpha. In der Zwischenzeit kamen immer mehr Worgen, die sich uns anschlossen. (unter anderem Kai). Ich lernte, dass ich einen besonderen Draht zur Magie hegte. Ich kann merkwürdige, pulsierende Streifen in meiner Umgebung sehen, die ich anzapfen und dadurch Zauber formen kann. Ich werde dies weiter ausbauen, auch wenn ich nur belächelt werde, wenn ich ihnen sage, dass ich Magie wirke. Entweder glauben sie mir nicht, oder diese Grobmotoriker wissen einfach nur nicht, wie wirksam ein Zauber gegen ein Schwert sein kann.   06        Eine neue Worgen des Rudels hat sich mir vorgestellt. Nun, mehr oder weniger neu. Sie sagte, sie wäre auf einer kurzen Reise gewesen und deswegen, sei sie nicht in Steinwacht gewesen. (eine ziemlich lange Zeit, für eine kurze Reise...) Väl heißt sie und sie ist... anders? Ich kann es nicht wirklich beschreiben, sie verhält sich anders. Sie hat sich mit mir unterhalten, hat mich gefragt, wie ich den Fluch sehe und, an was ich mich erinnern könnte von Gilneas. Ich war verwundert, da sich der Großteil des Rudels (eigentlich so ziemlich jeder) nur für die Gegenwart interessierte, sie aber, interessierte sich für Vergangenes. Väl hat mir einiges erklärt, als sie erfuhr, dass ich mein Gedächtnis verloren hatte. Sogar über die menschliche Seite in uns. Das, was damals schon die Nachtelfen angedeutet hatten. Zugegeben, nach diesem Gespräch war ich ziemlich durcheinander, aber Väl hat mir bestätigt, dass ich nicht verrückt bin, oder mir Sachen einbilde. Latorsch ließ mich dann zu sich rufen. Er erzählte mir, dass er meinem strategischem Denken vertraue, welches ich in den Übungskämpfen gezeigt hatte. Doch auch, wie ich mich gebe gefalle ihm angeblich sehr. Es würde ausgezeichnet zur Diplomatieführung passen, meinte er. Er hat mich zur Rechten Klaue befördert. Sozusagen den Leiter unterstützen, ihn bei Entscheidungsfragen beraten und so weiter. Welch eine Ehre, das doch ist, dass ausgerechnet ich für die Zukunft des Rudels mitentscheiden darf!   07        So langsam nähern wir uns dem aktuellen Geschehen. Als erste Amtshandlung habe ich gemeinsam mit Väl das Schwarze Brett wieder hergerichtet. Eigentlich ein gewöhnlicher Balken, nur, dass dieser nicht gebrochen war, auf dem Neuerungen in schriftlicher Form festgehalten werden sollten. Erstaunlicherweise fanden sehr viele der Schwarzmähnen diesen Vorschlag gut. Wobei ich nicht damit gerechnet hätte, dass sie überhaupt lesen konnten. Doch es waren mehr als erwartet. Vielleicht denken sie auch so ähnlich wie Väl und ich? Dass an dieser Lebensweise als Rudel etwas falsch war...?   08        Wieder neue Worgen, die sich bei uns vorstellten. Ein ehrenhafter Krieger, mit dem Namen Grantar, ein junger Worgen, der sich sehr höflich ausdrückte, Esquabar und eine Worgin, Riwena. Sie haben nicht sehr viel gesagt, woher sie kamen oder... nun, irgendetwas aus deren Vergangenheit. Riwena ist einfach nur kaltschnäuzig zu Latorsch gegangen, hat gefragt ob er hier das Sagen hätte und verkündete dann, dass sie jetzt hier bleiben würden. Diese Worgen ist ohnehin unglaublich ignorant und unhöflich. Ich werde sie wohl im Auge behalten müssen. Grantar und Esquabar hingegen scheinen Potential zu haben. Sie geben sich bei näheren Fragen unter vier Augen offen und zuvorkommend. Sie halfen den Anderen des Rudels bei den Vorbereitungen des Abendessens. Selbst Kai spielt ihre Rolle in dem Rudel, auch wenn ich schwören könnte, dass sie öfters doch genervt wirkt. Nichts desto trotz sind ein potentieller Gewinn.   09        Heute war eine sehr merkwürdige Versammlung. Ich weiß nicht, wie viele Rudel sich getroffen haben, aber geschätzt waren es gut einhundert Worgen, die in Westfall zusammengekommen waren. Fronten sollten neu geklärt werden, soweit ich das mitbekommen habe. Artras, der Anführer der Silbermähnen, hat sehr oft betont, dass wir speziell, also das Rudel der Schwarzmähnen, mit ihrer Hilfe zu jeder Zeit rechnen konnten. Er spielte auf die Finstermähnen an, die im Dämmerwald lebten, die Worgen, die mich zugerichtet hatten, bevor ich auf die Schwarzmähnen traf. Latorsch wirkte nervös... Väl hatte mich gefragt, ob mir das aufgefallen wäre, also war es nicht nur meine Einbildung gewesen. Ich weiß aber nicht, weshalb Latorisch so hibbelig war, als hätte er Bienen im Hintern und Zeit zum Fragen hatte ich ebenfalls nicht. Denn nach einer Weile wurde die Versammlung verabschiedet, da eine Frau die Versammlung mit zurufen massiv störte. Latorsch sagte mir, dass diese Frau Valorina sei. Sie hätte bereits in einigen anderen Rudeln, vor allen aber, den Silbermähnen sehr viel Ärger gemacht. Also bedeutete diese Frau also Ärger...?   10        Ich habe herausgefunden, weshalb Latorsch nervös gewesen war... Heute eröffnete er in der Rudelversammlung, dass er ein Bündnis mit den Finstermähnen anstrebte. Er hatte mehrere Mitglieder mitgenommen. Lediglich Shary, Wolve, Delvos, Kai und ich blieben zurück, wobei ich einen anderen Auftrag erhielt. Ich bat Väl ein wachsames Auge auf Latorsch zu haben. Ich sagte ihr, dass sie im Fall der Fälle die anderen Mitglieder rausholen musste. Ihr Blick war durchbohrend. Ich kann mir denken, was sie dachte. Ich falle Latorsch in den Rücken. Auch wenn Väl nichts dergleichen gesagt hatte, weiß ich, dass sie so dachte. Ich war auf dem besten Weg abtrünnig zu werden, wenn ich mich weiter einmischte. Aber wie kann ich ruhig bleiben? Für was bin ich die Rechte Klaue, wenn ich diese Verantwortung, den Mitgliedern gegenüber nicht ernst nehme? War ich so anders?   11        Ich komme gerade von dem Rudel der Wildmähnen wieder. Als Botschafter habe ich das Rudel der Schwarzmähnen präsentiert, um ein Bündnis anzustreben. Die Ländereien bei Reisen durch Westfall zu nutzen und die kurze Strecke über Elwynn kamen einem Bündnis mit ihnen zuvor. Vitani - zumindest stellte sie sich so vor - war zunächst nicht abgeneigt, aber sie hatte bei den Wildmähnen wohl nicht sehr viel zu entscheiden. Der Alpha war skeptisch, wollte viel über uns wissen, welche Bündnisse wir bereits eingegangen waren, welche wir anstrebten und was ihre Vorteile wären, sofern ein Bündnis zustande kommen sollte. Ich konnte nicht gänzlich wahrheitsgetreu Argumentieren. Es war nicht möglich! Ich konnte ja schlecht sagen, dass Latorsch im Betriff war ein Bündnis mit den Finstermähnen zu schließen. Einem Rudel, das von allen verachtet wurde. Es war deprimierend. Mit einer Bedenkzeit schickten sie mich wieder fort. Ich sollte heimkehren und Latorsch berichten, dass sie ihm ihre Entscheidung später mitteilen würden.   12        Valorina stand vor den zerfallenen Toren der Burg Steinwacht, als ich zurückkam. Ich weiß nicht, was sie wollte, aber - Hut ab vor Kai. Sie hat Valorina - wie auch immer, sie spricht ja kaum - vor den Türen gehalten, bis ich eintraf. Wir haben uns unterhalten. Kurz. Doch dieser kurze Wortwechsel hat ausgereicht, um sie wahrhaft als Schlange zu entpuppten. Eine Schlange, die jeden Augenblick in die Zähne in das Genick des Rudels schlagen konnte. Bevor sie ging, eröffnete sie mir, dass sie nach Seehain ziehen würde, um ein wachsames Auge auf mir zu haben. Warum denn auf mir? Es war mir ein Rätsel, aber ich musste Latorsch darüber in Kenntnis setzen. Doch dieser war noch immer nicht zurückgekehrt...   13        Die Mitglieder und Latorsch kehrten zwei Tage später zurück. Er sagte, dass sie nicht früher gehen konnten, ansonsten hätte sie die Finstermähnen verärgert. Ich weiß schließlich zu gut, was passiert, wenn man die Finstermähnen verärgerte... Väl verhielt sich angespannt, als wüsste sie etwas, wovon niemand sonst wusste. Doch erzählt hatte sie mir davon nichts. Latorsch berichtete sofort, was bei dem Treffen mit den Finstermähnen geschehen war. Anscheinend war das Treffen verhältnismäßig friedlich verlaufen... Doch ich traue dem Braten nicht so ganz. Es war falsch ein Bündnis mit ihnen anzustreben, was wollte er damit bezwecken? Ich muss Väl hierzu befragen, doch sie war nicht mehr auffindbar für mich und Latorsch hat mir die Rudelregeln in die Pranke gedrückt, damit ich diese überarbeite. Warum nur lässt mich das Gefühl nicht los, dass er vor mir - uns allen - etwas verheimlicht?   14        Die Regeln sind fertig. Alle 21 Regelungen überarbeitet und 5 weitere erfasst. Nachdem Latorsch sie abgezeichnet hatte, schlug ich sie an das Schwarze Brett. Väl ist auch wieder aufgetaucht. Sie sagte, dass ein Bündnis mit den Finstermähnen von ihrer Seite nicht zu Stande käme. Latorsch habe sogar darum gebeten, was mich wahrlich ins Grübeln bringt. Weshalb bat er? Latorsch sollte sich auf die anderen Bündnisse konzentrieren. Oder... er hätte sich konzentrieren sollen, denn Heute kam die Antwort der Wildmähnen. Eine tote Schlange lag vor den Toren der Burg Steinwacht. In ihrem Schlund befand sich eine Schriftrolle mit der Botschaft 'Verräterisches Blut wird fließen. Euer Blut.' Wie kam es zu dieser Nachricht? Wussten die Wildmähnen etwas hiervon? Wenn ja, woher? Wie hatten sie davon erfahren? Väl berichtete mir unter vier Augen von einem Gefühl, dass sie geglaubt hatte, sie würden verfolgt werden. Das wird nicht gut enden, fürchte ich...   15        Latorsch und ich gingen zu den Wildmähnen, auf mein Drängen hin um die Situation zu entschärfen. Allerdings verjagten sie uns, noch ehe wir Westfall richtig betreten hatten. Die Wildmähnen hatten uns nachgerufen, dass es Krieg geben würde. Einen Krieg, den wir mit so wenigen Mitgliedern nicht gewinnen konnten. Wir müssen wachsam sein. Auch wenn die Silbermähnen unsere Verbündeten sind - sind sie doch noch, oder? - sie leben im Hinterland. Das ist weit weg...   *****   Dreorwyn schüttelte seinen Kopf, als er mehrere Seiten überflog. Ja, es war keine sehr schöne Zeit gewesen, welche die Schwarzmähnen durchgemacht hatten. Er las etwas schneller über die Zeilen. »Valorina hetzt uns auf...« »... wir dürfen keine Dummheiten machen.« Stimmt ja. Valorina hatte ihre Einheit aufgezogen und nach Seehain geschleppt. Sie hatten ihnen viele Sorgen bereitet und großen Ärger, daran konnte er sich noch sehr gut erinnern. Das harmonische Leben, oder eher das Katz und Maus Spiel fand allerdings ein jähes Ende, als...   *****   32        Ich fasse es nicht! Was macht dieser Nichtsnutz Latorsch überhaupt? Bekommt der denn überhaupt etwas auf die Reihe?! Nicht nur, dass er mir heute, bevor ich schlafen gehen wollte, eröffnete, dass er ein Bündnis mit Valorina geplant hatte! Nein! Er hat es endlich geschafft alle Rudel gegen die Schwarzmähnen aufzubringen! Und er... er ist irgendwo mit Riwena zugange, seiner 'Gefährtin'! Ich verstehe es nicht, beim besten Willen, wirklich nicht! Wie beim aufgerissenen Nether kann es sein, dass sich Latorsch als Anführer so leicht ablenken lässt?! Er trägt die Verantwortung für ein ganzes Rudel, das 25 Mitglieder zählt. Ihr Schicksal hängt davon ab, nicht in das Speerfeuer zu geraten! Und was macht Latorsch? Er schüttet Öl in das Feuer und lässt sich ablenken... von Riwena... Warum überhaupt Riwena?! Sie ist schlau, das weiß ich. Ich habe sie beobachtet, auch wenn sie über die Maße arrogant ist und sich für - ich weiß nicht so recht, den Kaiser der östlichen Königreiche oder sowas?! - hält, sie kann nicht so tief sinken. Was findet sie an einem solchen Schwachkopf wie Latorsch nur?! ... Doch egal... ich hoffe nur, sie verfolgt nicht einen anderen Plan. Ich hoffe es wirklich. Ich werde mich nicht mehr täuschen lassen. Wenn Latorsch diese Verantwortung nicht tragen kann - aus Dummheit! - werde ich dies übernehmen.   33        Väl ist meine einzige Verbündete. Sie teilt meine Gedanken, meine Bedenken. Latorsch sagte, er würde zu den Silbermähnen gehen, doch er tat es nicht. Ich ziehe mir meine roten Roben über und werde losgehen. Ich habe viel aufzuräumen.   34        Valorina war nicht in Seehain, also sind Väl und ich nach Sturmwind gegangen ins Lazarett. Da sie in Sturmwind zuletzt gesichtet worden ist, lag diese Vermutung nahe. Irgendwie wirken selbst die Wälder von Elwynn nicht mehr sicher. Väl und ich hatten ein schlechtes Gefühl über den Weg, den wir zurück ließen. In Goldhain haben wir Rast gemacht. Zwischen all den Säufern, Drogensüchtigen und Huren, dem Alkohol und lauter Musik. Väl hatte den Einfall, dass wir uns als Pärchen ausgeben. Großer Graumähne! Sie hatte mich geküsst um einen Mann von sich loszuwerden, der ihr gefolgt war. Nur gut, dass sie so pragmatisch denkt. Mich hatte sie für einen kurzen Augenblick aus der Fassung gebracht. Nachdem wir uns umgehört hatten und die Geschichte mehrmals hörten, weshalb wir Valorina nun aufsuchen, sind wir weiter gelaufen. Vor einem weiteren Kuss bin ich glücklicherweise verschont geblieben.   35        Das war etwas... Alleine in Sturmwind reinzukommen ohne viel Aufsehen zu erregen war so gut wie unmöglich. Ich hatte alle Blick auf mir. Nein, nicht wegen der wunderbar, auffälligen, roten Robe. Nein! Wegen der Tatsache, dass ich mich nicht wandeln konnte und ich als Worgen durch Sturmwind gestampft bin. Ähnlich wie ein Trampeltier. Ich habe es versucht! Wirklich! Aber es geht nicht. Warum? War ich zum Schluss doch anders? Väl sagte mir, nachdem sie geduldig gewartet hatte, dass Crowley sich auch nicht mehr in einen Menschen wandeln konnte, nachdem ihn Goldrinns Fluch getroffen hatte. Oder es lag an meinem Gedächtnisverlust und dass ich keinen Bezug zu meiner menschlichen Seite hatte. Könnte Väl recht haben? Ich habe mir bisher keine Gedanken darüber gemacht, aber es machte Sinn. Wir waren also in Sturmwind, haben auch tatsächlich Valorina ausfindig gemacht. Es hatte nicht so ausgesehen, als hätte sie Angst. Sie wirkte sogar im Gegenteil, sehr gefasst, und das bei dem was geschehen war. Väl hatte sich im Hintergrund gehalten. Fast, wie mein Schatten, nur fast. Während ich mich mit Valorina unterhielt, die verletzt war, was kein Wunder war. Die Silbermähnen hatten sie über den Kathedralplatz geschliffen, sie verprügelt, den Rücken zerkratzt... Ich sprach mein Mitgefühl im Namen der Schwarzmähnen aus, immerhin war ich Offizier. Ich betonte auch noch, wie leid es mir täte, auch wenn sie und ihre Männer uns viele Probleme bereitet hatten. Ein solches Schicksal wünschte ich niemandem. Valorina hatte es sogar angenommen. Sie wusste von dem Verhältnis, welches wir mit den Silbermähnen hatten. Bereitwillig legte sie es mir offen. Sie wusste, dass es nicht sonderlich gut war, dass unser Bündnis mit ihnen bröckelte. ... Unser Bündnis mit den Silbermähnen existierte nicht mehr? Es bröckelte?! Aber seit wann? Warum? Und da fiel es mir fast wie Schuppen von den Augen. Als Latorsch bei den Finstermähnen gewesen war. Der Spion der Wildmähnen. Die letzte Nachricht, wir waren zu wenige für einen Krieg. Man hatte die Schwarzmähnen verraten, sie stets in Sicherheit gewogen, wo es keine gab. Oh Latorsch, du Verbrecher... Wenn du davon wusstest, wieso hast du mich nicht eingeweiht?! Ich kam mit Valorina zu dem Schluss, dass ein Bündnis, so nicht furchtbar war. Nicht mit dieser Geschichte. Wir kamen dennoch überein, dass sich die Schwarzmähnen von Seehain fernhielten, lediglich die Brücke nutzen, um den Fluss zu überqueren. Und Valorina und ihre Männer konnten ohne Überfälle fürchten zu müssen die oberen Straßen nutzen. Außerdem würden die Schwarzmähnen die Orks und Plünderer fern halten. Späher vernichten und wenn eine Invasion drohen sollte, ja, nur dann, dies in Seehain melden. Dieser Schluss war logisch für mich und Valorina. Der Ärger sollte nun von ihrer Seite aus ein Ende haben. Immerhin... Ich verabschiedete Väl schließlich. Sie würde zu den Schwarzmähnen zurückkehren, während ich mich auf den Weg in die Hinterlande mache. Ich war gespannt, was mich wohl dort erwarten würde. Was ich zu hören bekäme. Konnte es noch schlimmer werden? Nun, vielleicht hätte ich doch Väl mitnehmen sollen. Sie hatte angedeutet, dass sie mich in meinem 'roten Kleidchen zerfetzen würden', aber ich hoffe es dennoch nicht. Doch wenn sie mich angreifen, würde ich nicht kampflos sterben. Und Sterben würde ich, die Silbermähnen umfassen gute 59 Worgen, wenn nicht sogar mehr. Ich habe meine Magie, auch wenn ich sie nicht so wirksam einsetzen kann, wie ich sie gerne wollte.   36        Ich war fast drei Tage in den Hügellanden, wobei ich alleine zwei davon vor dieser Brücke gestanden hatte und darauf wartete, bis sich überhaupt jemand erbarmte von den Offizieren mit mir zu sprechen. Mit den Silbermähnen ist wirklich nicht zu spaßen und auch nicht unbedingt logisch zu reden. Lorion, er stellte sich als direkten Stützpfeiler von Arthras bei mir vor, seine Rechte Klaue. Er erzählte mir wie die Lage derzeit für die Schwarzmähnen aussah. Sie sah nicht sehr gut aus. Latorsch wäre sogar hier gewesen und hätte versucht den Alpha herauszufordern. Ich lachte nervös. Wirklich? Dieser Nichtsnutz schaffte es immer wieder sich selbst zu übertreffen. Ich versuchte ihm zu erklären, dass dies ein Missverständnis war. Dass Latorsch etwas paranoid sei. Lorion hörte mir aufmerksam zu, aber ich vermute er hat mir nicht geglaubt. Nach vielem Herumgerede hat er mir allerdings versichert, dass die Schwarzmähnen Zeit hätten sich rein zu waschen. Sie wollten uns eine Woche geben. Eine Woche, in der Latorsch nichts unüberlegtes machen sollte. Er durfte nicht auffallen, er durfte die Schwarzmähnen nicht in den Ruin treiben. Eine Woche, was war das schon? Das würde er doch hinbekommen!   37        Ich... bringe... ihn... um... Kaum war ich wieder im Wald von Elwynn und wollte die Brücke von Seehain überqueren schossen Kugeln und Bolzen um mich. Ich verstand nicht was los war. In meiner Torheit blieb ich stehen, zeigte ihnen, dass ich nicht bewaffnet war und schrie, dass es ein Abkommen mit Valorina gäbe. Doch Valorina selbst zischte mir entgegen, dass diese Abmachung nicht mehr gültig sei, nachdem Latorsch sich anmaßte nach Seehain zu kommen und nach ihren Männern verlangte, um gegen die Silbermähnen zu marschieren. Ich bin schockiert. Was hatte dieser Narr nur mit den Silbermähnen? Mit zwei Kugeln in der Schulter rannte ich weiter, schleppte mich zur Burg Steinwacht und suchte nach Latorsch. Ich fand ihn nicht, er war verschwunden, ebenso wie Riwena. Stattdessen erkannte ich Väl, die gegen ihren Willen in Ketten festgehalten wurde. Eingepfercht wie ein Tier. Cosard hat sich um meine Schusswunden gekümmert, als ich ihn fragte was hier vor sich ginge. Er sagte mir, dass Väl vorhatte zu gehen. Das Rudel zu verlassen. Doch jetzt wurde sie mit der Hilfe von einem druidischen Zauber schlafen gelegt. Jetzt kann ich sie nicht mehr fragen. Ich verzweifel langsam. Wenn Väl geht, bin ich doch völlig alleine?!   38        Ich habe Väl frei gelassen. Sie erwachte in der Nacht und knurrte mich an. Doch als sie mich erkannte verstummte sie. Sie sagte, dass Latorsch verrückt geworden sei, dass er zu Valorina ging um einen Krieg gegen die Silbermähnen anzuzetteln. Dass er besessen von den Silbermähnen sei. Dass er dieses Rudel an sich reißen wollen würde. Väl war verwirrt, sie hatte Angst. Ich ließ sie frei, ich ließ sie gehen. Als Rechte Klaue hatte ich das Recht dafür, sie gehen zu lassen. Es lag in meiner Entscheidung. Ich begleitete sie nach draußen, dort wurde sie von einem Worten abgeholt, der sich mir als Tirenas vorstellte. Ich ließ sie ziehen. Ich erzählte Väl, dass es in einer Woche besser sein sollte. Nein, ich versprach es ihr. Doch ob sie meinen Worten Glauben schenkte ist wieder eine andere Sache. Ich kann es nur hoffen. Wobei ich meinen eigenen Worten selbst erst einmal Glauben schenken wollte...   39        Ich sitze wie auf heißen Kohlen. Seit dem letzten Vorfall ist nichts passiert und auch Latorsch und Riwena sind wieder aufgetaucht. Allerdings benimmt sich Latorsch als hätte er Hummeln im Kopf. Doch, wäre ich an seiner Stelle, wäre ich vermutlich genauso unruhig. Er ahnt nicht, dass ich mit Lorion gesprochen habe. Er weiß es nicht und so sollte es auch vorerst noch bleiben.   40        Die Woche ist fast vorüber. Ich habe noch einmal Kontakt zu Lorion gehabt. Er berichtete mir, dass sich Latorsch auf einen schmalen Grad bewegte und die Schwarzmähnen in den Untergang stürzen würde. Der Verrat, dass er die Silbermähnen angreifen wollte, kam heraus. Ich kann dazu nichts sagen, ohne Worte. Es war klar, dass es so kommen musste. Lorion legte mir ans Herz, dass der Tag kommen würde, an dem sich die Schwarzmähnen entscheiden müssten. Und er hoffte für mich, dass wir die richtige träfen. - Das hoffe ich ebenso.   41        Väl kam wieder zurück. Die Woche ist vorüber. Sie sagte, sie wolle sich das alles noch einmal ansehen. Sie wurde von einem Teil der Schwarzmähnen feindselig willkommen geheißen, der andere freute sich freilich über ihre Rückkehr. Ich bin erstaunt darüber wie beliebt Väl doch war, obwohl sie sich doch mehr in Schweigen hüllte und oftmals in Rätseln sprach. Sie ist die Verbündete die ich benötige, diejenige, die die Schwarzmähnen benötigen. Ich bin sehr froh, dass sie wieder bei uns ist.   42        Es hat heute geregnet. Ich dachte bei dieser Rudelversammlung würden alte Angewohnheiten von Latorsch fortgespült werden. Alte, naive Einstellungen wurden verworfen und würden sich ändern, zu etwas besserem, zu etwas überlegterem. Doch ich sollte mich täuschen. Latorsch trat vor das Rudel, er sagte, dass die Wahrheit ohnehin rauskommen würde, dass das Rudel es wissen müsste. Ich war gespannt. Was war es, was Latorsch verkünden wollte? Es traf mich wie ein Donnerschlag, als Latorsch erzählte, dass es einen Krieg mit den Silbermähnen geben würde. Nein! In diesem Augenblick konnte ich nicht mehr ruhig bleiben! Obgleich jedes Mitglied in verständlicher Hinsicht der Panik verfiel stand ich auf. Ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich stellte Latorsch Einschätzungsvermögen öffentlich in Frage. Ich berichtete ihm, was ich tat. Dass ich Entscheidungen über ihn hinweg traf. Dass ich mit den Silbermähnen in Kontakt stand, um das Rudel vor seinen leichtsinnigen Fehleinschätzungen zu schützen. Alles was ich tat, tat ich für das Rudel der Schwarzmähnen, obgleich ich mich nicht wie ein Tier fühlte. Die Persönlichkeiten in diesem Rudel lagen mir am Herzen. Und es gab den ein oder anderen, der dies schätzte, wie ich später herausfand. Ich forderte Latorsch heraus. Er solle gehen, oder kämpfen. Ich war bereit. Wenn dies mein Ende bedeutete, würde ich in Ehren sterben. Jedes Mitglied war angespannt, doch es kam nicht zu einem Kampf. Latorsch stellte die Mitglieder des Rudels vor die Wahl. Die Wahl hatte nichts mit meiner Forderung zu tun. Sollte er weiterhin Alpha bleiben, oder seinen Posten abtreten. Doch an wen? An mich?! Ich war vermutlich ebenso angespannt wie jedes andere Mitglied. Ich? Ein Anführer? Nein, das war falsch. Ich besitze nicht die Qualitäten zum Führen. Ich kann beraten, die Sicht eines Außenstehenden gut improvisieren. Doch Führen? Die Wahl nahm seinen Lauf. Ich zählte die Mitglieder. Latorsch verlor mit einer Stimme. Er trat seinen Posten als Alpha ab und ging mit gut der Hälfte des Rudels. All jenen, die für Latorsch gestimmt hatten, und Riwena. Obgleich sie nicht für ihn gestimmt hatte, doch auch nicht gegen ihn. Doch sie ging mit ihm, als treue Gefährtin Latorsch'. Der Regen prasselte weiter auf uns herab, während ich mit den verbliebenen Mitgliedern zurückblieb. Ich fühlte mich schutzlos. Ich konnte nicht führen. Ich teilte meine Bedenken dem Rest des Rudels mit und noch in dieser Nacht, wurde Väl die neue Anführerin der Schwarzmähnen. Gewiss nicht gänzlich freiwillig, doch sie nahm das Amt an. Der Regen spülte die alten Gewohnheiten weg, und mit dem nächsten Sonnenstrahl, brach eine neue Ära für die Schwarzmähnen an.   *****   Dreorwyn lehnte sich weiter zurück, während sein Geist zu seinem damaligen Ich zurückkehrte. Er war froh gewesen, als Latorsch gegangen war. Und wie froh er gewesen war. Diese Verschwörungen würden nun ein Ende haben. Dies hatte Väl bereits bei der nächsten großen Versammlung der Rudel gezeigt. Als ein großer stämmiger Worgen - ihm wollte sein Name nicht mehr einfallen - je den Anführer und einen Berater von jedem Rudel nach Sturmwind geladen hatte. Warum genau Sturmwind, wusste Dreorwyn immer noch nicht so genau. Es war auffällig gewesen, als sie sich bei der Anhöhe im Magierviertel zusammengerottet hatten. Doch das was sie besprachen war ebenso dumm wie närrisch gewesen. Es wurde vorgeschlagen die Menschen einzupferchen, sie so zu behandeln wie sie die Worgen behandelt hatten. Wie Tiere. Gejagte sollten zu Jägern werden. So etwas absurdes. Natürlich hatte es die Zeit gegeben, in der Gilneer mit dem Fluch gejagt, eingesperrt oder getötet worden waren. Doch diese Zeiten waren schon lange vorbei. Väl lehnte den Vorschlag ab. Sie war kühn, hatte einen kühlen Kopf bewahrt, während sie argumentierte und damit die meisten Rudel auf ihre Seite zog. Sie verkündete ebenso, dass das Rudel der Schwarzmähnen nicht mehr lange ein Rudel sein würde. Sie hatte sich richtig weit aus dem Fenster gelehnt und stolzierte dann mit erhobenen Haupt davon. Dreorwyn war ihr natürlich gefolgt. Ihre Vorschläge für die Zukunft hatten ihn mitgerissen, doch bevor er weitere Informationen erfragen konnte, hatte er einen Blick auf Riwena erhaschen können. Sie sah gut aus, aber nicht glücklich. Außerdem wirkte sie in Gedanken, was nicht so häufig bei ihr vorgekommen war, sofern sich Dreorwyn damals zurückerinnern konnte. Er wusste noch nicht einmal mehr, wie das Rudel damals hieß, welches Latorsch versuchte neu aufzubauen. Viele Kontakte hatte er immerhin nicht mehr. Er war nicht sehr gern gesehen gewesen bei der Ladung der Rudel. Doch mehr als einen Blick vermochte Dreorwyn damals nicht zu verschwenden.   *****   64        Die Vorbereitungen verlaufen wunderbar. Wir haben es geschafft wieder eine harmonische Basis zu schaffen. Ich bin begeistert, von Väl und von den Mitgliedern. Auch wenn Väl oft sagt, dass sie es ohne mich nicht so weit geschafft hätte. Tirenas ließ sich immer öfters blicken, vermutlich wegen Väl. Doch er tritt der Gemeinschaft nicht bei. Gemeinschaft, das ist unser neuer Name. Wir werden noch immer als ein gemeines Rudel gesehen, doch wir geben unser Bestes diesen Zusatznamen loszuwerden. Dass wir nur noch die Schwarzmähnen sind. Irgendwie ist es ungewohnt, es juckt förmlich in meiner Schnauze, wenn ich das friedliche Zusammenleben so beobachte. Als würde jeden Augenblick von der Seite eine Schlange kommen...   65        Und die Schlange schlug zu. Valorina ist arroganter und aggressiver denn je. Dieses Frauenzimmer glaubt aber auch wirklich, sie kann sich alles erlauben. Diese... Wie sie versuchte mit mir zu spielen, als würde ich auf sie hereinfallen. Sie unterbreitete mir den Vorschlag, dass wenn ich... dass sie die Schwarzmähnen in Ruhe lassen würde, dafür sollte ich meine 'Dienste' anbieten, wann immer sie es zu gedenken wünscht. Diese Frau kann doch nicht mehr ganz klar im Kopf sein. Natürlich lehnte ich ab. Prompt kam ihre Antwort, als zehn gesattelte Männer mit Waffen und Munition vor der Burg Steinwacht standen. Sie verkündeten, dass sie uns angreifen würden, sollten wir binnen drei Tagen immer noch in der Burg Steinwacht sein. Väl war kühn. Sie trat hervor und warf einen Stein nach den Männern. Wenn sie um Schutt und zerfallene Gemäuer kämpfen wollten, sollten sie nur kommen. Die Schwarzmähnen würden nicht mehr lange hier verweilen. Damit hatten die Streitkräfte wohl nicht gerechnet, denn sie zogen ab. Als ich Väl darauf ansprach sagte sie schlicht, dass sie sich nicht vorstellen konnte, als Gemeinschaft akzeptiert zu werden, während sie weiterhin wie Tiere in einer zerfallenen Burgruine lebten. Ich musste ihr zustimmen, doch wohin sollte uns diese Reise führen? Väl schüttelte ihren Kopf mit den Worten. »Ehrlich? Das weiß ich selbst noch nicht so genau.«   66        Es war ein ruhiger Abend. Ich kam gerade mit Kai von der Jagd wieder. Sie ist eine ausgezeichnete Jägerin, das muss ich ihr lassen. Mit unserer Beute und dem Abendessen für die Gemeinschaft kamen wir zurück. Und wer uns dort erwartete. Es war Riwena. Sie verhielt sich anders. Respektvoll und irgendwie zurückhaltend. Es kam mir merkwürdig vor und ich fragte sie, was sie hier suchen würde. Doch sie schüttelte ihren Kopf. Sie bräuchte Abstand. Huh? Wie sonderbar. Doch gut, wir ließen sie gewähren und behandelten sie wie einen ehrenvollen Gast. Riwena wirkte verändert. Als Väl ebenfalls eintraf und der Abend seinen Lauf nahm, berichtete sie uns, weswegen sie wirklich hier war. Anscheinend hatte sie... Angst vor Latorsch? Sie wollte nicht wieder zurückkehren. Doch etwas band sie an ihn und diesem neuen Rudel voller Fremder. Es war ein Kind, welches sie in sich trug. Ein Kind, gezeugt von Latorsch. Doch er behandelte sie nicht gut. Er war unrecht zu ihr, er entehrte sie indem er sich mit anderen amüsierte. Es machte mich rasend. Riwena. Nie hätte ich erwartet, dass ich von ihrer Beschmutzung so wütend werden würde. Gerade von Latorsch. Der Latorsch, der ohnehin nur Scherben hinterließ, wo er hinging, hatte Riwena, eine Frau, die ich als eine wahrhaft ehrbare Person kennengelernt hatte, entehrt. Die Gemeinschaft war aufgebracht. Sie wollten Latorsch zur Rede stellen. Ich musste meinen Wunsch nicht äußern, natürlich würde ich mitkommen. Doch Riwena sollte hier bleiben, wo sie sicher war, mit dem Spross unter ihrem Herzen. Ich legte einen Zauber auf sie, einen Zauber über den ich gelesen hatte. Er verband unsere Gedanken miteinander, sofern sie durch starke Gefühle und Emotionen unkontrolliert waren. Eine starke Furcht, Angst und dergleichen. So konnte ich sicherstellen, dass sie sicher war. Dann rannten wir los, bis wir in das Schlingendorntal ankamen. Riwena hatte uns seinen Aufenthalt des Rudels preisgegeben. Väl, Grantar, Esquabar, ich und noch einige andere Rudelmitglieder zogen los. Auf dem Weg trafen wir mehr Worgen, die bereits Latorsch Rudel angehörten, allerdings, waren sie nicht zufrieden mit ihrem Alpha. Es war ein leichtes, sie auf unsere Seite zu ziehen und wir marschierten weiter. Unaufhaltsam, wie ein Sturm. Wir stürmten die verlassenen Ruinen von Zul'Gurub und fanden Latorsch. Grantar zog ihn auf die Beine und verprügelte ihn. Ich ließ es mir auch nicht nehmen zuzuschlagen. Merkwürdigerweise brachte es meiner Wut keinen Frieden. Ich wollte Blut sehen. Latorsch hörte nicht auf zu sprechen. Väl ging vor, fragte ihn, ob er bereue. Doch er bereute nichts, er spuckte meiner Anführerin ins Gesicht. Doch bevor Grantar, ich, oder Esquabar hätte reagieren können, schnellte Väls Klaue vor in die weiche Seite seines Halses. Sie bohrte in seinen Sehnen herum, ehe sie ihre Klauen zurückzog. Blut spritzte und goss auf dem Boden. Ich war für einen kurzen Augenblick wie erstarrt, dann spürte ich den Zauber, den ich über Riwena gewirkt hatte und hörte ihr Schluchzen von weiter oben. Riwena war uns gefolgt. Ich rannte die Stufen hinauf und führte Riwena nach draußen Sie stand unter Schock, doch sie sagte stests »Es ist besser so... besser...« Ich weiß nicht was sie sich dabei gedacht hatte, als sie uns gefolgt war. Ich weiß noch nicht einmal was Väl geritten hatte. Hätte ich anders reagiert? Nein, vermutlich nicht. Später in der Burg Steinwacht erfuhr ich, dass Latorsch noch lebte. Gerade noch so. Er würde mit dem Leben davonkommen. Diese Nachricht macht mich unzufrieden...   *****   Dreorwyn blätterte weiter und hing tiefen Gedanken hinterher. Oh ja, selbst jetzt bereute er es dieser Made nicht selbst den erbärmlichen Hals umgedreht zu haben. Schon damals hätte er verrecken sollen, dann hätte er nicht noch mehr Leid zugefügt. Nicht noch mehr Wunden aufgerissen. In Zul'Gurub hätte seine Leiche verrotten sollen. Stattdessen hatte man ihn liegen lassen, ihn seinem Schicksal überlassen. War doch klar gewesen, dass dieser Narr einen Weg finden würde, wieder zurückzukehren. Das Glück war eben mit den Idioten. Dreorwyn blätterte die Seiten schnaubend weiter, bis zu einem bestimmten Kapitel. Es schmerzte ihn, als er über die Zeilen las.   *****   72        Riwena wurde angegriffen. Heimtückisch attackiert, von jemand unbekannten, soweit ich hörte einer Nachtelfe? Doch aus welchem Grund oder... weiß Graumähne warum. Sie war mit einer Schnittwunde am Unterarm davongekommen, doch sie wurde in den Bauch getreten. Und das, obwohl sie das Kind unter ihrem Herzen trug. Ich war nicht in der Nähe als es passierte und ich gab mir die Schuld dafür, dass es geschehen war. Ich spürte nur die plötzliche, heftigen Gefühle. Doch als ich zur Burg Steinwacht gelangte, wurde sie bereits provisorisch operiert. Latorsch kam wieder, doch diesmal war ihm das Glück nicht hold. Er lief vor dem Burgeingang auf und ab, rief immerzu ihren Namen. Die Gemeinschaft ließ ihm jedoch keinen Einlass, weshalb er immer lauter schrie. Ich wollte ihn zum Schweigen bringen, Väl ebenso. Zwar konnten wir ihm nicht für diesen Unfall verantwortlich machen, doch waren wir bereit unseren sämtlichen Hass über ihn zu bringen für das Leid, welches er so lange über die Schwarzmähnen gebracht hatte. Väl und ich wussten um den Missbrauch seines Rechtes als Anführer und dass er jetzt immer noch nicht aufgab und Ärger verbreitete, wo er auch hinging, behagte uns überhaupt nicht. Doch diese Arbeit wurde uns abgenommen von Tirenas. Schatten nahmen Gestalt an, verformten sich unter Latorsch, banden ihn an den Boden und gruben sich in sein Fleisch. Sie zerstachen sein Fleisch, bohrten sich in seine Augen und brachten seinen erstickten Schrei zum verstummen. Er kümmerte sich auch um die 'Entsorgung'. Man vergrub den Leichnam hinter der Burg Steinwacht, obwohl es Latorsch nicht verdiente dort begraben zu werden. Doch ich hatte andere Sorgen. Ich eilte in die Burg hinein. Es war dunkel, trüb und ich konnte das Blut riechen. Riwenas Blut. In mir stieg eine heiße Angst auf, die ich noch nie verspürt hatte. Noch nicht einmal, als Latorsch uns alle beinahe dem Verderben geweiht hatte. Die Klauen umfassten mein Herz, dass ich glaubte zu ersticken. Und dann trat Shadow aus dem Raum. Seine Pranken blutverschmiert, in seinen Händen trug er etwas. Totes Fleisch, eine seltsame Form. Mein Herz setzte für einige Sekunden aus, als mir klar wurde, was er dort trug. Doch Riwena sollte es gut gehen. Gut... Es klang... falsch... Ich ging zu ihr. Sie lag alleine auf der Seite im Stroh, zusammengerollt. Der metallische Geruch von Blut hing immer noch in der Luft. Sie zuckte zusammen, als ich mich ihr näherte und sie an der Schulter berührte. Sie hatte schmerzen, musste schmerzen haben. Nicht nur die körperlichen. Mein Hals war trocken, ich konnte nichts sagen oder erwidern. Nichts, was hilfreich gewesen wäre. Ich war schlecht in solchen Dingen. Ich wusste es. Hätte ich meinen verdammten Mund aufgemacht, hätte ich sie zum Weinen gebracht. Die starke, kaltschnäuzige Frau, die kein Blatt vor dem Mund nahm. Die ihre Ehre bis auf das Blut verteidigte. Ich wusste nicht weshalb, meine Gedanken waren bei ihr. Lag es an dem Zauber? Vielleicht, doch meine Gefühle übermannten mich. Ich legte mich zu ihr, sodass sie meine Nähe spüren konnte. Ich verlangte nichts, wollte ich doch noch bei ihr sein. Dass sie wusste, dass sie nicht alleine war. Ich war bei ihr. Irgendwann erstarb ihr Schluchzen und Schniefen und sie fiel in den Schlaf. Ich fürchte er war nicht gerade ruhig. Doch ich bleibe nach wie vor bei ihr.   *****   Dreorwyn schloss seine Augen und lehnte seinen Kopf zurück gegen das Regal, gegen das er gestützt lehnte. Dieser Eintrag-. Sein Blick blieb an den Kerze hängen, die fröhlich vor sich hin brannten. Er wusste, was in den nächsten Einträgen stand. Vor allem seine Unsicherheit, gegenüber Riwena. Sie war zu stark für ihn. Ungreifbar. Und doch näherten sie sich immer weiter an. Sie hatten auch eine wundervolle Nacht miteinander verbracht. Doch es hatte nicht bei dieser einen Nacht bleiben sollen, wie sich später noch herausstellen sollte. Diese Verbindung... wer hätte geahnt, dass sie ihn wieder direkt zu Riwena führen würde, lange, nachdem er den Schwarzmähnen den Rücken gekehrt hatte? Doch zunächst folgte etwas, das Dreorwyn lieber vergessen wollte. Er blätterte zu den nächsten Seiten, zu den nächsten Kapiteln. Sie berichteten von dem Plan, Burg Steinwacht zu verlassen. Dem Rudeldasein komplett den Rücken zu kehren. Die Entwürfe einer neuen Heimat und einem passenden Ort. Auch von einigem Geplänkel, wieder von Valorina angestachelt und schließlich der langen Reise in die Verwüsteten Lande. Er überflog sie mit den Augen, bis er irgendwo wieder begann weiter zu lesen. Viel hatte sich verändert. Die Zeit blieb nie still...   *****   96        Ich verteile meine Aufgaben wie immer. Doch jetzt, da wir in Surwich sind und das Laster eines 'Rudels' endlich hinter uns gelassen haben wird deutlich, was die Mitglieder wirklich wollten. Frei sein, als Mensch gesehen werden, nicht als eine Bestie. Väl hatte ihnen den Weg gezeigt, ihre Hand ihnen entgegengestreckt und sie wurde bereitwillig angenommen und auch akzeptiert. Über diese Wendung bin ich sehr froh. Endlich verfolgen wir den richtigen Weg. Doch ihr Offizier steht hier, unfähig sich zu wandeln, nicht in der Lage, seine menschliche Form anzunehmen. Ich bin verzweifelt, noch nie, war ich in dieser Lage. Selbst Väl hatte mich zur Seite genommen und mich gefragt, warum ich ständig in der 'Fellform' herum torkeln würde. ... Sie wusste warum.   97        Ich komme mir allmählich immer fremder vor. Ein Fremder unter den vielen, die mir ja eigentlich unterstehen, die ich teilweise führe... Ich bin nicht in der Lage meine menschliche Gestalt anzunehmen. Doch warum? Liegt es an dem Gedächtnisverlust? Ich bin verwirrt und noch nie zuvor habe ich mich mehr nach meiner Vergangenheit gesehnt. Zu wissen, wer ich gewesen war, zu verstehen, wie es zu diesem Gedächtnisverlust gekommen ist... Ich bin Riwena sehr dankbar für ihre Nähe und ihre Zuneigung. Sie scheint es nicht zu stören, dass ich mich nicht wandeln kann. Doch wie lange? Ich kann nicht herumsitzen und hoffen dass alles zum Besten kommen wird. Ich muss meine Vergangenheit kennen. Das Unwissen darüber macht mich völlig krank...   98        Ich habe mit Väl gesprochen. Jetzt, da mehrere Wochen verstrichen sind, seitdem wir Surwich bezogen haben, und nicht mehr so viele Veränderungen anstehen, kann ich mich für ein paar Tage abmelden. Sie hat mich mit einem argwöhnischen Blick betraut, einen Blick, den ich bereits von ihr kenne. Allerdings hatte ich selbst nie diesen Blick abbekommen. Außer das eine Mal, als ich ihr von Latorsch' Dummheit berichtete und mich sehr aufgeregt hatte. Sie hatte geahnt, dass ich mich nicht mehr lange zusammenreißen konnte. Und jetzt? Was denkt sich Väl wohl jetzt? Was denkt sie von mir? Dass ich als Berater nicht mehr tauge? Ich werde noch ein paar Sachen zusammenpacken und mich dann auf den Weg nach Sturmwind machen. Vielleicht helfen mir die Bücher weiter. Irgendwo muss ich ja schließlich beginnen und Gilneas ist groß und vor allem sehr gefährlich... Es wäre Wahnsinn dort alleine hineinzugehen.   99        Ich habe eine Frau kennen gelernt. Zunächst war ich sehr verwundert und wollte von dieser Verrückten nichts mehr wissen. Sie hat mich sogar verfolgt. Es war purer Zufall, dass wir uns begegnet sind und ich bin dem Schicksal für diese Fügung so unsagbar dankbar. Sie hatte sich mir als Struana vorgestellt und hat mich ständig Sarandar und Saar genannt. Ich sagte ihr, dass sie mich verwechseln müsste, doch sie sei sich sicher. Es wäre mein Geruch, weshalb sie auf mich aufmerksam geworden war. Natürlich habe ich ihr das nicht geglaubt. Immerhin lebe ich inzwischen schon sehr lange mit den Schwarzmähnen als Gemeinschaft zusammen, sodass sich unsere Gerüche stark überdecken mussten. Wie wollte sie gerade meinen spezifisch herausgefunden haben? Diese Frau - Worgen - hat mich bedrängt. Ich solle sie nicht veralbern, doch ich alberte nicht. Ich konnte mich nicht erinnern. Ich erzählte ihr, dass ich große Gedächtnislücken meiner Vergangenheit betreffend habe und dass ich mich an rein gar nichts erinnern könnte. Daraufhin hat sie meine Pranke gepackt und in ihre gelegt. Ich wollte sie wegziehen, aber diese... Frau! hatte eine unglaubliche Kraft die ich ihr nicht zugetraut hätte. Und dieser strafende Blick erst! Als würde ich ihn kennen, konnte ich nicht anders, als sie gewähren zu lassen. Sie legte einen Samen in meine Pranke, legte kurz ihre zweite Hand auf meine, sodass sie verschlossen war. Es leuchtete grün, dann zog sie die obere wieder weg. Der Samen spross und ein Stiel wuchs. Es war, als würde ich diesen Prozess kennen, doch konnte ich meinen Blick nicht davon abwenden, als ein kleines Schneeglöckchen erblühte. Ich kannte diesen Zauber sehr gut. Und dann erkannte ich auch die Frau, die ihn ausführte. Sie war meine Haushälterin gewesen, eine junge, heranwachsende Frau mit blondem Haar. Diesen Zauber, dieses 'Wunder' hatte sie immer vorgeführt, wenn ich aufgeregt war, geweint hatte oder mich verletzt hatte. »Es ist nur ein blauer Fleck, Saar. Er wird vergehen, aber hier oben«, sie tippte dem kleinen Jungen auf die Stirn. »wirst du daraus lernen.« Sie erzählte mir viel, über meinen Vater Othmar Glaciersmirror. Er war Generaloberst im Berittenen Befehl. Meine Mutter Lucilia Glaciersmirror war bei meiner Geburt gestorben, weshalb ich größtenteils unter Bediensteten und ihr als Bezugsperson aufwuchs. Struana erzählte mir auch, dass mein Name nicht Dreorwyn sei. Mein Name ist Sarandar Glaciersmirror. Doch ich bin verwundert. Weshalb habe ich dann den Namen Dreorwyn so im Gedächtnis? Weshalb war es das das einzige, woran ich mich erinnern konnte, nachdem ich mich in Kielwasser aus dem eingefallenen Haus gezogen hatte? Sie erzählte mir auch, dass auch ich in jungen Jahren schon in das Militär aufgenommen wurde. Ich sei ein Stabsoffizier gewesen, ein niederer Rang, der viele offene Positionen nach oben frei hatte. Ich sei ein begnadeter Kampfmagier gewesen, ebenso eifrig und begierig darauf das Beste für Gilneas zu wollen, wie mein Vater. Sie konnte mir allerdings nicht erzählen, wie es zu dem Gedächtnisverlust gekommen war, oder was ich in Kielwasser gesucht hätte, wo doch alle Wachmänner und Offiziere bei der Belagerung der Worgen IN Gilneas gewesen waren. Struana wird meinem Wunsch nachgehen, in Gilneas in meiner alten Stube vorbei zu sehen. Sie hat mir genau erklärt, wo ich sie finden könnte, sollte ich mich selbst auf die Suche danach machen. Doch ich werde fürs Erste wieder nach Surwich zurückkehren. Ich bin Struana sehr dankbar dafür, dass sie mir meine Vergangenheit wieder gegeben hat. Doch es bleiben sehr viele Fragen offen... Dreorwyn... aus welchem Grund auch immer, sollte ich diesen Namen nicht vergessen.   100      Nachdem ich in Surwich wieder angekommen war, war noch alles beim alten. Etwas, wovon ich ehrlich gesagt etwas verstört bin. Schließlich hatte man Latorsch keine Minute aus den Augen lassen können. Aber unter Väls Führung scheint das alles wirklich eine gewisse Idylle anzunehmen. Und nun, da auch der Störfaktor von Valorina eingegrenzt und ausgemerzt war... Ich bin so froh darum. Die Schwarzmähnen hatten es nicht immer leicht gehabt in der Vergangenheit. Ich habe niemanden auf die Nase gebunden, dass ich nicht 'Dreorwyn' bin. Warum auch? Was hätte es gebracht? Sie hätten mich vielleicht für verrückt erklärt, oder mir den Rücken zugekehrt, wenn ich gesagt hätte, dass ich eigentlich jemand anderes bin. Immerhin ist es nur ein Name. Was solls?   101      Ich bin schockiert... Struana ist heute mit einem Brief nach Surwich gekommen. Zunächst wurde sie wie eine Fremde behandelt, bis ich es unterband, doch sie schien sich nicht daran gestört zu haben. Im Gegenteil, ich glaube, sie fand es... amüsant...? Sie hat einen Brief aus meiner Stube geholt. Ich bin... sprachlos? Ich möchte nichts nieder schreiben, bis ich mir nicht ganz sicher bin. Aber mich beschleicht kein sehr schönes Gefühl bei der Sache. Ich werde mit Väl darüber sprechen. Ich muss nach Gilneas.   102      Verdammt! Väl kam meiner Bitte nach, doch sie möchte mich nicht alleine nach Gilneas gehen lassen. Nein! Die gesamte Gemeinschaft soll mitkommen! Ich glaube ich stecke in Schwierigkeiten, wenn das, was in dem Brief angedeutet wird stimmt... Sie werden mich hassen... verachten... ausschließen... ... töten.   103      Die Expedition nach Gilneas beginnt. Ich bin ganz aufgeregt. Ich habe das Gefühl, dass ich keine Ruhe mehr finde. Ich muss unbedingt herausfinden, wer Dreorwyn Oldwater ist. Ich werde hier vermutlich weiter schreiben, sobald ich wieder zurück bin.   ***** Kapitel 6: Das Geheimnis im Logbuch ----------------------------------- *****   Die letzten Seiten dieses Buches waren leer. Der Magier ließ seinen Kopf wieder nach hinten fallen, während das Buch ganz locker in seinem Schoß lag. Er blinzelte verschwommen zu dem Kerzenschein hinauf. Wie lange las er wohl schon? Diese Kammer hatte kein Fenster, zeigte also nicht, ob die Sonne bereits aufgegangen war. Doch natürlich war sie bereits aufgegangen. Wie könnte sie auch nicht schon aufgegangen sein? Die wirkliche Frage war jedoch, wie weit sie bereits oben am Himmel stand?   Die restlichen Seiten des modrigen und alten Buches waren leer. Ohnehin, war es ziemlich gut gefüllt worden. Es war Zeit geworden, dass er ein neues Buch anfing. Doch der Anlass war kein sehr erfreulicher gewesen. Dreorwyn rieb sich mit den Fingern die Augen und streckte sein Kreuz durch. Doch aus irgendeinem Grund, wollte er jetzt nicht aufhören. Er konnte nicht. Dieses Stück seiner Vergangenheit wog so schwer für ihn. Gerade jetzt, wo er ohnehin bereits dabei war eine nostalgische Reise durch sein Leben zu unternehmen, konnte er auch noch den Rest lesen. Ob es jemand bemerkte, dass er bereits Stundenlang hier drin in seiner Kammer war? Wohl kaum. Die Bänker von Dalaran vermuteten vermutlich, dass er bereits längst weg war. Schließlich war er ein Magier und er musste nicht die Tür benutzen, um wieder zurück zum Ausgang zu gelangen.   Dreorwyn klappte das Buch zu und fuhr mit der Handfläche über den Einband. Diese alten Erinnerungen. Sie waren die Gedanken seines jungen, naiven Daseins, welche schließlich gereift waren. Gereift zu einer Persönlichkeit die durchaus in der Lage hätte sein können zu Führen. Doch er war stets der Berater gewesen und er hatte es nie bereut gehabt. Bis auf das eine Mal... seine Enttäuschung von Väl.   Tief seufzte er und steckte das Buch vorsichtig zurück in das Regal, wobei er sich mit dem Oberkörper doch stark verdrehen musste. Stattdessen zog der das Buch direkt daneben heraus. Vielleicht kam das mit Väl ja auch noch? Er konnte sich nicht mehr wirklich daran erinnern, was er alles in diesem zweiten Buch verewigt hatte und was nicht. Vielleicht war dies auch ein Anreiz für Dreorwyn, weshalb er jetzt weiter las.   Während der Expedition mit den Schwarzmähnen durch Gilneas hatte er einige Briefe gefunden. Er und dummerweise auch ein paar Mitglieder. Doch damals war nichts geschehen, sie hatten ihn nicht darauf angesprochen, soweit er wusste. Bei den besagten Briefen handelte es sich um einen Schriftverkehr zwischen Sarandar Glaciersmirror, der ja er selbst sein sollte und einem gewissen Dreorwyn Oldwater. In dem Schriftverkehr wird klar, dass die beiden für die Verlassenen gearbeitet hatten, dass Dreorwyn Sarandar Befehle zugeteilt hatte, an die er sich - den Briefen nach zu Urteilen - auch gehalten hatte. Nichts war so verwirrend in seinem Leben, wie dieses Kapitel und die Herkunft seines Namens. Seine Vergangenheit und das, was er getan hatte. Es hatte ihn in eine Art... Schwarzes Loch sinken lassen. Etwas, worauf er weiß Licht nicht stolz war.   Der Magier legte das Buch auf seinen Schoß. Der Einband war dunkelbraun, sah aber auf jeden Fall nicht so mitgenommen und zerfleddert aus wie das alte Tagebuch. Dieses Buch war auch mehr ein Logbuch, wenn er sich richtig entsann. Er schlug die erste Seite auf und ein loses Stück Pergament, welches vorne hineingelegt worden war, flappte halb hinaus. Achja... die ersten Seiten... die hatte er geschrieben, obwohl er das Buch noch nicht einmal gehabt hatte...   *****   Tag 01 Ich irre hier herum, in dieser lichtverlassenen Stadt. Ich kann nicht glaube, dass sie einst so schön gewesen war. Ich kann nicht glauben, dass ich es war, der sie verraten hat. Zu dem gemacht, was sie jetzt ist. Ein Unterschlupf für Madenabschaum, Verlassene, Wildworgen und einer Bangeehure. Ich bin schuld. Doch ich werde diesen Fehler wieder gut machen. Ich finde heraus, wer Dreorwyn Oldwater ist.   Tag 10 Ich bin nicht weiter gekommen. Also gehe ich zurück nach Surwich und folge Väls Ruf. Ich frage mich was so unglaublich wichtig sein soll, dass Väl meiner benötigt. Keiner fragt nach, weshalb ich noch geblieben bin. Keiner. Sie alle widern mich an. Sie haben die Briefe nicht gelesen, wie ich sie lesen konnte. Sie können den Zusammenhang nicht finden. Sie sind alle so dumm. Unglaublich närrisch und dumm. Ich könnte sie alle umbringen. Ich hasse sie...   *****   Der Magier hielt inne, als er die nächsten Seiten in dem Buch las. Es wirkte so düster. Nicht nur die Situation, sondern auch seine geschriebenen Worte. Er atmete tief ein. Es war schwer für ihn weiter zu lesen und am liebsten, würde er das Buch zur Seite legen, es vergraben. Doch nein, er behielt es hier, damit Riwena sich einen Reim auf die Briefe machen konnte, die sie früher oder später lesen würde. Spätestens, wenn er tot sein würde. Allerspätestens dann. Sie würde fragen haben und er hoffte, betete, dass sie dann noch die Kraft aufbringen konnte diese Bücher zu lesen. Sie waren wichtig. Sie vervollständigten das Puzzle dieses kranken Spiels...   *****   Tag 11 Riwena nervt. Sie soll mich in Ruhe lassen. Ich bin es nicht wert geliebt zu werden. Ich bin ihrer nicht würdig. Sie, die Graumähne ehrt, wie jeder der Schwarzmähnen. »Ehre Graumähne.«! Ich habe sie alle enttäuscht. Im Stich gelassen. Verraten. Ich muss wieder nach Gilneas. Meine Aufgabe hier in Surwich? Ich habe keine Aufgabe mehr. Es ist mir gleich, was mit ihnen geschieht.   Tag 15 Ich bin wieder auf dem Weg nach Gilneas. Ich muss mehr herausfinden. Jetzt, da ich einen Teil kenne. Einen Teil meiner Vergangenheit endlich kenne. Ich muss mehr herausfinden. Ich muss wissen, wer sich hinter Dreorwyn verbirgt. Ob dies ein zweiter Name von mir ist, von dem ich besessen war? Besessen von einer Welt, in der Gilneas brennt? Ich bin überzeugt davon. Ich kann mich selbst nicht mehr ansehen. Ich bin widerwärtig. Ein Monster. Ein Verräter.   Tag 20 Ich finde mehr Briefe. Es ist so einfach die Verlassenen aus dem Weg zu räumen, wenn man sie mit Feuer bekämpft. »Feuer zerstört, auf das man mich hört.« Man kann mich nicht aufhalten. Ich bin kein Magier mehr. Ich ziehe die Mächte aus dem Nether. Die Magie von dort ist kraftvoller, mächtiger, zerstörerischer. Alle Mittel sind mir Recht um an mein Ziel zu gelangen. Um das Wissen zu bekommen, welches mir fehlt und ich brauche.   Tag 22 Mehr Briefe, mehr Schriftverkehr, mehr Verwirrung. Welche Rolle spielte Sarandar Glaciersmirror? Welche Rolle spielte Dreorwyn Oldwater? Vieles fehlt. Ich fand eine halbe Münze, eine Hälfte. Einen Teil. Wenn man sie dreht, hört man Stimmen. Man sieht Bilder. Man sieht meinen Verrat, wie ich mich mit einem Verlassenen in Dunkelheit treffe. Sie hat mir gezeigt, wie skrupellos ich war. Wie achtlos mit den Informationen. Ich bin widerwärtig.   Tag 25 Was versuche ich hier eigentlich? Ich bin ein Monster, ich habe alle verraten Alle! Jeder der sich mir nähert wird verraten, verkauft. Und für was? Für welchen Preis? Welcher Preis ist so hoch, dass ich ihn zahlte um meine Haut zu retten? Diese Münzenhälfte. Sie treibt mich in den Wahnsinn. Sie ist echt, ohne Frage. Die Magie ist dunkel. Nether, oder Schatten. Ich kann es nicht sagen. Vielleicht Fel? Ich muss weiter...   Tag 30 Mehr Informationen. Mehr Briefe. Wie viele habe ich bis jetzt schon? 20? 30? Einer ist verwirrender als der andere. Ich sehe Dreorwyn Oldwater. Er ist ein Verlassener. Ich sehe Sarandar Glaciersmirror. Er ist ich. Ein Verräter. Und die Münzhälfte zeigt alles so klar. Ich habe bereitwillig gehandelt! Habe alles hergegeben, wovon ich überzeugt war, dass es mir lieb und teuer war, für was? Für einen Madensack und ihre geliebte Bangeehure! Ich brauche Klarheit... Ich brauche Dreorwyn Oldwater...   Tag 50 Ich war in Dalaran, habe geübt, trainiert. Meinen Horizont erweitert. Die Magier waren nicht begeistert davon gewesen, als sie bemerkten, welche Zauber ich übte. Die Kirin Tor haben mich mit Verachtung gestraft. Doch mir war es egal. Ich habe gelernt, wenn sie nicht hingesehen haben. Ich habe meine Künste auf ein anderes Niveau gebracht. Nether, Schatten. Gedankenkontrolle. Gedankenoffenlegung, Illusionen Illusionen in jeden Formen. Psychische Folter, Schmerzen und Qualen. Ich habe sie gemeistert. Es wird Zeit. Ich habe eine Verabredung... Im Silberwald...   Tag 60 Ich hatte nicht erwartet, dass es funktionieren würde. Aber es klappte tatsächlich. Ich habe Dreorwyn Oldwater ausfindig gemacht. Jetzt brauche ich nur noch einen Plan, wie ich ihm gegenübertreten möchte. Ich frage mich, ob er eine Illusion erkennen würde? So vieles hängt davon ab. Mein Seelenheil.   Tag 68 Ich habe ihn getäuscht. Ich habe ihn überführt. Ich habe ihn ermordet. Es war ein so gutes Gefühl meine Klauen in den vermoderten, Madenzerfressenen Leib zu rammen, seinen Schädel von der Wirbelsäule zu reißen und seine Glieder zu zerschmettern. Er hatte gelacht, als er mich sah. Dreorwyn Oldwater hatte mich ausgelacht. Hatte mich gefragt, ob dies meine Rache sei. Meine Rache, dass er mich verzaubert hatte. Ich verstand nicht. Die Halbmünze war doch eindeutig. Ich bin nicht gezwungen worden! Doch er hatte die andere Hälfte der Münze. Er sagte mir, dass eine Hälfte die Unwahrheit spricht, die andere die Wahrheit in sich trägt. Er war zwar überrascht gewesen, dass ich noch lebe, aber er hat sich überlegen gefühlt, andernfalls hätte er nicht so viel gesprochen. Sarandar Glaciersmirror hat nie jemanden bereitwillig verraten. Er wurde gezwungen. Aber wer würde mir dies glauben? Die Münze ist nun zusammengesetzt. Ich habe beide Hälften zusammen gewoben. Die Vision zeigt nun, dass Zauber gewirkt wurden. Doch ich bin nicht frei von der Schuld. Meine Last, meine Schuld, meine Zweifel. Alles wurde wahr. Was hat es mir gebracht, weiter zu bohren? Es hat sich nichts verändert... Ich war der Stein, der den Wall hinuntergerollt ist und zu Fall brachte, während die Welt um mich herum bebte. Ich bin schuld, dass meine geliebte Stadt Gilneas nicht mehr den Menschen sondern den Verlassenen gehört.   Tag 80 Ich bin zurückgekehrt nach Surwich. Niemand hat mich gefragt, wo ich gewesen war. Niemand fand es merkwürdig, dass ich nun meine menschliche Gestalt annehmen kann. Niemand hinterfragte. Also wird dies hier nicht erwähnt. Es wird verschwiegen. Sarandar Glaciersmirror existiert nicht mehr. Er ist tot.   *****   Dreorwyn kratzte sich am Nasenrücken. Dies waren seine dunkelsten Momente im Leben, wenn er so zurückdachte. Nicht allein die Erkenntnis über seinen Verrat an seiner Heimat, sondern auch, dass er sich so furchtbar gefühlt hatte. So voller Selbstzweifel und Hass. Sogar noch dunkler, als die Krankheit, das fehlgeschlagene Experiment. Diese Tage... er würde diese Wochen und Monate niemals vergessen.   Fast geistesabwesend griff der Magier hinter sich, hob die Glasglocke an und fischte die kleine, Runenbeschriebene Münze heraus. Er starrte sie für mehrere Herzschläge konzentriert an, dieses verfluchte Ding. Sie zeigte nun die Wahrheit, wie es wirklich gewesen war, dennoch verhalf sie ihm nicht dabei, über diese Schande hinweg zu kommen. Langsam drehte er sie in seinen Händen.   Schwärze legte sich über seine Augen und er schlug die Augenlider nieder, während er Stimmen lauschte. Stimmen von dem Verlassenen und seiner eigenen. Er war in einen Hinterhalt geraten und geschnappt worden, überwältigt, dann hatte der Hexenmeister einen Fluch über ihn gesprochen. Er musste ihm dienen, auch wenn er sich während der ganzen Zeit versucht hatte zu wehren, innere Konflikte mit sich ausgefochten hatte, von außen hin hat man nur ihn gesehen. Ruhig und Souverän wie eh und je. Ein junger, aufstrebender Mann im Rang des Militärs. Eine willenlose Marionette, die sein Land ausspionierte und die Informationen an den Verlassenen weitergab.   Dann veränderte sich die Szenerie vor seinen geschlossenen Augen wieder. Es war dunkel, war es Nacht? Die Umgebung erinnerte an eine Höhle. Doch wo genau lag dieser Ort, der gezeigt wurde? Der junge Sarandar berichtete über die Schwächen des Walls und über die derzeitige Lage in Gilneas. Auch, dass die Glutsteinmiene am ehesten für ein unentdecktes eindringen nach Gilneas geeignet wäre. Er hantierte so sorglos mit den Informationen, die er geschworen hatte für sein Königreich zu hüten. Der Verlassene nickte und erneuerte den Bann unter dem der Mann stand.   Wieder wurde es dunkel. In einer förmlich eingerichteten Stube saß der Mann an einem Schreibtisch, schrieb etwas auf ein Pergament und hielt eine der Münzhälften darüber. Kurz darauf verschwand das beschriebene Papier. Die Sicht verschwamm nur kurz, Farben liefen ineinander und es klopfte ein Falke mit seinem Schnabel gegen das Fenster der Kammer. Der junge Mann stand auf und öffnete das Fenster um dem Vogel den Brief, der an dessen Fuß befestigt war entgegenzunehmen.   Dann wurde es wieder sehr dunkel. Markerschütternde, panische Schreie erfüllten die Illusion und Dreorwyns Herz machte einen Aussetzer. Es war fast so, als könnte er die Feuer riechen, die aufgrund der Massenpanik über die Worgen in der Stadt ausgebrochen waren. Die Dunkelheit wich und man konnte den jungen Mann in seiner Militärskleidung sehen. An seiner linken Schulter floss Blut aus einer klaffenden Wunde. Es war kein Anzeichen dafür zu sehen, woher er diese wohl hatte, doch sie wirkte, als wäre sie nicht von einem Schwert oder einer anderen Waffe. Sie wirkte gerissen. Als würde er den Schmerz der Wunde nicht spüren, starrte der Mann emotionslos zu Gilneas zurück, wo die Schreie und die Rufe an seine Ohren drangen. Dann wandte er sich mechanisch ab und schlug den Weg nach Kielwasser ein.   Die Vision wurde von einem rauen Lachen unterbrochen und sie veränderte sich wieder. Der Mann mit der Wunde stand in einem kleinen Raum. Einem kleinen Häuschen von Kielwasser? Der Verlassene erklärte, dass er gute Dienste geleistet hatte, dass er jetzt nicht mehr gebraucht werden würde, da die Worgen jetzt den Rest erledigen würden um die letzten Verteidigungen von Gilneas zu schwächen. Der Hexenmeister entfesselte einen Zauber und für einen kurzen Augenblick schien sich der Bann unter dem der Mann stand zu lösen. Er wisperte: »Ich werde Euch finden... und Euch töten, Dreorwyn Oldwater!« Eine dunkle Welle aus Magie und Schatten schlug dem Mann entgegen und er fiel zurück. Keuchend schnappte er nach Luft, während der Puls der Energie die Holzwände zum Bersten brachte und der Verlassene zufrieden gackernd verschwand. »... Dreorwyn.« Dann brach das Gebäude über dem Mann zusammen.   Die Vision endete so abrupt, wie sie begonnen hatte und der Magier öffnete seine Augen wieder und konnte die gegenüberliegende Seite seiner Kammer klar erkennen. Diese Münze bewies zumindest, dass er unter einem Bann gestanden hatte. Doch mit dieser Schande, dass er es soweit hatte kommen lassen, hatte er sehr lange nicht leben können. Er war nicht damit zurecht gekommen. Später hatte er eingesehen, dass er nichts dagegen hatte tun können, doch nachdem er die Münze und das Geständnis von dem Verlassenen erhalten hatte, war er wütend auf sich selbst gewesen. Lieber wäre er gestorben, als ihm zu dienen, oder mit dem Wissen unter einem faulen Fluch gestanden zu haben um willig Informationen über die Schwächen Gilneas preiszugeben.   Lieber wäre er gestorben... Dreorwyn hatte sein Spiegelbild nicht mehr sehen können. Dennoch war er wieder nach Surwich zurückgekehrt, doch sein Jähzorn war nicht spurlos vorübergegangen. Er hatte Zorn gesät und den Sturm geerntet. Oder zumindest hatte er die Quittung für sein Auftreten bekommen. Und gerade diese Quittung hatte ihn zutiefst geschmerzt, mehr als er es zugegeben hätte. Die nächsten Seiten beschrieben es bestimmt, doch er wollte sie nicht lesen. Zu lebendig konnte er sich selbst noch an diese Situation erinnern, die ihm den Boden unter den Füßen weggerissen hatte.   ***** Kapitel 7: Der Bruch -------------------- *****   Dreorwyn blickte von dem Balkon des Gemeinschaftshauses hinunter auf den Haupthof von Surwich, während der Wind langsam aber stetig zunahm. Er war lau, der Frühling brach an. Seine Pranken umfassten unruhig das Holz, während er sicherstellte, dass alles seine Ordnung hatte. Dieser Gestank von Dämonen war nur zu deutlich wahrzunehmen und er juckte ihm in der Nase, doch vorläufig konnte er nichts machen um diesen zu beseitigen. Die niederen Dämonen trauten sich nicht nach Surwich, es waren nur verstreute, einzelne, welche durch die Wälder streiften. Die Schwarzmähnen konnten es mit ihnen aufnehmen, sollte es soweit kommen. Es hatte etwas befremdliches, doch dieser Ort... die Verwüsteten Lande... er mochte diesen Ort. Er war so passend für eine Gruppe, wie ihre. Passend für ihn, einen versteckten Verräter.   Seine Gedanken hatten sich kaum gehoben oder aufgehellt, seitdem er wieder in Surwich angekommen war. Lediglich seine Treue zu den Schwarzmähnen und die damit verbundene, verantwortungsvolle Arbeit als Berater von Väl hatten ihn freiwillig zu den Schwarzmähnen zurückkehren lassen. Der Magier würde sich nie verzeihen, dafür, was er Gilneas angetan hatte, doch konnte er die Mitglieder der Gemeinschaft in die richtige Richtung lenken. Er nahm es sich fest vor. Aufopferung anderen gegenüber, auch wenn das sehr wenig mit Mitgefühl, oder Nächstenliebe zu tun hatte. Aber sie durften nicht sterben. Sie mussten als Gemeinschaft weiter fortbestehen. Sie, die Schwarzmähnen waren der Beweis dafür, dass man auch mit dem Fluch gut leben konnte, ohne gleich eine Bestie, oder ein Rudel darzustellen, oder in den Schatten von Sturmwind zu leben.   Dennoch kribbelte sein Nackenfell. Dreorwyn griff nach seinem Stab, mit dem Rubinkopf und ging die Treppe zum Erdgeschoss herab. Sein Auftauchen wurde sofort von Garret, Tireen, Lagann, Grantar und seiner ehemaligen Haushälterin Struana bemerkt. Struana hatte ihm seine Hilfe angeboten, während seiner Abwesenheit über die Schwarzmähnen zu wachen, doch auch darüber hinaus blieb sie weiterhin hier. Er wusste, dass es an diesem Hexer, diesem Tirenas lag. Dreorwyn mochte ihn nicht, er verabscheute ihn regelrecht, doch er duldete ihn. Er war mitunter ein Grund, weshalb die Dämonen sich von Surwich fern hielten. Seine noch immer leicht rot angehauchten Augen, da er so viel Nether für seine Magie verwendet hatte, blickten jedes Mitglied kühl an. Aus einem ihm unbekannten Grund, wusste er, dass etwas auf die Schwarzmähnen zurollte wie ein lauernder Stein, der eine Lawine auslösen würde.   Es wurde ruhig, als er die unteren Stufen erreicht hatte. Fürchteten sie sich vor Dreorwyn? Nein, es war etwas anderes. Vielleicht hatte es mit dem Gesicht zu tun, welches er ihnen zeigte. Es war kühl, distanziert und streng. Ein Gesicht, welches nichts an sich herankommen ließ. Ein Gesicht zu dem man kein Vertrauen, aber Respekt aufbauen konnte. Ein Gesicht, welches passend zu Dreorwyns Stimmung war. »Wo ist Riwena?«, fragte er schließlich in die Stille, doch ihr Verbleib hatte nichts mit dem zu tun, was auf die Schwarzmähnen zurollte. Aber ihr Verschwinden war ihm aufgefallen. - Erst jetzt? - Die Mitglieder der Gemeinschaft sahen sich abwechselnd an. »Ist sie wieder auf Reisen?«, fragte der Magier ruhig und kühl weiter. In seiner Mimik lag kein Interesse, keine Neugier. Er wirkte streng, solide.   Gerade was Riwena anging, war er sich sehr unsicher. Existierten in ihm noch diese Gefühle, die Liebe zu ließen? Oder war er dessen zu unfähig geworden, während seiner letzten, großen Reise nach Gilneas? Vielleicht mussten auch nur er und Riwena ihre Beziehung überdenken? Vielleicht, mussten sie sich nur neu kennenlernen, wobei das bei ihm sogar wirklich zutraf. Er war nun anders, der Magier war verändert von der Reise zurückgekommen. Von dem Lebensfreudigen und Witzelndem Wesen war nichts mehr übrig geblieben. Doch könnte er es schaffen, sie wieder zu lieben? Er zweifelte leicht an dieser Vorstellung, vielleicht war es auch nur ein Wunschdenken von ihm.   Grantar erhob sich schließlich aus der Gruppe und ging leicht grinsend auf den Magier zu. Sein Blick war Mitfühlend, was Dreorwyn nicht wirklich verstand, geschweige denn nachvollziehen konnte. Er klopfte ihm auf die Schulter. »Komm mein Freund. Ich werde Euch über Riwenas Verbleib aufklären.«   Der Magier hob eine Augenbraue. Er hatte bisher noch nicht einmal gezuckt, geschweige denn eine Miene verzogen. Doch er folgte Grantar nach wenigen Schritten aus dem Gemeinschaftshaus und ließ die restlichen Mitglieder zurück. Der laue Wind, der von dem Meer zu ihnen geweht wurde war rau und roch nach Salz. Doch den Geruch der Dämonen konnte er nicht gänzlich überdecken, nicht für feine Worgennasen.   Der stämmige Krieger führte Dreorwyn über den Hauptplatz, raus aus Surwich, während der Magier darüber nachdachte, wie schwierig das Leben hier werden konnte. Aber gleichzeitig überlegte er auch, wie ruhig es hier verlaufen könnte. Weit weg von den anderen Rudeln, von ihrem früheren Laster als Rudel der Schwarzmähnen und weit weg von Valorina, der Unruhestifterin. Man konnte hier ein abgeschottetes Leben führen, vielleicht genau das richtige für ihn. Vielleicht konnte er mit der Zeit wieder glücklich werden? Wer wusste das schon. Im Moment glaubte er zumindest nicht daran.   »Riwena...«, begann Grantar und blieb hinter einer Wegbiegung stehen. Er drehte sich zu Dreorwyn um und sah ihn fest und doch schwer an. Als würde etwas auf ihm lasten. Der Magier hingegen sah ihn wie gewohnt mit der kühlen Maske an, die er trug, seitdem er aus Gilneas zurückgekehrt war. Die frühere, unbeschwerte Art war gestorben - in gewisser Weise traf dies sogar wirklich zu. Er würde sie gerne zurück haben, doch er stand sich dabei selbst im Weg. Das wusste er, doch im Augenblick konnte und wollte er dies nicht ändern.   Dreorwyn verschränkte die Arme vor seiner Brust, der purpurnen Robe die er trug. Sie war verstärkt mit Leder, sodass sie solide und robust wirkte. Abwartend drehten sich seine Ohren in die Richtung des Kriegers, dies konnte dieser jedoch nicht sehen, da sie von der Kapuze bedeckt waren, die er trug. Doch er sagte nichts, sondern wartete lediglich ab. Was war wohl mit Riwena? Ein unruhiges Gefühl kletterte seinen Rücken hinauf. War sie etwa verletzt? Wieso dachte er gerade jetzt daran, dass sie verletzt sein könnte? Er war bereits schon wieder Tage in Surwich.   In Grantars Blick lag etwas merkwürdiges, etwas beunruhigendes, was sich auf Dreorwyns Inneres auswirkte. Aber nach außen hin, erschien er weiterhin ruhig und abwartend. Der Krieger schnaubte. »Sie hat die Schwarzmähnen verlassen.«   Der Magier hob eine Augenbraue und sah Grantar skeptisch an. Riwena war gegangen? »Weshalb?«, fragte er. Warum würde sie die Schwarzmähnen verlassen? Hier waren doch ihre Freunde, oder irrte er sich gerade? Hier war... er? Die Verwirrung war ihm vermutlich anzusehen. Grantar antwortete: »Um ihren eigenen Weg zu gehen. Um ihre eigene Gemeinschaft zu gründen.«   Der Robenträger wirkte nun in der Tat verwundert, doch noch immer zeigte er keine wirkliche Reaktion, außer dass sich seine Lefzen langsam nach oben hoben, und er eine Reihe seiner Zähne entblößte. »Um was?« Es klang missbilligend. Riwena war fortgegangen um ihre eigene Gemeinschaft zu gründen? Er war innerlich zerrüttet. »Sie hat mir nichts davon gesagt.«, sprach er ruhig. Sie hatte ihm nichts davon gesagt... Weshalb? Warum? »Sie wird sicherlich wieder kommen, sobald sie erfährt, dass ich wieder hier bin.«, sprach er sicher. Doch er glaubte seinen eigenen Worten nicht. Seine Haut unter dem Pelz prickelte. Er glaubte sich selbst nicht. Seine eigene Worte bedeuteten nichts.   Grantar entgegnete seinem kühlen Blick ernst. »Ihr versteht gar nichts, Dreorwyn.«, sprach er beherrscht, doch sein Rückenfell stellte sich auf. »Mit ihrem Gehen hat sie nicht nur der Gemeinschaft den Rücken gekehrt, sondern auch Euch. Wenn nicht vor allem Euch!«   Dreorwyn sah ihn weiterhin kühl an, doch die Worte trafen ihn wie einen Peitschenhieb. Riwena war gegangen... wegen ihm? »Wenn Ihr sie nicht so behandelt hättet...«, fügte Grantar hinzu und in gewisser Hinsicht konnte man sehen, dass die Worte aussprach, die ihm auf dem Herzen lagen. »... dann wäre sie geblieben. Ihr habt sie fort getrieben, Dreorwyn!«   Der Magier starrte Grantar ausdruckslos an. Er wollte es nicht an sich heranlassen, doch er konnte nicht verhindern, dass er innerlich fiel. Er fiel tief, als hätte sich ein schwarzes Loch unter ihm aufgetan, welches ihn verschluckte. Dreorwyn fand keinen Halt mehr, keine Hilfe konnte er erwarten. Wer war er auch schon um Hilfe erwarten zu dürfen? Er war ein Verräter...   »Sie hat Euch verlassen. Sie wird nie wieder zu Euch zurückkommen. Und das zurecht! Sie hat etwas besseres verdient, als Euch, Dreorwyn.«, knurrte Grantar leise.   Ein tiefes Grollen entstieg Dreorwyns Kehle, während er seine Lefzen hob und seine Gesichtszüge sich verhärteten. Da war sie, eine Regung in seiner Mimik. Der Magier war wütend, in seinem Inneren herrschte eine Leere die allerdings durch etwas ersetzt worden war. Es war Hass und Wut. Zorn auf Riwena, doch die Worte von Grantar machten ihn ebenso rasend. Wie konnte er es sich anmaßen, so mit ihm zu sprechen? Was wusste er von der Beziehung die Riwena und er geführt hatten? »Etwas besseres als mich, hm? Ihr seid so selbstverliebt 'Freund', es klingt, als würdet Ihr von Euch sprechen.«, giftete der Magier zurück.   Es war für einen sehr kurzen Augenblick, doch Dreorwyn hatte ihn gesehen. Dieser winzige Wimpernschlag in dem der Krieger nicht auf seine Haltung geachtet hatte. Der Magier hatte es genau gesehen und es hatte ihn veranlasst seine geballte Pranke gegen ihn zu erheben. Er schlug zu, direkt auf die Schnauze seines Freundes und seine Gesichtszüge wurden immer härter und wilder, als wäre er wirklich ein Wolf. Grantar ließ es über sich ergehen, er sah Dreorwyn nur würdevoll an. Als würde aus seiner Schnauze nicht gerade Blut fließen. Doch diese Reaktion bewies dem Magier, dass er sich nicht versehen hatte. Es war Erstaunen gewesen, welche er vorhin gesehen hatte. Das Erstaunen darüber, dass ein Geheimnis ans Tageslicht gekommen war, obwohl es nicht hätte sein können. Dreorwyn wollte es nicht wahr haben. »Verräter!«, spie er zornig Grantar entgegen, doch er hielt sich zurück. Am liebsten hätte er ihm jedoch noch eine verpasst.   »Ihr habt sie doch gar nicht mehr wirklich geliebt, Dreorwyn.«, hielt ihm der Krieger unter die Nase. Seine Mimik hatte sich ebenfalls verändert. Doch er wirkte so erhaben, als stünde er völlig im Recht. Dreorwyn wurde schlecht. Hatte er sie wirklich nicht mehr geliebt? Nein... nein, nein, nein! Er hatte Unrecht. Oh, Grantar hatte so unrecht! Und seine Selbstzweifel darüber als er noch im Gemeinschaftshaus gewesen war, verflogen und seine Gefühle lagen ihm nun so klar vor Augen wie schon lange nicht mehr. Am liebsten hätte Dreorwyn in diesem Augenblick getobt und wäre ihm an die Kehle gesprungen, stattdessen zog er sich langsam zurück. »Geht mir aus den Augen!«, zischte der Magier, und funkelte ihn aus den rot glimmenden Augen heraus an.   Der Krieger musterte ihn für mehrere Sekunden, ehe er seine blutende und schiefe Schnauze in den Wind reckte und zurück nach Surwich stolzierte. Dreorwyn wollte ihm einen Fluch aufhetzen, doch er unterließ es. Auch wenn seine Pranken zitterten, die er so fest zu Fäusten geballt hatte, dass er sich die Krallen eigenhändig ins Fleisch rammte. Er spürte den Schmerz nicht.   Und erst als Grantar weg war, als er ihn nicht mehr sehen konnte sackte Dreorwyn zusammen. Er griff sich mit einer Pranke nach der Brust, die andere grub er sich in den Nacken. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein... Riwena! Ihm wurde im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen. Dreorwyn kniff seine Augen zusammen, doch er vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. War er so ein Monster? Dass er sie fortgejagt hatte, ohne es zu bemerken? Dass sie ihm den Rücken zugewendet hatte? Doch plötzlich schlugen seine Gefühle um. Seine Gedankengänge rasten.   Diese Hure...! Grantar war sein bester Freund gewesen... Wie konnte sie ihm den Rücken zuwenden? Er war ein Monster, oh ja, das war er. Er hatte es sich selbst bewiesen, es selbst gesehen in Gilneas. Doch wie konnte sie es wagen, sich einfach ohne ein Wort von ihm abzuwenden?! Dieses Miststück! Eingebildete, dumme Gans! Weshalb war sie gegangen? Um ihren eigenen Weg zu gehen?! Hoffentlich würde sie verrecken! Der Nether sollte sie holen, verfluchte Schlampe! War dies ihr Plan gewesen? Hatte sie sich nur auf ihn eingelassen, da er Väls Berater gewesen war? Und als es so aussah, als würde er nicht mehr zurückkehren, hatte sie sich von den Schwarzmähnen abgewandt, hatte das Weite gesucht, da es nichts zu holen gab?   Dreorwyn fasste sich wieder. Er stand langsam wieder auf. Warmes Blut floss seinen Nacken hinunter, welches seine Robe benetzte. Doch da diese ebenfalls rot war, konnte man es nur schwer sehen. Außerdem rann das meiste ohnehin in sein Fell und verklebte dieses. Seine Augen leuchteten rot, als hätte er direkt den Nether selbst angezapft. Doch er trug wieder seine Maske, nur war sie diesmal etwas anders. Verzerrt von Zorn. Sein Blick wanderte nach Surwich, doch seine Gedanken konnten nicht daran denken in dieses Nest zurückzukehren. Er hatte sich vorgenommen wieder eine Vorbildfunktion einzunehmen. Der Magier hatte es sich fest vorgenommen. Doch er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer noch mit vor Wut verzerrtem Gesicht hob er seine Pranke und die Magie durchfloss jede Zelle seines Körpers, während er die Magie um sich herum anzapfte. Es war nicht schwer zu vermuten, welche Quelle diese Energien hatten, nachdem er sich in den Verwüsteten Landen befand. Doch es war ihm gleich, wenn sie ihn zerstören würden. Dreorwyn ließ sich von der Macht durchfluten und dann verschwand er von der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte.   *****   Dreorwyn öffnete seine Augen wieder. Sein Herz blutete, als er an dieses Ereignis in seinem Leben zurückdachte. Diese blinde Wut, dieser Zorn, welche ihn erfassten. Sie zerfraßen ihn und hatten sehr wenig von ihm übrig gelassen. Riwenas Entscheidung hatten sprichwörtlich das Fass zum Überlaufen gebracht und seinen Verstand benebelt.   Traurig ließ er seinen Blick auf das Buch in seinem Schoß schweifen, während er die nächsten Seiten überflog. Er war zur Mondlichtung gereist. Hatte sich dort mit allmöglichem Beschäftigt, nur um auf andere Gedanken zu kommen. Selbst mit dem Verräter der Nachtelfen und seiner Vergangenheit. Doch seine Gedanken waren stets wieder zu Riwena abgedriftet. Unzählige Kapitel las er, was er über sie geschrieben hatte. Es waren keine schönen Worte, in denen er sie hier verewigt hatte. Diese Wut und dieser Hass auf sie hatten ihn gebrochen, auch wenn er sich dies damals nicht eingestehen wollte.   Der Magier hatte sich abgeschottet von allem und jedem. War vor der Verantwortung eines Offiziers geflohen. Es war ihm gleich, was die Schwarzmähnen von ihm gedacht hatten. Es war ihm völlig egal gewesen, was mit ihnen geschah. Den Berichten von Struana, die sie ihm hatte zukommen lassen, hatte er nicht gelauscht. Kamen sie in Briefform bei ihm an, verbrannte er sie, ohne sie zu lesen. Es hatte Dreorwyn nicht interessiert, was mit ihnen geschehen würde.   Bis zu dem Tag, als sie ihn aufgesucht hatte. Struana hatte ihn aus seinem selbst geschaffenen Exil gezerrt, hatte ihn gezwungen wieder zurückzukehren. Der Magier rieb sich die Schläfen, während er Zeile über Zeile las. Sie lasen sich, als hätte er zu diesem Zeitpunkt wirklich alle gehasst die versuchten ihm etwas Gutes zu tun, oder die sich ihm genähert hatten. Selbst Struana blieb nicht vor seinen Beschimpfungen verschont. Doch sie hatte es immerhin geschafft, dass er wieder zurück nach Surwich gekommen war.   Bei einem Kapitel hielt er inne und er las die Zeilen aufmerksam. »Ich hatte es gewusst. Der Stein der eine Lawine nach sich ziehen würde. Als hätte ich es geahnt.« Dreorwyn ließ sich nach hinten sinken, nachdem er weiter gelesen hatte. Ach... davon war die Rede... Von Väls Vertrauensbruch.   ***** Kapitel 8: Die Lasten eines Anführers -------------------------------------   *****   Das Maß war voll. Dreorwyn rannte gefolgt von Tireen, Arue, Mateo, Grantar, Esquabar, Garret und Vakar voraus durch den Gebirgspass der Totenwinde. Seine Wut war enorm. Selbst der lange Sprint, den er jetzt schon hielt, schaffte es nicht, sie abflammen zu lassen. Dabei spielte Vakar an diesem Schlamassel noch nicht einmal eine so kleine Rolle. Doch nein, es war seine erhabene Aufgabe diesen Misthaufen den Väl hinterlassen hatte aufzuräumen. Weshalb ausgerechnet seine? Eigentlich konnte es ihm doch egal sein, was mit diesem Flittchen geschah.   Ja, was mit ihr geschah, war ihm auch ziemlich egal, überlegte er, als er über dem Weg durch Dunkelhain preschte und dem Pfad weiter nach Westen folgte, während das Hecheln und das Trommeln der Pranken der anderen hinter ihm ihn begleitete. Doch andere Gemeinschaftsmitglieder in Gefahr zu bringen, die nichts damit zu tun hatten, ging zu weit. Wenn jemand den Schwarzmähnen drohte, konnte er damit rechnen, dass er die Quittung dafür bezahlen musste. Der Magier hatte nicht viel verstanden, als Vakar von dem Fluch erlöst wurde und doch sickerten die Informationen die für ihn wichtig waren zu ihm durch. Der Grund, weshalb er die Gemeinschaftsmitglieder um sich herum gesammelt hatte und mit ihnen wie bei einer wilden Hatz durch den Dämmerwald rannte.   Anscheinend hatte Geroldrich - was auch immer der Typ für einen Grund hatte - Lagann in seiner Gewalt. Väl und Vakar hatten mehrere Wochen im Dämmerwald verbracht - weiß der Nether was sie dort getrieben hatten! - und waren dabei dummerweise Geroldrich und seinen Männern über den Weg gelaufen. Bestimmt hatten sich diese beiden Idioten mit ihm angelegt oder angefeindet - was auch immer! Vakar hatte den Nachteil, dass er anscheinend nie das Ritual der Nachtelfen durchlebt hatte, weswegen sie ihn überwältigt hatten. Väl hatte versucht ihm über den Fluch zu helfen, und dabei hatte Geroldrich beide geschnappt. Lagann war auf seinem Weg zurück nach Surwich auf sie gestoßen, hatte Vakar die Flucht ermöglicht, doch als er Väl ebenfalls befreien wollte, war er geschnappt worden. Vakar war daraufhin zu den Schwarzmähnen zurückgerannt, wobei Arue zunächst einmal das Ritual durchzog um ihn wieder zum klaren Denken zu bringen. Diese hirnlosen Idioten. Väl wusste wie wichtig das Ritual für einen Gilneer war, der vom Fluch Goldrinns betroffen war. Sie hätte Vakar schnellstmöglich nach Darnassus bringen müssen, stattdessen hatten sie im Dämmerwald - was auch immer! - getrieben! Aber mit Geroldrichs Handeln hatte er sich eindeutig zu weit aus dem Fenster gelehnt und sich mit den falschen angelegt.   Dreorwyn hielt vor Rabenflucht und richtete sich auf. Seine wachen Ohren horchten auf, während er die Luft der Umgebung in sich einsog. Er konnte sie riechen. Väl und Lagann. Und dann waren da noch Gerüche von anderen Menschen. Das mussten Geroldrich und seine Männer sein. Ihre Gerüche vermischten sich, verpesteten diesen Ort.   Der Magier ging vor, während die anderen Gemeinschaftsmitglieder ihm wachsam und mit gezogenen Waffen folgten. »Vakar, Garret, sicher die Umgebung.«, knurrte er leise, doch nicht zu leise. Geroldrich konnte ruhig hören, dass er kam. Und wie er dies hören konnte. Dreorwyn war aufgeladen und wütend. Die Magie um ihn herum knisterte, während er unbeirrt und unaufhaltsam wie ein drohendes Omen zu dem verwahrlosten Gasthaus stampfte. Bretter blockierten die Tür, doch sie waren kein Hindernis für ihn. Dreorwyn hob seine Pranke und wischte sie von sich, dabei zog er eine dünne Linie hinter sich her, die das Holz traf. Es zerbarst mit vielen, kleinen violetten Partikeln und landete zersplittert auf dem Boden. Dreorwyn ging weiter, als hätte dort nichts den Eingang versperrt.   Der Magier schritt unbeirrt in einem gleichbleibenden Tempo weiter. Er hatte sich gebessert, was seine magischen Fähigkeiten anging, sehr stark sogar. Vielleicht war es die lange Zeit im Exil gewesen, in der Zeit, in der er geübt hatte, bis er erschöpft zusammengesackt war um sich von Riwena abzulenken. Vielleicht war es aber auch diese rasende Wut, die ihn vorantrieb und der Sinn, seine Kameraden zu schützen. Die Leute zu schützen die ihm unterstanden. Auch wenn Dreorwyn schon lange nichts mehr als Offizier zu melden hatte, wegen der langen Abwesenheit, fühlte er sich dennoch noch immer für sie verantwortlich. Er war das schlagende Herz der Schwarzmähnen.   Wütend stieß Dreorwyn einen Mann um, der leider der sich ihm in den Weg stellen wollte. Grantar stemmte sich über ihn und hielt ihn weiter mit seinem Schild am Boden fest, während der Magier seinen Zug weiter fortfuhr. Der Raum war nicht sehr groß und er sah den Mann, den er suchte. Groß, in einer ritterähnlichen Rüstung mit blondem Haar. »Geroldrich!«, grollte der Worgen, während er umgeben von einer Kälteaura unheilvoll auf ihn zuging.   Der Mann war nicht alleine, drei weitere stellten sich genau vor der Türe auf und versperrten ihm die Sicht. »Keinen Schritt weiter!«, schrie einer, sein Schwert erhoben. Dreorwyn grinste selbstgefällig. Dieser Narr wagte es, sich einem Magier in einem offenen Kampf gegenüberzustellen? Dreorwyn musste nicht einmal sehr viel machen, das Element des Eises diente ihm, auch ohne dass er große Formeln oder Anstrengungen ausführen musste und so ließ der Mann sein Schwert klirrend fallen, als dieses mit Frost beschlug und drohte auf seine Arme überzugreifen. »Oder was?!«, säuselte der Magier bittersüß und unheilvoll. Er war die Schlange, die vier Männer vor ihm die Mäuse.   Ein Laut ertönte, als würde die Luft selbst einen tiefen Atemzug nehmen und hinter Dreorwyn bildeten sich zwei Faustgroße Eissplitter, die unheilvoll über ihm schwebten, mit den Spitzen zu den Männern deutend. Die Schwarzmähnen bezogen hinter dem Magier Stellung, während Grantar den unglücklichen Mann noch immer am Boden festnagelte. Tireen hatte ihren Bogen gespannt, Esquabar seine Dolche und Mateo seine großen Schwerter. Lediglich Arue wirkte wachsam und forschend. »Oder wir zünden die Bombe!«, schrie ein anderer Mann und fuchtelte mit einer Apparatur in seinen Händen.   Tireen zischte und ging einen Schritt zurück, während Mateo knurrte. Seine Plattenrüstung klirrte leise, doch Dreorwyn wich kein Stück zurück. Im Gegenteil. Kehlige, krächzende Laute verließen seinen Rachen. Lachte der etwa? War der jetzt völlig Irre geworden? Vermutlich glaubten es die Schwarzmähnen und die Männer ihm gegenüber. »Ihr glaubt uns nicht?!«, schrie ein Mann, der mittig stand beinahe hysterisch bei dem Gelächter des Magiers und trat einen Schritt vor um Sicht auf eine runde, graue Bombe zu enthüllen. Sie war umrundet von einigen Stangen Dynamit und daneben lagen mehrere Säcke Schießpulver.   Die Unachtsamkeit des Mannes nutzte Dreorwyn aus und versuchte nach ihm zu greifen, er schaffte es auch ihn an der Schulter zu packen und zog ihn an sich heran. Die Eisdolche schwebten vor ihm und deuteten auf den ungeschützten Hals. Der Mann mit der Apparatur schrie auf und fuchtelte mit dem Ding in seiner Hand herum. »Wag es dich die zu zünden!«, brüllte Dreorwyn. Die Schwarzmähnen hinter ihm hielten allesamt den Atem an. Er wusste es, er konnte die klopfenden Herzen hören, die in ihrer Brust schlugen. Sie hatten Angst. Sie zweifelten an dem Urteilvermögen des Magiers. Doch sie erkannten die Ironie nicht hinter dem Dynamit. »So dumm könnt nicht einmal ihr sein um euch selbst in die Luft zu jagen. Ihr steht direkt hinter der Bombe, falls ihr dies nicht erkennt!« Dreorwyn knurrte leise, während er den Mann vor sich im Schwitzkasten hielt.   Geroldrich wirkte beunruhigt, so als hätte er dies nicht kommen sehen. Ein eklatanter Fehler in seinem ach so großen Plan Dreorwyn abzuschrecken. Er trat vor. »Wir übergeben Euch den Gefangenen und Ihr lasst uns gehen. Dann werden wir die Bombe nicht zünden.«, sprach er ruhig und sachlich, doch eindeutig in die Ecke gedrängt. Versuchte er etwa wirklich zu verhandeln? Mit Dreorwyn? Mit einem Geisteskranken, der Dolche auf Eis auf einen seiner Männer gerichtet hielt? Die Bombe war ein Witz, die würden sie niemals zünden. Nicht einmal das Licht konnte sie schützen bei der Druckwelle. Dreorwyn war sich sicher, warum war sich dieser Teufel nur so sicher, dass er ihnen überlegen war?   Er grinste süffisant. »Ihr seid nicht in der Position, Forderungen zu stellen, Geroldrich.«, zischte er und zog mit einem Ruck den Mann vor sich etwas näher an sich, sodass diesem die Beine nachgaben. Er streckte die Pranke aus und hielt sie offen. »Der Auslöser, sofort.«   Der Paladin schien zu überlegen. Er wusste nicht was er tun sollte, er saß in seiner eigenen Falle und Dreorwyn hatte diese Schwäche, diese Dummheit ausgenutzt. Auf dem Dach hörte er ein Klopfen, doch er ließ sich nicht ablenken. Seine Augen ruhten auf Geroldrich, während dieser dem Mann mit der Apparatur zunickte. Dieser übergab etwas widerwillig den Auslöseknopf Dreorwyn.   Der Magier nahm sie an sich und stieß den Mann mit einem Ruck in die Richtung der Anderen. Er konnte nicht fliehen, die kleine Stube war vollgestopft mit den Schwarzmähnen. Sie waren ihnen unterlegen. »Euer Blut für das unserer Mitglieder.«, knurrte Dreorwyn und Geroldrich legte seine Hand auf den Schwertknauf, doch der Magier bewegte sich nicht. Die Apparatur in seiner Pranke ging in Flammen auf, ehe sie kurz darauf vereiste und zu Boden klirrte. Das verbeulte Metall war unbrauchbar geworden. Etwas damit in die Luft jagen konnte man damit nicht mehr. »Wie gerne würde ich Euch Euren Hals umdrehen, Georldrich. Doch es ist nicht meine Art, einen Wurm der sich auf dem Boden windet einen Gnadenstoß zu geben.«, knurrte der Magier grollend, während er mit der Daumenklaue über seine Schulter deutete. »Es steht Euch frei zu gehen.«   Die Männer sahen sich abwechselnd an, dann gingen sie vorsichtig an Dreorwyn vorbei. Die Schwarzmähnen hinter ihm machten keine Anstalten ihnen einen freien Weg zu geben, weshalb sie sich über die zerbrochenen Tische und Stühle arbeiten mussten. Der Magier beobachtete nicht mehr, ob sie heil nach draußen kamen, er eilte durch die Tür und die Treppe hinunter in den Keller, wo er auf einem Stuhl Lagann fand. Er hatte einen Knüppel im Rachen stecken, Blut rann von seiner Schläfe hinab und sein massiger Körper war an einen Stuhl mit einem dicken Seil gefesselt. Er rüttelte mit der Kraft die er aufbringen konnte, als er Dreorwyn erkannte. Der Magier eilte an seine Seite und befreite ihn von seinen Fesseln. Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten diesem verfluchten Paladin nicht doch einen Fluch hinterherzuschicken.   »Danke.« Laganns Stimme klang trocken, während er versuchte aufzustehen. Dreorwyn stützte ihn auf die Beine. »Wo ist Väl?«, fragte er und verengte dabei die Augen. Lagann schüttelte seinen Kopf. »Sie ist geflohen.«, murmelte er deutlich geschwächt, während er sich stark gegen Dreorwyn stützte.   »Und hat Euch zurückgelassen?!« Dreorwyn machte sich noch nicht einmal Mühe die Wut in seiner Stimme nicht durchscheinen zu lassen. Dieses hinterhältige Miststück. Zuerst brachte sie die Leute der Gemeinschaft in Gefahr und anschließend verschwand sie einfach, ohne sich um deren Schicksal zu kümmern? Dreorwyn hörte hektische Schritte die Treppe hinuntereilen, als Mateo seinen Kopf nach unten streckte. »Dreorwyn! Die Finstermähnen sind vor Rabenflucht!« Panik war in den geweiteten Augen des graumähnigen Worgen zu sehen.   Verdammt, das hatte ihnen gerade noch gefehlt. »Nimm mir Lagann ab.«, knurrte Dreorwyn ungehalten. Mateo tat wie ihm geheißen und Dreorwyn eilte schnell die Treppen wieder hinauf. Tireen stand hinter der Ecke des Eingangs, einen Pfeil in ihrer Sehne zurück gespannt. Sie war angespannt, ebenso wie Grantar und Esquabar, die gespannt auf den Eingang starrten, ihre Dolche und Schwerter gezogen. Er hörte die Stimme von Ahnarie. »Na, na. Ihr streift durch unseren Wald, und glaubt einfach so wieder verschwinden zu können, Mensch?« Der Magier sah sich um, nein sie konnten hier nicht kämpfen, wenn die Finstermähnen auf sie aufmerksam werden würden. Und Geroldrich würde gewiss pfeifen, dass sie hier drin waren um seine eigene Haut zu retten. Sie waren zu eingesperrt, zu eng eingepfercht, als dass sie eine Chance gegen die Finstermähnen hätten. Wie viele wohl vor der Taverne standen?. Doch da hörte er wieder ein Geräusch, welches von einem Geschoss höher kam. Es klang nach zersplitterten Holz.   Arue hatte es ebenfalls gehört. Ihr ruhiger, entschlossener Blick ruhte auf Dreorwyn, während er nach oben nickte. Langsam gingen sie nach oben und sahen sich um. Eine Diele im Dach riss auf und Garret steckte seinen Kopf hindurch. »Hier!«, zischte er leise durch den Raum. Der Magier staunte nicht schlecht, während Garret und Vakar das Loch in dem Dach noch weiter vergrößerten, indem sie Dielenbretter heraus rissen. Ja, so konnten sie entkommen. »Ich hole die anderen.«, sprach Dreorwyn schnell und stieg wieder die Treppe nach unten. Er sah zu Mateo, der Lagann stützte und kaum selbstständig einen Schritt vor den anderen setzen konnte. Was hatte Geroldrich nur mit ihm gemacht?   »Alle in das Obergeschoss. Es gibt einen Fluchtweg.«, scheuchte Dreorwyn die anderen fort, während vor dem Haus lautes Bellen und Knurren ertönte. Es wurde brenzlig. Der Magier glaubte Geroldrich hören zu können, wie er gerade erzählte, dass sie nicht die einzigen seien, die den Dämmerwald unerlaubt betreten hatten. Wie irrgläubig diese Narren doch waren. Glaubte dieses Rudel doch tatsächlich, ihnen würde der Dämmerwald gehören.   Dreorwyn schlüpfte als letztes durch das Loch in dem Dach nach draußen. Garret und Vakar halfen ihm dabei, ebenso, wie sie den anderen schon geholfen hatten. Auf der Rückseite auf der Seite zum Friedhof kletterten die Schwarzmähnen einer nach dem anderen wieder hinunter. »Gut gemacht.«, nickte er den beiden zu und Garret nickte nur. »Keine Zeit! Los jetzt!«, knurrte Vakar und sprang vom Dach ab. Dreorwyn folgte ihm nach unten. Seine Wut war fast verflogen gewesen, doch als er sich umdrehte, schoss das Blut sofort wieder in seine Ohren. Väl stolzierte dort rotzfrech zwischen den Schwarzmähnen herum, mit einem selbstgefälligen Grinsen auf dem Gesicht.   Der Magier stampfte wutentbrannt auf Väl zu und packte sie am Arm. Sie konnte sich noch nicht einmal wehren, sie war in ihrer zierlichen Menschengestalt und Dreorwyn ging gerade freilich nicht zimperlich mit ihr um. Sie versuchte sich loszureißen, doch Dreorwyn's Griff war eisern. Er drehte sich zu Lagann um, der inzwischen von Mateo und Grantar zu beiden Seiten gestützt wurde. »Wir gehen über den Friedhof zum Dunkelhain. So sollten wir genügend Abstand zu den Irren vor der Taverne gewinnen.«, murmelte Dreorwyn zischend. Unbarmherzig zog er Väl am Arm mit sich mit. »Ihr tut mir weh!«, nörgelte sie und versuchte sich vergeblich loszureißen.   Doch Dreorwyn ließ sie nicht los. Oh nein, er würde das kleine Biest nicht noch einmal davonkommen lassen. Sie würde sich für diese Tat, für diese Nachlässigkeit verantworten müssen. Und das vor den versammelten Gemeinschaftsmitgliedern. Irgendwann während des Marsches ließ sich Väl komplett fallen doch Dreorwyn schliff sie einfach am Arm weiter. Als sie beinahe den ganzen Wald zusammenplärrte wegen unsagbaren Schmerzen und dass Dreorwyn total blöd sei, wurde es ihm zu dämlich und er warf sie sich einfach über die Schulter. Doch die Meckerziege nörgelte weiter. Dreorwyn ließ sie machen. Sie machte sich selbst zum Narren.   Sie erreichten schließlich Dunkelhain und nahmen sich Greifen zurück nach Surwich. Väl wollte alleine fliegen, doch der Magier wusste dies zu verhindern. Er schwang sich hinter sie auf einen Greifen, nicht vor sie, schließlich... wer wusste schon was sie die sich alles einfallen lassen würde um zu entkommen? Als sie in Surwich angekommen waren, warteten Struana, Tirenas, Barrymore und die restlichen Gemeinschaftsmitglieder auf deren Ankunft. Lagann wurde in den Obergeschossen versorgt, während Dreorwyn Väl in das Gemeinschaftshaus zerrte.   »Ich sagte ich will nicht!«, schrie Väl und stemmte sich mit einem Arm und beiden Beinen gegen den Türrahmen. Doch Dreorwyn zog sie einfach weiter, bis sie im Inneren war. Dort angekommen drückte er sie unsanft auf den Dielenboden in der Mitte. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust und hob die Nase in die Höhe. Der Magier umkreiste sie schnaubend, während er sie beobachtete. Ihre Arroganz machte ihn krank. »Väl, Ihr seid die erwählte Anführerin. Ihr habt die Schwarzmähnen zu einer Gemeinschaft gemacht und den Umzug nach Surwich veranlasst. Ihr habt uns oft gut geführt und geleitet. Doch was im Namen von Azeroth hat Euch am Kopf getroffen, dass Ihr die Mitglieder der Gemeinschaft in eine solche Gefahr gebracht habt?!«   Väl antwortete nicht, sie funkelte Dreorwyn an, als würde sie jeden Augenblick aufspringen und ihm einen Dolch in die Brust rammen wollen. Der Magier fuhr schäumend vor Wut fort. »Ihr habt sie Führungslos zurückgelassen, während ich nicht in Reichweite war Euren Platz einzunehmen. Ihr habt gewusst weshalb Vakar so zügellos war, und dennoch habt Ihr ihm nicht geholfen das Ritual hinter sich zu bringen! Er war eine Gefahr für die gesamte Gemeinschaft!«, tobte Dreorwyn weiter. »Ihr seid verantwortungslos und naiv mit den Aufgaben umgegangen, um die Ihr Euch hättet kümmern müssen!«   Der Trotz der sitzenden Frau schwand aus ihrem Gesicht und wich der Wut. Ihre Wangen hatten sich gerötet. »Und wo wart Ihr, während meiner Abwesenheit?!«, konterte sie und funkelte ihn säuerlich an. »Ihr als mein Berater hättet hier sein müssen, aber nein! Ihr habt Euch hinter Euren Büchern verkrochen!« »Ich bin nicht Anführer!«, rief Dreorwyn und starrte sie Fassungslos an. »Ich bin wie Ihr sagtet Euer Berater. Meine Anwesenheit ist nicht zu jeder Zeit erforderlich!«   »Ich wollte niemals Anführer sein!«, sprach Väl trocken aus. Dreorwyn platzte der Kragen. Er wusste selbst nicht warum ihn das so wütend machte, aber er knurrte sie feindselig an. »Und dennoch habt Ihr den Posten mit Freuden angenommen!«, zischte er.   »Hatte ich denn eine Wahl?« Väl engte ihre Augen. »Nein, die hatte ich nicht. Ihr habt mir den Posten aufgedrängt!« Sie sprang auf ihre Beine. »Aber ja genau! Ihr habt Recht! Ich hätte Euch dumm dastehen lassen können! Oh, du ehrenwerter Flohsack! Dich hätte ich dumm aussehen lassen sollen!« Sie ging einen Schritt auf ihn zu, bis sie direkt vor ihm stand. Sie war so klein im Gegensatz zu ihm und doch schien es, als sei ihr dies egal. »Ich hätte den Posten nicht annehmen sollen! Ich bin nicht zum Führen gemacht, Dreorwyn. Ihr wisst das! Ihr kennt mich besser als irgendwer sonst aus der Gemeinschaft! Und dennoch habe ich es übernommen mit Eurer Unterstützung!« Väl schnaufte die Luft aus ihren Nasenlöchern aus.   Dreorwyn starrte sie fassungslos an. »Ihr wollt nicht ernsthaft mir nun die Schuld an Eurem Versagen geben, oder?«, knurrte er drohend.   »Oh doch!«, rief sie ihm entgegen und sie hatte noch nicht einmal Scham dabei. Sie stülpte sich den Wappenrock über den Kopf und warf ihn dem Worgen in das Gesicht. Dreorwyn knüllte den Stoff wütend zwischen seinen Pranken und riss ihn sich vom Kopf. »Ich bin weg!« Mit diesen Worten stolzierte sie an ihm vorbei und verließ mit hochrotem Kopf das Gemeinschaftshaus.   Eine lange Zeit war es Still in dem Gemeinschaftshaus der Schwarzmähnen. Die Augenpaare waren entweder zur Tür gerichtet, aus der Väl gerade heraus stolziert war, oder auf Dreorwyn. Er fühlte sich unbehaglich und irgendwie... machtlos. Er konnte das Gefühl nicht beschreiben. Weshalb fühlte er so? Er hatte doch nur versucht alles richtig zu machen. Hatte er sich in Väl getäuscht? War sie in Wirklichkeit genau so wie er, zum Führen nicht geeignet? War er zu weit gegangen? Er hatte stets geglaubt, dass er sich auf sie verlassen konnte. Väl war ihm stets eine gute Freundin gewesen und eine grandiose Anführerin. Doch jetzt kam es ihm so vor, als hätte sie ihn verraten. Die Worte die sie ihm entgegen geschleudert hatte, hallten noch in seinen Ohren nach. Das konnte nicht ihr ernst sein? Wenn sie nie Führen wollte, weshalb hatte sie sich nie mit ihm darüber besprochen?   »Was geschieht nun, Dreorwyn?«, fragte Arue leise, die ihn aus der Ecke des Raumes heraus ansah. Der Magier hob verwirrt seinen Kopf von dem Wappenrock in seinen Pranken und sah sie an. Bitter musste er schmunzeln. »Wenn ich das nur wüsste...«, murmelte er.   *****   Dreorwyn blätterte durch die Seiten. Er hatte das Amt des Anführers nicht lange behalten, er hatte sich einfach zu überfordert mit dieser Aufgabe gefühlt. Er fühlte sich für zu vieles Verantwortlich und sehr oft war er mit seinen eigenen Entscheidungen nicht zufrieden gewesen zu dieser Zeit.   Schließlich hatte er das Amt aufgeteilt, zwischen Aure, Berrymoore, Lagann und Mateo. Väl hatte sich allerdings nicht sehr lange von den Schwarzmähnen fern gehalten. Zu viel Zeit hatte sie mit ihnen verbracht, vermutlich war sie aus diesem Grund irgendwann zurückgekehrt Die vier Ratsmitglieder beschlossen, in den Dämmerwald zu ziehen und Surwich hinter sich zu lassen, nicht zuletzt wegen Väls Vorschlägen und drängen. Diesbezüglich war es eine weise Entscheidung gewesen Surwich den Rücken zu kehren. Tirenas und Struana kamen immer seltener zu den Schwarzmähnen, weshalb sich die Dämonen immer näher an Surwich herangetraut hatten. Doch weshalb ausgerechnet der Dämmerwald?   Dreorwyn hasste diesen Ort. Oh ja, und wie er ihn hasste. Sei es wegen dem jüngsten Vorfall gewesen, oder wegen seiner ersten Begegnung mit den Finstermähnen, er vermochte es nicht mit Gewissheit zu sagen. Er hasste den Dämmerwald. Nie schien dort die Sonne. Man hörte keine Vögel, nur Krähen, wenn überhaupt. Von den Spinnen und anderen Gestalten, die sich im Schatten bewegten ganz zu Schweigen. Außerdem geschah nie etwas positives an diesem Ort.   Der Magier war nicht lange dort geblieben und Väl hatte er dort auch das letzte Mal gesehen. Er hatte sie beobachtet, wie sie versuchte, sich wieder an die Führung zu kämpfen. Sie machte eine gute Arbeit, aber ob sie aus ihrem Fehler gelernt hatte, vermochte Dreorwyn nicht zu sagen. Irgendwann kam er immer seltener nach Dunkelhain. Er hatte sich ein eigenes Heim in Dalaran aufgebaut. Selbst Struana hatte er dann freigegeben von ihrer Pflicht, ab und zu nach den Schwarzmähnen zu sehen. Es hatte keinen Sinn mehr für ihn gehabt.   Vielleicht hatte Dreorwyn nur Zeit für sich alleine benötigt, vielleicht wollte er aber auch von all dem nichts mehr wissen. Aber hauptsächlich wollte er Väl nicht mehr über den Weg laufen. Sie war eine Intrigenspinnende Heuchlerin, war es vielleicht auch schon immer gewesen. Versteckt hinter einem Schleier aus Geheimnissen. Wie schnell diese Person in seinen Augen doch gesunken war. Es war auch mitunter ein Grund, weshalb sich Dreorwyn gesagt hatte, nie wieder einer Gemeinschaft beizutreten. Wenn man alleine war, konnte man nicht enttäuscht werden. Man vermochte selbst seine Pfade zu wählen und man war nur sich selbst gegenüber Verantwortlich.   In dieser Zeit in Dalaran hatte er auch eingesehen, dass er selbst schuld an der Entscheidung von Riwena trug, die ihn oft so sehr belastet und heruntergezogen hatte. Zunächst hatte er sie verflucht, doch dann vermisst. Irgendwann waren die Gedanken, die ständig zu ihr gewandert waren zur Gewohnheit geworden, zu einer Träumerei. Er hatte seine Karten bei ihr verspielt gehabt. ... Dreorwyn seufzte lange, als er an einer bestimmten Stelle des Tagebuches weiterlas. Er hatte damals geglaubt dieser Tag wäre ein schlechtes Omen. Wie sehr er sich getäuscht hatte...   ***** Kapitel 9: Unerwartetes Wiedersehen ----------------------------------- *****   Es war einer der Tage, an denen Dreorwyn sich selbst frei genommen hatte. Nun, viel mehr zwangsmäßig, da er keinen Auftrag zu bearbeiten hatte. Doch er war nicht untätig gewesen. Sein Besuch auf dem Marktplatz hatte ihm bereits drei weitere Kunden eingebracht, die ihm zusagten in den kommenden Tagen in der Schmiede vorbei zu sehen, um seine Arbeiten zu betrachten. Der Magier war zufrieden mit sich selbst, während er, gekleidet in seiner purpurnen Robe, durch die Gassen von Dalaran wanderte. Die Sonne schien lau auf ihn herab und er spielte sogar mit dem Gedanken sich einfach in das Gras zu legen und faul die Sonne auf sich herab scheinen zu lassen. Er hätte es sich verdient - hatte er doch, oder?   Dreorwyn hatte seine Mitte wieder gefunden, seine innere Ruhe. Er war mit sich auch ins Reine gekommen, was seine Vergangenheit betrifft. Unter dem Namen Dreorwyn Oldwater kannte man lediglich einen Goldschmied, der gerne ausgefallene Aufträge annahm um sich selbst zu übertreffen. Seine Vergangenheit existierte nicht mehr für ihn, ebenso wie er lange die Schwarzmähnen hinter sich gelassen hatte.   Seine Aufmerksamkeit wurde in den Himmel gelenkt, als ein Schatten über ihn vorbeizog. Ein merkwürdig großer Uhu umkreiste ihn. Merkwürdig, weshalb kreiste das Tier ruhelos über ihm? Doch plötzlich stürzte er sich auf breiten Schwingen vom Himmel herab, direkt auf ihn zu. Was zum...? Dreorwyn wollte bereits ausweichen, doch der Uhu landete vorbildlich auf der Parkbank neben ihm. Er zupfte an seinem Gefieder herum, ehe der Blick des Vogels direkt auf ihm ruhte. Dreorwyn hob eine Augenbraue, als er den Brief zwischen den kräftigen Klauen des Raubvogels ausmachte. Sein Name war darauf zu erkennen. Der Magier überlegte kurz, ehe er sich langsam vorbeugte und versuchte dem Uhu den Brief abzunehmen. Der Uhu ließ es glücklicherweise willig zu.   Noch immer etwas skeptisch über den Vogel entfaltete er den Brief. Es war keine Begrüßung zu sehen, nur der Text. Wie sonderbar... Irgendetwas wollte ihm an der Schrift bekannt vorkommen.   »Ich muss mit Euch reden. Wenn Ihr Euren, nicht zu Unrecht gekränkten Stolz überwinden könnt, so werdet Ihr mich an der« Dreorwyn hob runzelte die Stirn. Die nächsten Buchstaben waren dicker geschrieben, als hätte man lange darüber nachgedacht. Merkwürdig. »Dunkelküste in Lor'danel antreffen. Ich werde dort am Tag der Wochenmitte bis zur sechsten Abendstunde warten. Sichere Pfade.«   Dreorwyn stutzte. Kein Absender? Er runzelte die Stirn als er den Brief ein weiteres Mal durchlas. »Gekränkter Stolz?« Sein Blick verweilte wieder auf dem Uhu, aber ihm wollte nicht einfallen, wem dieses große Tier gehören könnte. Ihm fiel niemand ein, mit dem er in letzter Zeit eine Geschäftsbeziehung hatte, die irgendwie fehlgeleitet war. Die letzte Person mit der er einigermaßen etwas unternommen hatte und die wütend abgedampft war, war eine Nachtelfe gewesen. Allerdings hatte er mit deren merkwürdigem... Wesen nichts anfangen können. Sie verstand sich mit der Schattenmagie, er hasste diese Art von Magie, auch wenn er sie durchaus beherrschte. »Kenne, was du fürchtest.«   »Nein, vor ihr würden selbst Maden davon kriechen.« Dreorwyn sah in den Himmel und deutete die Uhrzeit. Wochenmitte, hm? Diese war heute. Da hatte es wohl jemand ziemlich eilig, oder? Nun, er hatte bis zu seinem Besuch noch etwas Zeit, aber er war doch Neugierig, wer ihm diese Nachricht geschrieben hatte. Ihn ließ das Gefühl nicht los, dass etwas sehr merkwürdiges heute noch geschehen würde. Der Magier ließ den Brief zusammengefaltet in seine Tasche wandern, während der Uhu seine Schwingen ausbreitete und wieder davonflog. Er sah ihm hinterher. Nun, man sollte seinen Besuch nicht warten lassen, nicht?   Zielstrebig ging er weiter durch die Straßen Dalarans. Hatte er alles erledigt? Doch ihm fiel nichts ein, was er noch hätte tun können. Schließlich wollte Dreorwyn sich auch Augenblicke vorher noch faul in das Gras legen. Er ging in eine Seitengasse in der es sehr ruhig war. Er drückte sich gegen die kühle Steinwand und schloss seine Augen. Er musste sich stark konzentrieren, Teleportzauber waren immer noch eine Sache für sich. Und wenn die Kraft nicht aus dem Nether gewonnen wurde, waren sie immer noch sehr kräftezehrend. Die Magie durchflutete ihn, während er sich langsam auf der Stelle auflöste und die Gasse alleine zurückließ.   Nachdem er über die Brücken von Darnassus bedenklich langsam geschritten war - wobei er sich immerzu Gedanken machte, wer ihn wohl zu sich bestellen könnte - und schließlich das Meeresrauschen hörte, wandelte er sich. Er schüttelte seinen schwarzen Pelz und musste seine Kapuze etwas zurechtrücken, damit sie wieder passend auf seiner nun breiteren Kopfform auch Halt fand. Anschließend mietete er sich einen der Hippogryphen zur Dunkelküste. Über den Flug begann sein Pelz angenehm vor Aufregung zu prickeln. Wer hatte ihm nur diesen Brief geschrieben? Welcher seiner Kontakte hatte einen Uhu? Doch beim besten Willen wollte ihm niemand einfallen. Als das große, gehörnte Tier landete, wurde es ihm von einem der Nachtelfen in Lor'danel abgenommen. Sein Blick schweifte aufmerksam durch die Umgebung, doch außer einigen Schildwachen konnte er niemanden erkennen. Wo in Lor'danel wollte man ihn treffen?   Seine Schritte lenkten ihn den Steg hinab, vorbei an dem Gasthaus und dort erkannte er bereits jemanden, der ihm sehr bekannt war. Mehr als ihm lieb war. Dreorwyn's Augen schmälerten sich, als sein Blick auf die Worgen fiel und sein Herz begann unweigerlich schneller zu schlagen. Ein Schmerz in seiner Brust machte sich breit, ähnlich einem Stich, doch er schluckte ihn hinunter und nickte ihr nur sachte zu. »Ehre Riwena.« Der Magier war angespannt und er wünschte sich, er würde sich in seiner Vermutung irren, während sie ihm ebenfalls ruhig, dennoch abwartend entgegenblickte. Sie trug eine rote Leder- und Kettenrüstung die mit einigen Fellen umsäumt war. Über ihrer Brust lag ein Wappenrock, der vermutlich zu ihrer selbst gegründeten Gemeinschaft gehörte. Er zog den zusammen gefalteten Brief aus seiner Tasche und hob ihn auf Riwenas Kopfhöhe. »Ist dieser hier von Euch?«   Die Worgen nickte knapp. Wie sehr hätte er sich gewünscht sie hätte den Kopf geschüttelt und wäre erstarrt, aufgrund dieses Zufalls, dass sie sich begegneten. »Wie ich sehe, war es Euch möglich zu erscheinen.«, sprach sie ruhig und beobachtete ihn aufmerksam. »Lasst uns ein Stück gehen. Das Gespräch sollte fernab lauschender Ohren stattfinden.« Anstatt einer Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und ging den Ausgang über die Brücke hinaus. Dreorwyn hob skeptisch eine Augenbraue. Alle Sinne in ihm schrien, einfach wieder zu gehen, doch weshalb sollte sich Riwena, seine ehemalige Gefährtin, die Mühen auf sich nehmen gerade ihm zu schreiben? Aus welchem Grund bestellte sie ihn hierher, wenn sie doch gewusst hatte, ihn die ganze Zeit zu meiden? Langsam folgte er ihr hinaus. Während sie über den Strand gingen, warf der Magier einen fast sehnsüchtigen Blick zurück nach Lor'danel. Er versuchte sein Herz zu beruhigen, doch es schlug ihm bis zum Hals. 'Reiß dich zusammen', mahnte er sich selbst. 'Es mag schmerzen, aber die Zeiten sind vorbei. Komm drauf klar!'   Riwena führte ihn nicht weit von Lor'danel weg. Neben einem kleinen Anglerposten, der gerade leer stand, hielt sie neben einigen jungen Bäumen und Büschen und drehte sich zu ihm um. Mit gespitzten Ohren sah sie ihn an, vermutlich wusste sie nicht, was sie sagen sollte, jetzt wo er tatsächlich vor ihr stand. Ungeduldig funkelte Dreorwyn zurück. »Was ist es, was Ihr mit mir zu besprechen hättet? Ich wüsste nicht, dass wir noch irgendetwas teilen.« Seine Worte waren mehr gefüllt mit Abneigung, als er gewollt hatte. Er wollte ja nicht unhöflich wirken, dennoch war es ihm sichtlich unangenehm, dass sich Riwena hinter dem ominösen Schreiben befand.   »Ihr solltet wissen, dass wir sehr wohl noch eine Sache offen haben.«, erwiderte Riwena und trat etwas näher an den Magier heran. Sie suchte seinen Blick, doch er hob nur eine Augenbraue. Zwar wich er nicht zurück, als sie ihm so nahe kam, aber in seinem Blick war deutlich Abneigung und auch Abwehr zu lesen. »Redet nicht um den heißen Brei.«, knurrte er dumpf. Seine Stimme klang hohl und auch etwas trocken. Verdammt, er war nervös, doch er wollte es sich nicht zugestehen. Sein Pelz kribbelte unangenehm vor Ungeduld, doch auch vor Neugier.   »Es geschahen viele Dinge. Dinge, die geschehen mussten, doch die Art und Weise wie sie geschahen, wurden nie erklärt, nie ausgesprochen.« Ihre vorsichtigen Worte ließen darauf schließen, dass sie die Abwehr in seinen Augen erkannte, doch ihr Blick war matt und emotionslos. Dreorwyn konnte noch nicht einmal vermuten, was ihr im Kopf herumspukte, noch was sie gebissen hatte, um ausgerechnet jetzt, Jahre später, um dieses Thema anzusprechen. Er kräuselte seine Lippen und entblößte schwach einige seiner Reißzähne. »Wollt Ihr über die Vergangenen Geschehnisse sprechen? Deswegen der Brief?« Seine Worte triefen vor Unglauben und Sarkasmus. »Ist ein bisschen spät, findet Ihr nicht auch?«   Die Worgen sah ihn weiterhin mit trüben Blick an. Erst jetzt fiel Dreorwyn auf, dass sie merkwürdig mager und ausgemergelt wirkte. Was wohl geschehen war? Doch, wollte er dies wirklich wissen? Er wollte im Grunde genommen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Er hatte so lange gebraucht über ihre Trennung hinwegzukommen in der Riwena ihn einfach ohne jedes Wort verlassen hatte. »Es widerstrebt mir, darüber zu sprechen.«, sie nickte ihm aufrichtig zu. »Aber was mir nicht gegen den Strich geht, ist eine Entschuldigung, die ich Euch schulde.«   Ungläubig kniff der Magier die Augenbrauen zusammen. »Ihr lasst Euch herab eine Entschuldigung auszusprechen, die schon längst hinfällig war?«, fragte er höhnisch und schüttelte seinen Kopf. Er wollte hier weg. In diesem Punkt musste er ihr zustimmen. Es widerstrebte ihm ebenso darüber zu sprechen. Es war Vergangenheit. Er hatte es abgehakt. Er hatte sie vergessen. Außerdem, was würde es verändern? Wollte sie sich jetzt, nach fast zwei Jahren entschuldigen und sich dann wieder dorthin verkriechen, wo sie nun lebte? Riwena war unglaublich. Was bildete sie sich ein, wer sie war?   »Die Vergangenheit die ich mit Euch teilte war in meinen Augen nicht schlecht, doch die Art, wie sich unsere Wege trennten war von meiner Seite rücksichtslos und kalt. Ich kenne mich gut genug um zu wissen, dass ich nie anders sein werden, doch war es-«, begann sie, doch Dreorwyn fuhr ihr ins Wort. Er wollte das nicht hören. Er wollte diese Worte nicht hören. »Richtig.«, unterbrach er sie. »Aber so wart Ihr schon immer. Nicht darauf bedacht, was Euer Umfeld von Euch hält.« Sein Blick war ernst und eisern. »Einerseits ist dies bestimmt von Vorteil, andererseits verliert Ihr das Gefühl für Euer Umfeld.«   Riwena zuckte unruhig mit ihren Ohren. Anscheinend war sie es nicht mehr gewohnt, dass man sie unterbrach, jetzt, da sie Anführerin war. Doch sie sagte dazu nichts. Sie ging noch nicht einmal auf seine Worte ein. »... mein Verhalten Euch gegenüber war ungerecht in jeder Hinsicht. Ich erkannte es und wollte es nicht wahrhaben, doch die Vergangenheit holt jeden ein. Ich möchte mich für mein Verhalten Euch gegenüber entschuldigen. Nehmt es an, oder lasst es, doch wisst meine Sicht der Dinge.« Sie nickte nach wie vor mit diesem emotionslosen Gesichtsausdruck. Hart wie Stein. Doch Dreorwyn wirkte so ungerührt, als würde es nicht um die dunklen Kapitel seines Lebens gehen. Er wollte dies nicht hören. Weshalb wollte sich Riwena ausgerechnet jetzt reinwaschen? Es musste etwas anderes dahinter stecken, aus welchem Grund sie ihn aufgesucht hatte. Diese Geschichte stand zwischen ihnen, doch was würde danach kommen? »Dann teilt mir Eure Sicht der Dinge mit, wenn es Euer Gewissen beruhigt.«, er nickte matt, seine Ohren waren unter der Kapuze nicht zu sehen, aber sie lagen flach an seinem Kopf an. »Lasst mich nur eines wissen. Ist dies der einzige Grund, weswegen Ihr mich treffen wolltet, oder braucht Ihr magische Unterstützung?«   Die Worgen zögerte, ehe sie zum sprechen ansetzte. Doch das Zögern verriet sie. Für einen kurzen Augenblick war ihre Maske aus Emotionslosigkeit verrutscht. Also kam die starke Gewichtsabnahme nicht von selbst. »Ob ich sie brauche oder nicht, sei dahingestellt. Es steht mir nicht zu sie zu fordern.« Ihre Blick schweiften kurz hinab, ehe sie wieder in seine Augen blickte. »Ich wünsche ein persönliches Gespräch, von Angesicht zu Angesicht.« Dreorwyn sah zur Seite. Stur war sie ja, das musste er ihr lassen, doch das war auch nichts neues. »So sei es.«, murmelte er und nickte mit dem Kopf zu seiner Seite zu den jungen Bäumen. »Wollen wir uns setzen?« Riwena musterte ihn für einen kurzen Augenblick, dann nickte sie. Vermutlich war sie erleichtert, dass er ihr wirklich zuhören wollte - oder zumindest so tat als ob - und er war erleichtert, dass sie seinem Vorschlag nachkam. Er glaubte, dass dies noch ein sehr langer Abend werden würde.   Nachdem sie sich gesetzt hatten und jeder in eine andere Richtung zugeneigt war, nur nicht zu dem eigentlichen Gesprächspartner, zog sich der Magier die Kapuze nach hinten. Sie ruhte auf seinen Schultern und sein Blick wirkte ausdruckslos, dennoch mit einem winzigen Funken Interesse. Doch das Interesse galt weniger dem Gespräch, welches sie vorgegeben hatte. »Ihr habt Fragen, wie es scheint?«, fing sie an, während sie ihn aus ihren grasgrünen Augen beobachtete. Ihre Ohren drehten sich langsam und achtsam in alle Richtungen.   Dreorwyn schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht, nein. Ich habe sehr lange an dieser Sache gehangen, aber ich habe sie vor einiger Zeit abgelegt.« Wie sehr er doch log. Zum Glück bedeckte Fell seine Wangen. Er war ein abgrundtief schlechter Lügner. Tatsächlich war nur eine Woche vergangen, an dessen Tage er nicht an Riwena hatte denken müssen. Dreorwyn wandte seinen Blick zur Seite zu der glitzernden Meeresoberfläche auf der sich die Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten.»Es überrascht mich, dass Ihr ausgerechnet jetzt Euer Gewissen reinwaschen und mir reinen Wein eingießen wollt. Ihr wolltet mir Eure Sicht der Dinge erläutern. Ich denke wenn es Fragen gibt, werden sie hier aufkommen.« Der Magier machte sich noch nicht einmal die Mühe zu verbergen, dass er wenig Lust hatte über dieses Thema mit Riwena und ihm zu sprechen. Dennoch blieb er bemerkenswert ruhig. Es überraschte ihn selbst.   Riwena nickte. »Nun gut, dann werde ich nicht länger darauf warten lassen.« Sie machte eine kurze Pause, legte sich ihre Worte zurecht. Dies würde wohl eine längere Rede werden. Dreorwyn verkniff es sich angestrengt zu seufzen und blieb einfach weiterhin ruhig. »Ihr wisst, dass ich viel auf Reisen war. Mein Gemüt zog mich stets in die Ferne, immer dem Drang folgend jemanden zu suchen. Dieses Verlangen wurde zu stark um es abzuwehren. Es brachte mich immer wieder in Versuchung. Ich verlor das Gefühl von Heimat und die Dinge die dort vor sich gingen, waren für mich nicht mehr tragbar. Ihr erinnert Euch vielleicht an Berrymore? Ich würde ihm nach wie vor am liebsten die Haut abziehen, aber das ist eine andere Geschichte.« Dreorwyn blieb weiterhin ruhig, während er lauschte. Er antwortete nicht, doch am liebsten hätte er laut aufgestöhnt. Wie könnte er diesen Trottel vergessen?   Dreorwyn wandte seinen Blick, wissend, nun doch zu Riwena. Dass sie stets auf Reisen gewesen war, hatte er gewusst und er hatte es toleriert. Immerhin hatte er stets sehr viel zu tun gehabt als Berater von Väl, damals, als sie die Schwarzmähnen noch geleitet hatte. Die Vergangenheit mit ihrem Bruder hatte sie ihm ebenfalls erzählt. Scheinbar wartete Riwena nicht auf eine Antwort von ihm, oder einer Zustimmung, denn sogleich sprach sie weiter: »Wie dem auch sei, es passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Die Details erspare ich an dieser Stelle besser. Veränderungen gingen in mir vor. Veränderungen, die ich nicht mehr erwartet hatte, seid diese Elfe mein Kind genommen hatte. Vermutlich...«, sie machte eine Pause und Dreorwyn runzelte seine Stirn. Veränderungen? Welche Veränderungen? Was wollte sie ihm denn jetzt erzählen? Natürlich wusste er von dem Vorfall mit der Nachtelfe die Riwena heimtückisch angegriffen hatte und das Kind in ihrem Leib starb, noch ehe es die Möglichkeit bekam zu leben. Seine Ohren zuckten nervös. Es war makaber, doch gerade dieses Ereignis hatte sie beide zusammengeschweißt und miteinander verbunden. Riwena fasste sich wieder und ihre Worte klangen schwer nach. »Vermutlich hatte ich Angst. Ich nahm Anlauf und rannte immer mehr in meine Vergangenheit anstatt die richtigen Schritte vorwärts zu schaffen. Auf einer weiteren Suche, als ich den Schwarzmähnen schon nicht mehr angehörte fand ich den für mich richtigen Weg. Ich begann etwas aufzubauen, dass mir mehr Heimat und Familie war, als ich jemals geahnt hätte.« Ihre Worte klangen nach und verursachten bei Dreorwyn einen ungewohnt bitteren Nachgeschmack. Weshalb trafen ihn ihre Worte so sehr? Er ärgerte sich über sich selbst.   Riwenas Blick schimmerte matt. »Aus Taten folgte Verantwortung. Grantar und ich wusste es beide, doch es blieb nicht bei diesen Gedanken, ansonsten wäre er nicht gefolgt.« Sie wirkte ruhig, während sie sprach, doch in Dreorwyn schien es eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben. Sein Blick verfinsterte sich und er sah sie mürrisch an. »Und die Verantwortung mir eine Nachricht zu hinterlassen, dass Ihr gegangen seid?«, knurrte er unheilvoll. »Die Verantwortung, mir zu gestehen, dass Euer Herz jemand anderem gehört? Was war mit dieser Verantwortung?« Wie sehr wollte er dieses Gespräch doch nicht führen? Vermutlich aus genau diesem Grund. Er hing doch wohl noch mehr daran als ihm selbst lieb war. Herausfordernd und eisig entgegnete er ihrem Blick, als er versuchte den ihren zu deuten. Doch er vermochte es nicht, sie gab zu wenig von sich preis und ihre emotionslosen Gesichtszüge waren unleserlich.   »Angst ist eine einfache Ausrede, aber dabei will ich es nicht belassen.«, begann sie ruhig und sah ihm fest in die Augen. »Ihr hattet das Recht zu erfahren, was vor sich ging und ich konnte nicht für Euer Recht einstehen. Ich denke, dass unter anderem aus diesen Gründen die Entschuldigung hervorgeht.«   Der Magier kniff seine Augen zusammen und sein Blick ruhte weiterhin auf ihr. Vermutlich spürte sie seine Ratlosigkeit, deswegen fügte Riwena hinzu: »Ich meine damit, alle Erklärungen die ich Euch schuldig geblieben bin. Warum ich ging, ohne Euch etwas davon zu sagen, dass ich Euch im Stich ließ in dem Wissen, dass Ihr mir nicht verzeihen würdet.« Langsam nickte sie.   Drerowyn schnaubte. »Anscheinend konntet Ihr damit bisher recht gut leben.« Er wandte seinen Blick von ihr ab und sah nachdenklich auf seinen Stab. Er wollte gehen, doch ein Ohr drehte sich langsam in ihre Richtung. Er konnte nicht. Nicht jetzt. Weshalb nur konnte er ihr nicht einfach den Rücken kehren und verschwinden? Was brachte dieses Gespräch? Es riss nur Wunden auf, die bereits verheilt waren, zumindest bei ihm. »Warum ausgerechnet jetzt?«, fragte er leise, hob langsam seinen Blick wieder zu Riwena. Er sah sie teils betrübt, teils unerschütterlich an. Auch wenn es alte Wunden wieder aufgerissen hatte, er stand darüber. Es schmerzte nicht so sehr wie damals. Das bedeutete doch auch nur, dass er über Riwena hinweggekommen war, nicht? »Ihr hättet es auch unter den Tisch kehren können. Es wäre niemals geschehen.«   Riwenas grasgrüne Augen musterten Dreorwyn lange. »Weil auch ich lernen musste. Ich musste mehr vom Leben lernen und ich habe gelernt. Dinge unter den zu Tisch kehren ist dabei nicht der richtige Weg, Dreorwyn. Und das wisst Ihr vermutlich selbst.« Fast entfuhr dem Magier ein ungläubiges Schnauben. Natürlich, sie musste lernen. Dennoch nickte er langsam. »Gewiss, dennoch ist dies nicht Eure Art.«   »Was wäre Eurer Meinung nach meine Art gewesen? Ihr kennt mich lange und Ihr kennt viele Teile meiner Vergangenheit. Ich denke Ihr könnt diese Frage wohl beantworten.« Sie wirkte ehrlich und ruhig, während sie diese Worte sprach, doch er glaubte sich verhört zu haben. Bitter und kaltschnäuzig entgegnete er: »Denkt Ihr das? Unser letztes treffen war bevor ich nach Gilneas ging, um selbst meiner Vergangenheit auf den Grund zu gehen. Nach meiner Rückkehr wurde mir von Grantar die Nachricht überbracht Ihr wäret gegangen. Ich glaube, ich habe Euch nie wirklich gekannt.«   Riwena nickte langsam und gefasst. »Nein, das habt Ihr nicht. Auch wenn Ihr der einzige auf dieser Welt seid, der von meiner Vergangenheit weiß. Vermutlich gab es einst Hoffnung.« Nun wanderte auch ihr Blick zu der glitzernden Meeresoberfläche. Sie legte die Ohren an und in ihren Augen spiegelte sich das Glitzern des Meeres wieder, aber sie selbst schien so etwas nicht zu besitzen. Dreorwyn folgte ihrem Blick gefasst. Was wollte sie mit ihren Worten sagen? Und aus welchem Grund bereute er es ein bisschen, dass er seine Worte so hart ausgesprochen hatte? Dreorwyn hatte darauf keine Antwort und er wollte sie auch nicht suchen. Sie war zu tief vergraben. Wenige Momente die ihm wie Stunden des Schweigens vorkamen vergingen, doch es machte ihm nichts aus. Seine Gedanken mussten neu geordnet werden, neu sortiert. Er wollte von der Vergangenheit nichts mehr hören. Ob es ihm nun wirklich half, Klarheit zu haben? Der Magier hatte ihr bereits verziehen, mehr aus dem Grund, da sie nicht die eigentliche Schuld für ihre Taten trug. Die trug er selbst, doch er hatte wenig Lust dies jetzt zu erwähnen. Die Schmerzen und sein Leid, als er alles nach und nach herausgefunden hatte, würde er nie vergessen. Seine Ohren zuckten, als er glaubte in der Ferne Donnergrollen zu hören.   »Lebt Ihr gut, so wie es jetzt ist? Ist es so, wie Ihr Euch vorgestellt habt, Riwena?«, fragte Dreorwyn und musste schlucken, da seine Stimme merkwürdig schwach klang. Er machte sich zu viele Gedanken. Riwena sah ihn wieder an, für einen kurzen Augenblick schien ihr Blick zu verraten, was wirklich in ihr vorging. Sie wirkte unglaublich traurig, doch auch Missmut spiegelte sich darin. »Zu Anfangs war es das, aber ich wachse mit meinen Aufgaben als Anführerin. Es wird nie einfach sein, aber vielleicht besser als zuvor. Ich werde sehen, was die Zeit mit sich bringt.« Ihre Worte ließen erahnen, wie viel sie wirklich über das Leben gelernt hatte und dass sie bereit war, weiter zu lernen. Eine Eigenschaft, die Dreorwyn früher an ihr nicht gesehen hatte und sie berührten ihn. Ihr ging es also gut. Nachdenklich senkte er den Blick zu seinem Stab der an seiner Seite im Gras lag.   Riwenas Ohren richteten sich plötzlich auf und sie räusperte sich kurz. Straffte ihre Schultern und musterte Dreorwyn erneut, doch dieser hatte diese Reaktion kaum mitbekommen. »Jeden Tag wird man mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Einige bewältigt man besser, die anderen schlechter. Dennoch solltet Ihr nicht den Mut verlieren, stets das Beste zu wollen anzustreben. Man lernt sie auf, es ist nicht nur in der Magie so.«, murmelte er leise, und nickte dann sachte seinem Stab entgegen. Dann schüttelte er plötzlich seinen Kopf. Was war er für ein Narr, schon wieder schweifte er zu weit ab. 'Bleib im Hier und Jetzt!', schollt er sich selbst und hob seinen Blick wieder zu ihr. »Es ist gut zu hören, dass es Euch gut geht.«   Riwena nickte matt, schon wieder war da keine Emotion in ihrem Gesicht zu lesen. »Das tut es.«, sprach sie matt. Ihre Augen wirkten trüb, während sie Dreorwyn ansah. »Doch genug von mir. Wie erging es Euch in dieser langen Zeit?« Der Magier glaubte zu sehen, dass sie nicht sehr viel von sich preisgeben wollte. Oder nicht mehr, als sie schon getan hatte. Er behielt sie weiterhin im Auge, während er sie bedauernd ansah. »In den letzten Tagen ausgesprochen gut. Ich habe mich noch nie so frei gefühlt, dass ich den Tag für mich nutzen konnte.« Seine Gedanken waren woanders und womöglich konnte Riwena dies sehen. Er war nicht der Typ der viel über sich selbst sprach. Mal ganz davon abgesehen, dass er seinen weiteren Werdegang schlichtweg als normal bezeichnen könnte, verging kein Tag an dem er nicht an sie hatte denken müssen, auch wenn der Augenblick noch so kurz gewesen war.   Die Worgen ihm gegenüber beobachtete ihn genau. »Konntet Ihr Euch in der Magie weiterbilden?« »Das habe ich auch gemacht, während ich noch bei den Schwarzmähnen war.« Er schnaubte abfällig. »Ich habe das Studium fürs erste etwas zur Seite gelegt. Erworbenes Wissen muss schließlich auch gefestigt werden, bis es richtig sitzt.« Er grinste kurz, doch dann legte es sich doch schnell wieder. Seine Ohren zuckten aufmerksam und sein Blick lag neugierig auf ihr. Jetzt würde wohl der eigentliche Grund kommen, weshalb sie ihn hierher bestellt hatte.   »Dreorwyn, könnt Ihr Euch an den Schutzzauber erinnern, den Ihr mir einst auferlegt habt?«, fragte sie langsam und die Worte wirkten gut gewählt und zurechtgelegt. Der Magier fixierte Riwena mit einem nachdenklichen Blick. Er prüfte ihre Reaktion, doch dann nickte er langsam. Sie schien nichts davon zu erahnen, was er als nächstes sagen würde. »Gewiss, ich erinnere mich daran.«, begann er. »Und ich erinnere mich auch daran, ihn nie gebrochen zu haben.«   Das zu erfahren erstaunte Riwena anscheinend doch wirklich sehr, denn sie musterte ihn eingehend. »Ihr habt Ihn nie gebrochen?«, fragte sie nach, als hätte sie sich verhört. Langsam nickte Dreorwyn. Er wusste selbst nicht genau, weshalb er den Zauber nie gebrochen hatte, doch vergessen hatte er ihn gewiss nicht. Nicht mit den ganzen Gedanken, die er täglich an Riwena verschwendet hatte. Zumindest waren die Gedanken für ihn verschwendet gewesen. Doch zu seiner Überraschung schien Riwena über diese Neuigkeit nicht skeptisch oder argwöhnisch zu sein. Sie wirkte entspannt und auch irgendwie... zufrieden? Zumindest glaubte dies Dreorwyn so zu deuten, oder er deutete es falsch. Während Riwena weiter sprach, nickte er langsam. Er hatte gewusst, dass sie seine Hilfe benötigen würde. Deswegen hatte sie ihn zu sich bestellt.   *****   Der Magier blätterte weiter und las die nächsten Seiten. Wie lebhaft ihm dieses Ereignis in Erinnerung geblieben war. Es war bemerkenswert, da es sich ja eigentlich nur um ein Gespräch mit wenig Geschehen handelte. Doch, nein, er lag falsch. Es war einiges geschehen, zumindest in ihm. Dreorwyn lächelte leicht, während er weiter las. Damals hatte er es noch nicht gewusst. Seine Worte waren holprig geschrieben und schnell, ohne viele Gedanken. Es war beabsichtigt gewesen. Damals hatte er geglaubt, er hielte sich selbst zum Narren und wenn er mehr schrieb als notwendig war, würde es sich irgendwann rächen, würde er später noch einmal darüber lesen.   Doch Dreorwyn musste nicht lesen, was damals geschehen war. Es lag ihm noch sehr genau im Gedächtnis, fast so, als wäre es erst vor einer Woche geschehen und liegt nicht bereits mehr als ein Jahr zurück. Es war faszinierend, wie hartnäckig sich einige Gedanken doch im Gedächtnis eines Menschen festhielten, die ihn bewegt hatten.   ***** Kapitel 10: Die Reise zum Hyjal ------------------------------- *****   Der Magier wartete geduldig vor dem Weitblicktal im Steinkrallengebirge. Es war noch dunkel, doch schon bald würde sie gewiss aufgehen und die Schleier der Nacht vertreiben. Dreorwyn hatte lange nachgeforscht und den Ort von Macht erfüllt gründlich überprüft. Doch der Schrein inmitten des Hyjals hatte doch die größte Macht um die betreffenden Rituale auszuführen. Er sollte für Riwena einen Schutzzauber sprechen, doch ohne, dass die betreffende Person etwas mitbekommen würde. Dafür musste sie ein Gefäß besorgen, dies hatte ihm Zeit verschafft. Weshalb er ihr nun doch half, war ihm selbst noch nicht so ganz klar. Doch er vermutete, dass er die Zeiten, in denen er mit Abscheu und Feindseligkeit an sie denken musste hinter sich lassen wollte.   Er atmete die kühle Nachtluft ein, als sie den Weg hinunter zu ihm ging. Ihre Ohren zuckten etwas nervös, obgleich sie ihn sofort erkannte. Leicht neigte er seinen Kopf und sah ihr ruhig in ihre grasgrünen Augen. »Grüße Dreorwyn.« Bildete er sich dies ein, oder klang sie etwas fröhlicher als sonst? »Wie ich sehe, habt Ihr gut hierher gefunden.«   Der Magier winkte ab und ging das letzte Stück auf Riwena zu. »Natürlich. Doch müssen wir gleich weiter. Die Zeit drängt. Der Schattenhammer schläft selten.« Er legte seine Pranke auf Riwenas Schulter. Er sah ernst in die Augen der Anführerin. Er wirkte etwas angespannt, doch nicht mehr, allein nur wegen ihrer Anwesenheit. Ihm machten die Schattenkultisten Gedanken, die sich in einigen Bereichen des Hyjals niedergelassen hatten. Mit Glück würden sie keinen begegnen. Es war noch recht früh und normalerweise sollten sie noch schlafen. Dreorwyn drängte zur Eile und auch sie erwiderte seinen ernsten Blick. Wieder war er emotionslos und ungreifbar. Kurz schlich ein Lächeln über die Lefzen des Worgen. »Ihr müsst schon nach meinem Arm greifen und Euch festhalten, wenn Ihr mitkommen möchtet.« Sein Lächeln erstarb just in dem Augenblick, als die Worte seine Lippen verlassen hatten. Riwena griff unterdessen nach seiner Schulter und nickte langsam. Ihr Blick war konzentriert, ihre Ohren zuckten einige Male nervös. »Egal was geschieht, lasst nicht los. Es wird sich etwas unnormal anfühlen, aber Ihr dürft unter keinen Umständen loslassen.«   Die Anführerin nickte erneut und er musterte sie. Sie wirkte verkrampft. »Am besten schließt Ihr Eure Augen.«, murmelte er und glücklicherweise folgte Riwena seinen Anweisungen ohne sie zu hinterfragen. Es war schon erstaunlich, wie normal er wieder mit ihr umgehen konnte, nachdem er sich zu diesem Gespräch mit ihr hatte breit schlagen lassen. Vermutlich war er wirklich über sie hinweg. Ob so vielleicht eine Freundschaft entstehen konnte? Wollte er dies? Der Magier atmete tief ein und schüttelte die Gedanken die seine Sinne umkreisten ab und schloss ebenfalls seine Augen. Jetzt würde er sich darauf konzentrieren, Riwena sicher zum Hyjal zu bringen und wieder zurück. Schließlich brauchte die Gemeinschaft ihre Anführerin wieder in einem Stück und er hatte nicht vor sie ihnen zu nehmen. Seine Gedanken konzentrierten sich an einen ganz bestimmten Ort. Dem Hyjal. Die Passage an dem großen Baum, wo Wurzeln in den See geschlagen wurden. Er klopfte einmal sachte mit seinem Stab auf dem Waldboden. Dreorwyn musste seine Augen nicht öffnen um die Magie zu spüren, die ihn und Riwena umwirbelte. Er wusste, dass feiner Dunstnebel aus violetten Sternen die Beiden umgab. Sie bewegten sich von ihren Füßen und breiteten sich nach oben hin weiter aus, bis die beiden Gestalten gänzlich umschlossen wurden. Langsam legte sich die Magie über sie und begann ihre Materien, dort wo sie nun standen, aufzulösen. Sie verblassten in dem schwachen Dunst und würden auf der anderen Seite, die sich der Magier als Ziel ausgesucht hatte wieder erkennbar werden. Der Teleport kam ihm vor, als würde sein kompletter Körper taub werden und in eine Starre verfallen, ehe die Körper ordentlich durchgeschüttelt wurde und gefühlsmäßig, durch ein viel zu kleines Loch gequetscht, plötzlich wieder ihre vollständigen Sinne einschalteten, als wäre nie etwas gewesen.   Als Dreorwyn seine Augen wieder aufschlug, erkannte er den schimmernden See, in dem der graue Schleier des dämmernden Morgenhimmels wiedergespiegelt wurde. Aufmerksam drehten sich seine Ohren unter seiner Kapuze und er beobachtete seine Umgebung. So nahe am See hielt sich der Schattenhammer nicht auf, und er hoffte sie würden auch weiter entfernt davon nicht auf sie treffen. Riwena nahm nun auch ihren Arm von seiner Schulter, sah ihn noch für eine kurze Zeit an, ehe sie seinem Blick folgte. »Wenn Ihr Euch hier auskennt, wäre es mir recht, wenn Ihr den Weg vorgeben würdet.«, sprach sie leise in die morgendliche Stille des Waldes hinein.   »Gewiss ich kenne den Weg.«, sprach der Magier in seinen roten Roben. Wie er jetzt feststellte, nicht unbedingt die unauffälligste Art um sich fortzubewegen. Doch es würde für diese kurze Strecke ausreichen müssen. »Wir müssen zu einem Schrein, nahe dem des Goldrinn.« Riwena neigte ihren Kopf zur Seite, als Dreorwyn seinen Stab auf seinem Rücken befestigte. Er ging ein kurzes Stück und suchte den Weg, während sie ihm möglichst unauffällig folgte. Dreorwyn war es schon gar nicht mehr gewöhnt, dass jemand ihm folgte. Früher war es für ihn so selbstverständlich gewesen und nun schien ihn dies sogar etwas nervös zu machen. Schließlich fand der schwarzmähnige Worgen den Weg, streckte seine Schnauze in den Himmel und prüfte die Luft um sich herum. Sie roch frisch, kein Anzeichen von Schattenhammer in der Nähe. Vielleicht hatten sie wirklich Glück und sie würden ohne entdeckt zu werden durchkommen.   Dreorwyn ließ sich auf seine Pranken fallen, ein leises Knurren entfuhr tief aus seiner Kehle, während er sich an die Haltung gewöhnte. Er war schon lange nicht mehr in dieser Form gewandelt, doch in Anbetracht der Gefahren des Hyjals, war es die sicherere Variante zu Reisen. Riwena tat es ihm nach. Ihre Muskeln spielten unter ihrer viel zu weiten Rüstung und dem Fell. Er sah zu ihr zurück und beobachtete sie aufmerksam. Sie hatte viel zu stark abgenommen. Was genau vorgefallen war, hatte sie Dreorwyn nicht verraten, aber es hatte mit Magie zu tun. Dunkler Magie, so vermutete - oder eher hoffte er dies - und nun sollte er für sie und ihre Tochter einen Schutzzauber wirken.   Der Magier rannte los und sie folgte ihm auf den Fuß. Mit schnellen Schritten und einem zügigen Tempo jagten sie den Weg tiefer in die Wälder und das Gebirge des Hyjals hinauf. Riwena musste große Stücke auf ihn halten, wenn sie extra ihn gebeten hatte diesen Schutzzauber auszuführen. Er fühlte sich dadurch gewiss auch etwas geschmeichelt. Doch dies waren nicht die einzigen Gründe, weshalb er ihr half. Er mochte sie und Dreorwyn wollte nicht sehen, wie die Frau die er einst liebte, langsam immer weiter einen unsicheren Weg, geplagt von seelischen Qualen, beschritt. Der Magier wollte ihr helfen, ihr den Weg so erträglich wie möglich zu machen. Vielleicht könnte er sie ja so auch wieder dazu bringen zu essen, denn so wie sie aussah, hatte sie seit einer langen Zeit nichts ordentliches mehr zu sich genommen.   Der Pfad wurde immer dichter und verschlungener, bis er in einer offenen Lichtung endete. »Es ist nur noch ein Stück.«, rief er über die Schulter zu ihr, als ihm ein ungewöhnlicher Geruch in die Nase stieg. Der Magier stoppte abrupt und Riwena wäre fast in ihn hinein gekracht, hätte sie nicht die Richtung gewechselt und würde nun neben ihm stehen. Sie zog ihre Lefzen an um den Geruch besser in sich aufzunehmen, auch sie hatte es bemerkt. Dreorwyn's Blick verfinsterte sich, als er sie ein Stück wieder zurück in die Büsche und Bäume drängte. »Oger.«, raunte er leise und er sollte Recht behalten. Eine Karawane, bestehend aus zwei Ogern mit riesigen Knüppeln, zwei Trollen und drei Menschen bogen langsam aus dem Weg zu ihnen entlang.   Der Magier duckte sich und er spürte, dass es Riwena ihm gleich tat. Er schnüffelte prüfend die Luft, doch die Oger verpesteten die Luft förmlich mit ihrem widerwärtigen Gestank. Die Trolle zogen einen großen und voll bepackten Karren mit Fellen hinter sich her, während die Männer auf ihren Rücken ebenfalls unter der Felllast leise keuchten. Mit Wilderern hatte Dreorwyn gewiss nicht gerechnet, vor allem nicht mit Wilderern die in der Begleitung von Ogern reisten. Doch immerhin war es nicht der Schattenhammer. Riwena legte neben ihm die Ohren an und er sah sie ruhig an. »Wenn sie vorbei sind, laufen wir weiter.«, murmelte er leise mit gedämpfter Stimme. Im Schatten der Büsche und Bäume würde die Karawane nicht auf sie aufmerksam werden. Sie konnten warten.   Langsam begann der Himmel über ihnen eine morgendliche Färbung zu erhalten und blassblau über ihnen zu erstrahlen. Es war auch nicht mehr dunkel, dass man sagen könnte die Sicht wäre stark eingeschränkt. Im Gegenteil. Dreorwyn konnte den Weg, über den die Wilderer mit ihren Lasten zogen klar und deutlich sehen. Der Weg führte zu einem Bergpass, das wusste er, ohne, dass er um die Biegung blicken musste. Struana hatte ihm genaue Beschreibungen zukommen lassen, als sie sich dem Kampf gegen die Druiden der Flamme angeschlossen hatte. Aufmerksam beobachtete er die Karawane, wie sie aus seiner und Riwenas Sichtweit verschwand und darüber hinaus wartete er noch und hielt für mehrere Augenblicke inne. Dann nickte er der Worgen neben sich zu. »Weiter.«   Dreorwyn preschte aus dem Dickicht vor über die Lichtung, bis er den Weg wieder erreicht hatte. Noch immer konnte er nichts anderes riechen, außer den stinkenden Ogern, die zuvor die Karawane begleitet hatten. Riwena war dicht hinter ihm und nun, da der Weg frei war, konnten sie endlich in den schmalen Pass einbiegen. Die Klippe zu ihrer Seite war steil und wahnsinnig tief. Einen Sturz würde keiner von ihnen überleben. Als die beiden um die Ecke rannten, zog Dreorwyn die Luft scharf ein und seine Haltung verspannte sich, als er auf die beiden Ungetüme starrte, die ihnen entgegen kamen.   Riwena spannte sich ebenso an und knurrte. Die beiden Oger hatten sie ohnehin bereits entdeckt. Unvorsichtig waren die Beiden den Weg abgebogen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass die Karawane, die sie vorbeigelassen hatten, nicht die letzte hätte sein können. Knüppelschwingend rannten die beiden Oger auf Dreorwyn und Riwena zu. Die Worgen richtete sich auf und griff nach ihrem Bogen, den sie geschultert trug und zog einen Pfeil aus ihrem Köcher, doch die Oger waren bereits sehr nahe. Der Magier sah an ihr vorbei, die steile Klippe hinab. »Riwena!«, schrie er plötzlich, rannte auf sie zu und berührte sie an ihrem Arm. Eine leichte, magische Woge umschloss sie, die sie weder sehen, noch wahrnehmen konnte. Er hoffte, sie vertraute ihm. Ihr Leben ging davon ab. »Springt!«   Die Worgen war verwirrt zu ihm herumgewirbelt und war fast automatisch Schritte zur Klippe entlanggegangen. Ihre panischen Augen waren aufgerissen und sahen ihn mehr als nur zweifelnd an. Vertraut mir!, dachte sich Dreorwyn hektisch, während die Oger immer näher kamen. Riwena musste sich noch nicht einmal umdrehen, sie stand ohnehin schon viel zu nahe an der Klippe. Mit einem spitzen Schrei der von den Felswänden wiederhallte verließen ihre Füße den festen Boden und sie schwebte langsam wie eine Feder die Klippe hinab. Der Magier hechtete hinterher, wobei er seine Richtung unkontrolliert eingeschlagen hatte, um einem Hieb des massiven Knüppels zu entrinnen. Während er fiel, schloss er seine Augen und wirkte den Zauber ebenfalls auf sich. Er spürte, wie er im freien Fall langsamer wurde. Sein Herz klopfte gegen seine Brust, während Dreorwyn seine Augen wieder öffnete und versuchte Ausschau nach Riwena zu halten.   Doch anstatt ihre dürre Gestalt langsam zu Boden segeln zu sehen, sah er vor sich eine riesige Tanne. Verdammt! Der Magier versuchte sich so gut wie möglich zu schützen, doch er konnte einen Aufprall gegen das stahlharte Holz nicht verhindern. Sein Zauber bröckelte und er segelte durch die Äste des Nadelbaumes langsam hinunter. Gut, den Rest fiel er viel mehr, doch er versuchte immerhin seinen Aufprall mit dem Boden so sanft wie möglich zu machen. Kleinere Äste und piksende Nadeln verfingen sich in seiner Robe. Harz verklebte sein Fell und dann landete er mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Benommen schüttelte Dreorwyn seinen Kopf und rappelte sich langsam auf. Er sah die Äste, die verstreut um ihn herum auf dem Boden lagen. Er hatte ja einiges mitgerissen und den dumpfen Schmerzen nach zu urteilen, würden sich mehrere blaue Flecken bilden.   Dreorwyn ging einige unsichere Schritte um die Tanne herum und sah sich auf der Lichtung aufmerksam um. Seine Ohren zuckten nervös. »Riwena?!«, schrie er laut, doch er bekam keine Antwort. Sein Herz klopfte gegen seine Brust und er begann zu laufen. Wenn ihr etwas passiert war, würde er sich dies verzeihen können? Natürlich, er hatte ihr öfter als einmal den Tod gewünscht, doch diese Zeit lag schon länger zurück. Jetzt wollte er nicht, dass ihr etwas geschehen war, nicht wegen diesem 'Fall' aus gut hundert Schritten Höhe. Sie hat mir vertraut!, rief er sich ins Gedächtnis. Sie ist abgesprungen. Ihr darf nichts passiert sein. Dreorwyn schickte ein stummes Gebet zum Arkanum, während er sich auf der Lichtung vor dem Schrein von Goldrinn umsah.   Und da sah er sie. Sie wirkte wie erstarrt, während sich ein Hirsch unweit von ihr entfernt schüttelte. Dreorwyn eilte zu ihr und wischte sich mehrere Äste und Nadeln aus seiner Robe, ehe er keuchend vor ihr zum stehen kam. Er musterte sie rasch. Es schien noch alles dran zu sein. Eine immense Erleichterung machte sich in seiner Brust breit. Bis auf einen kleinen Schock schien es Riwena gut zu gehen und diesen konnte er ihr noch nicht einmal verübeln. Wenn man es nicht gewohnt war, konnte einem ein Fall aus einer sehr großen Höhe schon Angst machen. Er selbst hatte sich überwinden müssen diesen Zauber zu üben, bis er letztendlich von Dalaran in den Kristallsangwald gesegelt war. Und: es war für ihn ein unglaubliches Gefühl gewesen so lange dem Abgrund entgegen z usegeln.   »Was... war... das? Ich dachte... das wäre...«, Riwena stockte. Ihre Ohren lagen flach an ihrem Kopf und dadurch wirkten ihre Augen sogar noch ein Stück größer. »Was?«, fragte Dreorwyn und sah Riwena besorgt an. Vielleicht war der Schock doch zu groß? »ist alles in Ordnung, Riwena?« Doch anstatt zu antworten schüttelte sie heftig ihren Kopf, als wolle sie eine lästige Fliege vertreiben. Sie zitterte am ganzen Leib und Dreorwyn neigte seinen Kopf zur Seite. Er wischte sich einen nervigen, kleinen Ast aus der Robe. Vielleicht brauchte sie nur etwas Zeit. Doch am liebsten hätte er ihr gesagt, dass dies nur Magie sei. Doch er ließ es besser, immerhin wollte er nicht eine geklebt bekommen.   Riwena griff völlig perplex nach ihrem Trinkschlauch. Sie öffnete diesen bedenklich langsam und nahm dann einen kräftigen Schluck daraus. Dem Geruch der Flüssigkeit stieg dem Magier scharf und beißend in die Nase. Gut, Alkohol könnte auch helfen. Doch warum in Graumähnes Namen lief Riwena mit einem Trinkschlauch gefüllt mit Alkohol herum? Langsam verschloss sie den Schlauch wieder und hing ihn zurück an ihren Gürtel. »Es ist doch noch alles dran, oder tut Euch etwas weh?«, fragte Dreorwyn vorsichtig nach. Nervosität machte sich in seinem Herzen breit. Langsam schien Riwena ihre Stimme wieder zu finden. »Alles in Ordnung.«, sprach sie kaum hörbar, woraufhin sie sich räusperte und ihre Schultern straffte. Ihr erschrockener Gesichtsausdruck wich wieder der harten und emotionslosen Maske. »Können wir weiter?«   Dreorwyn nickte knapp und seufzte erleichtert. Riwena ging es gut, und schon jetzt war ihr Gesichtsausdruck wieder dieser steinharten Maske gewichen. Nachdenklich sah er zurück zu der steilen Felswand. »Das war schon ein langer Fall.«, murmelte er und legte seinen Kopf etwas zur Seite, während er die Klippe musterte. »Zum Glück hat der Schirm zu lange gehalten.« Riwena trat näher an Dreorwyn heran und kaum merklich zuckte sie bei seinen Worten zusammen. Ein gemeines Schmunzeln zeichnete sich auf Dreorwyns Lefzen ab. Anscheinend bröckelte ihre Maske bei seinen Worten etwas. Der Schock saß ihr noch tief in den Gelenken. Lange hatte er sich nicht mehr so diebisch über einen makaberen Scherz gefreut. »Ja, weiter.«, sprach er dann und drehte sich zur Seite. Doch nun ja, sehr viel weiter mussten sie noch nicht einmal. Durch den Segelflug waren sie - zumindest Riwena, er selbst war ja in einer übergroßen Tanne gelandet - dem eigentlichen Ort den er aufsuchen wollte bereits sehr nahe.   Er nickte zu der kleinen Insel, die von einem kleinen Teich umrandet war. Alte, moos- und efeubewachsene Säulen die teilweise zerstört und abgefallen waren umrandeten das Innere der kleinen Insel. »Dies ist der Ort, an dem das Ritual durchgeführt werden sollte.«, sprach er, wobei Riwena matt nickte. »Und im Wasser lauert nichts böses?«, fragte sie etwas skeptisch und näherte sich dem Rand des Wassers höchst skeptisch. Verwundert hob Dreorwyn seine Augenbrauen, doch er schüttelte schließlich seinen Kopf. »Außer ein paar Fischen, nein.«, schmunzelte er und watete durch den Teich, der nicht sehr tief war. Doch es ließ sich nicht verhindern, dass seine Robe nass wurde und sich mit dem Wasser vollsog. Als er auf der kleinen Insel ankam, sah er über die Schulter zu Riwena zurück. Dreorwyn betrachtete sie abwartend und geduldig. Sie würde ihm doch noch weiterhin vertrauen, oder? Er hoffte, dass er es mit der spontanen Flucht vor den Ogern nicht übertrieben hatte.   Riwena stand noch auf der anderen Seite des Teiches und inspizierte den Ort eingehend, ehe sie vorsichtig durch das Wasser watete und neben ihm auf die Insel trat. Erleichtert betrat Dreorwyn gemeinsam mit ihr das uralte Gestein, das vor tausenden von Jahren hier erbaut worden war und zog die beiden Ketten, die Riwena ihm als Behältnis gegeben hatte aus seiner Tasche. Eine mit einem dunklen Kristall, die andere mit einem hölzernen Mond. Er legte die beiden Utensilien auf das steinerne Tischchen, das sich über den Lauf der Zeit erstaunlich gut gehalten hatte. Lediglich Moos hatte sich angesammelt, doch dieser würde ihn bei der Durchführung des Zaubers nicht weiter stören. Langsam umrundete er den kleinen Tisch etwas. Der Zauber den er wirken würde, das Ritual um magischen Schutz in diese beiden Ketten zu binden und eine Linie der Verbindung zwischen ihnen zu ziehen nahm seine Gedanken nun völlig ein. Eine sauberer Zauber erforderte ein hohes Maß an Konzentration. Dreorwyn nickte sich selbst zu. »Das ist gut. Kommt hierher, Riwena.«, sprach er und sah hob seinen Kopf schließlich zu ihr.   Die Worgen zuckte skeptisch mit ihren Ohren. Dreorwyn wusste, dass sie so magisch war wie ein Stein, vermutlich fragte sie sich, wie sie ihm dabei von Nutzen sein konnte. »Die Gegenstände mit Macht zu erfüllen und einen Speicher zu schaffen ist der langwierigste Teil. Wenn Ihr bereit seid mir etwas zur Hand zu gehen, dann legt eine Pranke auf den Tisch.«, er deutete auf das runde Tischchen auf dem die beiden Ketten ausgebreitet lagen. »Und stellt Euch darauf ein, dass Ihr Euch danach etwas...«, er neigte seinen Kopf leicht zur Seite. »... schlapp fühlen werdet. Jede Form der Energie kann verwendet werden und ich werde davon eine Menge brauchen. Und da Ihr ein Stück selbst tragen werdet, kann Eure Kraft ebenso in den Zauber mit einfließen und ihn langlebiger machen.« Riwenas Blick fiel auf den steinernen Tisch, während sie die zwei Ketten genauer betrachtete. Dann sah sie wieder zu Dreorwyn auf. In ihrem Blick lag eine tiefe Entschlossenheit, während sie nickte und ihre Pranke auf das Pult sinken ließ.   Der Magier bereitete sich innerlich auf die Zauber und das Ritual vor, welches er durchführen würde. Der Ort verlieh ihm eine gewisse Ruhe die er brauchte um die magischen Präsenzen um sich herum zu sammeln. Gerade der Hyjal, der über einem Teich mit der Essenz des Brunnens der Ewigkeit erbaut worden war, hatte eine Menge von freier, fließender Magie, die er nutzen konnte. Plötzlich veränderte sich die Luft um die beiden herum, als sie sich mit einer mystischen Präsenz füllte. Dreorwyn hatte begonnen einige lautlose Wörter vor sich hin zu murmeln, doch nur Luft verließ lediglich seine Lippen. Die Ansammlung der magischen Präsenzen würden für jeden auf der kleinen Insel deutlich spürbar sein. Ihm war deutlich bewusst, dass auch Riwena diese Magie spüren konnte. Er bemerkte, wie sich Riwena kurz anspannte, doch dann sogleich wieder entspannte und konzentriert ihre Augen schloss.   Auch Dreorwyn schloss seine Augen für einige Momente. Die Luft fühlte sich gestickt von der Magie an, erdrückend lastete sie nahezu auf ihn und wohl auch auf ihr. Doch nicht nur auf ihnen. Kleintiere huschten durch das seichte Wasser und verließen die Insel aufgrund der Ansammlung der erdrückenden Magie, die auf der Insel herumwirbelte. Eine Fliege wurde einfach gnadenlos gegen den Boden gedrückt, wo sie sich nicht mehr rührte. Der Magier öffnete wieder seine Augen. Ein blauer Nebeldunst lag über ihnen, wodurch seine Augenfarbe nahezu violett erschien. Dreorwyn löste seinen Stab von seinem Rücken und klopfte damit auf den Boden. Die schwere Magie begann zu wirbeln, sich aufzuteilen und zu spalten. Sie mehren noch weiter die Luft, bis man glauben könnte, man bekäme keine Luft mehr. Riwena könnte bemerken, wie sie sich allmählich immer schwächer fühlte. Dreorwyn versuchte nicht zu sehr auf ihre Reserven zurückzugreifen, doch es ließ sich nicht vermeiden. In aller erster Linie musste sie sich weiterhin konzentrieren, auch wenn es ihr gewiss schwer fallen würde. Die Magie um die Beiden herum manifestierte sich nun langsam und blaue und lilafarbene Schleier aus Dunst und strahlenden Linien und Runenzeichen leuchteten in der Luft um sie beiden und den Tisch herum auf.   Riwena fiel es sichtlich schwerer, ihre Pranke auf dem Tisch zu halten, oder sich gar auf den Beinen. Dennoch rührte sie sich nicht. Blinzelnd öffnete sie ihre Augen und starrte in die seinen, die nun von Magie erfüllt violett schimmerten. Dreorwyn erkannte, dass sie an diesem Energieverlust zu knabbern hatte, ihre Augen wirkten trüb und matt. Er wusste, dass er sich nun etwas sputen musste. »Ek kaz morgil'na Nasijante.«, verließen uralte Worte seinen Mund, dessen Bedeutung er selbst nicht kannte, sondern nur erahnen konnte. Mit seiner freien Pranke berührte er die beiden Gegenstände, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Die Magie vibrierte und der Strom veränderte sich. Es wirkte, als würde sämtliche Magie, die noch drückend auf ihren Schultern lastete in die beiden Anhänger hinein fließen. Je mehr Magie sich in der Luft verflüchtigte, desto freier und unbeschwerter konnte man wieder atmen, oder sich bewegen. Aus Dreorwyns Augen wich der Magieschleier, als sich scheinbar selbst dieser verflüchtigte und in die Anhänger hineinfloss. Noch immer starrte er konzentriert auf die Gegenstände vor ihm, die nun beide zu pulsieren begannen, als würde die Magie sich nicht einsperren lassen wollen. Weitere, unverständliche Worte verließen seinen Mund. Ein letztes Mal pulsierten die Ketten sehr stark, sodass Dreorwyn seine Pranke zurückzog, die noch immer auf ihnen geruht hatte, dann gaben sie Ruhe.   Die Ketten sahen an sich unverändert aus, dennoch konnte man etwas an den Ketten spüren. Da die Magie noch frisch war, konnte man deutlich spüren, dass mit ihnen etwas geschehen war. Was genau allerdings, würde sich nicht so einfach zurückverfolgen lassen. Dies war ebenso Bestandteil des Schutzes, den die Ketten ihren Trägern geben sollten. Dreorwyn verharrte auf der Stelle, während Riwenas Blick stetig zwischen ihm und den Ketten wechselte, ehe sie tief ein und wieder aus atmete und sich wieder zu ihrer vollen Größe aufrichtete. Ihm war noch nicht einmal aufgefallen, dass sie eingesunken war. Der Zauber hatte wohl doch mehr an ihren Kräften gezerrt, als er vermutet hatte.   Doch auch Dreorwyn musste sich nun mit beiden Pranken an seinen Stab klammern und sich daran abstützen. Unwirsch schüttelte er seinen Kopf. Er hatte sich zu sehr auf den Schutz und die Magie konzentriert und dabei außer Acht gelassen, dass ihn selbst die Kräfte verlassen hatten. Er kam sich vor wie ein Narr. Natürlich hatte sich Riwena wieder aufgerichtet, doch er selbst fühlte sich kaum in der Lage dazu. Mühselig versuchte er seine Haltung zu wahren. Seine Gedanken lagen bereits auf dem Rückweg. Einen Teleport würde er nicht mehr zustande bekommen, dafür war seine Magie zu erschöpft. Der Magier hätte etwas achtsamer mit seiner Kraft umgehen sollten, dann könnte er jetzt immerhin stehen, ohne sich auf seinen dämlichen Stab stützen zu müssen. Bestimmt sah er albern aus.   »Die Dinge...«, Dreorwyn musste kurz nach Atem ringen. Er blinzelte heftig und räusperte sich, ehe er erneut ansetzte. »Die Gegenstände sind nun mit Macht erfüllt. Nehmt nun zunächst die Kette, die Ihr tragen werdet, Riwena.« Er nickte ihr schwach zu. Weshalb hatte er sich so entleert? Hatte er denn nicht etwas besser aufpassen können? Fast schon wütend über sich selbst zuckte er mit seinen Ohren, während die Worgen ihn musterte. Auch er sah sie an, doch etwas merkwürdiges, war in ihrem Gesichtsausdruck zu lesen. Er war weich. Wann hatte er zuletzt weiche Gesichtszüge bei ihr gesehen? In der letzten Woche bestimmt nicht. Langsam streckte sie ihre Pranke nach der Kette mit dem schwarzen Kristall aus, kurz hielt sie inne, nur um sie dann entschlossener wieder zu der Kette zu führen. Sie nahm die Kette und band sie sich an ihren Gürtel. Skeptisch beobachtete sie diese, als würde sie sich fremd oder belebt anfühlen. Dreorwyn wusste, dass dieser Zustand binnen einigen Tagen verschwinden würde. Langsam ging er wieder etwas näher zu dem Tisch und musste sich nun mit einer Pranke darauf abstützen. Zum Glück war der kleine Tisch massiv und mit dem steinernen Boden verbunden. Ansonsten wäre er vermutlich aufgrund des Gewichtes, welches er auf einer Seite lastete umgekippt. »Das Herzstück und das Blut, verbunden durch gemeinsame Bande werden sich helfen in großer Not und lassen es sich wissen.«, murmelte er matt.   Die Kette um Riwenas Gürtel leuchtete gleißend blau auf, ehe es nach einem Wimpernschlag schon wieder verebbte. Kurz darauf funkelte die Kette mit dem hölzernen Mond, die noch auf dem Tisch lag, rot auf. Auch dieses Licht verschwand binnen einen Sekundenbruchteil und lag wieder reglos da, wie eine völlig normale Kette. »Der Zauber ist vollendet.«, sprach Dreorwyn matt und atmete tief durch. Er fühlte sich so leer wie schon lange nicht mehr, und das, obwohl er seiner Meinung nach die Magie schon sehr gut beherrschte. »Die Gegenstände sind jetzt miteinander verbunden.«   Er merkte wie Riwena unter seinen Arm griff und ihn von dem Tisch wegführte. Schließlich drückte sie ihn auf den Boden. Unter ihm war glücklicherweise ein breiter Stein auf den er sich setzen konnte. Sein Blick war verdutzt, doch schließlich ließ er es bereitwillig über sich ergehen. Er atmete durch. »Ihr tragt das Herzstück. Eure Tochter wird das Blutstück zum tragen erhalten.« Mit einem matten Kopfnicken deutete er auf die zurückgebliebene Kette auf dem kleinen Tischchen. »Wenn dem Träger des Blutstückes etwas zustößt, wird es das Herzstück wissen. Der Schutzzauber kann viel aufhalten, doch kann er mit großer Magie zerbrechen.« Aus den Augenwinkeln beobachtete Dreorwyn Riwena, die sich wieder dem Tisch zugewandt hatte und vorsichtig nach der zweiten Kette griff. Sie öffnete ihre Hosentasche und ließ sie behutsam darin verschwinden.   Dreorwyn drehte seinen Stab zwischen den Pranken. Er fühlte sich so erbärmlich, kaum fähig zu stehen, geschweige denn zu gehen. Aber sie mussten wieder zurück. Hier konnten sie nicht sehr lange bleiben. Sein Blick wanderte zum Himmel hinauf. Die Sonne war aufgegangen und schon bald würde der Wald belebter sein. Schlimmstenfalls mit dem Schattenhammer. Kurz schloss der Magier seine Augen, ehe er sie wieder öffnete. »Mir geht es gut.«, schwach grinste er. »Ich fühle mich nur etwas... ausgelaugt.«   »Seid Ihr Euch sicher?«, fragte die Worgen und drehte sich wieder Dreorwyn zu. Sie zog beide Brauen zusammen und musterte ihn abschätzend. Der Magier grinste immer noch schwach zu ihr hinauf, was vermutlich auf die ein oder andere Weise etwas dümmlich wirken könnte, doch er nickte. »Gewiss. Ich kann gehen. Ich werde nicht über meine eigenen Füße fallen.« Wenn er die Zuversicht in seinen Worten doch nur auch selbst teilen könnte. Er verkniff es sich zu seufzen. Er würde sich anstrengen müssen, doch es sollte ihm klappen, wenn er sich konzentrierte.   Riwena sah ihn für mehrere Augenblicke lange an. Es kam Dreorwyn wie endlose Stunden vor, ehe sie ihren Mund öffnete. »Habt vielen Dank.« Langsam nickte sie ihm zu. Mit glasigen Augen sah Dreorwyn nach oben zu ihr und musterte sie. Er hatte sich viel zu sehr angestrengt, doch er bereute es nicht. Kein Stück. Wieso war er nur bereit alles für sie zu opfern? »Gern Riwena.«, antwortete er und erwiderte merkwürdig sanft ihren Blick, ehe er ihn abwandte und seinen Stab musterte. Mühselig stemmte er sich darauf wieder auf die Beine. Zum Glück war es 'nur' Riwena die ihn in diesem Zustand sehen konnte und er versuchte vergeblich seine Gedanken zu sortieren, die wirr um ihn herum kreisten. »Wer ist der Vater?«, fragte er so plötzlich, dass er selbst überrascht war.   Er merkte Riwenas Unsicherheit, während sie ihn ansah. Anscheinend hielt sie es für das Beste zu schweigen, denn sie antwortete ihm nicht, während er einige unsichere Schritte ging und die Luft tief durch seine Nüstern einatmete. Warum hatte er diese Frage eigentlich gestellt? Er konnte sich doch schließlich denken, dass Grantar der Vater war. Weshalb fragte er also nach dem 'wer'? Anstatt sie anzusehen, blickte er auf den Boden vor sich. »Nun, es geht mich nichts an, eh?« Er grinste schwach, während er seinen Stab musterte und der Blick dann wieder zum Weg abschweifte. Immerhin schaffte es Dreorwyn endlich seine Gedanken zu ordnen und auch seine Gefühle. Er schluckte sie hinunter. Was einmal gewesen war, würde ohnehin nie wieder so werden, wie einst. Er sollte sich damit abfinden. Immerhin sprachen sie wieder miteinander, nicht?   »Legt mir keine Worte in den Mund, die ich nicht gesagt habe.«, sprach Riwena hinter ihm. Diese Worte erstaunten ihn etwas und er sah ihr nun doch in die Augen. Sein Blick wirkte müde, dennoch war er es selbst nicht. Es zeugte lediglich von den Anstrengungen durch den enormen Energieverbrauch. »Es war eine Vermutung, was Ihr sagen könntet.«, schmunzelte er leise.   Riwena sah ihm direkt in die Augen. Ihr Blick wirkte schleierhaft, während sie erwiderte: »Es war die falsche Vermutung.« Der Magier neigte seinen Kopf leicht zur Seite, doch ehe er darauf hätte etwas sagen können, sprach sie weiter. »Könnt Ihr ein Stück des Weges schaffen?« Unschlüssig über den Wechsel in ihrer Stimme und des Themas nickte er langsam. »Gewiss, vorausgesetzt, wir laufen nicht die ganze Strecke zurück.«   Die Worgen schüttelte ihren Kopf leicht. »Wir gehen das Tempo, welches Ihr vorlegt.« Dreorwyn nickte und sie verließen die Insel und die Senke mit Goldrinns Schrein. Während sie den Anstieg und den Weg hinter sich brachten unterhielten sie sich über vielerlei Dinge. Unter anderem darüber, dass es im Hyjal, dafür dass es ein Wald war, viel zu wenig Bäume gab. Belanglosigkeiten, an denen sich Dreorwyn merkwürdig aufheitern konnte. Er konnte immer besser einen Fuß vor den anderen setzen, auch wenn er mit jedem Schritt hoffte nicht über eine Wurzel oder einen Stein zu stolpern und der Länge nach auf der Schnauze zu landen. Die passierten vorsichtig den Pfad hinauf zu dem schmalen Bergpass, gingen diesmal achtsamer und vorsichtiger voran und schlüpften wieder in das Dickicht, aus welchem sie gekommen waren. Schließlich fragte Riwena noch einige Dinge über den Zauber der Gegenstände, die Dreorwyn gefertigt hatte. Wie sich der Schutzzauber auslöste und wie die beiden Ketten miteinander kommunizieren konnten. Der Zauber würde vorerst zwei Jahre andauern, was eine ziemlich lange Zeitspanne war, wenn man bedachte, dass die Gegenstände keinen eigenständigen Manaspeicher vorzuweisen hatten. Doch es war möglich diese zu erneuern. Riwena hatte nachgefragt, ob dies nicht zu anstrengend sein würde.   Dreorwyn lachte leise. »Nicht anstrengender als jetzt auch.« Ein beherztes Schmunzeln legte sich über seine Lefzen, während sie weiter den Weg entlang wanderten. Er konnte die stämmigen Wurzeln und den See bereits sehen. »Außerdem weiß ich in zwei Jahren ohnehin nicht mehr, wie schwach ich mich jetzt fühle.«   Riwena schüttelte unwirsch ihren Kopf. »Ich hoffe, das ich nicht mehr in Verlegenheit kommen werde, Euch darum zu bitten. Nach all dem, was passiert ist.«   Dreorwyn seufzte leise, doch langgezogen. Es könnte auch gut ein langes keuchen sein, so schlapp wie er sich fühlte und wie langsam er auch ging. »Wie heißt es so schön? Man trifft sich immer zwei Mal im Leben.« Er lächelte sanft. Mittlerweile nahm er Riwenas Gesellschaft relativ gelassen. Ja, er genoss sie sogar. Es tat ihm gut, mal wieder unter wirklichen 'Freunden' zu sein. Nicht nur Geschäftspartnern oder Arbeitsgesellen in Dalaran. Jemanden, mit dem er etwas teilte, oder etwas geteilt hatte. Machte es einen so großen Unterschied? Vermutlich wirkte er mehr als gelassen, auch wenn er mehr vor sich hin schlurfte, als dass er wirklich ging. Das einzige, das ihm wirkliche Sorgen bereitete, war die Frage, wann er stolpern und sich der Länge nach auf den Weg legen würde. Oder vielleicht war weiter hinten der Gedanke an Sturmwind auch einer der Gründe, weshalb er so gelassen und beflügelt wirkte. Wer wusste das schon?   Gemeinsam erreichten sie nach einem langem Fußmarsch endlich den Außenposten im Hyjalgipfel. Dreorwyn seufzte erleichtert, als er das Gebäude vor sich aufragen sah, vor dem zwei Portale von einigen Nachtelfen offen gehalten wurde. Eines, welches nach Orgrimmar führte, und ein anderes, welches den Weg nach Sturmwind erleichterte. Vor dem Gebäude drehte sich Riwena zu Dreorwyn um. »Wollt Ihr mich etwa wieder ins Gebirge begleiten?«, fragte sie verwundert und zuckte mit ihren Ohren.   »Hm?« Dreorwyn sah auf sie hinab und musterte sie für einige Augenblicke. Er hatte sie bei ihrem letzten Treffen, als sie ihm die Behältnisse für den Zauber überreicht hatte und sie die Details besprochen hatten zurück in das Weitblicktal begleitet. Damals hatte er sie begleitet, da sich ihre Wege wieder kreuzen würden. Sein Mund wurde auf einmal trocken und sein Herz ein kleines bisschen schwer. Doch nur ein bisschen. Denn nun schien es so, als wäre ihr kleines Abenteuer vorbei und sie hatten keinen Grund sich wieder zu sehen. Dreorwyn schüttelte seinen Kopf. »Nein Riwena, unsere Wege werden sich wohl in Sturmwind trennen.«   Der Glanz in Riwenas Augen verschwand und sie wirkten wieder matt. Wann war er dort hin gewandert? War es, während sie über den Wald und belanglose Dinge Azeroths gesprochen hatten? Dinge die sie bewegten, oder auch langweilten? Dreorwyn neigte seinen Kopf etwas zu ihr hinab. »Eure Welt braucht Eure Aufmerksamkeit als Anführerin. Ich hätte bereits Probleme geradeaus zu laufen. Oder jetzt... überhaupt noch weiter zu laufen.«, er grinste ihr schwach entgegen, ehe er seinen Kopf wieder hob. Riwena zog ihre Augenbrauen zusammen, als hätte sie ihn nicht so recht verstanden, oder versuchte seinen Worten zu folgen. Doch der Magier nickte zu den Portalen. »Nun, wollen wir?«, fragte er und sein Blick ruhte abwartend auf Riwena.   Sie nickte. »Ja.«, sagte sie knapp, leise und emotionslos. Ihre Maske wirkte wieder starr, während sie an ihm vorbeiging zu dem Portal, welches nach Sturmwind führte. Dreorwyn atmete die Luft um sich herum tief ein und wieder aus, während er ihr hinterher blickte. Wie gerne wünschte er sich, sie würden wieder eine Welt miteinander teilen... So plötzlich der Gedanke gekommen war, so schnell vertrieb er ihn auch wieder. Es konnte nicht, es durfte nicht wieder so sein. Er würde sie wieder verletzten und nichts mehr wollte er vermeiden. Außerdem war Riwena mit Grantar liiert. Dreorwyn atmete ein letztes Mal die Luft des Hyjals in sich ein, ehe er ihr durch das Portal folgte, dessen Magie ihn verschlang und wieder zurück in die Östlichen Königreiche führte.   Sobald er auf der anderen Seite des Portales einen Fuß gefasst hatte, fand er sich in dem breiten Gang im Magierturm wieder. Er veränderte seine Form, so wie es Riwena vor ihm getan hatte, sodass er schließlich als Mensch mit einer weiten Robe die Wendeltreppe hinabstieg. Schweigend ging sie neben ihm her. Dreorwyn genoss die morgendliche Sonne, die auf ihn hinabschien. Das sanfte 'Tok', welches der Stab bei jedem seiner Schritte machte, während er ihn absetzte, begleitete sie dabei. Irgendwie genoss er die Stille. Es war in seinen Augen keine unangenehme Stille, oder ein Schweigen, vor dem man sich fürchten müsste. Es war im Gegenteil ziemlich angenehm. Es war nicht so, als hätten sich die Beiden nichts mehr zu sagen, es war vielmehr, dass sie alles gesagt hatten und nichts mehr offen war. Auch war es nicht die Stille die man vor einem Abschied hegte, eher wie vor einem Augenblick, an dem man in das Unbekannte ziehen würde und doch bereue man seine Schritte nicht.   Dreorwyn begleitete sie noch bis zum Hafen, wo die Sonne die Beiden nahezu blendete. Riwena sah ihn schuldig an, während sie sich zu ihm gedreht hatte. »Ihr hättet es nicht tun müssen, dennoch habt Ihr es getan.« Eine stumme Frage schien in ihren Augen zu liegen, doch Dreorwyn wusste keine Antwort darauf. Stattdessen sprach er: »Die Zeiten in denen ich Groll hegte liegen lange zurück, Riwena. Ich habe Euch gerne geholfen. Es ist nicht der Rede wert.«   Vermutlich erkannte Riwena die Lüge hinter seinen Worten. Sie stand ihm vermutlich förmlich ins Gesicht geschrieben. Er konnte nicht mogeln, noch nicht einmal, wenn es gut gemeint wäre. Ihr Blick ruht für einen Augenblick auf ihm, dann trat sie einen Schritt auf ihn zu. Sie hob ihre Hand um seine Kapuze etwas zur Seite zu schieben. Dreorwyn ließ es zu, harrte aus und wartete ab. Er fühlte sich etwas erstarrt aufgrund der plötzlichen Handlung von Riwena, doch er verspürte nicht den Drang zurückzuweichen. Nicht wie noch vor einer Woche an der Dunkelküste. Sie beugte sich vor und gab ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Es wirkte nicht verführerisch, sondern lediglich als eine Geste, die von tiefer Freundschaft zeugte.   Das Überraschen stand dem Magier förmlich ins Gesicht geschrieben und für einen kurzen Augenblick kamen stillgelegte Gefühle und Gedanken in ihm hinauf. Er genoss ihre Geste, ihr Verhalten ihm gegenüber. Doch nicht nur das- Dreorwyn räusperte sich auffällig und legte eine Hand auf Riwenas Schulter, als sie schon von ihm zurückwich. »Nun, ich wünsche Euch sichere Pfade.« Nun... Weshalb denn das 'Nun'? Fahr doch zum Nether Sarandar, das hatte sich jetzt wirklich bescheuert angehört.   Riwena nickte leicht lächelnd. »Sichere Pfade.«, sprach sie leise, dann wandte sie sich von ihm ab und schritt erhaben den Weg zum Hafen hinab. Sie drehte sich nicht mehr zu ihm um, noch sah sie über die Schulter zu ihm zurück. Er blieb zurück und sie ging ihren Weg, wie er es ihr im Hyjal prophezeit hatte. Dreorwyn sah Riwena nach, während ihre Gestalt im Steg immer kleiner wurde und er sie schließlich zwischen den vielen Leuten, die sich dort tummelten, verschwand. Dann drehte er sich um und schlug den Weg zurück ins Magierviertel ein. Bei Graumähne... war er erledigt.   ***** Kapitel 11: Aufbruch zum Steinkrallengebirge -------------------------------------------- *****   Der Magier in seiner Kammer ruhte völlig entspannt in der kreisrunden Kammer mit den drei großen, gebogenen Regalen, während er an dieses Abenteuer zurückdachte. Nether, war er erledigt gewesen. Er glaubte für fast eine Woche nicht gezaubert zu haben bis er wieder ein normales Level seiner Kräfte erreicht hatte. Wie unerfahren er damals doch gewesen war. Und wie starrköpfig er sich nicht eingestehen wollte, die Gefühle wieder zuzulassen.   Damals war es vermutlich das richtige gewesen. Wer hätte geahnt, dass nach diesem Abenteuer noch viele Treffen mit Riwena gefolgt hätten? Zunächst hatten sie sich in Sturmwind getroffen. Anschließend hatte sie ihn in das Steinkrallengebirge, in das Weitblicktal eingeladen, wo er sie öfters besucht hatte. Immer dann, wenn er Zeit gefunden hatte, war er dort gewesen, hatte die Zeit mit ihr und der Gemeinschaft genossen. Selbst, wenn er dieser zunächst skeptisch gegenübergestanden hatte.   Dreorwyn seufzte leise, während er die Augen schloss und das Buch zuklappte. Er hatte irgendwann in dem Laufe der Zeit nicht mehr darin geschrieben. Vielleicht aus Angst, er könnte seinen Gefühlen doch nachgeben? Er hatte so lange gegen sie angekämpft. Er hatte sogar versucht sie nicht wieder aufzusuchen, doch immer wieder hatten ihn seine Gedanken und seine Schritte ihn zu ihr geführt. Nicht zuletzt war es der Schutzzauber gewesen, den er vor vielen Jahren über sie gesprochen hatte, der sie wieder zusammengeführt hatte.   Der Magier erinnerte sich noch genau daran. In Dalaran war es bereits dunkel gewesen, als das Band zwischen ihnen beiden aktiv wurde. Er hatte die starke Panik gespürt, die Riwenas Herz ergriff. Sofort hatte er gewusst, wo sie sich aufhielt und auch, wenn es ihm vor gerade diesem Ort mehr als graute, war er über seinen Schatten gesprungen. Dreorwyn hatte alles stehen und liegen gelassen, war wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen, hatte seine Sachen gepackt und hatte sich nach Sturmwind teleportiert um den Ort aufzusuchen, an dem er sie finden würde. Und er hasste diesen Ort. Freiwillig würde er diesen nie wieder aufsuchen. Doch für Riwena, würde er alles in Kauf nehmen.   *****   Der Magier wirkte gehetzt, als er vom Greifen glitt, der ihn von dem Greifenmeister abgenommen wurde. Mit eiligen Schritten folgte er dem Weg in das kleine Dorf hinab, von dem er ausgegangen war, er würde es nie wieder betreten. Die Uhr des Bürgerbüros läutete drei Mal ihren Klang und hinterließ bei Dreorwyn eine Gänsehaut, während er der magischen Spur folgte, die noch so frisch in ihm schwang, als würde das panische Gefühl von Riwena noch immer andauern. Dunkelhain... Wie groß doch seine Abneigung vor diesem Ort war, doch noch größer war seine Abscheu vor diesem Ort in dem das Dorf stand. Im Dämmerwald.   Die natürlichen Geräusche der Nacht wirkten viel lauter auf ihn ein, als sie normalerweise sein sollten. Schnell überquerte er den Platz und erkannte die Taverne. Die Schwarzmähnen waren nicht mehr hier, ansonsten hätte er bereits einen von ihnen gesehen. Was mit ihnen wohl geschehen war? Kurz vor der Eingangstüre zum Roten Raben zwängte sich ein großer Worgen durch den beengten Gang und stampfte nach draußen. Sein goldener Blick fiel musternd auf Dreorwyn, der lediglich eine Augenbraue hob. Doch der Worgen sah ihn weiterhin durchdringend und schweigend an. Ein unangenehmes Gefühl, breitete sich in der Brust des Magiers aus, während er dem Blick stand hielt, ehe er an ihm vorbei zum Eingang der Taverne ging. Er hatte keine Zeit sich mit so etwas auseinander zu setzen.   Seine Schritte lenkten ihn weiter in der Innere der Taverne. Es war noch ruhig, was ungewöhnlich war. Der Magier kannte die Taverne belebt mit vielen Gilneern. Er hatte sie selbst gekannt. Doch nun schien sie sogar nahezu verlassen zu sein, bis auf eine Schankmaid, die hinter dem Tresen stand und gelangweilt einige Gläser putzte. Merkwürdigerweise schien sie keine Notiz von ihm zu nehmen, also schlich er sich in die Seite zu den Treppen, die in die oberen Stockwerke führten. Mit klopfendem Herzen stieg er die Treppe hinauf. Wie gut, dass er sich hier auskannte. Auch wenn er nicht sehr lange mit den Schwarzmähnen hier gelebt hatte, hatte es ausgereicht, um sich die gängigsten Räumlichkeiten einzuprägen.   Als er im oberen Stockwerk war, sah er sich vor den geschlossenen Türen um und schloss wieder seine Augen. Er konzentrierte sich auf das Band, welches er vor Jahren mit Riwena verflochten hatte und wieder spürte er ein unangenehmes Kribbeln, was sein Herz wieder schneller schlagen ließ. Nicht vor Erwartung, sondern aus Furcht. Dreorwyn bestimmte die Richtung und klopfte an die Türe die darin endete. Doch sie öffnete sich bereits bei der ersten Berührung einen Spalt breit wie von selbst. Der Mann atmete durch, versuchte sein Herz zu beruhigen und unter Kontrolle zu bekommen, ehe er die Türe gänzlich aufschob und in den Raum eintrat. Der Anblick, der sich ihm bot, ängstigte ihn, ebenso wie er ihn erschütterte.   Riwena lag in ihrer Worgenform auf der Seite mit dem Rücken zu ihm. Lediglich die dünnen Träger, welche in den Stoff grenzten, der über ihrer Brust liegen musste, bedeckte ihren Oberkörper. Das Laken auf welchem sie in dem Bett lag, war voll geblutet, aus einer Wunde, die leicht von ihrer Seite hinabfloss. »Bei Graumähne...«, stieß er aus und verkürzte den Abstand zwischen sich und dem Bett mit zwei schnellen Schritten. »Riwena? Hört Ihr mich?« Besorgt beugte sich Dreorwyn über das Bett um Riwena an der Schulter zu berühren. Vermutlich wollte er sich nur selbst überzeugen, dass sie noch lebte, doch dann sah er auch, wie sich ihre Brust langsam hob und wieder senkte. Die Wunde an ihrer Seite war vernäht worden, doch sie blutete noch nach.   Riwena's Leib zuckte kaum merklich zusammen, ehe sie ihren Kopf drehte und zu Dreorwyn nach oben blickte. Sie blinzelte verschlafen, ehe sie sich dann aufrichtete. »Ehre Graumähne.«, sprach sie matt. Der Magier seufzte innerlich erleichtert auf, ehe er sich an den Rand des Bettes sinken ließ. Vermutlich hätte er länger auch nicht stehen können. Er sah bestimmt gestresst aus. »Ihr seht schlecht aus.«, murmelte er und schüttelte leicht seinen Kopf um die beängstigenden Gedanken zu vertreiben. Warum hegte er sie überhaupt? Weshalb hatte er solche Sorge um Riwena? Warum hatte er geglaubt, sein Herz würde zerspringen, wenn sie gestorben wäre? Er schob die Gedanken bei Seite.   »Was für ein Kompliment.«, nuschelte Riwena und rappelte sich weiter auf, bis sie eine sichere Sitzposition erreicht hatte. Ihre Ohren zuckten angestrengt, während ihre grasgrünen Augen trüb und müde wirkten. »Ein besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein.« Verlegen neigte Dreorwyn seinen Kopf zur Seite und sah erst jetzt, dass ihre Pranke ebenso vernäht war. »Was ist geschehen?«   Die Worgen starrte emotionslos auf die andere Seite des Raumes und mied seinen Blick. »Ich war ein wenig spielen.«, murrte sie und winkte ab. Dreorwyn zog seine Augenbrauen zusammen. Wie konnte sie selbst jetzt noch so stolz und stur sein? »Was treibt Euch hierher?«   »Ein starkes Gefühl der Angst, welches wohl kaum von einem Spiel herrührte.«, brummte Dreorwyn als Antwort und musterte sie skeptisch. Er hatte keine Lust auf dieses Versteckspiel, nicht, wenn er sich solche Angst um sie gemacht hatte. Doch konnte sie dies nicht wissen. Es war besser so wenn sie es nicht wusste. Mit leicht verengten Augen beobachtete der Magier sie aufmerksam. »Was ist wirklich geschehen?«   Riwena hob noch immer nicht ihren Kopf um ihn anzusehen. »Ich war auf der Suche nach jemanden und bin auf alte Bekannte gestoßen. Oder besser gesagt auf deren... Neulinge.« Ein dumpfes knurren stieg aus ihrer Kehle hinauf, während Dreorwyns ernster Blick auf ihr ruhte. »Alte Bekannte? Hier, im Dämmerwald?« Man könnte meinen, etwas strafendes lag in seinem Blick, ähnlich eines Vaters, der seinen Sprössling ausschimpfte.   »Ihr könnt Euch denken, wen ich meine. Ich habe da wohl noch eine Rechnung offen.«, knurrte sie und sah Dreorwyn nun endlich an. Ihre Augen waren leicht geengt, ob von der Wunde an ihrer Seite, oder von der Rechnung von der sie sprach, war nicht genau zu definieren. »Aber heute war nicht der richtige Tag, geschweige denn die richtigen Bekannten, um diese zu begleichen.« Riwena schnaubte, und ein leichtes grinsen, zog sich über ihre wölfischen Gesichtszüge. »Im Endeffekt bin ich noch glimpflich davon gekommen.«   »Das könnt Ihr aber laut sagen.«, murrte Dreorwyn und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Die Gefühle die er vor wenigen Minuten noch versucht hatte zu verstecken, waren inzwischen in einem tiefen, dunklen Loch verschwunden. Sein strafender Blick begegnete Riwena und sie hörte auf zu grinsen. »Aber gut zu wissen, dass der Zauber immer noch wirkt. Wenn auch etwas... spät.«   Dreorwyn schnaufte laut und verkniff sich einen bissigen Kommentar. Auf Leute die bereits am Boden lagen sollte man keine Steine werfen, auch wenn Riwena vermutlich niemals in ihrem Leben ab Boden liegen würde. Nicht einmal, wenn man ihr beide Beine abhackte. »Wart Ihr alleine?«   Die Worgen nickte langsam. »Ja, ich hatte eine äußerst nette Begleitung an meiner Seite.« »Etwa der Flohsack, der vor der Taverne steht und jeden einen grimmigen Blick zuwirft, der eintreten möchte?« Dreorwyn hob eine Augenbraue und musterte Riwena, die lediglich nur ruhig dasaß und sich wieder damit vergnügte die gegenüberliegende Zimmerwand anzustarren. Der Magier begnügte sich währenddessen damit sie weiterhin zu mustern. Herrje, was hatte sie sich nur dabei gedacht? Im Dämmerwald! War ja klar, dass da irgendetwas schief gehen musste!   Plötzlich wandelte sich Riwena in ihre menschliche Form zurück. Ihre Beinrüstung wurde etwas lockerer, während das Fell in ihre Haut zurückzog. Die Schnauze zog sich zurück, das Maul mit den Fangzähnen formte sich zu einem normalen Kiefer und die Knochen verformten sich knackend, während alles wieder an seinen ursprünglichen Platz fand. Die Wunde an Riwenas Seite riss wieder auf, dennoch blutete sie nur leicht. Doch das reichte aus, dass Dreorwyn erschrocken vom Bettrand aufsprang. »Riwena!«, rief er fassungslos und starrte ungläubig auf sie. Weshalb hatte sie sich jetzt gewandelt? War sie verrückt geworden?   Riwena hielt sich mit einer Hand den Kopf, ehe sie auf die verblassten Narben deutete, die sich schräg über ihr Gesicht zogen. »Diese Rechnung.«, sprach sie düster. Die dünnen Striemen stammen von einem Prankenhieb. Dreorwyn war davon ausgegangen, dass sie von einem Bären oder einem Wildtier stammten, welchen sie bei einer Jagd erlegt hatte. Er hob eine Augenbraue, während sein Blick über ihr Gesicht wanderte. Warum rechtfertigte sie sich vor ihm? War es ihr so wichtig, was er dachte?   Sie senkte ihren Blick auf ihre Wunde an ihrer Seite. »Macht Euch keine Sorgen. Noch dazu muss ich sagen, dass mich dieser 'Flohsack' immerhin heil dort raus gebracht hat.« Dreorwyn nickte und er konnte nicht verhindern, dass sein Blick ihren Hals hinab nach unten glitt. Etwas zu lange verweilte er so, doch dann bemerkte er selbst wie unhöflich er starrte und konzentrierte sich stattdessen wieder auf die Wunde an ihrer Seite. Verdammt! Er hatte sich gehen lassen. Hoffentlich hatte sie nichts bemerkt. »Na immerhin hat er Verstand.«, murmelte er leise und befeuchtete seine trockenen Lippen. Warum waren sie nur so trocken? »Ihr solltet Euch etwas überziehen... sonst erkältet Ihr Euch noch.«   »Nein.«, Riwena schüttelte ihren Kopf. »Die Wunde muss trocknen.«, sprach sie entschieden. Dreorwyn öffnete seinen Mund leicht um zu widersprechen, dann schloss er ihn aber wieder. Was sie sagte war durchaus logisch. Die Anführerin lächelte leicht, während sie ihn betrachtete, wie er scheinbar unbeholfen auf sie hinabsah. »Es ist kein Dauerzustand und bei der nächsten Begegnung, wird es Euch wieder leichter fallen, den Augenkontakt mit mir zu halten.«   Verdammt! Sie hatte es bemerkt! Dreorwyn wandte sich von ihr ab und ging um das Bett herum. Er zupfte am Saum der Bettdecke, ehe er sie anhob und ihr den Rand wie einen Mantel um die Schultern legte. »Ja, ja... Redet nur. Ich habe lediglich auf die Wunde gestarrt.«, murrte er mürrisch, doch ein grinsen legte sich auf seine Lippen. Riwena nahm den Saum der Decke und zog sich die Decke weiter über die Schulter um damit schließlich ihren Oberkörper einzuhüllen. Dreorwyn setzte sich wieder an den Rand des Bettes und neigte sich ihr zu. »Was macht Ihr nur immer für Sachen.«, seufzte er leise.   »Ich werde nie die Hausfrau sein und mittlerweile erwartet es auch keiner mehr.«, grinste sie und musterte ihn frech. Dreorwyn lehnte seinen Stab neben dem Bett ab und schmunzelte. »Wer erwartet das? Ich glaube man kann niemandem die Abenteuerlust... oder todesgefährliche Unternehmungen abschlagen.« Kurz lachte er beherzt. »Vor allem Euch nicht. Dennoch, ich bin froh Euch noch in einem Stück zu sehen.«, endete er schließlich und die Erleichterung in seinen Worten war nur allzu deutlich herauszuhören.   Riwena schüttelte sich leicht unter der Decke. Kicherte sie? Oder versuchte sie in Kichern zu unterdrücken? »Ihr werdet mich wohl nie ohne Extremitäten auffinden. Normalerweise sollte man meinen, man übernimmt nicht nur die Verantwortung, sondern auch den Verstand eines Anführers. Vielleicht trifft es auf gewisse Teile zu, aber mein Herz hängt in der Welt da draußen. An jeder Gefahr, an jeder Freude... Ihr wisst schon.«, schloss sie unbehelligt ihren Satz. Ihre Augen ruhten auf Dreorwyn und musterten ihn.   Der Magier nickte langsam. »Ich denke, ich verstehe Euch. Es gibt Momente, da vermisse ich meine Unwissenheit über meine Identität.« Seine Gesichtszüge nahmen einen verträumten Ausdruck an, während er weitersprach. »Irgendwie hatte ich damals alles viel mehr genossen. Der Nether weiß warum.«   »Wie ich vor langer Zeit bereits zu Euch sagte, ist die Vergangenheit nicht immer die schönste Erinnerung.«, erwiderte Riwena und auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein sanftes Lächeln aus. Dachte sie an etwas bestimmtes? Dann war es gewiss nicht die Vergangenheit, die sie zuletzt miteinander verbracht hatten. »Nicht immer, ja.«, er nickte langsam. »Aber es ist ein Teil der uns prägt, in dem Wesen, welches wir sind.« Langsam hob er seinen Kopf wieder zu Riwena und suchte ihren Blick, den sie ruhig erwiderte. »Ihr werdet wieder zu ihnen gehen, oder kann ich Euch davon abhalten?« Hoffnungsverloren sah er sie an, doch er wusste bereits, wie ihre Antwort ausfallen würde, noch ehe sie diese ausgesprochen hatte.   »Früher oder später werde ich das. Ich vergesse niemals.« Ihr Blick schien sich wieder zu klären, während sie zu ihm zurück sah. Mehrere Augenblicke verstrichen so und Dreorwyn konnte nicht anders als eine Leere in sich zu fühlen. »Es gibt tatsächlich Dinge in der Vergangenheit, die ich bereue.«   Der Magier lehnte sich auf seinem linken Arm zurück. Verdutzt hob er seine Augenbrauen. »Hm?«, fragte er nach und musterte sie. Er verdrängte die Leere in sich. Vielmehr genoss er die Unterhaltung mit Riwena, so wie sie jetzt verlief.   »Ich überlege oft, wie es gekommen wäre, wenn ich bei den Schwarzmähnen geblieben wäre.«, rückte sie schließlich mit der Sprache heraus und ihr Blick senkte sich zwischen ihn und sich auf die Bettdecke. Die Hälfte, die nicht über Riwenas Schultern ruhte. Dreorwyn wandte den Blick ab und kräuselte missfallend seine Lippen. Er hing den Gedanken an den Schwarzmähnen hinterher. Doch er grub noch weiter, zurück nach Surwich. Damals, als die Schwarzmähnen noch nicht von Väl vernachlässigt wurden. »Alles wäre anders gekommen. Aber ich denke, früher oder später wärt Ihr gegangen. Vielleicht aus dem selben, vielleicht aus einem anderen Grund.«, murmelte er schließlich leise in den Raum hinein. Wenn er damals nicht nach seiner Vergangenheit gesucht hätte - und diese gefunden hätte - wäre er dann mit Riwena gegangen?   »Vermutlich würden mir dann tatsächlich Extremitäten fehlen. Aber das wäre es vermutlich wert gewesen.«, wisperte sie sehr leise. Dreorwyn drehte seinen Kopf wieder zu ihr und runzelte seine Stirn. War das ein wehmütiger Blick? Weshalb war ihr Herz so schwer? Er neigte seinen Kopf leicht seitlich um ihre Worte zu überdenken. Riwena seufzte lautlos. »Vielleicht wäre ich mit Würde gegangen, anstatt einfach abzuhauen.«   Dreorwyn gluckste kurz, weswegen Riwena die Augen etwas schmälerte. War es das? Machte sie sich etwa noch immer Gedanken darüber, dass sie seinen Männerstolz angekratzt hatte? Er schüttelte seinen Kopf. »Es ist egal, was man Euch nachsagte, Riwena. Ihr seid mit Würde gegangen. Egal, welchen Schleier ich damals vor Augen hatte. Ihr habt Euch eingesetzt, dass alles noch im Ruder war, bevor Ihr gegangen seid.« Unbeschwert zuckte der Magier mit den Schultern, während sie fragend ihre Augenbrauen hob. »Wie meint Ihr das?«, fragte sie. »Immerhin war ich die Unruhestifterin schlechthin.«   »Richtig.«, antwortete Dreorwyn wahrheitsgemäß und sah Riwena verschmitzt von der Seite her an. »Aber Ihr wart immer ein Teil von den Schwarzmähnen, die es zusammengehalten haben.« Ein warmes Gefühl stieg in ihm auf, als er sie grübeln sah. So gefiel sie ihm besser. Nicht bedauernd, nicht reumütig. Er hatte keine Ahnung wieso, vielleicht lag es an ihren Verletzungen, aber er wollte sie so nicht sehen. »Ich... verstehe nicht.«, begann sie und hob ihren Blick wieder zu ihm. »Ich habe nichts außergewöhnliches getan.«   »Ihr wart da, mit Eurer spitzen Zunge und Eurem Herzen.« Dreorwyn zwinkerte ihr zu, doch dann winkte er ab. »Es ist auch nicht mehr wichtig. Jeder hatte eine andere Meinung von dem anderen. Es ist lange her und letztendlich ging doch jeder seinen eigenen Weg.«   »Verzeiht mir.« Dreorwyn war über die Trauer in ihrer Stimme erstaunt. Er blinzelte sie an und deutete ihren Blick in dem eine so stille, tiefe Trauer lag, dass es sein Herz berührte. »Was?«, fragte er unbeholfen und richtete sich wieder gerade auf. »Habe ich etwas falsches gesagt?« Oh ja. Unbeholfen war das richtige Wort. So klangen auch seine Worte, doch er kam gerade wirklich nicht mit, mit ihren Gedanken. Was hatte sie jetzt so tief traurig gestimmt? »Warum seid Ihr traurig?«   »Weil ich nie vergesse.«, murmelte Riwena sehr leise, dass ihre Worte nicht mehr als ein Flüstern waren. »Ich vergesse nicht, wie ich Euch hängen gelassen habe. Ich kann es mir nicht verzeihen. Vielleicht könnt Ihr es.«   Dreorwyn zog seine Augenbrauen zusammen und sah Riwena eindringlich an. Im ersten Augenblick fand er keine passenden Worte, wie er damit umgehen sollte. »Riwena...«, begann er und seufzte schwer. »Ich werde es auch nie vergessen...«, räumte er schließlich ein und hätte sich dafür am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Warum hatte er nicht gelogen? Nein, er wusste, dass es richtig war, hierbei nicht zu mogeln. »Aber ich bin froh, dass ich einer so bezaubernden Frau, wie Ihr es seid, kennen lernen durfte.« Sein Blick hellte sich auf und ein sanftes, aufmunterndes Lächeln umspielte seine Lippen. »Und ich bin froh, dass Ihr mir nicht dem Kopf bei dem Treffen in Lor'danel abreißen wolltet.« Riwena sah ihn verständnislos an, also fügte er leise lachend hinzu: »Dafür, dass ich Grantar die Nase verbeult habe.«   Riwenas Augen funkelten, doch das Funkeln war für Dreorwyn undeutbar. »Grantar...«, murmelte sie knapp, doch diese Trauer war noch immer nicht gänzlich aus ihrer Stimme gewichen. »Ich denke, er hat schon schlimmeres erlebt, als eine verbeulte Nase. Aber wohl, hätte sie mehr mir zugestanden.« Der Magier hob forschend eine Augenbraue. »Habe ich da einen wunden Punkt erwischt mit 'Grantar'?«, fragte er witzelnd. Er hatte es nicht wirklich ernst gemeint und doch verriet ihr Gesichtsausdruck, dass er es sehr wohl getan hatte. Am liebsten hätte er sich geduckt, oder sich vorher mit einem Kissen selbst erdrosselt. Er hatte ein richtiges Talent von einem Fettnäpfchen in das nächste zu treten. Riwena schloss kurz ihre Augen. »Wunder Punkt...«, murmelte sie, ehe sie die Augen wieder öffnete. »Nun ja, ich weiß nicht, wie man es nennen kann, wenn der Gefährte sich um einen nicht schert. Aber vermutlich wäre es anders auch falsch. Ihr solltet Euch noch erinnern, wie schwer es ist, mir etwas recht zu machen.« Tatsächlich schlich sich ein Grinsen über Riwenas Gesichtszüge.   Dreorwyn lächelte erleichtert. Wieder hatte er den Themenumschwung geschafft. Doch jetzt? Er konnte Riwenas Satz bezüglich Grantar nicht einfach ignorieren. Warum kümmerte sich dieser Trottel nicht um sie? Mit wachen Augen schmunzelte er sie an. »Vielleicht sollte ich Grantar einen Grundkurs darin geben, wie man mit einer Frau umgeht?« Selbstgefällig tippte er sich auf die Brust. »Die Höflichkeit in Person kann bestimmt dem Holzkopf noch etwas beibringen, damit sich die holde Maid zukünftig nicht ohne ihren Begleiter in Gefahren begibt, wo ihr die Knie schlottern.«   Riwena zog die Augenbrauen zusammen und sie grinste breit. »Ich habe nie Angst.«, sprach sie, verschränkte die Arme, wobei die Decke ihr etwas an ihren Schultern herab rutschte und reckte ihr Kinn in die Höhe. Dreorwyn konnte das triumphierende Gefühl, welches sich in ihm aufbaute nicht verhindern. Da war sie wieder, ein Teil der alten Riwena. Hochmütig und dickköpfig. »Aber Ihr habt Recht. Ein Gentleman seid Ihr wahrlich. Immer schon gewesen. Zumindest in meiner Gegenwart.« Grinsend senkte sie ihr Kinn wieder und zog sich die Decke wieder über die Schultern.   »Zumindest in Eurer, wie?«, lachte Dreorwyn doch Riwena winkte ab. »ist doch alles was zählt, oder nicht?«, entgegnete sie breit grinsend.   »Nun, ich kann auch anders. Irgendwie bin ich aber froh, dass Ihr mich so nicht kennt.«, scherzte Dreorwyn. Doch er sprach wahre Worte und Riwena erkannte dies auch sogleich. »Ich fürchte mich nicht vor Eurem anderen Ich.«, sprach sie leicht. »Ihr habt ja den Vorteil, dass Ihr mich bereits kennt.«   Verträumt erwiderte Dreorwyn ihren Blick. Wie lange war es her, als er ihr an der Dunkelküste sagte, dass er sie vermutlich nie gekannt hatte und sie ihm daraufhin zugestimmt hatte? »Manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen oder zu kennen. Menschen verändern sich, Riwena.« Eindringlich sah er sie lächelnd an. »Das Vergangene ist geschehen. Man muss nach vorne blicken.«   Riwena erwiderte seinen Blick ebenso eindringlich, aber auf eine angenehme Weise. »Ich kann aber nicht anders, als ständig zurück zu blicken. Vermutlich hängt es auch mit dem Willen zusammen.« Der Magier konnte es nicht verhindern sie etwas wehmütig bei ihren Worten anzusehen. Dass gerade die Worte mit dem Blick nach vorne von ihm gekommen waren, war so ironisch. War nicht er es gewesen, der es letztendlich gerade mal sieben Tage geschafft hatte, nicht an sie denken zu müssen? Er neigte seinen Kopf leicht zur Seite. »Willen? Den Willen wozu?«   »Den Willen nach vorne zu Blicken. Es fällt mir unendlich schwer.«, pflichtete Riwena bei. Dreorwyn schmunzelte. »Gerade Euch?«, fragte er und das Schmunzeln wandelte sich zu einem Grinsen. »Ihr seid von unzähligen, neuen Gesichtern umzingelt. Stürzt Euch im wahrsten Sinne des Wortes in jede Gefahr, ohne Rücksicht auf Verluste, seid eine grandiose Anführerin und Ihr wollt mir erzählen, es würde Euch schwer fallen einen Schritt vor den anderen zu setzen? Jede Hürde zu überwinden?« Leicht schüttelte er seinen Kopf. »Ihr wollt mich wohl zum Narren halten.«   Der Ausdruck in Riwenas Gesicht veränderte sich. Das Grinsen schwand und es blieb nur noch eine Spur eines Lächelns zurück. Sie wirkte nachdenklich und irgendwie in sich gezogen. »Es mag ja sein, dass ich mich nach vorne bewege. Aber ich stolpere über Steine, weil der Kopf ständig nach hinten blickt. Ich weiß nicht, wann ich die Drehung schaffe.« Lauschend musterte Dreorwyn sie und neigte seinen Kopf etwas überfragt. Was wollte sie ihm damit sagen? Riwena nahm tief Luft. »Ich habe sehr gute, sehr treue Leute, die ich sehr schätze. Aber es fehlen die wichtigen an meiner Seite.«, sprach sie wieder leise.   Dreorwyn sah sie für mehrere Augenblicke an. Wie sehr er sich wünschte, sie würde von ihm sprechen. Doch dies konnte nicht sein. Ein Grinsen legte sich wieder über seine Lippen. Es war seine beste Tarnung. »Soll ich Grantar noch einmal ins Gesicht schlagen, dass er Euch hinterherlaufen soll?«   Riwena sah ihn weiterhin mit nachdenklicher Miene an. »Vermutlich wäre es mir wichtiger, wenn...«, sie unterbrach sich und senkte ihren Blick wieder hinab auf einen Punkt zwischen sich und Dreorwyn. Der Magier zog seine Augenbrauen zusammen und legte seinen Kopf zur Seite. »Wenn...?«, fragte er schmunzelnd nach und rückte etwas weiter zu ihr vor. »Na los, spuckt es aus. Keine falsche Scheu.« Was auch immer es auch war, was Riwena bedrückte, man könnte da bestimmt etwas machen. Irgendwie konnte man alles wieder gerade biegen, nicht? Dreorwyn fühlte sich in diesem Augenblick so leicht, dass er erst jetzt bemerkte, wie nahe er zu ihr gerückt war. Zu nahe? Er musterte sie. Nein, gewiss nicht. Sie waren ja nur Freunde. Alte Bekannte. Ehemalige Liebende. Der Magier drückte die aufkommenden Gefühle wieder tief in sein Inneres.   Die Anführerin hob ihren Blick zu ihm. Ihr nachdenklicher Blick war ernst geworden und ihre grasgrünen Augen funkelten sogar ein wenig. »Ich vermisse jemanden und das mehr als meinen Bruder.«, murmelte sie. Dreorwyns Hoffnung, dass man alles wieder gerade biegen konnte schwand mit ihren Worten. Riwenas Bruder galt als verschollen, oder wohl eher als tot. Er konnte keine toten wiederbeleben oder derlei Wunder bewirken. Ruhig erwiderte er ihren Blick. »Mehr als Euren Bruder? Wen?«, fragte er sachte nach. Dreorwyn hatte nicht vor sie zu bedrängen, aber vielleicht ging es ihr besser, wenn sie über ihren Kummer sprechen konnte. Doch wer war er, dass sie sich ihm anvertrauen konnte? Doch, sagte Riwena nicht, dass er der einzige sei, der ihre Vergangenheit und von ihrem Bruder überhaupt wusste? Doch die Umstände damals, wie er es erfahren hatte, waren damals noch anders gewesen.   Riwena sah ihn lange an und mehrere, endlose Augenblicke verstrichen in denen Dreorwyn ein merkwürdiges Kribbeln in seinem Bauch spürte. War es ihr unangenehm? Vielleicht sollte er ablassen und ihr einfach sagen, sie solle sich nicht so viele Gedanken machen und stattdessen schlafen gehen? Doch plötzlich und völlig unerwartet antwortete sie ihm. »Euch.« Sie sprach es ohne Umschweife aus. Aufmerksam musterte sie ihn und seine Reaktion auf ihr Wort.   Und dieses eine Wort hatte es geschafft die Barriere, mit der er krampfhaft versucht hatte seine Gefühle zu unterdrücken loszureißen. Die tiefe Zuneigung, die er ihr gegenüber noch immer verspürte und die Gedanken, die immerzu an ihr hingen. Dreorwyn wusste sehr wohl diese Gefühle richtig einzuordnen, aber er wollte es nicht wahr haben. Es konnte nicht sein, es war bereits so lange her. Riwena konnte unmöglich noch für ihn so fühlen, nachdem, wie er sie in Surwich behandelt hatte. Der Magier schluckte den Kloß hinunter, der sich angestaut hatte. »Mich?«, fragte er zu seiner eigenen Verwunderung mit einer völlig normalen Stimme. Er blinzelte Riwena unschuldig Lächelnd an. »Aber ich bin doch genau hier, vor Euch. Außerdem...«, er tippte sich gegen die Schläfe. »Sind wir magisch miteinander verbunden.«   Dreorwyn versuchte diese Worte glaubhaft klingen zu lassen doch es gelang ihm nicht. Riwenas Gesichtsausdruck veränderte sich kein bisschen, während sie ihn beobachtete. Fast wäre es ihm lieber gewesen, sie würde schreien, oder ihn auslachen, doch stattdessen schlich sich wieder diese verfluchte Maske der Emotionslosigkeit auf ihr Gesicht. »Es ist wohl besser, dass Ihr nicht versteht, was ich meine.«   Der Magier wandte seinen Blick von ihr ab. Stattdessen sah er zum Rand des Bettes und durch seine Kapuze konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Schwermütig schloss er seine Augen, während sich dieser verfluchte Kloß in seiner Brust anstaute und er glaubte die Luft bliebe ihm weg. Sein Herz schmerzte. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Riwena konnte unmöglich noch Gefühle für ihn übrig haben. Ihre Wege hatten sich so lange getrennt und jetzt verwoben sie sich wieder miteinander. Dreorwyn fühlte sich schlecht, wenn er an die Vergangenheit dachte. »Ihr deutet es falsch, Riwena. Ich verstehe sogar sehr gut... Aber ich will es nicht wahr haben.«, murmelte er sehr leise. Doch er fand keine weiteren Worte mehr für das was er sagen wollte. Wollte er noch etwas sagen? Er wusste es nicht und die Zeit der Stille zog sich schier endlos.   »Wer könnte es Euch verübeln, nachdem was war.« Ihre Frage war mehr wie eine Aussage formuliert und sie seufzte leise. »Würdet Ihr mir einen Gefallen tun?« Dreorwyn, froh darüber aus seinem innerlichen Chaos herausgezogen zu werden hob langsam seinen Blick. »Hm?«, fragte er, doch er wusste, dass er sie sehnsüchtig und wehmütig ansah. Vielleicht sah er auch aus wie ein geprügelter Hund. Zum Glück konnte er seinen eigenen Gesichtsausdruck nicht sehen. Warum konnte er sich nicht beherrschen? Riwenas Blick ruhte auf ihn, noch immer wirkte ihr Blick schleierhaft. »Macht es mir bitte nicht nach. Verschwindet nicht.«   Dreorwyn sah Riwena traurig an. Er schluckte, ehe er ohne ein Wort an ihre Seite zum Bett rutschte und seine Arme um sie legte. Er drückte sie an sich, was sie zu seiner Erleichterung und teilweise Erstaunen auch zuließ. Doch was hatte er erwartet? Riwena hatte sich ihm gerade so sehr anvertraut, hatte ihm ihre Gefühle so eindeutig angedeutet, dass er vielleicht gewusst hatte, dass sie sich ihm nicht entziehen würde. Und er hatte so lange gebraucht um es zu erkennen. Um sich seiner eigenen Gefühle wieder bewusst zu werden, oder um sie zuzulassen, ohne ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber zu haben. Dreorwyn legte seine Hand auf ihren Hinterkopf, während Riwena ihren Kopf auf seiner Schulter ablegte. »Ich bin ein Magier, kein Trickkünstler, der einfach verschwindet.« Tatsächlich versuchte er noch zu grinsen, aber es gelang ihm nicht. Er wirkte eher verzweifelt, gefangen in einem chaotischen Schlachtfeld aus Gefühlen, die er jahrelang versucht hatte zu versiegeln. Wegzusperren, als würden sie nicht existieren. Doch er war machtlos dagegen. Riwena vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und seufzte leise. Es löste in Dreorwyn einen Schauer aus, als sie tief einatmete und ihre Arme ebenso um ihn schloss.   Dreorwyn strich ihr mit der Hand über die kurzen Haare und atmete tief ein. Der Kloß löste sich langsam, als er sich vielerlei Dinge bewusst wurde. Er war ein solcher Narr gewesen. Doch nie hätte er gedacht, ihr je wieder so nahe zu sein. Ihr so nahe sein zu dürfen. Eine ungemeine Ruhe breitete sich in ihm aus, als würde ein jahrhunderter alter Brocken Käse, der ihm im Hals gesteckt hatte, endlich zum Magen gelangen. Der Magier schluckte und zog die Decke etwas fester um Riwena, während er sie weiterhin in seinen Armen umarmt hielt.   »Warum...«, murmelte sie sehr leise und gedämpft. Dreorwyn konnte nur wieder seufzen und senkte seinen Kopf leicht. Er konnte ihre Wange auf seiner Spüren, während er ihren Rücken hinabsah. Auf einmal wirkte für ihn alles so klar, so logisch. Sein gesamter Aufenthalt bei den Schwarzmähnen und auch in Dalaran, nachdem sie ihn verlassen hatte. Seine täglichen Gedanken an ihr bis zuletzt. »Es gab einen Punkt, an dem ich glaubte, ich hätte vergessen... aufgehört Euch zu lieben. Aber als ich Euch wieder sah und als Ihr mir großzügig Eure Welt im Steinkrallengebirge enthüllt habt, wusste ich, dass ich es nie getan habe.« Aber ich war ein Feigling und wollte es mir selbst nicht eingestehen., dachte Dreorwyn den Satz zu Ende. Warum nicht? Aus Angst, abgestoßen zu werden? Dass die zerbrechliche Freundschaft, die sich wieder gebildet hatte, zersplittern könnte?   Er spürte wie sie tief einatmete und seufzend die Luft wieder entweichen ließ. Vermutlich ging es ihr ähnlich, wenn es bei ihr nicht sogar noch tiefer griff? Es war nicht seine Absicht sie zu verwirren, indem er sich vor sie stellte und gestand, dass er noch Gefühle für sie hegte. Sie hatte Grantar an ihrer Seite und eine Gemeinschaft zu führen. Außerdem gab es da diese eine Regel...   Zu Dreorwyns Überraschen drehte sie ihren Kopf und küsste ihn auf die Wange. »Es tut mir leid, dass ich Euch daran erinnere... Diese Gefühle in Euch hervorrufe. Und doch bereue ich es wieder nicht.« Die Worte klangen dünn, aber sicher. Er drehte seinen Kopf zu Riwena und legte seine Stirn auf ihre. Abermals strich er ihr über die Haare und hauchte leise: »Es gibt nichts, weder jetzt noch irgendwann, was Ihr bereuen müsstet.« Langsam neigte er sein Kinn vor, vorsichtig tastete er sich zu ihren Lippen heran, ehe er sie fand. Kurz bevor er sie wirklich berührte hielt er inne, doch dann schob er seine Lippen über ihre und küsste sie sanft und innig. Riwena rührte sich nicht, sie schloss ihre Augen und erwiderte seinen Kuss. Dreorwyn spürte die Erleichterung, wie sie all die beklemmten Gefühle wegspülte und sich in seinem Körper niederließ. Kurz waren seine Gedanken in der Vergangenheit, der Zeit, wie sie sich kennen gelernt hatten. Dann wie sie sich näher gekommen waren, der erste Kuss und schließlich der Bruch. Doch dies waren nur sehr kurze Gedanken, Gedanken die bereits lange in der Vergangenheit lagen. Neue, frische Erinnerungen füllten seine Gedanken. Das Wiedersehen in Lor'danel, die Reise durch den Hyjal, die zahlreichen Besuche in Sturmwind und im Steinkrallengebirge.   Sanft beendete Dreorwyn den Kuss und drückte Riwena gegen seine Brust. Er atmete tief ein. Er war ein solcher Narr gewesen, nicht schon früher erkannt zu haben, wie er wirklich fühlte. Dass er sich nicht selbst treu gewesen war in dieser Hinsicht. Oder waren es die vielen Konsequenzen die drohten? Grantar? Was war mit ihm? Abermals atmete er einmal tief ein, dann drückte er Riwena sanft zur Seite, sodass sie sich hinlegen musste. Willig tat sie dies auch. Ein leichtes, wenn auch etwas verwirrtes, Lächeln lag auf ihren Lippen, während sie ihn mit seinen grasgrünen Augen müde anblinzelte. Dreorwyn konnte nicht anders als zurück zu lächeln. »Ihr solltet jetzt schlafen, Riwena. Sonst wird die Wunde noch länger offen bleiben.«, sprach er leise und breitete die Decke besser über Riwena aus.   Der Magier wollte gerade aufzustehen um sich einen Stuhl zu dem Bett zu ziehen, doch Riwena griff nach seinem Arm. »Ihr werdet nicht gehen, oder? Ihr habt es versprochen.« Fast flehend sah sie ihn an und Dreorwyn sah zu ihr zurück. Er beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich werde Euch angrinsen, sobald Ihr beginnt zu blinzeln.«, sprach er lächelnd und beugte sich wieder zurück. Er setzte sich neben ihr zurück, sodass er sich gegen die Bettstütze anlehnen konnte. Riwena lächelte ihn müde an, dann schloss sie ihre Augen.   Dreorwyn beobachtete sie, während ihre Atmung regelmäßiger und konstant wurde und sie in den Schlaf gesunken war. Irgendwie wollte er immer noch nicht wahr haben, das dies gerade wirklich geschehen war. Es musste ein Traum sein, oder konnte man es als ein Wunder bezeichnen? Ein Wunder welches nicht existierte? Der Magier hatte sich vorgenommen nicht einzuschlafen, doch er wusste nicht, wie ihm geschah, als der Schlaf auch ihn zu sich zog.   *****   Der Mann schlug ganz langsam seine Augen wieder auf und spähte zu den Kerzen, die über ihm schwebten. Ihr Licht erfasste die drei Regalreihen über ihm und man konnte deren Inhalt sehr gut erkennen. Das erste Regal, welches zum Bersten überfüllt war, war an die weltlichen Reichtümer gebunden. Das zweite beinhaltete verborgenes Wissen und einen hohen mentalen Wert, mit seinen Briefen und Gedichten. Doch das letzte Regal, enthüllte letztendlich die Geheimnisse von Sarandar Glaciersmirror, seinem früheren selbst. Ein Geheimnis, welches diese Kammer in Dalaran ewig hüten würde. Wissen, welches diesen kreisrunden Raum niemals verlassen würde.   Dreorwyn schloss das Buch und strich gedankenverloren über den Einband. Eigentlich war es schade, dass er die letzten Einträge nicht geschrieben hatte, doch sein Leben hatte insoweit eine Wendung bekommen, dass er sich nicht ständig hinter einem Buch verkriechen konnte. Vieles hatte seine Aufmerksamkeit benötigt. Seine Studien in Dalaran, seine Handwerkskunst als Goldschmied, die Gemeinschaft der Animae Lupi und dazwischen sehr oft Riwena. Doch dafür, dass die beiden wieder einen gemeinsamen Weg fanden, wo sie doch vor langer Zeit ihre eigenen gingen, hatte er ihr verhältnismäßig weniger Aufmerksamkeit geschenkt, als er ihr nun weiterhin zumuten wollte. Er konnte es ihr nicht mehr zumuten und nach der Säuberung Dalarans, der Zerreißung der einst so wunderschönen und friedfertigen Stadt, fiel ihm diese letzte Entscheidung nicht schwer.   Der Magier erhob sich, schob das Buch zurück in das Regal zu den beiden Anderen und hob die gläserne Glocke auf, um die Runenbeschriebene Münze darunter zu verstauen. Noch ein letztes Mal, drehte er sich langsam im Kreis. Seine braunen Augen musterten jeden Winkel, ehe er langsam zu sich selbst nickte. Selbst wenn diese Kammer erst nach Jahren das nächste Mal geöffnet werden würde, Riwena würde wissen, was sie mit dem Wissen anfangen konnte und vielleicht auch musste.   Dreorwyn beugte sich zu seiner Tasche hinab, die er unter seinem Mantel schulterte. Dann hob er seinen Arm und wische damit in der Luft. Als wäre ein starker Windzug durch den kreisrunden und fensterlosen Raum geweht, erloschen die Kerzen und hüllten den Magier in tiefe Dunkelheit. Doch aus der Dunkelheit erhob sich ein schimmernder Faden, der in der Luft gezeichnet wurde. Langsam formte sich ein Kreis, während sich die Linien verbanden. Violette Manapartikel wirbelten um den schillernden Kreis, breiteten sich aus und verschmolzen zu einem Portal, während in der Mitte wabernde Strukturen erkennbar wurden. Auf den ersten Blick erkannte man nur hohe Tannen, doch dann wurde es klarer und man sah eine Lichtung in der ein großes Gebäude stand. Der leuchtende Schimmer erhellte die Gesichtszüge des Mannes, die verträumt und etwas sehnsüchtig die Oberfläche betrachteten. Er sog die Luft tief ein und dann schritt er durch das Portal in das Steinkrallengebirge, um an der Seite seiner Gefährtin sein zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)