Last Desire 13 von Sky- ================================================================================ Kapitel 9: Bedingungslose Liebe ------------------------------- „Was soll das heißen?“ rief der Mafiaboss und wurde so langsam sauer. „Wieso hast du sie nicht mehr?“ Der Serienmörder versuchte zu rekonstruieren, wann er die Spritze noch gehabt hatte, doch er konnte es nicht mehr genau sagen. Seine naheliegendste Vermutung war, dass es bei dem Angriff von diesem Proxy passiert sein musste, der ihn gebissen hatte. „Wahrscheinlich war das der Proxy gewesen. Scheiße, er muss sie mir abgenommen haben und ist damit abgehauen. Was machen wir denn jetzt?“ „Na improvisieren“, erklärte Liam und drückte Sams Kopf auf den Boden. „Ich werde versuchen, Jeremiel über die mentale Verbindung zurückzuholen und den Unborn auf diese Weise zu zerstören. Immerhin hat es ja auch schon bei Frederica funktioniert, also müsste es bei ihm rein theoretisch auch klappen…“ „Bist du dir da sicher?“ „Hast du einen besseren Vorschlag? Eine andere Wahl bleibt uns da leider nicht. Shit, es muss aber auch immer irgendetwas schief gehen.“ Liam atmete tief durch versuchte sich zu konzentrieren. Er ärgerte sich in Grund und Boden, dass ihnen so ein Fehler unterlaufen musste und dass Beyond die Spritze mit dem Serum verloren hatte. Aber wahrscheinlich hatte der Angriff dieses Proxys „Echo“ sowieso nur das Ziel gehabt, ihm das Serum abzunehmen. Alice war ja nicht blöd. Sie musste schon längst gewusst haben, dass es Nastasja gelungen war, ein Gegenmittel für den Unborn zu entwickeln, immerhin war diese ja Humanbiologin und galt als Beste ihres Fachs. Also wäre es doch eigentlich mehr als logisch, wenn sie schon selbst auf den Schluss gekommen war, dass sie versuchen würden, Jeremiel mit dem Serum zu helfen. Und wahrscheinlich hatte sie über die Überwachungskameras mitbekommen, wer das Serum bei sich hatte. Oh Mann, sie waren ein wenig zu naiv hier reingegangen und hatten jetzt den Salat. Ob Samajim das auch einkalkuliert hatte, als er durch Nabi ausrichten ließ, es würde alles funktionieren? Tja… das würde er wohl nicht so schnell erfahren. Jetzt galt es sowieso erst mal, Jeremiel zu retten, bevor es zu spät für ihn war. Um sich zu beruhigen, atmete er noch ein weiteres Mal tief durch, schloss die Augen und baute die mentale Verbindung zu Sam Leens auf. Die einzige Chance, Jeremiels Leben zu retten, bestand jetzt darin, den Unborn auf diese Weise zu bekämpfen und auch Sam Leens für immer zu vernichten. Als er die Augen öffnete, fand er sich in einer Welt wieder, in der es rein gar nichts gab. Kein Licht, keine Dunkelheit, weder Wärme noch Dunkelheit, Geräusch oder Stille… er kannte diese Welt. Er hatte sie vor einiger Zeit Jeremiel gezeigt um ihm zu beweisen, dass er nicht Sam Leens war und auch um ihm zu zeigen, wie die Welt dieses Namenlosen aussah. Und doch konnte er deutlich die Anwesenheit des Unborns spüren… der dunklen Seite von Elohim. Er folgte diesem Gefühl und durchwanderte diese vollkommen leere Welt. Es war schwer zu sagen, wie weit er gehen musste, wie weit er schon gegangen war und wohin er genau gehen musste. Jeder andere wäre ziellos umhergeirrt und hätte sich in dieser Welt vollständig verloren, da es hier rein gar nichts gab, nicht einmal schwarz oder weiß. Viele wären vielleicht verrückt geworden an so einem Ort. Menschen hätten es hier nicht lange ausgehalten und wahrscheinlich den Verstand verloren, weil dieser Ort fern von ihrem Fassungsvermögen lag und dem, was sie kannten. Deshalb hatte er auch beschlossen, alleine zu gehen, um Jeremiel zu retten. Blieb nur zu hoffen, dass er noch nicht zu spät kam. „Du musst es töten, wenn du ihn retten willst.“ Liam drehte sich um und hielt sein Schwert bereit zum Angriff und tatsächlich sah er für einen kurzen Sam Leens hinter sich, aber dann war er auch wieder verschwunden, als wäre dies nur eine kurze Halluzination gewesen. Ein wenig ratlos blieb der Mafiaboss stehen und fragte sich, was das nur zu bedeuten hatte. War das gerade wirklich Sam Leens gewesen? Ja aber wieso hatte er ihm das gesagt? Normalerweise half er niemandem und verfolgte stets seine eigenen Interessen. Irgendwie war das schon sehr merkwürdig. Womöglich hatte vielleicht Jeremiel etwas damit zu tun… Nun, das würde er noch herausfinden, aber jetzt galt es erst einmal, Jeremiel und den Unborn-Ableger zu finden. Also ging er weiter und orientierte sich einzig und allein nach seinem Gefühl. Schließlich aber begann er etwas zu hören. Eine Stimme, die ihm vertraut vorkam und die ihn mit jenem Namen rief, der ihm so verhasst war. „Araphel…“ Seine Anwesenheit war also nicht unbemerkt geblieben. Na, eigentlich auch kein Wunder. Er ging weiter und tatsächlich sah er es endlich: das Gefängnis, in welches Jeremiel gesperrt worden war. Und er befand sich in einem schlechten Zustand. Er war längst nicht mehr bei Bewusstsein und wurde langsam aber sicher von einer dicken schwarzen Masse verschlungen, die ihn immer tiefer in sich hineinzog. „Jeremiel!“ Liam zog sein Schwert und wollte ihn da rausholen, doch sonderte sich etwas von dieser schwarzen Masse ab und eine Silhouette begann sich daraus zu formen. Sie wehrte seinen Angriff ab und so langsam begann sich ein Gesicht zu formen. Das Wesen nahm vor seinen Augen menschliche Gestalt an und was er da sah, war ein Mann mit schulterlangem platinblondem Haar und eisblauen Augen, in denen sich die Ewigkeit zu spiegeln schien. Es hatte gewisse Ähnlichkeiten mit Jeremiel, doch wirkte dieses Gesicht älter, weiser und auch zugleich viel hasserfüllter. „So sehen wir uns nach langer Zeit wieder, mein alter Freund und Verbündeter. Wirklich erstaunlich, was diese lange Zeit aus uns beiden gemacht hat. Aus dir haben sie eine Marionette der großen Alten gemacht und aus mir… einen Parasiten, gefangen in den Zellen eines Ungeborenen.“ „Wir sind keine Verbündeten mehr und ich bin auch nicht die Marionette der großen Alten!“ Liam griff erneut an, doch der Unborn schaffte es mühelos, jeden Angriff abzuwehren und lächelte nur amüsiert über die Versuche. Schließlich blickte der Unborn zu dem leblosen Jeremiel herüber, der fast vollständig in der Schwärze verschwunden war. „Warum riskierst du dein Leben für diesen kleinen erbärmlichen Menschen? Das ist doch unter unserer Würde. Und wie hast du dir vorgestellt, soll er sein Leben verbringen? An deiner Seite vielleicht, um dann eines Tages denselben Weg einzuschlagen und zu einem windigen Mafioso zu werden, der genauso grausam und eiskalt ist wie du? Soll er tatsächlich ein Sefira werden, nur um bei dir bleiben zu können und seine ganze Familie sterben sehen? Findest du nicht auch, dass das ein wenig naiv und selbstsüchtig von dir ist, ihm deinen Willen aufzuzwingen? Du verlangst von ihm, seine Familie zu verlassen und zu einem Teil deiner Familie zu werden. Und wir wissen doch beide, wie es um deine bestellt ist, mein Freund.“ „Halt die Schnauze!“ rief Liam hasserfüllt und griff dieses Mal mit mehr Kraft an, aber selbst das schien nicht auszureichen, um dem Unborn-Elohim die Stirn bieten zu können. Er schaffte es ja nicht einmal, seine Schwester zu besiegen und diese Machtlosigkeit… diese Hilflosigkeit, dass er nichts ausrichten konnte, während Jeremiel langsam aber sicher starb, machte ihn umso wütender und er stand kurz davor, endgültig zu explodieren. Und wahrscheinlich war es genau das, was sein Gegner beabsichtigte. „Jeremiel hat sich aus freiem Willen für mich entschieden und ich werde gewiss nicht zulassen, dass er in meine Geschäfte reingezogen wird und er meinetwegen in Gefahr gerät.“ „Bist du dir da wirklich so sicher?“ fragte der Unborn listig und ein eiskaltes Lächeln zog sich über seine Lippen. „War es denn nicht so, dass du ihn eingesperrt und vergewaltigt hast, nur um zu bekommen, was du wolltest? Du weißt genauso wie ich, was du ihm alles angetan hast und wie sehr er wegen dir leiden musste. Und da denkst du allen Ernstes, er würde bei dir bleiben, weil er dich liebt? Nein, er tut es allein aus Angst. Er liebt dich nicht wirklich, er hat nur Angst, dass du ihm und seiner Familie etwas antun könntest, wenn er sich nicht deinem Willen beugt. Du kannst niemanden lieben, genauso wie dich nie jemand lieben wird. Das Einzige, was du kannst, ist Angst zu verbreiten. Und inzwischen hast du dein kleines Schoßhündchen ja gut genug abgerichtet, dass es dir willenlos folgt, weil es sich inzwischen in einer völligen Abhängigkeit von dir befindet. Weißt du, wo dieses Phänomen sonst noch anzutreffen ist? Bei Peinigern, die ihre Opfer schon seit langer Zeit in ihrer Gewalt haben und sie seelisch brechen und von sich abhängig machen. Und nichts anderes tust du mit Jeremiel, genauso wie du es bereits mit Nikolaj getan hast.“ Diese Worte trafen den Mafiaboss hart und für einen kurzen Moment zögerte er. Er war verunsichert, denn er wusste, dass er Jeremiel schlimme Dinge angetan hatte. Es stimmte schon. Er hatte ihn tagelang eingesperrt und ihn vergewaltigt, als dieser unter Drogeneinfluss stand. Anstatt ihn zu beschützen, hatte er ihm nur wehgetan und Jeremiel hatte trotzdem zu ihm gehalten. Etwa tatsächlich aus Angst vor ihm, weil er sich aus einem reinen angeborenen Selbsterhaltungstrieb freiwillig seinem Willen unterordnete und alles tat, was er sagte? Konnte es wirklich sein, dass Jeremiel ihn nicht liebte, sondern nur aus Angst bei ihm blieb? Die ganze Zeit war er sich sicher gewesen, dass Jeremiel ihn liebte, aber nun war er sich da nicht mehr so ganz sicher. Was wenn es stimmte und Jeremiel nur Angst vor ihm hatte? Ein brennender Schmerz durchfuhr seinen Körper, als die Klinge des Unborns ihn direkt in die Brust traf. Liam taumelte, ließ fast sein Schwert fallen und sank in die Knie, wobei er Blut hustete. Er presste eine Hand auf seine Wunde und schaffte es nur mit Mühe, den nächsten Angriff abzuwehren. „Du bist ziemlich schwach geworden, Araphel“, bemerkte der Unborn spöttisch und lachte. „Die Zeit bei den Menschen hat dich ganz schön verweichlicht. Sie und die großen Alten haben dich zu einem erbärmlichen Schwächling gemacht und so wie es jetzt ist, wirst du deinen geliebten Jeremiel nicht retten können. Solange du Skrupel hast, wirst du immer versagen. Denn es macht dich schwach und vor allem macht es dich „menschlich“. Wenn du Jeremiel wirklich retten willst, dann musst du diese lächerlichen Attitüden ablegen. Lege diese überflüssigen Gefühle ab, die dich aufhalten und vor allem lege dieses Licht ab, das dich so schwächt. Nur so wirst du es schaffen, ihn zu retten. Oder willst du ihn noch mal verlieren, genauso wie du Nikolaj verloren hast, nur weil du zu schwach warst, um ihn zu beschützen?“ Liam wusste nicht mehr, was er tun sollte und kam sich so hilflos vor. Was sollte er tun? Er konnte den Unborn nicht besiegen und wenn er nichts tat, würde er Jeremiel verlieren. Doch war dies wirklich der einzige Weg, ihn zu retten? Einfach diese letzten Skrupel abzulegen und seine Gefühle zu verschließen? Bestand die einzige Hoffnung darin, wieder zu Araphel zu werden? Er wusste nicht, was er tun sollte und war innerlich völlig zerrissen. Ein Schuss unterbrach diese Stille und Liam sah, wie eine Kugel die Stirn des Unborns durchbohrte und ihn damit zum Schweigen brachte. Er wandte sich um und sah, dass es Sam Leens war, der mit einer Pistole auf den Unborn zielte. Und sogleich legte sich eine Hand auf seine Schulter und neben ihm stand niemand anderes als Nikolaj. Zuerst glaubte der Mafiaboss an eine Halluzination, aber er war es tatsächlich. „Du lässt dich ganz schön gehen“, bemerkte Nikolaj und lächelte. Es war dieses etwas verträumte und nachdenkliche Lächeln, welches er vor langer Zeit zuletzt gesehen hatte. Nein, nicht ganz… er hatte es zuletzt bei Jeremiel gesehen, bevor sie sich voneinander verabschiedet hatten. „Dabei würdest du doch in so einer Situation sagen, dass du einen Scheiß auf das gibst, was andere sagen. Na komm, steh wieder auf.“ Damit half der Verstorbene ihm wieder auf die Beine und Liam, der das alles gar nicht fassen konnte, nahm ihn in den Arm. Er war in diesem Moment so von seinen Gefühlen überwältigt und konnte nicht glauben, dass das hier wirklich geschah. „Nikolaj… wa-warum bist du…“ „Hast du es vergessen? Ich bin ein Teil von Jeremiel, genauso wie er ein Teil von mir ist. Wir sind ein und dieselbe Person. Und nun lass mich dir eines mal sagen, Liam: du musst endlich damit aufhören, dich an deinem alten Leben festzuklammern und dir einzureden, dass alles, was du je getan hast, falsch war. Es mag ja sein, dass du Jeremiel Dinge zugemutet hast, die nicht in Ordnung waren. Aber er liebt dich trotzdem, genauso wie ich dich liebe. Und ich habe dir auch nie die Schuld dafür gegeben, dass ich gestorben bin. Keiner trägt Schuld daran. Wir sind alle nur Opfer des Hasses geworden und Eva hat alles Erdenkliche getan, damit du wieder glücklich werden kannst. Zusammen mit mir und Jeremiel. Also hör auf, dir einreden zu lassen, dass Jeremiel oder ich dich nicht lieben würden und nur aus Angst mit dir zusammen sind. Du solltest etwas mehr Vertrauen in unsere Gefühle haben. Und außerdem…“ Damit ergriff Nikolaj Liams Hand und zeigte auf das Lederarmband mit der Gravur, wo Jeremiels Name in hebräischer Schrift geschrieben standen. Es war ein Geschenk gewesen, verbunden mit dem Versprechen, dass Jeremiel zu ihm zurückkehren würde. „Das hier ist ein Beweis dafür, dass er dich aufrichtig liebt. Genauso wie ich dir das Kreuz geschenkt habe als Versprechen dafür, dass ich zu dir zurückkomme. Und wenn ich dich nicht geliebt hätte, dann hätte ich dir das Versprechen doch kaum gegeben, oder nicht? Es mag ja sein, dass du das Finstere in dieser Welt verkörperst. Aber in dir steckt auch Gutes und das wolltest du dir mit aller Macht bewahren, weil du diese Gefühle für Jeremiel nicht verlieren wolltest. Und solange noch Gutes in dir steckt, werden auch meine und Jeremiels Gefühle nicht verschwinden. Hey, Jeremiel glaubt an dich und er hat so lange ausgeharrt, weil er darauf vertraut hat, dass du kommst. Und hast du vergessen, wieso dir dein jetziger Name so wichtig ist? Liam bedeutet „der Beschützer“. Solange du an diese gemeinsame Liebe glaubst und an deiner Überzeugung festhältst, kannst du es schaffen. Also reiß dich zusammen und werde wieder der Alte, Liam.“ Und diese Worte hatten endgültig die letzten Zweifel beseitigt. Liam nahm sein Schwert wieder fest in die Hände und in seinen Augen war wieder der gleiche wild entschlossene Blick zu sehen, mit welchem er das Institut betreten hatte. Nikolaj hatte Recht. Diese Liebe war echt und Jeremiel zählte auf ihn. Deshalb durfte er jetzt auch nicht einfach so die Flinte ins Korn werfen, oder sich von diesem Unborn bequatschen lassen. Mochte zwar sein, dass er niemals so ein Vorzeigecharakter werden würde wie seine Schwester, aber er war stolz darauf, dass er sich dazu entschieden hatte, unter den Menschen zu leben und niemals seine Macht zu missbrauchen. Und vor allem war er stolz darauf, dass er sich von niemandem herumkommandieren ließ und nach niemandes Pfeife tanzte. Ihn interessierten die großen Alten nicht, ebenso wenig wie dieser Unborn und was der ihm einzureden versuchte. Er würde Jeremiel retten und davon würde nichts und niemand ihn abhalten. Noch einmal würde er garantiert nicht den Menschen verlieren, den er so sehr liebte. „Du kannst dir deine kleinen Psychospielchen sparen und von mir aus denken, was du willst. Das interessiert mich eh nicht die Bohne“, erklärte er und machte sich bereit zum Angriff. „Ich werde hier nicht ohne Jeremiel weggehen und ich werde jeden aus dem Weg räumen, der mich davon abhält!“ Damit griff er an und schlug unbarmherzig auf den Unborn ein. Dieser konnte zwar die ersten Schläge problemlos wegstecken, doch er erkannte schnell, dass es langsam ernst wurde. Egal wie oft er auch versuchte, selbst anzugreifen, Liam blockte jeden Schlag ab und warf sie auf ihn selbst zurück. Es war mit einem Mal ein ganz anderer Kampfstil als zuvor und er begriff auch nicht, was sich da plötzlich verändert hatte. Doch dann erkannte er so langsam, an wen dieser Kampfstil ihn erinnerte: Ahava. Ja, sie bewegten sich fast genau gleich und obwohl Liam nie wirklich mit seiner Schwester mithalten konnte, sah es jetzt tatsächlich danach aus, als würde er aufholen. Nein, er holte nicht auf. Er war dabei, sie zu übertreffen. Aber wie war das überhaupt möglich? Was hatte sich denn geändert, dass Liam mit einem Male so viel stärker geworden war und mit einem Male genauso kämpfte wie Ahava damals während des Krieges? Es ist der Wille, jemanden zu beschützen, den man mehr liebt als sein eigenes Leben. Ja… das hatte sich geändert. Liams Wille, Jeremiel zu retten und ihn mit seinem Leben zu beschützen, machte ihn genau zu dem, was Ahava verkörperte: die ungebrochene und bedingungslose Liebe zu jemandem. Er hatte seine eigene Finsternis überwunden und sein altes Ich vollständig abgelegt, weil das Leben eines anderen ihm wichtiger war als alles, was er besaß. Sein Leben, seine Macht… einfach alles… „Du verdammter…“, zischte der Unborn wutentbrannt und griff an. Es entstand ein heftiger Kampf und jeden Treffer steckte Liam ohne mit der Wimper zu zucken weg und attackierte unbarmherzig seinen Gegner. Und dann, als der Unborn ihm die Klinge erneut in die Brust stoßen wollte, duckte sich der Mafiaboss und rammte ihm sein Schwert in den Bauch. Er vollführte einen tiefen Schnitt und als sein Gegner durch den schweren Schlag wie betäubt war, schlug er ihm mit einem einzigen Hieb den Kopf ab. Das gab dem Unborn endgültig den Rest. Er erstarrte in der Bewegung und begann, sich langsam aufzulösen. Wie vertrocknetes Herbstlaub zerfiel er einfach und war gänzlich verschwunden. Schwer atmend blieb Liam stehen und steckte sein Schwert wieder ein. So langsam verstand er nun endlich, wieso es ihm niemals gelungen war, seine Schwester zu besiegen, egal wie sehr er sich auch immer angestrengt und wie hart er an seinen Fähigkeiten gearbeitet hatte. Eva hatte immer für ihn gekämpft und er… er hatte für sich selbst gekämpft. Darum war ihre Motivation, zu gewinnen, immer stärker gewesen als seine und deshalb hatte er immer verloren. Und nun hatte er es endlich geschafft. Er hatte diesen verdammten Unborn besiegt und konnte sich nun um Jeremiel kümmern. Dieser lag regungslos auf dem Boden und war immer noch nicht bei Bewusstsein. Nikolaj ging zu ihm hin und legte ihm eine Hand auf die Stirn. „Ich glaube, es wird Zeit, dass ich wieder zurückkehre.“ „Was?“ fragte Liam fast schon erschrocken, als er das hörte. Sofort eilte er zu ihm hin und ergriff seine andere Hand. „Du musst gehen? Wieso?“ „Na weil Jeremiel ohne mich nicht überleben kann. Er braucht mich.“ „Aber… ich habe dich schon einmal verloren. Ist das denn der einzige Weg?“ Nikolaj nickte und lächelte dennoch zuversichtlich. „Wenn ich es nicht tue, wird Jeremiel verschwinden und aufhören zu existieren. Deshalb kehre ich wieder zu ihm zurück. Aber mach dir keine Sorgen um mich. Jeremiel und ich, wir sind ein und dieselbe Person. Solange er bei dir bleibt, werde ich auch nicht von deiner Seite weichen. Liam, du hast ein wirklich großes Herz und du kannst stolz auf das sein, was du getan hast. Und ich bin froh, dass du es bist, in den ich mich verliebt habe.“ Damit küsste Nikolaj ihn, bevor er gänzlich verschwand. Er war einfach so wieder fort, nachdem sie sich nach 445 Jahren seit seinem tragischen Tod wiedergesehen hatten. Und für einen Moment spürte Liam den unbändigen Drang zu weinen. Aber auch nur für einen Moment, denn da vernahm er eine Stimmte… eine so vertraute Stimme, die er überall wiedererkannt hätte. „Liam?“ Zwei eisblaue Augen sahen ihn an und strahlten so hell, als würden sie leuchten. Und ehe er imstande war, etwas zu sagen oder überhaupt zu reagieren, da legten sich zwei Arme um ihn und er spürte diese warme und innige Umarmung, die er sofort erwiderte. Er war so unendlich erleichtert in diesem Moment, dass ihm die Tränen kamen. „Jeremiel… es tut mir so leid. Ich hätte mit dir nach England mitkommen sollen, dann wäre das alles nicht passiert. Ich hätte…“ doch bevor er weitersprechen konnte, unterbrach ihn der 26-jährige mit einem Kuss und lächelte überglücklich. „Mach dir keine Vorwürfe, ja? Niemand hätte ahnen können, dass so etwas passieren würde. Du bist doch gekommen und hast mich gerettet und allein das zählt.“ Sie lagen sich eine Weile in den Armen und waren noch nie so froh gewesen, sich wieder so nahe zu sein wie jetzt. Aber dann löste sich Jeremiel wieder von ihm und kam mit Liams Hilfe wieder auf die Beine. Er wandte sich Sam Leens zu, der das ganze aus der Distanz beobachtet hatte und der wie immer denselben ausdruckslosen Blick hatte. Der 26-jährige ging zu ihm hin. „Sam, ich möchte mich bei dir bedanken, dass du Liam geholfen hast. Und nun möchte ich mein Versprechen dir gegenüber einlösen.“ Damit reichte er ihm die Hand. „Du wirst endgültig zu einem Teil von mir und kannst dir damit deinen größten Wunsch erfüllen, selbst Gefühle empfinden zu können.“ Gerade wollte Sam ihm seine Hand geben, doch da ging Liam dazwischen, als er erkannte, was Jeremiel da vorhatte. „Warte! Wenn du das tust, nimmst du auch seine Erinnerungen an all die Morde an, die er begangen hat. Dein Leben wird sich für immer verändern, wenn du das tust. Du wirst dich verändern. Jeremiel, das ist es nicht wert. Es wäre besser, wenn er verschwindet und das weiß er mit Sicherheit auch.“ Doch er konnte ihn nicht davon abbringen, diesen Entschluss durchzuziehen. Jeremiel schüttelte den Kopf und erklärte „Sam hat mir geholfen, so lange durchzuhalten, bis ihr gekommen seid. Und auch wenn er viele schlimme Dinge getan hat, ist er trotzdem ein Teil von mir und er wird es auch immer bleiben. Egal was ich tue. Wir dürfen nicht vergessen, dass Sam genauso ein Opfer ist wie ich und er hat diese Morde begangen, weil er sich nicht anders zu helfen wusste. Er wollte doch auch nur ein normales Leben als normaler Mensch haben und genauso lachen und weinen können wie alle anderen. Er hat ein Recht darauf, genauso glücklich zu werden wie ich und es wäre nur ungerecht, wenn ich ihn von mir stoße und ihn verleugne. Sein Leben ist auch mein Leben. Und weil er nichts außer seinen Erinnerungen hat, werde ich mich auch nicht allzu sehr verändern. Dessen bin ich mir ganz sicher. Also lass mich das tun, Liam. Ich habe es ihm versprochen und ich will ihm eine Chance geben, weil ich ohne seine Hilfe jetzt nicht mehr leben würde.“ Liam sah ein, dass er gegen diese Argumentation nichts vorbringen konnte. Und Jeremiel war ohnehin ein absoluter Dickkopf, der sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Und auch sonst war er viel zu hartnäckig und willensstark, um sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Er glaubte an das, was er da tat und er war bereit, dafür alles in Kauf zu nehmen. Liam hatte es ja schon am eigenen Leib erfahren, wie entschlossen und hartnäckig Jeremiel sein konnte. Immerhin hatte dieser immer wieder die Nähe zu ihm gesucht, ganz egal wie oft er versucht hatte, ihn von sich zu stoßen aus Angst, er könne ihm wehtun. Also gab er es auf, Jeremiel davon abzuhalten und sah, wie er Sams Hand nahm und dieser sich langsam aufzulösen begann. Und damit verschwand auch diese beklemmende leere Welt um sie herum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)