Loving Heartbreaker von Vienne (Liebe ist nicht immer leicht) ================================================================================ Kapitel 3: Learning ------------------- Die Klimaanlage surrte über ihrem Kopf. Ein tiefer und langanhaltender Ton, der schon seit mindestens zehn Tagen allen im Café auf die Nerven ging. Natürlich hätte man sie einfach nur ausschalten brauchen. Dummerweise war es draußen jedoch viel zu heiß. Nach wochenlangem Regen hatte sich nun die Sonner hervor gekämpft und strahlte nun mit voller Wucht auf die Erde, so dass die Bewohner der Millionenmetropole Tokio unter der Hitze mittlerweile ächzten. Und es war erst Anfang Mai. Der Sommer stand noch bevor. Teilweise wünschten sie sich schon wieder Regen herbei. Usagi versuchte das Geräusch der Kühlung durch ein geräuschvolles Blubbern durch den Strohhalm zu übertönen. Sie hatte heute zwei Stunden eher Schulschluss gehabt, weil es eine Lehrerkonferenz gab. So hatte sie bedeutend mehr Zeit, um im Crown zu sein und ihren Gedanken nachzuhängen. Wenn sie alleine war, gelang ihr das immer am besten. Ihre Freundinnen waren alle noch in der Schule und hinterher sowieso bei ihren verschiedenen Klubs. Vor fünf würde sie keine von ihnen zu Gesicht bekommen. Jetzt war es kurz vor zwei. Sie dachte darüber nach, ihre Hausaufgaben zu beginnen. Mathe. Wie sie dieses Fach doch hasste. Sie hatte nicht einmal den leisesten Schimmer, wozu sie die ganzen Formeln und Unbekannten in ihrem späteren Leben noch gebrauchen könnte. Wenn sie ihrem Vater so bei der jährlichen Steuerrechnung zu sah, dann fiel ihr jedes Mal auf, dass sie dafür nur einen einfachen Dreisatz benötigen würde. Den beherrschte sie. Sie griff neben sich auf den Hocker und zog ihr Aufgabenbuch plus Stift und Taschenrechner aus der Schultasche. Mit einem lauten Seufzer schlug sie das Buch auf und suchte die markierten Aufgaben heraus. Sie hatte jetzt schon keine Ahnung, wie sie jemals die Lösung zu dieser mathematischen Katastrophe finden sollte. Versuchte jedoch trotzdem ihr Glück. “Hausaufgaben?” “Ja. Mathe.” “Und du erledigst die freiwillig?”, Motoki sah sie erstaunt an. “Ich hab ja gerade nichts zu tun. Also kann ich die auch machen. Oder besser gesagt versuchen.” ”Stimmt. Vielleicht kann ich dir ja später helfen.” “Das wäre toll.”, sie sah den Blonden hoffnungsvoll an und erwiderte sein Grinsen. “Es ist schön, dass du wieder lächeln kannst. Wie läuft es denn so zwischen euch?” Usagi wusste sofort, worauf ihr bester Freund anspielte. Schon seit gut drei Wochen herrschte eine Art Waffenstillstand zwischen ihr und Mamoru. Nach der kurzen Aussprache im Park nach ihrem Streit gingen sie netter miteinander um. Sie grüßten sich und machten Smalltalk. Ihr war klar, dass er das nur tat, um sie nicht weiter zu verletzen. Sie war froh drum. Und trotzdem war es komisch für sie. So gut es ging, versuchte sie ihre Gefühle für ihn nicht allzu sehr zur Schau zutragen. Versuchte ihr Herzklopfen zu unterdrücken und nicht zu dümmlich zu grinsen, wenn sie ihn sah. Er quittierte es immer mit seinem höflichen, charmanten Lächeln. Was ihr Herz nur noch mehr zum Schlagen brachte. Es war ein süßer Teufelskreis. “Usa?” “Ja?”, erschrocken sah sie zu Motoki auf. “Du hast gerade an ihn gedacht, oder?!” ”Ja. Also, ähm, es läuft ganz okay. Wir sind Freunde.” ”Du bist echt tapfer.” “Ich versuche es. Egal, lass uns das Thema wechseln. Wenn ich was anderes mache, muss ich vielleicht nicht zu viel an ihn denken. Also, kennst du dich damit aus?” Die Blondine schob dem jungen Mann ihr Aufgabenbuch über den Tresen und nahm noch einen großen Schluck von ihrem Schokoshake, bevor sie ihm in kurzen Worten die Aufgabenstellung erklärte. Das Fach Mathe war an sich schon eine Katastrophe für sie, doch Textaufgaben kamen einem persönlichen Weltuntergang gleich. Sie kapierte schlichtweg nicht, wieso sie mit einem X und einem Y rechnen sollte und vorallem wie. Man konnte doch nur mit Zahlen rechnen. Und definitiv nicht mit Buchstaben. Mathematik war alleine schon eine große Unbekannte für sie. Aber wenn dann auch noch Buchstaben dazu kamen, die Zahlen ersetzen sollten, wurde das ganz für sie einfach nur noch zu einem Mysterium. So gut es ging, versuchte sie Motoki in seinen Erklärungen zu folgen. Was sie bis zu einem gewissen Punkt auch noch schaffte. Doch dann begann selbst er sich in seinen Ausführungen zu verstricken. Als dann auch noch eine dritte Unbekannte dazu kam, gab sie ganz auf und ließ den Kopf auf den Tresen sinken. “Okay, ich geb es zu! Ich hab keine Ahnung, was die da von einem wollen.”, seufzte Motoki und schob ihr wieder das Buch zu. “Wenigstens hast du es versucht.” Sie erwiderte sein schiefes Grinsen. Sah ihm hinterher, als er zu einem Tisch ging, wo neue Gäste Platz genommen hatten. Missmutig schaute sie wieder auf ihre Aufgaben. Vielleicht sollte sie es einfach noch einmal probieren. Dann wäre ihre Lehrerin eventuell ja so gnädig und würde es einsehen, dass sie einfach kein Talent für sowas hatte. Immerhin hatte sie es ja versucht. Verzweifelt kaute sie an dem Bleistift rum. Radierte immer wieder die errechnete Lösung weg, um sie durch andere Zahlen, die der Taschenrechner ausspuckte, zu ersetzen. Sie fragte sich zum wiederholten Male, wieso bei nur einem Lösungsweg so verschiedene Werte raus kamen. Das ging doch eigentlich gar nicht. Vollkommen genervt schmiss sie den Bleistift hinter sich. “Autsch!” Erschrocken fuhr sie herum und sah in das breite Grinsen von Mamoru. Ihr Herz sackte wieder einmal in die Hose und die Röte schoss ihr ins Gesicht. “Das wievielte Mal schießt du mich jetzt mit irgendwelchen Gegenständen ab?”, der Schwarzhaarige kam zu ihr herüber und setzte sich neben sie. Gab ihr ihren Stift zurück. “Keine Ahnung. Hab beim zehnten Mal aufgehört mitzuzählen. Entschuldigung.” “Schon okay. Ist ja nichts passiert.” ”Hm.” Mamoru entging es nicht, dass Usagis Gemütszustand im Keller war. Da er seit einigen Wochen schon nicht mehr der Auslöser dafür war, zumindest nicht direkt, konnte nur was anderes dahinter stecken. Seine Augen wanderten zu dem Buch vor ihr. Ohne großes Zögern zog er es zu sich. Überflog es. “Rechnen mit zwei Unbekannten.” ”Ja.”, ihre Stimme klang gequält. “Wo ist das Problem?” “Ich versteh es einfach nicht. Ich meine, warum sind die Buchstaben unbekannt? Es ist ein X und ein Y und somit klar definierte Buchstaben.” “Aber sie stehen für eine Zahl. Oder besser gesagt für zwei.”, er musste lächeln bei ihrer teilweise doch recht logischen Ausführung. “Ja aber für welche denn?” ”Das ist das Unbekannte daran.” Die Blondine sah verwirrt zu ihm auf. “Pass auf, ich erklär es dir. Schau mal. Du hast dort das Y als Ergebnis und hier in dieser normalen Gleichung das X. Du versuchst jetzt erstmal das X zu errechnen, in dem du alle Zahlen auf die Seite von Y bringst. Immer umgekehrt von dem, wie es in der Gleichung steht.” ”Also statt minus nehm ich plus.” ”Genau. Probier mal.” Sie besah sich die Gleichung und machte es genau so, wie er es ihr wenige Sekunden zuvor erklärt hatte. Es klappte und scheinbar war es auch richtig, denn Mamoru lobte sie. Ihr Herz machte einen kleinen Freudensprung. “Super! So, und nun hast du einen Wert für das X.” ”Und den setz ich jetzt in die Gleichung ein, rechne es normal aus und hab Y.” ”Ja, genau.” “Echt jetzt?” “Ja.”, Mamoru lachte sie an, “Genau so. Also, was kommt raus?” ”Ähm, warte. Siebenundzwanzig.” Der Schwarzhaarige rechnete schnell selbst im Kopf nach und bestätigte ihr dann die Richtigkeit ihres Ergebnisses. Er sah, wie euphorisch sie war und ihm spontan um den Hals fiel. Für eine Millisekunde war er geschockt, bevor er sich entspannte und ihre Umarmung erwiderte. Sie quietschte ihm ins Ohr und ließ gleich wieder von ihm ab. Irgendwie ein wenig zu schnell für seinen Geschmack. Aber er schwieg. Beobachtete sie dabei, wie sie um den Tresen und zu Motoki lief und ihm stolz ihre gelöste Aufgabe präsentierte. Er freute sich mit ihr und gab ihr den Rat, auch noch alle anderen Aufgaben zu lösen, bevor sie den Lösungsansatz womöglich wieder vergaß. Sie nickte nur und hüpfte fröhlich an ihren Platz zurück. Vollkommen motiviert und hoch konzentriert widmete sie sich nun auch den anderen neun Aufgaben. Mamoru nahm einen Schluck von seinem Kaffee, den ihm Motoki zum zweiten Mal servierte. Usagi neben ihm war immer noch in ihre Aufgaben vertieft. Sie brauchte zwar wesentlich länger, dafür waren bisher aber auch alle richtig gelöst. Er sah, dass ihr Milchshake mittlerweile einfach nur noch flüssige, zimmerwarme Milch war. “Machst du ihr einen neuen?” ”Auf dich?” “Von mir aus.” Motoki grinste. Er sah es mit Wohlwollen, dass es Mamoru scheinbar schaffte, mit den von Usagi entgegen gebrachten Gefühlen umzugehen. Mittlerweile schien sich zwischen beiden doch noch eine Freundschaft zu entwickeln. Er schob Usagi den Shake vor die Nase und sie bedanke sich murmelnd. “Ich hab es noch nie erlebt, dass sie so konzentriert an etwas Schulischem sitzt.” “Sie brauchte wahrscheinlich nur einen, der es ihr mal richtig erklärt.” “Aber sie lernt doch meistens mit Ami und den anderen.” ”Glaubst du wirklich, dass sie dabei die nötige Ruhe hätte, um sich zu konzentrieren? Sie braucht das anscheinend. Ruhe und Zeit. Sie ist eben nicht so schnell wie die anderen.” ”Das hab ich gehört, Baka!” “Mach deine Aufgaben, Odango. Ich kontrollier die dann.” Sie kicherte nur und nahm einen Schluck von ihrem Getränk. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie Mamoru in seiner Schultasche kramte und ein Buch hervor holte. Sie sah kurz zu ihm. Ein Biobuch. Dazu ein Block und ein Stift. “Worum geht’s?” “Evolution. Ich muss ein Referat über die Entwicklung vom Australopithecus zum Homo rudolfensis halten.” “Steinzeitmenschen.” ”So ungefähr.” Beide saßen stillschweigend nebeneinander. Machten ihre jeweiligen Aufgaben. Motoki sah erst verwundert zu ihnen, dann musste er lächeln. Er musste sich eingestehen, dass er das Bild mit den beiden einfach nur toll fand. Es war Ruhe zwischen ihnen eingekehrt. Endlich. Einige Zeit war vergangen. Die restliche Clique rund um Usagi war im Crown aufgetaucht und zusammen mit der Blondine an ihrem Stammtisch verschwunden. Alle und vorallem Ami waren überrascht, dass ihre Freundin schon ihre Matheaufgaben fertig hatte. Sie waren sogar alle richtig. Und Usagi selbst mächtig stolz auf sich, dass sie die Fragen verstanden hatte. “Und Mamoru hat es dir nur einmal erklärt?” “Ja. Ganz langsam und in Ruhe.”, das Mädchen strahlte die Schwarzhaarige neben sich glückselig an und sah dann zu Ami, “Und die sind alle richtig?” “Ja, warum fragst du?” ”Mamoru wollte sie noch kontrollieren.” Usagi sah zum Tresen. Mamoru saß nicht mehr da. Verwirrt schaute sie zu ihren Freundinnen und dann zu Motoki. Er verstand sie auch so und kam zum Tisch: ”Er ist vor zirka zwanzig Minuten gegangen. Er hatte einen Anruf bekommen und sich verabschiedet. Sogar von dir.” ”Was? Nein!” ”Doch. Aber du warst so vertieft in euer Getratsche, dass du es gar nicht mitbekommen hast.” ”Ach wie blöd.”, sie seufzte und sah hinaus aus dem Fenster. Liebend gerne hätte sie sich nochmal richtig dafür bedankt. So musste sie bis morgen warten. Ihre Laune hatte mit einem Schlag Kellerniveau und ihr Gesicht spiegelte es wieder. Traurig schob sie ihren Shake von sich weg. Eigentlich hatte sie geglaubt, sie hätte sich und ihre Gefühle für ihn soweit im Griff. Und die letzten Tage und Wochen war das ja auch nicht das Problem gewesen. Aber die Nähe zu ihm vorhin, als er sich zu ihr beugte und ihr alles erklärte, ließ sie all ihre guten Vorsätze vergessen. Innerlich hatte sie ihn angeschmachtet wie ein Groupie. Es war ihr nur schwer möglich gewesen, sich nicht einfach an ihn ran zuschmiegen. Sie erinnerte sich nur allzu gut an seine Wärme und sein Deo. “Ich hätte wieder in Ohnmacht fallen sollen.” ”Was?” Erschrocken drehte sich Usagi vom Fenster weg. Sah zu Makoto, die sie fragend anschaute. Ihre blauen Augen huschten kurz zu den anderen. Ihre Blicke glichen dem von der Brünetten. “Ach nichts. Nur laut gedacht.” “Usa!” Die Genannte sah auf und zu Motoki, der ihr mit einem Kopfnicken bedeutete zu folgen. Mehr als nur gerne kam sie seiner Aufforderung nach. So musste sie sich wenigstens nicht den weiteren Fragen ihrer Freundinnen aussetzen. Mit schnellen Schritten war sie bei ihrem besten Freund am Tresen, der ihr sofort ein Buch in die Hand drückte. “Hier.” ”Was soll ich mit einem Biobuch für die Abschlussklasse?” ”Willst du Mamoru heute nochmal sehen?”, er sah sie grinsend an. Es dauerte einige Zeit bis sie es verstanden hatte und dann lachend nickte. Schnell lief sie zum Tisch ihrer Freundinnen und schnappte sich ihre Schultasche. “Wo willst du hin?”, Minako sah sie an. “Ähm, also Mamoru hat sein Buch liegen lassen. Und er muss bald ein Referat über Steinzeitmenschen halten. Deswegen bringe ich es ihm schnell noch vorbei.” Die Mädchen grinsten sich nur gegenseitig an und verabschiedeten dann ihre Freundin, die auch schon auf und davon war. Sie machte nur noch einen kurzen Zwischenstopp bei Motoki und ließ sich von ihm die Adresse geben. Er sah ihr nur lächelnd hinterher. Sie bekam es nicht mehr mit. Die Haltestelle vom Bus lag schräg gegenüber von seinem Wohnblock. Usagi war mit jedem Meter nervöser geworden. Sie kramte nach dem Zettel in ihrer Rocktasche. Laß nochmal nach, bei welcher Wohnungsnummer sie klingeln musste. Motoki war sich nicht sicher gewesen, ob Mamoru nicht doch seinen Namen am Klingelschild stehen hatte. Wenn nicht das, dann brauchte sie die Nummer der Wohnung. “Sechshunderteinundzwanzig.”, laß sie sich selbst vor, während sie über die Straße ging. Sie brauchte einige Sekunden bis sie das passende Schild gefunden. Es stand nicht nur die Nummer sondern auch sein Name drauf. Das war irgendwie so typisch für ihn. Genau so hatte sie das auch erwartet. Usagi atmete tief ein und wieder aus und drückte dann mit zitterndem Finger den Klingelknopf. Ein Surren ertönte und dann hörte sie auch schon seine Stimme. Kurz verschlug es ihr die Sprache. Doch als er ein weiteres mal fragte, wer da sei, nannte sie ihren Namen und den Grund ihres Besuchs. Fast schon sofort sprang die Haustüre auf, sie bedankte sich rasch und ging hinein. Das Foyer war wenig einladend. Der graue Linoliumboden versprühte einen unangenehmen Geruch nach Reinigungsmitteln. Die Briefkästen glänzten sauber. Doch selbst eine kleine Gruppe von Grünpflanzen konnte den sterilen Charakter des Eingangsbereiches nicht mehr retten. Es quietschte unter ihren Sohlen, als sie zum Aufzug ging. Er war schon da und die Tür öffnete sich. Es überraschte sie nicht, dass es darin genauso roch wie im bisherigen Bereich des Hauses. Scheinbar war die Putzkolonne des Hauses immer sehr gründlich. Neben ihr hing ein Spiegel. Es waren keine Spritzer oder Abdrücke zu sehen. Genauso wenig wie auf der Messingstange darunter. Usagi wollte sie gerade anfassen und sich mit ihren vor Nervosität feucht gewordenen Händen darauf verewigen, als die Türe wieder aufging. Als hätte sie sich verbrannt, zog sie die Hand augenblicklich zurück. Sie würde es später noch einmal versuchen. Sie trat aus dem Aufzug und sah sich suchend nach der passenden Türe um. “Hier hinten!” Ihr Herz schlug mit einem Schlag schneller und ihre Augen wanderten den Flur entlang. Mamoru stand an den Türrahmen gelehnt und lächelte sie an. Es wurde noch breiter, als sie auf ihn zu kam. Vielleicht ein bisschen zu hektisch und sie musste den Drang unterdrücken, ihn einfach zu umarmen, weil sie sich so über das Wiedersehen freute. “Welch unverhofftes Wiedersehen. Komm rein!”, Mamoru trat einen Schritt zur Seite und ließ sie vorbei. Es hatte ihn schon ein wenig geärgert, dass sie nicht bekommen hatte, wie er sich von ihr verabschiedet hatte. Aber das war nun mal sie. Wenn sie in eine Diskussion mit ihren Freundinnen vertieft war, dann bekam sie nichts mehr um sich herum mit. Er sah ihr dabei zu, wie sie sich die Schuhe abstreifte. Ordentlich stellte sie es neben ein anderes Paar Schuhe und stutzte. Sah zu ihm auf: ”Komm ich ungelegen?” Ihm entging der leicht traurige Unterton in ihrer Stimme keinesfalls. Und er wusste, dass sie gleich noch trauriger bei seiner Antwort werden würde. “Saori ist da.” ”Oh, dann hier.”, sie holte das Buch aus der Tasche und hielt es ihm hin. “Usagi, wir lernen nur. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich eine Pause gut gebrauchen.” Das Mädchen konnte gar nicht so schnell reagieren, wie er sie schon bei der Hand genommen und ins Wohnzimmer gezogen hatte. Mit schnellen Worten erklärte er Saori die Situation und zog dann Usagi weiter in die Küche. Schloss die Türe hinter sich. Verwirrt sah sie ihn an: ”Äh, was war das gerade?” ”Was meinst du?” ”Warum hast du mich in deine Küche gezogen?” “Oh, ich dachte mir, dass es dir vielleicht unangenehm ist, wenn du mit Saori alleine bist.” Die Blondine wurde rot bei seinen Worten. Seit wann war er so zuvorkommend? Ihr machte es fast schon Angst. Still beobachtete sie den Schwarzhaarigen dabei, wie er Wasser für Tee aufsetzte und in einem Schrank kramte. Dabei führte er Selbstgespräche und brachte sie so zum Kichern. Er drehte sich nur wenige Sekunden später zu ihr um und grinste triumphierend und mit in die Luft gestrecktem Arm. Neugierig ging sie zu ihm und nahm ihm die Kekse ab. Verteilte sie auf einem bereitstehendem Teller. Mamoru sah zu ihr. Sie schien etwas nervös zu sein. Unsicherheit lag in ihrem Blick. Ihre Finger nestelten am Bund ihrer Ärmel rum. Er goss den Tee auf und kam zu ihr rüber. “Nimmst du die Kekse.” ”Ja.”, ihre Stimme war leise. Sie folgte ihm ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Usagi wollte sich nur ungern in die Nähe von Saori setzte. Ihre Blicke reichten ihr auch so. Es lag Hochmut und Arroganz darin. Und noch etwas anderes, was das Mädchen nicht deuten konnte. Vorsichtig nippte sie an ihrem Tee. Sie wollte nur so schnell wie möglich fertig werden, um von hier und vor allem um von Saori wegzukommen. Die ganze Situation hier war absurd. Sowohl diese ihr suspekte Brünette als auch Mamoru wussten von ihren Gefühlen für ihn. Und nun saßen sie hier zu dritt zusammen und spielten Friede-Freude-Eierkuchen. “Mamoru hat erzählt, dass er dir heute Mathe erklärt hat.” Usagi sah erschrocken auf. Oh nein! Jetzt redete Saori auch noch mit ihr. Die Blondine versuchte ihr nettestes Lächeln aufzusetzen und nickte: ”Ja. Irgendwie hat der Lehrer das nicht so gut erklären können.” “Hm, dabei ist Rechnen mit zwei Unbekannten ja nun nicht so schwer.” “Stimmt. Wenn man es versteht.” Mamoru entging der bissige Tonfall in Usagis Stimme nicht. “Hast du noch andere Aufgaben, wo du Hilfe brauchst?”, versuchte er die Stimmung zu entspannen. “Englisch. Verben in der richtigen Zeitform in einen Text einfügen.” ”Magst du die Aufgaben gleich jetzt machen? Dann kann ich dir zur Not helfen.” Ohne groß darüber nachzudenken, nickte sie und angelte nach ihrer Schultasche neben sich, um die Aufgaben hervor zu holen. Er setzte sich neben sie und laß sich die Aufgabenstellung durch. Das Mädchen beobachtete ihn aus dem Augenwinkel heraus und spürte selbst den brennenden Blick Saoris auf sich. So gut sie konnte, ignorierte sie es und konzentrierte sich auf Mamorus Sätze. Er drückte ihr ein Grammatikbuch in die Hand und erklärte ihr, dass sie es erstmal damit versuchen sollte zu lösen. Wenn sie nicht weiterkam, würde er ihr helfen. Wieder nickte sie und begann mit dem Einsetzen der Verben. Die Sonne stand schon tief und tauchte Mamorus Wohnzimmer in orangefarbenes Licht. Der Tee in den Tassen war längst ausgetrunken. Der Keksteller war leer. Nur noch einige Krümel lagen drauf. Zwischen dem Geschirr stapelten sich Bücher und Papier. Ein Kuli lag einsam unter dem niedrigen Sofatisch. Mamoru schrieb die letzten Stichpunkte für sein Referat auf. Er war fertig geworden und recht zufrieden mit sich. Alles was sein Lehrer als Vorgabe gegeben hatte, hatte er mit reingenommen. Plus ein paar zusätzliche Informationen, die ihm eine Bestnote garantieren würden. Die nächsten Tage würde er alles nochmal am Laptop als Präsentation ausarbeiten. Eine Kleinigkeit für ihn. Saori saß neben ihm und kämpfte sich durch diverse Chemieaufgaben. Dieses Fach war noch nie ihre Stärke gewesen. Doch sie wollte Medizin studieren und das an der Tôdai. Also musste sie sich reinhängen, um so gut wie möglich bei den Einstufungstests abzuschneiden. Die Plätze für das Medizinstudium waren begrenzt. Mamoru würde ohne Schwierigkeiten einen Platz ergattern. Sie musste sich mehr anstrengen. Weswegen sie nun auch mit dem Schwarzhaarigen lernte. Die Brünette hatte ihn zu Schuljahresbeginn im Uni-Vorbereitungskurs kennen gelernt. Er war ihr sofort ins Auge gestochen. Kultiviert und zuvorkommend. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie den Mut aufgebracht hatte, ihn überhaupt anzusprechen. Dafür waren sie umso schneller ins Gespräch gekommen. Hatten gemeinsame Interessen gefunden und waren seitdem auch ab und an mal zusammen ausgegangen. Meistens ins Kino. Er war immer nett zu ihr. Und Saori musste sich schnell eingestehen, dass sie sich in ihn verguckt hatte. Aber bisher hatte sie noch nichts von solchen Gefühlen seinerseits für sie entdecken können. Leider. Stattdessen musste sie sich nun mit einer Rivalin rumschlagen. Wobei sie sich sicher war, dass diese Blondine ihr ohnehin nicht das Wasser reichen konnte. So wie sie das Mädchen einschätzte, war sie nicht sehr gebildet. Und dennoch verbrachte Mamoru viel Zeit mit ihr und ihren Freundinnen in dieser Spielhalle. Saori konnte dem Crown nicht viel abgewinnen. Auch wenn dort Mamorus bester Freund arbeitete, fand sie es einfach nur unter ihrer Würde. Und dieser Motoki schien auch keine ernsthafte Karriere anzustreben, wenn er tagein, tagaus nur dort kellnerte. Seinem Vater gehörte wohl der Komplex. Aber man konnte ja trotzallem mehr aus sich machen, als sowas eines Tage zu übernehmen. “Mondpudding.” Verwirrt sahen Mamoru und Saori zu Usagi, die auf dem Sofa saß. Oder mittlerweile eher lag. Ihr Kopf war auf die Armlehne gesunken und das Englischbuch auf ihrem Bauch hob und senkte sich in den Abständen ihrer Atemzüge. “Ist die eingeschlafen?”, Saori klang hörbar entrüstet. “Ja.” ”Warum?” ”Lernen ist nicht so ihre Stärke. Beziehungsweise alles was mit Konzentration einher geht. Und für heute hat sie ihr Pensum schon wirklich überstrapaziert.”, grinste Mamoru. Er stand auf und ging um den Tisch herum zu dem schlafenden Mädchen. Er musste sich eingestehen, dass sie recht niedlich aussah dabei. Vorsichtig stupste er sie an. “Hey, aufwachen.” Sie reagierte nicht. Mamoru wusste, dass, wenn sie einmal schlief, auch nicht mehr so schnell aufwachen würde. Er wandte sich ab und begann damit, seine Notizen zusammen zulegen. Er merkte, wie Saori ihn leicht fassungslos anstarrte. “Was ist denn?”, er verräumte alles auf seinem Schreibtisch . “Willst du sie da jetzt liegen lassen?” “Sicher. Stört doch nicht weiter. Außerdem sind wir ja eh fertig hier.” ”Und was ist mit Kino?” ”Kino?” “Wir wollten heute noch ins Kino.” “Muss wohl ausfallen. Sorry.” “Ist das dein Ernst?”, abrupt war sie aufgestanden. “Klar. Wo ist das Problem? Wir sind ja nicht zusammen.” Dieser Satz versetzte Saori einen eiskalten Stich ins Herz. Natürlich hatte er Recht damit, aber trotzdem hoffte sie immer noch. Wütend schnappte sie sich ihre Unterlagen und stopfte alles in ihre Schultasche. Sie warf der schlafenden Usagi einen verächtlichen Blick zu. Das würde das kleine Biest ihr büßen. Egal wie gut sie mit dem Schwarzhaarigen befreundet war. Der gehörte ihr! Komme was wolle. Mit hocherhobenem Haupt ging sie in den Flur, zog ihre Schuhe an. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr folgte. Was sie nur noch wütender machte. Sie riss die Türe auf und ließ laut ins Schloss knallen. Mamoru zuckte dabei zusammen und fluchte lauthals. “Hm?” Er fuhr herum. Usagi rieb sich verschlafen über die Augen. Ihre Haarknoten hatten sich fast vollständig gelöst und dicke Strähnen standen ihr teilweise wirr vom Kopf ab. Sie sah sich um und musste sich ein wenig sammeln, um zu erkennen wo sie war. Ihre Augen suchten den Raum ab und blieben an Mamoru hängen, der wie vom Donner gerührt wenige Meter von ihr entfernt stand und sie einfach nur ansah. Dem Mädchen wurde klar, dass sie wohl nicht gerade gut aussah. Was war sie hier auch einfach auf seinem Sofa eingeschlafen? Als hätte sie sich in den letzten Wochen nicht schon genug zum Ei gemacht, toppte das hier einfach alles. Sie war einfach peinlich. Langsam schwang sie die Beine über die Sofakante und stand auf. Zupfte an ihrer Uniform rum, bis sie wieder halbwegs richtig saß. “Entschuldige.” ”Was?”, Mamoru sah sie verwirrt an. “Es gehört sich nicht, einfach so auf einem fremden Sofa einzuschlafen.”, sie löste ihre Haare nun gänzlich. Schwer fiel es ihr über die Schultern. Und für den Oberstufenschüler blieb die Zeit in diesem Moment stehen. Sie sah ganz anders aus. Edler. Damenhafter. Nicht mehr wie eine Mittelstufenschülerin von fünfzehn Jahren. Ohne das er was dagegen unternehmen konnte, ging er auf sie zu. Seine Hände entwickelten ein Eigenleben und angelten nach einer der goldblonden Strähnen. Vorsichtig ließ er es zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. Ließ es dabei nicht aus den Augen. Usagi musste ein Zittern unterdrücken. Noch nie zuvor hatte jemand sie so ehrfurchtsvoll behandelt. Sie beobachtete ihn dabei, wie er ganz fasziniert auf ihr Haar sah. Es sanft berührte. Ihr Atem ging stoßweise. Waren sie sich heute schon nah gewesen, so war diese jetzige Situation eine vollkommen andere. Sie waren ganz alleine. Nur zu zweit. In seiner Wohnung. Niemand der sie stören konnte, bei dem was immer jetzt auch geschehen würde. Niemand. “Wo ist eigentlich Saori?” Kaum hatten diese Worte ihren Mund verlassen, hätte sich Usagi selbst ohrfeigen können. Es war so typisch für sie, solche Momente kaputt zu machen. Selbst wenn es um ihr eigenes Glück ging. Sie sah, wie er abrupt ihre Strähne losließ und sie ansah. Der verträumte Ausdruck war aus seinen Augen verschwunden und der Realist in ihm hatte wieder die Oberhand. “Oh, sie ist gegangen. Wir waren fertig mit dem Lernen und sie wollte noch ins Kino.” “Ach so. Ähm, darf ich kurz dein Bad benutzen?” “Ja. Gleich die Tür gegenüber der Garderobe.” Die Blondine nickte nur und verschwand aus dem Wohnzimmer. Mamoru sah ihr nach. Was war eben bloß mit ihm los gewesen? Als sie ihre Haare geöffnete hatte, war es ihm, als hätte ein unsichtbarer Zauber von ihm Besitz ergriffen. Ihn gefangen genommen. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte gesagt, er wäre willenlos gewesen. Was an sich natürlich vollkommener Quatsch war. Seufzend fuhr er sich durch sein rabenschwarzes Haar. Seit ihrem Waffenstillstand war die Stimmung zwischen ihnen irgendwie anders. Besonders. Er konnte nicht sagen, woran es lag. “Mamoru?” “Ja?”, er drehte sich um und sah sie im Flur stehen. “Ich muss jetzt nach Hause. Danke, dass du mir mit den Hausaufgaben geholfen hast. Und auch danke für den Tee.”, sie schlüpfte in ihre Schuhe und nahm von ihm die wieder gepackte Tasche entgegen. “Keine Ursache. Und das meiste bei deinen Hausaufgaben hast du ja selbst geschafft.” Sie nickte lächelnd und öffnete die Tür. Ihr Herz schlug mal wieder viel zu schnell und ihre Beine waren schon wieder weich wie Pudding. Ihre Augen trafen seine. Sie versank in diesem endlosen Ozean. Warum musste sie sich auch ausgerechnet in ihn verlieben? Mamoru sah ihren Blick. Ihm war klar, was darin lag. Er fühlte sich einerseits unwohl, andererseits geschmeichelt. Und doch wusste er selbst nicht, wie er seine Gefühle einordnen sollte. Er mochte das Mädchen vor sich. Er genoss es, dass sie sich jetzt halbwegs gut verstanden. Und doch versetzte es ihm einen kleinen Stich ins Herz, wenn er daran dachte, dass er sie doch verletzte, weil er nicht das gleich für sie empfand. Er sah, wie sie von einem Bein aufs andere trat. Sie war sichtlich nervös. “Usagi?” ”Ja!”, sie klang ein wenig zu aufgeregt. Es war ihr klar und augenblicklich legte sich ein Rotschimmer auf ihre Wangen. Es ließ Mamoru grinsen. “Wenn du magst, kann ich dir ja öfters bei deinen Hausaufgaben helfen. Kontrollieren und so.” ”Das wäre nett. Ami kann das einfach nicht so verständlich erklären.” “Sie ist eben auch ein sehr rationaler Mensch. So wie ich.” “Ja, wie du.”, Usagis Stimme war leise. Sie wandte sich ab und öffnete die Tür, trat in den Flur hinaus. Er kam ihr ein Stück weit nach. Blieb aber auf der Schwelle seiner Wohnungstüre stehen. “Es wird sich nie was zwischen uns ändern, oder?” Usagi hatte der Deckenbeleuchtung ihren Blick gewidmet. Sie konnte ihn bei dieser Frage nicht ansehen. Aber sie brauchte Klarheit. “Wir werden immer nur Freunde sein.” “Wäre es sehr schlimm?”, seine Stimme klang ein wenig betrübt. “Weiß ich nicht. Ich bin halt nur ein sehr emotionaler Mensch und du nicht. Ich weiß nichts von dir. Außer das du mich nicht hasst. Aber ich würde dich, um ehrlich zu sein, besser kennen lernen wollen.” “Erstens mal hasse ich dich nicht. Und zweitens, bittest du mich gerade um eine Verabredung?” “Nein!”, sie schüttelte heftig den Kopf, “Keine Verabredung. Nur ein unverbindliches, besseres Kennenlernen.” ”Usagi, dass ist eine Verabredung, wovon du gerade sprichst.” “Nein, so was meine ich...” “Okay. Ich bin dabei!” “Was?”, verwirrt sah sie zu ihm. “Okay. Ich bin dabei!”, wiederholter er seine Worte, “Morgen ist Samstag. Wenn du noch nichts vorhast, hol ich dich morgen um halb elf ab und wir unternehmen was. Spezielle Wünsche?” “Äh, bummeln?”, was besseres fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. “Super. Dann sehen wir uns morgen.”, er grinste sie breit an. Usagi konnte nur noch nicken und winkte ihm fast schon mechanisch hinterher, als er das gleiche tat und dann seine Türe schloss. Ihre Kopf war wie leer gefegt. Langsam ging sie zum Aufzug, stieg ein. Sie musste, wenn sie zuhause war, ganz dringend mit ihren Freundinnen telefonieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)