Heldensagen von NejiTen-Schreiber (Heldenlied-Sidestories [II - Hinata]) ================================================================================ I ~ The Avenger: Let winterlight come ------------------------------------- Kiba war sich sicher, dass er hier sterben würde, umgeben von Eis und Schnee und kaltem, harten Stein. Der weite Himmel über ihm war stahlgrau und sein Körper angenehm taub. Nach den Schmerzen der letzten Tage war das ein gutes Gefühl, auch wenn er wusste, dass es ein schlechtes Zeichen war. Aber in seinem Kopf war es ebenfalls still; er fühlte sich friedlich, losgelöst und benebelt gleichzeitig. Auch das war eine Erleichterung nach all dem Zorn und dem Hass und der ständigen Wachsamkeit der letzten Jahre. Eigentlich, überlegte er träge, war dies keine so schlechte Art zu sterben. Schmerzfrei und seltsam warm und ruhig im Schnee. Es gab schlimmere Wege als das. Es interessierte ihn nicht einmal, dass er sein Ziel nicht erreicht hatte. Anko von Mitarashi, diese von allen Göttern verfluchte Hure, die Kriegsherrin des Lichlords und Kibas verhassteste Feindin, lebte noch. Er hatte gesehen, wie sie unter seinem Pfeil zusammengebrochen war, aber er wusste, dass er sie nicht tödlich verletzt hatte. Und jemand wie sie hatte ein ganzes Heer von gut ausgebildeten Heilmagiern, die sie versorgen konnten. Sie würde an seinem Pfeil nicht sterben. Kiba hatte versagt. Er hatte seine Chance vertan und jetzt starb er hier im Schnee und wartete auf den Tod, während seine verhasste Feindin in ihrer Burg ruhte und heilte und danach damit weitermachen würde, wobei er sie unterbrochen hatte. Nichts würde mehr an ihn erinnern außer Narben auf ihrem Körper. Er wünschte, es würde mehr von ihm blieben als das. Ein paar Erinnerungen. Lieder vielleicht über seine Jagd nach Rache. Aber niemand sang über missglückte Wagnisse und es war niemand mehr da, der sich an ihn erinnern konnte und diese Erinnerung am Leben erhalten würde. Sein Seelengold, das kleine, runde Amulett, wog schwer auf seiner Brust unter dem Gewicht vertaner Chancen und nicht gerächter Kameraden. Wenigstens war ihm nicht mehr kalt. Die letzten Tage, während er auf den Beinen und auf der Flucht gewesen war, hatten seine Glieder vor Kälte gebrannt, die langsam in seinen Körper gesickert war und sich in seinen Knochen festgesetzt hatte. Aber jetzt, hier im Schnee, fühlte er sich warm und geborgen und wusste mit der erfahrenen Klarheit einer Person, die in der Wildnis aufgewachsen war, dass dies eine tödliche Illusion war. Aber der Blutverlust und seine Verfolger würden ihm sowieso kein Überleben ermöglichen und dies hier war viel angenehmer. Er machte sich nichts vor, hier war das Ende seines Weges. Er war endlich angekommen. Endlich konnte er aufhören mit dem Rennen und Hetzen und der Jagd. Akamaru würde auch gut ohne ihn gut zurechtkommen, vielleicht ein Weibchen suchen, das seiner Großartigkeit gerecht wurde, und eine Familie gründen. Er hatte es verdient. Der kluge Hund hatte Kiba nie so gebraucht wie dieser ihn, also war das nur passend. Und die Karnoni – nun, die Karnoni waren anders als Menschen, für sie bedeuteten Erinnerung und Tod andere Dinge als für die zerbrechlichen Kurzlebigen. Das war eine der ersten unter all den brutalen Lektionen gewesen, die sein Vater ihm eingebläut hatte. Vielleicht hatten sie ihn längst vergessen, ihn, den Sterblichen, der für ein paar vergängliche Jahre in ihrer Mitte gelebt und von ihnen gelernt hatte. Doch was für ihn so lange erschien, konnte für sie nur ein Wimpernschlag gewesen sein, nur ein Augenblick in ihrem langen, langen Leben. Kiba lachte, rau und bitter. Außer einem Hund befand sich in dieser Welt niemand mehr, der sich an ihn erinnern würde. Und er selbst war der Einzige, der sich an seine eigene Familie erinnerte, an seinen Stamm und sein Volk und alles, was sie ausmachte, der Letzte der Inuzuka. Und die Inuzuka waren eine eng verknüpfte Gemeinschaft gewesen, die ihre Stärke aus der Einigkeit gezogen hatte, die die Erinnerungen an ihre Ahnen mündlich weitergegeben hatten an langen Winterabenden und in lauen Sommernächten. So waren sie alle lebendig geblieben, diese schon lange toten Mitglieder seines Volkes. Dieser Gedanke brachte ihn noch mehr zum Lachen, ein hohes, hässliches Geräusch, in dem die Hysterie saß wie ein lauerndes Tier. Es klang störend und barbarisch in der winterlichen Stille, die ihn eben noch umgeben hatte, und schmerzte in seiner Brust und seinem Hals und seiner Seite, wo diese letzte Klinge ihn getroffen hatte. Er bemühte sich, das wilde Kichern unter Kontrolle zu bekommen, das so plötzlich aus ihm herausgebrochen war, damit es erneut still und ruhig wurde und die quälenden Schmerzen wieder aufhörten. Trotzdem schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis es schließlich verendete und starb. Dessen ungeachtet klang es in seinen Ohren nach wie der Schrei eines gewaltsam Sterbenden. Doch die Stille kehrte nicht zurück, nicht wie vorher, und der Schmerz blieb und sein Gesicht fühlte sich eiskalt an. Als er seine unverletzte Hand hob, um es abzutasten, bemerkte er, dass es mit einer dünnen Schicht Eis überzogen war und seine Wimpern mit gefrorenen Tränen verklebt. Und es gab hier noch nicht einmal etwas, worüber es sich zu heulen lohnte! Noch war niemand tot und niemand würde um ihn weinen. Plötzlich wurde sein Blickfeld ausgefüllt von einem haarigen Gesicht. Braune, scharfe Augen blickten auf ihn herunter und ein großes Maul mit zahlreichen spitzen, scharfen Zähnen öffnete sich direkt vor ihm. Heißer, stinkender Atem schlug ihm entgegen und Akamaru winselte. Kiba schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Am liebsten hätte er die Hand gehoben und dem gigantischen Hund den Kopf getätschelt oder ihn hinter den Ohren gekrault, so wie dieser es liebte. Doch dazu war er zu erschöpft und sowieso konnte er nicht wissen, was er tat, da er inzwischen kaum noch etwas in den Händen fühlte. Er schien mit jedem Augenblick mehr zu erfrieren. Akamaru würde es ihm sicher nicht danken, wenn er ihm weh tat, so unabsichtlich es auch war, also lächelte er nur, ohne die Zähne zu entblößen, und sagte: „Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht’s gut. Es ist fast vorbei.“ Der Hund winselte erneut und legte fragend den Kopf schief. Über ihre Seelenverbindung konnte Kiba seine Verwirrung spüren und dass es ihm trotz der zahlreichen kleinen Wunden, die er im Kampf davongetragen hatte, gut ging. Nichts, was der Hund nicht mit Leichtigkeit abschütteln konnte. Gut – Kiba hätte es sich nie verziehen, wenn seinem treuen Gefährten etwas zugestoßen wäre, weil Kiba ein dummer Narr gewesen war, der sich mit Feinden angelegt hatte, die eine Nummer zu groß gewesen waren für einen dummen, racheblinden Jungen und seinen Hund. Akamaru bellte laut und stieß in mit dem Kopf an, eine Aufforderung, endlich aufzustehen. Erst einmal, dann erneut und erneut, so dass Kiba schließlich versuchte, ihn wegzuschieben, trotz seiner Müdigkeit. Aber der Hund gab nicht auf, zornig auf seinen zweibeinigen Partner, dass dieser einfach im Schnee liegen blieb. Kein vernünftiger Hund würde das tun. „Lass das, mein Freund.“, wies Kiba ihn an. „Das war’s. Hier endet es, weniger glorreich, als ich mir das vorgestellt habe. Ich wünschte nur, ich hätte diese Hure mitnehmen können.“ Der Gedanke an Anko ließ seinen Hass wieder aufflammen, wie am ersten Tag, frisch und rein und stark und oh, so kalt. Viel kälter als aller Schnee um ihn herum. Er war wie Eis, das sich durch seine Adern fraß, wie von Frost überzogener Stahl, der ihn hart und kalt machte und stark. „Töte sie für mich, wenn du die Gelegenheit bekommst, ja?“ Akamaru knurrte, tief aus der Kehle. Steh auf, sollte das bedeuten, und töte sie selbst. „Das geht nicht, alter Freund. Ich bin… ich bin so müde.“ Es war nicht nur der Blutverlust. Es waren auch die letzten Jahre, die so vieles und alles und dann noch einmal mehr von ihm gefordert und abverlangt hatten, einen Preis, den er gezahlt hatte, mit Schweiß und Blut und Tod. Wie sollte er jetzt noch einmal die Kraft finden, aufzustehen und weiterzumachen? Es würde nicht enden, nicht einmal, wenn er Anko tötete. Er fühlte sich erschöpft wie ein alter Mann, tief in den Knochen. Egal, wie lange er ruhte, sie würde nicht schwinden. Einfach die Augen zu schließen und ewig zu schlafen klang gut in seinen Ohren. Verlockend. Die Ränder seines Blickfeldes wurden dunkler und schwarz und sein Geist glitt in die offenen, barmherzigen Arme der Bewusstlosigkeit, die mit dem Tod schäkerte. Doch nicht einmal diese Gnade war ihm vergönnt, als ein plötzlicher Schock wie ein Blitz durch seinen Körper schoss und jeden Nerv zum Leben erweckte. Er bäumte sich auf; es war mehr, als er ertragen konnte. Mehr als die Summe der Wunden, die Ankos Männer ihm zugefügt hatten. Jäh war der Schmerz wieder da; jede einzelne Blessur, jeden Schnitt, jeden einzelnen Kratzer konnte er spüren, von der tiefen Wunde in seiner Seite, die ihn sein Leben kosten würde, über die Beule, die er sich zugezogen hatte, als er mit dem Kopf voran einen Abhang hinunter geschlittert war, bis hin zu den zahlreichen Kratzern und Schrammen, die er sich während seiner wilden Flucht zugezogen hatte. Qual schlug wie eine Welle über ihm zusammen, so dass er beinahe darin zu ertrinken drohte, als sein Körper die Kälte registrierte, die in seiner Haut brannte. Es war, als stünde er in Flammen. Vage nahm er am Rande seines Bewusstseins Akamarus dumpfes Grollen wahr und die Kraft, die der Hund ihm über ihre Verbindung zukommen ließ. Er wollte das Tier wegstoßen, aber er wand sich nur vor Schmerzen im Schnee. „Lass das.“, wollte er sagen und sterben, doch stattdessen drang nur ein gepeinigtes Schluchzen über seine Lippen und Anko trat in seine Gedanken. Wie würde sie lachen, wenn sie ihn so sehen würde! Warum konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?! Hier und jetzt, am Ende?! Warum durfte er nicht in Frieden sterben, ohne an diese verdammte Hure denken zu müssen, die in den letzten Jahren seine Gedanken und sein gesamtes Leben beherrscht hatte?! Die plötzliche Wut überraschte ihn – schlagartig war sie da, heftiger und stärker noch als vorher und sie schien ihn bei lebendigem Leibe aufzufressen wie ein Wolf. Als wolle sie ihm zeigen, dass da noch mehr in ihm war, als selbst er gewusst hatte. Er war am Ende seiner Kräfte und doch noch zu einem solch alles verzehrenden, heißen Zorn fähig. Sein Hass mochte kalt und berechnend sein, doch Kiba selbst war heißblütig und seine Wut brannte wie ein Inferno. Sie wärmte ihn von innen auf, genug, um die Kälte noch stärker in den Gliedern zu spüren und Akamarus Fell unter seinen Fingern. Oder vielleicht war es auch nur Akamarus Stärke, die durch Kibas Adern sang und seine Herzen wieder schneller schlagen ließ. Es tat weh. Es schmerzte so sehr, dass Kiba schrie und seine Stimme durch die winterliche Stille schnitt wie ein scharfes Messer. Seine Finger krallten sich in Akamarus Fell und rissen dran, doch der Hund behielt einfach nur das stetige, beruhigende Grollen aufrecht und mit ihm den Kraftstrom, der Kibas Lebensgeister wieder erweckte. Erst, als die heiseren Schreie des Jägers in unkontrolliertes Schluchzen überging, hörte er auf damit und wich zwei Schritte zurück. Kibas Hand glitt aus seinem Fell und der Inuzuka sackte in den Schnee zurück. Er war noch immer geschwächt und verletzt, alles tat ihm weh und sein Körper zuckte und zitterte wie unter Fieber, doch der Tod war nicht mehr so nah – und auch nicht mehr willkommen. Schwach tätschelte Kiba seinen Hund ohne überhaupt zu wissen, wo. Er brauchte mehrere Anläufe, nur um sich auf den Bauch zu drehen. „Wozu… wozu… Was soll das jetzt bringen, Akamaru? Du hättest mich einfach sterben lassen sollen.“ Er hustete und schmeckte Blut und spuckte aus. Leuchtend rot hob sich der Speichel von dem schmutzigen Schnee ab. „Es wäre so viel einfacher.“ Akamaru wedelte mit dem Schwanz und war äußerst zufrieden mit sich selbst. Wer will es sich schon einfach machen? Einfach ist etwas für Versager und Feiglinge. Mit heraushängender Zunge und offenem Maul sah er aus, als würde er breit und etwas dümmlich grinsen. Kiba erwähnte diese Tatsache nur aus dem Grund nicht, weil er seine Kräfte sparen musste. „Lass das“, maulte er stattdessen, „hilf mir lieber auf und such nach einem Unterschlupf, sonst bringt diese verdammte Kälte mich noch um.“ Kiba hustete wieder und spuckte noch mehr Blut – wo das wohl herkam? – in den Schnee. Noch war er ohne Akamarus Hilfe zu schwach, um zu gehen oder überhaupt aufzustehen, aber er fand sein kleines Bündel und seinen wertvollen Bogen. Und er wollte verdammt sein, wenn er der tödlichen Illusion von Wärme im Schnee und der süßen Verlockung der ewigen Ruhe nachgeben würde. Nicht jetzt, nicht hier und nicht so. Und schon gar nicht, ehe er nicht dieser von allen Göttern verdammten Hure Anko von Mitarashi das Herz herausgerissen hatte. Mit diesem Gedanken im Kopf und Rache im Herzen rappelte Kiba sich mühsam aus und versuchte, eine Bestandsaufnahme zu machen und seine Situation abzuschätzen. Das Ergebnis war nicht gerade positiv. Die Blutungen waren alle versiegt, aber er die Wunden waren noch da und mussten versorgt werden. Er hatte durch seinen missglückten Anschlag auf Anko beinahe seinen gesamten Besitz verloren, darunter auch sein Pony. Seine Verfolger hingen ihm noch immer an den Hacken. Und wer wusste schon, wie viel Zeit er verloren hatte, während er hier im Schnee gelegen hatte? Nur mühsam rappelte er sich mit der Hilfe seines treuen Begleiters auf, seine Finger krampften sich schmerzhaft um Cridhe und seine Beine drohten unter ihm zusammenzubrechen. Aber er war noch am Leben. II ~ True Heart: Only magic is surrounding me --------------------------------------------- Der Wind zerrte an ihren Kleidern und erzeugte ein leichtes Rascheln. Obwohl es eine warme Sommernacht war, fröstelte Hinata. Doch das war eher ihrer Nervosität als den Temperaturen geschuldet. Lange hatte sie auf diesen Tag gewartet, aber nun, da er gekommen war, wünschte sie sich noch ein wenig mehr Zeit zu haben. Zeit um noch etwas mehr zu lernen und sich sicherer zu fühlen, ehe sie sich der Herausforderung stellte, die alle Magier ihrer Familie erwartete. Allerdings war es nun nicht mehr möglich, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Der Zeitpunkt ihrer Neunten Weihe war gekommen. Die Nacht war bereits in dem verwunschenen Teil des Waldes hereingebrochen, den außer den Hyuga niemand betrat. Es war eigenartig still und Hinata konnte die Magie spüren, die diesen Ort bereits seit Jahrtausenden beherrschte; sie kribbelte auf ihrer Haut. Nebelschwaden zogen um uralte Bäume herum und der erste Tau schimmerte bereits auf den Gräsern. An diesem Ort stand die Zeit still. Im Moment herrschte hier Frühling, der Kreislauf des Lebens selbst schien außer Kraft gesetzt, und obwohl man überall junge Triebe entdecken konnte, schien das Wachstum der Pflanzen eingefroren. Die junge Magierin glaubte sogar, dass sich die Temperatur geändert hatte, als sie eine unsichtbare Grenze übertreten hatten. Sie wusste nicht recht, ob die Schönheit dieses Ortes sie berührte oder aber ob diese Absurdität ihr Angst machte. Hinata warf einen Blick auf die Umstehenden, die in Gewänder aus grauer Seide gehüllt waren und schweigend das Geschehen verfolgten. Sie alle trugen ihre Kapuze so tief, dass ihre Gesichter im Schatten lagen. Keiner sprach ein Wort, doch Hinata spürte dutzende Blicke auf sich, unter denen sie immer wieder zusammenzuckte. Sie sah zu Boden und strich unsicher über die nachtblaue Seide ihres eigenen Gewandes, das von einem Muster aus silbernen Fäden durchzogen war. Die Kleidung war Tradition in ihrer Familie und wurde nur zu besonderen Anlässen getragen. Anders als Hinata trugen die hochrangigsten Magier und geschicktesten Falkenkrieger ihres Clans, die zusammen gekommen waren, um ihre Neunte Weihe zu bezeugen, graue Gewänder über einem weißen, mit Symbolen bestickten Untergewand. Dadurch stach sie noch mehr aus der Menge hervor, als sie es ohnehin schon tat. Sie war die erstgeborene Tochter Hiashis vom Clan Hyuga, dem derzeitigen Oberhaupt der Hyuga, und war dazu bestimmt eines Tages seinen Platz einzunehmen. Bereits als sie klein war, konnte sie nirgendwo hingehen ohne auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Sie sollte all diese Aufmerksamkeit gewohnt sein und dennoch hatte sie sich nie damit abfinden können. Seit Hinata im zarten Alter von fünf Jahren angefangen hatte, Magie zu studieren, hatte sie in jedem weiteren Jahr eine Weihe zu Ehren ihrer Schutzpatronin Tsuki-Hime, der Göttin der Magie und der Nacht, abgelegt. Immer waren die wichtigsten Persönlichkeiten ihrer Familie anwesend gewesen, doch keines der bisherigen Rituale reichte auch nur an die Wichtigkeit des heutigen heran. Heute würde sie ihren Magieverstärker erhalten, der ihre Macht um ein Vielfaches steigern konnte und sie als vollwertige Magierin ihres Clans auswies. In den Augen der Hyuga würde sie mit Abschluss dieser Prüfung eine Erwachsene sein, obwohl Hinata mit ihren vierzehn Jahren eigentlich zu jung dafür war. Normalerweise legten die Novizen ihre Neunte Weihe auch erst sehr viel später ab – einfach, weil sie später begannen Magie zu erlernen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, geistig reifen zu können. Hinata hatte dieses Privileg nicht. Sie war die Tochter des Clanoberhauptes und sollte die Hyuga eines Tages führen. Doch bislang war sie eine Enttäuschung gewesen. Sie war nur eine durchschnittliche Magierin, die zwar das Zaubern liebte und ein Talent für Elementarmagie besaß, aber sie war eben nicht ihr Vater. Hiashi galt als einer der mächtigsten Großmagier in der Geschichte der Hyuga. Er war bewandert in Kriegsmagie, besaß zudem noch außerordentliches strategisches Geschick, mit dem er den Clan sicher durch jede Schlacht führte, an der sie beteiligt waren – und er erwartete, dass sie es ihm gleich tat. Hinata hatte ihre Kindheit der Magie geopfert, hatte alles gelernt, was man ihr beizubringen versuchte, und war auch mental auf ihre Rolle als Anführerin vorbereitet worden. Doch letztlich konnte sie ihren sanften Charakter nicht verleugnen. Selbst in den kriegerischen Zeiten, in denen sie lebten und es nötig war, Kriegsmagie zu beherrschen, um nicht einfach von einem Feind überwältigt zu werden, fiel es ihr unfassbar schwer sich auf diese Form der Magie einzulassen. Zuerst hatte man sie belächelt, dann hatte man versucht sie mit süßen Versprechen zu locken, ehe ihr Vater ihr schließlich in harten Worten klar gemacht hatte, dass sie in ihrem Leben für die Hyuga würde töten müssen, wenn sie nicht das Leben unzähliger Unschuldiger aufs Spiel setzen wollte. Erst da hatte sie ihren Widerwillen herunter geschluckt und auch das gelernt. Ein Gesang in einer uralten Sprache, die direkt die Magie berührte, wurde angestimmt, steigerte sich über mehrere Oktaven, bis er im Kanon mündete und sich schließlich sanft in der Stille auflöste. Die junge Magierin ballte ihre Hände zu Fäusten, so fest, dass ihre Fingernägel halbmondförmige Abdrücke in ihren Handballen hinterließen, und trat einen unsicheren Schritt vorwärts. Ihre Füße waren nackt, sodass die vielen kleinen Steine und Äste unangenehm in ihre Haut stachen. Ein Gongschlag riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie zwei weitere Schritte vorwärts stolpern. Die Menschenmasse teilte sich in zwei Gruppen auf, die wiederum in verschiedenen Richtungen im aufkommenden Nebel aus Hinatas Blickfeld verschwanden. Sie ging weiter und obwohl sie nichts sehen konnte, wusste sie doch, dass ihr Ziel nah war. Weitere Paukenschläge ertönten rechts und links von ihr und wiesen ihr die Richtung. Fühlte es sich so für Neji an, blind zu sein? Als ihr Cousin mit toten Augen geboren wurde, hatten die Hyuga zuerst geglaubt, die Götter hätten ihnen ein nutzloses Neugeborenes vor die Füße geworfen, um zu prüfen, wie standfest sie in ihren Traditionen waren. Als Hinata ein Jahr später als Tochter des Clanoberhauptes und damit als seine Erbin geboren wurde, hatten nicht wenige unter ihnen verlangt, dass es doch nicht angehe einen Blinden als einen ihrer Falkenkrieger, als ihren Beschützer, auszubilden, wenn er doch sowieso nichts taugte. Aber Hiashi war hart geblieben. Wie es ihr Brauch war, wurden ihre Seelen mithilfe der geheimen Magie höchster Ordnung des Hyugaclans für immer aneinander gebunden. Viele glaubten, dass die schwächste Generation der Hyuga angebrochen war, doch dann wurde Nejis Genie entdeckt. Hinata erinnerte sich noch gut daran, als Neji und sie ihren Vater auf einer diplomatischen Reise begleitet hatten. Auf dieser Reise waren sie dreimal überfallen worden und jedes Mal hatte es Neji geschafft, sie auf beindruckende Weise zu beschützen, so wie es seine Aufgabe war. Ab diesem Zeitpunkt wurde er den besten Lehrern des Clans zugewiesen, die aus ihm den fabelhaftesten Kämpfer machten, der je in den Hyugaclan hinein geboren worden war. In seinem Schatten fühlte sich Hinata zunehmend unwohler. Nicht nur, dass es nun sie war, die sich nutzlos fühlte, auch die Erwartungen, die von nun an in sie gesetzt wurden, machten ihr zu schaffen. Die Pauken verstummten und sie blickte auf. Vor ihr ragte ein steinerner Rundbogen auf, vor dem schon ihr Vater und Neji auf sie warteten. Als einzige außer ihr selbst waren ihre Gesichter nicht mit einer Kapuze bedeckt. Hiashi verzog keine Miene, doch Neji, der als einziger die gleiche nachtblaue Kleidung wie sie trug, nickte ihr unauffällig zu, um ihr Mut zu geben. Sofort fühlte sie sich etwas leichter ums Herz. Er war nun mal der einzige, der sie wirklich verstand, und sie liebte ihn wie einen großen Bruder, der immer auf sie aufpasste. Nie zweifelte er an ihr, auch wenn alle anderen es taten. „Tritt vor, Novizin.“ Hinata zuckte zusammen und erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, wie vollkommen still es war. Außer ihrem Vater und Neji entdeckte sie niemanden, aber sie wusste, dass die hochrangigsten Magier und Falkenkrieger ihrer Familie nicht weit sein konnten. Schüchtern hob sie den Blick, trat vor und sah ihrem Vater in die Augen. „Warum bist du hier, Novizin?“ Eine Sekunde lang suchte sie Nejis Blick, ihre Fingernägel bohrten sich wieder in die Innenfläche ihrer Hände, dann antwortete sie: „I-ich bin h-hier um zu E-Ehren der Göttin T-Tsuki-Hime, dem M-Mond, meine N-neunte Weihe z-zu empfangen, a-auf dass ich m-mein L-Leben fortan dem W-Wohle des H-Hyugaclans w-widmen werde.“ Sie merkte selbst, wie zittrig ihre Stimme klang, und sie verfluchte sich dafür, schon wieder gestottert zu haben. Ein winziger Muskel zuckte um die schmalen Lippen ihres Vaters und offenbarte für einen kurzen Moment seine Missbilligung. Das zukünftige Clanoberhaupt der Hyuga stotterte nicht. „Wir werden dich prüfen“, fuhr Hiashi fort, „neun Mal musst du beweisen, dass du es verdienst eine Magierin des Hyugaclans zu sein. Neun Mal wirst du leiden, neun Mal an deine Grenzen stoßen. Du wirst als eine der unseren zurückkehren oder gar nicht.“ Er hielt inne und Hinata konnte nur mutmaßen, dass sie beide in diesem Moment an diejenigen dachten, die tatsächlich nicht zurückkehrten. Hiashi räusperte sich. „Nun geh.“ Er trat zur Seite und machte den Durchgang unterhalb des Bogens frei. Hinata trat auf die Pforte zu, blickte einmal nach links zu ihrem Vater, der sie nicht ansah und stattdessen stur geradeaus starrte, und dann nach rechts zu Neji, der einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht trug. Ihr Cousin, ihr Bruder, ihr Beschützer. Sie spürte, wie sie wieder etwas Mut schöpfte, als er ihre Hand sanft drückte und ihr zuflüsterte: „Ich warte auf dich, Hinata-sama.“ Einen Moment lang durchflutete sie seine Wärme mit Zuversicht, bis sich seine Finger lösten und lediglich ein Nachbild von Wärme hinterließen. Sie richtete ihren Blick geradeaus und atmete tief ein. Dann trat sie durch den Steinbogen und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Sie hatte erst ein Dutzend Schritte getan, als sie gegen etwas prallte, das sie augenblicklich umwarf. Hinata rappelte sich auf und wischte ihre aufgeschürften Handflächen an ihrer Kleidung ab. Zögernd hob sie ihre Hand und blinzelte durch die Dunkelheit. Etwas pulsierte, als ihre Fingerspitzen sich näherten und ihr wurde klar, dass sie den ersten Ring erreicht hatte, ihre erste Prüfung, die sich zwischen ihr und dem Heiligtum der Hyuga befand. Sie warf einen Blick über ihre Schulter, aber sie konnte Neji und ihren Vater nicht mehr sehen. Einen Augenblick später konzentrierte sie die Magie in ihrem Inneren und lenkte sie in ihre Fingerkuppen. Sekundenlang sprang ein magischer Funke zwischen ihren Fingerspitzen und der Barriere hin und her. Hinata schloss die Augen und legte ihre Hand auf den magischen Schutzwall. „Baton anga.“ Das Licht verschluckte sie, blendete sie und dann befand sie sich unter freiem Himmel in einer Nacht, die von Sternen gesprenkelt war. „Es ist ein Mädchen.“, flüsterte eine Stimme und ihr Vater antwortete: „Es ist unsere Tochter.“ Ihre Tochter? Die Bilder schossen auf sie ein, so schnell, dass sie das Gesicht der Frau nicht sehen konnte, die das Neugeborene, das kleine Mädchen, sie selbst, in den Armen hielt. Hinata vergaß, wo sie war und was sie tat. Alles was sie wollte, war, das Gesicht dieser Frau zu sehen. Endlich zu erblicken, wie ihre Mutter aussah… „Hinata.“ Nur das Echo ihrer Stimme durchfuhr sie und dann war es plötzlich vorbei. Sie fiel auf die Knie, atmete schnell und begriff einen Moment nicht, wo sie sich befand. Ohne, dass sie es gemerkt hatte, waren ihre Wangen feucht geworden. Tränen … Sie hatte geweint? Warum hatte sie geweint? Hinata… So sehr hatte sie sich nach einer Mutter gesehnt… denn diese war bei ihrer Geburt gestorben. Sie hatte sie nie kennen gelernt. Und da begriff sie, dass ihr Name das letzte gewesen war, was die Lippen ihrer Mutter verlassen hatte. Ihr Herz war erschüttert und gleichzeitig verstand sie, dass sie den ersten Magiering durchbrochen hatte, doch der Preis… Wenn es schon beim ersten so schwer war, wie konnte sie dieses Wunder dann acht weitere Male vollbringen? Die neunte Weihe testete nicht nur ihre Fähigkeiten als Magierin, sondern vielmehr ihr Herz. „Komm zu mir.“ Hinata erschrak und sah in alle Richtungen, doch da war nichts. Noch immer war sie von tiefer Dunkelheit umgeben. Die Äste der verbrannten Bäume hoben sich als noch dunkleres Schwarz von der obsidianfarbenen Nacht ab. Ohne, dass sie es gemerkt hatte, hatte sich dieser Ort erneut verändert. Lag es an der uralten Magie oder an dem Ritual, das sie absolvierte, oder war sie in einer Illusion gefangen? Sie sah sich um, horchte in sich hinein, doch sie konnte keinerlei Anzeichen für ein Scheinbild entdecken. Nur schwarzes Gestein und verbranntes Holz kündeten noch davon, dass hier einmal Leben gewesen war, bevor die Hyuga sich diesen Ort über Generationen zu Eigen gemacht hatten. „Komm zu mir.“ Sie spürte ein Ziehen unter ihrem Bauchnabel. Wieder diese Stimme und sie kam … aus ihrem Inneren. Es fühlte sich an, als ob ein glühender Kern in ihr zum Brennen gebracht worden war und die Antworten auf all ihre Fragen vor ihr lagen. Hinata stand auf, alle ihre Muskeln zum Zerreißen gespannt und doch merkwürdig ruhig. Entschlossen suchte sie einen Weg durch die Dunkelheit, die noch undurchdringlicher wurde. Sie brauchte nicht lange gehen, als sie den zweiten Magiering spürte, der vor ihr pulsierte wie ein Kreis aus Flammen. Doch diesmal war sie vorbereitet. Die Erinnerung an ihre Kindheit durchflutete sie, aber ihr Geist blieb klar, sodass es ihr keine Mühe bereitete die Linien des Zauber zu entziffern und die Silben so zu verändern, dass sie problemlos passieren konnte. Einen Moment lang dachte sie an die hochrangigen Magier und Falkenkrieger, die rund um das Gebiet positioniert waren und Wache hielten, bis sie zurückkehrte oder sie sich sicher waren, dass sie es nicht tat. Dies war die letzte Neunte Weihe, die sie erlebten, bis die Hyuga auf Befehl ihres Landesherren in den Krieg ziehen würden, in dem zweifellos ein Teil von ihnen umkommen würde. Hinata wusste, dass Neji und sie mit ihnen gehen würden, wenn sie ihre Neunte Weihe bestand und fortan als vollwertige Magierin galt. Schon immer hatte sie diese Kriege gefürchtet, die auf dem Kontinent wüteten und nie zu erlöschen schienen. Immer und immer wieder entstand aus der Asche ein neuer Funke, der das Töten neu entfachte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich wünschte, einfach versagen zu können, um Neji und sich selbst dies zu ersparen. Doch sie erinnerte sich auch an die Worte ihres Vaters. „Du musst töten, um zu verhindern, dass noch mehr getötet werden.“ Erst sehr viel später hatte sie begriffen, dass Hiashi deshalb so streng gewesen war, um sie stark zu machen. Stark genug, dass sie sich selbst schützen konnte… Das Muster des dritten Rings war nicht kompliziert, aber die Schmerzen, die sie sich selbst zufügen musste, um ihn zu durchbrechen, raubten ihr beinahe den Atem. Hinata zitterte, als sie mit einem Zauber eine Windklinge so groß wie ihren Zeigefinger formte und sich selbst einen Schnitt zufügte. Aber es gab keine Alternative. Um ein Blutsiegel zu lösen, musste sie es mit Blut überschreiben. „Acarjen thrythfer lyi.“ Sie sah sich scheitern, spürte die enttäuschten Blicke ihrer Familie im Nacken und fiel, fiel, fiel… Sie war sechs Jahre alt. Hinata kam zu sich, als sie erneut das Drängen spürte voran zu gehen. Sobald sie sich ihrer Umgebung bewusst wurde, erkannte sie, dass sie sich nicht mehr am gleichen Ort befand. Auch die dritte Barriere lag nun hinter ihr. Ein Drittel der Weihe hatte sie hinter sich gelassen, doch selbst wenn sie alle neun Ringe überwand, würde sie mit jedem weiteren Jahr in dem sie Magie studierte die Prüfung erneut ablegen. Jedes Mal mit einem weiteren Ring, den es zu überwinden galt. Nach einer bestimmten Anzahl scheiterten die Magier. Nur die Mächtigsten unter ihnen vermochten es, immer und immer weiter zu gehen, ohne zurückgeworfen zu werden. Selbst ihrem Vater war es zweimal missglückt und er hatte seine achtundzwanzigste und sechsunddreißigste Weihe wiederholen müssen. Die Anzahl der absolvierten Weihen kennzeichnete den Rang eines Magiers. Es war eine einfache, doch sehr effektive Methode eine Kategorisierung vorzunehmen. In den letzten Jahren hatte Hinata ihre Weihen irgendwie durchgestanden, aber diese hier war anders. Nicht nur, dass am Ende der für sie bestimmte Magieverstärker auf sie wartete, sondern schon die ersten drei Barrieren hatten einen viel größeren Teil Kraft von ihr gefordert als noch vor einem oder zwei Jahren. Was war passiert? Lag es daran, dass Neji sie in rasanter Geschwindigkeit überflügelt hatte und sich ihre Fähigkeiten nicht so schnell entwickelten wie seine? Ein Hyugamagier und der Falkenkrieger, der an ihn gebunden war, sollten annähernd gleich stark sein. Die Kraft des Falkenkriegers wurde zum Schild für den Magier und Aufgabe des Magiers war es, ihn in der Balance zu halten. Doch Neji war zu schnell, zu stark, zu brillant und sie war nur durchschnittlich. Hinata fühlte, wie die Traurigkeit, ihm nicht gerecht zu werden, von ihr Besitz ergriff. Vor ein paar Jahren hatten viele entsetzt reagiert, als ein Blinder zum Falkenkrieger des künftigen Clanoberhauptes wurde. Nun hielten sie es für eine Verschwendung, dass eben dieser Blinde, der als der stärkste Falkenkrieger aller Zeiten galt, ihr zugeordnet worden war. Sie, die hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurückblieb. Wer war sie? Nein. Wer musste sie werden, um endlich neben Neji gehen zu können? Den vierten, fünften und sechsten Ring durchbrach sie mühelos. Die Einsamkeit, die sie erneut durchleben musste, als die Magie sie ihre Vergangenheit sehen ließ, kannte sie, beinahe ein alter Freund, und was sie kannte, fürchtete sie nicht. Dennoch zerrten die magischen Barrieren an ihren Kräften. Ihr Körper fühlte sich zerschlagen an und ihre Konzentrationsfähigkeit hatte rapide abgenommen. Sie war tief in diesen Strudel uralter Magie eingedrungen, der die Macht aus ihr zu saugen schien. Das erkannte sie vor allem daran, dass sie sich immer weiter von Neji entfernte, der sich noch immer an seinem Ausgangspunkt befand. Ihre Neunte Weihe entpuppte sich mittlerweile vielmehr als Belastungsprobe, denn als Demonstration ihrer magischen Fähigkeiten. Krächzend flog ein Rabe auf und Hinata zuckte erschrocken zusammen. Die plötzlichen Geräusche in diesem ansonsten totenstillen Ort waren wie ein Donnerschlag. Noch einmal schrie der Rabe und Hinata drehte sich gerade noch rechtzeitig, um den Luftzug spüren zu können, den er mit seinem Flügelschlag erzeugte. „Komm zu mir.“ Mit dem Raben kehrte auch die körperlose Stimme zurück, doch diesmal war der Wunsch der Bitte zu folgen drängender als zuvor. Sie sah die Hand vor Augen nicht, stolperte durch die Dunkelheit und wusste doch, dass ihr Ziel nah war. Es war, als würde sie von einer Macht angezogen, um die alles kreiste. Je näher sie kam, desto stärker wurde ihr Verlangen dieses pulsierende Herz zu berühren. Es fühlte sich beinahe so an, als würde dieses Etwas ein Teil von ihr sein, der ihr schon immer gefehlt hatte und der sie nun endlich ganz machen sollte. War dies anderen Magiern ebenso gegangen? Ein anderes Gefühl riss sie aus den Gedanken. Kälte umfing sie und obwohl sie einen Wärmezauber sprach, fröstelte sie immer noch. Doch es war nichts, das ihren Körper erstarren ließ, sondern eisiger Frost, der ihr Inneres erfrieren ließ. Eine ungute Ahnung beschlich sie, als ihr Atem, der mittlerweile sichtbar geworden war, auf den siebten Magiering traf und auf ihm Eiskristalle bildete. Noch einmal versuchte sie es mit einem Wärmezauber, doch es war vergebens. Das einzige, das ihr blieb, war, den Ring so schnell es ging hinter sich zu lassen. Ihre Finger waren bereits steif, als sie die Hand danach ausstreckte und als sie die Barriere berührte, verschwand jedes Gefühl daraus. Das Eis kroch ihren Arm hinauf und ließ sie von innen heraus erfrieren. Und vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder auf. Schreckliche Bilder voller Verzweiflung, voller Angst, Gewalt, Hass, Tod. Hinata erblickte das Wappen ihres Clans, die silberne Mondsichel auf dunkelblauen Grund, und fühlte wie die Hyugamagier um sie herum Zauber wirkten und die Falkenkrieger Angreifer zurück schlugen. Es war, als hätte ihr Geist vergessen, wo sie war, und kämpfte an einem anderen Ort. Die Klinge eines Schwertes blitzte auf und sie konnte nur entsetzt die Augen schließen, dann ein Klirren und sie hörte Neji ihren Namen rufen, als er den Angriff abwehrte. Dies war nicht wirklich, dies war ein Zauber und sie würde für alle Zeit in ihm gefangen sein, wenn sie ihn nicht brach. Unter Aufwendung all ihrer Konzentration schaffte sie es, sich dem Eis unter ihrer flachen Hand bewusst zu werden. Ihr Geist flackerte, war mal in der Realität und dann an diesem anderen Ort… „Miter thyca easyl no elipher.“ Sie presste die Worte heraus und sah ein letztes Bild. Neji, der an der Stirn blutete und sie von allem abschirmte. Der siebte Ring schmolz unter ihrer Hand und öffnete einen schmalen Durchgang, durch den sich Hinata hindurch schob, ehe er sich wieder schließen konnte. Weinend brach sie auf der anderen Seite zusammen und versuchte sich zu wärmen, indem sie ihre Oberarme rieb, doch das was sie gesehen hatte, war noch zu nah. Das war der Krieg, der Neji und sie erwartete. Neji… Sie wünschte, er wäre bei ihr. Ihr war kalt, ihre Kraft war beinahe aufgebraucht und sie fühlte sich furchtbar allein in dieser elenden Finsternis. Langsam begann sie zu begreifen, was ihr Vater damit gemeint hatte, dass sie neun Mal an ihre Grenzen gehen würde. Schon jetzt fühlte es sich an, als würde sie in ihrer eigenen Verzweiflung ertrinken. Nach einer Weile beruhigte sie sich. Wie lange war sie schon hier? Waren erst Minuten vergangen oder irrte sie bereits Stunden hier herum? Was, wenn es Tage waren? Sie schauderte. Jedes Zeitgefühl war wie weggeblasen. Aber sie existierte, Neji war noch da und zum ersten Mal an diesem Abend verspürte Hinata Hoffnung. Sie musste nur noch zwei Prüfungen bestehen und dann hatte sie es geschafft. Sie stand auf und fragte sich, wie oft sie an dieser Nacht bereits gefallen war. Doch sie war auch immer wieder aufgestanden. Es fühlte sich wie eine halbe Stunde an, die sie voranmarschierte. Ihre Füße waren beinahe taub und ihr festliches Gewand zerknittert und schmutzig, aber noch war Hinata nicht bereit aufzugeben. Sie stellte sich vor, wie sie zurückkehrte. Zerschlagen, zu Tode erschöpft, aber doch erfolgreich. Sie wünschte sich, dass ihr Vater ihr sagte, dass er nicht an ihr gezweifelt hatte. Sie wünschte sich, wie Neji sie willkommen hieß und seine ganze Haltung ihr erzählte, dass er immer um ihre Stärke gewusst hatte. Sie wünschte sich, … dass die Mitglieder ihres Clans diesmal nicht auf sie herabblickten. Etwas hatte in ihr einen Funken geschlagen, der sich in ihre Seele brannte und etwas in ihr zum Klingen brachte. Sie wusste nicht mehr, ob es das Sehnen war oder ihre neu erwachte Kraft. Ihr Vater hatte einmal gesagt, dass Magie der Atem der Welt war. Dass nur ein Magier wirklich begreifen konnte, welchen Gesetzen sie unterlag, was hinter dem Schicksal eines einzelnen verborgen war. Ein Magier war jemand, der die Präsenz der Götter in der Schönheit der Welt sehen konnte. Schmerz, unvorstellbarer Schmerz, als würde ihr das Herz heraus gerissen, ihre Adern platzen und es fühlte sich an, als würde sie bei lebendigem Leib verbrennen. Der achte Ring testete ihr körperliches Durchhaltevermögen, denn der Zauber eines feindlichen Magiers konnte ihren Geist verwirren und sie all das spüren lassen. Hinata merkte erst, dass sie schrie, als ihr Hals zu schmerzen begann. Es sollte aufhören! Oh, bei den Göttern, es sollte aufhören! Doch das tat es nicht. Sie schrie, bis sie heiser war, und es hörte dennoch nicht auf. Sie konnte den Gegenzauber nicht verbal äußern. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr diese Einsicht kam. Dies war kein Test körperlicher Stärke, es war ein Test, der ihren Geist herausforderte. Denn der Geist war es, der die stärkste Waffe eines Magiers darstellte. Wissen war Macht und Macht erwuchs aus geistiger Stärke. Sie sammelte all ihre Magie an einem Punkt in sich und dann schleuderte Hinata sie mit aller Kraft gegen den Schmerz. Der achte Ring zersplitterte wie Glas und endlich, endlich hörte es auf. Unter größter Anstrengung schleppte sich Hinata voran. Es war beinahe getan. Ihr tat alles weh, sie hatte innerhalb kürzester Zeit sämtliche unglückliche Momente ihres bisherigen Lebens durchlebt und ihr Geist war erschöpft. Aber sie war nah. Man erzählte sich, dass der neunte Ring für jeden Magier eine individuelle Prüfung darstellte. Es gab nichts, das jemanden darauf vorbereiten konnte, kein Zauber, der für alle gleich wirksam war. Jeder musste einen eigenen Weg finden. „Komm zu mir.“ Die Stimme, sanft wie der Glanz der Sterne, war so nah, als würde jemand neben ihr stehen. Es war eine weibliche Stimme, warm wie die einer Mutter. „Ich warte auf dich.“ Und sie wollte dorthin, wo diese Stimme war. Noch nie hatte sie etwas so sehr gewollt und jetzt da sie ihrem Ziel so nah war, war der Wunsch übermächtig. Die Magierin wischte die Dunkelheit beiseite und dann stand sie vor dem letzten Magiering, der silbern in der Luft schimmerte. Ihre Neunte Weihe war beinahe beendet, doch jetzt, da es fast geschafft war, zögerte sie. Alles war ruhig, dunkel, eine eigenartige Stille lag in der Luft. Nichts regte sich. Hinata starrte auf den neunten Ring. Und dann berührte sie ihn. Zuerst geschah nichts. Minutenlang blieb es still und sie fragte sich schon, ob sie etwas falsch gemacht hatte, doch dann fiel ein Schatten auf sie. Ein Schatten, der noch dunkler war, als die Finsternis selbst und eine Stimme wisperte wie der Hauch des Todes: „Der Tod ist nicht das Ende.“ Was sie dann sah, raubte ihr den Atem. Wieder war sie fort. Doch diesmal war es anders. Hinata blickte auf ein Schlachtfeld. Größer, schrecklicher als das, das sie zuvor gesehen hatte, und von einem Grauen beseelt, das sie verzweifeln ließ. Dann ein Lachen, das zwischen den Leichen hindurch schlüpfte. Ein Lachen bar jeder Wärme und die Toten erhoben sich. Das war … das war … schwärzeste Magie. Ein Tabu, selbst unter Magiern, und dennoch … einer der ihren war gefallen. So tief gefallen, sodass er als eine ganz andere Wesenheit auf die Welt zurückgekehrt war. Sie sah die Banner im Wind flattern, hörte die Entsetzensschreie, denn seit Jahrhunderten war kein so mächtiger Nekromant mehr auf einem Schlachtfeld erschienen. „Ruthjen orahwerdjo marsean syl ancrow zawaru ris!“ Mit jeder Silbe wurde ihre Stimme lauter, doch der Zauber der Hohen Ordnung prallte an der Illusion ab wie ein Sonnenstrahl, der sich zwar auf der Oberfläche eines Sees spiegelte, aber nicht den Grund erreichte. „Trima lesbryth ja’cen johal kanaë.“ Wirkungslos. Hinata stemmte sich nun mit beiden Händen gegen den neunten Ring, doch nur das Lachen dröhnte in ihren Ohren. Keiner ihrer Zauber wirkte und ihr Geist blieb in der Illusion gefangen. Eine rote Sonne ging unter und tauchte Meilen und Meilen in blutiges Licht, während sich auf dem Schlachtfeld kein Leben mehr rührte. Nur die Toten taumelten durch die Reihen der Gefallenen, bis auch diese sich langsam erhoben. Nein! Nein! NEIN! Es musste einen Weg geben! Es war nichts weiter als eine Illusion! – Oder? Was, wenn dies keine Illusion war, die ihr der neunte Magiering zeigte? Was, wenn dies wirklich war? Was, wenn es bereits geschehen war oder geschah oder noch geschehen würde? Ihr traten die Tränen in die Augen. Nein! All dieses Leid konnte nicht wirklich sein! „Kämpfe.“ Es war dieselbe Stimme, die sie gerufen hatte, doch sie war vollkommen ruhig. Es war kein Befehl, es war nur ein Wort, eine Bitte. „Ha!“ Sie stemmte sich gegen die Barriere. Das Lachen klang nun entfernter, doch sie war noch immer nicht stark genug. „Kämpfe.“ Hinata nahm ihre letzte Kraft zusammen. Sie würde sich nicht einer solchen Illusion oder Vision hingeben. Eine solche Welt konnte sie nicht akzeptieren. Vergessen waren all die Zauberformeln, die sie gelernt hatte. Sie war Magie und die Magie war sie. Sie war Hinata vom Clan Hyuga, künftiges Clanoberhaupt der Hyuga und sie war nicht bereit aufzugeben. Ihr herausfordernder Schrei überlagerte sich mit denen der Sterbenden und dann war da ein Licht. Eine Hand, die sich ihr entgegen streckte. Als sie aufsah, erkannte sie Neji und begriff, dass sie nicht länger allein war. Sie streckte ihre Hand aus und ihre Finger umschlossen seine. Weitere Hände packten ihr Handgelenk und zogen sie vorwärts, doch diesmal lagen die Gesichter der drei Fremden im Schatten. Allein war sie machtlos, aber zusammen waren sie imstande diesem Albtraum ein Ende zu bereiten. Das Licht blendete sie, die Geräusche verstummten und dann durchbrach ihr wirklicher Körper etwas, das sich wie eiskaltes Glas anfühlte. Die junge Magierin stürzte zu Boden, fiel geradewegs durch einen Steinbogen, ähnlich dem, durch den sie diesen Ort betreten hatte. Doch der Aufprall war weich. Hinata landete auf frischem grünem Gras, auf dem der Tau schimmerte, und Moos. Um sie herum reihten sich neun Steinbögen im Kreis aneinander und darin waren Sockel unterschiedlicher Größe, auf denen Gegenstände präsentiert lagen. Der Vollmond brach durch die Wolkendecke und verlieh ihr neue Kraft. Sie war angekommen. Dies war das Ende. Keine Prüfungen mehr, kein Grauen, keine Schmerzen, keine Bilder mehr in ihrem Kopf. „Ich habe auf dich gewartet.“ Die Stimme war nun nicht mehr in ihr, sondern um sie herum. Die Luft vibrierte regelrecht von Magie und Hinata fühlte sich, als würde sie neu geboren werden. Als sie an sich herunter sah, merkte sie, dass ihre Kleidung zerrissen, ihre Knie aufgeschürft waren, ihre Sohlen vor Dreck starrten und ihre Füße bluteten. Ihr Haar fiel strähnig in ihr Gesicht und sie strich es sich hastig hinters Ohr. „Wer bist du?“, rief sie in die Nacht. Eigentlich hätte sie besser fragen sollen, wo sich derjenige befand, doch sie ahnte, dass sie darauf keine Antwort erhalten würde. Hinata wartete einen Moment, doch die Stimme antwortete ihr nicht. Stattdessen spürte sie erneut das Sehnen, das sie durchflutete. Sie drehte sich um ihre eigene Achse und betrachtete die Gegenstände, die auf den Steinsockeln aufgebahrt lagen und vom Vollmond in silbriges Licht getaucht waren. Seit Generationen fertigten die Magieschmiede der Hyuga die Magieverstärker für ihre Zauberer an, was unter anderem den Schlüssel ihrer Macht darstellte. Unzählige Artefakte waren hergestellt worden und fanden durch eine mythische Kunst, die Hinata noch nicht einmal im Ansatz begriff, den Magier, der zu ihrem Besitzer bestimmt war. Vor langer Zeit hatten die Magieschmiede der Hyuga sich auch an der Kunst magische Waffen für die Falkenkrieger herzustellen versucht, doch dieses Unterfangen war gescheitert. Es gab nur eine einzige Ausnahme: Akai, ein Schwert aus reinem Silber, das keinen Kratzer aufwies und dem nicht einmal die Zeit etwas anhaben konnte. Nur ein einziges Mal hatte das Schwert bei dem Fünften Sakrament eines Falkenkriegers nach einem der ihren verlangt. Einem zwölf Jahre altem Jungen, der zudem auch noch blind war. Fasziniert blickte sie sich um. Es gab einen Juwelenbesetzten Dolch, eine Haarnadel aus Jade, einen Perlenohrring, ja, sogar einen Handspiegel, auf dessen verschnörkelter Rückseite das Wappen der Hyuga eingraviert war. Doch all das war nicht für sie bestimmt. Wie eine Schlafwandlerin ging sie daran vorbei und blieb schließlich ehrfurchtsvoll vor einem uralten Sockel stehen, dessen Symbole auf dem Stein bereits zerbröckelt und unleserlich waren. Im Vergleich zu den anderen Magieverstärkern wirkte der Gegenstand, der darauf aufgebahrt lag, eher schlicht. Uralt, aber auf den ersten Blick unscheinbar. Es handelte sich um ein silbernes Medaillon auf dessen Oberfläche eine matt glänzende Mondsichel herausgearbeitet worden war, die fünf im Kreis angeordnete Diamanten umschloss, die Sterne darstellten. Dieses Amulett war es, das all ihre Sehnsucht, ihr Verlangen ausgelöst hatte. Es gehörte zu ihr und würde immer ein Teil von ihr sein. Hinata zögerte, sie streckte die Hand aus und zog sie dann wieder zurück. Sie konnte die Magie bereits spüren, die selbst auf einige hundert Meter Entfernung noch so eine große Macht ausstrahlte. Dieser Magieverstärker war anders, als der, den sie erwartet hatte. Vor der Neunten Weihe war sie davon ausgegangen, dass sie einen gewöhnlichen Magieverstärker bekommen würde und nicht … so einen. Doch ihre Sehnsucht war übermächtig. Sie musste ihn berühren und nach all der geistigen, körperlichen und magischen Anstrengung endlich in Händen halten… Behutsam nahm sie das Amulett auf. Halb hatte sie erwartet, dass es einen magischen Rückstoß geben würde, doch nichts dergleichen geschah. Die in dem Medaillon innewohnende Macht war mit ihrer Magie synchron. Die Oberfläche des silbernen Schmuckstücks fühlte sich eiskalt an, als sie sie berührte, aber dann begann sie zu glühen. Das Silber glänzte wie aus Mondlicht gegossen und die fünf Diamanten glitzerten noch schöner als die Sterne, die sie darstellten. Langsam, ganz langsam begann sich das Medaillon zu öffnen und Hinata ließ es vor Schreck beinahe fallen. Lediglich die Faszination, die sie für das Geschehen empfand, bewahrte sie vor plötzlichen Bewegungen. Nun konnte sie auf dem Rand etwas erkennen und als sie genauer hinsah, konnte sie eine Inschrift lesen, die sich über die gesamte, äußere Kante der unteren Hälfte zog. Magie in Leben in Magie in Leben in Magie in Leben… Es war eine Symbolik und gleichzeitig die Lebenseinstellung eines Magiers. Die obere Hälfte des Medaillons klappte vollständig auf und in seinem Inneren pulsierte ein gleißendes Licht wie ein kleines Herz. In den neun Jahren, in denen Hinata Magie studierte hatte, war ihr nie etwas Vergleichbares untergekommen, geschweige denn hatte sie von so etwas gehört. Es war Magie in ihrer reinsten Form, Lebens- und Todesenergie vereint, es war Macht, die Jahrtausende überdauert hatte und die Zeit selbst bedeutungslos werden ließ. Es war schön und schrecklich zugleich, unfassbar und doch eigenartig vertraut. Das Licht blendete sie, löschte ihr Sehen aus und Raum und Zeit verschwammen vor ihren Augen. Etwas geschah mit ihr. Die Magie drang tief in ihr Wesen ein, umhüllte sie und drang bis in den Kern ihrer eigenen Macht vor, in das Innerste ihrer Seele. Hinata zuckte zurück, ängstlich, weil sie nicht wusste, was mit ihr passierte, doch die Magie des Amuletts war nicht entfesselt worden, um sie zu zerstören. Unendlich sanft verschmolz die uralte Macht mit ihr und ihr Herz wurde eins mit ihr, sie spürte es im Takt schlagen mit dem Puls der Magie, dem Herzschlag der Welt. In jeder Faser ihres Körpers fühlte die junge Magierin, wie die Magie sie durchströmte, wie sie die Luft um sie herum erfüllte und sie mächtiger werden ließ, als sie es je zuvor gewesen war. Sie spürte, wie eine gewaltige Druckwelle von dem Amulett ausging und sämtliche Überreste der verbliebenen Magieringe einfach hinweg fegte. Langsam verblasste das Licht und sie erlangte nach und nach ihre Sehkraft zurück und das Medaillon schloss sich langsam und verbarg das pulsierende Herz aus Magie wieder. Dann hörte sie ein letztes Mal die Stimme: „Der Ismalith ist für dich bestimmt, Hinata von Hyuga, denn ich habe dich erwählt.“ Es war wie ein leises Echo oder eine Person, die weit entfernt etwas in den Wind flüsterte und von deren Worten man nur noch Fetzen verstand. Abschiedsworte. Sie wusste nicht, wer diese Frau war. Sie wusste nicht mal, ob sie menschlich war, doch in diesem Moment verspürte Hinata nur Dankbarkeit. Dafür, dass diese Stimme sie sicher durch alle Untiefen und Schreckensbilder gelenkt hatte, die die hochrangigsten Magier des Clans eigens für ihre Neunte Weihe erschaffen hatten. Sie drückte den Ismalith an ihre Brust. Der Ismalith. Erst jetzt wurde sich Hinata der vollen Bedeutung dieses Wortes bewusst. Der Ismalith stammte aus den Anfängen der Zeit. Uralt und ungeheuer mächtig. Es war nicht einmal bekannt, ob die Hyuga ihn gefertigt hatten oder ob er sogar bereits vor ihnen existiert hatte. Er galt als unantastbar, ein Relikt der Vergangenheit, ein Magieverstärker, den kein einziger Magier in allen Generationen des Magieclans jemals für sich beansprucht hatte. Auf einmal nahm Hinata Geräusche wahr. Es hörte sich so an, als würden mehrere Personen rennen. Einige riefen sich etwas zu, doch sie konnte den genauen Wortlaut nicht ausmachen. Der Vollmond erhellte das Areal und plötzlich konnte sie die Umgebung erkennen. Statt pechschwarzer Dunkelheit war der Waldboden nun in silbernes Licht getaucht und selbst die kahlen Bäume wirkten weniger bedrohlich. Etwas in ihr war zur Ruhe gekommen und es fühlte sich so an, als hätte sie ihre Bestimmung gefunden. Erst als ihr Vater, Neji und alle anderen durch die neun Steinbögen gestürmt kamen, merkte sie, dass etwas ganz und gar Ungewöhnliches geschehen war. Zum ersten Mal sah Hiashi von Hyuga sie nicht mit einem Blick an, der Enttäuschung verriet. Stattdessen blickte er mit sprachloser Überraschung auf sie. Sie hatte seine Erwartungen nicht enttäuscht, sondern sie so weit übertroffen, wie es kaum möglich war. Neji war als Erster bei ihr und umarmte sie voller Stolz, während ein Raunen durch die Menge ging, die ehrfurchtsvoll Abstand hielt. Er hatte es ja schon immer gewusst. Später würde Hinata vom Clan Hyuga mit ihrem Cousin in den Krieg geschickt werden, den sie vorher gesehen hatte. Sie würde Leid und Schrecken durchleben und beide würden zu dem Drittel gehören, das lebend zurückkehrte. Doch von dieser Nacht an war Hinata von Hyuga nicht mehr gewöhnlich. Die Hyuga würden sich fortan an sie erinnern als an ihre Prinzessin, die Weiße Magierin mit dem wahren Herzen, und sie gaben ihr einen Namen: Die Reine. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)