Heldensagen von NejiTen-Schreiber (Heldenlied-Sidestories [II - Hinata]) ================================================================================ I ~ The Avenger: Let winterlight come ------------------------------------- Kiba war sich sicher, dass er hier sterben würde, umgeben von Eis und Schnee und kaltem, harten Stein. Der weite Himmel über ihm war stahlgrau und sein Körper angenehm taub. Nach den Schmerzen der letzten Tage war das ein gutes Gefühl, auch wenn er wusste, dass es ein schlechtes Zeichen war. Aber in seinem Kopf war es ebenfalls still; er fühlte sich friedlich, losgelöst und benebelt gleichzeitig. Auch das war eine Erleichterung nach all dem Zorn und dem Hass und der ständigen Wachsamkeit der letzten Jahre. Eigentlich, überlegte er träge, war dies keine so schlechte Art zu sterben. Schmerzfrei und seltsam warm und ruhig im Schnee. Es gab schlimmere Wege als das. Es interessierte ihn nicht einmal, dass er sein Ziel nicht erreicht hatte. Anko von Mitarashi, diese von allen Göttern verfluchte Hure, die Kriegsherrin des Lichlords und Kibas verhassteste Feindin, lebte noch. Er hatte gesehen, wie sie unter seinem Pfeil zusammengebrochen war, aber er wusste, dass er sie nicht tödlich verletzt hatte. Und jemand wie sie hatte ein ganzes Heer von gut ausgebildeten Heilmagiern, die sie versorgen konnten. Sie würde an seinem Pfeil nicht sterben. Kiba hatte versagt. Er hatte seine Chance vertan und jetzt starb er hier im Schnee und wartete auf den Tod, während seine verhasste Feindin in ihrer Burg ruhte und heilte und danach damit weitermachen würde, wobei er sie unterbrochen hatte. Nichts würde mehr an ihn erinnern außer Narben auf ihrem Körper. Er wünschte, es würde mehr von ihm blieben als das. Ein paar Erinnerungen. Lieder vielleicht über seine Jagd nach Rache. Aber niemand sang über missglückte Wagnisse und es war niemand mehr da, der sich an ihn erinnern konnte und diese Erinnerung am Leben erhalten würde. Sein Seelengold, das kleine, runde Amulett, wog schwer auf seiner Brust unter dem Gewicht vertaner Chancen und nicht gerächter Kameraden. Wenigstens war ihm nicht mehr kalt. Die letzten Tage, während er auf den Beinen und auf der Flucht gewesen war, hatten seine Glieder vor Kälte gebrannt, die langsam in seinen Körper gesickert war und sich in seinen Knochen festgesetzt hatte. Aber jetzt, hier im Schnee, fühlte er sich warm und geborgen und wusste mit der erfahrenen Klarheit einer Person, die in der Wildnis aufgewachsen war, dass dies eine tödliche Illusion war. Aber der Blutverlust und seine Verfolger würden ihm sowieso kein Überleben ermöglichen und dies hier war viel angenehmer. Er machte sich nichts vor, hier war das Ende seines Weges. Er war endlich angekommen. Endlich konnte er aufhören mit dem Rennen und Hetzen und der Jagd. Akamaru würde auch gut ohne ihn gut zurechtkommen, vielleicht ein Weibchen suchen, das seiner Großartigkeit gerecht wurde, und eine Familie gründen. Er hatte es verdient. Der kluge Hund hatte Kiba nie so gebraucht wie dieser ihn, also war das nur passend. Und die Karnoni – nun, die Karnoni waren anders als Menschen, für sie bedeuteten Erinnerung und Tod andere Dinge als für die zerbrechlichen Kurzlebigen. Das war eine der ersten unter all den brutalen Lektionen gewesen, die sein Vater ihm eingebläut hatte. Vielleicht hatten sie ihn längst vergessen, ihn, den Sterblichen, der für ein paar vergängliche Jahre in ihrer Mitte gelebt und von ihnen gelernt hatte. Doch was für ihn so lange erschien, konnte für sie nur ein Wimpernschlag gewesen sein, nur ein Augenblick in ihrem langen, langen Leben. Kiba lachte, rau und bitter. Außer einem Hund befand sich in dieser Welt niemand mehr, der sich an ihn erinnern würde. Und er selbst war der Einzige, der sich an seine eigene Familie erinnerte, an seinen Stamm und sein Volk und alles, was sie ausmachte, der Letzte der Inuzuka. Und die Inuzuka waren eine eng verknüpfte Gemeinschaft gewesen, die ihre Stärke aus der Einigkeit gezogen hatte, die die Erinnerungen an ihre Ahnen mündlich weitergegeben hatten an langen Winterabenden und in lauen Sommernächten. So waren sie alle lebendig geblieben, diese schon lange toten Mitglieder seines Volkes. Dieser Gedanke brachte ihn noch mehr zum Lachen, ein hohes, hässliches Geräusch, in dem die Hysterie saß wie ein lauerndes Tier. Es klang störend und barbarisch in der winterlichen Stille, die ihn eben noch umgeben hatte, und schmerzte in seiner Brust und seinem Hals und seiner Seite, wo diese letzte Klinge ihn getroffen hatte. Er bemühte sich, das wilde Kichern unter Kontrolle zu bekommen, das so plötzlich aus ihm herausgebrochen war, damit es erneut still und ruhig wurde und die quälenden Schmerzen wieder aufhörten. Trotzdem schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis es schließlich verendete und starb. Dessen ungeachtet klang es in seinen Ohren nach wie der Schrei eines gewaltsam Sterbenden. Doch die Stille kehrte nicht zurück, nicht wie vorher, und der Schmerz blieb und sein Gesicht fühlte sich eiskalt an. Als er seine unverletzte Hand hob, um es abzutasten, bemerkte er, dass es mit einer dünnen Schicht Eis überzogen war und seine Wimpern mit gefrorenen Tränen verklebt. Und es gab hier noch nicht einmal etwas, worüber es sich zu heulen lohnte! Noch war niemand tot und niemand würde um ihn weinen. Plötzlich wurde sein Blickfeld ausgefüllt von einem haarigen Gesicht. Braune, scharfe Augen blickten auf ihn herunter und ein großes Maul mit zahlreichen spitzen, scharfen Zähnen öffnete sich direkt vor ihm. Heißer, stinkender Atem schlug ihm entgegen und Akamaru winselte. Kiba schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Am liebsten hätte er die Hand gehoben und dem gigantischen Hund den Kopf getätschelt oder ihn hinter den Ohren gekrault, so wie dieser es liebte. Doch dazu war er zu erschöpft und sowieso konnte er nicht wissen, was er tat, da er inzwischen kaum noch etwas in den Händen fühlte. Er schien mit jedem Augenblick mehr zu erfrieren. Akamaru würde es ihm sicher nicht danken, wenn er ihm weh tat, so unabsichtlich es auch war, also lächelte er nur, ohne die Zähne zu entblößen, und sagte: „Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht’s gut. Es ist fast vorbei.“ Der Hund winselte erneut und legte fragend den Kopf schief. Über ihre Seelenverbindung konnte Kiba seine Verwirrung spüren und dass es ihm trotz der zahlreichen kleinen Wunden, die er im Kampf davongetragen hatte, gut ging. Nichts, was der Hund nicht mit Leichtigkeit abschütteln konnte. Gut – Kiba hätte es sich nie verziehen, wenn seinem treuen Gefährten etwas zugestoßen wäre, weil Kiba ein dummer Narr gewesen war, der sich mit Feinden angelegt hatte, die eine Nummer zu groß gewesen waren für einen dummen, racheblinden Jungen und seinen Hund. Akamaru bellte laut und stieß in mit dem Kopf an, eine Aufforderung, endlich aufzustehen. Erst einmal, dann erneut und erneut, so dass Kiba schließlich versuchte, ihn wegzuschieben, trotz seiner Müdigkeit. Aber der Hund gab nicht auf, zornig auf seinen zweibeinigen Partner, dass dieser einfach im Schnee liegen blieb. Kein vernünftiger Hund würde das tun. „Lass das, mein Freund.“, wies Kiba ihn an. „Das war’s. Hier endet es, weniger glorreich, als ich mir das vorgestellt habe. Ich wünschte nur, ich hätte diese Hure mitnehmen können.“ Der Gedanke an Anko ließ seinen Hass wieder aufflammen, wie am ersten Tag, frisch und rein und stark und oh, so kalt. Viel kälter als aller Schnee um ihn herum. Er war wie Eis, das sich durch seine Adern fraß, wie von Frost überzogener Stahl, der ihn hart und kalt machte und stark. „Töte sie für mich, wenn du die Gelegenheit bekommst, ja?“ Akamaru knurrte, tief aus der Kehle. Steh auf, sollte das bedeuten, und töte sie selbst. „Das geht nicht, alter Freund. Ich bin… ich bin so müde.“ Es war nicht nur der Blutverlust. Es waren auch die letzten Jahre, die so vieles und alles und dann noch einmal mehr von ihm gefordert und abverlangt hatten, einen Preis, den er gezahlt hatte, mit Schweiß und Blut und Tod. Wie sollte er jetzt noch einmal die Kraft finden, aufzustehen und weiterzumachen? Es würde nicht enden, nicht einmal, wenn er Anko tötete. Er fühlte sich erschöpft wie ein alter Mann, tief in den Knochen. Egal, wie lange er ruhte, sie würde nicht schwinden. Einfach die Augen zu schließen und ewig zu schlafen klang gut in seinen Ohren. Verlockend. Die Ränder seines Blickfeldes wurden dunkler und schwarz und sein Geist glitt in die offenen, barmherzigen Arme der Bewusstlosigkeit, die mit dem Tod schäkerte. Doch nicht einmal diese Gnade war ihm vergönnt, als ein plötzlicher Schock wie ein Blitz durch seinen Körper schoss und jeden Nerv zum Leben erweckte. Er bäumte sich auf; es war mehr, als er ertragen konnte. Mehr als die Summe der Wunden, die Ankos Männer ihm zugefügt hatten. Jäh war der Schmerz wieder da; jede einzelne Blessur, jeden Schnitt, jeden einzelnen Kratzer konnte er spüren, von der tiefen Wunde in seiner Seite, die ihn sein Leben kosten würde, über die Beule, die er sich zugezogen hatte, als er mit dem Kopf voran einen Abhang hinunter geschlittert war, bis hin zu den zahlreichen Kratzern und Schrammen, die er sich während seiner wilden Flucht zugezogen hatte. Qual schlug wie eine Welle über ihm zusammen, so dass er beinahe darin zu ertrinken drohte, als sein Körper die Kälte registrierte, die in seiner Haut brannte. Es war, als stünde er in Flammen. Vage nahm er am Rande seines Bewusstseins Akamarus dumpfes Grollen wahr und die Kraft, die der Hund ihm über ihre Verbindung zukommen ließ. Er wollte das Tier wegstoßen, aber er wand sich nur vor Schmerzen im Schnee. „Lass das.“, wollte er sagen und sterben, doch stattdessen drang nur ein gepeinigtes Schluchzen über seine Lippen und Anko trat in seine Gedanken. Wie würde sie lachen, wenn sie ihn so sehen würde! Warum konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?! Hier und jetzt, am Ende?! Warum durfte er nicht in Frieden sterben, ohne an diese verdammte Hure denken zu müssen, die in den letzten Jahren seine Gedanken und sein gesamtes Leben beherrscht hatte?! Die plötzliche Wut überraschte ihn – schlagartig war sie da, heftiger und stärker noch als vorher und sie schien ihn bei lebendigem Leibe aufzufressen wie ein Wolf. Als wolle sie ihm zeigen, dass da noch mehr in ihm war, als selbst er gewusst hatte. Er war am Ende seiner Kräfte und doch noch zu einem solch alles verzehrenden, heißen Zorn fähig. Sein Hass mochte kalt und berechnend sein, doch Kiba selbst war heißblütig und seine Wut brannte wie ein Inferno. Sie wärmte ihn von innen auf, genug, um die Kälte noch stärker in den Gliedern zu spüren und Akamarus Fell unter seinen Fingern. Oder vielleicht war es auch nur Akamarus Stärke, die durch Kibas Adern sang und seine Herzen wieder schneller schlagen ließ. Es tat weh. Es schmerzte so sehr, dass Kiba schrie und seine Stimme durch die winterliche Stille schnitt wie ein scharfes Messer. Seine Finger krallten sich in Akamarus Fell und rissen dran, doch der Hund behielt einfach nur das stetige, beruhigende Grollen aufrecht und mit ihm den Kraftstrom, der Kibas Lebensgeister wieder erweckte. Erst, als die heiseren Schreie des Jägers in unkontrolliertes Schluchzen überging, hörte er auf damit und wich zwei Schritte zurück. Kibas Hand glitt aus seinem Fell und der Inuzuka sackte in den Schnee zurück. Er war noch immer geschwächt und verletzt, alles tat ihm weh und sein Körper zuckte und zitterte wie unter Fieber, doch der Tod war nicht mehr so nah – und auch nicht mehr willkommen. Schwach tätschelte Kiba seinen Hund ohne überhaupt zu wissen, wo. Er brauchte mehrere Anläufe, nur um sich auf den Bauch zu drehen. „Wozu… wozu… Was soll das jetzt bringen, Akamaru? Du hättest mich einfach sterben lassen sollen.“ Er hustete und schmeckte Blut und spuckte aus. Leuchtend rot hob sich der Speichel von dem schmutzigen Schnee ab. „Es wäre so viel einfacher.“ Akamaru wedelte mit dem Schwanz und war äußerst zufrieden mit sich selbst. Wer will es sich schon einfach machen? Einfach ist etwas für Versager und Feiglinge. Mit heraushängender Zunge und offenem Maul sah er aus, als würde er breit und etwas dümmlich grinsen. Kiba erwähnte diese Tatsache nur aus dem Grund nicht, weil er seine Kräfte sparen musste. „Lass das“, maulte er stattdessen, „hilf mir lieber auf und such nach einem Unterschlupf, sonst bringt diese verdammte Kälte mich noch um.“ Kiba hustete wieder und spuckte noch mehr Blut – wo das wohl herkam? – in den Schnee. Noch war er ohne Akamarus Hilfe zu schwach, um zu gehen oder überhaupt aufzustehen, aber er fand sein kleines Bündel und seinen wertvollen Bogen. Und er wollte verdammt sein, wenn er der tödlichen Illusion von Wärme im Schnee und der süßen Verlockung der ewigen Ruhe nachgeben würde. Nicht jetzt, nicht hier und nicht so. Und schon gar nicht, ehe er nicht dieser von allen Göttern verdammten Hure Anko von Mitarashi das Herz herausgerissen hatte. Mit diesem Gedanken im Kopf und Rache im Herzen rappelte Kiba sich mühsam aus und versuchte, eine Bestandsaufnahme zu machen und seine Situation abzuschätzen. Das Ergebnis war nicht gerade positiv. Die Blutungen waren alle versiegt, aber er die Wunden waren noch da und mussten versorgt werden. Er hatte durch seinen missglückten Anschlag auf Anko beinahe seinen gesamten Besitz verloren, darunter auch sein Pony. Seine Verfolger hingen ihm noch immer an den Hacken. Und wer wusste schon, wie viel Zeit er verloren hatte, während er hier im Schnee gelegen hatte? Nur mühsam rappelte er sich mit der Hilfe seines treuen Begleiters auf, seine Finger krampften sich schmerzhaft um Cridhe und seine Beine drohten unter ihm zusammenzubrechen. Aber er war noch am Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)