Aeonar von Phinxie (Willkommen im berühmtesten Magiergefängnis Thedas') ================================================================================ Kapitel 11: Die Wahrheit ------------------------ Vor einer Woche. Anders starrte mit wachsendem Entsetztem an die Stelle, an der vor wenigen Augenblicken noch Jowan gestanden hatte. Er hatte… er hatte den Magier wiedererkannt! Sie waren gemeinsam in Kinloch Hold gewesen, hatten sich auch hin und wieder mal unterhalten. Der Blondschopf hatte von der Tändelei des Schwarzhaarigen gewusst, hatte ihn aber nie verraten – dafür hatte Jowan auch stets den Mund gehalten, wenn es um Anders‘ eigene Lustbefriedigungsaktionen gegangen war. Man konnte nicht behaupten, dass sie Freunde gewesen waren, denn da Anders ein Magier und Jowan nur ein Schüler gewesen war, hatten sie sich nicht sonderlich oft getroffen. Und doch blitzten die Erinnerungen an den schwarzhaarigen Magier auf, während Erdbeerchen den Kopf in den Nacken warf, um Jowans Bein, das noch aus ihrem Mundwinkel hing, ebenfalls zu verschlingen. „Beim Erbauer…“, keuchte er und hielt sich eine Hand entsetzt vor den offenen Mund. Seine Augen waren weit aufgerissen und er schüttelte ungläubig den Kopf. Tränen liefen ihm unbemerkt über die stoppeligen, unrasierten Wangen und hinterließen hautfarbene Spuren auf seinem dreckigen Gesicht. Ein wenig Blut war ihm ins Gesicht und auf seine Brust gespritzt und es fühlte sich unangenehm an – sein Kopf war leer, nur noch erfüllt von dem Schrecken, von dem er gerade eben Zeuge geworden war. Er konnte es nicht fassen… Jowan war tot. Erdbeerchen hatte keine Sekunde gezögert, den Magier zu fressen, und- Jowan war tot. Einfach so. Der Anderfelser konnte es nicht glauben und irgendwie sickerte der Gedanke, dass der Schwarzhaarige das Zeitliche gesegnet hatte, nur sehr schwer in seinen Kopf hinein, wie zäher Sirup, den er sich früher immer so gerne auf seine Pfannkuchen geschüttet hatte (wenn es in Kinloch Hold denn mal diesen Luxus gegeben hatte). Erdbeerchen knurrte auf und grunzte ein wenig – ihr heißer Atem schlug dem paralysierten Magiers ins Gesicht und sie fletschte die Zähne. Speichel und Blut tropfte herab, vor ihr auf den Boden, und ihre Krallen schabten über den Grund, als sie einen kleinen Schritt tat. Anders verspürte keine Angst, sondern nur noch lähmende Leere und Lethargie. „Anders!“ Eine Hand an seiner Schulter, doch der traumatisierte Magier reagierte nicht. Immer noch stand er in gleicher Haltung da, die Finger vor dem geöffneten Mund und mit dem Gefühl, jeden Augenblick sein reichhaltiges Abendessen wieder ausbrechen zu müssen. Er tastete blind mit der anderen Hand nach dem fremden Arm, wollte ihn abschüttelten, doch er schaffte es nicht. Sein Gesicht verzog sich beinahe in Zeitlupe und ein lautes, durchdringendes Schluchzen verließ seine Kehle. „Anders!“ Julius‘ Stimme drang an sein Ohr, doch noch immer reagierte der Geistheiler nicht. Noch immer starrte er auf die Stelle, an der Jowan – in seinen Augen – einfach verschwunden war und achtete nicht auf das Zerren an seiner Schulter. „Anders, jetzt komm, beim Erbauer!“ Nur widerwillig ließ sich der Geistheiler mitziehen. Erdbeerchen fuhr sich mit der gegabelten Zunge über die schuppigen Lippen und senkte dann den Kopf, um das Blut und herausgefallene Eingeweide vom Boden aufzulecken, doch dies sah der Blondschopf schon gar nicht mehr, denn Julius zerrte ihn gewaltsam mit sich, bog um eine Ecke, damit sie in ihre sichere Zelle fliehen konnten. Die ganze Zeit über liefen Anders Tränen über die Wangen und er trauerte um seinen Bekannten. Jowan war der Erste, den er hier unten hatte sterben sehen. „Nein!“, stöhnte Anders schwer und ließ sich auf die Knie fallen. Er war geschwächt und sein Körper wurde von Zitteranfällen geplagt. Er umklammerte die schweren Eisenstangen vor seinen Augen mit beiden Händen, sah mit verschwommenem Blick hindurch und schluchzte wie wild. Er ließ den Kopf hängen – die Tränen tropften auf den Boden und hinterließen dunkle Flecken, die bald schon trocknen würden. Seine Haare hingen ihm unordentlich ins Gesicht, doch dem sonst so eitlen Magier war dies völlig egal. Sein Magen verkrampfte sich und er spuckte aus – Speichelfäden fingen ihm von Kinn herab und es schien, als sei er geradewegs dabei, den Verstand zu verlieren. Julius saß im Schneidersitz an einer Wand und blickte den nervlich völlig fertigen Geistheiler unbeeindruckt an. Das ging nun schon seit STUNDEN so und langsam fing es an, zu nerven. Menschen starben nun mal, wenn sie nicht wussten, wie man sich in Aeonar zu benehmen hatte. Und dieser seltsame Schwarzhaarige hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich mit jemandem anzufreunden. Wer versuchte, ohne Hilfe zu überleben, der war von Anfang an dem Tod geweiht. Der muskulöse Mann selbst fand die Tatsache, dass Erdbeerchen nun relativ früh zum Abendessen gegessen hatte, ziemlich angenehm und vielleicht würde er auch mal eine ruhige Nacht schlafen können… Bei diesem Gedanken stöhnte der Anderfelser in der Zelle wieder laut auf, als wäre gerade er selbst es, der von dem roten Drachenweibchen gefressen werden würde und Julius presste die Lippen zusammen und verkniff sich ein Augenrollen. Er ist noch neu, sagte er in Gedanken zu sich selbst, gib ihm Zeit. Zeit? Der verdammte Magier war seit fünf Wochen hier und sollte eigentlich schon wissen, dass Erdbeerchen hin und wieder jemanden von ihnen erwischte! Der Schwarzhaarige, der war vorher auf Etage Eins gewesen – Julius persönlich hatte nichts als Verachtung für die Gebrochenen übrig. Sie waren viel zu schnell in Selbstmitleid und Trauer versunken, krochen auf Knien herum und winselten, damit die Templer sie in Ruhe ließen. Und genau deswegen machte es der letzteren Gruppe ja auch so verdammt viel Spaß, sie zu quälen. Wer wollte schon jemanden auspeitschen, der ihm ins Gesicht lachte, spuckte und ihn als ‚Feigling‘ bezeichnete? Niemand und schon gar nicht das olle Narbengesicht, denn jenes war viel zu stolz für solche Beleidigungen. Julius pustete sich eine Haarsträhne aus seiner Stirn und lehnte den Kopf gegen die steinerne Wand. Anders schluchzte immer noch hemmungslos vor sich hin und es schien, als wolle er heute Abend nicht mehr aufhören. Also… so langsam fragte sich der kräftige Braunhaarige, was der Blondschopf hier unten machte. Klar, jener schien ein recht starker Magier gewesen zu sein, aber Julius hatte noch keine verräterischen, halb verheilten Schnittwunden, wie sie alle Maleficare trugen, gesehen (und er hatte sich Anders, als jener geschlafen hatte, ziemlich genau angeguckt. Ein Glück, dass der Magier einen tiefen Schlaf hatte, sonst wäre jener wohl ausgerastet, hätte er es mitbekommen…). Und auch sonst schien der dürre Magier hier nicht reinzupassen. Natürlich, im Endeffekt passte KEIN Magier hier unten rein, doch einige schlugen sich besser, als andere. Der arme Kerl Jowan hatte zu den Leuten gehört, die sich nun mal schlechter geschlagen hatten. Es war kein Wunder, dass er gefressen worden war und Anders sollte lieber froh darum sein, dass sie für heute Ruhe vor Erdbeerchen hatten. Aber das war er nicht. Stattdessen heulte er hier herum. Oh, hoffentlich hörte Brutus ihn nicht…! Das Narbengesicht LIEBTE weinende, kleine, schwache Magier und tat nichts lieber, als jene noch ein wenig weiter zu quälen. Wenn das so weiterging, würde Julius dem Anderfelser noch den Mund stopfen müssen, so viel stand fest! War Anders mit diesem Jowan befreundet gewesen? Man könnte dies meinen und Julius seufzte schwer aus, während er den heulenden Geistheiler beobachtete. Er war schon verhältnismäßig lange hier unten und hatte gelernt, mit dem Schmerz – mit allem – umzugehen. Er hatte viele seiner ‘Freunde‘ sterben sehen, viele, die direkt vor seinen Augen von den Templern abgeholt worden und nie wieder gekommen waren… doch niemals war er so gebrochen gewesen, wie Anders. Knight-Commander Magnus musste sich vertan haben – der Blonde gehörte nicht auf Etage Drei. Er gehörte auf Etage Eins, dorthin, wo alle hockten, die schnell nachgaben und sich am liebsten in ein dunkles Loch verkriechen würden. Doch wenn Julius eines gelernt hatte, dann, dass Knight-Commander Magnus niemanden umsonst auf Etage Drei schickte. Was machte den Blondschopf also so besonders, dass er hier unten gelandet war? Jetzt. Anders schlurfte mit seiner Schüssel mit gut riechendem Eintopf zu Julius, der bei Branwen und Oliver saß und sich leise unterhielt. Der Blondschopf hatte immer noch rot geränderte Augen und regelmäßig brach er noch in Tränen aus, wenn er mit Julius alleine in der Zelle war, doch meistens blieb er still und erledigte seine Arbeit. Er konnte so oder so nichts anderes tun. Julius hatte ihn gewarnt, Schwäche zu zeigen, wenn die Templer in der Nähe waren und deswegen riss Anders sich zumindest während der ‘Arbeit‘ zusammen, um nicht aufzufallen. Trotzdem, der Schock, dass Jowan, sein alter Freund, einfach so gefressen worden war… der steckte ihm einfach noch zu tief in den Knochen. Aus dem sonst immer breit grinsenden, eitlen Magier war ein gebrochener Mann mit tiefen Augenringen geworden. Julius und Branwen sahen auf, als Anders sich zu ihnen setzte, Oliver jedoch aß still weiter. Der Mann war generell nicht gesprächig und antwortete auch meistens nur mit Ein-Wort-Sätzen. „Gestern ist Sam von uns gegangen“, meinte Branwen mit leiser Stimme und stocherte in ihrem Eintopf herum. Julius kniff die Lippen zusammen und meinte: „Samantha war hochschwanger, Bran. Was hast du denn erwartet?“ Die angesprochene Frau antwortete nicht, sondern steckte sich ein paar Fleischstücke in den Mund. Anders sah zur Seite – er kannte die Frau, von der die beiden sprachen. Er hatte sie häufig gesehen und sich gefragt, wie schrecklich diese Templer hier in Aeonar waren, dass sie eine hochschwangere Magierin zur Arbeit zwangen. „Kam sie schon schwanger hierhin?“, wollte er schließlich wissen – im nächsten Moment wünschte er sich, er hätte nicht gefragt, denn Branwen sah ihn mit beinahe schon schreckensgeweiteten Augen an. „Nein“, antwortete Julius schließlich, nach mehreren Sekunden der Stille. „Manchmal holen sich die Templer jemanden, der ihnen besonders gut gefällt. Da sie hier unten so oder so sterben, machen sie sich nichts draus.“ Anders‘ Rehaugen wanderten zu Branwen. Die junge Frau bemerkte seinen Blick und sagte: „Ich bin für die meisten Templer zu mager und habe nicht genügend Brustumfang. Und als es doch mal geschehen ist, habe ich es über mich ergehen lassen, ohne einen Mucks von mir zu geben. Das mögen sie nicht und es spricht sich schnell rum, dass ich ‘langweilig‘ bin.“ Der Blondschopf wurde noch blasser (er hatte ja gedacht, das ginge eigentlich nicht mehr) und senkte den Kopf wieder. Alle, die hier unten waren… sie sprachen so verdammt nüchtern über das, was passierte. Als wäre es nichts. Oder, dachte er sich, als wäre es eine Art Schutz. Schutz davor, damit sie nicht zusammenbrechen, so wie ich. „Was hast du eigentlich getan, dass du hier bist, Bran?“, fragte Anders – inzwischen kannte er die Frau gut genug, um sie bei ihren arg männlich klingenden Spitznamen nennen zu dürfen. Bran runzelte die Stirn, dann meinte sie schulterzuckend: „Ich habe den Knight-Captain unseres Zirkels aus Versehen getötet.“ Anders verschluckte sich an seinem Eintopf und hustete. Julius klopfte ihm auf den Rücken, bis der Hustenanfall vorbei war und entsetzt starrte der Blonde die Rothaarige an. „…was?“ „Ich glaube, da musst du einiges erklären, Bran“, kicherte Julius und grinste ein wenig. Anders fand das alles ja überhaupt nicht lustig. Branwen seufzte aus und sagte: „Naja, es war ein Unfall. Ich habe ein wenig geübt und ein Zauber ging schief… dummerweise knallte er gegen ein Bücherregal, das umkippte und einen unglücklichen Templer unter sich begraben hat – den Knight-Captain.“ Sie kratzte sich verlegen am Hinterkopf, dann fuhr sie fort: „Normalerweise wäre ich ja mit einer Strafe davongekommen, aber der Junge war der Sohn unseres Knight-Commanders und jener wurde wahnsinnig vor Wut. Er hat behauptet, ich sei ein von Dämonen besessenes Monster und ich hätte das mit voller Absicht getan… der Erste Verzauberer – mein Mentor – konnte ihn zwar beruhigen, aber er befahl trotzdem, mich nach Aeonar bringen zu lassen, damit ich niemandem mehr schaden kann. Und deswegen sitze ich nun hier.“ Sie musterte den Blondschopf auffordernd. Jener senkte schnell den Blick und aß ein wenig, bevor es kalt wurde – kalt schmeckte der Eintopf nicht so gut. „Und warum bist du hier, Anders?“ Der Geistheiler hielt inne und zögerte. Branwen hatte ihm seine Geschichte ohne zu zögernd erzählt und es schien, als sei er ihr nun seine ‘schuldig‘. „Ich… habe blau geleuchtet“, sagte er schließlich. „Wirklich? Davon habe ich noch nichts mitbekommen“, kommentierte Julius, doch selbst Oliver hob neugierig den Kopf, um zu erfahren, was hinter den geheimnisvollen Satz steckte. Anders schlug die Augen nieder. „Ich habe einen Geist in mir… Sein Name ist Gerechtigkeit… Und wenn er rauskommt und die Kontrolle übernimmt, dann leuchte ich blau und bin in einer Art… Blutrausch. Und das ist geschehen, als mich die Templer gefangen genommen haben und deswegen bin ich wohl hier unten gelandet.“ Mehrere Minuten lang schwiegen seine drei Mitinsassen, bis Oliver schließlich meinte: „Wahnsinn. So etwas höre ich zum ersten Mal.“ „Allerdings“, murmelte Julius und betrachtete Anders interessiert. „Und warum benutzt du den Geist jetzt nicht einfach, um hier rauszukommen?“ Der Blondschopf versuchte, nicht allzu stark auf die gähnende Leere in seinem Innern zu achten. „Ich… spüre ihn hier nicht. Die Antimagie ist zu groß und er ist nicht da… Zumindest nehme ich an, dass es daran liegt.“ „Hm.“ „Und du, Julius? Was hast du verbrochen?“ Anders wollte das Thema so schnell wie möglich wechseln – und es schien zu funktionieren, denn der Braunhaarige seufzte wehleidig auf und meinte theatralisch: „Ich habe die Regeln gebrochen!“ „Was denn für Regeln?“ „Naja, da gab es diese süße Magierin… und die wollte auch was von mir. Und da dachte ich, warum nicht? Dummerweise hat man uns erwischt und das blöde Miststück hat natürlich sofort behauptet ICH wäre der Böse! So etwas Hinterhältiges habe ich noch nie erlebt! Und dann wurde ich nach Aeonar geschickt…“ „…aber das habe ich auch andauernd gemacht“, meinte Anders verwirrt. „Ich habe dann immer eine Rüge bekommen und dann war es gut. Manchmal musste ich auch die Bücher ordnen oder die Bibliothek wischen, aber sonst…“ „Oh, aber wenn man Knight-Captain ist, darf man sich so etwas leider nicht erlauben, Anders.“ Dem Blondschopf blieb sein Bissen im Hals stecken und er starrte Julius mit weit aufgerissenen Augen an. Der kräftige Mann sah auf und auf einmal schien bei ihm ein Licht aufzugehen: „Oh… stimmt, das hatte ich dir ja noch nicht erzählt. Aber eigentlich hättest du auch selbst drauf kommen können!“ „…du bist ein Templer!“, stieß der Anderfelser aus und blickte zu Oliver rüber. Der Mann zuckte mit den Schultern und meinte nur: „War.“ „…war?“, wiederholte Anders mit schwacher Stimme. Julius hörte einen Moment lang auf zu essen und sagte: „Der Templer-Status wird uns mit der Einlieferung aberkannt. Aber… Anders, sieh dich mal um! Neunzig Prozent derer, die hier unten sind, sind ehemalige Templer!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)