Muzukashii Sekai von Harulein (MiA x Meto / Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 6: [meto] Act 6 ----------------------- [einige Tage später] Wir hatten wieder ‚Schönheitstag‘, Tsuzuku und ich. Nach dem Baden blieben wir lange in dem Raum mit den Föhngeräten und ich machte ihm die Haare schön. Eine Frau, die ein Stück weiter saß, warf uns leicht irritierte Blicke zu und ich vermutete, dass sie Tsu und mich für ein schwules Paar hielt. Aber ihm schien das egal zu sein und mir sowieso. Was ging es die Leute an, ob ich meinem besten Freund die Haare machte, ihn ein wenig schminkte und so versuchte, sein Körpergefühl etwas zu verbessern? Gar nichts! Wieso konnten Leute nicht dann wegschauen, wenn es sie nichts anging, und dann hinsehen, wenn sie gefälligst helfen sollten?! War das so schwer zu unterscheiden? Während ich Tsuzukus weiche, schwarze Haare kämmte, betrachtete er sich im Spiegel. Und ich sah diesen kritischen, schmerzvollen Blick in seinen Augen. Diesen Blick, der nur allzu offensichtlich zeigte, wie schlecht sein Verhältnis zu sich selbst war. Immer, wenn ich das sah, verlor ich für einen Moment den Mut. Es war einfach furchtbar. „Tsu, lächle doch mal“, versuchte ich, die Hoffnungslosigkeit in mir zu überdecken und diesen Blick voller Selbsthass aus seinen schönen Augen zu vertreiben. Er versuchte es, doch es gelang ihm nicht so recht. Brachte nur ein halbes Lächeln zustande, das aufgesetzt wirkte und seine Augen kaum erreichte. Ich hielt das nicht aus, doch statt aufzugeben, riss ich mich heftig zusammen und lächelte über seinen Kopf hinweg in den Spiegel. Doch auch ich brachte nicht viel zustande. „Denk an MiA!“, sagte ich mir und schon schlich sich ein echtes Lächeln auf mein Gesicht. Ein Lächeln, dass Tsuzuku sah und endlich auch ebenso ehrlich erwidern konnte. Damit war der Moment der Mutlosigkeit wieder vorbei. So war es immer. Wenn ich Tsuzuku ehrlich lächeln sah oder sogar lachen hörte, dann war meine Welt in Ordnung. „Meto?“, fragte er. „Hm?“ „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“ Wusste ich das? Hatte ich eine Ahnung, wie viel ich ihm bedeutete? Wenn er so fragte? Im Gegensatz dazu, dass er nie glaubte, wie lieb ich ihn hatte, betonte er das seinerseits auf mich bezogen ziemlich oft. So oft, dass ich mich sogar manchmal fragte, was für Freunde wir eigentlich waren. Ja, ich wusste, dass ich ihm mehr als wichtig war, wahrscheinlich sogar die Hauptrolle in seinem Leben spielte. Er hatte sonst so gut wie niemanden. Zum Rest seiner Familie hatte er keinen Kontakt mehr und außer ein paar flüchtigen Bekannten im Akutagawa, mit denen ich ihn bekannt gemacht hatte, hatte er auch nichts, was man Freunde nannte. Niemanden außer mir. Ich wusste: Wenn er aus diesem Loch wieder raus wollte, würde er das ändern müssen. Und ich wollte das auch für mich. Weil ich diese ganze Verantwortung nicht mehr lange würde tragen können. Die Verantwortung, der Einzige für jemand Krankes zu sein. Am vergangenen Wochenende war ich abends nicht weg gewesen. Ich hatte zu Hause gesessen und DVDs geschaut, ein bisschen von MiA geträumt und ein paar Manga gelesen. Wegen MiA, wegen dem, was ich für ihn empfand, obwohl wir uns kaum kannten, wollte ich mit diesem Partyleben aufhören, zumindest nicht mehr mit Fremden rummachen. Aber wie ich mich dann erholen und ein bisschen gehen lassen sollte, wusste ich nicht. Ich musste mich nach etwas anderem umsehen. Über diesen Gedanken hatte ich die Schminksachen aus der Tasche geholt und begann jetzt, Tsuzuku ein leichtes Make-up zu machen, das seine Augen schön zur Geltung brachte und seine hübschen Lippen betonte. „Und weißt du eigentlich, wie schön du bist?“, fragte ich zurück. Aber er zuckte nur mit den Schultern. Zwar ließ er sich gern von mir schön machen, doch es änderte immer noch nichts daran, dass er sich selbst nur negativ sah. Wieder kam die Mutlosigkeit hoch, doch ich kämpfte sie mit aller Kraft nieder. Ich musste stark bleiben, durfte auf keinen Fall aufgeben, denn ich war überzeugt, dass Tsuzukus Leben an meiner Kraft und meinem unbeugsamen Willen hing. Wenn ich aufgab, würde er auch am Ende sein. Während ich mich anschließend selbst zurechtmachte, ratterte es in meinem Kopf. Ich ging noch einmal alle Möglichkeiten durch, die ich hatte, um das Leben meines besten Freundes zu retten. Irgendetwas musste es da noch geben, eine Idee, an die ich bisher noch nicht gedacht hatte. Vielleicht war sie verrückt, vielleicht riskant, doch ich klammerte mich an diesen Gedanken, dass da noch etwas war, was ich tun konnte, auch wenn ich es noch nicht kannte. Als wir Tsuzukus Sachen aus der Wäscherei holten, suchte seine Hand wieder Kontakt mit meiner. Das, was er mir wohl seit einer Woche sagen wollte, war wohl immer noch nicht ausgesprochen und wieder fragte ich mich kurz, was es denn sein könnte, um mich dann mit demselben Satz zu beruhigen: Wenn irgendwas war, würde er es schon im richtigen Moment sagen. Er musste doch keine Geheimnisse vor mir haben. Wir redeten über dies und das, unter anderem darüber, dass er irgendeinen Minijob wollte. Das Herumsitzen auf der Straße tat ihm nicht gut, das wusste er selbst, aber genauso gut wusste er, dass man für eine Anstellung einen festen Wohnsitz brauchte. Spät abends, zu Hause, setzte ich mich in mein Zimmer, schloss die Tür ab und drehte die Musik laut auf. Dann nahm ich einen Zettel und einen Stift, warf mich aufs Bett und schrieb alles auf, was ich bisher an Maßnahmen und Möglichkeiten ausprobiert hatte, um Tsuzuku zu helfen. Es wurde eine Liste an Dingen, die nur kurz oder gar nichts gebracht hatten. Manches, was ich ganz zu Anfang versucht hatte, hatte sich inzwischen als idiotisch erwiesen (wie zum Beispiel die Idee mit dem teuren Essen), anderes wie unsere ‚Waschtage‘ wirkte zwar nicht wirklich, funktionierte aber wenigstens ein kleines bisschen. Irgendwann musste ich trotz der Musik eingeschlafen sein, denn ich fand mich in einem Traum wieder, den ich so noch nie geträumt hatte: Tsuzuku und ich waren hier, in meinem Zimmer, und meine Eltern waren nicht zu Hause. Wie es dazu gekommen war, dass ich ihm gesagt hatte, wo ich lebte, spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass er da war und bei mir übernachten wollte. Wir sahen uns irgendeinen Film an, lagen dabei zusammen auf meinem Bett und ich aß irgendwelche Süßigkeiten. Und dann passierte etwas, das mich im Traum merkwürdigerweise kein bisschen irritierte: Tsuzuku legte seine Hand auf mein Bein, genauer gesagt auf die Innenseite meines rechten Oberschenkels, und begann, mich dort zu streicheln. Es fühlte sich einfach nur gut an und kein bisschen falsch. Ich sah ihn fragend an, er nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. „Das brauchen wir jetzt nicht“, sagte er leise, bevor er sich über mich beugte und begann, mich zu küssen und überall anzufassen. Seine Fingerkuppen gruben sich in meine Haut, ich legte meine Arme um ihn und zog ihn an mich. Tsuzukus Nähe sorgte dafür, dass mit heiß wurde und ich spürte, dass er ziemlich erregt war, als er seinen schmalen Körper an meinen presste und begann, mich auszuziehen… Dann wachte ich auf. Zuerst merkte ich nichts, doch als ich zwei Dinge realisierte, die ganz und gar nicht stimmten, fuhr ich erschrocken hoch. Was zum Henker hatte ich da geträumt?! Und wieso reagierte mein Körper darauf und sorgte dafür, dass sich meine Hose unangenehm eng anfühlte? Je wacher ich wurde, umso mehr verwirrte mich das soeben Geträumte. Meine Gedanken rasten und mein Körper fühlte sich heiß und taub gleichzeitig an. Ruana schaute mich mit ihren beiden unterschiedlichen Augen vorwurfsvoll an und schien mich zu ermahnen, diesem Traum nicht gedanklich zu folgen. Warum träumte ich so etwas? Tsu und ich waren doch nur gute Freunde! Natürlich hatte ich ihn schon oft nackt gesehen, im Badehaus, aber da war doch nichts bei mir gewesen, keine Regung, kein gar nichts! Was dachte sich mein Hirn dabei, mich so was träumen zu lassen? Hatten Träume nicht immer eine Bedeutung und hingen mit dem Unterbewusstsein zusammen? Fand mein Unterbewusstsein Tsuzuku heiß? Und wie viel davon war ein Teil dessen, was ich von mir kannte? War es schon Liebe, dass ich Tsu schön fand und alles für ihn tun wollte? Und was war mit MiA? War ich wirklich in ihn verliebt? Totale Unsicherheit breitete sich in mir aus. Tausende solcher Fragen schwirrten mir durch den Kopf, während ich mich langsam erhob. Das Problem in meiner Hose würde sich nicht von allein lösen, also schlich ich mich ins Bad neben meinem Zimmer, zog sie aus und verschaffte mir schnell und ohne viel Fantasien Erleichterung. Meine Klamotten waren zusätzlich nassgeschwitzt und so wanderten sie alle in den Wäschekorb. Als ich wieder in mein Zimmer zurückkam, sah ich die Liste auf meinem Bett liegen. Ich nahm sie, faltete das Blatt zusammen und zog die Schublade unter meinem Bett hervor. In dieser großen Kiste bewahrte ich ein paar von Tsuzukus Sachen auf und einiges, was ich mal für ihn gekauft hatte. Es war sozusagen eine Sammlung von allem, was ihn betraf, und meine Eltern absolut nichts anging. Ich wusste nicht, was sie sagen würden, sollten sie von meiner merkwürdigen Freundschaft zu einem vierundzwanzigjährigen Obdachlosen erfahren. Ich legte die Liste in diese Schublade und schob sie wieder unter mein Bett. Ein Blick auf meinen Wecker sagte mir, dass es elf Uhr nachts war. Das Lämpchen an meinem CD-Player leuchtete noch, die CD war durch und wartete, dass ich wieder auf den ersten Song schaltete. Ich ging hinüber, nahm die Platte heraus und schaltete die Anlage aus. Es dauerte sehr lange, bis ich in dieser Nacht wieder einschlafen konnte. Meine Gedanken kreisten um das, was ich von dem Traum noch wusste und die Frage, was ein solcher Traum zu bedeuten hatte. Und ich hatte Angst, ihn weiter zu träumen, wenn ich wieder einschlief. Als ich dann schließlich doch gegen drei Uhr in einen erschöpften Schlaf sank, träumte ich jedoch nichts, zumindest nichts, woran ich mich später erinnern konnte. Am nächsten Morgen weckte mich ein Klopfen an meiner Tür. „Yuuhei? Alles in Ordnung?“ Ich drehte mich schlaftrunken zur Seite und sah auf die Uhr. Ach du Schreck, viertel vor zehn?! Mit einem Satz war ich aus dem Bett. „Alles …kay…“, brachte ich heraus, während ich mich anzog. „Nur … verschlafen!“ Nachdem ich an den sich entfernenden Schritten gehört hatte, dass meine Mutter wieder nach unten gegangen war, lief ich aus dem Zimmer ins Bad und begann, mich so schnell wie möglich fertig zu machen. „Guten Morgen, Yuuhei“, begrüßte mich mein Vater kurz darauf am Frühstückstisch. Er musterte mein Outfit und mein Make-up und sagte: „Wir hatten doch ausgemacht, dass du es heute nicht übertreibst. Für einen Termin beim Psychologen brauchst du dich doch nicht so aufzuhübschen.“ Ach Mist! Der Termin drohte mir schon seit vier Wochen, doch ich hatte ihn dermaßen verdrängt, dass ich nur noch gewusst hatte, dass heute um halb zwölf irgendwas war. Meine Eltern machten sich Sorgen, weil ich immer noch nicht richtig reden und deshalb nicht arbeiten konnte, deshalb hatten sie mich einfach bei einem Psychologen in der Nachbarstadt angemeldet. Wenn ich hätte diskutieren können, dann hätte es deswegen Streit gegeben. Ich hatte nicht die geringste Lust, irgendeinem Psychologen mein Leben zu erzählen, selbst wenn es so was wie Schweigepflicht gab. Das Thema Therapie hatte ich für mich durch, nachdem ich die letzte vor Jahren abgebrochen hatte. Was sollte ich denn auch erzählen? Dass ich mir große Sorgen um meinen besten Freund machte, weil er Bulimie hatte und auf der Straße lebte? Dass ich die ganze Verantwortung für ihn trug und das kaum noch aushielt? Dass ich ihn irgendwie liebte oder so? Dass ich in einem Partyclub einen anderen Typen kennen gelernt und mich in den auch irgendwie verliebt hatte? Dass ich nicht mehr wusste, was davon jetzt Verliebtsein war und was nur Mögen? Dass ich zwei Ichs hatte, die in zwei komplett verschiedenen Welten lebten, und diese beiden sogar unterschiedliche Namen hatten? Nein, ich hatte wirklich keine Lust, da mit jemandem ‚vom Fach‘ drüber zu reden. Der einzige, bei dem ich mir irgendwie wünschte, einiges abzuladen, war MiA. Und das war ziemlich unmöglich, zumindest was meine gespaltenen Welten betraf. Trotzdem fuhr ich widerwillig mit und als wir die Praxis erreicht hatten, sagte ich: „Ich… geh allein… ihr nicht mit…“ Und auf einmal war mir dieser verdammte Sprachfehler auch vor meinen Eltern peinlich und ich verspürte wieder dieses Gefühl, mich selbst dafür ohrfeigen zu wollen. Und auf einmal fiel mir auf, dass das in letzter Zeit mehr geworden war. Also das mit diesem Gefühl, mich schlagen zu wollen, dafür, dass ich etwas falsch machte. Wurde ich jetzt schon genauso wie Tsuzuku? Färbte das etwa ab? Mit diesen verwirrenden und ziemlich furchtbaren Gedanken im Kopf betrat ich die Praxis, die innen genau dieses miese, pseudofreundliche Psychoambiente hatte, vor dem man sich in Anstalten fürchtet. Ich fühlte mich weder wie Yuuhei, noch wie Meto, sondern einfach zerrissen und total durcheinander. Kein guter Tag, um einem Psychologen weis zu machen, dass ich gar keine Behandlung wollte. Im Wartezimmer erntete ich für mein Aussehen einiges an Blicken. Eine Frau starrte auf meine linke Hand und sah mich fast angewidert an. Ich griff mir eine der herumliegenden Zeitschriften und tat, als würde ich lesen. Zum echten Lesen interessierte mich der Inhalt zu wenig. „Yuuhei Asakawa bitte!“ Ich stand auf und die freundlich lächelnde Sprechstundenhilfe führte mich in einen Raum, in dem hinter einem Schreibtisch eine Frau von Mitte Vierzig saß. „Guten Tag. Ich bin Sae Hiranuma. Ihre Eltern haben Sie bei mir angemeldet, weil Sie ein Problem mit der Sprache haben. Mögen oder können Sie mir davon erzählen?“ Ich beschloss, erstmal ehrlich zu sein und schüttelte den Kopf. „Setzen Sie sich doch.“ Sie zeigte auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und ich setzte mich widerwillig. „Sie sind neunzehn Jahre alt und leben noch zu Hause, stimmt das?“ Ich nickte. „Aber erzählen, was sie bedrückt, wollen sie nicht?“ „… mich… nichts…“, brachte ich heraus, doch als ich richtig bemerkte, wie arm das klang, riss ich mich zusammen und versuchte es noch mal: „Mich… bedrückt… nichts. Ich… nur nicht… richtig reden… kann…“ „Deshalb sind Sie ja hier. Ihre Eltern möchten, dass ich Ihnen dabei helfe, die Wurzeln für dieses Problem zu finden. Aber dafür müssten Sie mit mir sprechen, so gut es geht, Yuuhei. Ohne das kann ich Ihnen nicht helfen.“ Ich kniff die Lippen zusammen. Was sollte das bringen, hier alles zu erzählen? Davon würde mein Sprachproblem sich bestimmt nicht lösen! „Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Yuuhei?“ „Tun… Sie, was Sie… nicht können… lassen…“ Ich klang wirklich wie ein kompletter Vollidiot! Warum nur konnte ich mich Tsuzuku gegenüber so einfach und eloquent ausdrücken und bei anderen nicht?! Es war echt zum Ausrasten und das alles an diesem verdammten Tag! Und dann ging es los. Alles Mögliche wollte diese Frau Hiranuma von mir wissen! Manches war noch ganz okay, aber vieles ging sie einfach nichts an! Ebenso gut hätte sie mir einen von diesen gestörten Fragebögen in die Hand drücken können, auf denen man „trifft zu“, „trifft ein bisschen zu“ und „trifft nicht zu“ ankreuzen soll, damit sich wer auch immer ein bescheuertes Bild von einem macht. Fragen wie „Denkst du viel an Sex?“ musste ich doch nicht beantworten, oder? Auf die meisten Fragen antwortete ich nur mit einem widerwilligen Blick und zusammengekniffenen Lippen. Vielleicht wäre ich etwas kooperativer gewesen, hätte ich nicht so einen entsetzlich schlechten Tag gehabt. „Hast du denn eine Freundin?“, fragte Frau Hiranuma. Sie war inzwischen, wohl weil ich auf sie wie ein an den Eltern klebender Spätzünder wirkte, dazu übergegangen, mich zu duzen. Ich schüttelte den Kopf. „Hattest du schon mal eine?“ „Nein.“ „Und hättest du gern eine Freundin?“ Diese bohrende Art, mich auszufragen, brachte mich wirklich auf die Palme und so platzte ich bissig und sogar fehlerfrei heraus: „Nein, ich steh auf Kerle!“ Ihr überraschter Blick tat sein übriges, um diese Psychologin in meiner Achtung weiter gegen Null sinken zu lassen. Und ihre nächste Frage verursachte, dass sie bei mir dann wirklich unten durch war: „Und wie läuft das bei dir?“ Ich sprang auf, bedachte sie mit einem wütenden Blick, zischte „Geht Sie gar nichts an!“ und verließ den Raum. Meine Eltern saßen im Wartezimmer. „Yuuhei?“, fragte meine Mutter. „Was ist denn heute los mit dir?“ Ich antwortete nicht, stattdessen kramte ich mein Handy raus, setzte die Ohrstöpsel ein und drehte D‘espairs Ray‘s ‚Reddish‘ auf volle Lautstärke. Im Auto drehte sich meine Mutter nochmal zu mir um und fragte irgendwas, aber ich ließ die Musik an und so verstand ich nicht, was sie wollte. Das Thema Eltern war heute für mich durch, ich wollte nur noch weg. Aber dann fiel mir der Traum wieder ein und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob ich Tsuzuku heute wirklich sehen wollte. Kaum waren wir wieder zu Hause, lief ich auch schon wieder los, in Richtung meines Lieblingsclubs. Die hatten draußen immer aushängen, an welchen Tagen diese Woche Partys waren und wann nicht. Und eine Party mit Alkohol und vielleicht mit MiA war heute genau das, was ich brauchte. Und ich hatte Glück: Heute Abend fand eine Party statt. Blieb nur die Frage, wie ich MiA erreichen und überreden konnte. Ich hatte ja weder seinen Namen, noch seine Adresse oder seine Nummer. Heute war es genau eine Woche her, dass ich ihn kennen gelernt hatte und vielleicht war er heute Abend ja wieder hier. Wenn nicht, würde ich eben allein feiern. Hauptsache, ich konnte das Kapitel Psychologin schnell vergessen. Ich hing den ganzen Tag in der Stadt herum, möglichst weit weg vom Akutagawa. Weil ich mir erst wieder klar darüber werden musste, was das mit Tsuzuku und mir eigentlich war. Doch ganz zurückziehen konnte ich mich nicht. Als ich nämlich an einem Brunnen in der Innenstadt saß, rauchte und die Menschen beobachtete, hörte ich hinter mir eine bekannte Stimme. „Hey, Meto!“ Ich drehte mich um und da stand Haruna, Hanakos feste Freundin. Ich mochte sie recht gern und wäre ich nicht schwul und sie lesbisch gewesen, dann hätte sie durchaus Chancen bei mir gehabt. Sie sah gut aus mit ihren rückenlangen, meerblauen Haaren, dem rot-schwarz karierten Fetzenkleid und den schwarzen Plateau-Stiefeln. Um den Hals trug sie ein wunderschönes Halsband mit Ringen und Kreuzen, und sie hatte zwar keine Tunnel, dafür aber in jedem Ohrläppchen drei Löcher, in denen sie bunte Ohrstecker trug. „Wenn du Tsuzuku suchst…“ begann sie. „Nein, heute nicht.“ „Wärst du lieber allein? Soll ich wieder gehen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Habt ihr Streit?“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber… man… kann… doch nicht… auch immer… zusammen. Du hängst… auch nicht… mit Hanako immer…“ „Stimmt. Kann ich mich denn zu dir setzen?“ Ich nickte und sie setzte sich neben mich auf die steinernen Stufen. „Hast du ‘ne Zigarette für mich?“, fragte sie. Ich nickte, gab ihr eine und lieh ihr auch mein Feuerzeug. Während wir so zusammen saßen und rauchten, fing sie irgendwann an zu reden. „Du und Tsuzuku, ihr seid so richtig gute Freunde. Ich finde das total süß, wie du für ihn sorgst. Das würde wohl kaum ein anderer so tun wie du. Du hast ihn echt gern, oder?“ Normalerweise hätte ich jetzt begeistert genickt. Aber heute war alles anders. Ich war mir, was Tsuzuku betraf, überhaupt nicht mehr sicher. „Ich meine…“, sprach Haruna weiter, „…weil du doch… auf Kerle stehst und trotzdem seid ihr zwei nur gute Freunde…“ Sie sah mich an und irgendwie reichte dieser Blick, damit alles aus mir herausbrach. Der elendige Traum, der sich während ich ihn träumte, irgendwie gut angefühlt hatte, meine ganze Verwirrung und Unsicherheit und die blöden Fragen der Psychologin. Ich vertraute mich Haruna an, brach endlich zumindest einen Teil meines Schweigens und das tat einfach gut. Sie nahm mich in den Arm, strich mir durchs Haar und hörte einfach zu. Das mochte ich so an dieser Szene, an diesen Leuten. Sie waren immer da, bei ihnen zählten Menschen noch was, auch wenn viele mit der Menschheit allgemein nicht sehr viel am Hut hatten. Deshalb wollte ich diese Gruppe auf keinen Fall verlieren. Zwar gab es da diese Sachen, über die ich mit niemandem von ihnen reden konnte, doch zumindest quetschten sie mich nicht danach aus, sondern beließen mich einfach so. „Meto, Meto, Meto…“, sagte Haruna schließlich. „Du machst Sachen…“ Und obwohl ihre Worte denen meiner Eltern ähnelten, klang sie in diesem Moment für mich viel verständnisvoller. „Was ich… denn jetzt machen…?“ „Also, zuerst mal wischst du dir die Tränen aus dem Gesicht und dann mach ich dein Make-up neu. Und dann gehen wir zusammen zu Tsuzuku und du redest mit ihm darüber, was meinst du?“ Haruna lächelte. Dann zog sie ihre Kosmetiktasche aus dem Rucksack und reichte mir ein Taschentuch. Während sie mich schminkte, fragte ich mich, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie wüsste, woher ich wirklich kam. Dass ich nicht, wie ich gelogen hatte, mit meinen Eltern in einer Hochhauswohnung lebte, sondern in einer Villa in Akayama. Ob sie dann immer noch so einfach nett zu mir sein würde? Ob ihre Toleranz soweit reichte? Es war das erste Mal, dass ich fast so etwas wie Angst davor hatte, Tsuzuku zu sehen. Ich wusste auf einmal nicht mehr, was ich sagen, denken, wie ich mich verhalten sollte. „Wenn du willst, bleib ich dabei“, sagte Haruna. Ich nickte. Tsuzuku kannte Haruna und auch, wenn er von sich aus nie einen Schritt auf sie zu gemacht hatte, so verstanden sie sich doch relativ gut, wenn man das so sagen konnte. Wir gingen zusammen in den Akutagawa-Park, zu den Schlafstellen. Tsuzukus Sachen waren da, doch er war nirgends zu sehen. „Der ist grad zum Fluss!“, rief uns Hanako zu, kam zu uns herüber und gab Haruna einen schnellen Kuss auf die Lippen. Irgendwie wollte ich jetzt doch lieber allein mit ihm reden, ohne Haruna. Also ging ich in Richtung Fluss und hielt dort Ausschau nach meinem besten Freund. „Tsuzuku?“, rief ich und befürchtete schon, ihn wieder völlig fertig vorzufinden, doch er saß auf einer Bank und blickte auf den Fluss. Er sah gut aus, jedenfalls nicht so krank wie neulich. Ob er mir allerdings ansah, dass ich vorhin geweint hatte, wusste ich nicht. Ich hoffte, dass es nicht so offensichtlich war. „Meto“, sagte er, als er mich bemerkte. „Wie geht’s dir?“ Natürlich. Er fragte immer, wie es mir ging und erwartete eine ehrliche Antwort, doch wenn ich ihn dasselbe fragte, log er und schönte seine Lage, egal, ob ihm anzusehen war, wie schlecht es ihm wirklich ging. „Prima“, antwortete ich und versuchte, allen Mist, der mir auf der Seele lag, zu vergessen. Den Traum, die Psychologin, einfach alles. Und das gelang mir sogar ziemlich gut. Ich dachte nur noch an Tsu und irgendwo am Rande meines Bewusstseins war da noch MiA, an den zu denken mich irgendwie beruhigte. Das war es, was ich an MiA so mochte. Er hatte einfach etwas an sich, das mir eine Ruhe schenkte, nach der ich mich tief drinnen sehnte. „Der Fluss fließt so schön…“, sagte Tsuzuku leise, als ich mich neben ihn setzte. Allein dieser Satz war ungewöhnlich positiv, doch sein fast schon verträumter Blick verwirrte mich. Woher kam diese gute Stimmung? Sie dauerte noch ein paar Momente an, die wir schweigend auf den Fluss blickten. Bis ich wieder spürte, wie Tsuzukus Hand nach meiner suchte, nur um sich dann wieder zurückzuziehen. In dem Moment kam nämlich die Erinnerung an meinen höchst verwirrenden Traum zurück. An Tsuzukus Hand auf meinem Bein, seine weichen Lippen an meinem Hals… Ich sprang auf, schüttelte heftig den Kopf und konnte meinen besten Freund auf einmal nicht mehr ansehen. Kopfkino der quälendsten Sorte blitzte mir durchs Hirn. „Meto?“, fragte er. „Alles okay?“ Ich war komplett durcheinander. Eigentlich wollte ich Tsu von der blöden Psychologin erzählen, von meinen Eltern, die auf einmal wieder irgendwie so verständnislos waren, und davon, wie gern ich MiA hatte. Zu allem Überfluss setzte meine Stimme komplett aus, und so wusste ich kaum mehr, wo oben und unten war. Und natürlich entging Tsuzuku das alles nicht. Am liebsten wollte ich im Boden versinken. Und wieder war da dieses Bedürfnis, mich für meine idiotischen Gedanken selbst zu schlagen. Meine Güte, Tsu hatte mich doch hoffentlich nicht angesteckt! … Moment, was dachte ich da eigentlich?! So was war doch nicht ansteckend! Und das war schon das zweite Mal, dass ich so was dachte. „Meto, mit dir stimmt doch heute was nicht. Sag schon, was ist los!“, forderte Tsuzuku. Ich kratzte meine Stimme zusammen und antwortete leise und ohne ihn anzusehen: „… nichts… musst dir keine Sorgen machen…“ Eine Sekunde später fiel mir auf, dass ich dieselben Worte benutzte wie er, wenn er vor mir verheimlichte, wie schlecht es ihm ging. Was war mit uns passiert, dass ich ihn jetzt auch schon so anlog?! Aber sagen, was mit mir los war, kam schlicht und einfach nicht infrage. Ich war mir sicher, mit diesem elendigen Traum unsere Freundschaft aufs Spiel gesetzt zu haben. Und Tsu gab heute nicht so einfach nach. Sonst war ich immer der, der unnachgiebig fragte und alles von ihm wissen wollte, ausgerechnet heute war es umgekehrt. Mich packte der plötzliche Wunsch nach lauter Musik, blitzenden Lichtern, Alkohol und der anonymen Menschenmenge. Ich wollte weg, in den Club, MiA treffen, mit ihm tanzen und den ganzen Mist einfach nur vergessen. „Wie du meinst“, riss mich Tsuzuku eingeschnappt aus meinen Gedanken. „Morgen is ja auch noch ‘n Tag, ne…“ Na klasse! Jetzt war er auch noch beleidigt. Verdammter Scheißtag! „Ja, morgen vielleicht. Tut mir leid, Tsu, aber heute ist echt nicht mein Tag.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging davon, in Richtung des Clubs, bei dem ich verzweifelt hoffte, dass MiA heute auch wieder dort war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)