Muzukashii Sekai von Harulein (MiA x Meto / Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 4: [meto] Act 4 ----------------------- Am nächsten Morgen wachte ich völlig fertig auf. Ich hatte furchtbare Albträume gehabt, war mitten in der Nacht aufgewacht und hatte den Horror anschließend weiter geträumt. Albträume, in denen Tsuzuku noch weiter abnahm und herausfand, wo ich wohnte. In denen er erfuhr, was ich für Eltern hatte und dass ich die gesamte Punkgemeinde im Park sozusagen anlog. Meto, das Kind aus gutem Hause, aus einer Villa in Akayama, dem edelsten Viertel der Stadt. Sie hatten mich im Traum nicht mehr haben wollen, meine Leute. Hatten mich geschnitten und geradezu aus dem Akutagawa verjagt. Aber das Schlimmste war, dass Tsuzuku sich mir gegenüber so minderwertig fühlte, dass er immer kränker wurde. Kurzum waren meine Albträume ein reiner Spiegel meiner größten Ängste. Nie, niemals durfte jemand erfahren, woher ich kam! Mein nächster Gedanke war: Ich brauche einen Job und eine eigene Wohnung. Ruana, mein Teddybär, sah mich von ihrem Platz neben meinem Kopfkissen aus bestätigend an, als wollte sie sagen: „Mach dich auf die Socken, Meto!“ Mit diesen Gedanken im Kopf und den Albträumen noch in den Knochen ging ich die Treppe hinunter, in Richtung Esszimmer. Meine Eltern erwarteten mich dort schon zum Frühstück. „Guten Morgen, Yuuhei.“ Yuuhei. Mein Taufname. In diesem Moment erschien er mir wie das Symbol der Welt, in der ich hier lebte. Hier drinnen, zu Hause, war ich Yuuhei. Draußen war ich Meto. Meine Eltern wussten nicht mal, dass ich mir einen eigenen Namen ausgedacht hatte. Alles, was sie wussten, war das, was sie sahen: meine türkisblauen Haare, meine Piercings und Tattoos, meine Klamotten. Sonst nichts. So, wie ich den Punks im Park Yuuhei verschwieg, so verschwieg ich hier Meto. Ich nickte, setzte mich und begann wortlos zu essen. Es war nicht so, dass ich meine Eltern nicht mochte oder wir uns nicht verstanden. Sie waren tolle Menschen und abseits von meinem gespaltenen Ich redeten wir auch miteinander. Ich mit meinem Sprachfehler, sie im Gegensatz zu mir ganz eloquent und anständig. Wegen meines Aussehens hatten sie natürlich Hemmungen, mich zu Abendessen und dergleichen in ihren Kreisen mitzunehmen, aber das machte mir nichts aus. Sie hatten ihre Welt, ich hatte meine, dazwischen trafen wir uns, unternahmen Sachen wie Zoobesuche und fuhren auch ab und zu mal in die Ferien. Sie fragten nicht mehr, wo mein Taschengeld hinging und das zusätzliche Geld, um das ich sie hin und wieder bat. Ich musste es nicht erklären. Wenn ich welches wollte, bekam ich es und wahrscheinlich gingen sie davon aus, dass ich es in Tokyo für Klamotten ausgab. Nach dem Frühstück ging ich gleich wieder raus, zum Park. Wurde von Yuuhei zu Meto und kehrte in meine Welt zurück. Als ich im Akutagawa ankam, war Tsuzuku nicht da. Ich fragte Hanako, ob sie ihn schon irgendwo gesehen hatte. Sie schüttelte den Kopf, doch ihre feste Freundin Haruna, ein Mädchen mit langen, nachtblau gefärbten Haaren, sagte: „Er wollte in der City betteln oder so. Irgendwie Kohle zusammenkriegen, was weiß ich. Such mal in der Passage.“ Einfach so betteln? Das hörte sich so gar nicht nach Tsuzuku an. So was machte er nicht. Er verdiente sich lieber mit winzigen Jobs ein paar Yen zusammen. Zum Glück. Es war ein Zeichen dafür, dass es mir gelang, seine Würde und einen Rest seiner Selbstachtung hochzuhalten. Ich ging also zur Passage, in Erwartung, dass er dort irgendwo saß oder etwas tat, wie zum Beispiel Aufräumen oder dergleichen. Beim letzten Schreinfest hatte er einen der begehrten Nach-dem-Fest-Aufräumjobs ergattert und dabei für seine Verhältnisse recht viel verdient. Doch als ich an der Passage ankam, war von ihm und seinen Sachen nichts zu sehen. Ich durchquerte das Shoppingparadies, das so gegensätzlich zu ihm wirkte, und fand mich dahinter in einem kleinen Park wieder. Auf einer Bank sah ich Tsuzukus Sachen liegen. Ohne ihn. „Tsu?“, rief ich und begann, nun ernsthaft besorgt, gründlicher nach ihm zu suchen. Ein Stück weiter weg standen ein paar Leute herum. Ich ging auf sie zu und fragte, so gut ich konnte, ob sie ihn gesehen hatten. Irritiert durch meinen Sprachfehler und mein Aussehen starrten sie mich an und schienen überhaupt nicht zu registrieren, dass ich inzwischen Angst hatte, meinem besten Freund könnte etwas passiert sein. „…Haben …wirklich nicht gesehen? Leicht zu erkennen, …Tattoos auf Hals …und Armen, sehr dünn, ungefähr so groß wie ich …und schwarze Haare…“, beschrieb ich ihn. Doch sie schüttelten alle nur den Kopf. Mein Herz klopfte ängstlich gegen meine Rippen und ich hatte ein verdammt mieses Gefühl. Das letzte Mal, als ich ihn nicht gefunden hatte, da hatte er am Ende bewusstlos unter einem Busch gelegen, weil er sich betrunken hatte. Ich fühlte mich furchtbar hilflos. Den meisten Menschen schien es so ziemlich egal zu sein, wenn ein Obdachloser verschwunden war, er war für sie wohl nur einer von vielen Versagern, die ohne feste Adresse anscheinend auch keinen Namen und kein Recht auf Existenz hatten. Dass er sehr wohl einen Namen, ein Herz und einen Freund hatte, kümmerte niemanden. Es tat mir schrecklich weh, als ich wieder einmal erkannte, wie herzlos Menschen sein konnten. Die Blicke der Leute musterten mich kalt, sagten, ich solle verschwinden, sie wollten mit Außenseitern nichts zu tun haben. Als ginge von uns eine ansteckende Krankheit aus, vor der sie sich fürchteten. Ich drehte mich um und lief den gesamten kleinen Park gründlich ab. Es sah Tsuzuku nicht ähnlich, seine Sachen so lange unbeaufsichtigt zu lassen. Er musste doch hier irgendwo sein! Und ich fand ihn. Er saß hinter einem dichten Gebüsch auf dem Boden, hatte die Knie angezogen, die Arme darum geschlungen und den Kopf gesenkt. Als wollte er sich ganz klein und unsichtbar machen. „Tsuzuku?“, fragte ich vorsichtig. „Alles okay?“ Er hob langsam den Kopf. „…Meto…“ Jetzt bemerkte ich, dass er sehr nach Alkohol und Zigaretten roch. Neben ihm lagen eine leere Packung und eine fast leere Flasche. „Was ist denn los? Ist was passiert?“, fragte ich weiter. Er versuchte, aufzustehen, konnte aber das Gleichgewicht nicht halten und sank schwankend wieder auf den Boden. Das zu sehen, gab mir einen furchtbaren Stich, obwohl ich Tsuzuku schon in weit schlechterem Zustand erlebt hatte. Aber an so etwas gewöhnte man sich einfach nicht. Den besten Freund so zu erleben, zu sehen, wie er sich langsam aufgab und zerstörte. Auf einmal wünschte ich mir, MiA wäre da, würde mir sein aufmunterndes Lächeln schenken, mich in den Arm nehmen und mir sagen, dass Tsuzuku schon wieder auf die Beine kommen würde. Wünschte mir, endlich mit jemandem darüber reden zu können. Über Tsuzuku, über diese scheiß Bulimie, über die verdammten Leute, die einfach wegsahen, wenn es jemandem schlechtging, über die ganze schwere Verantwortung auf meinen Schultern und dass ich mich manchmal so zerrissen fühlte, zwischen den beiden Welten, zwischen Yuuhei und Meto. Aber selbst mit MiA würde ich darüber nicht reden können. Auch, wenn ich das Gefühl hatte, vor lauter Geheimnissen zu platzen. Ich half Tsuzuku, aufzustehen, und stützte ihn, als er einen schwankenden Schritt in Richtung seines Lagers machte. Er sah wieder so fiebrig und krank aus. „Ist was passiert?“, fragte ich noch einmal. Er schüttelte den Kopf. Aber ich nahm ihm das nicht ab. „Hast du schlecht geschlafen oder so?“, fragte ich weiter. Tsuzuku nickte. „Ich auch…“, sagte ich leise. „Hab wirres Zeug geträumt.“ „Was denn?“, fragte er und lenkte damit ziemlich offensichtlich davon ab, dass er im Moment das Problem hatte und nicht ich. „Weiß ich nicht mehr“, log ich und bohrte mir heimlich die Fingernägel in den Handballen. „Aber was hast du geträumt?“ Zuerst antwortete er nicht, doch als wir sein kleines Lager auf der Bank erreicht hatten und er sich hingesetzt hatte, sagte er leise: „Ich… ich hab von meiner Mutter geträumt.“ „Oh…“, entfuhr es mir betroffen. Das war gar nicht gut. „Sie hat …was gesagt, aber ich ...konnte es nicht hören. Als wäre …Glas dazwischen …oder so.“ Er hatte die Unterarme auf die Knie gestützt, sein schmaler Oberkörper sank nach vorn. Wenig später fielen ihm die Augen zu und er sank schlafend gegen meine Schulter. Ich legte meine Arme um ihn und bettete ihn auf seinen auf der Bank ausgebreiteten Schlafsack. Er war vollkommen erschöpft. Das halbe Reisbällchen gestern war wahrscheinlich das Einzige, was er in den letzten Tagen gegessen hatte. Und wieder wusste ich nicht, was schlimmer war: nichts zu essen, oder zu viel, um es dann wieder auszuspucken. Tsu war irgendwo hingefallen, das sah ich erst jetzt. Seine Jeans war kaputt, das Knie aufgeschürft. Ich nahm eine Packung Taschentücher aus meiner Umhängetasche und tupfte ganz vorsichtig an der knallroten Abschürfung herum, bis sie zumindest sauber war. Tsuzuku war so erschöpft, dass er nicht einmal davon aufwachte. Ich blieb bei ihm. Bewachte seinen schmalen, schlafenden Körper und zerbrach mir wieder und wieder den Kopf darüber, was ich noch alles für ihn tun konnte. Zu einem Ergebnis kam ich nicht. Alles, was mir einfiel, war, unsere ‚Schönheitstage‘ fortzuführen und dass ich ihn weiter mit allem versorgte, was er zum Überleben brauchte. Als er etwa eine Stunde später wieder aufwachte, bat er mich zum ersten Mal seit Monaten ausdrücklich um etwas zu essen. Ich hatte zwei Melonpan dabei, und eine Flasche mit Tee. „Versprich mir aber vorher was“, sagte ich und hielt das süße Brot noch etwas zurück. Er erriet, was ich meinte und nickte. „Versprochen.“ „Gut.“ Ich lächelte und in meinem Herzen keimte wieder ein wenig Hoffnung auf. Auch, wenn sie immer wieder zerschlagen wurde, so gab ich sie nie ganz auf, hoffte jedes Mal wieder neu darauf, dass Tsuzuku und ich es allein schaffen würden, dass er wieder gesund wurde. Ich reichte ihm ein kleines Stück von dem Brot und er nahm winzige Bissen davon, schien es sich selbst nicht mal mehr zuzutrauen, normal zu essen. Aber alles war besser als das, was ich vor sechs Monaten mit ihm erlebt hatte. Damals hatte ich ihn, naiv wie ich manchmal war, zum Essen eingeladen. Ganz schick zum Italiener, wo ich mit meinen Eltern schon einmal gewesen war. Dummerweise hatte ich angenommen, dass Tsu, wenn er wirklich Hunger hatte, normal essen würde. Dass ich da mehr als falsch lag und Essen gehen mit ihm grundsätzlich in einer Katastrophe endete, musste ich an jenem Abend leider nur allzu deutlich erfahren. „Ich lade dich ein, also nimm, was du möchtest, der Preis ist egal“, hatte ich gesagt und damit ausgelöst, dass er das umfangreichste, luxuriöseste Gericht auf der Karte bestellte. Als das Essen dann da gewesen war, hatte er es förmlich herunter geschlungen. „Hey, iss doch nicht so schnell!“, war mein Versuch gewesen, die Katastrophe, die ich da schon kommen sah, noch irgendwie aufzuhalten, doch die Lawine war nicht mehr zu stoppen. Es war das erste Mal, dass ich eine Ahnung von dem Begriff Ess-Brechsucht bekam. In Tsuzukus Fall war es eben so, dass er entweder zu viel aß und dann erbrach, oder aus Angst davor, vor seiner eigenen Reaktion, gar nichts mehr zu sich nahm. Und an diesem Abend war ersteres der Fall. Kaum, dass wir aus dem Restaurant raus und zurück im Akutagawa waren, griff er sich an den Hals, stöhnte auf und rannte zum nächsten Mülleimer. Das zu sehen, tat mir fast so weh wie ihm selbst. Vielleicht sogar noch mehr. Ich hätte mich dafür ohrfeigen können, ihm das angetan, ihn wie ein naiver Idiot zum Essen eingeladen zu haben. Seit diesem Tag gab ich mir noch mehr Mühe, sein Selbstgefühl hochzuhalten, alles zu tun, damit er sich gut fühlte und vielleicht doch irgendwann von allein damit aufhörte, sich kaputt zu machen. Ich beobachtete ihn genau dabei, wie er das kleine Stück Melonpan aß, achtete auf jeden Ausdruck seiner Augen, um abzuschätzen, ob er sein Versprechen hielt. Dass er es wollte, daran hatte ich keine Zweifel, doch oft kam es vor, dass er einfach nicht konnte. Dass es ihn überkam, obwohl er das Essen bei sich behalten wollte. Weil ihm irgendein Ungeheuer im Kopf sagte, dass er sich bestrafen musste. Wir kämpften gemeinsam gegen dieses Ungeheuer, doch viel zu oft verloren wir diesen Kampf. Doch auch, wenn wir am Boden lagen und nicht mehr weiter wussten, so waren wir doch zu zweit, wenigstens war er nicht allein. Wieder schlossen wir Tsuzukus Sachen im Bahnhof in ein Schließfach ein und liefen durch die Straßen der Innenstadt. Ich kaufte ihm eine neue Jeans, die alte wanderte in den nächsten Mülleimer. Aus irgendeinem Grund war mir unheimlich wichtig, dass er immer so gut wie möglich aussah. Ich wollte auf keinen Fall, dass man ihm das Leben auf der Straße ansah und ihn in diese Schublade steckte. Weil ich Schubladen, in die man Menschen einsortierte, hasste. Und noch einen Grund gab es, doch den kannte ich selbst nicht genau. Es war mehr ein Gefühl, doch es war ziemlich stark und sagte mir, dass Tsuzuku seine Schönheit auf keinen Fall hinter kaputten Klamotten und einem ungepflegten Äußeren verstecken durfte. Denn er war schön, auch wenn er das selbst wahrscheinlich nicht glaubte. Auf einmal blieb Tsu stehen und zog mich am Ärmel. „Meto, schau mal, ist das nicht der von gestern?“, fragte er und zeigte auf ein Café, in dessen Außenbereich ich MiA in Begleitung einer hübschen jungen Frau erblickte. Doch nicht etwa… Nein, oder? Dann wäre er doch nicht so auf meinen Kuss eingestiegen! Sollte ich hingehen und ihn fragen, wer die Frau war? MiA war ziemlich schick angezogen, die Frau auch, alles sah nach Date aus. Der Stich, den mir das gab, war kaum zu beschreiben. Ich griff haltsuchend nach Tsuzukus Hand und wollte einfach weiter gehen, doch in dem Moment bemerkte MiA mich und rief nach mir. „Hey, Meto!“ Ich hielt Tsuzukus Hand weiter fest, und ging auf den Tisch zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)