☾ Mikadzuki-ko von Mimiteh (Fortsetzung zu "☾ Mikadzuki") ================================================================================ Kapitel 3: Entschlossenheit --------------------------- Als das Essen beendet war, räumte Kagome die Schüsseln zusammen, um sie später am nahen Bach auswaschen zu können. Mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt, die Gegebenheiten der Natur in allen Feinheiten zu nutzen. So hatten sie sogar eine Art Kühlschrank. Die Inseln, auf denen sie lebten, waren jenseits der Nordküste Japans. Hier oben war es eigentlich bereits ziemlich kühl und nur der Sekai no Tía war es zu verdanken, dass das Klima hier angenehmer war, solange der Bannkreis existierte. Allerdings schien der dafür zuständige Zauber – den in all der Zeit niemand hatte nachvollziehen können – nur bis in etwa einen Meter Tiefe unter den Boden zu reichen. Darunter war die Erde kalt, als wäre oberhalb von ihr noch immer Tundra. Der ‚Kühlschrank‘ war also nichts viel anderes als ein Kellerraum, aber er tat seine Pflicht. Ebenso wie ein nahes Fließgewässer leicht Spül- und Waschmaschine ersetzen konnte – wenn man ein paar Tricks und Kniffe kannte. Kagome war sich durchaus darüber im Klaren, dass die Dämonen dazu in der Lage wären, all das zu erschließen, was die Menschen mit den Jahrhunderten herausgefunden hatten, einschließlich Strom, Funk und Fernsehen, aber sie wollten es nun einmal nicht. Und Kagome hatte gelernt damit zu leben. Jetzt erhob sie sich, um das Geschirr beiseite zu stellen und noch einmal nach ihrer Patientin zu sehen. Aber die schlief noch immer tief und fest. Vorsichtig, um weder sie noch Kazuya aufzuwecken, wechselte Kagome noch einmal den kühlenden Stoffstreifen auf ihrer Stirn, ehe sie sich zurückzog. Dann sah sie nach draußen, wo es inzwischen komplett dunkel geworden war. „InuYasha?“ Der Hanyô hob den Kopf, seine Hundeohren zuckten leicht. „Kommst du mit? Ich gehe Hotaru abholen. Dann kann Sesshômaru seine Wächter bei sich behalten” Sofort war er auf den Beinen und bei ihr. Kikyô blieb mit der kleinen Patientin und den beiden Nekomata zurück. Ein wenig gedankenverloren kraulte sie Kirara den Nacken, als die Nekomata sich auf ihrem Schoss niederließ. Kirara genoss das mit einem unterschwelligen Schnurren, aber zugleich dachte sie nach. Noch immer versuchte sie herauszufinden, was ihr an dem Hanyômädchen aufgefallen war, das da jetzt auf Hotarus Lager schlief. Kagome und InuYasha hatten sich derweil auf den Weg gemacht. Der Hanyô wusste ebenso gut wie sie, dass das mit dem Wächter sparen nur eine Ausrede gewesen war. Meistens schickte Sesshômaru nämlich eh‘ niemanden, weil eine auszubildende Lehrerin selbst in der Siedlung und nicht im Schloss lebte und von daher meistens mit Hotaru gemeinsam zurückkam. „Du willst Kikyô nicht beunruhigen. Aber warum genau?“, verlieh InuYasha schließlich seiner Neugier Ausdruck. Kagome, die sich bei ihm eingehakt hatte, sah zum Horizont. „Du hast mir vorhin zu schnell nachgegeben. In Wirklichkeit denkst du noch immer über die Kleine nach, oder?“ InuYasha brummte vor sich hin. „Ich konnte es tatsächlich nur kurz wahrnehmen, ehe das Blut geronnen ist. Aber in diesem Moment war ich mir doch recht sicher. Das war das Blut der Familie“, gab er schließlich zu. „Aber wie kann das sein? Sie kommt von außerhalb des Bannkreises“, merkte Kagome an. „Keh! Woher soll ich wissen, wer von dem ganzen Clan sich außerhalb des Bannkreises herumtreibt. Es gibt doch genug, die ab und an Abstecher machen, nicht nur von denen, die wir ein wenig näher kennen. Ich meine, hinter Sesshômarus Mutter steht auch noch ein halber Clan. Frag‘ mich bitte nicht, ob ich da auch nur ansatzweise durchblickte. In der Schlossbibliothek gibt es ein ganzes Regal mit Chroniken, Stammbäumen und Ahnenlisten aus der Ecke“ Bei Erwähnung der ehemaligen Inufürstin musste Kagome kurz lachen. Chiyo hielt sich so gut wie möglich von ihnen fern und wollte am liebsten gar nichts mit der erweiterten Familie zu tun haben. Sie lebte noch immer in ihrem Wolkenschloss und ließ sich nur selten blicken. Die einzige, die näheren Kontakt zu ihr pflegte, war Sesshômarus Tochter Naomi, die am Wolkenschloss erzogen wurde. Dennoch konnte Kagome sich eine kleine Stichelei nicht verkneifen: „Du hast die Bibliothek also tatsächlich schon mal von innen gesehen, ja?“ „Keh!“ InuYasha wandte beleidigt den Blick ab. Beschwichtigend drückte Kagome kurz seine Hand, ehe sie wieder ernst wurde. „Also glaubst du, sie könnte zu irgendeinem entfernten Familienzweig gehören? Aber wie viele kämen denn da von der Einstellung in Frage? Ich meine… sich mit einem Menschen einzulassen“, fasste sie zusammen, nur um gleich die nächste Frage aufzuwerfen. InuYashas Entdeckung vorhin bestätigte sie nur in ihrer unbestimmten Ahnung, die kleine Patientin sei eines zweiten Blickes wert. InuYasha zuckte dagegen nur mit den Ohren. „‘Muss ja nicht an der Einstellung liegen. Wer weiß, vielleicht ist die Kleine ein Unfall. Nicht jeder Hanyô entsteht aus Liebe“, wandte er ein. Kagome schwieg eine Weile. So sehr er damit recht hatte, irgendwie hatte sie das Gefühl, er würde es sich damit zu einfach machen. „Und der Bann? Die Kleine hatte bis vor kurzem ein Armband um, das ihre Hanyô-Gestalt und alles was damit zusammenhängt unterdrückte. Dämonische Bannmagie. Das heißt, der dämonische Elternteil muss sie kennengelernt haben“ InuYashas Reaktion war nur ein undefinierbares Murren. Aber die Miko ahnte, was er damit sagen wollte. Es musste kein positives Argument sein, dass der dämonische Elternteil die wahre Natur seines Sprößlings unterbunden hatte. Inzwischen waren sie auf der Hügelkuppe angekommen, verharrten einen Moment. Kagome wusste, dass sie InuYasha nicht fragen musste, ob er einverstanden war, die Kleine vorerst aufzunehmen. So spröde er sich gab, einen Hanyô im Stich zu lassen und ihn damit einem Leben auszusetzen, wie er es erlebt hatte, das würde er niemals zulassen. Dazu hatte InuYasha ein viel zu gutes Herz, auch wenn er das nie zeigen mochte. ~*~ „Na hör‘ mal, Teshi. Erst kommst du zu spät zum Unterricht und dann konzentrierst du dich noch nicht einmal. Schau, was du da geschrieben hast: „Baum“. Und was solltest du schreiben? „Groß“, genau. Also wirklich. Teshi, beim Kanji für „groß“ hört der senkrechte Strich hier oben an der Spitze auf“ Ein klauenbewehrter Finger tippte auf das Schreibpult, hinter dem der junge Hanyô kniete. Der beeilte sich sofort, das richtige Kanji aufzuschreiben, geriet dabei mit dem Handballen in die noch nicht eingetrocknete Tinte des falschen Kanji und zog eine schwarz glänzende Spur quer über das Blatt. Entnervt ließ er den Schreibpinsel fallen. Seufzend schüttelte die Lehrerin den Kopf. Mit einer Handbewegung zitierte sie den Diener, der an der Tür kniete, zu sich. „Lasst Saika-hime holen. Der Unterricht ist für heute beendet“, trug sie ihm auf. Sie wusste, dass es keinen Sinn mehr hatte, Teshi weiter zu triezen. Hier half es auch nicht mehr, ihm zum Abschluss eine noch leichtere Aufgabe zu stellen, im Moment würde er alles vermasseln. Langsam kniete sie sich vor sein Schreibpult und zog ihm das verschmierte Blatt vor der Nase weg. „Teshi, mein Freund. Diese Tatsache wird dich noch dein ganzes Leben hindurch verfolgen. Du darfst dir davon nicht die Konzentration nehmen lassen“ Ihre dunklen Augen lagen mitfühlend auf dem honigfarbenen Schopf ihres Schülers. Der warf den Kopf hoch und funkelte sie an. „Du-“, er unterbrach sich rasch. Sein Gegenüber lächelte nur. „Was, ich? Ich kann das nicht verstehen? Du irrst, mein Freund. Vergiss nicht, dass meine Mutter auch eine Hanyô war. Ich weiß, was die Nacht der Schwäche bedeutet“ Und vielleicht… vielleicht weiß jemand wie ich oder ein älterer Hanyô wie dein Großonkel, es sogar noch besser, als du. Denn wir wissen auch, dass es nicht nur unangenehm ist, sondern auch sehr viel Gefahr birgt, mein Freund…, fügte sie in Gedanken hinzu, ohne es auszusprechen. „Hai, Sensei. Gomen“ Der Junge ließ den Kopf wieder hängen, der seit dem Sonnenuntergang nicht mehr wie sonst von zwei tierischen Öhrchen geziert wurde. „Na siehst du. Schau, deine Großcousine jammert auch nicht. Und die darf das Ganze zweimal im Mondumlauf durchmachen“, fügte die Lehrerin doch hinzu, ehe sie sich erhob um sich besagter Großcousine zuwandte, die am Schreibpult daneben hockte und ebenfalls darin vertieft war, einige Kanji zu schreiben. „Schau dir deine 8 noch einmal genau an. Stimmt das so?“, fragte sie. Das Mädchen, das noch ein paar Jahre jünger war als ihr Mitschüler musterte das eben geschrieben Kanji angestrengt. Dann tippte sie auf die Stelle, wo die beiden Linien aufeinandertrafen. „Sie dürfen sich eigentlich nicht berühren, oder?“ „Genau, Hotaru. Schreib das noch einmal richtig daneben und dann lassen wir es für heute gut sein“ „Hai“ Eifrig berichtigte Hotaru das Kanji, ehe sie sich erhob. „Fertig. – Hallo, Saika!“, begrüßte sie ihre Großcousine, die eben den Raum betrat, als der Diener ihr die Tür aufschob. Teshis große Schwester nickte ihrer Großcousine lächelnd zu, ehe sie sich ihres kleinen Bruders annahm. ~*~ Kirara hatte derweil ihrer Neugier nachgegeben und hatte sich auf den Weg gemacht. Vielleicht wussten ja jene mehr, mit denen ihre menschlichen Freunde nicht sprechen konnten. Vor der Hütte verwandelte sie sich in ihre große Form und flog los. Ihr Weg führte sie am Inuschloss vorbei, den Fluss abwärts, an dem See vorbei, der sich unweit jener Stelle befand, an dem der Fluss sich in zwei Arme teilte, bis zu einem Talgrund, in dem hohe Palisaden ein weiteres Dorf einschlossen. Die Hauptsiedlung der Taijiya. Kirara störte sich nicht an der Begrenzung, sondern überwand sie einfach, ließ sich innerhalb wieder zu Boden sinken. Augenblicklich kam ihr jemand entgegen, eine dicke, schwarze Mähne schmückte die Schultern des Nekomata-Katers, der sie nun begrüßte. Nase an Nase erwiderte sie seinen Gruß. „Guten Abend, Katashi“ Im nächsten Moment kamen zwei weitere Nekomata heran, allerdings in kleiner Form. Auch Kirara wechselte nun ihre Gestalt wieder. „Was machst du denn hier, Mutter?“, wollten die beiden anderen wie aus einem Mund wissen. Kirara schnurrte etwas. „Ich habe etwas mit euch zu besprechen“, gab sie zurück, innerlich amüsiert über Katashis etwas enttäuschte Miene. Sie wusste, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn sie einfach so zu Besuch gekommen wäre. Aber auch wenn er der Vater ihrer Kitten war… so eng war ihre Bindung nicht. Sie kam ihn und ihre beiden Töchter hier in regelmäßigen Abständen besuchen, aber nicht viel öfter als alle anderen Nekomata der Gegend. Chouko und Atsuko schienen dagegen eher begierig, mehr zu erfahren. Also erzählte Kirara alles, was sie von der unbekannten Hanyô wusste. Drei rote Augenpaare lagen die ganze Zeit über interessiert auf ihr. Als sie geendet hatte und sich abwartend hinsetzte, beide Schweife um die Vorderpfoten geschlungen, blickte Chouko nachdenklich drein. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie das helle Nackenfell ihrer Mutter geerbt, das sie nun etwas unbehaglich sträubte. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Atsuko, aber ich glaubte nicht, dass wir da sonderlich weiterhelfen können. Zu Ohren gekommen ist mir zu mindestens nichts. Dir, Atsuko? Oder dir, Katashi?“ Wie unter den Nekomata üblich sprach sie ihren Vater nur mit Namen an. Beide schüttelten jedoch die Köpfe. „Auf jeden Fall fällt mir nichts ein. Aber wir sagen natürlich sofort Bescheid, wenn wir etwas herausfinden, Kirara“, fügte Katashi noch hinzu. „Genau, wir halten Augen und Ohren offen, Mutter“, bestätigte Atsuko und duckte sich spielerisch vorne ab, als wollte sie gleich hier und jetzt auf Fährtensuche gehen. Kirara schnurrte nur belustigt. Sie ahnte, dass ihre Tochter nicht ausgelastet war. Atsuko diente normalerweise dem Anführer der Taijiya, aber den gab es im Moment nicht, er war vor drei Jahren bei einem Auftrag ums Leben gekommen. Seit dem half Atsuko vornehmlich bei der Schulung der Angehenden mit und das forderte sie nicht wirklich. „Das wäre schön. Ich werde auch Yume informieren, wenn ich ihm das nächste Mal über den Weg laufe. Vielleicht schnappt es auf seinen Streifzügen etwas auf“, befand Kirara und erhob sich. Das junge Baku, dessen sie sich vor langer Zeit nach dem Tod seines Elterntieres angenommen hatte, war inzwischen zu einem stattlichen Exemplar seiner Art herangewachsen und stets irgendwo unterwegs. Aber auf der Suche nach Nahrung machte es meistens Abstecher in die Dörfer und dann würde sie ihm schon begegnen. Als Kirara sich nun mit einem Schweifschnippen verabschiedete und sich abwandte, fragte keiner ihrer drei Gesprächspartner, wohin sie ging. Sie alle wussten es. ~*~ Nicht weit entfernt durchquerte Hotaru derweil das Schlosstor. „Bis morgen, Teshi“, verabschiedete sie sich von ihrem Großcousin und Schulkameraden. Der winkte ihr vom Balkon hinterher, wo er gemeinsam mit seiner großen Schwester stand. Jemand fasste nach Hotarus Hand. „Na komm. Sonst machen deine Eltern sich noch Sorgen“ Die Stimme war weich und erschien leicht hallend. „Ich komme schon, Shizuka-sensei“ Bereitwillig ließ Hotaru sich mitziehen. Shizuka lachte. „Du weißt genau, dass du mich nicht so nennen sollst“ „Aber du bist doch fast eine Lehrerin!“ „Solange wir innerhalb der Schlossmauern sind, meinetwegen. Aber hier draußen bin ich einfach nur eine gute Freundin deiner Familie. Oder etwa nicht?“ „Doch, Shizuka!“ „Na also. – Schau, da sind deine Eltern schon“ Die jugendliche ‚Lehrerin‘ streckte eine Hand aus, die Klauen blitzten etwas im Mondlicht auf, als sie auf die beiden Gestalten auf der Hügelkuppe zeigte. Hotaru strahlte. „Okaa-san! Otou-san!“, rief sie und machte sich von ihrer bisherigen Begleiterin los, um auf den Hügel hinaufzurennen, sich ihrer Mutter entgegenzuwerfen, als seien sie jahrelang voneinander getrennt gewesen. „Keh! Hotaru, geht das auch ein bisschen leiser?“, grummelte InuYasha vor sich hin und rieb sich demonstrativ das eine Hundeohr. Shizuka schmunzelte, als sie ihrer ‚Schülerin‘ folgte. „Stell‘ dich nicht so an, InuYasha. Du kennst deine Tochter doch!“ InuYasha funkelte sie nur an, weil er genau wusste, dass Shizuka eigentlich Recht hatte und er in diesem Punkt von Kagome keinerlei Beistand bekommen würde. Seine geliebte Miko kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, dass er nur so tat, als würde seine Jüngste ihn nerven. In Wahrheit war es ja froh über ihr übersprudelndes Temperament. Das zeigte, dass nichts sie belastete. „Du hast gut reden, Shizuka. Bei dir ist sie selten so wild“, murrte er allerdings vor sich hin. Angesprochene ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Ich trage meinen Namen ja auch nicht von ungefähr“, gab sie schlicht zurück, ehe sie zu Kagome trat. „Haben wir euch zu lange warten lassen?“ Die Miko schüttelte sofort den Kopf und schob ihre Tochter etwas von sich um vernünftig mit Shizuka reden zu können. Sie wusste recht genau, dass der eigentliche Grund dafür, dass Shizuka hieß, wie sie hieß, ein anderer war, aber das war ihr jetzt egal. „Keine Sorge. Ich wollte sowieso noch etwas mit InuYasha bereden, da kam mir der Spaziergang gerade recht“ Shizuka zog nur eine Augenbraue hoch, unmissverständliche Nachfrage. Ihre hellen Haare, die im nächtlichen Dunkel fast violett erschienen, kontrastierten mit ihren nachtschwarzen Augen. Kagome sah ernst drein. „Wir haben ein Findelkind. Ich würde sie auf fünf Jahre schätzen… eine Hanyô, Shizuka“ Die Fledermausblütige weitete die Augen. „Wo kommt die denn her?“ „Das wissen wir eben nicht. Wir haben nicht viele Informationen über sie, nicht einmal ihren Namen wissen wir. Im Moment schläft sie, vielleicht finden wir später etwas heraus. Sache ist nur, dass InuYasha vorhin, als er nach Hause kam, meinte, er habe Blut der Familie gerochen. Und die einzige, die zu dem Zeitpunkt eine blutende Wunde hatte, war die Kleine“, fasste Kagome noch einmal zusammen und sah dann auf ihre Tochter hinab. „Und du schläfst heute bei Kikyô, einverstanden? Unser kleiner Gast soll sich ausschlafen“ Hotaru nickte eifrig, auch wenn sie vermutlich nur dem halben, vorangegangenen Gespräch gelauscht hatte. Sie war eindeutig schon wieder auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung. Shizuka zupfte derweil nachdenklich an dem Kimono, den sie immer trug, wenn sie im Schloss unterwegs war. Der helle, graublaue Stoff raschelte etwas. „Wie ich dich kenne, willst du dich um sie kümmern?“ Das klang eher wie eine Feststellung, als wie eine Frage. Shizuka mochte körperlich selbst noch nicht ganz erwachsen sein, sie kannte die Dorfgemeinschaft und damit auch Kagome sehr gut. Die Miko nickte. „Ich wüsste nichts, was dagegen spricht. Und wir können die Kleine doch nicht sich selbst überlassen“ „Das meine ich auch nicht. Aber wenn du so wenig über sie weißt, solltest du so schnell es geht versuchen herauszufinden, welche Stärke sie hat. Nicht, dass sie irgendwann einmal durchdreht und du hast nichts um sie wieder zurückzuholen“, stellte Shizuka klar. Unwillkürlich hatte InuYasha eine Hand auf Tessaigas Heft gelegt und wenn sie selbst ihr Schwert beigehabt hätte, hätte Shizuka wohl eine ähnliche Geste gemacht. Im Normalfall konnte sie zwar ihr Dämonenblut, auch im Kampf, kontrollieren, aber dennoch war es auch bei ihr die Waffe, die ihr im Zweifelsfall die Kontrolle zurückgab. „Das hatte ich auch vor, sobald die Kleine wieder auf den Beinen ist. Und dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als mich zu mindestens einmal in der Bibliothek umzusehen. Es geht mir nicht aus dem Kopf, dass die Kleine vielleicht einen Vater hat, den man aufspüren könnte“ „Oder eine Mutter“, wandte Shizuka ein. „Es kann auch gut die Mutter dämonisch gewesen sein. Das gab es zwar meines Wissens noch nicht oft, aber möglich ist es“ „Auch wieder wahr. Na toll. Das erweitert den Kreis der Verdächtigen mindestens auf das Doppelte“, gab Kagome wenig begeistert zu und schüttelte mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf. „Erinnere mich, dass ich nie wieder auch nur darüber nachdenke, wie schön abwechslungsreich es früher war, InuYasha. Das war hier jetzt auf uns zukommt, reicht mir vollkommen, denke ich“, fügte sie dann amüsiert hinzu und fasste nach der Hand ihrer Tochter, ehe die sich auf der Suche nach Abwechslung davonmachen konnte. Das Gespräch der Erwachsenen war ihr eindeutig zu langweilig geworden. InuYasha zuckte nur belustigt mit den Hundeohren, ehe er sich zum Gehen wandte. „Na kommt“ Die anderen folgten ihm, zurück zur Siedlung. An InuYashas und Kagomes Hütte hob Shizuka verabschiedend die Hand, als ihr noch etwas einfiel: „Ach, InuYasha? Ehe ich es vergesse… Fürst Sesshômaru sagte, er wolle dich in den nächsten Tagen mal sprechen. Kôhei hat ihn da wohl auf etwas angesprochen. Ich glaube, es geht um Teshi und Saika“ „Sesshômaru? Was will der denn schon wieder?“, brummte InuYasha, aber das war seine Art der Zustimmung. Shizuka nahm das nur zur Kenntnis und wandte sich ab um nach Hause zu gehen. ~*~ Kiraras Weg führte sie derweil an den Rand des Taijiyadorfes, wo abseits der Hütten vier Gräber lagen. Während die meisten Taijiya an einem Berg auf der neutralen Insel etwa in der Mitte des Bannkreises bestattet wurden, hatten diese vier hier ihre letzte Ruhe gefunden. Die Grabsteine waren alt und verwittert, obwohl sie gepflegt wurden, sah man ihnen die über vierhundert Jahre Alter an. Die Inschrift war beinahe nur noch zu lesen, wenn man wusste, was dort stand. Kirara wusste es. Sie wusste sehr genau, wer hier begraben lag. Jene vier Menschen, die den Grundstein für die neue Generation der Taijiya gelegt hatten. Auf lautlosen Pfoten näherte Kirara sich dem ersten Grabstein. Das erste der eingravierten Worte war sogar noch recht gut zu erkennen. ‚珊瑚‘, Sango, stand da. Hier ruht Sango, Begründerin des Silberbanns und erste Aijin der neuen Generation – auf immer in Ehren, rezitierte Kirara die gesamte Inschrift in Gedanken und schloss kurz die leuchtend roten Augen. Dann trat sie ein paar Schritte weiter, setzte sich zwischen Sangos Grabstein und dem daneben nieder. Sango war nicht ihre erste Herrin gewesen, aber sie würde ihr auf immer ebenso in Erinnerung bleiben wie jene. Aber auch die anderen drei würde sie nie vergessen. Weder Miroku, noch Kohaku, noch Koume. Sie alle waren etwas Besonderes gewesen. Sango und Kohaku, das Geschwisterpaar, letzte Überlebende der ‚alten Generation‘, ihrer Verwandten und Freunde beraubt durch einen infamen Plan, der sie zwischenzeitlich zu Feinden werden ließ. Miroku der Mönch und Frauenheld, der, nachdem er Sango getroffen hatte, alles für sie getan hätte, der lange mit einem schrecklichen Fluch gelebt und ihn schließlich doch besiegt hatte. Und Koume, die Kohaku wieder aufgerichtet hatte, die seine Schülerin und sehr viel später seine Gemahlin geworden war. Diejenige, deren Idee es gewesen war, Nekomata gezielt auszubilden und die die neuen Taijiya mit geformt hatte. Dabei hatte sie die Dämonenjäger erst durch Kohaku richtig kennengelernt, stammte aus allem anderen als einem kriegerischen Umfeld. Sie alle vier hatten für menschliche Verhältnisse lange gelebt. Miroku hatte sogar knapp das fünfundachtzigste Lebensjahr erreicht. Nachdem aber auch er in die anderen Welt gegangen war, hatte Kirara nichts mehr hier gehalten. Seit dem lebte sie bei Kagome und InuYasha, hatte deren Kinder aufwachsen sehen und das Erstarken der Taijiya, die Bildung der Dörfer auf den anderen Inseln nur noch am Rande verfolgt. Sie hatte selbst einen Wurf gehabt, ihr Sohn lebte noch immer bei ihr. Konstanten und Veränderungen wogen sich auf. Und doch wusste Kirara, das keiner der anderen nachvollziehen konnte, dass sie ein wenig anders war. Sie war nicht nur deutlich älter als die meisten anderen Nekomata, sie hatte auch Dinge erlebt, die den anderen abgingen. Und immer wieder war sie an Begleiter, Freunde, Verbündete und auch Feinde geraten, die bis heute in Erinnerung waren. Dazu zählte dieses Quartett, dazu zählte ihre erste Herrin Midoriko, die Erschafferin des legendären und ebenso teuflischen Shikon no Tama, dazu zählte Naraku, eines der abscheulichsten und zugleich bedrohlichsten (halb-)dämonischen Wesen, die in den letzten Jahrtausenden existiert hatten. Es war schon seltsam. Anscheinend hatte sie immer irgendwo das Bindeglied spielen sollen. Das Schicksal hatte sich schon einige Spezialitäten für sie ausgedacht. Kirara erhob sich wieder und trat zu dem kleinen Schrein, der neben den Gräbern erbaut worden war. In seinem Inneren fanden sich fünf große Truhen aus hellem Holz, verziert mit kunstvollen Intarsien. Eine rechts von ihr und die anderen vier nebeneinander vor Kopf. Die einzelne war fest verschlossen. Sie beherbergte die Stammbäume und Aufzeichnungen der Taijiya und eine solche gab es in jedem Dorf. Die anderen vier aber standen offen und waren durch starke, spirituelle Banne geschützt. Kirara wusste, dass sie, obwohl sie ein dämonisches Wesen war, nicht abgewiesen worden wäre, aber dennoch hielt sie einen halben Meter Abstand. In diesen Truhen wurden die Waffen ihrer vier speziellen Freunde gut geschützt aufbewahrt. Sie waren nach deren Tod nie wieder benutzt worden. Bis zu seinem Lebensende hatte Miroku die Bannkreise erhalten, nun tat dies Kagome. In Gedenken an viele gemeinsame Jahre. Sangos Hiraikotsu, Kohakus Kusarigama und Individualwaffe, Koumes S-förmiger Doppelklingenspeer und auch Mirokus Shakujô. Hinter den vier Truhen hing ein großer Wandteppich, der die vier zeigte, von den stets leuchtenden Lichtern an der Wand in eine mystische Stimmung getaucht. Um Sangos Hals lag wie ein Pelzkragen eine Nekomata. Kirara wusste, dass dort sie selbst verewigt worden war. Zwischen Kohaku und Koume stand Katashi in voller Kampfgröße, zu seinen Pfoten saß seine Mutter Kuroro. Obwohl sie alle drei noch lebten, hatten sie einfach dazu gehört. Kirara schnurrte etwas wehmütig. Trauer war nichts, was ein dämonisches Wesen umtrieb, aber die Erinnerungen schafften es doch immer wieder sie zugleich melancholisch und dankbar zu stimmen. Und plötzlich erinnerte sie sich an eine andere Begebenheit. Damals, einige Jahre nach dem Sieg über Naraku, kurz bevor die Taijiya erneut erwachen sollten, damals war sie ein letztes Mal an Midorikos Mahnmal gewesen. Und damals hatte sie schon geahnt, dass stürmische Zeiten auf sie zukommen würden. So war es dann auch gekommen. Am Ende waren sämtliche dämonischen Fürstenhäuser umgezogen, ein äußerst starker Gegner besiegt, mehrere Artefakte des magischen Gleichgewichtes in guten Händen und nicht zu vergessen die Taijiya wiederauferstanden. Kirara spürte ein Kribbeln in den Pfoten, als ihr bewusst wurde, dass sie vorhin, als die fremde kleine Hanyô endlich außer Lebensgefahr gewesen war, ein ähnliches Gefühl gehabt hatte. Irgendetwas stimmte mit der Kleinen nicht. In diesem Moment war die erfahrene Nekomata sich sicher, dass hinter der Kleinen nicht wieder die alte Geschichte von dem allzu früh verstorbenen, dämonischen Elternteil steckte. Da war mehr. Und Kirara war fest entschlossen, ihre Freunde bei der Suche nach des Rätsels Lösung zu unterstützen. Was auch immer das wieder für Kapriolen nach sich ziehen würde. Sie würde ihren Freunden zur Seite stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)