Immer der Freiheit entgegen von kimikomuh ================================================================================ Kapitel 24: Erinnerungen ------------------------ Erinnerungen Siebter Tag, früh morgens: Es war noch sehr früh am Morgen, als die alte Dame wach wurde. Dieses Sofa war eindeutig kein geeigneter Platz, um in ihrem Alter darauf zu schlafen. Aber schließlich ging es nicht anders, das Mädchen musste im Bett schlafen, ihr Wohl ging momentan vor. Die Alte erhob sich mit einem Ächzen und machte sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer. In diesem angekommen, fand sie lediglich ein leeres Bett mit einem Haufen aus Decken vor, von dem Mädchen war nichts zu sehen. 'Vielleicht war sie ja im Bad', dachte Trudy sich, doch stand die Tür dazu offen. Die Weißhaarige grübelte, war die Rothaarige rausgegangen? Inständig hoffte die Oma sich, dass Lio noch in Reichweite war. Das Mädchen sollte sich fürs Erste vollständig auskurieren, dann konnte sie eine Erkundungstour starten, aber nicht vorher! Die Frau trat aus dem Haus und blickte sich um. Auf der Bank, auf der sie im Normalfall saß und auf Timmi wartete, war die Rothaarige zu sehen. Sie hatte den Blick aufs Meer gerichtet und die Alte augenscheinlich nicht bemerkt. Trudy atmete erleichtert auf, als sie das Mädchen gesehen hatte. Die Schlaufe war noch immer um ihre Schulter gewickelt und eine Decke lag vollständig um sie herum. Hörbar laut räusperte sie sich, um das Mädchen nicht zu erschrecken, doch hatte diese sie schon längst bemerkt. Lio drehte ihren Kopf in Richtung der Haustür und lächelte „Gute Morgen“, sagte sie freundlich. „Guten Morgen, bist du schon lange wach? Hast du gut geschlafen? Soll ich dir Frühstück machen?“, fragte Trudy, doch erhielt sie zur Antwort nur ein Kopfschütteln. „Nicht allzu lang und ja, ich hab gut geschlafen, vielen Dank. Die nächsten Nächte darfst du wieder in deinem Bett schlafen“, erwiderte das Mädchen, die Weißhaarige sagte dazu nur: „Ach Unsinn! Mir geht es doch gut.“ Lio stand auf und trat näher „Nimm es mir nicht übel, aber meinem Rücken geht es wahrscheinlich besser als deinem. Keine Widerworte, bitte.. Ich bin dir dankbar genug, dass du dich um mich kümmerst“, sie standen inzwischen nebeneinander. Die Frau blickte zu der Jüngeren auf und versuchte ihr zu widersprechen, doch wollte sie gar nicht widersprechen, also beließ sie es dabei. „Aber gefrühstückt wird trotzdem!“, sagte Trudy, öffnete die Haustür und trat ein, Lio folgte ihr und schüttelte nur den Kopf. Die Alte hatte nachgegeben, so war sie nun am Zug nachzugeben. „Gut, lass dir aber Zeit, ich möchte noch ein Bad nehmen, wenn es in Ordnung ist?“, fragte sie und erhielt zur Antwort ein Nicken. „Lass schon mal das Wasser ein, ich komme gleich nach und helfe dir aus den Sachen“, das Mädchen verschwand hinter der Badezimmertür. Sie legte die Decke beiseite und widmete sich dem Wasserhahn. Sie kippte die orangene Flüssigkeit vom Vortag hinein und versuchte sich halbwegs aus der Kleidung zu befreien, doch scheiterte sie, wie zu erwarten war. Mit ihrem gesundem Arm war sie bereits aus dem T-Shirt herausgekommen, nur hing der linke Arm immer noch in der Schlaufe und ließ sich nicht bewegen ohne zu schmerzen. Die Tür öffnete sich und Trudy trat ein „Ich habe doch gesagt, dass ich dir helfe..“, sagte sie tadelnd und half dem Mädchen aus den Sachen. Schnell hatte sie sich befreien können und verschwand in der Wanne, beschämt blickte sie die Weißhaarige an „Ja, ich weiß. Aber ich dachte, ich schaffe es selbst“, diese winkte nur lächelnd ab und verschwand wieder. Lio seufzte, wie sie bemerkte, in letzter Zeit viel zu oft, und verfluchte ihren Arm. Es machte sie hilflos, so unbeweglich zu sein. Wie sollte sie das nur noch weitere zwei Wochen aushalten? Vielleicht könnte sie den Heilprozess beschleunigen, wenn sie ihren Arm vollständig ruhig halten würde und dann sehr bald mit ein paar Übungen anfangen würde. Zufrieden nickte die Rothaarige und beschloss, die Alte nach dem Bad direkt zu fragen. In der Zwischenzeit kam der Blonde zum morgendlichen Frühstück vorbei, wie immer klopfte er und trat ohne zu warten ein. Er setzte sich an den Tisch und schnappte sich ein Brötchen, halb genuschelt brachte er „Morgen“ hervor und biss auch schon herzhaft in sein Brötchen. Der Tisch war noch nicht vollständig gedeckt und Trudy war noch damit beschäftigt, einige Dinge darauf zu stellen „Dir auch einen wundervollen guten Morgen“, sagte sie und stellte ein Glas Marmelade hin. Nachdem sie die Tassen ebenfalls platziert hatte, setzte sie sich, der Blonde fragte: „Wo ist'n das Mädchen? Wie hieß sie gleich nochmal? Lui? Lea? Lia? Irgendwie so was war's doch.“ „Lio“, verbesserte die Weißhaarige und griff ebenfalls zu den Brötchen. „Und sie ist gerade im Bad. Es scheint, als ginge es ihr besser“, hängte sie dran und trank einen Schluck Tee. Eine Zeit lang blieb es unter den Beiden wieder still, Trudy fragte schließlich: „Wie läuft die Arbeit?“, Timmi verdrehte nur die Augen „Stressig wie immer, weißt du doch“, er hatte kein Bedürfnis darüber zu sprechen. Wieder war es still zwischen den Neiden, bis schließlich der Blonde erzählte: „Sie legen übrigens bald wieder ab. Ich glaub, gegen Mittag sind sie weg.“ Er hatte am Morgen erfahren, dass die Whitebeardpiraten wieder abfahren würden, den Grund hatte er immer noch nicht erfahren oder besser gesagt wieder vergessen. Sein Gegenüber nickte, sie war froh, dass dieser legendäre Pirat wieder abreisen würde. Die Insel stand zwar unter dem Schutz des Roten, welcher sogar anwesend war, doch befürchtete sie, dass der alte Piratenkaiser etwas anstellen könnte. Sie ließ den Gedanken an Whitebeard fallen, als sich das junge Mädchen an den Tisch setzte. Ihre Haare hingen ihr nass über die Schultern, sie trug noch immer die Kleidung vom Vortag, ihr Arm war eher schlecht als recht in der Schlaufe eingewickelt. „Wieso hast du nicht gerufen?“, fragte die Weißhaarige, stand auf und trat zum Mädchen. Diese antwortete mit einem verlegenen Lächeln: „Ich dachte, ich könnte es auch allein.. und so schlecht ist ja nicht mal!“, versuchte sie sich zu verteidigen, aber die Alte schüttelte nur den Kopf. Immer diese Jugend, dachte sie sich und löste die Schlaufe und legte sie ihr richtig um Arm und Schulter. Nachdem sie dies erledigt hatte, setzte sie sich wieder an den Tisch und schmierte dem Mädchen eine Hälfte mit Marmelade. Sie schob den Teller zu der Rothaarigen, diese bedankte sich und verschlang in Sekundenschnelle das Brötchen. Tim hatte ihr dabei zugeschaut und staunte nicht schlecht, als er gesehen hatte, wie schnell sie die Hälfte verputzt hatte. Im Stillen aßen die Drei bis der Blonde zu sprechen begann: „Wenn du willst, zeige ich dir später die Insel, wie wäre es?“, die alte Frau wollte widersprechen und sagen, dass das Mädchen noch lange nicht gesund genug dafür war, doch antwortete die Rothaarige: „Sehr gern, ja“, die Sache schien für beide erledigt zu sein, aber war Trudy noch immer dagegen und sprach ihren Protest aus: „Das könnt ihr vergessen, du musst noch arbeiten und du gesund werden“, sie zeigte dabei auf die Zwei. Lio sah die Weißhaarige an und versuchte zu erklären: „Mir geht es wirklich schon besser, ich kann auch schon laufen und wenn es zu viel wird, mache ich natürlich Pausen“, die Oma wägte das Risiko ab und kam nicht umhin, zuzustimmen „Mag schon sein Mädchen, aber Timmi muss immer noch arbeiten.“ Dieser meldete sich nun auch zu Wort: „Dann zeig ich ihr die Insel danach“, erneut rang die Frau mit sich und suchte nach Gründen dagegen, doch fand sie keine. Sie seufzte schweren Herzens und stimmte zu „Na gut, ihr könnt dann später gehen und du“ sie zeigte dabei auf den Blonden „gehst jetzt arbeiten, hoch mit dir“, sie scheuchte ihn schon geradezu heraus und er nuschelte im Gehen etwas Unverständliches in seinen imaginären Bart. Nachdem er das Haus verlassen hatte, kehrte wieder Ruhe ein und Trudy setzte sich zurück an den Tisch. „Sag mal Trudy, dieser Shanks..“ Lio stoppte, als sie den Namen ihres vermeintlichen Vaters ausgesprochen hatte, sammelte sich schnell und sprach weiter: „Wie sieht er aus?“, ihr Gegenüber hob fragend die Augenbrauen. Etwas verwundert über die Frage, antwortete die Alte dennoch: „Nun ja, er ist recht groß, hat intensiv rote Haare, ähnlich wie die deinen, er trägt einen Bart und hat drei senkrechte Narben über seinem linken Auge. Du wirst ihn später sicher sehen, wenn du mit Timmi ins Dorf gehst“, verstehend nickte die Rothaarige. Die Beschreibung passte gut auf den Mann, den sie schon mehrere Male in ihren Erinnerungen gesehen hatte – die roten Haare, der Bart, die drei Narben. „Wenn du ihn siehst, grüß ihn doch bitte von mir, ich komm so selten dazu“, ergänzte die Weißhaarige und räumte so langsam den Tisch wieder ab. „Mach ich“, sagte die Rothaarige völlig in Gedanken versunken und erhob sich vom Stuhl, sie stapelte die Teller und trug sie zur Theke. „Du brauchst mir wirklich nicht helfen, leg dich nochmal hin oder geh in den Garten raus, aber überanstrenge dich bloß nicht“, sagte Trudy ihr. Das Mädchen wollte widersprechen, doch wurde sie schon etwas aus der Küche geschoben, sie stand mitten im Raum und wollte meckern, blieb aber stumm. Sie sollte sich jetzt nicht beschweren, nur weil man ihr Arbeit abnahm. Sie entschied sich dafür in den Garten zu gehen, holte aber zuvor noch die Decke aus dem Bad und legte sie sich um die Schultern. Im Garten setzte sie sich wieder auf die kleine Bank, welche an der Hauswand stand. Es erinnerte wirklich stark an ihr altes Zuhause, alte Geschehnisse, die sie bis zu diesem Zeitpunkt völlig vergessen hatte, erschienen wieder vor ihrem geistigen Auge. „Lio, du musst mir jetzt versprechen, dich so gut es geht an mir festzuhalten, okay? Und nicht runtersehen“, sie war verwirrt, aber ließ sich darauf ein. Shanks nahm sie auf seinen Rücken und sie klammerte sich gut an ihm fest, er kletterte die Takelage hinauf mit Lina hinter sich. Die Rothaarige traute sich gar nicht nach unten zu schauen und wartete darauf das Ziel der Kletterei erreicht zu haben. Und endlich waren sie angekommen – Im Krähennest. Er ließ sie von seinem Rücken runter und stellte sie vor sich, damit nichts passieren konnte. Die Brünette hatte es fast geschafft und stand nun neben den Beiden. Zu dritt blickten sie auf das Meer und den Himmel hinaus, Lio hatte noch nie so etwas schönes gesehen, von hier oben sah alles noch viel umwerfender aus. Die Sterne funkelten vom Himmel hinab und spiegelten sich auf der Wasseroberfläche, die Wellen tanzten. Der Mond war zur Zeit nur eine Sichel, sie lag so außergewöhnlich fein zwischen den vielen Sternen und zierte den Nachthimmel. Die Augen der Rothaarigen funkelten fast so hell, wie die Sterne. „Weißt du Lio, genau deshalb sind wir Piraten“, begann ihr Vater „Wir blicken auf das Meer und sehen soviel, es gibt uns soviel.“ Das Mädchen hatte die Augen geschlossen und war völlig in diesen Moment zurückversetzt. Ihr fiel es wieder ein, all das war für lange Zeit in Vergessenheit geraten und nun trat einiges tröpfchenweise wieder in ihr Gedächtnis. Dieser Abend lag gut zehn Jahre zurück, sie hatte an diesem Abend ihren Vater das letzte Mal gesehen, danach war er nicht mehr aufgetaucht. Er war so liebevoll zu ihr und ihrer Mutter, wieso war er einfach verschwunden und hatte sich seitdem nie wieder gemeldet? Was für Gründe hatte er, dass er einfach so ging? Lio verstand es einfach nicht, diese Erinnerungen waren so wundervoll, sie waren so eine glückliche kleine Familie, doch er hatte sie verlassen. Er kam nie wieder, hat sich nicht um ihre Mutter gekümmert, als sie im Sterben lag und auch nicht um Lio, als diese völlig allein auf sich gestellt war. Die Beschreibung der alten Frau stimmte auf den Mann aus ihren Erinnerungen absolut überein, dieser Shanks musste ihr Vater sein. Eigentlich hatte die Rothaarige bereits mit diesem Thema abgeschlossen, aber alles kam wieder hoch und auch aus einer anderen Perspektive. Sie erinnerte sich ja wieder an ihn und auch an die Zeit damals, sie verstand nur nicht, wieso er verschwand. Sie sollte nun die Chance ergreifen und ihn sehen, ihn fragen, was das in Vergangenheit war, er sollte ihr Rede und Antwort stehen, sie wollte doch nur verstehen.. Lio wusste nicht, wie lange sie dort stillschweigend im Garten saß bis Trudy ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte. Sie stand an der Haustür und hatte das junge Mädchen zu sich gerufen. Diese erhob sich von der Bank und trat mit der Weißhaarigen ein, sie fragte beim Eintreten „Was gibt’s?“, die alte Frau lächelte freundlich und erklärte: „Ich will dir eine Übung zeigen, damit du deinen Arm frühzeitig wieder benutzen kannst“, die Rothaarige nickte. Die Frau band die Schlaufe ab und erklärte weiter: „Die Übung ist auch dafür da, dass die Schulter nicht steif wird und an Bewegungsumfang verliert. Die Dehnung besteht darin, den Arm so zu halten“, sie nahm dabei den linken Arm des Mädchens und hob ihn vorsichtig hoch, die Rothaarige fasste mit ihrer linken Hand an ihre rechte Schulter. „Stütze mit deiner freien Hand den Ellbogen und drücke den linken Arm etwas zu dir. Du müsstest eine Dehnung spüren, nicht?“, das Mädchen tat wie erklärt und spürte ein leichtes Ziehen in ihrer linken Schulter, es war nicht schmerzhaft. Sie nickte „Ja“, die Oma lächelte immer noch „Gut, du hältst diese Dehnung für ungefähr 15 Sekunden, machst eine kurze Pause und wiederholst es, okay?“ „Ist in Ordnung“, erwiderte Lio und wiederholte die Übung einige Male in Trudys Beisein und danach auch ohne. Währenddessen fragte die Vierzehnjährige: „Wie lange kann es dauern, bis ich meinen Arm wieder vollständig benutzen kann?“, die Frau war derzeit in die Küche zurückgekehrt und spülte das Geschirr vom Frühstück. „Um wirklich sicher zu gehen, würde ich sagen zwei bis drei Wochen.“ Dem Mädchen wären beinahe die Augen herausgefallen „So lange? Gibt es eine Möglichkeit, den Prozess zu beschleunigen?“, kopfschüttelnd antwortete die Alte ihr „Nicht wirklich, es hängt auch ganz von deiner Verfassung ab. Du bist noch sehr jung, daher heilt es schneller, als bei Erwachsenen. Dafür darfst du unter keinen Umständen deinen Arm belasten, nur diese Übung und noch einige andere, die ich dir später zeige. Geduld ist sehr wichtig.“ Betrübt sah die Rothaarige zu Boden. Sie hatte eigentlich keine Zeit solange zu warten, schließlich musste sie auch irgendwie zurück auf die Moby Dick kommen. Das Risiko, dass die Schulter nicht richtig ausheilen würde, war dennoch zu hoch. Sie seufzte „Na schön, drei Wochen“, sie wiederholte erneut die Übung. Mit jedem Mal, wenn sie ihren Arm in die Waagerechte brachte, spürte sie noch den leichten Schmerz. Höher als das Vorgesehene schaffte sie nicht und würde auch zu sehr schmerzen, wenn sie es versuchte. Nach elf weiteren Durchläufen stoppte sie und bat die alte Dame, den Arm wieder in die Schlaufe zu wickeln. Als der Arm fest verpackt war, fragte das Mädchen: „Sag mal, kann ich gleich schon mal selbst einen Blick auf das Dorf werfen?“, skeptisch wurde sie von der Oma angeschaut. Sie hatte vorhin zugestimmt, als es hieß, dass das Mädchen mit Timmi gemeinsam hingehen würde, aber allein? „Wir können auch gemeinsam gehen“, versuchte die Rothaarige es erneut, doch zeigte es keine Wirkung bei Trudy. Die Whitebeardpiraten lagen im Hafen immer noch vor Anker, sie würden erst in einer Stunde abreisen und bis dahin wollte die Frau keine fünf Meter von ihrem Haus entfernt sein. Die Weißhaarige sah den flehenden Blick des Kindes und knickte dabei fast ein, es musste doch irgendeinen Kompromiss geben „Wir können in einer Stunde gehen, wenn du unbedingt willst“, „Danke!“ das Mädchen lächelte umgehend. Doch nun bestand für Lio immer noch die Frage, was sie eine Stunde lang tun könnte. Ihr kam ein Gedanke, den sie umgehend umsetzen wollte. „Sag mal Trudy, hast du ein Blatt Papier und einen Stift?“ fragte das Mädchen die Dame, welche sie mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. „Natürlich, willst du einen Brief schreiben?“, zur Antwort erhielt sie ein Nicken. Die Weißhaarige legte dem Mädchen Stift und Papier auf den Küchentisch und wies mit einem Handzeichen daraufhin, dass beides bereit lag. Sie selbst widmete sich wieder dem Geschirr in der Spüle und fragte sich, wem die Kleine wohl schreiben könnte. Die Rothaarige setzte sich und überlegte, was sie genau schreiben sollte, da fiel ihr noch eine Frage ein „Du Trudy, hast du eine Teleschnecke?“, Angesprochene drehte sich halb herum und nickte „Möchtest du die Nummer?“ „Ja bitte“, die Frau verschwand für einen kurzen Moment im Schlafzimmer und kehrte mit einem kleinen Zettel zurück. Sie legte ihn auf den Tisch, darauf zu sehen, waren einige Zahlen. Lio lächelte, so könnte das auf jeden Fall leichter werden. Sie begann zu schreiben: Hallo Ihr, Ihr macht Euch sicherlich ziemlich viele Sorgen um mich, aber das braucht Ihr nicht – mir geht es gut! Ich befinde mich momentan auf der Insel Lilsol, sie steht unter dem Schutz des Piratenkaisers Shanks. Eine ältere Dame hat mich aufgenommen und kümmert sich um mich, sie hat auch eine Teleschnecke, die Nummer dazu lautet: 397-482-157 Bitte meldet Euch, wenn Ihr diesen Brief erhalten habt, wir können dann alles weitere klären. Macht Euch keine Sorgen und grüßt alle von mir! L. Mehrere Male las die Rothaarige über die paar Zeilen und segnete es dann zu guter Letzt doch ab. Sie hatte keine großen Informationen aufgeschrieben, falls man den Brief abfangen würde, könnte man mit diesen Worten nicht viel anfangen. Man wusste weder an wen dieser Brief gerichtet war, noch von wem er kam. „Wann kommt eine Zeitungsmöwe vorbei? Ich will ihr den Brief zustecken“, Trudy hatte inzwischen den Abwasch fertig und setzte sich wieder an den Tisch zur Rothaarigen. „Sie kommen nicht all zu oft hier her, dafür musst du ins Dorf gehen, wir können später schauen, ob welche kommen“, verstehend nickte die Rothaarige. Sie war völlig beeindruckt von ihrer Idee, dass sie sich so bei ihren Nakamas melden konnte und die Vorstellung, sie alle bald schon wieder zu sehen, gefiel ihr sehr. Neugierig blickte die alte Frau auf das Papier, doch gaben die darauf verfassten Worte keine Auskunft darüber, an wen der Brief war. Sie fragte freiheraus: „An wen ist der Brief?“, beide hoben den Blick von dem Stück Papier und sie sahen sich an „Der Brief ist an meine Familie, sie machen sich sicher riesige Sorgen“, bei dem Wort „Familie“ dachte die Weißhaarige allerdings an etwas anderes, als eine Piratenbande. Da sie aber nicht weiter fragte, gab es auch von Lios Seite aus nichts zu erklären. Stumm schweigend saßen sich die Frauen gegenüber, schließlich sagte Trudy „Komm, ich zeig dir noch eine andere Übung für deine Schulter“, dankend lächelte die Rothaarige und beide erhoben sich. Siebter Tag, mittags: Die Crew der Whitebeardpiraten befand sich nun fast vollständig auf dem Schiff, die Abfahrt stand bevor. Nur der Vize der Bande stand noch immer am Steg und sprach mit dem Piratenkaiser. „Falls sie hier auftaucht, gib ihr bitte die“, der Blonde reichte dem Roten einen gefalteten Zettel. „Deine Vivre-Card“, sagte Shanks und nahm sie ihm ab, darauf erkannte er neun Ziffern, er fragte: „Werde ich sie erkennen?“, der erste Kommandant nickte „Das wirst du, glaub mir.“ Sie gaben sich zum Abschied die Hand und der Blonde flog mit seinen verwandelten Flügeln an Deck des Schiffes. An der Reling standen einige Kameraden und hatten die beiden Piraten beobachtet. Es war an der Zeit von der Insel abzureisen, Whitebeard saß in Gedanken versunken auf seinem Thron und erteilte keine Befehle. Marco übernahm für ihn, kurze Zeit später war das Schiff so langsam aus dem Hafen geschippert. Dem alten Hünen war es gar nicht recht, dass sie die Insel bereits verließen. Er hatte sich solche Hoffnungen gemacht, dass seine so junge Tochter überlebt hatte, doch war sie nicht hier. Ihr Verlust machte ihm innerlich unglaublich zu schaffen. Nachdem alle Befehle erteilt wurden, trat der Blonde zu seinem Vater „Ich habe ihm noch meine Vivre-Card gegeben“, erklärte er und sah dabei zu, wie sein Gegenüber nickte und aus seiner Flasche trank. Für keinen von ihnen war es leicht, viele hatten bereits die Hoffnung aufgegeben, doch so manch einer ließ sich nicht täuschen. Das Mädchen hatte die Ausdauer und den notwendigen Willen, um die Sache heile überstanden zu haben. Es musste einfach so sein. ~*~ „Wenn du möchtest, können wir jetzt ins Dorf“, sagte die alte Frau, in ihrer Hand trug sie einen großen Weidekorb. Freudig lächelte die Rothaarige und stand vom Sofa auf. Sie hatte die restliche Zeit vor sich hin gedöst und war froh, dass endlich etwas passieren würde. Das Mädchen steckte den Brief gefaltet in ihre Hosentasche und begab sich gefolgt von Trudy außer Haus. Gemeinsam liefen sie in völliger Ruhe den Weg zum Dorf entlang, dabei gingen sie sehr nah am Strand vorbei und Lio genoss die kühle Seeluft und die warme Sonne auf ihrer Haut. Voller Freude, endlich wieder umherlaufen zu dürfen, lief sie in einigen großen Schritten um die alte Frau. Als Außenstehender wirkte die Situation ziemlich bizarr. Ein rothaariges Mädchen, welches in unförmigen Kleidern steckte, dazu der linke Arm in einer Schlaufe eingewickelt war, sie selbst lief oder hüpfte eher durch die Gegend und grinste breit vor sich hin. Dazu eine ältere Frau, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließ und nicht auf das Gezappel des Mädchens achtete. Bald hatten sie das Dorf erreicht und liefen am äußeren Rand, dem Hafen, hinein. Die ersten Boote, welche an dem Steg befestigt waren, waren ziemlich klein. Hauptsächlich waren es Fischerboote. Doch als Lio den Blick durch den Hafen gleiten ließ, sah sie ihn gewaltiges Schiff. Dieses bestand aus drei Masten mit einigen Segeln, die allerdings eingeholt waren, weshalb man auch nicht den Jolly Roger erkannte. Die Galionsfigur war ein schlichter rötlicher Drachenkopf, die Farbe des Holzes war ebenfalls rot. Lio traf es wie ein Schlag. Sie blieb abrupt stehen und starrte den ihr bekannten Kahn an. Es war das Schiff aus ihrer Kindheit. Die Rothaarige erinnerte sich zu gut daran, wie sie einige Male mit ihrer Mutter auf diesem Schiff war. Es konnte also nur bedeuten, dass dieses Schiff, das Schiff ihres Vaters war. „Mädchen, alles in Ordnung?“, Trudy war ebenfalls stehen geblieben, wunderte sich doch, weshalb die Rothaarige einfach stehen blieb. Die Weißhaarige folgte dem Blick des Mädchens, welche immer noch die Red Force anstarrte. Die Oma lächelte, es schien wohl das erste Mal zu sein, dass die Rothaarige ein derart großes Schiff zu Gesicht bekam. Dass dieses Schiff einen ganz anderen Effekt bei Lio auslöste, wusste die Frau natürlich nicht. Erklärend sagte sie: „Das ist das Schiff des Piratenkaisers Shanks“, sie zeigte mit ihrem Finger darauf, wobei eigentlich klar war, welches Schiff sie meinte. Die Rothaarige schluckte schwer und versuchte sich zu sammeln, doch schien es, als ob ihre gesamte Kindheit sich nun wieder in Vordergrund drängte. Mit geweiteten Augen starrte sie noch immer den Kahn des Kaisers an. „Nun komm weiter. Wenn wir Shanks treffen, darfst du bestimmt mal darauf“, sagte die Oma und nahm das Mädchen an die Hand und zog sie mit sich. Völlig benommen stolperte sie immer wieder über ihre eigenen Füße, glücklicherweise hatte Trudy sie an die Hand genommen, allein könnte sie keinen Schritt mehr vor den Anderen setzen. Inzwischen hatten sie den Marktplatz erreicht und Lio hatte sich so langsam wieder beruhigt. Zu zweit traten die Frauen von Stand zu Stand und kauften einige frische Zutaten ein. Nach über einer halben Stunden war das junge Mädchen ziemlich erschöpft. Sie hatte ihre ganze Energie auf den Hinweg schon verbraucht und brauchte nun eine Pause. Sie setzte sich auf eine der Steinbänke. „Bleib du ruhig hier, ich komme gleich wieder“, sagte Trudy, stellte den Weidenkorb ab und verschwand in der Menschenmenge. Es war Mittagszeit auf Lilsol und die Sonne brannte permanent auf die Menschen herab. Die Hitze bekam Lio in diesem Moment gar nicht, sie war viel zu erschöpft, die Schlaufe erhitzte sich viel zu schnell und ihre restliche Kleidung war nicht für dieses Wetter geeignet. Sie schloss die Augen und versuchte das Drehen in ihrem Kopf unter Kontrolle zu kriegen, doch spürte sie es dadurch nur intensiver. Die Augen öffnen wollte sie allerdings auch nicht, zu grell blendete die Sonne auf den Marktplatz hinab. Ganz langsam legte sich das Drehen, war nur noch ganz unterschwellig zu spüren, sie entschied sich dennoch dafür die Augen geschlossen zu halten. Sie hörte nicht weit von sich entfernt einen Mann sprechen „Heute ist so ein herrlicher Tag Männer. Das muss gefeiert werden!“ rief er einer kleinen Truppe zu, die mit ihm gemeinsam über den Markt lief. Als Lio die Stimme hörte, riss sie die Augen auf. Sie kannte diese Stimme doch, natürlich kannte sie diese! Sie versuchte den Mann, dem diese Stimme gehörte ausfindig zu machen, doch konnte sie ihn nirgends sehen. Es waren einfach zu viele Menschen auf so einem kleinen Platz. Dafür erblickte sie die Weißhaarige, wie sie freudig winkte und auf sie zu kam, in ihrer linken Hand hielt sie einen kleinen Becher. Als sie näher war, übergab sie ihn an das Mädchen, darin befand sich Eis. Dankbar lächelte die Rothaarige schwach und löffelte das Kühle in ihren Mund. Die kleine Abkühlung tat ihr unglaublich gut, die Frau setzte sich neben sie. Trudy begann zu plappern, wie sie es die Tage zuvor nie getan hatte. Sie hatte wieder so viele Menschen getroffen und wollte nun berichten, doch Lio stellte nur auf Durchzug. Viel zu abgelenkt war sie von ihren Erinnerungen. Sie ließ ihren Kopf hängen, die roten Haare hingen wie ein Vorhang um ihr Gesicht herum und schützten sie vor blendenden Sonnenstrahlen. „Oh! Sieh nur, wen haben wir denn da!“, sagte die Weißhaarige laut und stand auf, die Rothaarige hatte kein Wort von ihr mitbekommen, doch hatte sie deutlich den Unterschied ihrer Stimmlage gehört, sie war deutlich höher. Lio seufzte, sie hatte noch immer den Kopf gesenkt, die Haare davor, es war im Moment alles zu viel für sie. Das Mädchen hörte einige Schritte, doch entschied sie sich dazu, die Augen geschlossen zu halten. Trudy räusperte sich „Ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte sie zu dem Mann und zeigte auf das junge Mädchen, welches auf der Bank saß und den Blick zu Boden gerichtet hatte. „Shanks, das ist Lio. Lio, das ist Shanks.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)