Immer der Freiheit entgegen von kimikomuh ================================================================================ Kapitel 9: Einsam ----------------- Einsam Lio merkte nach einiger Zeit, dass hier etwas nicht stimmte. Ihre Mutter wurde immer ruhiger und auch langsamer in ihren Bewegungen. Sie sprühte nicht mehr so vor Freude wie früher und das Lächeln auf ihren Lippen war eher schwach, statt voller Elan. Man sah es in ihren Augen, sie funkelten nicht mehr und sie meckerte auch seltener mit Lio, obwohl sie ihrer Mutter immer noch genügend Gründe gab. Die Rothaarige war sich sicher, dass hier etwas nicht nach rechten Dingen ging und so sprach sie ihre Mutter darauf an. Natürlich hatte sie es immer wieder abgestritten und gemeint, dass alles in bester Ordnung sei. Doch irgendwann brach sie zusammen und Lio musste sich schnell um einen Arzt kümmern. Nach diesem Vorfall hatte Lina ihrer Tochter halbwegs erklärt, dass sie krank war und dass es nicht sonderlich gut für sie aussah, dass feststand sie würde sterben, verriet sie ihr allerdings nicht. Ab da war einiges anders. Lio trainierte weniger, stellte es sogar irgendwann komplett ein, und kümmerte sich um ihre Mutter. Diese war weniger begeistert davon, sie wollte es ihrer Tochter nicht einmal sagen und jetzt kümmerte diese sich um sie, dabei war sie gerade mal zwölf Jahre alt. Lina konnte es fast zwei Jahre verheimlichen, aber sie musste ja einfach ohnmächtig werden, weil sie zu viel geschleppt hatte. Es war unumgänglich es weiterhin zu verleugnen. Die Brünette merkte schnell, dass die Ruhe nötig war und ihre Tochter war dabei eine große Hilfe. Sie hatte etwas umgeräumt und konnte somit ihre Mutter besser pflegen. Diese war inzwischen so schwach, dass sie immer Hilfe zum Aufstehen benötigte. Zu Beginn verweigerte sie die Hilfe ihrer Tochter und wollte selbstständig handeln, doch das endete damit, dass sie stürzte und damit ihrem Körper nur noch weiter zusetzte. Lina musste sich eingestehen, dass es nichts brachte so zu handeln und sie ließ mit sich machen. Lio war von den Informationen völlig erschlagen und wusste zu Anfang nicht, wie sie damit umgehen sollte, doch sie begriff schnell und handelte. Ihre Mutter war immer für sie da und jetzt musste sie für diese da sein. Sie übernahm schnell die wichtige Rolle im Haushalt und erledigte alles Notwendige. Sie dachte ab und zu noch an ihren Traum, doch schlug sich diesen schnell aus dem Kopf, es stand momentan wichtigeres an. Ihrem Traum konnte sie immer noch nachgehen, wenn es ihrer Mutter besser ging. Heute war wieder einer der Tage an denen es Lina besser ging, äußerlich zumindest. Die Brünette spürte, dass heute etwas anders war. Sie fühlte sich schwächer als ohnehin schon, doch da war noch ein anderes Gefühl. Ein Gefühl von Freiheit. Es würde nicht mehr lange dauern, das wusste sie und sie wollte die Zeit, die sie noch hatte, nutzen. Sie rief Lio zu sich, kurze Zeit später stand sie am Bett und wartete auf irgendwelche Anweisungen ihrer Mutter, doch diese kamen nicht. Die Brünette deutete ihrer Tochter mit einem Handzeichen sich zu setzen, sie folgte der stummen Aufforderung. Erwartungsvoll sah sie ihre Mutter an, sie sah heute anders aus. Sie lächelte, schwach, aber dennoch konstant. Heute könnte ein guter Tag werden, dachte sich die Rothaarige und fragte dann ihre Mutter: „Ist alles in Ordnung? Soll ich dir was zu essen machen oder möchtest du was trinken?“, liebevoll lächelte die Frau im Bett sie an und schüttelte den Kopf „Nein, mein Schatz. Danke, dass du dich so fürsorglich um mich kümmerst.“ Lio konnte nicht anders und lächelte genauso warm zurück „Das ist doch selbstverständlich.“ Die Brünette überlegte sich, wie sie anfangen sollte. Sie wusste, dass ihre Tochter in den letzten Jahren viel nachdachte, in den letzten Wochen wurde es nur intensiver. Wie sollte sie das Thema Vater ansprechen? Die Rothaarige musste sich mittlerweile eine Meinung zu ihrem Vater gebildet haben und wahrscheinlich keine sonderlich Positive. Wie sollte Lina da das Bild noch ändern? Lio war damals voller Stolz und wollte ihrem Vater ihre Fortschritte zeigen, doch mit der Zeit hörte sie auf darüber zu sprechen. Sie fragte nicht mehr nach ihm und trainierte nur noch für sich, sie wollte niemanden stolz machen, nur noch stark werden. Die Brünette fing an „Weißt du Lio, du machst dir viel zu viele Gedanken“, fragend sah die Angesprochene ihre Mutter an. Sie könnte alles mögliche gemeint haben, worüber wollte ihre Mutter denn sprechen? „Ich kann mir vorstellen, wie du über deinen Vater denkst, aber so ist es nicht.“ Lio verzog ihren Mund und wollte die Gedanken verscheuchen, doch hatten diese sie bereits gepackt und sie dachte nach. Woher sollte ihre Mutter wissen, was sie von ihrem Vater hielt? Sie sprach doch nicht über ihn. Und vor allem, was hieß hier „So ist es nicht.“, natürlich musste ihr Vater jemand verdammt selbstverliebt und egoistisches sein, sonst wäre er doch hier und würde sich um sie kümmern. Er hatte sie doch einfach allein gelassen, weshalb auch immer, sie waren wohl nicht wichtig genug. Sie spürte plötzlich kalte weiche Hände auf ihren, sie hatte sie vor Wut zu Fäusten geballt. Ihre Mutter sah sie immer noch mit diesem warmen zärtlichen Lächeln an „Er ist damals aus einem bestimmten Grund gegangen und du wirst es noch erfahren. Ich hoffe wirklich sehr, dass ihr euch beide noch trefft, wenn du endlich deinen Traum erfüllst und Piratin wirst“, ungläubig sah Lio ihre Mutter an. Wie konnte sie nur so gutherzig von diesem Verräter sprechen, er hatte sie doch zurückgelassen und scherte sich einen Scheiß um ihr Wohl! Lina konnte sich ganz genau vorstellen, was in ihrer Kleinen vorging, doch sie lächelte einfach und hoffte, dass sie bald verstehen würde. Es ihr zu sagen, würde nicht reichen, sie musste es von ihm selbst hören. „Lio“ ihre Stimme war inzwischen etwas leiser und die Angesprochene horchte auf „Du musst mir unbedingt versprechen, dass du deinen Traum erfüllst, hörst du?“, mit absoluter Sicherheit nickte die Rothaarige. „In Ordnung und jetzt hör mir gut zu“ setzte die Brünette wieder an, musste aber husten. Sie sammelte sämtliche Kraft und sprach weiter: „Ich war damals auch Piratin und ich habe es jede Sekunde genossen. Ich war am Anfang enttäuscht hierbleiben zu müssen, doch es hat sich gelohnt. Es gab für mich nie einen größeren Schatz als dich meine Kleine und ich hoffe, dass du eines Tages verstehst. Du wirst bald deinen Vater wiedersehen, er ist noch immer ein Pirat. Irgendwann wirst du verstehen..“ ihre Stimme wurde mit jedem Wort etwas leiser und Lio konzentrierte sich darauf jedes Wort aufzusaugen. Als sie von ihrem Vater hörte, spürte sie Wut in sich hochkommen. Also doch! Er war Pirat und hatte sie allein gelassen, um weiterzusegeln. Sie unterdrückte in diesem Moment ihren Hass auf ihren Erzeuger und schaute ihre Mutter an. Sie war damals auch Piratin und hatte es aufgegeben, weil sie schwanger war und sie hatte es nicht bereut. Noch immer lag ein schwaches Lächeln auf den Lippen ihrer Mutter und sie sagte ganz leise, aber hörbar: „Könntest du mir bitte ein Glas Wasser holen?“, die Rothaarige nickte und begab sich in die Küche. Sie dachte über die Worte ihrer Mutter nach, sie würde bald verstehen, was meinte sie damit? Sie schüttete etwas Wasser in ein Glas und ging zurück zu ihrer Mutter. Sie reichte ihr das Glas, doch ihre Mutter reagierte nicht, sie hatte die Augen geschlossen „Mama, hier dein Wasser“, sagte die Rothaarige ruhig und wartete eine Reaktion ab. Doch es kam einfach keine. Sie stellte das Glas ab und beugte sich zu ihrer Mutter herab. Sie hatte die Augen geschlossen und auf ihren Lippen lag noch immer das Lächeln von zuvor. Lio stupste ihre Mutter leicht und stieg um zu einem Schütteln an ihren Schultern, doch von der Brünetten kam keine Reaktion. Entsetzt schaute die Zwölfjährige ihre Mutter an. Das konnte doch nicht sein, sie war doch nur kurz in der Küche und jetzt sollte ihr Mutter tot sein? Einfach so? „Mama?“, sie versuchte es wieder, doch es passierte einfach nichts. Voller Schock setzte sich die Rothaarige auf den Stuhl auf dem sie vorher gesessen hatte. Tränen liefen ihr das Gesicht hinunter. Sie konnte es nicht begreifen, ihre Mutter war krank, aber wirklich so krank? Wieso war sie einfach gestorben, vor nicht einmal fünf Minuten hatte sie noch gesprochen, doch jetzt hatte sie sie einfach allein gelassen. Lio verstand nicht, sie stellte ihre Ellbogen auf ihren Knien ab und vergrub ihr Gesicht in den Händen, Tränen liefen pausenlos über ihr Gesicht zu Boden. Was sollte sie jetzt machen? Sie war doch nie allein und plötzlich von einem Moment auf den Nächsten war sie einsam, wie sollte ihre Zukunft aussehen? Sie hatte versprochen ihrem Traum nachzugehen, doch wie sollte sie? Ihre Mutter stand immer hinter ihr und gab ihr Halt und Sicherheit, wie sollte sie es jetzt allein schaffen? Wer sagte ihr, dass sie stark genug war, um allein klarzukommen, wie sollte das alles nur funktionieren? Lio konnte nicht mehr, sie stand mit soviel Kraft auf, dass der Stuhl nach hinten wegkippte. Sie musste hier raus, sofort. Sie blickte nicht noch einmal ihre tote Mutter an und rannte aus dem Haus. Sie rannte, ununterbrochen rannte sie, sie wollte einfach nur weg. Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb sie stehen, sie war völlig außer Atem und musste sich erst mal beruhigen. Sie war durch den Wald gerannt und stand nun an einer Klippe. Der Ausblick war unglaublich, das Meer glitzerte und funkelte. Die Wellen schlugen immer wieder an den Klippen an und lösten sich auf, immer wieder brach eine Welle auf die Nächste. Gedankenlos beobachtete sie das Schauspiel vor sich. Ihre Gedanken waren völlig verraucht, sie schaute nur den Bewegungen der Wellen zu, sie zogen sie völlig in ihren Bann. Immer wieder traf eine Welle auf die Klippe und kaum später kam eine Neue. Es beruhigte sie und ihr Kopf war frei. Sie dachte nach, über alles. Die letzten Worte ihrer Mutter und die darauffolgenden Fragen, die der Rothaarigen durch den Kopf schwirrten. Sie musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Sie hatte es einige Wochen geschafft sich um ihre Mutter zu kümmern, da sollte sie es doch auch schaffen sich selbst zu versorgen.. oder? Erst mal sollte man sich um ihre Mutter kümmern. Sie begab sich auf den Rückweg über das Dorf, dort kannte sie einige, die ihr helfen könnten. Sie müsste auch zum Arzt, nur zur Bestätigung, dass alles bereits zu spät war. Sie ging mit gesenktem Kopf weiter ihren Weg. Im Dorf wurde sie von einigen erkannt und man grüßte sie. Sie nickte nur zurück, doch konnte kein Lächeln erwidern. Nach einiger Zeit hatte sie einige Leute zusammengesucht und auch den Arzt gefunden, gemeinsam gingen sie zu dem Haus etwas außerhalb des Dorfes. Lio hatte ihnen bereits erklärt, was passiert war und alle waren völlig geschockt von diesen Neuigkeiten. Das junge Mädchen betrat als Erste das Haus und führte sie zu ihrer Mutter, sie lag noch immer im Bett und hatte dieses leichte Lächeln auf den Lippen. Lio musste sich zusammenreißen, um nicht direkt zu weinen. Der Arzt ging zu erst zu ihr, kurze Zeit später schaute er die Rothaarige mit einem traurigen Blick an und nickte. Also war sie wirklich tot und nichts würde etwas daran ändern. Eine Frau, wahrscheinlich etwas älter als ihre Mutter, trat zu dem Mädchen „Hilfst du mir ihr etwas anderes anzuziehen?“, mit gequältem Blick stimmte sie zu und sie kleideten ihre Mutter in eines ihrer Kleider ein, sie machten Lina zurecht. Die Anderen diskutierten bereits, wie man sie bestatten sollte, doch Lio war es von Anfang klar. Sie war eine Piratin, also sollte sie auch eine Seebestattung bekommen. Sie sprach es kurz mit den Männern ab und sie bereiteten alles vor. Die Rothaarige holte aus dem Garten einige Blumen und wickelte sie zusammen. Alle gemeinsam gingen zum Meer, die Brünette wurde in ein Boot gelegt, das Mädchen verteilte die Blumen darin und betrachtete ihre Mutter. Es sah so aus, als ob sie schlief, nichts weiter. Doch so war es nicht. Sie trat vom Boot zurück und man ließ es auf das Meer hinaustreiben. Nach einer guten Entfernung wurde es mit einem brennenden Pfeil beschossen und damit ging es in Flammen auf. Lio konnte nicht anders, es liefen stumme Tränen ihr Gesicht hinunter. Sie wurde von sämtlichen Personen in den Arm genommen und man bot ihr Beistand. Eine ältere Dame, die sie seit Kindheitstagen kannte, bot ihr sogar an bei ihr zu wohnen, damit sie nicht allein war, doch sie lehnte ab. Nachdem jeder sein Beileid ausgesprochen hatte, ging das junge Mädchen zurück zum Haus. Alles sah wie immer aus, es war aufgeräumt und es roch frisch nach Blumen. Sie ging durch das Haus, in jedem Raum kamen ihr unterschiedliche Erinnerungen hoch. In der Küche konnte sie sich zu gut daran erinnern, wie sie mit ihrer Mutter eine Essensschlacht geführt hatte und wie sie gemeinsam am Boden lagen und sich vor lachen kaum halten konnten. Im Wohnzimmer hatte die Rothaarige eines der Regale umgeworfen, völlig aus Versehen war es umgekippt und hatte damit einen Stuhl zerstört. Im Schlafzimmer sah sie das große Bett in dem sie immer zusammen schliefen, viele Nächte in denen sie über das Meer gesprochen hatten. Der Rothaarigen schlich sich ein leichtes Lächeln auf die Lippen. Sie ging weiter und sah das Bett in dem vor Kurzem noch ihre Mutter lag, augenblicklich verschwand das Lächeln und Tränen liefen ihre Wangen hinunter. Das Bett musste hier raus. Sie ging zurück in den Garten und setzte sich auf die Bank. Ihr Kopf war wieder voller Fragen. Sie schaute den alten Apfelbaum an, den ihre Mutter vor zwei Jahren wieder zum Blühen gebracht hatte, er stand seitdem in voller Pracht auch ohne die Hilfe der Teufelskraft. Ihr Blick ging zum Meer, es sah so unglaublich friedlich aus, doch sie hatte gelernt wie unberechenbar es sein konnte, besonders auf der Grandline. Ihre Mutter hatte soviel darüber erzählt und jetzt im Nachhinein war sie ihrer Mutter dankbar für all das Wissen, was sie vermittelt hatte. Anfangs hatte sie sich gefragt, woher sie das alles wusste, doch jetzt war es absolut klar, sie war schließlich selbst Piratin. Genauso wie ihr Vater. Unweigerlich verzogen sich ihre Mundwinkel nach unten. Ihre Mutter hatte in ihren letzten Minuten so positiv über ihn gesprochen, in den Jahren davor hatte sie nie ein Wort über ihn verloren und dann auf einmal war er doch ein Guter? Irgendwas konnte an der ganzen Sache nicht stimmen. Lio blieb bei dem Bild eines selbstverliebten egoistischen Piraten, der nur an sich dachte und Frau und Kind völlig allein zurückließ. Irgendwann würde er dafür bezahlen, dachte sich die Rothaarige. Die Zeit verging schnell, immer wieder dachte sie über ihre Zeit mit ihrer Mutter nach und dann kreuzten sich wieder die Gedanken an ihren Vater. Sie wusste nicht, wer er war, wie er hieß, wie er aussah, sie wusste im Grunde genommen nichts über ihn, nur dass er Pirat war. Sie versuchte verzweifelt sich ihn vorzustellen, doch keine Erinnerung blieb von ihm in ihrem Gedächtnis. Er hatte sie also ziemlich früh verlassen. Die Nacht war inzwischen angebrochen, doch Lio störte sich nicht daran. Ins Haus gehen wollte sie nicht, dort würde sie alles nur an ihre Mutter erinnern und schlafen konnte sie sowieso nicht. Sie musste an ihre letzten Worte denken „Es gab für mich nie einen größeren Schatz als dich“, ihre Mutter war immer für sie da, hat alles an ihr geliebt, jeden noch so kleinen Fehler, jeder zerstörte Gegenstand, egal, was sie gemacht hat, sie wurde geliebt. Lio lächelte, sie spürte in ihrem Herzen diese Wärme. Sie bekam gar nicht mit, dass sie weinte, zu schön war dieses Gefühl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)