Last Desire 10 von Sky- ================================================================================ Kapitel 8: Der Alpha-Proxy -------------------------- Es war ein traumhafter Anblick und auch wenn die Weihnachtstage vorüber waren, Frederica fühlte sich richtig wohl, endlich mal wieder in London zu sein und Zeit mit Watari zu verbringen. Wieder fiel Schnee und sie hatte ihr empfindliches Haar zusammengebunden und trug einen wärmenden Schal und eine Mütze. Sie hatte sich bei Watari eingehakt und auch ihm war anzusehen, dass er sich freute, mit ihr unterwegs zu sein. „Es kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her, dass wir unterwegs waren. Da waren Nastasja und Henry dabei und L war damals noch so klein.“ „Stimmt, er ist unterwegs immer müde geworden und wir haben ihn dann den Rest des Weges tragen müssen. Das waren schon schöne Zeiten damals. Beyond, L und ich haben auch schon miteinander gesprochen. Wenn du dich hier in England zur Ruhe setzen willst, kommen wir dich auf jeden Fall besuchen. Dann können wir gerne Schach spielen, irgendwo hingehen und wenigstens etwas von der verlorenen Zeit nachholen.“ „Sehr gerne.“ Sie gingen in Richtung Friedhof und als sie nach einer Weile das Grab von Nastasja und Henry erreichten, zündete Frederica ihnen ein Grablicht an und blieb neben Watari stehen. „Es ist schon komisch, vor Nastasjas Grab zu stehen und gleichzeitig zu wissen, dass ihr Ich aus einer vergangenen Zeitschleife noch lebt. 58 Male hab ich versucht, alle zu retten. Aber… egal wie oft ich es auch versucht habe, ich konnte sie und Henry nicht retten. Es ist schon traurig und ehrlich gesagt vermisse ich Henry wirklich sehr. Vor allem Nastasja vermisst ihn. Zwar sagt sie nie etwas und sie ist ja auch glücklich mit ihrer Familie, aber dennoch fehlt Henry uns.“ „Er wäre mit großer Sicherheit sehr stolz auf euch alle. Dessen bin ich mir sicher und er hätte gewollt, dass ihr alle lebt und glücklich seid.“ Frederica nickte stumm, konnte aber dennoch ein paar Tränen nicht zurückhalten, als sie vor Henrys Grab kniete. Er und Nastasja hatten sie aufgenommen und ihr einen Namen gegeben. Sie hatten ihr eine eigene Identität gegeben und sie als Teil der Familie aufgenommen. Natürlich war Frederica überglücklich, dass Nastasja lebte, aber ihr war dennoch bewusst, dass die Nastasja aus dieser Zeit tot war, genauso wie ihr Mann. Und es tat ihr so unendlich weh im Herzen, dass es ihr trotz aller Bemühungen nicht gelungen war, ihn zu retten. Zumindest war es für sie ein Trost, dass sie jetzt alle glücklich waren. Und sie hatten sogar zwei Proxys retten können. Sheol war vollständig geheilt, Elion war glücklich mit seinem Leben und hatte Ezra, den sie auch aus seiner Misere geholt hatten. Und sie konnte dank Sariels großem Opfer bei ihrer Familie leben. Bis jetzt hatte sich jedes Unglück, das ihnen widerfahren war, letzten Endes doch zum Guten gewandt. Zumindest für die meisten von ihnen. Schließlich gingen sie zu Alices Grab, welches ordentlich gepflegt war und wo nun Watari damit begann, für seine verstorbene Tochter ein Licht anzuzünden. Dieses Grab war leer und es war hoffnungslos, selbst nach 27 Jahren noch ihre Leiche zu finden. „Watari…“ Der alte Mann ließ niedergeschlagen den Blick sinken und nahm seinen Hut ab. „Ich wünschte, ich hätte wenigstens die sterblichen Überreste meiner Tochter angemessen bestatten können. Manchmal hatte ich noch Hoffnung, dass sie wie durch ein Wunder überlebt hat und sie eines Tages vor meiner Tür steht und ich sie in meine Arme schließen kann. Aber mit den Jahren schwand diese Hoffnung immer weiter und inzwischen glaube ich auch nicht mehr daran, dass Alice noch am leben ist. Ich weiß, dass ich vieles falsch gemacht habe. Vielleicht habe ich zu viel von ihr erwartet und einfach die Augen davor verschlossen, was wirklich war. Ich wollte doch immer nur das Beste für sie und dass sie den Ehrgeiz hat, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Doch wie es scheint, habe ich als Vater völlig versagt. Ich habe mein Kind zu sehr unter Druck gesetzt und zu viel auf einmal erwartet. Wegen mir hat sich Alice so quälen müssen und diese Tabletten genommen. Wegen mir ist mein einziges Kind zu Tode gekommen.“ Mit diesen Worten brach Watari in bittere Tränen aus und all der Schmerz der letzten Jahre über den Verlust seiner Tochter brach hervor. Frederica musste ihn stützen, da sie fürchtete, er könne die Kraft verlieren und zusammenbrechen. All die Jahre war er so stark geblieben und hatte sich nie etwas anmerken lassen. Er war wie ein ruhiger Fels in der Brandung gewesen und nun, da er die Wahrheit über Alice kannte, brach all das nun zusammen und was blieb, war ein von Schicksalsschlägen gepeinigter alter Mann, der langsam unter der Last all dieser alten Geschichten zusammenbrach. Es war zu spät, um noch etwas zu ändern. Was blieb, war nichts als Reue. Und Frederica fand auch keine Worte des Trostes für ihn. Es war einfach tragisch, sein Kind zu verlieren und nicht zu wissen, was nun zum Tod geführt hatte. Selbstmordgedanken, ein Mordanschlag oder wirklich nur ein Unfall. Mit einem Mal war es auf dem Friedhof totenstill geworden. Selbst die Raben, die vorhin noch auf ein paar der Grabsteine gehockt hatten, waren verstummt und flogen davon. Dafür hörten sie leise Schritte im Schnee. Jemand kam näher und stand hinter ihnen. Und Frederica spürte sofort, dass das kein Mensch war. Ruckartig drehte sie sich um und erkannte mit Entsetzen, dass es eine Gestalt mit Helm und einem Lederanzug war. Von der Figur konnte man sofort erkennen, dass es eine Frau war und in der Hand hielt sie ein Schwert. Sie lachte und durch den eingebauten Stimmenverzerrer hörte sich dieses Lachen bizarr und unmenschlich an. Frederica wusste sofort, dass es der Alpha-Proxy war und schützend stellte sie sich vor Watari. „So sieht man also endlich mal von Angesicht zu Angesicht, Frederica. Und wie ich sehe, bist du auch mit von der Partie, alter Mann. Na? Wie fühlt es sich an, sein einziges Kind zu verlieren? Es muss sehr schmerzhaft sein, nicht wahr?“ „Was willst du von uns?“ fragte Frederica und machte sich bereit. Sie wusste, dass der Alpha extrem gefährlich und kräftemäßig mit Liam auf einem Level war. Folglich also standen ihre Chancen nicht sehr gut, aber kampflos würde sie nicht aufgeben. Langsam fuhr der Alpha-Proxy mit seiner Schwertklinge über das Eis und richtete die Klinge schließlich auf Frederica. „Vergeltung“, antwortete er. „Du Hexe hast mir jemanden genommen, der mir wichtig war. Und dafür wirst du sterben.“ „Wen meinst du? Etwa Joseph? Ich habe ihn getötet, weil er Nastasja und Henry auf dem Gewissen hatte. Er hat Sheol dazu gebracht, die beiden umzubringen und er hat die Proxys so grausam behandelt.“ „Das war nicht Joseph. Ich habe die Tötung der Familie Lawliet angeordnet, ebenso wie die Erziehungsmaßnahme der Proxys.“ Irgendwie hatte Frederica kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache und sie ahnte, dass das noch ziemlich übel werden konnte. Und der Alpha-Proxy schien ziemlich stinksauer auf sie zu sein. „Und soll ich dir noch ein Geheimnis verraten, alter Mann? Deine hübsche Tochter habe ich ebenfalls aus dem Weg geräumt.“ Als Watari das hörte, entwich jede Farbe seinem Gesicht und fassungslos sah er die maskierte Gestalt an, sank in die Knie und die Tränen standen ihn in den Augen. „Warum?“ fragte er mit kraftloser Stimme. „Warum hast du meine Tochter umgebracht?“ Wieder lachte der Alpha-Proxy und dieses verzerrte Gelächter jagte Frederica einen Schauer über den Rücken. „Sie war es doch, die mich angefleht hat, ihr Leid zu beenden. Und ich habe ihren Wunsch erhört. Ich habe sie für immer von ihrem Leid erlöst und von ihrem Leben gleich mit dazu. Na, alter Mann? Was nun? Glaubst du noch an Gott nach allem, was dir widerfahren ist? Glaubst du, dass es so etwas wie Gerechtigkeit in dieser Welt gibt? Dein Gott ist tot, genauso wie die Gerechtigkeit, für die dein Schützling so kämpft. Ihr Menschen seid nichts als erbärmliche Insekten, die unfähig sind, die wahre Göttlichkeit zu begreifen. Ihr lebt euer dumpfes Leben hin und werdet doch nie einen wesentlichen Teil zum ewigen Kreislauf beitragen. Wo liegt denn eure Existenzberechtigung, hm? Es gibt sie nicht. Alles, was entsteht ist wert, dass es zugrunde geht. Deshalb ist es an der Zeit, alles zu seinem Ursprung zurückzuführen. Aber seht es positiv: für euch wird der Urtraum des Menschen endlich erfüllt. Ihr werdet zu einem Teil des Göttlichen und damit zu einem Teil der Ewigkeit. Und ich werde die Mutter eines Gottes sein.“ Damit griff der Alpha-Proxy an und sofort duckte sich Frederica weg, sammelte ihre ganze Kraft in ihren rechten Arm und schlug zu, verfehlte aber und es gelang ihr nur mit knapper Not, die nächsten Schläge abzuwehren, die so unfassbar schnell waren, dass man sie kaum mit den Augen wahrgenommen hätte. „Watari, lauf weg. Ich halt sie solange auf.“ Frederica konnte nur mit Mühe mithalten, denn gnadenlos schlug ihre Gegnerin auf sie ein und jeder Schlag fühlte sich an, als würde sie von einem Rammbock getroffen werden. Während der Dead End Spiele hatte sie genug Kampferfahrungen sammeln können, um es mit anderen Unvergänglichen aufnehmen zu können, doch es war trotzdem ein Kampf gegen einen Gegner, den sie alleine nicht schlagen konnte. Dafür war dieser einfach zu stark. Ihre einzige Chance war, dem Alpha-Proxy den Helm abzunehmen und die Haare zu fassen zu kriegen. Diese waren die größte Schwachstelle der Unvergänglichen und der Proxys, weil durch diese extrem empfindliche Nervenstränge verliefen. Wenn sie ihre Gegnerin an den Haaren zu fassen bekam, standen ihre Chancen auf einen Sieg gar nicht mal so schlecht. Doch dazu musste sie es erst einmal schaffen, dem Alpha den Helm vom Kopf zu reißen oder ihn einfach kaputt zu schlagen. Dummerweise hatte sie keine Waffe und somit waren ihre Möglichkeiten deutlich begrenzt. „Wer genau bist du? Lacie Dravis?“ „Lacie? Nein, ich bin nicht sie. Aber dieses Miststück hat mir schon oft dazwischengefunkt und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch sie endlich verschwinden wird. Keiner kann das Schicksal dieser Welt noch aufhalten. Es ist vorherbestimmt, dass alles irgendwann mal enden wird. Die Menschheit steht ohnehin am Rande des Abgrunds. Moral, Nächstenliebe und Gerechtigkeit sind nichts Weiteres als fadenscheinige Selbstlügen geworden, weil die Menschen sich nicht eingestehen wollen, wie grausam, egoistisch und zerstörerisch sie sind. Menschlichkeit ist nichts als eine Illusion. Du hast dich für die falsche Seite entschieden und dafür wirst du jetzt mit deinem Leben bezahlen, Frederica.“ „Das glaub ich eher nicht.“ Damit holte das Albinomädchen zum Gegenschlag aus und schleuderte den Alpha-Proxy gegen einen Baum. Der Aufprall war so gewaltig, dass es den Stamm durchbrach und sogleich ergriff Frederica Wataris Hand und eilte mit ihm davon. „Schnell, wir müssen hier weg, solange wir noch können.“ Sie liefen los und wollten den Friedhof schnellstmöglich verlassen, doch da erstarrte das Albinomädchen abrupt in ihrer Bewegung, als ein Schuss ertönte. Blut spritzte, als die Kugel ihre Brust durchbohrte und sie zu Boden fiel. Watari sah, wie sich der Schnee langsam mit ihrem Blut tränkte und befürchtete zuerst das allerschlimmste, doch Frederica bewegte sich noch. Sie hustete und Blut lief aus ihrem Mund, aber sie stand wieder auf und stellte sich wieder vor Watari. „Los doch, verschwinde endlich.“ „Nein Frederica, sie wird dich töten.“ „Aber ich…“ Bevor sie weitersprechen konnte, war auch schon der Alpha-Proxy da und verpasste Watari einen Tritt und setzte ihn somit außer Gefecht. Frederica, die in ihrer derzeitigen Verfassung kaum in der Lage war, Widerstand zu leisten, wurde zu Boden gedrückt und sogleich holte die maskierte Angreiferin eine Spritze hervor, in der eine blutrote Flüssigkeit schwamm. „So und nun wirst du wissen was es heißt, wirklich zu leiden.“ „Nein… lass mich los…“ Frederica versuchte noch Widerstand zu leisten, doch der Alpha-Proxy war einfach zu stark. Und so konnte das Albinomädchen nichts dagegen tun, als die Nadel in ihren Nacken gestochen wurde. Und kaum, dass diese Flüssigkeit injiziert wurde, war ihr so, als würde eine Säure durch ihre Adern fließen, ein infernalischer Schmerz breitete sich in ihrem Körper aus und sie schrie auf. Der Alpha-Proxy beobachtete dies mit einer stillen Genugtuung und wollte das wehrlose und sich vor Schmerz windende Albinomädchen mit dem Schwert erschlagen, doch da fiel ein Schuss und traf ihn direkt in den Helm. Es war Watari, der aus der Innenseite seines Mantels einen Revolver hervorgezogen und einen zielgenauen Schuss abgefeuert hatte. Doch der Helm war zu stark und blieb heil. Trotzdem war die Aufmerksamkeit des Alpha-Proxys abgelenkt und so ließ er die außer Gefecht gesetzte Frederica liegen und kam nun auf ihn zu. „So, du willst also den Helden spielen, alter Mann? Na, das kannst du gerne haben.“ Damit ging die Maskierte direkt zu ihm hin und hielt ihr Schwert griffbereit. Watari versuchte zu schießen, doch seine Hand zitterte und er fühlte einen brennenden Stich in seiner Brust. Sein Arm fühlte sich taub an, die Kehle war wie zugeschnürt und er bekam keine Luft mehr. Er wusste, was das bedeutete: nämlich einen Herzinfarkt. Die Aufregung war wohl nun doch zu groß für sein krankes Herz. Der Alpha-Proxy sah dies und lachte verächtlich. „Sieht so aus, als könnte ich mir die Arbeit genauso gut sparen. Dann mach’s gut, alter Mann. Und grüß deine Familie schön von mir.“ Damit verschwand der Alpha-Proxy und ließ Watari zurück. Dieser versuchte noch mit Mühe, irgendwie um Hilfe zu rufen, doch er schaffte es nicht. Sein ganzer Körper wurde von entsetzlichen Schmerzen gepeinigt und er bekam kaum noch Luft. Keuchend lag er da, eine Hand an seine Brust gepresst und es wurde langsam schwarz um ihn herum. Aber dann, als er schon kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren, da hörte er eine Stimme. Eine vertraute Stimme… war das etwa…? Nein, das war unmöglich. Nur sehr verschwommen erkannte er eine blonde Frau, die sich über ihn beugte und versuchte, ihn anzusprechen. „Watari!“ rief sie und sogleich begann sie ihn aufzusetzen, seinen Mantel zu öffnen, seine Krawatte zu lockern und die ersten Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. „Ganz ruhig. Der Notarzt ist gleich hier und bringt dich ins Krankenhaus. Versuch ganz ruhig zu bleiben und dein Herz nicht noch mehr zu belasten.“ Er versuchte zu erkennen, wer diese Frau war, die da zu ihm sprach. Aber er konnte kaum das Bewusstsein halten, da konnte er sie einfach nicht zuordnen. „W-wer…“ „Ich bin es: Lacie Dravis! Keine Sorge, es wird alles gut werden. Hilfe ist gleich hier, es wird alles gut werden. Du darfst jetzt nicht sterben, hörst du? Das darfst du den anderen nicht antun!“ Doch Watari verlor das Bewusstsein, bevor der Krankenwagen eintraf. Nastasja und die anderen saßen noch alle zusammen und besprachen sich in aller Ruhe über die Lage. Sie hatten noch einige alte Sachen von Alice durchsucht und überlegt, wie das alles bloß zusammenhängen könnte. Zu dumm, dass sie nichts über die Unterlagen zur Erforschung des Unborn-Phänomens fanden. Diese Unterlagen hatte Hester ja gehabt und Sheol hatte sie gestohlen. Vielleicht hätte man da ja etwas finden können. Nachdem sie eine Weile gerätselt hatten, fiel L ein Detail ein, welches sie noch gar nicht bedacht hatten. „Ist es nicht seltsam, dass sich das Proxy-Projekt auch mit dem Unborn-Phänomen beschäftigt, obwohl das eigentlich Alices Spezialgebiet war? Die Verbindung zwischen ihr und den Experimenten liegt eindeutig beim Unborn-Phänomen und da ist es doch fraglich, ob Alice davon gewusst hat, oder ob Joseph Brown sie einfach hinter ihrem Rücken ausgenutzt hat, um ihre Erkenntnisse für seine Zwecke zu benutzen.“ „Also dass Alice bewusst bei so etwas mitgemacht hat, kann ich mir unmöglich vorstellen“, sagte Nastasja sofort und machte jedem eine Tasse Tee fertig. „Zwar mag sie sehr verschlossen gewesen sein und niemandem etwas gesagt haben, aber sie hätte sich niemals auf so etwas eingelassen. Sie ist Ärztin geworden, weil sie Menschen helfen wollte.“ „Sie ist es geworden, weil Watari es so gewollt hat“, warf Beyond ein und kassierte sogleich einen strafenden Blick von L und seiner Mutter, aber er blieb bei seiner Meinung. „Jetzt mal ganz ehrlich: es wusste keiner von ihrer Medikamentenabhängigkeit, oder dass sie mit Joseph Brown was hatte. Und die Ziele, die sie erreicht hat, waren die Ziele, die der alte Zausel für sie gesteckt hat. Im Grunde hat doch keiner wirklich gewusst, wer sie wirklich war.“ „Jetzt reicht es aber langsam, Beyond“, sagte L schließlich und war sichtbar genervt. „Darüber haben wir doch schon diskutiert.“ „Du willst doch bloß den Alten in Schutz nehmen, aber du verlierst so langsam den Blick fürs Wesentliche. Und Fakt ist nun mal, dass Joseph Brown bis zum Hals im Proxy-Projekt und in den Eva-Experimenten mit drin steckte. Er hat deinen Bruder für Experimente benutzt und sich das Unborn-Phänomen zunutze gemacht, um Proxys heranzuzüchten. Also…Alice war diejenige, die den Unborn entdeckt und den Stein ins Rollen gebracht hat. Sie war mit Joseph zusammen und wollte ihn sogar heiraten. Was sagt uns das? Keiner wusste, wer sie wirklich war.“ Es drohte wieder im Streit zu enden, doch da ging Nastasja dazwischen. „Jetzt fahrt mal wieder die Krallen ein, ihr zwei. Beyond hat ja eigentlich Recht. Weder ich noch Watari hätten uns vorstellen können, dass Alice mit diesem Kerl etwas haben würde. Sie hatte so viele Geheimnisse vor uns und hat alles mit sich allein ausgemacht. Da frage ich mich so langsam, was ich als ihre engste Freundin eigentlich überhaupt von ihr gewusst habe. Schon damals, als wir uns das erste Mal begegnet waren, kam sie mir so fremd vor, als stamme sie aus einer völlig anderen Welt. Sie war einfach undurchschaubar und man ist einfach nie wirklich schlau aus ihr geworden.“ „Wie Gerda aus dem Buddenbrooks-Roman.“ „Ja, der Vergleich könnte nicht treffender sein. Sie war eine Schönheit, hat aber immerzu etwas Kühles und Unnahbares ausgestrahlt, weswegen sich alle automatisch von ihr distanziert haben. Ich habe mich zwar wirklich bemüht, sie zu verstehen, aber so wie es jetzt aussieht, habe ich sie nie verstanden. Und womöglich hat keiner das. Weder Henry, noch Watari. Vielleicht war Joseph wirklich der Einzige gewesen, der das konnte und womöglich hat sie sich deshalb auf ihn eingelassen. Wissen wir denn, ob Joseph es ehrlich mit ihr gemeint hat? Vielleicht begannen die Proxy-Experimente ja wirklich erst nach ihrem Tod und Alice hatte damit rein gar nichts zu tun. Womöglich aber kann es auch sein, dass sie da mit drin steckte und sie umgebracht wurde, weil sie versucht hat, irgendwie da wieder rauszukommen. Wir müssen objektiv bleiben und versuchen, alles mit einem klaren Blick zu sehen. Und fest steht nun mal leider, dass Alice nicht die Person war, die ich gekannt habe. Vielleicht hatte sie noch mehr Geheimnisse, von denen wir nichts wissen. Ach Mensch, mich nimmt das doch auch alles mit. Immerhin war Alice wie eine Schwester für mich und jetzt erfahre ich so was.“ Nastasja sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, doch sie konnte sich beherrschen. Sogleich ergriff sie Dathans Hand und hielt sie fest. „Verdammte Hacke, ich würde ja gerne die Zeit zurückdrehen und Alice helfen. Wahrscheinlich hätte ich damals so vieles anders gemacht, wenn ich gewusst hätte, wie schlecht es ihr ging. Aber ich…“ Ein jähes Klingeln unterbrach die Russin und sie holte daraufhin ihr Handy und nahm den Anruf an. Beyond und die anderen konnten sehen, wie sie kalkweiß im Gesicht wurde und sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten. Nachdem sie das Telefonat etwas überhastet beendet hatte, stand sie auf und schnappte sich ihre Handtasche. „Wir müssen sofort ins Krankenhaus. Frederica und Watari wurden vom Notarzt eingeliefert. Frederica ist angeschossen worden und Watari hat einen Herzinfarkt erlitten.“ Hosted by Animexx e.V. 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