Last Desire 10 von Sky- ================================================================================ Kapitel 6: Dathan und Nastasja ------------------------------ Am nächsten Tag kam ganz überraschend Dathan vorbei, der die Kisten mitgebracht hatte. Da Watari und Frederica spazieren waren, Elion und Ezra ihre Besichtigungstour zusammen mit Sheol und Jeremiel fortsetzen wollten und Beyond und L ihre Privatsphäre haben wollten, empfing Nastasja ihn und war überrascht ihn zu sehen. „Guten Tag Dathan, kommen Sie doch erst mal rein, Ihnen ist sicherlich kalt.“ Etwas zögerlich trat der Entstellte ein und trug auch wie am Tag davor einen Mundschutz. Er war fürchterlich nervös und konnte Nastasja kaum in die Augen sehen. Und wahrscheinlich wäre er rot geworden, wenn seine Haut nicht eh schon so ausgesehen hätte. „I-ich hoffe, ich störe Sie nicht. We-wenn ich ungelegen komme, da-da-dann kann ich ein anderes Mal wiederkommen, wenn Sie möchten.“ Die Russin schmunzelte und fand ihn irgendwie ganz niedlich, so scheu wie er war. Auch wenn er unheimlich aussah, strahlte er etwas von einem kleinen ängstlichen Kätzchen aus. „Schon in Ordnung, ich bin eh gerade allein, da meine Familie entweder unterwegs, oder nicht zu sprechen ist. Wie wäre es, wenn wir uns duzen? Der Altersunterschied ist eigentlich eh nicht so groß.“ Als Dathan das hörte, sah er sie erstaunt an, denn offenbar hatte er sie älter geschätzt. Nun, eigentlich konnte er auch nicht so wirklich sagen, wie alt sie denn so ungefähr war, denn das war bei Nastasja ohnehin schwer feststellbar. Meist hing es davon ab, wie es mit ihrer Laune aussah und wie lange sie geschlafen hatte. „Möchtest du etwas trinken?“ Dathan lehnte höflich ab, kam dabei aber immer noch nicht aus dem Stottern raus und wirkte irgendwie ziemlich hilflos in dem Moment. Und als Nastasja auch noch fragte „Willst du nicht die Maske abnehmen?“, da bekam er kein einziges Wort mehr heraus und wusste einfach nicht, was er antworten sollte. Er versuchte das alles zu erklären und wieso er das nicht konnte, aber er konnte nicht mal die ersten Worte vernünftig hervorbringen. Er verzweifelte völlig und wäre am liebsten in Grund und Boden versunken, da legte Nastasja eine Hand auf seine Schulter. „Tief durchatmen. Versuch dich erst mal zu beruhigen, bevor du weitersprichst. Ich kann mir schon denken, wieso du die Maske nicht abnehmen willst. Du schämst dich sicher, oder?“ „Hab ich denn keinen Grund dazu?“ fragte er und senkte niedergeschlagen den Blick. „Wenn ich das Ding nicht trage, rennen alle nur vor mir weg oder nennen mich einen Freak. Die Leute haben Angst vor mir und ich sehe auch furchtbar aus. Mein ganzer Körper ist verbrannt…“ „Ach was. Verbrennungen hin oder her, du bist immer noch ein Mensch und jeder ist auf seine Weise schön. Und wer mit solchen Verletzungen weiterhin normal leben kann und aufrecht durchs Leben geht, der ist stärker als jeder normale Mensch. Und so schlimm kann es nicht aussehen.“ „Wenn Sie… wenn du wüsstest.“ „Glaub mir, ich hab während meines Studiums genug Menschen mit Brandverletzungen gesehen. Eine alte Freundin von mir war Chefärztin und was die für Fälle gehabt hat, war wirklich schlimm. Und ich glaube nicht, dass du so schlimm aussiehst, dass man vor dir weglaufen sollte.“ Doch Dathan war skeptisch, nahm dann aber doch seinen Mundschutz ab. Und was sich auf seinem Gesicht abzeichnete, waren dunkle Flecken, geschwürartige Vernarbungen und dunkles Fleisch, welches ihn fast aussehen ließ wie eine Figur aus dem Horrorkabinett. Selbst sein Hals und seine Hände sahen nicht besser aus und höchstwahrscheinlich sah der Rest seines Körpers genauso aus. Nastasja betrachtete eine Weile das Gesicht, lächelte dann und reichte Dathan eine Tasse Kaffe. „Ich weiß nicht, was du hast. Ich finde, du hast ein hübsches Gesicht.“ Als er das hörte, war er vollkommen sprachlos und wusste gar nicht, was er sagen sollte. Und sogleich wirkte er auch sehr verlegen angesichts dieses mehr als unerwarteten Kompliments. Auch seine Nervosität schwand langsam, dennoch konnte er kaum Augenkontakt mit Nastasja halten. Schließlich, nachdem sich der Entstellte ein wenig aufgewärmt hatte, trugen sie die Kisten herein und Nastasja begann weiter die alten Sachen ihrer verstorbenen Freundin zu durchsuchen. „Wonach suchst du eigentlich genau?“ fragte Dathan, der erst nach einigem Zögern damit begann zu helfen, da er sich offenbar nicht ganz wohl dabei fühlte, in den Sachen von anderen Leuten zu wühlen. „Nun, es gibt da so einige Ungereimtheiten, die ich klären will. Alice hatte nämlich eine Verbindung zu Joseph Brown und ich will herausfinden, was es war. Dieser Mann hat nämlich einige schwere Verbrechen begangen. Er hat an Menschen experimentiert und Embryos mit den Genen von Wesen gekreuzt, um Hybride zu erschaffen. Sein Sohn führt die Arbeit fort und da Alice damals Chefärztin in der Londoner Universitätsklinik war und am Unborn-Phänomen geforscht hat, will ich herausfinden, was zwischen den beiden gelaufen ist. Womöglich waren sie zusammen und haben gemeinsam gearbeitet, bevor Alice mit dem Auto verunglückt ist.“ „Du hast sie gekannt? Ja aber… das war vor 27 Jahren.“ „Sagen wir mal so: in dieser Welt läuft so einiges anders, als man denkt. Ich bin zwar erst 30 Jahre alt, aber unsere Familie besteht aus einigen außergewöhnlichen Menschen. Klingt zwar verrückt, aber ich bin so etwas wie eine Zeitreisende. Ich stamme aus der Vergangenheit und habe damals an einem Gerät gearbeitet, welches eine Art zeitversetzter Teleporter ist.“ Dathan sagte nichts, aber man konnte ihm ansehen, dass er ihr diese Geschichte nicht abkaufte. Zum Beweis holte Nastasja aus ihrer Geldbörse ein Foto, welches sie, Henry und Alice zusammen zeigte. Sie reichte es ihm und tatsächlich erkannte Dathan die schwarzhaarige Frau als dieselbe wieder, die auf den alten Fotos zu sehen gewesen war. Doch es fiel ihm immer noch etwas schwer, das auch wirklich zu glauben. „Kannst du beliebig durch die Zeit reisen?“ „Nein, leider nicht. Der Tesserakt funktioniert nur ein einziges Mal und besaß lediglich genug Energie, um mich in die Zukunft zu bringen. Du musst wissen, ich habe damals an einem Projekt gearbeitet, mit dem ich eine Art Seelenprothese konstruieren wollte, um Komapatienten wieder aufzuwecken, aber rein theoretisch kann man damit auch Menschen wiederbeleben. Wir nannten das den elektrischen Gedankenschaltkreis. Es gab aber noch ein anderes Experiment, nämlich das so genannte Proxy-Experiment. Hierbei werden Embryos genetisch verändert und zu Killern herangezüchtet. Sheol war einer, Elion ist immer noch ein Proxy und ich konnte ein Serum herstellen, welches die Wirkung umkehrt und die Proxys somit heilen kann. Nun ja, zumindest die meisten.“ „Und wozu existieren sie?“ „Das versuchen wir noch zu klären. Aber wir vermuten, dass man sie als Waffe benutzen will, um alles Leben in dieser Welt auszulöschen. Wir alle hängen da mit drin. Manche von uns wurden unfreiwillig hineingezogen, andere wiederum haben einen Teil beigetragen, ohne es zu wissen und nun wollen wir wissen, wer dahintersteckt und warum das alles passiert. Dabei spielst du wahrscheinlich auch eine Rolle, Dathan.“ Als der Entstellte das hörte, schien er nicht ganz zu verstehen und schüttelte den Kopf. „Wie jetzt?“ fragte er und blickte Nastasja irritiert an. „Was soll ich denn damit zu tun haben?“ „Wir wissen, dass du kein normaler Mensch bist. Weißt du, einer von uns kann so etwas sehr gut erkennen.“ „Da muss er sich irren.“ „Du hast eine Amnesie erlitten und kannst dich an rein gar nichts erinnern. Aber es ist Fakt, dass du schon vor 28 Jahren gelebt hast und wir wissen auch, wie das mit deinen Verbrennungen passiert ist. Du warst in einem Restaurant und hast versucht, eine Frau aus den Flammen zu retten. Dabei hat deine Kleidung Feuer gefangen und du hast deswegen mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus gelegen. Es gibt sogar einen Zeitungsartikel darüber.“ Doch Dathan wollte das nicht glauben und stand auf. „So ein Unsinn. Ich kann vor 28 Jahren doch gar nicht gelebt haben! Da muss eine Verwechslung vorliegen.“ „Dathan…“ Nastasja wollte ihn festhalten, doch er wich zurück und stieß dabei gegen eine der Kisten und stürzte. Die Kiste kippte um und sogleich fiel etwas heraus, das wie ein kleines Kästchen aussah. Es sprang auf und sogleich ertönte eine Spieluhr, die eine vertraute Melodie spielte. Es war Greensleeves, Alices Lieblingslied. Sie hatte es auf ihrer Geige, dem Klavier, der Harfe und auf der Querflöte gespielt und sie so sehr geliebt. Und auch als Dathan das Lied hörte, weiteten sich seine Augen und er konnte es nicht fassen. „Alice…“, sagte er leise und starrte die kleine Spieluhr an, die unaufhörlich dieses Lied spielte. Vorsichtig hob er sie auf und in seinen Augen sammelten sich Tränen. „Ich kenne diese Spieluhr. Alice hat sie dabei gehabt, als sie mich besuchen kam.“ Nun war es Nastasja, die ihrerseits sprachlos war, denn sie hatte ja mit einigem gerechnet, aber nicht damit, dass Dathan Alice gekannt hatte. War das Zufall, oder steckte mehr dahinter? Offenbar erinnerte er sich zumindest wieder an ein paar Dinge, da die Spieluhr sich sehr tief in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. „Du kannst dich wieder erinnern?“ Dathan musste sich erst einmal setzen und immer noch betrachtete er die Spieluhr. „Noch nicht an alles. Ich weiß aber, dass ich in dem Restaurant war. Ich glaube, ich hatte da als Servicekraft ausgeholfen oder so. Alice kam hin und wieder alleine hin und setzte sich immer an denselben Platz. Sie sah immer so traurig aus und ich hab mit ihr geredet. Dann gab es plötzlich einen Knall in der Küche und dann war überall Feuer. Die Menschen haben in Panik geschrieen und das Restaurant verlassen. Binnen weniger Sekunden hat es überall gebrannt und als ich draußen war, bemerkte ich, dass Alice nicht da war. Sie saß noch dort drin und so bin ich wieder reingegangen, um sie rauszuholen. Aber sie wollte nicht gerettet werden. Sie wollte da bleiben und sterben. Also hab ich sie gepackt und sie nach draußen gebracht. Alles war voller Rauch und ich weiß nur ganz verschwommen, dass da plötzlich meine Kleidung anfing zu brennen und mir furchtbar heiß wurde. Ich hab geschrieen und bin blindlings losgerannt, bis ich zu Boden geworfen wurde und jemand mir einen Mantel überwarf, um die Flammen zu ersticken. Ich muss durch die starken Schmerzen das Bewusstsein verloren haben, denn als ich wieder aufgewacht bin, war ich bereits operiert worden und lag auf der Intensivstation. Und da habe ich Alice wiedergesehen. Sie saß an meinem Bett, hatte diesen Kittel an und weinte.“ So war das also, dachte Nastasja und senkte den Blick. Dathan hat Alice damals aus dem Restaurant gerettet, als sie dort drin geblieben war, um sich das Leben zu nehmen. Und während sie alles unbeschadet überstanden hatte, fing seine Kleidung Feuer und er wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Und dass Alice im Krankenhaus bei ihm war mit ihrer Berufskleidung, konnte nur eines bedeuten: er war ihr Patient gewesen und war dann drei Wochen später gestorben. „Mein Gott“, murmelte die Russin und erkannte, was für eine Tragödie das damals gewesen sein musste. Die schlaflosen Nächte, die Panikattacken und die Alpträume. Es waren nicht bloß die Schikanen der Kollegen gewesen, die sie in Depressionen gestürzt hatten. Nein, es war auch der Vorfall mit Dathan gewesen. Sie musste sich die Schuld gegeben haben, dass er diese schweren Verletzungen erlitten hatte und als er gestorben war. Da musste für sie eine Welt zusammengebrochen sein. Das war ein Jahr vor ihrem tödlichen Unfall gewesen. Ein weiteres Indiz, das dafür sprach, dass es kein Unfall, sondern vielleicht doch ein Selbstmord war. Sie hatte versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden… sie wollte lieber bei lebendigem Leibe im Restaurant verbrennen, als weiterzuleben. „Warum hat sie nie mit mir darüber gesprochen? Wieso hat sie denn nicht ein einziges Mal von ihren Problemen erzählen können und gesagt, was passiert ist? Ich verstehe das nicht.“ „Hat sie etwa wegen mir…“ Die Russin schüttelte den Kopf und seufzte niedergeschlagen. „Ich glaube, es war einfach alles zu viel für sie geworden und sie ist innerlich zerbrochen. Und ob der Unfall wirklich einer war, müssen wir noch herausfinden.“ „Ja aber eines verstehe ich nicht. Wie kann ich sie denn in Erinnerungen haben, wenn sie seit 27 Jahren tot ist? Das macht doch keinen Sinn. Ich verstehe das nicht.“ „Weil du kein Mensch bist. Man nennt so etwas Sefira oder einen Unvergänglichen. Das kommt daher, weil sie eigentlich keinen Körper haben, sondern sich den eines Menschen bemächtigen und diesen nach ihren Vorstellungen verändern. Dadurch können sie auch festlegen, ob sie altern oder nicht. Und du bist höchstwahrscheinlich einer. Deshalb kannst du dich an Dinge erinnern, die so lange zurückliegen.“ „Ja aber… warum hat mir das niemand gesagt und wo komme ich dann her, wenn ich nicht mal ein Mensch bin?“ „Wir vermuten, dass du ein Fragment eines Wesens bist, das Ain Soph genannt wird. Die Unvergänglichen sind das Bindeglied zwischen der Ewigkeit und der Vergänglichkeit und ein paar von ihnen leben ebenfalls in dieser Welt. Du bist also nicht der Einzige.“ „Es… es gibt noch andere?“ Nastasja nickte und erzählte ihm von Frederica, Eva und Liam. Doch für Dathan war das immer noch schwer zu verdauen und so wirklich glauben konnte er es immer noch nicht. „Wenn ich wirklich so etwas wie ein Unvergänglicher bin, dann hätte ich doch etwas merken müssen, oder etwa nicht?“ „Nicht direkt. Da du deine Erinnerungen verloren hast, würde es mich nicht wundern, dass du dich auch nicht erinnerst, wie du deine Fähigkeiten einsetzen kannst.“ „Aber woran erkenne ich denn, was ich wirklich bin? Ich kann mich an rein gar nichts erinnern, außer an dem Tag, als ich mir diese Verbrennungen zugezogen habe und wie mich Alice besucht hat.“ „Keine Sorge, wir finden schon eine Möglichkeit, deine Erinnerungen zurückzuholen. Wir haben schon genug geschafft und genug Menschen geholfen, da können wir dir auch helfen. Wir haben mit Unvergänglichen schon so unsere Erfahrungen gemacht und es wird sich mit Sicherheit eine Lösung finden.“ Dathan senkte den Blick und wirkte sehr verlegen. Dann aber schlich sich doch ein Lächeln über seine Lippen, doch es wirkte bei seinem verbrannten Gesicht irgendwie unheimlich und grotesk. Fast schon wie eine manisch grinsende Fratze. Nachdem sie eine ganze Weile in den Unterlagen gesucht hatten, entschied sich Nastasja spontan dazu, irgendwo was essen zu gehen und fragte Dathan auch direkt, ob er mitkommen wollte. Doch er war nicht ganz so dafür und sagte „Ich denke nicht, dass das so eine gute Idee ist. Bei meinem Anblick…“ „Ach so ein Quatsch“, unterbrach die Russin ihn und zog ihren Mantel an. „Wenn die Leute dumm gucken, dann lass sie doch. Und wenn dich jemand dumm von der Seite anmacht, dann schick ihn zum Teufel.“ „Das kann ich aber nicht.“ „Dann mach ich das eben. Und glaub mir: man nennt mich nicht umsonst die Eisenfaust aus Tscheljabinsk.“ Da sie sich nicht überreden lassen wollte, blieb Dathan kaum eine andere Wahl als ihr zu folgen und so gingen sie in ein Restaurant und fanden dort auch schon einen Platz, der nicht ganz so zentral war, was auch Dathan zugute kam, denn so starrten ihn nicht ganz so viele Leute an. Aber dennoch war er ziemlich verkrampft. Sie selbst schien überhaupt kein Problem damit zu haben, dass er dabei war und das war für ihn mehr als ungewohnt. Er war es gewöhnt, dass die Leute bei seinem Anblick das Weite suchten, ihn anstarrten wie einen Freak und bei seinem Anblick begannen sogar Kinder zu weinen. Aber diese Frau da vor ihm schien seine Narben gar nicht zu sehen. Stattdessen sagte sie sogar, er hätte ein hübsches Gesicht… Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, fragte Dathan „Wenn du wirklich eine Zeitreisende bist… was ist dann mit deiner Familie?“ „Nun, meine Eltern habe ich nie kennen gelernt. Ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen und kam dann mit 14 Jahren nach England, nachdem ich meine Ausreiseerlaubnis hatte.“ „Du hast studiert?“ „Nö, ich hab unter anderem unterrichtet und fest an der Londoner Universität als Humanbiologin gearbeitet. Ich war verheiratet und hatte vor meiner Zeitreise Kinder. Zwei Söhne, um genau zu sein. Mein Mann Henry ist kurz nach meinem Zeitsprung ermordet worden und zwar von Joseph Brown. Meine Söhne L und Jeremiel sind inzwischen 25 Jahre alt, also nur knapp 5 Jahre jünger als ich jetzt.“ „Und ist das nicht irgendwie… schwierig?“ „Manchmal schon, weil L von Watari so verhätschelt wurde und ich manchmal meine Meinungsverschiedenheiten mit diesem Sturschädel habe. Jeremiel ist da etwas einfacher als sein jüngerer Bruder. Aber die beiden haben inzwischen ihr eigenes Leben und ich helfe ihnen ab und zu, wenn mal die Hütte brennen sollte. Derzeit arbeite ich in Boston an der Harvard Universität als Humanbiologin und unterrichte diese Spatenköpfe von Studenten, die denken, der Hippocampus hätte was mit Nilpferden zu tun.“ Als Dathan hörte, dass sie in Amerika lebte, sank seine Laune deutlich und er wurde stiller. Doch Nastasja erzählte seelenruhig weiter. „Sheol, den wir mit dem Serum heilen konnten, habe ich als Adoptivsohn bei mir aufgenommen und Ezra ist mein anderer Adoptivsohn, der vorher bei mir in Pflege war.“ Doch Dathan hörte kaum noch zu und wirkte immer noch sehr niedergeschlagen. Und als die Russin das merkte, lächelte sie und legte eine Hand auf seine. Erschrocken zuckte der Entstellte zusammen und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Es war allzu deutlich, was mit ihm los war und Nastasja konnte nicht leugnen, dass sie ihn irgendwie süß fand. „Hey, nicht gleich so ein Gesicht machen wie sieben Tage Regenwetter. Erzähl mir doch mal etwas über dich. Was machst du denn gerne?“ „Ich? Also ich… ähm…“ Dathan senkte den Blick und fand erst nicht so richtig die Worte. Etwas zögerlich antwortete er schließlich „Ich sammle gerne Bücher.“ „Was denn für welche?“ „Alles mögliche. Ich liebe Bücher jeder Art. Ganz gerne lese ich ältere Werke wie zum Beispiel Schöne neue Welt, Farm der Tiere, Fahrenheit 451 oder Das Bildnis des Dorian Gray.“ „Oh ja, das sind schöne Werke. Hast du auch schon die Die Brüder Karamasow gelesen? Damit bin ich aufgewachsen und es waren meine ersten Bücher.“ „Ja, die hab ich schon und ehrlich gesagt fand ich sie fast genauso gut wie Die Buddenbrooks. Derzeit lese ich Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Diese Novelle hat mir Lacie per Post geschickt und mir als neue Lektüre empfohlen. Sie sagte, es würde sich lohnen, sie zu lesen.“ Soso, Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Von der Geschichte hatte Nastasja gehört. Aber so ganz hatte sie den Inhalt nicht mehr auf dem Schirm und so ließ sie sich erklären, worum es ging. Nämlich um einen Mann, dem es durch die Entwicklung eines Tranks gelang, das Gute und Böse der Seele zu trennen, woraufhin er eine dunkle Seite entwickelte, nämlich Mr. Hyde. „Klingt spannend. Die Lektüre lese ich auch mal durch, wenn ich Zeit habe.“ Mit der Zeit werden die Antworten von selbst kommen. Ob Lacie ihm das Buch aus einem ganz bestimmten Grund gegeben hatte? Nun, das klang ziemlich weit hergeholt, aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, als würde Lacie Dravis ein ganz bestimmtes Ziel verfolgen und als hätte das alles auch mit Dathan zu tun. Es konnte kein Zufall sein, dass sie ihn hier fanden und erfuhren, dass er ein Unvergänglicher war, der vor 28 Jahren Alice das Leben gerettet hatte und 26 Jahre später von Lacie Dravis angefahren und zum Pfarrer der Gegend gebracht wurde. Beyond war gar nicht paranoid, er hatte vollkommen Recht. Lacie plante irgendetwas und wahrscheinlich steckte der Pfarrer ebenfalls mit drin. Und so wie es schien, legten sie die Hinweise wie Brotkrumen vor ihnen hin, damit sie langsam aber sicher auf die Antworten kamen. Aber wieso und warum alles so geheimnisvoll? Das war ihr wirklich ein Rätsel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)