Der Mann mit der Narbe im Herzen von abgemeldet (James Nashton - Soldat und Vater) ================================================================================ Prolog: Der Krieg ist die Hölle ------------------------------- Der Krieg ist die Hölle. Den Satz haben schon viele gehört, doch niemand konnte sich vorstellen, wie es wirklich war, mitten auf dem Schlachtfeld zu stehen, nicht zu wissen, ob man zurück zu seiner Familie kommt, seine Kameraden sterben zu sehen und den dröhnenden Krach in den Ohren zu haben. Diese Geschichte handelt von James Nashton, einem jungen Mann, der gerade erfahren hatte, dass seine Frau schwanger war. Das Lächeln auf seinem Gesicht und der Gedanke, dass er bald nach Hause konnte, um sein Kind im Arm zu halten, hielt ihn hier noch bei Verstand. Er würde nach dieser Hölle als Detektiv in seiner Heimatstadt Gotham arbeiten, hätte ein etwas ruhigeres Leben und könnte sich um seine Familie kümmern... Seine Familie... „JAMES!“, ertönte ein Schrei und mit einem lauten Knall riss es ihm den Boden unter den Füßen weg. In seinen Ohren pfiff es, wie tausend grelle Schreie, die sich zusammengefunden hatten, um sein Trommelfell platzen zu lassen. Er spürte seinen Körper nicht mehr, die Welt verschwamm vor seinen Augen und es wurde schwarz. Nein... Er musste doch zurück zu seiner Familie... „James... Komm' schon Junge! Wach auf!“ Die Stimme war viel zu weit weg, als dass der junge Mann sie hätte richtig wahrnehmen können, doch als er seine Augen langsam öffnete, sah er seinen engsten Kameraden. Michael, der mit ihm Seite an Seite durch alle Katastrophen gegangen war, hielt ihn im Arm. James spürte, wie ihm eine warme, dicke Flüssigkeit über die Stirn lief. Sein rechtes Bein war taub und in eine Richtung gedreht, in die es definitiv nicht gehörte. Er war viel zu benommen, als dass er den Schmerz hätte wahrnehmen können. Alles, woran er sich erinnerte war, dass Michael ihn ins Zelt für die Verletzten brachte. Das schlechte Gewissen plagte ihn. „Michael...“, murmelte er schwach und sah seinen Freund an. „Ich kann dich nicht allein lassen...“ Er bekam nur ein Lächeln und aufmunternde Worte zurück: „Keine Sorge, James. Ich pass' definitiv besser auf mich auf, als du!“ Mit einem Grinsen verschwand sein Freund und Zeit verging. Kapitel 1: Das Licht der Welt ----------------------------- James war froh, dass sein Freund ihn vor einigen Monaten gerettet hatte. Nach dem Angriff auf ihn, wurde er zurück nach Gotham geflogen und versorgt. Zwar konnte er immer noch nicht recht laufen, wie er wollte und nutzte dafür einen Gehstock, doch all diese Sorgen hatte er jedes Mal vergessen, wenn er seinen Sohn im Arm hielt. Seine Frau Sophia hatte ihm einen kerngesunden, munteren Sohn geschenkt, den sie Edward nannten. Gerade, als er in Erinnerungen schwelgte, kam Sophia um die Ecke und drückte James einen Kuss auf. Sie war das schönste Wesen, was für ihn auf Erden wandelte. Ihre langen blonden Haare reichten ihr bis zu ihrem wohlgeformten Hintern. Sie war schlank und ihre Augen strahlten in dem schönsten Ozeanblau, was James je in seinem Leben gesehen hatte. Ihr Lächeln hätte alle Frühblüher in ihrer Schönheit in den Schatten gestellt und ihre Haut war so bleich und perfekt, wie der unschuldige Schnee selbst. Manchmal kam James sich schäbig neben ihr vor. Er selbst hatte braunes, zerzaustes Haar, stechend grüne Augen und hielt nicht so viel davon, sich regelmäßig zu rasieren. Im Gegensatz zu Sophia hatte er eine unglaubliche Bräune, die wohl auch noch ein wenig von seinem Einsatz in Afrika zu verdanken war. Er sah runter auf seinen Sohn, der die beiden anlachte. Er wirkte so glücklich, allerdings auch so unglaublich zerbrechlich. Doch mehr Glück hatte James nie in seinem Leben gefühlt. Er war so glücklich, dass er die Sorge um seinen Freund Michael fast vergaß.... Es war ein Morgen, wie jeder Andere. Die Nacht war schlaflos, wie immer, da Edward des Öfteren aufwachte und seine Eltern wach hielt. Obwohl James sich wirklich über seinen Sohn freute, war dies ziemlich anstrengend. Er schleppte sich aus dem Bett, mittlerweile hatten sich Augenringe bei ihm gebildet, ging in die Küche und bereitete das Frühstück vor. Sophia ließ er erst einmal weiterschlafen und beschloss, als er den Kaffee aufgesetzt hatte, sich erstmal um Edward und sein Frühstück zu kümmern. Egal wie anstrengend die Nächte waren, sobald er seinen Sohn auf dem Arm hielt und er ihn anlächelte, war sein ganzer Kummer vergessen. James lächelte zurück und stupste mit seiner Nase die von Ed an, der daraufhin anfing zu lachen. Wahrscheinlich war James der glücklichste Vater dieser Welt, so fühlte er sich jedenfalls. Er ging mit Edward im Arm wieder nach unten in die Küche und wärmte sein Fläschchen auf, um den Jungen zu füttern. Er wirkte so glücklich.... Und dann klingelte das Telefon. Mit der einen Hand Edward im Arm, mit der anderen das Telefon greifen und rangehen. Gar nicht so einfach, doch James meistere es. „James Nashton?“ Die Stimme am anderen Ende kam ihm bekannt vor. Es war Michaels Frau. Er und sie hatten bereits zwei Kinder, die man heute allerdings gar nicht im Hintergrund hörte... Auch seine Frau klang bedrückt. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Das Telefon zersprang, als es auf den Fliesen aufschlug. James sackte zu Boden. „Nein...“, keuchte er und hielt seinen Sohn fest im Arm, drückte ihn an sich. „Nein... Michael...“ Normalerweise waren es die engsten Kameraden, die die Nachricht der Familie überbrachten. Da James allerdings früher nach Hause geschickt wurde, wusste er nichts davon. Sein engster Kamerad war im Krieg gefallen. Kurz nachdem James zurück nach Gotham geflogen wurde... Kurz nachdem er von ihm gerettet wurde... „James?“ Sophia war aufgewacht von dem Krach und kam gerade in die Küche getrottet. Als sie ihren Mann am Boden sitzen sah, bleich wie eine Leiche und die Augen schon blutunterlaufen von den unterdrückten Tränen. „Was ist passiert, James?!“ Sie nahm ihm Edward ab, legte diesen in seinen Sportwagen und ging zu James. „James...“, murmelte sie und strich ihm über die Wangen, bevor sie ihn in die Arme schloss. „Was ist passiert? Rede mit mir...“ Seine Stimme klang schwach, als er ihr antwortete. Sie zitterte und brach nach jedem zweiten Wort fast ab: „Michael... Er... er ist... Er ist....“, stotterte er und begann jämmerlich zu schluchzen. „Er ist tot, Sophia... Er ist... Er ist kurz nach meiner Abreise umgekommen... Das ist meine Schuld!“ Sophia schloss ihn fester in die Arme. Auch sie schockierte diese Nachricht, doch wenn ihr Mann schon so einbrach, musste sie wenigstens stark bleiben. Das hatte sie sich geschworen. Sie strich ihm sanft über den Rücken. „Das ist nicht deine Schuld, Liebling...“, flüsterte sie sanft in sein Ohr und küsste ihn liebevoll auf die Wange. „Schon gut... Beruhige dich, James... Wir schaffen das...“ Eine einsame Träne lief ihr über die Wange, sie versuchte stark zu bleiben, doch wenn Sophia etwas nicht sehen konnte dann, dass starke Menschen, wie ihr Mann, plötzlich einen Nervenzusammenbruch erlitten. Sie klammerte sich an ihn und atmete tief durch. „Du bist nicht allein, mein Schatz...“ Es brauchte einige Wochen, bis sich James erholte hatte, das verstand Sophia. Doch er sprach nicht mehr, saß nur noch vorm Fernsehen und trank von Tag zu Tag mehr Bier... Es fing an mit einem Bier abends, wogegen sie noch nichts gesagt hatte, aber nun war es mittlerweile fast ein halber Kasten am Abend. Sophia traute sich nicht ihn irgendwie anzusprechen, doch sie überlegte, ob sie ihm professionelle Hilfe holte. Zum Einen, weil James ihr Sorgen bereitete, zum Anderen, weil sie sich die letzten Wochen, Monate allein um Edward gekümmert hatte. Wenn ihr Mann so weitermachte, dann würde er vielleicht sogar Edwards erstes Wort und seinen ersten Schritt verpassen. Aber es schien ihren Mann nicht zu interessieren. Langsam wurde es Zeit, dass sie darüber redeten. Es war ein Abend, wie sie ihn in den letzten Monaten gewohnt war. James saß auf seinem Sessel und hatte genügen Bier, dass er nach dem Fernsehen einschlafen konnte und sie versuchte sich mit dem kleinen, aufgedrehten Edward zu beschäftigen. Als ihr Sohn endlich eingeschlafen war, legte sie ihn sanft in sein Bettchen und ging zu James, um ihre Hände sanft über seine Schultern gleiten zu lassen. „Schatz?“, säuselte sie und begann ihn zu massieren. Ein leises Knurren kam zurück. „Schatz wir müssen darüber reden... du kannst deine Sorgen nicht ertränken...“ Sophia klang sorgenvoll, doch Richard fauchte nur zurück: „Lass mich in Ruhe Soph! Ich hab keinen Bock zu reden, ich will in Ruhe fernsehen, verstehst du das nicht?“, und erneut nahm er einen Schluck seines geliebten Bieres. Sophia wich ein Stück zurück. Er klang noch nie im Leben so aggressiv, wie gerade. Bevor er aus dem Krieg kam, war er die Ruhe in Person und einer der liebevollsten Menschen überhaupt... „Was hat der Krieg mit dir gemacht, James?“, krächzte Sophia, immer noch schockiert von seiner Reaktion. Doch es reichte nicht. James drehte sich um, stand auf und warf die leere Bierflasche nach Sophia. „RUHE HAB ICH GESAGT! VERPISS DICH!“, brüllte er, ließ sich wieder auf den Sessel sinken und machte sich das Nächste auf. Edward schrie bereits, denn als James seinen Anfall hatte, weckte er damit den Kleinen. „UND STELL DAS KIND AUS!“, schrie James Sophia nach, die mit Edward auf dem Arm und Tränen in den Augen das Wohnzimmer verließ. Ihr Blick fiel runter auf ihren Sohn, der so stark weinte, dass auch dies sie noch trauriger machte. „Dein Vater ist ein guter Mann, mein Schatz...“, murmelte sie und drückte Edward an sich. „Ich verspreche dir, dass wir das wieder hinbekommen... Dein Vater ist ein wundervoller Mensch...“ Dann brach Sophia komplett in Tränen aus und sackte auf die Knie. Sie versuchte ihr Wimmern und ihr Jaulen möglichst gut zu unterdrücken, damit James nicht noch wütender wurde. Aber sie ahnte ja gar nicht, was noch alles auf sie zukam... Kapitel 2: Hoffnung ------------------- Weitere Tage vergingen in ein und demselben Ablauf. Sophia hatte schon aufgegeben mit James zu reden und sich damit abgefunden, dass sie sich mehr auf Edward konzentrieren musste. Nachdem sie einen Psychiater kontaktiert hatte, der ihr nicht weiterhelfen wollte, konnte sie auch keine Hoffnungen mehr in diese Art von Hilfe stecken. Wenigstens hatte sie Edward erst einmal ruhig stellen können. Er schlief gerade in seinem Bettchen, während sie sich um den Haushalt und um den Einkauf kümmerte. Als ihr Fuß die Eingangsmatte wieder betrat, schaute sie noch einmal in den Briefkasten. Ein kleiner, beiger Brief lag dort drin. Bei näherer Betrachtung fiel auf, dass dieser an ihren Mann addressiert war. Er kam von einem seiner Kameraden, die ihn im Krieg zur Seite standen. Vielleicht ein Treffen zum Gedenken an Michael und die anderen Gefallenen? Eine Möglichkeit für James es zu verarbeiten? Auf leisen Sohlen schlich sie sich zu ihm heran. Auch er schlief gerade in seinem Sessel und schnarchte vor sich hin. „James? Schatz?“, murmelte sie und strich ihm sanft über die wie immer unrasierte Wange. Nach einem kurzen Zucken öffnete ihr Mann die Augen und musterte sie. „Was willst du?“, raunte er mit rauchiger Stimme hervor. Sophia lächelte nur sanft. „Ich habe Post für dich...“, sprach sie und gab ihm den Brief und einen liebevollen Kuss auf die Stirn. James wirkte verwirrt. Er riss den Brief auf und las sich den Text darauf durch. Dann schüttelte er den Kopf und zerknüllte ihn. „Ich geh nicht hin!“, fauchte er und öffnete sich eine neue Flasche von seinem Bier. Mittlerweile bevorzugte er die stärkste Sorte davon. „Was ist denn das?“, fragte Sophia interessiert und nahm ihm das zerknüllte Blatt ab, um es wieder zu entfalten. Damit hatte sich die Frage beantwortet. Es war wirklich eine Gedenkfeier, um Michael und den Anderen die letzte Ruhe zu gewähren. „Michael war dein Freund, James... Bitte geh hin... Vielleicht geht es dir besser, wenn ihr euch gegenseitig Trost spendet...“, murmelte sie in sein Ohr und strich ihm sanft über den Kopf. Dass seine Haare fettig waren, wie das Frittenfett in der Pommesbude, schien sie weniger zu stören. Sollte James dorthin gehen, würde er sich sowieso wieder flott machen. Eine Weile musterte er seine Frau. Vielleicht hatte sie ja Recht. Ewig rumsitzen und nichts tun war eigentlich gar nicht seine Art. Und das Ganze zu verarbeiten klang plausibel. Ein leichtes Nicken ging von ihm aus. „Ich tue es, weil du vielleicht sogar recht hast...“, murmelte er. „Aber ich gehe allein, in Ordnung?“ Endlich hatte sich James mal auf einen Rat eingelassen. Die Frau lächelte und küsste ihn sanft auf die Lippen. Er schmeckte nach starkem Bier, doch sie liebte ihn nach wie vor über alles. Die Hoffnung, dass nun alles gut werden würde, bestärkte sie in ihrem Tun. Das Treffen lag zwar noch 3 Tage hin, aber wenigstens hatte sie James wieder etwas Hoffnung geschenkt. Als hätte jemand einen Schalter bei ihm umgelegt, ging er duschen, rasierte sich und räumte nach dem Anziehen sogar seine Flaschen weg. Sophia lächelte, als Edward plötzlich wieder schrie und sie merkte, dass es mal wieder Zeit war, den Kleinen zu füttern. „Entschuldige mich kurz, Schatz... Eddie hat Hunger...“, sagte sie und bewegte sich nach oben. James folgte ihr dieses Mal sogar. „Mein Sohn...“, murmelte er, als der Mann den Kleinen auf den Armen seiner Gattin sah. Ein Lächeln war wieder auf seinen Lippen zu sehen und Sophia atmete erleichtert auf. Anscheinend hatte der Brief wirklich eine heilende Wirkung auf ihren Mann gehabt. Nicht nur, dass James sich endlich wieder die Arbeit mit seiner Frau teilte in den nächsten Tagen, nein er kochte sogar wieder. Wahrscheinlich war es wirklich nur eine Phase von ihm gewesen, die er nun überstanden hatte. Sophia und er führten, wenn auch bis jetzt nur die paar Tage, ein glückliches Eheleben mit allem, was dazu gehörte. Auch Edward schien ruhiger geworden zu sein. Wahrscheinlich hatte auch der Kleine gemerkt, dass es seinem Daddy wieder etwas besser ging. Es war der Tag der Gedenkfeier, als James gerade in der Küche stand und das Mittag fertig zubereitete und Sophia sich anschlich, um ihrem Mann einen Kuss auf den Nacken zu verpassen. Sie bekam als Antwort ein Kichern. „Sophia... So stürmisch heute?“, grinste James und drehte sich zu ihr um, um sie noch einmal richtig zu küssen. „Vergiss bitte heute die Feier nicht und zieh' dir was Schickes an, ja? Michael soll dich ja im Himmel nicht auslachen...“, antwortete sie mit einem sanften Lächeln und bekam ein Nicken als Antwort. „Du bist wundervoll Soph'... Danke, dass du das so ausgehalten hast... Ab heute wird wieder alles gut...“ Seine Frau kicherte gespielt und strich ihm über die Wange. „Das wird es, James... Versprochen. Michael und die Anderen sind nun an einem besseren und friedlicheren Ort und ich bin sicher, dass sie ihre Familien von da oben auch sehr gut beschützen könnten.“ Irgendwie liebte James genau das an seiner Frau. Sie war immer so unglaublich positiv und klang stets, als sei nichts irgendeine große, schlimme Sache. Für sie gab es immer ein Grund für die Geschehnisse und sie hatte stets diese tröstende Ader an sich. „Wenn wir gegessen haben, ziehe ich mir meinen Anzug an und dann werde ich los... Ich will ja nicht zu spät kommen...“, murmelte er und lächelte seine Frau an. „Hast du Edward schon gefüttert?“ Sophia lächelte und deckte nebenbei den Tisch. „Alles erledigt, Schatz. Wir können in Ruhe essen und dann kannst du dich in Ruhe auf den Weg machen.“, sprach sie sanft und ging zu ihrem Mann, um ihn noch einen Kuss aufzudrücken. Dieser lächelte ebenfalls. Er stellte den Eintopf auf den Tisch, füllte beiden auf und wünschte einen guten Appetit. Dieses Familienleben wirkte so unglaublich perfekt... „James Nashton.“ Er war nun auf der Gedenkfeier angekommen und wurde gerade auf der Liste der Gäste abgehakt. Viele Blicken trafen ihn, die er lächelnd erwiderte. Es machte ihn zwar schon ein wenig traurig, dass nur noch so wenig Kameraden übrig waren, aber es tat auch gut einige Gesichter wiederzusehen. Doch egal, wo er hinging... Sie drehten sich weg. Eine Weile verstand er nicht. Die Blicke, die ihm geschenkt wurden, waren wütend, enttäuscht, traurig, aber nicht einer freute sich ihn zu sehen. Warum hatten sie ihn eingeladen, wenn er nicht erwünscht war? „James!“, hörte er einen alten Kameraden seinen Namen rufen. Es war Steven Rocks. Er war einer der Piloten, hatte relativ wenig mit ihm zu tun, aber wenn sie zusammen im Lager waren, verstanden sie sich recht gut. Er schüttelte aufgeregt James Hand und lächelte, als hätte er im Lotto gewonnen. „Wie geht es dir, altes Haus? Was macht dein Bein? Hast uns ja 'nen ganz schönen Schrecken eingejagt, was?“ Als Antwort bekam Steven abfälliges Gelächter. So langsam fühlte sich James unwohl in seiner Haut. „Guten Abend Steven.“, antwortete er und fuhr fort: „Mir und meiner Familie geht es gut, aber es macht mich natürlich auch traurig zu sehen, dass so viele unserer Freunde im Krieg gefallen sind und ich nichts tun konnte...“ „Kannst ja schon gut wieder laufen, was?“, fragte Steven und erneut abfälliges Gelächter. „Ja... Ich hab mich durchgebissen... Wie geht es dir?“, antwortete James etwas unsicherer. Wurde er gerade von vorn bis hinten vorgeführt? Erst jetzt fiel ihm auf, dass Steven auch wirklich so laut sprach, dass jeder im Raum mithören konnte. Er selbst murmelte wohl seine Antworten dagegen eher vor sich hin. „Ach man schlägt sich so durch, das kennst du ja sicher!“, kam die Antwort, daraufhin schallendes Gelächter im ganzen Saal. Was war denn jetzt passiert? „Wie auch immer du das meintest, Steve... Also... Was passiert hier heute noch so? Wird hier nur getrunken und geredet? Mal abgesehen davon, dass anscheinend jeder hier aus irgendeinem Grund auf mich wütend zu sein scheint...“, murmelte James vor sich hin und fing sich sofort finstere Blicke. Steven fing erneut an zu lachen. „Tcha mein Freund! Hier ist sich jeder einig, würde ich sagen. Du hast nur auf krank gemacht, weil deine Frau das Kind bekommen hat und hast uns im Stich gelassen, so siehts aus.“ Diese Antwort war wie ein Schlag ins Gesicht. „Seid ihr ernsthaft überzeugt davon?“, fragte James, wieder zustimmendes Nicken und finstere Blicke. „Warum habt ihr mich dann eingeladen?“ Ein paar Kameraden sahen sich an, dann sahen alle fragend zu Steven, der nur breit in James Gesicht grinste. „Um dir zu zeigen, was für ein unglaublicher Versager du bist, Nashton. Du hast nichts geleistet. Absolut gar nichts. Du hast dich und Michael in Gefahr gebracht, du hast ihn auf dem Gewissen. Du bist abgehauen, als du endlich mal was hättest leisten können!“ Es fehlten James die Worte. Das Gefühl war beinahe unbeschreiblich. Als würden sich alle Blicke der Soldaten auf ihn richten, als würden sie alle ihre Waffen auf ihn richten, nein... Ihren Finger... Sie verspotteten ihn. Sie hielten ihn für einen komplett nutzlosen Menschen... Seine Kameraden, die mit ihm Seite an Seite um Leben und Tod gekämpft hatten. Es war seine Schuld... Seine Schuld, dass Michael tot war... Seine Schuld, dass noch mehr draufgehen mussten... Er hatte sie alle im Stich gelassen. Er allein wurde früher nach Hause geschickt, konnte seinen Sohn im Arm halten und sein heiles Leben weiterleben. Sie alle hatten gehofft, dass es bald vorbei sein würde und dass sie zurück konnten zu ihren Familien. Nur er durfte es früher... Er hätte doch noch weiterkämpfen können... „Was ist los, James? Hast du eingesehen, was für ein Kameradenschwein du bist?!“, fragte Steve und seine Stimme hallte durch den gesamten Saal. Das Gelächter dröhnte mehr in den Ohren, als die Bomben im Krieg und die Stimme seines ehemaligen Kameraden ging ihm nicht mehr aus dem Kopf... Kameradenschwein... Die wohl schlimmste Beleidigung unter den Soldaten... Nur, dass dies ernst gemeint war. James war ein verdammtes Kameradenschwein. Nutzlos. Er hatte es nicht verdient zu leben, während Michaels Familie ohne einen Vater und eine Ehemann zurecht kommen musste. Er hätte an Stelle von Michael sterben sollen. Es hätte niemals ihn treffen sollen, sondern James... Kopfschüttelnd stürmte er aus dem Raum, wollte nur noch irgendwohin, wo niemand war. Niemand, der ihm zeigen konnte, in was für einer Schande er lebte. James war nicht mehr wert, als ein niederes Insekt. Er hätte zertreten werden sollen. Das Gelächter verfolgte ihn, verfolgte ihn bis nach Hause, in seinem Kopf war es immer da, es hörte nicht auf. Das Sophia mit ihm sprach, realisierte er gar nicht. Sein Kopf drohte zu zerspringen, er wollte nichts mehr hören, dieses Lachen trieb ihn in den Wahnsinn... Doch.... Er hatte doch schon eine Möglichkeit gefunden zu vergessen... Langsam griff seine Hand nach einer Flasche starken Bieres und öffnete diese. Es half nicht. Es war nicht stark genug... James stand auf und nahm sein Geld, ging runter in den Laden um die Ecke und kaufte sich etwas Stärkeres. Whisky. Der sollte helfen. Schon auf den Weg nach Hause und hoch in die Wohnung trank er immer wieder ein paar Schlücke. Es schmeckte widerlich, brannte die Kehle nieder und ließ James sich schütteln. Aber es musste sein, es konnte gar nichts Anderes mehr helfen. „James hör auf damit!“, hörte er Sophia noch schreien, doch er stoppte nicht. Die Flüssigkeit in der Flasche nahm immer mehr ab. Er brauchte es, er brauchte mehr davon. Langsam entfaltete der Alkohol die gewünschte Wirkung. Sein Kopf wurde taub, die Gedanken verstummten, alles drehte sich. James hätte es nie so schnell trinken dürfen. Die Einzige Erinnerung, die er hatte, war die Übelkeit. Am nächsten Morgen konnte er sich dann denken, wieso er mit dem Kopf über der Kloschüssel aufwachte... Kapitel 3: Der Boden der Tatsachen ---------------------------------- Als er sich am nächsten Morgen wieder aus dem Badezimmer begab, hatte er lediglich Zähne geputzt, um den Gestank nach Erbrochenem loszuwerden. Seine Augen wurden von diesen Augenringen geplagt und seine Haare lagen wild durcheinander. Draußen tobte ein schwerer Sturm, der die Bäume sich biegen ließ, die Straßen unter Wasser setzte und mit den Blitzen den Tag erhellte, der von den schwarzen Wolken verdrängt worden war. James fragte sich, wo seine Frau abgeblieben sei und sah überall nach, bis er einen Zettel fand. Sophia hatte sich auf den Weg gemacht, um Einkäufe zu erledigen und bevor James auch nur an das einzige Problem bei der Sache denken konnte, meldete es sich auch schon zu Wort. Dort, in seinem kleinen Bettchen lag sein Sohn, so zerbrechlich wie eh und je. Wahrscheinlich würde aus dem Jungen nie etwas Starkes werden und wahrscheinlich würde er ewig eine Memme bleiben. Immerhin blahte die Plage ja jetzt schon ständig rum. Der ältere Nashton begab sich zu seinem Nachwuchs und schaute in das kleine Bettchen, wo Edward lag, strampelte und heulte, als gäbe es keinen Morgen. James seufzte, nahm ihn auf den Arm und wusste sofort, was los war. Edward hatte sich in die Windeln gemacht. „Verdammte Scheiße, kannst du nur Ärger machen?“, knurrte James, rollte mit den Augen und beschloss Edward neu zu wickeln. Klar konnte dieser nichts dafür, aber eigentlich wollte der ältere Nashton gerade lieber seine Ruhe haben, als sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Wenigstens hörte sein Sohn auf zu schreien, als James mit ihm fertig war. Eine Weile hielt er ihn noch auf dem Arm, wurde von den großen, noch blauen Augen angestarrt und hörte ein leises Lachen. Machte sein Sohn sich gerade auch noch lustig über ihn? „Hey... Du kannst deinen Daddy doch nicht auslachen...“, murmelte James und tippte Edward gegen die Nase, was er wohl noch lustiger fand. Es lockte ihm ein kleines Lächeln auf die Lippen und er küsste seinen Sohn sanft auf die Stirn. „Du lässt mich bestimmt nie im Stich, Eddie... Das weiß ich...“ Mit diesen Worten legte er den Kleinen zurück in sein Bettchen, deckte ihn liebevoll zu und ließ ihn weiterschlafen. Vielleicht tat ihm die Tätigkeit als Vater doch ganz gut. Als Edward endlich ruhig gestellt war, beschloss James sich ein altes Fotoalbum zu nehmen und darin zu blättern. Vielleicht ging es ihm dann besser... Die Fotos waren so perfekt... Seine und Sophie's Hochzeit, ihr Bäuchlein, was langsam heran wuchs. Die Bilder, wo sie sich kennengelernt hatten, Bilder von ihm in Uniform... In Uniform... „Wir werden angegriffen!“ Bilder... in seinem Kopf... „James! Wir müssen weiterrücken! Sonst sind wir dran!“ Er rannte. Er und sein Freund rannten um ihr Leben. Hinter ihnen wurden Gebäude in die Luft gesprengt. Es roch nach Asche und nach verbranntem Fleisch. An James flog eine Rakete vorbei und hätte ihn beinahe getroffen... „James hier herein!“ Sein Freund zerrte ihn in eine Gasse. Beide keuchten und schulterten ihre Gewehre. „Scheiße... Das wäre fast schief gegangen...“ Er erinnerte sich noch genau an das Grinsen von Michael, als dieser froh darüber war, dass sie aus der Schusslinie entkamen. James konnte sich an seine eigenen Worte nicht erinnern. Aber Michael... Er hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet... „Soldat x31 an Basis! Basis meldet euch!“ Es kam keine Nachricht... Sie waren auf sich gestellt. „Scheiße wo ist der Rest?!“ So lange kämpften sie an der Grenze von Leben und Tod. Er erinnerte sich daran, dass sie aus der Gasse fliehen mussten. Eine Gasbombe war vor ihre Füße gefallen. James und er rannten weiter. Zur Basis waren es noch etwa zwei Kilometer... Wie sollten sie das lebend schaffen?! Zu Hause warteten seine Frau und sein Sohn auf ihn... Michaels Familie war sicherlich auch krank vor Sorge... Mittlerweile war die Nacht eingetreten in seiner Erinnerung. Er sah es noch genau vor sich. Über ihnen der klare Sternenhimmel, um sie herum das Dröhnen und das ballern der Kugeln und Raketenwerfer. Überall der Geruch nach Krieg und tot. Seit Monaten hatten sie keine frische Luft mehr in den Lungen gehabt. „Hier... Die wird helfen einen klaren Kopf zu behalten...“ Michael gab ihm eine Zigarette und sie rauchten zusammen eine. Ein Glück hatten sie ein relativ ruhiges Fleckchen gefunden. James hustete und keuchte. Er wollte nicht sterben. Nashton hätte alles für sein Vaterland getan, er war ein stolzer Soldat, doch die Sorge um seine Familie überwiegte zur Zeit. „Ein T89 wurde niedergeschossen! T89 wurde niedergeschossen!“, ertönte es aus dem Funk und ein eiskalter Schauer bildete sich auf James Nacken. Verstärkung wurde vom Himmel geholt und getötet, bevor man ihnen zur Rettung eilen konnte. Michael und er waren wirklich auf sich gestellt. Das Ziel war die Basis... „James?“ Eine weibliche Stimme? Wer konnte das- Sophia... Sie stand vor ihm. Natürlich... Er war zu Hause... Das alles waren nur Erinnerungen... Ihr Haar war vollkommen durchnässt, ebenso ihre Sachen. Sie hatte den Sturm wohl voll abbekommen, denn er tobte immer noch draußen und wurde immer schlimmer... „James ist alles in Ordnung?“, fragte sie liebevoll und legte ihre Hand sanft auf seine Stirn. Dann küsste sie diese. James seufzte und schüttelte den Kopf langsam. Das Fotoalbum war zu Boden gefallen, als er sich zurück erinnerte... Alles, was er jetzt brauchte, war ein starker Drink... Unbedingt... Immerhin saß der Schock noch viel zu tief. Langsam richtete er sich auf, nahm ein Glas aus dem Küchenschrank, machte ein paar Eiswürfel hinein und kippte es mit Whisky voll. Er leerte es mit einem Zug und setzte dann die Flasche an. „James!“ Sophia kam zu ihm und wollte ihm die Flasche wegnehmen, doch James schob sie beiseite. Er nahm einen großzügigen Schluck und seufzte dann erleichtert, als der Whisky seine Speiseröhre hinunter brannte. „Lass' mich Sophia... Ich brauche das jetzt...“ Er ging zurück in die Wohnstube und ließ sich langsam wieder in seinen Sessel sinken. Ein wenig Alkohol und das stupide Fernsehprogramm von heute, würden ihn sicherlich von diesem ganzen Mist, diesen furchtbaren Gedanken ablenken. James durfte nicht mehr daran denken... Niemals mehr... Es machte ihn nicht nur traurig, sondern auch wütend, weil er nichts für Michael tun konnte... Dabei wäre es seine Pflicht gewesen als Kamerad und als Freund... Und alles, was er getan hatte, war nach Hause zu fliegen statt dem wertvollen Menschen, der ihm so oft das Leben rettete, einmal selbst das Leben zu retten... Es war deprimierend... frustrierend. Wieder setzte er die Flasche an und trank. Irgendwann würde sein Hirn sicherlich so benebelt sein, dass er sich an nichts mehr erinnern würde. Zwar war es noch ein wenig früh für Alkohol, aber er konnte nicht anders. Nicht nach diesen Bildern, die er gerade im Kopf hatte. Nicht nach der Erkenntnis, was für ein Kameradenschwein und Versager James war... Treu seinem Land zu dienen... Kameraden nie im Stich lassen... Niemand würde verletzt zurückbleiben... Er hatte nicht nur gegen die Ehre der Soldaten verstoßen, sondern auch einen Freund in den Tod geschickt... So viele Menschen, wie er erschossen hatte... So viele Schreie, wie er gehört hatte... So viel Blut, was er gesehen hatte, wie es in alle Richtungen spritzte... So viele Menschen, die er bei lebendigem Leibe hatte verbrennen sehen.... So viele Menschen, die langsam und qualvoll an den Giftgasen gestorben waren... Das Dröhnen der Raketenwerfer und der Schüsse einzelner Maschinengewehre, hatte sich in seinen Ohren fest verankert. Sogar so sehr, dass er gar nicht mehr mitbekam, dass Sophia ihn angesprochen hatte... „James! James hör auf damit!“ Seine Flasche verließ seine Hand und er hörte nur noch, wie sie am Boden zersplitterte. Der süße Alkohol, der ihm ermöglichte diesen ganzen Mist zu ertragen, war dahin... „DU ELENDES STÜCK DRECK!“, brüllte er Sophia an. Eigentlich wollte er das nicht, aber sie hatte ihm gerade jede Möglichkeit genommen diesem Wahnsinn zu entgehen. Kurz darauf fing sich seine Frau eine ordentliche Ohrfeige. James starrte auf seine Hand... Hatte er das gerade wirklich getan? Er sah zu Sophia... Tränen stiegen ihr in die Augen und sie hielt sich die Wange. Als James auf sie zukommen wollte, wich sie zurück. Sie blickte ihn verstört an und schüttelte den Kopf, bevor sie, rennend, im Schlafzimmer verschwand und sich ins Bett fallen ließ, um in ihr Kopfkissen zu schluchzen... James wartete eine Weile... Er dachte darüber nach, was er gerade getan hatte... Nein das musste er wiedergutmachen... Der ältere Nashton schlich ins Schlafzimmer und trat langsam an seine Frau heran. Er setzte sich zu ihr aufs Bett, strich ihr sanft durchs Haar und hatte eine belegte, entschuldigende Stimme, als er sprach: „Es tut mir so leid, Sophia... Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist... Ich sehe immer noch die Bilder aus dem Krieg... Michael... Ich versuche es zu vergessen, aber ich bekomme es nicht hin...“ Sophia richtete sich auf und wischte sich die Tränen weg. Im nächsten Moment lag sie ihm in den Armen... Sie war schon immer so... Verzieh' ihm jeden Ausrutscher... liebte ihn über alles... Darum tat er dasselbe bei ihr... „Schon gut, James...“, schluchzte sie in sein Hemd und krallte sich in seinen Rücken. „Ich mache mir nur Sorgen... Ich möchte nicht, dass du irgendwann versinkst... Du bist doch ein wundervoller Mann...“ Sophia hatte immer noch Hoffnungen... James musste lächeln... Sie war einfach die perfekte Frau. Sachte legte er die Hand an ihre Wange, schaute ihr in die Augen und küsste sie... Sie war sein Engel... Sein ein und Alles... Seine wundervolle Frau.... Der einzige Mensch, dem James jemals vertrauen würde und das blind. Er wusste schon, warum er gerade Sophia geheiratet hatte... Umso mehr schmerzte es ihn, dass er ihr gerade wehgetan hatte. Nein sowas würde er nie wieder tun. Er musste mit seiner Vergangenheit abschließen und endlich nach vorne blicken. Immerhin hatte er eine Frau und einen Sohn. Als Vater war es schließlich seine Aufgabe einen guten, strammen Kerl aus seinem Sohn zu machen, also sollte er sich in allererster Linie darauf konzentrieren und nicht auf das, was war... James lächelte Sophia an und küsste sie erneut. Sie würde wissen, was er damit meinte, denn sie kannte seine Entschlossenheit und wusste, wie es aussah, wenn diese zurückkehrte. Ja, James Nashton würde der beste Vater dieser Welt werden und es würde seinem Sohn, Edward, blendend in dieser Familie gehen! Das schwor er sich hoch und heilig... Doch die Zukunft hatte andere Pläne... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)