Der Mann mit der Narbe im Herzen von abgemeldet (James Nashton - Soldat und Vater) ================================================================================ Kapitel 2: Hoffnung ------------------- Weitere Tage vergingen in ein und demselben Ablauf. Sophia hatte schon aufgegeben mit James zu reden und sich damit abgefunden, dass sie sich mehr auf Edward konzentrieren musste. Nachdem sie einen Psychiater kontaktiert hatte, der ihr nicht weiterhelfen wollte, konnte sie auch keine Hoffnungen mehr in diese Art von Hilfe stecken. Wenigstens hatte sie Edward erst einmal ruhig stellen können. Er schlief gerade in seinem Bettchen, während sie sich um den Haushalt und um den Einkauf kümmerte. Als ihr Fuß die Eingangsmatte wieder betrat, schaute sie noch einmal in den Briefkasten. Ein kleiner, beiger Brief lag dort drin. Bei näherer Betrachtung fiel auf, dass dieser an ihren Mann addressiert war. Er kam von einem seiner Kameraden, die ihn im Krieg zur Seite standen. Vielleicht ein Treffen zum Gedenken an Michael und die anderen Gefallenen? Eine Möglichkeit für James es zu verarbeiten? Auf leisen Sohlen schlich sie sich zu ihm heran. Auch er schlief gerade in seinem Sessel und schnarchte vor sich hin. „James? Schatz?“, murmelte sie und strich ihm sanft über die wie immer unrasierte Wange. Nach einem kurzen Zucken öffnete ihr Mann die Augen und musterte sie. „Was willst du?“, raunte er mit rauchiger Stimme hervor. Sophia lächelte nur sanft. „Ich habe Post für dich...“, sprach sie und gab ihm den Brief und einen liebevollen Kuss auf die Stirn. James wirkte verwirrt. Er riss den Brief auf und las sich den Text darauf durch. Dann schüttelte er den Kopf und zerknüllte ihn. „Ich geh nicht hin!“, fauchte er und öffnete sich eine neue Flasche von seinem Bier. Mittlerweile bevorzugte er die stärkste Sorte davon. „Was ist denn das?“, fragte Sophia interessiert und nahm ihm das zerknüllte Blatt ab, um es wieder zu entfalten. Damit hatte sich die Frage beantwortet. Es war wirklich eine Gedenkfeier, um Michael und den Anderen die letzte Ruhe zu gewähren. „Michael war dein Freund, James... Bitte geh hin... Vielleicht geht es dir besser, wenn ihr euch gegenseitig Trost spendet...“, murmelte sie in sein Ohr und strich ihm sanft über den Kopf. Dass seine Haare fettig waren, wie das Frittenfett in der Pommesbude, schien sie weniger zu stören. Sollte James dorthin gehen, würde er sich sowieso wieder flott machen. Eine Weile musterte er seine Frau. Vielleicht hatte sie ja Recht. Ewig rumsitzen und nichts tun war eigentlich gar nicht seine Art. Und das Ganze zu verarbeiten klang plausibel. Ein leichtes Nicken ging von ihm aus. „Ich tue es, weil du vielleicht sogar recht hast...“, murmelte er. „Aber ich gehe allein, in Ordnung?“ Endlich hatte sich James mal auf einen Rat eingelassen. Die Frau lächelte und küsste ihn sanft auf die Lippen. Er schmeckte nach starkem Bier, doch sie liebte ihn nach wie vor über alles. Die Hoffnung, dass nun alles gut werden würde, bestärkte sie in ihrem Tun. Das Treffen lag zwar noch 3 Tage hin, aber wenigstens hatte sie James wieder etwas Hoffnung geschenkt. Als hätte jemand einen Schalter bei ihm umgelegt, ging er duschen, rasierte sich und räumte nach dem Anziehen sogar seine Flaschen weg. Sophia lächelte, als Edward plötzlich wieder schrie und sie merkte, dass es mal wieder Zeit war, den Kleinen zu füttern. „Entschuldige mich kurz, Schatz... Eddie hat Hunger...“, sagte sie und bewegte sich nach oben. James folgte ihr dieses Mal sogar. „Mein Sohn...“, murmelte er, als der Mann den Kleinen auf den Armen seiner Gattin sah. Ein Lächeln war wieder auf seinen Lippen zu sehen und Sophia atmete erleichtert auf. Anscheinend hatte der Brief wirklich eine heilende Wirkung auf ihren Mann gehabt. Nicht nur, dass James sich endlich wieder die Arbeit mit seiner Frau teilte in den nächsten Tagen, nein er kochte sogar wieder. Wahrscheinlich war es wirklich nur eine Phase von ihm gewesen, die er nun überstanden hatte. Sophia und er führten, wenn auch bis jetzt nur die paar Tage, ein glückliches Eheleben mit allem, was dazu gehörte. Auch Edward schien ruhiger geworden zu sein. Wahrscheinlich hatte auch der Kleine gemerkt, dass es seinem Daddy wieder etwas besser ging. Es war der Tag der Gedenkfeier, als James gerade in der Küche stand und das Mittag fertig zubereitete und Sophia sich anschlich, um ihrem Mann einen Kuss auf den Nacken zu verpassen. Sie bekam als Antwort ein Kichern. „Sophia... So stürmisch heute?“, grinste James und drehte sich zu ihr um, um sie noch einmal richtig zu küssen. „Vergiss bitte heute die Feier nicht und zieh' dir was Schickes an, ja? Michael soll dich ja im Himmel nicht auslachen...“, antwortete sie mit einem sanften Lächeln und bekam ein Nicken als Antwort. „Du bist wundervoll Soph'... Danke, dass du das so ausgehalten hast... Ab heute wird wieder alles gut...“ Seine Frau kicherte gespielt und strich ihm über die Wange. „Das wird es, James... Versprochen. Michael und die Anderen sind nun an einem besseren und friedlicheren Ort und ich bin sicher, dass sie ihre Familien von da oben auch sehr gut beschützen könnten.“ Irgendwie liebte James genau das an seiner Frau. Sie war immer so unglaublich positiv und klang stets, als sei nichts irgendeine große, schlimme Sache. Für sie gab es immer ein Grund für die Geschehnisse und sie hatte stets diese tröstende Ader an sich. „Wenn wir gegessen haben, ziehe ich mir meinen Anzug an und dann werde ich los... Ich will ja nicht zu spät kommen...“, murmelte er und lächelte seine Frau an. „Hast du Edward schon gefüttert?“ Sophia lächelte und deckte nebenbei den Tisch. „Alles erledigt, Schatz. Wir können in Ruhe essen und dann kannst du dich in Ruhe auf den Weg machen.“, sprach sie sanft und ging zu ihrem Mann, um ihn noch einen Kuss aufzudrücken. Dieser lächelte ebenfalls. Er stellte den Eintopf auf den Tisch, füllte beiden auf und wünschte einen guten Appetit. Dieses Familienleben wirkte so unglaublich perfekt... „James Nashton.“ Er war nun auf der Gedenkfeier angekommen und wurde gerade auf der Liste der Gäste abgehakt. Viele Blicken trafen ihn, die er lächelnd erwiderte. Es machte ihn zwar schon ein wenig traurig, dass nur noch so wenig Kameraden übrig waren, aber es tat auch gut einige Gesichter wiederzusehen. Doch egal, wo er hinging... Sie drehten sich weg. Eine Weile verstand er nicht. Die Blicke, die ihm geschenkt wurden, waren wütend, enttäuscht, traurig, aber nicht einer freute sich ihn zu sehen. Warum hatten sie ihn eingeladen, wenn er nicht erwünscht war? „James!“, hörte er einen alten Kameraden seinen Namen rufen. Es war Steven Rocks. Er war einer der Piloten, hatte relativ wenig mit ihm zu tun, aber wenn sie zusammen im Lager waren, verstanden sie sich recht gut. Er schüttelte aufgeregt James Hand und lächelte, als hätte er im Lotto gewonnen. „Wie geht es dir, altes Haus? Was macht dein Bein? Hast uns ja 'nen ganz schönen Schrecken eingejagt, was?“ Als Antwort bekam Steven abfälliges Gelächter. So langsam fühlte sich James unwohl in seiner Haut. „Guten Abend Steven.“, antwortete er und fuhr fort: „Mir und meiner Familie geht es gut, aber es macht mich natürlich auch traurig zu sehen, dass so viele unserer Freunde im Krieg gefallen sind und ich nichts tun konnte...“ „Kannst ja schon gut wieder laufen, was?“, fragte Steven und erneut abfälliges Gelächter. „Ja... Ich hab mich durchgebissen... Wie geht es dir?“, antwortete James etwas unsicherer. Wurde er gerade von vorn bis hinten vorgeführt? Erst jetzt fiel ihm auf, dass Steven auch wirklich so laut sprach, dass jeder im Raum mithören konnte. Er selbst murmelte wohl seine Antworten dagegen eher vor sich hin. „Ach man schlägt sich so durch, das kennst du ja sicher!“, kam die Antwort, daraufhin schallendes Gelächter im ganzen Saal. Was war denn jetzt passiert? „Wie auch immer du das meintest, Steve... Also... Was passiert hier heute noch so? Wird hier nur getrunken und geredet? Mal abgesehen davon, dass anscheinend jeder hier aus irgendeinem Grund auf mich wütend zu sein scheint...“, murmelte James vor sich hin und fing sich sofort finstere Blicke. Steven fing erneut an zu lachen. „Tcha mein Freund! Hier ist sich jeder einig, würde ich sagen. Du hast nur auf krank gemacht, weil deine Frau das Kind bekommen hat und hast uns im Stich gelassen, so siehts aus.“ Diese Antwort war wie ein Schlag ins Gesicht. „Seid ihr ernsthaft überzeugt davon?“, fragte James, wieder zustimmendes Nicken und finstere Blicke. „Warum habt ihr mich dann eingeladen?“ Ein paar Kameraden sahen sich an, dann sahen alle fragend zu Steven, der nur breit in James Gesicht grinste. „Um dir zu zeigen, was für ein unglaublicher Versager du bist, Nashton. Du hast nichts geleistet. Absolut gar nichts. Du hast dich und Michael in Gefahr gebracht, du hast ihn auf dem Gewissen. Du bist abgehauen, als du endlich mal was hättest leisten können!“ Es fehlten James die Worte. Das Gefühl war beinahe unbeschreiblich. Als würden sich alle Blicke der Soldaten auf ihn richten, als würden sie alle ihre Waffen auf ihn richten, nein... Ihren Finger... Sie verspotteten ihn. Sie hielten ihn für einen komplett nutzlosen Menschen... Seine Kameraden, die mit ihm Seite an Seite um Leben und Tod gekämpft hatten. Es war seine Schuld... Seine Schuld, dass Michael tot war... Seine Schuld, dass noch mehr draufgehen mussten... Er hatte sie alle im Stich gelassen. Er allein wurde früher nach Hause geschickt, konnte seinen Sohn im Arm halten und sein heiles Leben weiterleben. Sie alle hatten gehofft, dass es bald vorbei sein würde und dass sie zurück konnten zu ihren Familien. Nur er durfte es früher... Er hätte doch noch weiterkämpfen können... „Was ist los, James? Hast du eingesehen, was für ein Kameradenschwein du bist?!“, fragte Steve und seine Stimme hallte durch den gesamten Saal. Das Gelächter dröhnte mehr in den Ohren, als die Bomben im Krieg und die Stimme seines ehemaligen Kameraden ging ihm nicht mehr aus dem Kopf... Kameradenschwein... Die wohl schlimmste Beleidigung unter den Soldaten... Nur, dass dies ernst gemeint war. James war ein verdammtes Kameradenschwein. Nutzlos. Er hatte es nicht verdient zu leben, während Michaels Familie ohne einen Vater und eine Ehemann zurecht kommen musste. Er hätte an Stelle von Michael sterben sollen. Es hätte niemals ihn treffen sollen, sondern James... Kopfschüttelnd stürmte er aus dem Raum, wollte nur noch irgendwohin, wo niemand war. Niemand, der ihm zeigen konnte, in was für einer Schande er lebte. James war nicht mehr wert, als ein niederes Insekt. Er hätte zertreten werden sollen. Das Gelächter verfolgte ihn, verfolgte ihn bis nach Hause, in seinem Kopf war es immer da, es hörte nicht auf. Das Sophia mit ihm sprach, realisierte er gar nicht. Sein Kopf drohte zu zerspringen, er wollte nichts mehr hören, dieses Lachen trieb ihn in den Wahnsinn... Doch.... Er hatte doch schon eine Möglichkeit gefunden zu vergessen... Langsam griff seine Hand nach einer Flasche starken Bieres und öffnete diese. Es half nicht. Es war nicht stark genug... James stand auf und nahm sein Geld, ging runter in den Laden um die Ecke und kaufte sich etwas Stärkeres. Whisky. Der sollte helfen. Schon auf den Weg nach Hause und hoch in die Wohnung trank er immer wieder ein paar Schlücke. Es schmeckte widerlich, brannte die Kehle nieder und ließ James sich schütteln. Aber es musste sein, es konnte gar nichts Anderes mehr helfen. „James hör auf damit!“, hörte er Sophia noch schreien, doch er stoppte nicht. Die Flüssigkeit in der Flasche nahm immer mehr ab. Er brauchte es, er brauchte mehr davon. Langsam entfaltete der Alkohol die gewünschte Wirkung. Sein Kopf wurde taub, die Gedanken verstummten, alles drehte sich. James hätte es nie so schnell trinken dürfen. Die Einzige Erinnerung, die er hatte, war die Übelkeit. Am nächsten Morgen konnte er sich dann denken, wieso er mit dem Kopf über der Kloschüssel aufwachte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)