Dunkelstes Reich von Flordelis ================================================================================ Außenwelt: 14.12.2022 – Das ist kein kleiner Gefallen! ------------------------------------------------------ „Du kannst das nicht machen.“ Kieran schüttelte mit dem Kopf. „Das kannst du nicht von mir verlangen.“ Voller Abscheu betrachtete er jene Person, die vor ihm stand, vollkommen ruhig, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der stets in einem nicht spürbaren Wind flatterte. Sie hatte darauf bestanden, Kieran hier auf diesem Dach zu treffen, was ihm zwar nicht behagte, aber er war dennoch gekommen. Die Verbindung, die diese Hexe geschaffen hatte, als sie ihn aus seiner Zeitachse in die Vergangenheit gezogen hatte, verhinderte, dass er sich ihr widersetzte. Außerdem gab es so auch keinen Ort, an dem er sich vor ihr verstecken könnte. Unbeteiligt zuckte sie mit den Schultern. „Ich sagte es dir bereits, dir bleibt nur diese Wahl. Entweder, du tötest mein altes Ich oder ich töte alles, was dir am Herzen liegt.“ Dabei deutete sie mit dem Finger wieder auf ein junges Mädchen, das eindeutig sie in jüngeren Jahren war. Es lief auf der Straße unter ihnen, sich nicht der Tatsache bewusst, dass es gerade beobachtet wurde. „Sie zu töten ist der einzige Weg, den Kreislauf des Leids aufzuhalten.“ Sie verschränkte die Arme wieder. „Hexen werden zu Flüchen. In einem solchen Fall ist es besser, einfach nur zu sterben, bevor man eine Hexe wird, das weiß ich nun.“ Kieran wollte sie fragen, weswegen sie sich dann nicht selbst tötete, aber eigentlich wusste er es bereits. Nahm sie sich das Leben, würde sie zu keinem Fluch, dafür aber ein Suizid-Dämon, dazu verdammt, ihr Leiden auf ewig zu durchleben, niemals ausbrechen zu können. Aber galt das auch dafür, wenn sie sich selbst in der Vergangenheit tötete? „Es wird ein Paradoxon entstehen, wenn ich das versuche“, erklärte sie. „Zeit ist ein sehr empfindliches Geflecht, weißt du?“ Sie lächelte ihn an, milde, wie man es bei einem Kind tat, das wissen wollte, weswegen Äpfel von den Bäumen fielen. Kieran hasste dieses Lächeln, er kannte es zu gut von anderen Erwachsenen, Jägern, all jenen, die ihn herabsetzen und demütigen wollten. Da er immer noch nicht gewillt war, etwas zu tun, griff sie sich an die Brust, worauf eine Kette erschien, die von dort direkt bis zu seinem Hals verlief. „Wenn du stattdessen versuchst, mich direkt zu töten, stirbst du auch. Und was denkst, welchen Schmerz das in all denen auslöste, die dir nahestehen?“ Tatsächlich hatte sie ihm damit sein schlagkräftigstes Argument genommen. Er konnte dieses Mädchen nicht töten, weil es gegen seine Prinzipien verstieß, aber auch nicht die Hexe, die das von ihm verlangte, weil er damit nur Schmerz über die anderen brachte. Er müsste etwas tun, das ihn am Leben erhielt, aber die Hexe gleichzeitig handlungsunfähig machte. Zumindest lächelte sie aber zufrieden über seine Tatenlosigkeit, sie wusste wohl ganz genau, dass sie ihn damit gerade in der Hand hatte. „Ich habe dich in diese Welt geholt“, erinnerte sie ihn. „Du hast sie zu deinem Spielplatz gemacht und geändert, was du geändert haben wolltest. Ich finde, du schuldest mir zumindest diesen kleinen Gefallen, denkst du nicht?“ „Das ist kein kleiner Gefallen!“, erwiderte er hitzig. „Du erwartest hier von mir, jemanden zu töten!“ Und so ganz verstand er auch noch nicht, warum das Paradoxon ausbleiben sollte, wenn er derjenige war, der sie in der Vergangenheit tötete. Sie hatte ihm zwar etwas von Schicksalslinien verschiedener Zeitachsen erklärt, die sich nicht derart kreuzen durften, aber er war eben doch besser darin, zu denken, während er kämpfte. Ihre goldenen Augen schienen sich langsam grün zu färben, an ihrem Hals war ein sanftes, grünes Glühen zu sehen. Kieran starrte beides einen Moment lang an, bis ihm bewusst wurde, dass es Zeichen ihrer Unzufriedenheit waren. Er sollte eine Entscheidung fällen – und das bald. Während er noch darüber nachdachte, hörte er plötzlich, wie eine metallene Tür aufgeworfen wurde, gefolgt von hastigen Schritten. Kieran blickte hinüber und entdeckte Faren, der atemlos stehenblieb und versuchte, wieder Luft zu bekommen. Sein Magen zog sich zusammen, Faren sollte nicht hier sein. Das war nur eine Sache zwischen ihm und der Hexe, niemandem sonst. Er wollte ihm auch gerade sagen, dass er verschwinden sollte, als er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnehmen konnte. Die Hexe hatte den Arm erhoben und deutete mit geöffnete Hand auf Faren. Eiszapfen schossen aus dem Nichts hervor und schossen direkt auf seinen Freund, der noch immer nicht zu verstehen schien, in welcher Gefahr er sich befand. Kieran handelte schnell und zerstörte die Geschosse mit einem Schwert, was bei der Hexe nur für ein amüsiertes Lachen sorgte. „Oh, denkst du wirklich, auf diese Weise kannst du ihm ewig helfen? Du solltest einsehen, dass es nichts gibt, was du tun kannst, außer mir zu gehorchen.“ „Wovon spricht sie?“, fragte Faren. Kieran antwortete ihm nicht, seine Gedanken waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich noch immer zu fragen, was er tun sollte, um sie von ihren Plänen abzuhalten. „Es gibt nichts, was du tun kannst“, erwiderte sie, als könne sie seine Gedanken lesen. „Diese Welt wurde durch mich geschaffen, ich bin ihre Herrscherin.“ Diese Worte waren es, die ein bislang vergessenes Zahnrad in Kierans Inneren in Bewegung setzten. Er wusste nun, was zu tun war, ohne dabei ebenfalls sterben zu müssen. Mit langsamen Schritten ging er auf die Hexe zu, die ihn mit gerunzelter Stirn musterte. „Du hast recht“, sagte er dabei. „Das hier ist deine Welt, in der du alles beherrschst und nach eigenem Gutdünken handeln kannst.“ Seine Worte ließen sie zufrieden lächeln, aber er war noch nicht fertig: „Deswegen muss ich dich eben in meine Welt sperren, um zu gewinnen.“ Noch ehe sie diese Worte verarbeiten konnte, packte er sie bereits am Arm. Sie versuchte, zurückzuweichen, sich loszureißen, aber sein Griff wurde nur noch etwas fester, um sie davon abzuhalten. Gleichzeitig spürte er, wie sich Ketten um sein Herz zu schließen versuchten. Erinnerungen, die er am liebsten verdrängt hätte, traten langsam an die Oberfläche – aber es wirkte, sowohl er als auch die Hexe glühten bereits in einem blauen Licht. „Was tust du da?“ Kieran wandte den Blick zu Faren, der sich hartnäckig in seinen Erinnerungen hielt, obwohl etwas in seinem Inneren versuchte, sie auszulöschen und jegliche Bindung, die nicht von Reue geprägt war, zu vernichten. Allerdings fand dieses Wesen auch direkt neue Nahrung in dieser Bindung, denn Kieran spürte bereits jetzt schon Reue, dass er Faren zurücklassen müsste. Faren, der im Moment nicht einmal zu verstehen schien, was eigentlich gerade geschah. „Es ist schon gut, Faren“, sagte Kieran, wobei er selbst bemerkte, dass er Tränen in den Augen hatte, obwohl er gleichzeitig lächelte. „Ich bekomme das hin, vertrau mir.“ Noch einmal hörte er die Stimme seines Freundes, die verzweifelt seinen Namen rief, dann schwand das Bewusstsein des Kieran Lane und wurde durch etwas anderes ersetzt, das gefüllt war mit Reue und unbändigem Zorn auf jene Hexe, die ihn erst zu diesem Schritt getrieben hatte und nun auf ewig zur Stille in seiner Welt, seiner Zuflucht, verdammt sein sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)