Dunkelstes Reich von Flordelis ================================================================================ Vierte Welt der Zuflucht – Ich bin gekommen, um dich zu retten. --------------------------------------------------------------- Dieses Mal war sein Erwachen wesentlich schmerzhafter. Sein Kopf fühlte sich an, als könne er jeden Moment einfach zerplatzen, entsprechend war seine Sicht getrübt und als er versuchte, sich aufzusetzen, bemerkte er, dass sich alles um ihn herum drehte. Also blieb er erst einmal liegen, würgte trocken und zählte innerlich mehrmals bis zehn, in der Hoffnung, dass sein Gehirn sich dann wieder soweit beruhigt hatte, dass er mehr machen könnte. Statt sich zu fragen, wo er eigentlich war, wurde er nur von dem Gedanken beherrscht, weswegen das Dreamdust nicht mehr funktionierte. Als er sich endlich hinsetzen konnte, blickte er auf sein Handgelenk hinunter – und bemerkte erschrocken, dass die Uhr fehlte. Nur noch die Einstichstellen der Nadel waren zu sehen. Damit waren die Kopfschmerzen vergessen, sein Blick ging stattdessen suchend umher. Er befand sich in einer Höhle, die nicht sonderlich gut beleuchtet war, aber dennoch konnte er, in dem bisschen, was er erkennen konnte, sehen, dass es nichts gab. Nicht einmal Steine, die auf dem Boden lagen. Noch dazu war außer ihm niemand hier. Lediglich der Wind pfiff durch das Gestein und von irgendwoher konnte er den salzigen Geruch von Meerwasser wahrnehmen. Sich an der Wand abstützend, gelang es ihm schließlich sich aufzurichten und auch einige Schritte zu gehen, ehe seine Beine zu wackeln aufhörten. Kaum war dieser stabile Zustand erreicht, löste er sich von der Wand und ging mit raschen Schritten vorwärts. Schon bald hörte er neben dem Wind auch das Rauschen von Wellen und kurz darauf war in der Entfernung ein Licht sichtbar, das in regelmäßigen Abständen verschwand und dann wiederkehrte. Er lief noch schneller, was ihn fast stolpern ließen, bewegte sich aber unablässig auf den Ausgang zu. Wie erwartet fand er sich an einem Strand wieder, Gewitterwolken verfinsterten den Himmel, aber trotz diesen und dem wehenden Wind, lag das Meer still. Der Sand war überraschend dunkel, fast schwarz, so wie das Wasser, dessen Wellen Muster zu formen versuchten. Faren beobachtete die Brandung eine Weile, bis ihm auffiel, dass sie Armen gleichkam, die sich hilfesuchend nach dem Land streckten, nur um dann erbarmungslos wieder auf die See hinausgezogen zu werden. Er wusste, griffe er danach, erginge es ihm mit Sicherheit genauso. Sein Blick wanderte weiter und er entdeckte, dass er sich in einer halbmondförmigen Bucht befand, auf einer der Klippen, die bis ins Meer hinausragte, fand er auch endlich den Grund für das Licht: Ein dunkel aussehender Leuchtturm stand dort, die darin befindliche hell strahlende Lampe drehte sich in einem ruhigen Rhythmus, um verirrte Schiffen zu leiten. Aber auf dem Meer war nichts zu sehen. Dafür entdeckte er nun auch einen Felsen, der mitten auf dem Strand stand. Und auf diesem befand sich eine Person, die erstaunlich stark an Kieran erinnerte. Dennoch überkam Faren keine Erleichterung, stattdessen spannte sich sein ganzer Körper an, da er eine weitere Falle vermutete. Als er näherging, erkannte er, dass es der erwachsene Kieran war, der dort saß, jener, in den er sich verliebt hatte. Aber etwas an seinen Augen war falsch. Das Glitzern darin war nicht jenes, das er von dem echten Kieran kannte. Dass er außerdem mit übereinandergeschlagenen Beinen dasaß und sich mit dem Ellenbogen auf seinem Knie abstützte, passte auch nicht zu ihm. Von der schwarzen Kleidung wollte er lieber gar nicht erst anfangen. „Hallo, Faren.“ Selbst seine Stimme, so ähnlich sie dem Original auch klingen mochte, war nicht richtig, sondern besaß einen klirrenden Unterton, der ihm nicht behagte. „Wie schön, dass du es bis hierher geschafft hast.“ „Du hast es mir ja nicht gerade einfach gemacht.“ Besser war, er spielte erst einmal mit. „Ich hätte erwartet, du rollst mir einen roten Teppich aus oder sowas.“ Kieran zog die Mundwinkel ein wenig nach oben, aber seine Augen blieben kalt. Faren wollte zurückweichen, gleichzeitig aber auch keine Schwäche zeigen. Vor allem als ihm auffiel, was in der Hand des anderen war. „Das ist übrigens meine Uhr“, sagte Faren und deutete darauf. „Gibst du sie mir wieder?“ Kieran blickte auf den Gegenstand hinunter. „Dieser billige Tand? Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Wozu solltest du das denn noch brauchen?“ Ohne hinzusehen, warf er die Uhr über seine Schulter, Faren konnte nur hilflos mitansehen, wie sie im Wasser versank, regelrecht von der Dunkelheit verschluckt wurde, um niemals wieder aufzutauchen. Sein einziges Hilfsmittel war verschwunden und das gab ihm das unangenehme Gefühl, dass er nun schutzlos ausgeliefert war. „Da das jetzt geklärt ist“, fuhr Kieran fort, „kommen wir zu wichtigeren Themen. Ich habe dich sicher nicht eingeladen, also warum sollte ich dir den roten Teppich ausrollen?“ „Ich bin gekommen, um dich zu retten. Da hätte ich ein wenig mehr Freude erwartet.“ Besonders wenn er an ihr Gespräch im Zug zurückdachte. Aber vielleicht war dies nur das Ergebnis eines plötzlichen Schubs gewesen und nicht real. Wenn er es genau betrachtete, war es auch eher unwahrscheinlich, dass- „Ich sagte dir, dass ich glücklich bin“, erwiderte Kieran. „Du mischst dich hier in mein Leben ein, ungefragt, ohne darum gebeten worden zu sein, wie du es immer tust.“ Faren sagte nichts darauf, so dass er fortfahren konnte, scheinbar geradewegs genussvoll: „Du denkst, nur weil du es schwer hattest, gäbe dir dies das Recht, dich überall einzumischen, ohne auf die Gefühle jener zu achten, die du ja angeblich beschützen oder retten willst. Aber so funktioniert das nicht, Faren. Du solltest langsam die Quittung dafür bekommen.“ Diese Worte, die ganz offensichtlich dazu dienen sollten, ihn zu demoralisieren, funktionierten nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Sie stachen ein wenig in seiner Brust, schon allein, weil sie von Kieran kamen, aber sie richteten keinen dauerhaften Schaden an, sondern verklangen in seinem Inneren. „Es mag so sein“, antwortete Faren schließlich, „dass ich den Eindruck erwecke, dass ich mich aus egoistischen Gründen einzumischen versuche. Aber bei allem, was ich tue, geht es mir nur darum, jenen zu helfen, die mir am Herzen liegen. Wenn ich ihnen dafür manchmal auf die Füße treten muss, dann tut mir das leid, aber ich bereue es nicht.“ So wie er bei dieser Hilfsaktion in Kierans Innerem herumstocherte und mehr über ihn erfuhr, als er je geahnt hätte. Es tat ihm wirklich leid, dass er so viel erfahren hatte, ohne Kierans Zustimmung, aber er tat es mit einem höheren Ziel, also gab es keinen Grund für Reue. Sein Gegenüber sah das aber offensichtlich anders, sein Gesicht verfinsterte sich bereits. „Ich kann wirklich nicht fassen, wie egoistisch und engstirnig du bist.“ „Vor einem Jahr schien es dich nicht zu stören.“ Nicht vor dem Krankenhaus, als er Faren gesagt hatte, dass er ihn brauchte. Nicht in seinem Zimmer, als er Faren gesagt hatte, dass er ihn liebte. Nicht in dem Moment, in dem er zu einem Dämon geworden war und sich bei Faren für die gemeinsame Zeit bedankt hatte. Die Erinnerungen an diese Momente verdrängten das Gefühl der Schutzlosigkeit und bestätigten ihn nur noch mehr darin, dass diese Person vor ihm nicht Kieran sein konnte. Stattdessen fühlte er eine Verbindung zu einer Seele, die sich ebenfalls an diesem Ort befand, aber noch konnte er nicht ausfindig machen, wo genau sie eigentlich war. Kieran zog die Brauen zusammen und funkelte ihn wütend an. „Damals war ich in einer ganz anderen Situation. Ich war durch das Werk einer Hexe in der Vergangenheit gelandet, war ganz allein und ohne Verbündete – natürlich klammerte ich mich da an dich. Was immer ich dir damals gesagt habe, hatte nichts zu bedeuten.“ Sein Gesicht verzog sich wieder zu einem spöttischen Grinsen. „Außerdem wusste ich da noch nicht wirklich, wie aufdringlich du sein kannst. Das habe ich erst heute erfahren.“ „Unsinn“, erwiderte Faren. „Du wusstest schon immer, dass ich aufdringlich bin und meine Nase gern dort hineinsteckte, wo sie nicht hingehört.“ Das war immerhin einer der Gründe, weswegen Kieran früher so sehr von ihm genervt gewesen war. Und gleichzeitig war es auch der Grund, wegen dem Faren überhaupt erst zu seinem Assistenten geworden war – er hatte einfach nicht lockergelassen, nachdem ihm bewusst geworden war, dass es sich bei Kieran um einen Dämonenjäger handelte. Offenbar gingen ihm langsam die Argumente aus, denn statt einer direkten Antwort, erhob Kieran sich von seinem Sitzplatz. Dabei enthüllte sich ein weiteres Argument dafür, dass er nicht der wirkliche Kieran war: Er war genauso groß wie Faren, obwohl er kleiner sein müsste. Dieser versuchte noch immer, die Verbindung zu verfolgen, die an der Klippe entlang verlief, er spürte sie nicht nur, er sah sie, wie eine leuchtende Linie, die sich mit ihrem weißen Glühen von der Dunkelheit abhob und ihm Hoffnung zu spenden versuchte. „Wie auch immer“, sagte Kieran. „Was damals geschehen ist, liegt in der Vergangenheit. Ich gehöre hierher, du nicht. Also lass mich dir nicht die Entscheidung abnehmen, ob du leben oder sterben willst.“ Faren reagierte nicht, bewegte sich nicht einmal ein wenig, um anzuzeigen, ob er überhaupt zuhörte. Kierans braune Augen funkelten wieder wütend. „Entweder du verschwindest sofort oder ich werde dich töten!“ Im selben Moment, in dem sein Gegenüber diese Worte äußerte, fand Faren den Ursprung der Verbindung und fühlte sich endgültig bestätigt. Das gab ihm genug Kraft, Kieran amüsiert anzulächeln, was diesen zurückweichen ließ. „Du hast recht, du gehörst hierher.“ Diese Bestätigung ließ wohl erneut Selbstsicherheit durch ihn strömen, denn Kieran stellte sich wieder aufrecht hin. Aber bevor er etwas sagen konnte, schnitt Faren ihm bereits das Wort ab: „Allerdings liegt das nur daran, dass du nicht der richtige Kieran bist. Wer oder was auch immer du bist, du hast nichts mit ihm gemein. Auch wenn du versuchst, wie er auszusehen, macht dich das noch lange nicht zu meinem Kieran.“ Das verschlug diesem wohl die Sprache, denn er stand nur mit leicht geöffnetem Mund stumm vor Faren, unfähig, ihm eine passende Erwiderung zu liefern. Faren, angefüllt mit Siegessicherheit, holte derweil tief Luft, wandte sich in Richtung des Leuchtturms – und begann so laut zu rufen, wie er nur konnte: „Kieran, hörst du mich?! Ich bin hier! Ich werde dich retten!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)