Dunkelstes Reich von Flordelis ================================================================================ Außenwelt: 30.08.2023 – Mir geht’s bestens. -------------------------------------------- „Ich habe immer noch ein paar Schwierigkeiten, mich einzugewöhnen.“ Obwohl sie durch das Telefon ein wenig blechern klang, konnte Faren deutlich die Fröhlichkeit von Lucasta heraushören, jene, wegen der er sich einmal in dieses Mädchen verliebt hatte. „Aber ich denke, das wird schon werden.“ „Davon bin ich überzeugt“, unterstützte Faren sie sofort. „Und wenn du dich erst einmal mit den anderen im Wohnheim angefreundet hast, wird es noch besser.“ Er liebte Lucasta immer noch, spürte eine zarte Zuneigung, die sich um sein Herz gelegt hatte und ihn nie wieder loslassen wollte. Es war nicht genug, dass er für sie Kieran aufgeben könnte, aber noch immer genug, dass er nicht wollte, dass sie starb. Er erinnerte sich an seine Zeitachse, daran wie sie dort vor seinen Augen von einem Dämon zerfleischt worden war, das wollte er nicht noch einmal erleben. Deswegen hatte er sich Anfang des Jahres mit einem überraschten Vincent in Verbindung gesetzt und diesen nach einer kurzen Erklärung darum gebeten, Lucasta einen Platz in einem Wohnheim zu sichern. Solange sie nicht auf der Straße lebte, nachts also nicht draußen war, dürfte ihr nichts geschehen. Das hoffte Faren jedenfalls. Lucasta gab ein leises Geräusch von sich, dann schwieg sie einen kurzen Moment. In dieser Stille lauschte er andächtig ihrem Atmen am Telefon und fragte sich, wie es nur möglich sein konnte, jemanden mehr zu lieben als sie – wie war es Kieran nur gelungen, sich an Lucasta vorbeizuschmuggeln und den Platz einzunehmen, den er eigentlich auf ewig für sie reserviert hatte? „Faren“, sagte sie schließlich, „geht es dir auch gut?“ „Mir geht’s bestens“, antwortete er. „Ich bin gerade mit Mr. Lane und Dr. Tharom essen.“ Er sah zu den beiden Männern, die ihm gegenübersaßen, auf einer mit roten Leder bezogenen Sitzbank, und die sich bemühten, in die Karte zu sehen und so zu tun, als hörten sie ihm nicht zu. Gemeinsam in einem Diner Abend zu essen, war Farens Idee gewesen, aber er war nicht davon ausgegangen, dass Jii wirklich zustimmte. Umso größer war seine Freude aber gewesen, als er mit beiden Männern das Krankenhaus verlassen hatte, in dem Jii arbeitete. „Störe ich dann gerade?“ „Aber nein, du störst nie, Luc~. Es freut mich immer, wenn du dich bei mir meldest.“ Auch wenn seine Liebe nun Kieran galt, wollte er sie nicht aus seinem Leben streichen. Sie war ein wichtiger Teil von diesem und so sollte es auch immer bleiben. Besonders weil sie verstand, wie wichtig ihm Kieran war. Sie war eindeutig verwirrt gewesen von seiner Erklärung, aber sie hatte auch gesagt, dass sie spüren konnte, wie sehr er an Kieran hing und sie nicht im Weg stehen wollte. Dennoch waren sie Freunde geblieben, denn sie wollte Faren genauso ungern aus ihrem Leben streichen. „Ich mache jetzt trotzdem lieber Schluss“, sagte er. Im Hintergrund hörte er, wie jemand etwas zu Lucasta sagte. Sie reagierte mit einem knappen Laut und sprach dann wieder in den Hörer: „Faren, ich muss auch Schluss machen. Guten Appetit und meld dich ab und an mal, ich mache mir Sorgen um dich.“ Er glaubte nicht, dass es dafür einen Grund gab, aber wenn sie darauf bestand, konnte er nicht ablehnen. „In Ordnung, mache ich. Pass gut auf dich auf, Luc.“ „Du auch, Faren.“ Damit beendeten sie das Gespräch und Faren steckte das Handy wieder ein. Ohne etwas an seine Begleiter zu sagen, nahm er seine eigene Karte und schlug sie auf. Obwohl er sich bereits in das Menü vertieft hatte – und dafür einfach mal die teuren Preise ignorierte – spürte er Jiis bohrenden Blick. Ohne seine Augen von dem Bild zu nehmen, das einen köstlichen Cheeseburger zeigte, richtete er das Wort an Jii: „Stimmt etwas nicht, Doc?“ „Ich habe“, erwiderte der Angesprochene spitz, „nur gerade darüber nachgedacht, wie wenig Erziehung deine Eltern dir haben angedeihen lassen. Es ist immerhin ziemlich unhöflich, zu telefonieren, wenn du noch zwei Tischgäste hast.“ Faren warf einen flüchtigen Blick zu Cathan, der den Kopf gesenkt hielt, aber das Schmunzeln war auch so deutlich zu sehen. Da von diesem aber keine Hilfe zu erwarten war, richtete Faren seine Aufmerksamkeit wieder auf Jii. „Na ja, meiner Mutter waren meine Tischmanieren immer ziemlich egal, solange ich überhaupt was gegessen habe.“ Er erinnerte sich daran, wie oft er die Nahrung verweigert hatte, wenn er dafür mit seinem Vater am selben Tisch sitzen musste. Zwar hatte seine Mutter sich bemüht, ihm dann heimlich etwas zuzustecken, damit er wenigstens etwas aß, aber zu seinen Tischmanieren trug es natürlich nicht bei. „Und ich habe mich tunlichst bemüht, alles zu vergessen, was mein Vater mich lehrte.“ Denn jede einzelne Lektion war mit Schmerzen verbunden gewesen, manchmal aus den nichtigsten Gründen. Egal wie oft Faren versucht hatte zu ergründen, was schiefgelaufen war, wenn er wieder einmal geschlagen oder ans Bett gefesselt worden war, es war ihm nie gelungen. Von seiner Warte aus, waren all seine Taten richtig gewesen. Es hatte ihn viel Zeit gekostet, von dem Gedanken, dass er ein einziger Fehler war, wieder loszukommen, aber seitdem fühlte er nur noch brennenden Hass in sich, wann immer er sich an diese Zeiten zurückerinnerte. „Dann müssen wir ausbaden, dass dein Vater ein furchtbarer Kerl war?“, fragte Jii. „Ist“, korrigierte Faren. „Er ist ein furchtbarer Kerl.“ In seiner Zeitachse war Timothy – der Name seines Vaters – bei einem Autounfall gestorben. In dieser hatte Kieran ihm das Leben gerettet. Dafür hatte er sich tränenreich bei Faren entschuldigt und ihm erklärt, dass er keinen sterben lassen könne, egal wie abscheulich die entsprechende Person auch sein mochte. Diese Worte rührten immer noch Farens Herz, wann immer er an sie dachte, und sie überzeugten ihn davon, dass es notwendig war, Kieran zu retten. „Habt ihr eigentlich inzwischen herausgefunden, wo sich unser Problemkind aufhält?“ Faren hielt es für besser, das Thema zu wechseln, und wenn er schon gedanklich bei Kieran war, konnte er diesen auch direkt ins Gespräch einbinden. Cathan hob endlich den Kopf von der Menükarte und lächelte ihm keck entgegen. „Ich denke, es sitzt hier mit uns am Tisch.“ Er warf einen um Zustimmung heischenden Blick zu Jii, der tatsächlich schmunzelte. „Ja, ich würde ihn auch als unser Problemkind bezeichnen.“ „Ach kommt, so schlimm bin ich nicht.“ Davon war Faren überzeugt, denn wenn sie ihn als derart schlimm einstuften, würden sie ihn erst gar nicht trainieren. Glücklicherweise wurde Cathan nun auch wieder ernst. „Wir haben herausgefunden, wo sich Kierans Zuflucht befindet.“ Dann beschrieb er ihm eine Bahn-Strecke, die Faren nur allzugut kannte, und noch bevor Cathan an der exakten Stelle angekommen war, wusste er bereits, wo Kieran sich versteckt hielt. „Das ist aber ziemlich abgelegen“, bemerkte Faren. Er hatte gelernt, dass Dämonen diese Zuflüchte nicht nur erschufen, um sich vor Jägern zu schützen, sondern auch, weil sie auf diese Weise an Nahrung kamen. Sie suchten sich Seitengassen belebter Gegenden aus, in die sich irgendwann Fußgänger verirrten, die eine Abkürzung suchten, sich einfach nicht auskannten oder betrunken waren. Jene Personen luden die Dämonen in ihre Zuflüchte ein und verspeisten sie dann. Es erinnerte ihn ein wenig an das Prinzip der Hexen in einem Anime, den er vor einer Weile gesehen hatte – aber möglicherweise war der Schöpfer dieser Serie selbst ein Jäger oder war einmal damit konfrontiert worden. Reiß dich zusammen!, schalt er sich selbst. Deine Gedanken müssen bei Kieran bleiben. „Da wird er jedenfalls nicht viel Futter bekommen“, fügte er direkt hinzu. Cathan nickte. „Den Gedanken hatte ich auch schon. Aber ich glaube, Kieran will einfach niemanden verletzen. Erinnerst du dich, warum er ein Dämon geworden ist?“ Wie sollte Faren das denn nur vergessen? Noch immer sah er Kierans tränenüberströmtes Gesicht vor sich, hörte seine Stimme, die so schwach klang, wie noch niemals zuvor. „Er wurde ein Dämon, um uns zu beschützen.“ „Richtig“, sagte Cathan zufrieden, Stolz blitzte in seinen Augen. „Selbst als Dämon kann Kieran sich noch so weit beherrschen, dass er niemandem Schaden zufügt. Erstaunlich, oder?“ „Er ist nicht umsonst das Mirakel“, bemerkte Jii trocken, fast beiläufig, den Blick immer noch auf der Karte. „Dennoch würde ich mich nicht darauf verlassen, dass er auch so friedlich bleibt, wenn du erst einmal in der Zuflucht bist … Aber können wir vielleicht über etwas anderes sprechen? Ich habe keine Lust, auch noch meine Mittagspause damit zu verbringen, über dieses Thema zu reden.“ Für Faren gab es kaum ein anderes, weswegen er jeden Tag bei Cathan oder Jii oder sogar beiden aufschlug, um mit ihnen darüber zu sprechen oder sie von einer Lehrstunde zu überzeugen. Ginge es nach ihm, wäre er schon längst in die Zuflucht eingedrungen – und vermutlich glorreich gescheitert. Aber er konnte auch verstehen, dass es besonders Jii langsam anödete, immer nur darüber sprechen zu können. Immerhin mochte er Kieran ohnehin nicht sonderlich, da musste es ihn natürlich stören, wenn nur über diesen gesprochen wurde. „Ja, wechseln wir das Thema“, stimmte Cathan zu. „Am besten reden wir darüber, was wir nun essen wollen, ich verhungere nämlich – und wenn die Bedienung noch einmal vorbeiläuft, weil wir noch nicht fertig sind, muss ich einen von euch aufessen.“ Jii mühte sich ein Schmunzeln ab, während Faren ein halbherziges Lachen von sich gab. So sehr er Kieran auch vermisste und ihn am liebsten schnellstens wieder befreien wollte, wusste er doch auch, dass es notwendig war, einmal innezuhalten, wie an diesem Abend, und über etwas anderes nachzudenken. Sie mussten sich entspannen – und wenn das nur ging, während sie in einem Diner zusammen Burger und Pommes aßen, Cola tranken und über irgendwelche unbedeutenden Kleinigkeiten sprachen, wollte Faren dem gewiss nicht widersprechen. Am Ende diente das alles seinem ultimativen Ziel, dem er sich bereits zu diesem Zeitpunkt mit Leib und Seele verschrieben hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)