Dunkelstes Reich von Flordelis ================================================================================ Außenwelt: 10.11.2023 – Ich sollte dann wohl improvisieren. ----------------------------------------------------------- Seit dem letzten Jahr war Faren schon oft in Jiis Labor im ansässigen Krankenhaus gewesen. Inzwischen hatte es sich schon zu einer Art Heimat für ihn entwickelt – und im Grunde war es das auch. Er schlief im Pausenraum der Ärzte, aß in der Kantine, duschte in Stations-Badezimmern. Er konnte sich kaum daran erinnern, wann er das letzte Mal draußen gewesen war, wenn es nicht gerade darum ging, Dämonen zu bekämpfen oder in Feldstudien die Zuflüchte anderer Dämonen aufzusuchen oder den Ort zu betrachten, an dem sich der Eingang zu Kierans Zuflucht befand. Aber ihm fehlte auch nichts, abgesehen von Kieran. Selbst Lucasta nicht, die ohne ihn vermutlich wesentlich besser dran wäre. Jedenfalls hatte Cathan den Dämon getötet, der eigentlich ihr Untergang gewesen wäre. Deswegen beschäftigte ihn dieser Gedanke im Moment auch nicht weiter, als er wieder einmal in Jiis Labor saß und an einem Stück Pizza knabberte. Eigentlich hatte Jii ihm bereits verboten, an diesem Ort zu essen, aber Faren hielt sich schlichtweg nicht daran. Bei der vorherrschenden Sauberkeit konnte er zwar gut verstehen, weswegen Jii es nicht gern sah, wenn dort gegessen wurde, aber er achtete eben akribisch darauf, nicht den kleinsten Krümel zu verursachen. Als er das erste Mal in dieses Labor gekommen war, hatte Faren enttäuscht geseufzt, auf Jiis Nachhaken aber nicht geantwortet. Man stellte sich geheime Forschungslabore meist als finstere Verliese vor, in denen zahlreiche Kisten herumstanden, deren Utensilien überall verstreut waren und teilweise auch schon Staub und Spinnweben ansetzten. Aber Jiis Labor war nichts davon. Es befand sich im vierten Stock, Sonnenlicht flutete durch die großen Fenster, alles war derart sauber, dass nur die akkurat aufgereihten Aktenordner in einem der Regale verrieten, dass dieser Raum überhaupt regelmäßig genutzt wurde. Er besaß nicht einmal einen Kessel, um irgendwelche fragwürdigen Tränke zu brauen. Nachdem er sich daran allerdings erst einmal gewöhnt hatte, fand er es eigentlich ganz nett. Ihn störte lediglich, dass, wann immer er von Jii hergerufen wurde, er die Theorie lernen musste, was das Kämpfen anging. Er mochte so etwas normalerweise nicht, er bevorzugte die Praxis, bei allem, was er tat. Aber er sah ein, dass es besser war, sich erst einmal umfassend zu informieren, ehe er sich unnötig in Gefahr begab und Kieran damit nicht im Mindesten nützte. Er ignorierte Jiis gerunzelte Stirn, während er gemütlich auf seinem Stuhl saß, die Beine hochgelegt und eine Pizza essend. Bislang war es ihm gelungen, nicht zu kleckern oder zu krümeln, wofür er sich gern selbst auf die Schulter geklopft hätte. Da er nicht vorhatte, sein Essen zu unterbrechen, gab er Jii mit einer knappen Kopfbewegung zu verstehen, dass er einfach anfangen sollte. Cathan, der ebenfalls anwesend war, aus Respekt vor dem Arzt aber kein Stück Pizza nahm, sah Jii an und hob die Schultern. „Fang lieber an. Ich glaube kaum, dass er so bald fertig wird.“ Wäre Faren nicht gerade mit kauen beschäftigt gewesen, hätte er gesagt, dass er nicht gleichzeitig vorsichtig und schnell essen konnte, aber so blieb ihm lediglich, zu nicken. Jii entfuhr ein Seufzen, offenbar war es ihm zu müßig, sich darum zu kümmern, dass Faren eine anständige Erziehung bekam und ließ stattdessen die Jalousie herab. Schlagartig wurde es noch dunkler im Raum als ohnehin schon, wenn man sich den dauer-bewölkten Himmel dieser Jahreszeit ansah. Mit einem einfachen Klick auf eine Fernbedienung sprang ein Beamer an, der ein vergrisseltes Bild auf die weiße Wand projizierte. Jii nahm ein metallenes Objekt an sich, das an eine Antenne erinnerte, fuhr es aus und deutete damit dann auf das Bild. „Inzwischen warst du ja bereits mehrmals in einer Zuflucht.“ Da erkannte Faren ebenfalls, dass dieses Bild das Innere einer Zuflucht zeigte. Es war reichlich undeutlich zu sehen, weil die Farben in dieser Welt derart verblasst und ineinander übergelaufen waren, dass er bei manchen Schritten gefürchtet hatte, jederzeit in die Tiefe zu stürzen Aber als er seinen Blick endlich fokussieren konnte, erkannte er auch den Ring mit den magischen Symbolen, der am Himmel zu sehen war. Durch die geringe Färbung ging er fast im Hintergrund unter, aber kaum wusste er, dass es diesen gab, konnte er ihn selbst dann sehen, wenn er für kurze Zeit den Blick in eine andere Richtung gelenkt hatte. Jii deutete genau auf diesen Ring. „Anhand dieses Zeichen kannst du sehen, wie viele Welten sich in einer Zuflucht befinden. Die innerste Zuflucht, jener Ort, an dem sich Seele und Körper eines zu einem Dämon gewordenen Jägers befindet, ist stets in der letzten Welt zu finden.“ Faren fragte sich, woher sie das so genau wussten. Vor kurzem noch hatte man ihm gesagt, dass Zuflüchte nicht sonderlich gut erforscht wären und er im Großen und Ganzen auf sich gestellt wäre, was das anging. Und nun kamen sie ihm hier mit diesem Wissen an. Er warf einen kurzen Blick zu Cathan hinüber, der interessiert zuzuhören schien, für ihn war das alles also neu. Möglicherweise waren es brandneue Erkenntnisse, die nicht zuletzt wegen seines Vorhabens erforscht worden waren. „Das ist wichtig zu wissen“, fuhr Jii fort, „denn nur, wenn du bereits nach Betreten der Zuflucht weißt, wie viele Welten es gibt, kannst du in der Lage sein, deine Kräfte entsprechend einzuteilen.“ Das leuchtete ihm ein. Was half es denn, wenn er bereits in der ersten Welt all seine Kraft aufbrauchte, wenn er danach nur noch weitere besuchen musste, dort dann aber nichts mehr ausrichten konnte? „Dein Ziel muss es sein, bis in die innerste Zuflucht vorzudringen“, sagte Jii. „Um das zu erreichen, gilt es, Gegenstände zu sammeln, die mit dem Jäger resonieren und dir erlauben, gleich-schwingende Barrieren einzureißen.“ Diese Erklärung verstand Faren zwar nicht so wirklich, aber zumindest klang es ein wenig nach dem, was er in Videospielen beobachten konnte, also sollte er das auch in der Realität hinbekommen. Daher nickte Faren diese Worte ab, schluckte das inzwischen zermahlene Stück Pizza hinunter und stellte die Frage, die ihn wesentlich mehr interessierte: „Wenn in in der innersten Zuflucht angekommen bin, was mache ich dann, um Kieran zu retten?“ Stille kehrte ein, nur verdrängt von dem leisen Summen des Projektors, der das Bild an die Wand warf. Als Faren zwischen den beiden hin und her sah, bemerkte er die verschlossenen Gesichtern, die ihm auch ohne jedes Wort verrieten, dass keiner von ihnen es wusste. „Ich nehme an, ich sollte dann wohl improvisieren“, sagte er so locker wie möglich, um nicht zu zeigen, dass er von dieser Stille verunsichert wurde. Jii räusperte sich hastig. „Bislang ist es leider noch niemandem gelungen, einen zum Dämon gewordenen Jäger wieder zurückzuverwandeln. Du versuchst da also etwas, das als unmöglich gilt.“ Unwillkürlich musste Faren schmunzeln. „Glücklicherweise stört es mich nicht, Dinge zu tun, die eigentlich unmöglich sind~. Ich bin ein … Vermöglicher.“ Während Cathan leise lachte, runzelte Jii über diese Worte seine Stirn. „Das Ausdenken von Fantasieworten hilft dir aber nicht dabei. Du solltest dich wirklich darauf konzentrieren, dass du deine Fähigkeiten schulst und dich vernünftig einschätzen lernst.“ „Das kriege ich auch schon hin“, meinte Faren. Er blickte wieder auf das kaum zu sehende Bild, stellte sich vor, wie viele Welten Kieran wohl haben mochte und was alles dagegen auszurichten wäre. Für einen kurzen Moment sah er seinen Freund dabei vor sich, mit dem verschlossenen, ernsten Gesicht und dem entschiedenen Funkeln in den Augen, die gleichzeitig still um Hilfe baten. Er würde derjenige sein, der alles tat, um Kieran endlich wieder bei sich zu haben und sicherzustellen, dass es ihm gut ging, egal welches Opfer dafür von ihm gefordert wurde. Er würde derjenige sein, der einen Jäger vor sich selbst rettete. Er würde derjenige sein, der das Unmögliche möglich machte – und das einzig und allein für die Person, die er liebte. Nicht in einer Millionen Jahre würde er das bereuen, davon war er vollkommen überzeugt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)