Dunkelstes Reich von Flordelis ================================================================================ Erste Welt der Zuflucht – War es wirklich das, was du wolltest? --------------------------------------------------------------- Faren wusste, dass mit einigem zu rechnen gewesen war. Zuflüchte waren stets auf den Dämon zugeschnitten, der in ihnen lebte, deswegen glichen sie einander nicht, sondern konnten jeweils ein vollkommen individuelles Aussehen annehmen. Als er gemeinsam mit Cathan, Kierans Vater, eine solche Zuflucht besucht hatte – wenn auch nur für wenige Minuten, weil der Dämon sie überraschend früh registrieren konnte – waren sie an einem Strand gewesen. Unzählige Meilen weit nur glitzernder Sand unter ihren Füßen, ein strahlend blauer Himmel, der mit Ölfarbe gemalt zu sein schien und glänzendes Wasser, das nach wenigen Metern gebröckelt war, als hätte an dem Punkt jemand die Lust verloren, das Meer zu malen oder ihm wäre die Farbe ausgegangen. Alles in allem war die Atmosphäre bis zum Eintreffen des Dämons friedlich gewesen. Aber Kierans Zuflucht war anders. Faren schritt durch die Ruinen einer Stadt, die aussah, als wäre ein Luftangriff im Krieg erfolgreich gewesen. Die riesigen Gebäude waren zerstört, ausgebrannt, teilweise in sich zusammengefallen, manchmal lagen die Trümmerstücke direkt vor ihm auf der Straße und erforderten von ihm, dass er einen Umweg nahm, um voranzukommen. Der Himmel glühte in einem bedrohlichen Rot, so dass Faren unweigerlich den Eindruck bekam, dass irgendwo noch ein Feuer brannte und niemand kam, um es zu löschen. Vier silbern leuchtende Ringe, in denen sich magische Symbole, deren Bedeutung er nicht kannte, befanden, rotierten in gleichförmigen, ruhigen Bewegungen, am Himmel um sich selbst. Zusätzlich wurde die Atmosphäre noch dadurch verstärkt, dass vollkommene Stille herrschte. Kein Laut, abgesehen von seinen eigenen Schritten, war zu hören, nicht einmal das Knistern eines möglicherweise vorhandenen Feuers. Außer ihm befand sich hier auch sonst niemand, aber dennoch wurde er das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Möglicherweise sogar von Kieran selbst. „Stille, huh?“, fragte er murmelnd und verscheuchte diese damit vorerst. „War es wirklich das, was du wolltest?“ Faren musste zugeben, dass er ihm diese nie gegönnt hatte. Wann immer er mit Kieran zusammen gewesen war, hatte er entweder geredet oder zumindest das Radio laufen lassen. Alles andere war ihm einfach zu bedrückend vorgekommen und besonders nach den ersten Wochen hatte er sich gewünscht, dass Kieran gern mit ihm unterwegs war. Hatte es ihn möglicherweise doch eher genervt, statt entspannt? Unsinn!, schalt er sich sofort. Hätte es ihn so sehr gestört, wäre das bestimmt mal von ihm gesagt worden. Er hatte nie ein Problem damit, sich über mich zu beschweren. Und es wäre nie so weit gekommen, dass Kieran Gefühle für ihn entwickelte. Aber darüber wollte er im Moment nicht nachdenken, aus Furcht, dann nachlässig zu werden. Also schob er den Gedanken innerlich weit von sich und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Gerade noch rechtzeitig, denn plötzlich konnte er ein weiteres Geräusch hören. Rasch versteckte er sich hinter einem ausgebrannten Auto – das dem seiner Mutter erschreckend ähnlich sah – und lugte vorsichtig dahinter hervor. Er lauschte dem Tappsen, das ihn in schauderhafter Weise an so manches Videospiel erinnerte, allerdings war es nie ein gutes Zeichen, wenn in einer solch finsteren Umgebung ein so geradezu niedliches Geräusch hörbar war. Schließlich trat der Verursacher in sein Blickfeld, worauf er am liebsten geseufzt hätte und nur darauf verzichtete, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Wie er befürchtet hatte, handelte es sich um eine kleine Stoffpuppe, die sich von allein bewegte und bei jedem hüpfenden Schritt dieses seltsame Geräusch verursachte. Hin und wieder gab sie ein leises Quietschen von sich, das wohl an eine Sprache erinnern sollte. Aber es erschreckte ihn wesentlich mehr, dass sie ein wenig an Kierans Mutter, Granya, erinnerte. Gut, das lange schwarze Haar war nicht so eindeutig, es gab viele Frauen mit solchem, die grau-blauen Knopfaugen waren auch nicht der beste Indikator, genausowenig wie das blaue Kleid. Aber sie war von einem Gefühl umgeben, das an Granya erinnern sollte, dessen war Faren sich absolut sicher. Genauso war er sich aber auch sicher, dass er nicht von ihr gesehen werden durfte und es intelligenter wäre, ihr einfach auszuweichen, was er auch sofort tat. Während sie der Straße weiter folgte, begab er sich in eine Seitengasse, in der, dicht an dicht, Müllcontainer standen. Es war nicht abzusehen, ob sich dazwischen nicht doch jemand verborgen hielt oder vielleicht sogar darunter, nur darauf wartend, hervorstürzen und ihn fressen zu können. Aber ihm blieb keine andere Möglichkeit, als direkt hindurchzugehen. „Komm schon, Faren“, murmelte er, um sich selbst Mut zuzusprechen. „Das schaffst du.“ Im letzten Jahr hatte er wesentlich schlimmere Dinge mitgemacht, wie er sich erinnerte, und womit er es endlich schaffte, den ersten Schritt zu wagen. Kaum war dies geschehen, lief er problemlos immer weiter, vorbei an den Containern, neben denen sich nichts befand, unter denen nichts hervorbrach, um nach ihm zu greifen. Natürlich nicht. Ich wurde noch nicht bemerkt. Oder noch nicht als Bedrohung wahrgenommen. Möglicherweise war Kieran nicht darauf erpicht, ihm zu schaden, was er nur hoffen konnte und worauf er im Moment auch am meisten vertraute. Dennoch atmete er erleichtert auf, als er endlich aus der Gasse treten konnte – nur um gleich irritiert innezuhalten, als er hinter sich ein leises Kratzen hören konnte. Nur widerwillig wandte er den Blick wieder in die Gasse zurück, dabei wollte er eigentlich gar nicht wissen, was sich dort befinden könnte – und außerdem drängte die Zeit. Aber er konnte nicht anders, als wie hypnotisiert auf den ersten linken Container zu starren, dessen Deckel vorsichtig von etwas aus dem Inneren angehoben wurde. Ein leises Röcheln wurde hörbar, dann schob sich eine massiv aussehende Männerhand durch die entstandene Lücke und der Anblick beschleunigte Farens Herzschlag sofort um ein Vielfaches. „D-das ist nicht wahr“, hauchte er schockiert. „Das kann nicht wahr sein!“ Egal wie lange es bereits her war, wie sehr Faren es zu verdrängen versuchte und auch wie stark die Euphorie in seinem Inneren war – wenngleich sie gerade ohnehin nicht mehr allzu stark war, zugegeben – er erkannte diese Hand sofort und wenn es nur wegen dem schweren Goldring war, der ihm bei so vielen Gelegenheiten, ein ums andere Mal, Narben und Schmerzen beschert hatte. Sein gesamter Körper verkrampfte sich bei diesem Anblick, er war nun nicht einmal mehr ein Sandkorn, er war schlagartig zu weniger als nichts geworden, diesem Etwas hilflos ausgeliefert. Doch im selben Moment, in dem ihn diese Erkenntnis ereilte, wurde der Deckel wieder zugeschlagen, die Gestalt im Inneren des Containers gab einen gellenden Schrei von sich, die Hand wurde abgetrennt – und löste sich in Asche auf. Wortlos konnte Faren nur auf diese Flocken hinabsehen, während diese zur Erde regneten, und sein Herzschlag sich beruhigte, dabei gleichzeitig bemüht war, die Euphorie wieder durch seinen Körper strömen zu lassen. Er glaubte, ein leises, amüsiertes Lachen zu hören, das tatsächlich klang, als käme es von Kieran und das wiederum ein gänzlich anderes Gefühl in ihm freisetzte. Wütend, voller Hass gar, trat er gegen den Container, ignorierte das dabei entstehende laute Geräusch, das er eigentlich zu vermeiden versuchte, und fuhr dann herum, verlieh seinem Zorn auch mit Worten Ausdruck: „Fuck! Das ist nicht komisch, Kieran!“ Natürlich erklang keine Antwort darauf. Was immer da gelacht und dabei so geklungen hatte wie Kieran, war in Wirklichkeit gar nicht er. Der Kieran, den er kannte, den er liebte, würde sich niemals einen so finsteren Scherz mit ihm erlauben oder gar Freude dabei empfinden, einen Menschen zu verletzen. „Du hast es mir selbst gesagt“, murmelte Faren, um sich davon wieder selbst zu überzeugen. „Du könntest nicht einmal zulassen, dass einem Mörder etwas geschieht.“ Kaum hatte er das gesagt, sah er erneut Kierans bedrücktes Gesicht in jenem Moment vor sich. Das gab ihm wieder die Zuversicht, seine Schultern zu straffen und den Weg fortzusetzen, diesmal ohne noch einmal ein Kratzgeräusch zu hören oder sich auch nur einfach so umzudrehen. Er war dieser neuen Straße, die zu einem zerstörten Wohngebiet gehörte, nur wenige Meter gefolgt, bis er schließlich ein Haus fand, das noch stand. Es war ein einfaches, kleines Haus, mit zwei Stockwerken und großen Fenstern zu beiden Seiten der massiv aussehenden Eingangstür. Er ging an dem Briefkasten vorbei, auf dem jemand mit Kreide Song for the fallen quer über den Namen Lane geschrieben hatte. Cathan hatte ihn bereits darauf vorbereitet, dass es durchaus möglich war, dass Kieran Rätsel stellen könnte, dass es tatsächlich Lazarus-Dämonen gab, die das taten, aber eine Begründung dafür kannte er nicht. Die kannte niemand, wie Jii, der Leiter dieses Experiments, ihm erklärt hatte. Dafür waren die Lazarus-Dämonen einfach noch nicht ausgiebig genug erforscht. Auf der Haustür war ein solch magischer Ring, wie einer von jenen, die am Himmel standen, abgebildet. Dieser bewegte sich nicht, aber er glühte in regelmäßigen Abständen mal stärker, mal schwächer, als imitiere er einen Herzschlag. Das in der Mitte befindliche Zeichen kannte Faren dennoch nicht, aber es besaß entfernte Ähnlichkeit mit einer Musiknote und musste daher im Zusammenhang mit dem stehen, was auf den Briefkasten geschrieben war. Entgegen aller Hoffnung drückte er gegen die Tür, rüttelte am Knauf, aber natürlich kam er nicht hinein, es war verschlossen. Selbst als er eine Hand auf das Zeichen legte, geschah nichts. Er bekam keine Erleuchtung, was zu tun war, verstand auch nicht plötzlich, was es zu bedeuten hatte – und die Zeit tickte unaufhörlich weiter. Frustriert raufte er sich das Haar. Mann, Kieran! Warum musst du es mir so schwer machen? Okay, ganz ruhig. Beruhige dich, Faren. Er atmete tief durch, konzentrierte sich darauf, seinen Herzschlag wieder zu normalisieren und betrachtete die Tür dann noch einmal genauer. Nun erkannte er, dass das Schlüsselloch keinesfalls für einen gewöhnlichen Hausschlüssel geeignet war. Stattdessen sah es aus, als müsse etwas wesentlich Kleineres und gleichzeitig Groberes, da hinein. Eine Art Aufziehschlüssel, vielleicht? Aber wo soll ich den herbekommen? Als würde jemand ihm eine Antwort schicken wollen – oder als wäre Kieran aufgegangen, dass es fairer wäre, noch einen Hinweis zu geben – erklang plötzlich wieder dieses seltsame Tappsen hinter ihm. Diesmal versteckte er sich nicht, da es auch keinerlei Versteck in der Nähe gab, sondern wandte sich einfach wieder in Richtung der Straße. Dort hüpfte erneut eine der Puppen vorbei, die ihn gar nicht beachtete und stattdessen zielstrebig dem Weg folgte, als müsse sie an einen ganz bestimmten Ort. Das erinnerte ihn daran, dass die andere Puppe – falls es nicht doch genau dieselbe war – genauso gewirkt hatte. Vielleicht bringt sie mich ja zum Schlüssel. Um das herauszufinden, folgte Faren ihr in gebührendem Abstand und ging sicher, dass er sich stets in der Nähe eines Verstecks aufhielt, sollte die Puppe sich doch spontan entscheiden, sich einmal umzusehen. Glücklicherweise tat sie das nicht, sondern führte ihn direkt ins Stadtzentrum, das gleichzeitig der Ort zu sein schien, auf den sich die Zerstörung konzentrierte. Hier gab es nicht einmal mehr Gebäude, die noch halbwegs standen, alles war bis zur Unkenntlichkeit vernichtet, nur noch eine Ansammlung von Stein, Beton und Stahl, deren ursprünglicher Zweck nicht einmal mehr zu erahnen war. Aber zumindest war Faren dort nicht mehr allein. Er kniete sich hinter einen umgestürzten Betonpfeiler und lugte über diesen hinweg zu der freien Fläche, die wie das Innere eines Blütenkelchs wirkte, wenn man all den Schutt darum herum als geöffnete Blüte sehen wollte. Dort, auf einem Betonbrocken, saß eine Gestalt, das rechte Bein angewinkelt, den Oberkörper vornübergeneigt. Die durchtrainierte Statur und auch das kurze schwarze Haar, sowie das bisschen, das Faren von seinem markanten Gesicht sehen konnte, verrieten, dass es sich um Cathan handelte – oder nicht ganz. Diese Person war nicht von Leben erfüllt, dafür aber von einer finsteren Aura umgeben, die sogar sichtbar war. Sie waberte wie eine Flüssigkeit um ihn herum, unfähig, sich zu weit von ihm zu entfernen. Auf seinem Oberschenkel saß eine dieser Granya-Puppen und quietschte immer wieder leise, als würde sie ihn aufmuntern wollen. Auch um ihn herum waren unzählige von ihnen zu sehen, sie tanzten zu einer unhörbaren Melodie, sangen quietschend vor sich her, als gelte es, ihn von seinem Leiden abzulenken und machten es damit zumindest für Faren, der das beobachtete, nur noch schlimmer. Für einen kurzen, aber äußerst schrecklichen, Moment, befürchtete er, dass Cathan sich nicht an die Abmachung gehalten hatte und doch auf eigene Faust in Kierans Zuflucht eingedrungen war, nur um dann von diesem festgehalten und langsam getötet zu werden. Aber er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Das kann gar nicht sein. Ich habe Cathan gesehen, bevor ich zum Bahnhof aufgebrochen bin. Er kann unmöglich vor mir hierher gelangt sein. Bestimmt sitzt er immer noch mit Jii in dessen Büro und wartet auf meinen Anruf. Dieser Gedanke beruhigte ihn zwar wieder, brachte ihn aber auch nun darauf, dass es sich bei dieser Person um einen Feind handeln musste, einen äußerst machtvollen sogar, wenn er das richtig einschätzte. Es wäre wesentlich besser, ihm erst einmal aus dem Weg zu gehen, wie er fand. Also machte er einen Schritt zurück – und im selben Moment, in dem er den Widerstand unter seinem Fuß spürte, hörte er auch bereits das schmerzerfüllte Quietschen einer Puppe, das ihm durch Mark und Bein fuhr. Er wagte nicht, nach unten zu sehen, war vollkommen wie versteinert und blickte stattdessen stur geradeaus, auch wenn das keine bessere Alternative war. Die anderen Puppen hatten inzwischen aufgehört zu tanzen und sich ihm mit einem Quietschen zugewandt, um ihn nun mit statisch lächelnden Gesichtern zu mustern, während er nur spürte, wie sämtliche Farbe sein Gesicht verließ. Er hoffte, betete regelrecht darum, dass sie gleich wieder das Interesse verlieren würden. Er nahm sogar den Fuß von der Puppe herunter, worauf diese ein erleichtertes Quietschen ausstieß. Aber es zeigte sich, dass Gott ihn an diesem Ort wohl nicht erhören konnte oder wollte. Die Gesichter verzerrten sich plötzlich zu bösartigen Grimassen, von irgendwoher zückten sie alle gleichzeitig Messer, die im roten Schein des Himmels bedrohlich glühten. Großartig gemacht, Faren, schalt er sich innerlich. Du bist echt der Tollste. Auf eine stumme Einigung stürzten sich alle Puppen sofort auf ihn, womit er keine Gelegenheit mehr hatte, sich mehr für sein unvorsichtiges Verhalten zu beschimpfen. Er fuhr herum und rannte in irgendeine Richtung, doch der Weg wurde ihm schon nach wenigen Metern wieder abgeschnitten. Ein ganzer Strom an Puppen, mit funkelnden Messern in den Händen, kam bereits aus einer Seitenstraße heraus und verhinderte sein Durchkommen. Er ging leicht in die Knie und sprang mit einem einzigen Satz auf eines der Trümmerstücke, das in etwa dreimal so groß war wie er und rannte dieses dann der Länge nach entlang, in der Hoffnung, diesen Puppen damit ausweichen zu können. Doch diese Wesen folgten ihm problemlos, stießen dabei weiterhin Quietschlaute aus, in denen er die Aufforderung zu hören glaubte, ihn nicht nur zu fangen, sondern auch direkt auseinanderzuschneiden. Einige folgten dieser Aufforderung bereits, lösten sich von dem Strom, um mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf ihn zuzuschnellen. Er wich lediglich dem Blitzen der Klingen aus, aber er spürte dennoch jeden Stich, den sie ihm versetzten, jeden Schnitt, für den er nicht schnell genug war. Blut floss warm und klebrig aus den Verletzungen, ehe die Heilungskräfte einsetzen und die Wunden verschlossen, dabei stets eine weitere kostbare Sekunde seiner, ohnehin schon knapp bemessenen, Zeit raubten. Und je mehr Blut sich auf seiner Kleidung verteilte, an seiner Haut klebte, desto angriffslustiger schienen die Puppen zu werden – er zweifelte nicht daran, dass sie es wirklich schaffen könnten, ihn zu zerteilen, sofern sie nicht lockerließen. Er könnte nicht ewig rennen. Aber ich würde mich kaum gut machen, wenn ich in meine Einzelteile zerlegt bin. Also musste er etwas tun, um das zu verhindern. Als vor ihm ein weiterer Strom an Puppen erschien, sprang er erneut in die Luft – und wie gehofft folgten sie ihm. Noch in der Luft ließ er zwei Schwerter in seinen Händen erscheinen, streckte die Arme seitlich von sich und vollführte eine Drehung um sich selbst. Die Klingen zerschnitten die Puppen, die direkt in seiner Reichweite gewesen waren, lösten sie in Ascheflocken auf, die anderen wurden von dem Rückstoß des heftigen Angriffs und dem endenden Momentum wieder zu Boden geschleudert. Faren selbst blieb, umhüllt von einem sanften, blauen Leuchten, in der Schwebe, ließ die Schwerter wieder verschwinden und beschwor stattdessen zahlreiche Gewehre, die rund um ihn herum in der Luft schwebten und auf die bewegungslos daliegenden Puppen deuteten. Auf ein stummes Kommando von Faren, wurden alle Gewehre abgefeuert. Es war ein geradezu ohrenbetäubender Lärm, als sie alle einen Schuss abfeuerten und dabei gleichzeitig danach klangen, als gäbe es nur einen einzigen, weil sie vollkommen synchron waren. Er schmerzte in seinen Ohren und ließ ihn endlich verstehen, warum Dämonenjäger auf solches Geschütz verzichteten. Aber es tat seinen Dienst: Die Kugeln zerfetzten die Puppen, lösten sie alle, inklusive ihren Messern, in Asche auf, auch wenn es Faren in der Seele wehtat. Vielleicht sehen sie Granya doch ein wenig zu ähnlich. Doch statt in Gewissensbisse zu versinken, widmete seine Aufmerksamkeit sich sofort Cathan, der inzwischen den Oberkörper aufgerichtet hatte. Seine leeren, weißen Augen, betrachteten die grauen Flocken für einen Moment nur, dann legte er den Kopf in den Nacken, öffnete den Mund und stieß ein gellendes Heulen aus, das Faren für einen Moment die Konzentration nahm und ihn zu Boden stürzen ließ. Er schaffte es gerade noch, sich halbwegs abzurollen, um sich bei dem Aufprall nicht zu verletzen, dann richtete er sich bereits wieder auf. Cathan stand bereits ebenfalls und hielt die Lanze in der Hand, mit der er normalerweise kämpfte. Faren hatte das Original in den letzten Monaten oft damit umgehen sehen, aber doch wäre es ihm nun nicht möglich, diesen Kampfstil zu kontern, wenn es sein müsste. Kieran könnte das bestimmt. Er war gut darin, zu kämpfen. Dieser war allerdings nicht da, um ihm zu helfen und er würde auch nicht plötzlich auftauchen – und Cathan stürmte bereits wütend auf ihn zu. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als mit einem weiteren Sprung auszuweichen und wieder in der Luft schwebenzubleiben. Cathan machte sich sofort daran, dieses ungleiche Höhenverhältnis auszugleichen, indem er einfach Klingen, aus dem Boden herausbrechen ließ. Faren wich den Waffen sofort aus und bemerkte dann, dass Cathan sie als scharfkantige Klettermöglichkeiten nutzte, um ihn zu erreichen. Daraufhin entfernte Faren sich weiter von ihm – und schaffte es gerade noch, nicht von einem Betonbrocken getroffen zu werden. Dieser schlug dafür in ein anderes Trümmerstück ein und erzeugte dabei derart viel Staub, dass er sich hustend die Hand vor den Mund halten musste. Er war nur eine Sekunde abgelenkt – und in dieser spürte er bereits einen scharfen Schmerz, der seinen Rücken durchzuckte. Es dauerte einen kurzen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass er von Cathan gegen eine noch intakte Wand geschleudert worden war. Sie war unter ihm gebröckelt, so dass er zumindest im Moment einen sicheren Halt in ihr fand. Die Euphorie, die ihn durchströmte, verhinderte noch dazu die höllischen Schmerzen, die er im Moment durchleben müsste, die Heilungskräfte nahmen jede möglicherweise entstandene Verletzung von ihm, ehe er sie registrieren konnte. Und die Sekunden zerrannen immer weiter ... Sein Gegner stand auf einer der höchsten Klingen, das rechte Bein auf der nächsthöheren, die linke Hand in die Hüfte gestützt, sein rechter Arm, mit dem er die Lanze trug, hing schlaff an seinem Körper herab. Es war eine typische Pose, die Faren schon oft an dem richtigen Cathan gesehen hatte und bei ihm natürlich aussah – bei diesem Schatten troff sie aber vor Arroganz, dass es Faren beinahe übel wurde. Siehst du deinen Vater wirklich so, Kieran? Ist er für dich ein arroganter, gefühlloser Kämpfer, der sich nur für Granya interessiert? Cathan hob eine Hand, worauf, ähnlich wie bei ihm zuvor, nun Waffen in der Luft erschienen. Es waren unzählige Schwerter, die allesamt auf Faren gerichtet waren und nur noch auf den Befehl warteten, losstürmen zu dürfen. Obwohl es ihm nicht im Mindesten behagte, streckte Faren seine Hand aus – und im selben Moment stand auch diese Welt still, so wie jene zuvor. Die Schwerter hingen immer noch drohend in der Luft, aber Cathan bewegte sich nicht einmal mehr im Mindesten. Faren nutzte diese Gelegenheit, um sich von der Wand zu lösen, in der er steckte. Kaum war das geschehen, sackte er einige Zentimeter in die Tiefe, bevor er es schaffte, wieder zu schweben. Statt sicherzugehen, dass er nicht doch noch verletzt war – was nur weitere Zeit verschwendet hätte – ließ er wieder die Pistole erscheinen und schoss einige Energiekugeln auf den Berg aus Klingen, der als Cathans Stütze diente. Die Kugeln schlugen darin ein, aber die Explosionen hielten mittendrin inne, derart losgelöst von der einzigen Person, die sich in dieser Zeitlosigkeit weiterhin bewegen konnte. Im Anschluss begab er sich in Deckung und ließ dann die Zeit weiterlaufen. Wie er gehofft hatte, zerstörten die Explosionen den Klingenberg und ließen Cathan in die Tiefe stürzen. Die beschworenen Schwerter fielen ebenfalls, ohne die Kontrolle ihres Meisters, zu Boden. Doch dieser gab nicht so einfach auf, drehte sich im Fall – und landete tatsächlich, wie eine Katze, unverletzt auf den Füßen. Die Schwerter schlugen rund um ihn herum ein, ohne ihn auch nur anzukratzen, als ob sie genau wüssten, dass sie ihm nichts tun dürften. Wäre auch zu schön gewesen, wenn es so einfach funktioniert hätte. Cathans Blick konzentrierte sich auf Farens Versteck. Wie er wissen konnte, wo sich der Feind befand, war ihm erst ein Rätsel – aber dann fiel ihm auf, dass er möglicherweise eine stark spürbare Aura ausstrahlte, die von einem so erprobten Feind einfach registriert werden musste. Die Klingen begannen zu rütteln, sich zu bewegen und lösten sich plötzlich, wie von Geisterhand geführt, um direkt auf Faren zuzusteuern. Diesem blieb nicht viel Zeit zu überlegen, also tat er das, was für ihn selbst am Naheliegendsten war – und verließ sein Versteck wieder. Die ersten Klingen trafen auf den Betonblock, zerfetzten ihn regelrecht, die nächsten folgten dann wieder seinen Bewegungen, scheiterten aber an den Schwertern, die er beschwor, um die angreifenden Waffen abzuwehren. Mit Bewegungen, denen kein normaler Mensch jemals hätte mit den Augen folgen können, schaffte er es, kein fremdes Schwert nah genug an sich heranzulassen, um ihn überhaupt gefährlich werden zu können. Dass er das allerdings nicht ewig würde durchhalten können, merkte er schon nach wenigen Sekunden, als seine Gelenke regelrecht zu ächzen begannen und er trotz der Euphorie von Schmerzen durchzuckt wurde. Er musste es schnell beenden, ihm blieb keine Wahl mehr. Also brachte er sich mit einem Sprung erst einmal außerhalb der Flugbahn der Schwerter. Bevor sie diese korrigieren konnten, stieß er sich in der Luft bereits von einem Bannfeld ab, das nur für ihn für den Bruchteil einer Sekunde existierte, und katapultierte sich damit in Cathans Richtung. Sein Gegner wollte wohl aber nicht untätig auf ihn warten, er streckte einfach die Hand in seine Richtung – und im nächsten Moment hörte Faren bereits ein Kreischen, in einem derart hohen Ton, dass er für einen Augenblick glaubte, taub werden zu müssen. In seiner Konzentration unterbrochen, landete er auf dem Boden, ließ seine eigenen Waffen verschwinden und presste sich beide Hände auf die Ohren, um den Ton draußen zu halten, aber es funktionierte nicht. Er hallte in seinem Inneren wider, erzeugte geradezu ein ganzes Orchester an verstimmten Instrumenten, die ihn dafür anklagten, überhaupt hierher gekommen zu sein. Sein ganzer Kopf schien zu brennen. Noch nie hatte er sich so sehr gewünscht, sein Gehirn einfach ausschalten zu können, wie in diesem Moment. Selbst nachdem Cathan die Hand wieder sinken gelassen hatte, hielt das Geräusch noch an, zwang ihn in die Knie und band ihn an Ort und Stelle. Sein Feind kam auf ihn zu und er wusste, dass er sich verteidigen oder zumindest fliehen müsste, aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Er konnte nur, durch einen Schleier von Tränen, beobachten, wie Cathan auf ihn zugelaufen kam, mit langsamen, siegessicheren Schritten, er war ganz offensichtlich überzeugt, dass sein Feind ihm nicht mehr würde entkommen können. Eigentlich wollte Faren ihm das Gegenteil beweisen. Eigentlich wollte er, egal was für eine schlechte Idee es auch war, noch einmal die Zeit anhalten. Eigentlich wollte er diesen Kampf gewinnen, um seinem richtigen Ziel näherzukommen. Aber er schaffte es einfach nicht, auch nur einen Muskel zu rühren. Und die Sekunden verstrichen immer weiter, während er untätig war … Das kann nicht sein!, sagte er sich, versuchte, das Kreischen mit seiner eigenen Stimme zumindest in Gedanken zu übertönen. Aber erfolglos. Ich kann hier nicht verlieren! Wer soll Kieran retten, wenn ich hier sterbe?! Und plötzlich, als seine Verzweiflung ihren Höhepunkt erreichte, war da noch etwas anderes. Etwas, das es tatsächlich schaffte, diesen anklagenden Chor zu dämpfen. Es klang wie ein Seufzen, sehnsuchtsvoll, erfreut, fast schon glücklich – und direkt darauf folgte eine Stimme: „Faren ...“ Der Klang von Kierans Stimme überdeckte das Kreischen, verdammte es an einen weit entfernten Ort, wo es schließlich zum Schweigen kam. Diese Klangfarbe, die selbst bei nur einem Wort eine wundervolle Melodie zu spielen schien, erfüllte Faren wieder mit Hoffnung, gab ihm die Kontrolle über seinen Körper zurück – und erlaubte ihm damit, Cathans Lanze auszuweichen. Die Klinge zerteilte den Boden dort, wo er eben noch gekniet hatte. Sein Gegner blickte scheinbar verwirrt und dennoch emotionslos auf den leeren Platz, wo eigentlich eine Leiche liegen sollte und hob dann den Kopf, um ihn anzusehen. Faren wischte sich gerade noch die Tränen aus den Augen, er schmunzelte dabei. „So leicht machst du mich nicht fertig. Du bist nicht mal halb so gut wie das Original.“ Cathan zog die Brauen zusammen – offenbar konnte er tatsächlich wütend werden, wenn man ihn reizte. Im nächsten Moment schoss bereits Wasser aus dem Boden, formte einen Kreis um ihn, nur um dann direkt zu Eis zu erstarren und ihn damit gefangenzuhalten. Als Antwort darauf beschwor Faren ein Schwert, dessen Klinge sich erhitzte und dann das zentimeterdicke Eis zerteilte, als wäre es nicht viel mehr als Butter. Gerade als er die Säule verließ, schoss ein Strom von Magma aus dem Boden hervor. Das Eis schmolz wieder – aber von ihm wäre in diesem Moment schon nicht viel mehr als Asche übrig gewesen, hätte er sich noch in der Säule befunden. Die Zeit lief immer weiter, stets gegen Faren, weswegen dieser beschloss, dass es unsinnig war, sich noch mehr Tricks von Cathan anzusehen. Seine Augen suchten nach dem Feind und fanden ihn schließlich auf einem erhöhten Schutthaufen, von wo aus er auf Faren hinuntersah. „Es wird Zeit, dass wir das beenden“, sagte dieser. „Ich muss noch Kieran retten.“ Er glaubte, wahrnehmen zu können, wie Cathan nickte und erhob sich mit einem Sprung bereits wieder in die Luft. Sein Gegner kam ihm bereits ungeduldig entgegen, indem er sich in die Tiefe stürzte. Als sie sich auf derselben Höhe befanden, war es Faren für einen kurzen Moment möglich, dem anderen direkt in die weißen Augen zu sehen. Aber darin war nichts, kein Mitgefühl, keine Sorge, nicht einmal Hass – und das war es, was ihn nicht zögern ließ, ihm das Schwert in die Brust zu rammen. Eine Bewegung, die viel zu einfach ging, die Klinge glitt, für Farens Geschmack, viel zu leicht durch den Brustkorb seines Feindes, noch mehr als zuvor durch das Eis. Cathan gab ein ersticktes Röcheln von sich, das frei von jedem Schmerz schien. Faren ließ das Schwert los und beobachtete dann, wie der Besiegte zu Boden stürzte – und sich dort in unzählige Aschenflocken auflöste, zwischen denen etwas zu glitzern schien. Warum hat er die Lanze nicht benutzt?, fuhr es Faren allerdings stattdessen durch den Kopf. Er hätte mich ganz einfach besiegen können. Wieder kam ihm Kierans Stimme von zuvor in den Sinn und wie sie ihm geholfen hatte. Vielleicht war es ihm auch möglich gewesen, Cathan zu beeinflussen. Aber im Moment blieb ihm keine Zeit, das weiter zu verfolgen. Geschmeidig landete er zwischen den nutzlos gewordenen Klingen auf dem Boden und ging neben dem glitzernden Gegenstand in die Knie. Bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es sich dabei um einen Drehschlüssel handelte – und natürlich wusste er sofort, wo er diesen einsetzen musste. Also kehrte er, nach einem letzten, bedauernden Blick – Ich werde Cathan wiedersehen, wenn das alles vorbei ist, ganz sicher, und dann werden wir hierüber nur lachen – zum Haus zurück, ohne einer weiteren Puppe zu begegnen, steckte den Drehschlüssel in das Loch und drehte ihn so oft, wie es ihm möglich war. Kaum hatte er ihn nach der letzten Umdrehung wieder losgelassen, erklang aus dem Inneren des Hauses eine Melodie. Sie war beruhigend, erinnerte an ein Schlaflied – und als gleich danach Granyas sanfte Stimme einsetzte und auch die passenden Worte dazu sangen, fühlte Faren sich darin bestätigt, obwohl er den genauen Text nicht einmal verstand. Er wirkte zerstückelt, als erinnere sich Kieran gar nicht mehr wirklich daran, versuchte aber, die Fetzen zu etwas Sinnvollem zusammenzufügen. Aber zumindest erfüllte es den Zweck, den Faren sich erhofft hatte: Das Zeichen auf der Tür löste sich in Funken auf, die von dem Holz emporschwebten, mit einem Klicken öffnete sich das Schloss und hieß seinen Besucher willkommen. Faren atmete noch einmal tief durch, wagte aber immer noch nicht, sich umzusehen, aus Furcht, irgendwo wieder etwas zu entdecken, das er eigentlich nicht sehen wollte. Dann ergriff er den Knauf und öffnete die Tür, um einzutreten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)