Doors of my Mind 2.0 von Karo_del_Green (Ihr Freund. Mein Geheimnis) ================================================================================ Kapitel 1: …öffnet sich eine andere Tür --------------------------------------- Doors of my Mind 2.0 - Ihr Freund. Mein Geheimnis Kapitel 1 …öffnet sich eine andere Tür Ich höre das sanfte Kratzen von Graphit auf Papier. Es ist gleichmäßig und monoton. Beruhigend und zugleich nervenzerreißend. Ich vernehme das zarte Knistern der bröckelnden Graphitsplitter, die über die raue Oberfläche streichen. Ich mal mir die schnellen und eindeutigen Bewegungen aus, die die Spitze über das weiße Papier vollführt. Es klingt, wie das Füllen mit einer Schraffur. Formen, Figuren und Muster. Ungestüm sind die Bewegungen und ich ersinne, was sie definieren. Vielleicht ist es der feine Schwung einer Rundung, so unendlich weit und grenzenlos. Eleganz in vollendeter Form. Oder vielleicht die grade Vollkommenheit eines Winkels mit der perfekten Harmonie eines punktuellen Moments. Ich sehe, wie die Linien ineinander verschmelzen und fantastische Formen bilden. Sie erschaffen Fläche und Konturen. Sie sind Abstrakt und zu gleich offenbaren sie Reinheit und Funktionalität. Ein leiser Seufzer perlt von meinen Lippen und ich höre das Rollen eines Stiftes, der am Ende splitternd zu Boden fällt. Das Geräusch des Aufschlags hallt lautstark durch meine Gehörgänge und in Zeitlupe sehe ich ihn fallen. Das Auftippen der Spitze. Graphit splittert. Die schlanke Gestalt des sechskantigen Holzes erzittert in der Luft. Der Stift neigt sich zur anderen Seite und prallt leise auf dem stumpfen Ende des Radiergummis ab. Wieder und wieder das wechselhafte Spiel, bis er still liegen bleibt. Plötzlich rollt er auf mich zu. Ich schrecke auf und sehe mit rasendem Herzen auf. Ein kurzes, ersticktes Geräusch perlt von meinen Lippen und mein Vordermann dreht sich zu mir um. Seine Augenfarbe kann ich in der Dunkelheit des Hörsaals nicht definieren, aber das genervte Funkeln sehe ich deutlich. Ich presse meinen Mund zusammen und schaue ihn entschuldigend an. Vielleicht habe ich geschnarcht? Ich sehe mich kurz um, aber keiner der anderen Studenten ist auf mich aufmerksam geworden. Mit der Hand fahre ich mir durch die zerzausten Haare und ich schaue auf meine mehr als dürftigen Mitschriften. Die Müdigkeit zerrt an meinen Nerven, denn ich habe gestern Abend zu lange in meinem Lehrbuch geblättert. Behalten habe ich auch nichts. Also in zweierlei Hinsicht ein klarer Fehlschlag. Als ich wieder aufschaue, sehen mich diesmal wirklich einige der anderen Studenten an und als ich zur Leinwand gucke, blicke ich direkt in das strenge Gesicht meines Professors. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie still es mit einem Mal geworden ist. „Herr Dima, wären sie so freundlich uns zu erläutern, was der Aspekt der formalen Schlüssigkeit ist.“ Ich fühle mich erwischt und überrumpelt. Außerdem ist es mir ein Rätsel, warum sich wirklich jeder sofort meinen Namen merkt. Ein Fluch und ein Segen. Im Moment lähmender Fluch. „Ähm, ja. Also, im Prinzip sagt das nur aus, dass man an dem Produkt selbsterklärend erkennen muss, wofür man es verwendet“, stottere ich zusammen und sehen mit Erleichterung, wie der Professor zustimmend nickt. Ich atme aus. Doch was behalten. Ich sacke sachte in mich zusammen und schließe beruhigt die Augen. „Ich hoffe, dass ich nun ihre Aufmerksamkeit zurückerlangt habe.“ Warnend. Schlagartig sind meine Augen wieder offen. „Sir, Sie hatte sie ja nie verloren!“, kontere ich und ignoriere die Blicke der anderen Studenten. Er schmunzelt, wirft eine allgemeingültige Definition an die Leinwand und setzt seine Erläuterung fort. Ich suche nach meinem Stift. Erst nach einer Weile kapiere ich, dass er runtergefallen ist und versuche mich an dem ausgeklappten Tisch vorbeizuschieben. Ich gebe auf, als ich mir zum dritten Mal die Rippen stoße. In meiner Tasche finde ich einen Kugelschreiber und beginne, mit der Spitze auf meinem Papier herum zu tippen. Ich beende meine Grundlagenvorlesung zum Thema Gestaltungsprozesse mit einem beschämenden Gefühl in der Brust und bin heilfroh, dass mich im Flur niemand auf meinen Fauxpas anspricht. Die ersten Wochen meines Studiums für Produkt- und Industriedesign sind mittlerweile vergangen und ich schlafe bereits jetzt während der Vorlesungen ein. Traumhaft, hallt es sarkastisch durch meinen Kopf. Aber nur ein Symptom einer ganzen Reihe von Unwegsamkeiten, die mich hierhergebracht haben. Ich habe eine Weile gebraucht um mich für diesen Weg zu entscheiden, denn obwohl ich lange felsenfest davon überzeugt war nichts anderes studieren zu wollen, gab es nun etwas, was mich abhielt. Raphael. Mein schlimmstes und schönstes Problem studiert ebenfalls hier. Der Mann, den ich seit Jahren begehre und der Freund meiner kleinen Schwester. Vor 5 Monaten erhielt Raphael durch ein Stipendium die Möglichkeit an einem College in Kalifornien zu studieren. Er entschied zugehen und ließ mich mit allerhand Fragen und seltsamen Gefühlen zurück. Trotz seiner Freundin waren wir uns nähergekommen, tauschten Berührungen und Küsse aus. Es waren die zurückhaltenden und unsicheren Berührungen eines durcheinandergebrachten Mannes. Doch sie weckten Hoffnungen in mir, die ich als Gespinst und Leichtsinn abgetan habe. Ich bin die Fantasie, die er nur hinter verschlossener Tür gefrönt. Heimlich und ungreifbar. So wie auch Raphael für mich immer weit entfernt schien. Wahrscheinlich sind seine Gefühle für mich der Ausdruck einer sonderbaren Ausnahme, die sich im Grunde für ihn nicht erklären lässt. Es sind Gefühle und Empfindungen, die einer Erklärung bedurften, die er mir damals nicht geben konnte und nicht geben wollte. Als Konsequenz dieser Verirrungen erfolgte seine Flucht. Die Entfernung war ein kurzer Moment des Aufatmens. Doch nach nur wenigen Tagen schlugen meine Gefühle zurück, wie ein achtlos geworfener Boomerang. Meine Finger streichen über die schmale Kette um meinen Hals und ich berühre den Anhänger, der unter meinem Shirt verborgen liegt. Raphaels letztes und verwirrendes Geschenk an mich. Ich sah sie zum ersten Mal um seinem eigenen Hals. Feingliedrig und filigran. Ein schmaler, silberner Anhänger, in dem ein Datum eingraviert war, welches ich zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht zu ordnen konnte. Ein Tag und ein Monat. Ein wunderschöner, warmer Tag im Herbst. Bevor er ging, ließ er noch eine Jahreszahl hinzufügen und sorgte dafür, dass ich sie erhielt. Das vollständige Datum machte mir deutlich, dass er den Tag unseres ersten Zusammentreffens um seinen Hals trug und entfachte meine mühsam niedergerungen Gefühle erneut. Diese Geste öffnete eine Tür, die ich für geschlossen hielt. Nur einen Spalt. Ich habe Raphael vergessen wollen. Die Gefühle für ihn verdrängen wollen, doch ich schaffe es nicht. Immer wieder schleicht er sich in meine Gedanken und in meine Träume. Ich rede mir ein, dass die Entscheidungen, auf dieselbe Uni zugehen wie er, der Weg des geringsten Widerstandes ist und nichts mit seinem Hoffnung schürenden Geschenk zu tun hat. Schließlich kenne ich die Uni. Meine Familie und meine Freunde leben hier in der Nähe und gerade diese brauche ich in der letzten Zeit besonders. Außerdem habe ich jahrelang nichts anderes gewollt als Produktdesign zu studieren. Meine erste Erfahrung war die Neuinterpretation von Eierbecher. Mein Lehrer fand es sehr belustigend. Welche Rolle Raphael in der Scheinheiligkeit meiner Begründung spielt, ist mir selbst nicht ganz klar. Er ist fort, aber egal wo ich bin, er ist gefühlt immer da. Auch wenn ich versuche ihn zu vergessen, gelingt es mir nicht, weil meine Schwester ständig und zu jeder Zeit über ihn spricht. Zu Beginn hörte ich ihre Telefonate, sah ihre Briefe und sie rissen mir mit jedem Wort die Wunden weiter auf. Oft bin ich einfach aufgestanden und verließ den Raum, trotz Mayas fragenden und manchmal verdächtigen Blick. Vielleicht auch deswegen. Seither gehe ich ihr mehr oder weniger aus dem Weg. Zum einen, um das Gespräch über Raphael zu vermeiden und zum anderen um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass ihr ein dummer Kommentar über meine Homosexualität herausrutscht. Sie ist die Einzige aus meiner Familie, die darüber Bescheid weiß und diejenige, die es hätte am besten nie erfahren sollen. Aus einem inneren Bedürfnis heraus, bin ich, trotz des Widerstandes meiner Eltern, ausgezogen und in einer kuscheligen 1-Raum-Wohnung untergekommen. Meine Art des Abstands. Meine Art der Flucht. Es reicht mir. Vorerst. Nach der Vorlesung bleibe ich unschlüssig und ziellos vor dem Hörsaal stehen. Ich ziehe den Rucksack von meinem Rücken nach vorn, vor meine Brust und krame nach meinem Telefon. Ich kann es nicht finden und hocke mich hin, schiebe Zettel und Stifte hin und her. Himmlisch, wo kann es sein? Aus dem Augenwinkel heraus bemerke ich eine Bewegung, die unaufhaltsam näherkommt. Doch anstatt neben mir stoppen, reißt das Etwas mich zu Boden. Ich ächze und stöhne auf, als der angelaufene Kerl quer über mir liegen bleibt. Ein helles Lachen ertönt und es braucht ein weiteres lautes Ächzen, bis er sich endlich aufsetzt. „Du bietest keine komfortable Pufferzone!“, witzelt er kehlig lachend. „Ich fungiere normalerweise auch nicht als Airbag. Schon mal was von Bremsen gehört?“, motze ich angesäuert und verteile Polierstaub auf meinen Knien. Paul richtet sich auf und hilft mir wieder zurück auf die Beine. Seine blonden Wuschelhaare umrahmen sein bebrilltes Gesicht. Er grinst breit und schiebt sich die verrutschte Brille zurück auf seine Nase. „Entschuldige bitte, aber ich bin gestolpert.“, erläutert er mit einem nasalen und übergenervten Tonfall. Ich hebe amüsiert meine linke Augenbraue und sehe auf seine Schuhe. An beiden Seiten sind die Schnürsenkel geöffnet. „Ja, kein Wunder. Anscheinend hast du den Kindergarten geschwänzt, als man dir das Schnürsenkelbinden beibringen wollte“, sage ich und deute auf seine Füße. Sein Blick folgt meinem Finger. „Ich habe bestimmt vergessen hinzugehen. Ich war damals schon soo busy und hatte schon immer die Aufmerksamkeitsspanne eines Maikäfers. Oh, du hast Kekse.“ Er grinst und ich lache. Paul und ich haben uns an einem schönen, sonnigen Sonntag auf dem Uni-Campus kennengelernt. Ich war frustriert und verkatert und Paul, wie er mir später mitteilte, war notgeil und voller Zucker. Tolle Kombination, wie wir mittlerweile herausgefunden haben. Damals hatte ich noch nicht hier studiert. Mittlerweile sehen wir uns jeden Tag. Er beugt sich runter, stopft die Enden seine Schnürsenkel nur in die Seiten der Schuhe und sieht wieder auf. Ich hebe eine Braue und stelle mir vor, dass er beim nächsten Mal eine alte Frau umrennt und ihr damit alle Knochen bricht. Entsetzlich. Mich schockieren der Gedanke und die Tatsache, dass es mich irgendwie belustigt. „Morgen bei mir, dann gebe ich dir einen Exkurs, in 'Schuhschleifen für Anfänger- Wie binde ich mir die Schuhe selbst'. Ich mach es auch kurz und knapp, versprochen“, kommentiere ich. „Steht, aber erstmal, heute Abend 20 Uhr in der Te-Club. Und bring die indische Göttin mit.“ Damit sieht er auf die Uhr und rennt weiter. Ich sehe nur noch, wie seine Hand winkend nach oben geht und schlucke meine Fragen herunter. Das macht er ständig. Anweisungen geben, ohne auch nur einen Grund anzudeuten oder ein Thema zu benennen. Ich denke an Shari, meiner besten Freundin und der eben angesprochenen indischen Göttin. Sie sitzt mit Sicherheit brav in irgendeiner ihrer Vorlesungen und nickt eifrig. Sie hat viel Freude daran in den staubigen, alten Hörsälen sitzen. Ich schüttle kurz den Kopf und krame erneut nach meinem Handy. Diesmal finde ich es und entdecke auch, die von Paul angesprochenen Kekse. Mein Tag ist gerettet. Das Display zeigt mir zwei entgangene Anrufe von meiner Mutter. Ich beschließe sie zu ignorieren. Im selben Moment meiner naiven Rebellion klingelt mein Telefon. Anscheinend kann meine Mutter seit neusten auch Hellsehen. Ich seufze und gehe ran. „Hey Mama!“ Meine Stimme ist gewürzt mit verspieltem Übermut. „Na, bekomme ich dich endlich ans Telefon, Schatz.“ Sie klingt erfreut und verärgert zu gleich. „Ja, weißt du, die Professoren mögen es nicht, wenn man während der Vorlesung telefoniert, aber ich sage ihnen beim nächsten Mal einfach, dass ich rangehen muss, weil es meine Mama ist. Das hören die bestimmt gern und sicher nicht zum ersten Mal. Allerdings werde ich dann die Uni wechseln müssen, wenn du verstehst.“ „Scherzkeks. Ich wollte dich nur darauf aufmerksam machen, dass du mich ruhig zurückrufen kannst.“ „Stell dir vor, dass hätte ich durchaus getan, wenn ich die Zeit dazu habe.“ Sie weiß, dass ich nicht lüge und dennoch versteht sie nicht, warum ich nicht sofort zurückrufe. Welcher Kerl in meinem Alter macht das auch? Trotzdem gestehe ich mir ein, dass ich es immer vor mich herschiebe. Unbewusst natürlich. Ich höre sie theatralisch seufzen. Ihr Versuch, mir damit ein schlechtes Gewissen zu machen, fruchtet. „Wie geht es euch?“, frage ich mitfühlend und interessiert. „Dein Vater hat ein wenig Stress auf Arbeit, aber ansonsten ist alles gut. Ich versuche seit Tagen meinen Sohn zu erreichen, aber was soll ich sagen, die Jugend!“, plaudert sie euphorisch. Bei ihrem kurzen, aber amüsanten Vorwurf, seufze ich theatralisch um ihren Vermerk zur Kenntnis zu nehmen. „Tante Elli ist Sonntag zu Besuch und ich wollte fragen, ob du auch vorbeikommst. Nur ein wenig Kaffee und Kuchen.“ Ich fahre mir ermattet durch die Haare und atme leise tief ein. „Diesen Sonntag?“, frage ich vorsichtig. „Ja, Mark, ich meine nicht den Sonntag in 4 Wochen.“ Ich grinse blöd. „Entschuldige, aber das kommt sehr plötzlich.“ „Heute ist Dienstag“, sagt sie berechtigter Weise und ich sehe keine Chance mehr, mich herauszureden. Mein Terminkalender ist leider nicht so ausgebucht, wie ich es in diesem Moment gern hätte. „Außerdem haben wir Post für dich, denn anscheinend haben noch nicht alle mitbekommen, dass du ausgezogen bist“, erläutert sie vorwurfsvoll. Ich bin verwundert. Ich kriege nie Post. „Also?“ „Ja.“ Nur eine Reaktion zur Kenntlichmachung meiner Anwesenheit. Meine Mutter versteht es als Zusage. „Sehr schön. Tante Elli wird sich sehr freuen. 16 Uhr. Bitte versuche pünktlich zu sein.“, trällert sie lieblich und ich kann mir nur schwer ein weiteres Seufzen unterdrücken. „Ich kann nichts versprechen.“, stelle ich in Bezug auf meine erwartete Pünktlichkeit klar. Ich stelle mir vor, wie sie mit dem Kopf schüttelt. Sie muss langsam mit mir verzweifeln. „Pass auf dich auf, Schatz!“ „Bye, Mum.“ Damit lege ich auf, sehe mich um und schultere meinen Rucksack. Ich laufe unentschlossen in die Mensa. Dort kaufe ich mir einen Becher Tee und sehe auf die Uhr. Noch läuft Shari's Vorlesung. Ich schlürfe missmutig an meinem Kräuter-Gepansche und sehe mich um. Ich könnte sie ablenken gehen. Sie wird mich nachher sicher verhauen und Bio ist echt langweilig. Andererseits ist mir bereits jetzt langweilig. Ein bisschen Bio wird mich schon nicht umbringen, also laufe ich los. Ich muss einmal quer über den Campus laufen, ehe ich bei der Fakultät für Biologie ankommen. Als ich mich im Hörsaal umsehe, kann ich meine beste Freundin direkt am Ausgang erblicke. Der Weg hat es sich gelohnt. Ihre langen, schwarzen Haare sind zu einem beeindruckenden Etwas zusammengedreht. Ein paar geflochtene Strähnen schlingen sich um ein ebenso bemerkenswertes Knotenirgendwas, welches etwas schief auf ihrem Hinterkopf liegt. Es sieht nach harter und konzentrierter Arbeit aus. Und das wirklich atemberaubendste ist, dass es nur von einem Bleistift gehalten wird! Leise lasse ich mich hinter ihr auf einen der Stühle fallen und ziehe an einem der geflochtenen Zöpfe, der sich bereits aus dem Wirrwarr gelöst hat. Ich schaffe es ihn bis zur Hälfte herauszuziehen, bevor sie sich etwas grimmig umdreht. Ich grinse. „Sunchhen“, begrüße ich sie flüsternd auf Bengalisch und die grimmige Miene verschwindet. Seit wir uns näher kennen, begrüße ich sie jedes Mal auf einer neuen Sprache und in dieser Sprache verabschiede ich sie auch. Es ist ein kleines Ritual zwischen uns. Mittlerweile habe ich schon die ulkigsten Sprachen durch und mich auch schon gedoppelt. Life sucks. „Hast du endlich neue Begrüßungen gelernt? Gut, ich konnte das Nǐ hăo, nicht mehr hören“, kichert sie mir entgegen und haucht einen Kuss auf meine hingehaltene Wange. „Gut, dass du keine Chinesin bist, dann würdest du es täglich von einer Milliarde anderen Chinesen hören müssen.“, entgegne ich theatralisch. „So, wie ich das Namasté von den einen Milliarden Indern hören würde?“ Touché. Sie sieht mich unbeeindruckt. „Ähm…Ich hatte anderes zu tun, als neue Sprachen zu lernen. Das weißt du“, sage ich erklärend und irgendwie verteidigend. Ich musste bis Mitte des Sommers eine repräsentative Mappe zusammenstellen, mit der ich dann zum Eignungstest durfte. Allein das hätte mein Totschlagargument gegen die Uni sein sollen und für das freie wilde Leben als Stripper. „Ja, ich weiß, was du immer zu tun hast“, sagt sie frech und meine die vermehrt aufgetretenen Verzweiflung, die ich diesen Sommer hatte. Ich habe sie ganz schön genervt. Dann rette mich Jake vor meinem durch Raphael verursachten Delirium. Er macht es noch immer. Jedenfalls dann, wenn er da ist. Nur ist er das leider selten. Seine Arbeit zwingt ihn dauernd zu Stadtrundfahrt in Städte, die ich nicht mal mag. Ich stupse meiner Blume verhalten gegen die Schulter und verdränge die missmutigen Gedanken. „Paul will uns heute Abend im Te-Club sehen.“ Ich stütze mich auf die Lehne des Stuhls vor mir und schaue auf die projizierten Folien. Shari studiert Biologie mit dem Schwerpunkt Genetik und biochemischen Prozessen. Einen Moment lang starre ich auf die schematische Darstellung einer tierischen und pflanzlichen Zelle und fühle mich in die 9. Klasse zurückversetzt. Ihre Professorin wirkt so alt, wie die antiquierten Abbildungen. „Warum?“, fragt sie flüsternd. „Als ob er mir das gesagt hat.“, entgegen ich und sehe sie empört an. Sie unterdrückt ein leichtes Kichern. „Hm, ich dachte, wir kochen heute Abend zusammen. Meine Eltern denken, ich bin bei dir und ich will sie ungern belügen.“ Bei der Erwähnung ihrer Eltern denke ich sofort an die massive Gestalt ihres Vaters und obwohl sie mich mittlerweile akzeptieren, macht er mir noch immer eine Heidenangst. Ihre Eltern wissen neben Shari als einziges über meine sexuelle Gesinnung Bescheid. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sie mich in ihrer Nähe dulden. Ihre Mutter mag mich. Sie drückt mich jedes Mal, wie einen kleinen Jungen an ihre Brust, der unbedingt Aufmerksamkeit braucht. Ich finde zwar nicht, dass ich es nötig habe, aber trotzdem ertappe ich mich jedes Mal dabei, wie ich mich in ihrer wohligen Wärme suhle, wie ein Erfrierender. Es fühlt sich gut an, ehrlich und ich habe ständig das Bedürfnis, dämlich und zufrieden zu kichern. „Oh ja, ich möchte deinem Vater nicht begegnen, wenn er es rausfinden würde.“, sage ich angsterfüllt und spüre sogleich einen Schlag gegen den Arm. „Du hast doch nicht, immer noch Angst vor ihm?“ „Natürlich. Hast du ihn in der letzten Zeit mal angesehen? Dein Vater macht auch nicht sehr viel dafür, dass ich keine Angst mehr habe. Eher im Gegenteil.“ „Du spinnst, ja!“ „Nein! Ich schwöre. Erst letztens hat er, und ich bin mir sicher, absichtlich vor meiner Nase mit einem Messer rumhantiert, das länger war als mein Arm. So richtig fakirmäßig.“ Ich deute mir einen Turban und ein Messer an. „Fakire schlafen und sitzen auf Nagelbrettern!“, berichtigt mich Shari und zieht ihre schwungvolle Augenbraue nach oben. Ich stocke und merke, wie meine Erzählung bröckelt. „Okay, ja. Er macht mir einfach Angst. Egal, ob er was Spitzes, Stumpfes oder Kissenartiges in der Hand hat. Selbst wenn er einen Welpen in der Hand hätte, würde ich dem Brate nicht trauen. Zufrieden?“, flüstere ich ihr entgegen und Shari verkneift sich ein vergnügtes Lachen. „Spinner!“ Sie tätschelt mir den Kopf und schüttelt dann ihren. Ich sehe wieder nach vorn und bleibe für ein paar Minuten beleidigt. Gemeinsam bringen wir die letzten Minuten der Vorlesung hinter uns. Ich höre sogar ein wenig zu. Peroxisom. Mikrotubuli. Nach Intermediärfilamente bin ich dann raus. Im Flur drückt mir Shari ihre Tasche in die Hand und richtet ihre Haare. Ich schaue ihr unverhohlen dabei zu, denn es ist wahrlich imponierend. Wie sie blind alles in Ordnung bringen kann, ist mir ein Rätsel. „Meinst du, du bekommst noch heraus, was Paul von uns will?“, hakt Shari nach und ich brauche einen Moment um mich von ihrer künstlerischen Handarbeit zu lösen. Sie schaut mich an und ich zucke mit den Schultern. „Ich kann es versuchen, aber nichts versprechen. Und was machen wir im äußersten Fall?“ „Na ja, wenn es etwas Wichtiges ist, dann können wir ja kurz im Club vorbeischauen und wenn nicht, dann lasse ich dich Paprika schnippeln“, erläutert sie. Klar und deutlich. Ich frage mich, ob es gut oder schlecht ist, dass sie mich die Paprika schneiden lassen will. Ich gucke misstrauisch. „Geht klar, aber du machst die Zwiebeln.“ „Keine Frage. Ich habe dich einmal Zwiebel schneiden sehen und das hat mir gereicht. Nie wieder!“, gibt sie mit einem erschrockenen und mitleidig von sich. Ich erinnere mich an den Tag. Es war schrecklich dramatisch. Ich hatte noch nie so viel geweint und geblutet. Alles gleichzeitig. Irgendwann hatte ich nicht mehr gewusst, ob ich wegen den Zwiebeln oder den Schmerzen weinte. Ich bin seither traumatisiert. Auch Shari denkt an diesen Moment zurück. Ihr Blick zeigt mir eine bunte Mischung an Gefühlen. Mitleid, Unglaube und Belustigung. Zu guter Letzt folgt ein vergnügtes Kopfschütteln. Mein Handy beginnt zu vibrieren und Shari tastet nach ihrem. „Also, du versuchst Paul zu erreichen und ich gehe jetzt in meine Vorlesung.“ Eine weitere knallharte Anweisung. Sofort stehe ich stramm und salutiere. „Aye Aya Ma´am“, gebe ich folgsam von mir. Sie stupst mir gegen den Arm. „Ich will dich an einen Tag mal ernst erleben“, gibt sie resigniert von sich und nimmt mir ihre Tasche aus der Hand. „Ein komplett ernster Tag ist ein vergeudeter Tag, Ma´am“, führe ich quakenden fort. Ich fühle mich, wie ein philosophischer Glückskeks und grinse auch so. Shari patscht mir leicht gegen die Stirn. „Ob du je erwachsen wirst? Schreib mir, wenn du Genaueres weißt.“ Shari greift nach meiner Hand, drückt sie und lächelt. „Namasté“, flötete sie und huscht davon. „Biday.“, antworte ich und sehe ihr lächelnd dabei zu, wie den Flur entlangeilt. Noch während ich ihr nach sehe, angele ich mein Handy aus der Tasche und erblicke freudig eine neue Nachricht von Jake. -Denke an dich. Bin nächste Wochen wieder in der Stadt. Haben wir ein Date?- Date. Eigentlich Sex. Ich lächele und denke an die warmen, fürsorglichen Augen. Das wohlige Gefühl, welches er in mir verursacht, weil er wahrhaftig und ehrlich ist. Meine Hand wandert zu der schmalen Kette um meinen Hals und Raphael kommt mir in den Sinn. Er ist nicht da und dennoch beherrscht er schon wieder meine Gedanken. Ich kann mich nicht richtig von ihm lösen, obwohl ich vieles dafür tue. Wahrscheinlich braucht es einfach seine Zeit. Das sagt Shari mir ständig. Im Grunde ist es etwas Gutes, dass er weggegangen ist. Noch einmal lasse ich meine Finger über den Anhänger wandern und tippe Jake eine Zusage für unser Date. Danach versuche ich Paul zu erreichen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis er rangeht und erst nachdem sich Fusseln an meinem Mund gebildet haben, rückt er mit dem Grund für das vorgeschlagene Treffen raus. Er hat keinen. Jedenfalls keinen triftigen. Nur einen fluffig ausgedachten. „Nee.“, erwidere ich auf die erneut gestellte Frage nach unserer Anwesenheit. „Kommt schon, Leute! Ich weiß, das Shari heute ihren Ausgehabend hat und ich dachte, dass ihr den auch einmal außerhalb deiner Wohnung verbringen könntest. Was treibt ihr eigentlich immer?“, äußert er sich mehr als zeternd. Ich verdrehe die Augen. „Wir lackieren uns die Fingernägel und Schneiden uns gegenseitig die Haare. Was glaubst du, was wir tun?“ „Ich weiß, was ich tun würde.“ „Paul, nein, das will ich nicht hören. Verkneife es dir.“, warne ich den anderen. „Okay, dann eben nicht. Ich habe noch ein paar mehr oder weniger schlüssige Theorien. Mit welcher soll ich anfangen?“ „Erspare es mir, bitte! Wir kochen und quatschen über alte Zeiten.“ „Wie ein altes Ehepaar“, kommentiert er entgeistert. „Was ist daran falsch?“, frage ich irritiert. „Na ja, möglicherweise die fünf Jahrzehnte, die ihr noch nicht erlebt habt“, deutet Paul an. Darüber muss ich nun doch lachen. „Kommt schon, lasst uns ein bisschen feiern. Auf den Putz hauen. So lange wir wirklich noch jung sind.“ Pauls Stimme strahlt. Er hat ein Talent zum Animieren, doch das fruchtete heute bei mir nicht. „Äh, nein.“ „Ach komm, wovor hast du Angst?“ „Vor dem großen Mann mit Turban, der mich bei Shari erwartet, wenn ich sie nicht rechtzeitig nach Hause bringe.“ Nun höre ich Paul zischend die Luft einziehen. Danach beginnt er zu lachen und bin mir sicher, dass etwas Verständnis in seinem Gelächter mitschwimmt. Er hat Sharis Vater nur ein einziges Mal flüchtig im Auto gesehen. Das hat wohl gereicht. „Beim nächsten Mal, vielleicht“, versuche ich ihn zu beschwichtigen und höre am anderen Ende des Hörers ein leises Murren. „Ja, hoffentlich erwische ich euch beim nächsten Mal nach euren mehrstündigen Mittagschlaf. Dann seid ihr besser drauf.“ „Wir sind immer gut drauf. Mach uns das nächste Mal ein besseres Angebot! Grüß alle von mir.“ „Geht klar und Mark, ich merke mir das.“ „Was?“, frage ich verwundert. „Das mit dem nächsten Mal. Dann gibt es keine Ausrede!“ „Ich erzittere!“, erwidere ich furchtlos. Damit legen wir auf und ich schreibe Shari die freudige Nachricht über unser stattfindendes Dinner. Prompt sendet sie mir eine lange Einkaufsliste zu. ----------------- Kommentar der Autorin: Bei dieser Geschichte handelte es sich um eine Fortsetzung zu meiner Story ‚Doors my Mind- Der Freund meiner Schwester‘. http://www.animexx.de/fanfiction/autor/560075/333258/ Schaut doch auch dort mal vorbei, wenn ihr mögt. :) Kapitel 2: Aubergine, Zucchini, Raphael --------------------------------------- Kapitel 2 Aubergine, Zucchini, Raphael Wie erwartet, brauche ich für den Einkauf länger als gedacht. Sharis notierte Lebensmittel sind mir teilweise ein Rätsel, trotz alledem finde ich es jedes Mal spannend. Seit ein paar Monaten kochen wir regelmäßig zusammen. Es sind schöne und ruhige Abende. Wir reden. Wir diskutieren und wir erfreuen uns an der gemeinsamen Zeit, die wir miteinander verbringen. Insgesamt genieße ich die Selbstbestimmung, die mit dem Alleinleben einhergeht. Keine Diskussionen, keine Verpflichtungen und keine Zurückhaltung. Niemanden, dem ich Rechenschaft schuldig bin oder dem ich mich erklären muss. Ich genieße es wirklich, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, in der Stille zu ersticken. Vor allem dann, wenn sich meine Gedanken wieder um Raphael drehen. Mitten in der Nacht werde ich wach und denke an ihn. An seine Lippen und im Besonderen an diese wunderschönen, grünen Augen. Doch mit diesen Gedanken wäre ich auch in meinem Elternhaus allein. Mein Auszug war für mich die logische Konsequenz. Doch es war nicht leicht meine Eltern davon zu überzeugen, ohne meinen wichtigsten Grund anbringen zu können. Raphael. Ich erdachte mir eine Prise Erwachsenwerden, Verantwortung und Selbstständigkeit. Ich bin gut darin andere zu überzeugen. Meine Eltern haben lange mit mir diskutiert, doch irgendwann haben sie meinen Wunsch akzeptiert. Vor dem Regal mit den Teesorten bleibe ich stehen und suche nach Sharis Lieblingstee. Kirschblütentee. Obwohl er saumäßig teuer ist, packe ich ihn ein und freue mich schon jetzt auf das hübsche Gesicht, welches sie jedes Mal macht, wenn sie den zarten Duft einatmet. Als ich alles habe, schleppe ich die schweren Tüten zu meiner Wohnung. Ich räume gerade die Milchprodukte in den Kühlschrank, als es klingelt. Verwundert sehe ich auf die Uhr. Für Shari ist es eigentlich noch zu früh. Doch als ich die Tür öffne, blickt sie mir müde, aber lächelnd entgegen. „Namasté." „Aloha." Ich verbeuge mich ungrazil und halte ihr die Tür auf. „Ich bin auch gerade erst rein. Du bist etwas früh. Hast du geschwänzt?", necke ich und nehme ihr die schwere Tasche und die Jacke ab. „Die letzte Vorlesung fiel aus und es gab im Vorfeld natürlich keine Möglichkeit, uns das mitzuteilen. Nein, man hat es nur geschafft einen winzigen Zettel an die Tür zu pinnen. So viel zum modernen Mediazeitalter", meckert sie. Ihr Blick ist tatsächlich genervt. Ein seltener Anblick, der mich unwillkürlich schmunzeln lässt. Shari ist sonst die Ruhe in Person. Sie folgt mir in die Küche. „Na ja, immerhin ein Zettel. Ihr hättet auch erst irgendwann merken können, dass niemand kommt!", kommentiere ich. Ich mag es, wenn sie motzt. Dabei kräuselt sich ihre Nase so niedlich. Ich grinse ihr dümmlich entgegen. Ein Seufzen flieht über ihre Lippen. Ich breite ihr meine Arme aus und sie nimmt die Umarmung dankend an. Ihr Haar duftet trotz des langen Tages noch immer nach Lotus. Blumig, sanft und fruchtig. „Das Leben ist kein Ponyhof, chisaii Hana", philosophiere ich. Sie schenkt mir ein murrendes Geräusch und lässt mich wieder los. „Hast du alles bekommen?" „Öhm ja, ich wusste nicht, was du mit Aubergine meinst, da habe ich das mitgebracht." Ich halte ihr etwas großes, grünes, Langes hin und sie sieht mich entgeistert an. „Das ist eine Zucchino." Ihr Blick ist zum Totlachen und ich kann nur entschuldigend Zucken. „Okay, Mark, was habe ich dir beim letzten Mal gesagt?", setzt sie fort und ich neige wie ein zu bestrafender Schüler in der ersten Klasse mein Haupt zu Boden. „Wenn ich nicht weiß, was es ist, dann soll ich fragen", gebe ich auswendig gelernt wieder und Shari nimmt mir die Zucchini aus der Hand. „Oder wenigstens meinen Kopf benutzen und lesen, was auf den Schildern steht", fahre ich fort. Shari deutet einen Schlag mit der Zucchini an und schüttelt dann mit dem Kopf. „Aubergine. Zucchini. Es klingt beides doof. Ich dachte, dass es kein Unterschied macht", sage ich fast quengelnd und kann mir langsam ein Lachen nicht mehr verkneifen. „Dich will ich sehen, wenn man dir statt Blumenkohl, Rosenkohl vorsetzt. Und wieso, weiß ein künstlerisch begabter Kerl, wie du, nicht das Aubergine auch eine schöne dunkelviolette Farbe ist?" Ich verziehe mein Gesicht. Den Unterschied zwischen den beiden Kohlsorten kenne ich genau. Die Farbe sagt mir herrlich wenig. Ich male auch nicht nach Farbnamen, sondern nach Gefühl. „Du hast Glück, dass es bei dem Gericht nicht darauf ankommt, was man reinwürfelt." „Und weil du das wusstest, hast du guten Gewissens mich einkaufen geschickt." „Und machst mich fertig." Sharis Gesicht zeigt mir, wie wenig ernst sie das Gesagte meint. „Ich möchte eben duschen gehen. Du darfst aber gern schon anfangen." Ich hauche ihr beim Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange und sehe beim Hinausgehen nur noch Teile ihrer Zunge, die sich mir entgegenstreckt. Vor dem Badezimmer bleibe ich stehen und gehe noch mal zurück. Ich greife in die nur halb ausgeräumte Tüte und werfe einer verwirrt schauenden Shari den Tee zu. Ihr wunderschönes Lächeln ist alles, was ich in diesem Moment brauche. Ich dusche nur kurz und trete umgezogen zurück in die Küche. Der Geruch des Tees weht mir entgegen und lächelnd atme ich tief ein. Sie hat mir auch eine Tasse gemacht, aber dank ihrer Anleitung weiß ich, dass er noch ein paar Minuten ziehen muss, eher man ihn genießen kann. Shari steht an der Arbeitsplatte und schneidet die Zwiebeln. Gekonnt gleitet die scharfe Klingel durch das weiße Zwiebelfleisch. Sie blickt auf, ohne sich zu verschneiden. In dem Moment würden mir schon zwei Fingerkuppen fehlen. Shari deutet auf meinen Kopf und meint meine nassen Haare. „Kein Föhn", bemerke ich nur und zucke mit den Schultern. Sie schüttelt ihre langen schwarzen Haare. Sie hat ihr künstlerisches Gebilde von heute Mittag vollständig geöffnet und das seidige Schwarz wird nur noch von ein paar geflochtenen Zöpfen durchbrochen. „So, was kann ich tun?", erbitte ich Arbeit. „Du kannst die Paprika und deine Möchtegern-Aubergine schneiden." Ich nehme mir die Zucchini und fuchtele vor ihrer Nase damit rum, als wäre es ein Schwert. Sie lacht. „Fein, du großer Zucchini-Bezwinger. Bitte würfeln", sagt sie und reicht mir ein weniger scharfes Messer. Ich verkneife mir einen dummen Gesichtsausdruck. Gemeinsam schneiden und würfeln wir eine Weile Gemüse und Fleisch. Wir tauschen uns über das Studium aus und Shari erzählt mir von ihren Kommilitonen, die alle samt irgendwelche seltsamen Eigenarten zu haben scheinen. Sie kennt meine noch nicht. Die sind irre. Mein Handy vibriert auf dem Tisch. Ich wasche mir die Hände und greife danach. „Wer ist es?", fragt Shari neugierig und beugt sich nach vorn um einen Blick auf mein Telefon erhaschen zu können. „Jake. Er ist nächste Woche wieder in der Stadt" „Uuh, habt ihr dann ein schönes Date?" Sie kichert, wie ein kleines Mädchen. „Ja, mit meinem Bett, denn ich gehe davon aus, dass wir es nicht verlassen werden", sage ich lapidar und sehe prompt, wie sie rot anläuft. „Mark!" „Was? Das ist doch noch harmlos. Shari, du solltest dich langsam an krasses Vokabular gewöhnen." Ich stütze mich auf die Arbeitsplatte und tippe Jake eine Antwort. Dabei rutscht mir die Kette aus dem Ausschnitt meiner nur halbgeschlossenen Strickjacke. Ehe es mir auffällt, greift Shari danach. „Du trägst sie, ja immer noch, Mark! Du hast versprochen, dass du sie abnimmt.", gibt sie vorwurfsvoll von sich. Ich löse ihre Hand von dem Silber und schiebe die Kette zurück unter die Strickjacke. „Es ist einfach nur eine Kette. Keine Aufregung nötig", versuche ich abzuwiegeln, aber ihr Blick bleibt hart und unnachgiebig. „Sei nicht albern, Mark" „Sie ist schön." Ein weiterer Versuch und er bleibt ebenso unfruchtbar, wie der erste. „Sie gaukelt dir etwas vor, was nicht da ist. Du brauchst Raphael nicht." Klar und deutlich. Sharis Meinung über Raphael ist seit dem Sommer nicht mehr die Beste. Sie ist wütend. Ich bin ihr dankbar, denn sie holt mich auf den Boden zurück. „Ich will ihn gar nicht. Du weißt, er hat sich nicht einmal bei mir gemeldet und ich bin nur halb so blöd, wie du im Moment denkst. Die Kette ist nur ein Accessoire und die Erinnerung an einen wunderbaren Herbsttag. Rote Blätter und so, mehr nicht." Kein einziges Mal hat er sich während seiner Abwesenheit bei mir gemeldet und obwohl ich mir einrede, dass es gut war, wurmte es mich ungemein. Wie kann er mir so ein Geschenk machen und mich dann Monate ohne ein Wort zurücklassen? Der Gedanke daran macht mich sauer und im gleichen Maß melancholisch. Ich verkneife mir ein missmutiges Knurren, um Sharis Aufmerksamkeit nicht noch mehr auf mich zu ziehen. Ich versuche mich an meinem neutralen Gesichtsausdruck. „Wirklich?" Sie klingt trotzdem skeptisch. Shari ist nicht überzeugt. Ich muss mehr üben. Und brauche schnell eine Ablenkung. „Mark, du hast es versprochen!" „Und? Du hast mir auch versprochen, dass du Andrew anrufst." Ablenkung tada! Ich sehe, wie sie leicht zuckt und dann schmollend ihre Unterlippe vorschiebt. Treffer. „Das ist, doch etwas anderes." „Warum?" Ich weiß, dass sie Recht hat, doch ich will es mir selbst nicht eingestehen. „Weil mir Andrew nicht wehgetan hat und mit keinem meiner Brüder zusammen ist." Ihre Ehrlichkeit schmerzt. Ich bin getroffen. „Ey, das wären ja sehr eigenartige Parallelen", kommentiere ich trocken, „Und nur, weil ich die Kette manchmal trage, heißt es nicht, dass ich ihm wieder verfalle. Außerdem ist er noch in Kalifornien. Also keine Sorge." Die schöne Inderin sieht mich einen Moment lang an und nimmt dann mein Gesicht in beide Hände. Ihre Finger riechen nach Karotte und Paprika. „Du musst ihn loslassen und vergessen.", flüstert sie mir zu. „Ich kann, aber die Gefühle von 4 Jahren nicht einfach loslassen und vergessen", erwidere ich ebenso leise. Ihre braunen Iriden schimmern. Shari macht sich Sorgen und hat Angst um mich. Das danke ich ihr, aber es ändert nichts an meinen Gefühlen. Ich habe lange genug versucht ihn zu vergessen und das nicht erst nach seinem Weggang. Schon lange vorher habe ich versucht, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen, doch es hat nicht geklappt. Ich versuche es wieder und wieder. Obwohl ich weiß, dass ihn vergessen das Beste wäre, schwelt der Wunsch in mir, ihn wiederzusehen. Seine Stimme zu hören und in seine ausdrucksstarken Augen zu blicken. Es ist, wie das schleichende Bedürfnis eines Süchtigen, der es unbedingt will, aber aus der Vernunft heraus versucht, nicht zu wollen. Irgendwann wird es schiefgehen. „Warum hast du Andrew nicht angerufen?", frage ich sie direkt um von mir abzulenken. Shari lässt mich wieder los und druckst herum. Andrew Barson ist ein Bekannter aus der Schule. Zum Ende des Schuljahres hin, haben die beiden eine erste zarte Bande geknüpft. Doch Sharis familiären Verhältnisse sind kompliziert. Gemeinsame Treffen oder gar Dates sind kaum möglich. Alleinsein fast unmöglich. Beziehung ausgeschlossen. „Ich will ihm das nicht weiter antun. Es ist nicht fair ihm gegenüber. Er ist so lieb und er gibt sich so eine Mühe. Und er hat so viel Verständnis." „Aber du magst ihn" Ihr Blick ist vernichtend und sie hört sogar auf zu schneiden, „Und er mag dich", setze ich fort und ihr Blick wird noch vernichtender. Ich bleibe standhaft. Bisher hat sie noch nie versucht mich umzulegen, egal, wie dämlich meine Aktionen waren. Ich vertraue darauf, dass es so bleibt. „Das ist alles schön und gut. Das reicht aber nicht." „Ich finde schon. Ich meine, wir reden ja hier nicht von Ehe, Kinder und gemeinsamen Grabsteinen." „Gemeinsame Grabsteine? Im Ernst?" Sie hebt entgeistert eine Augenbraue. „Im Sinne der Endgültigkeit", erläutere ich. „Du hast eine verquere Vorstellung." Ich lehne mich dichter zu ihr. „Du weißt, was ich meine, Shari. Du hast dich gut mit ihm gefühlt. Du magst ihn. Du hast gestrahlt und er hat sich gar nicht beschwert." „Aber das wird er bestimmt. Spätestens dann, wenn es ernster werden würde." „Würde! Warte es doch ab oder willst du alles schon im Vorfeld aufgeben? Einfach davonlaufen", sage ich und weiß ganz genau, dass sie dieser Vorwurf trifft. Aber ich bin einfach enttäuscht. Andrew ist ein wirklich netter, guter Junge. Er passt zu ihr und nach jedem Treffen hat sie gestrahlt bis über beide Ohren. „Du bist echt doof!" „Ich will dich glücklich sehen und mit Andrew warst du es. Ich meine, niemand macht dich glücklicher als ich, aber..." Sie wirft mir ein Stück Karotte an den Kopf. „Sehr komisch..." Das plötzliche Klingeln der Tür erschreckt uns beide. Shari kichert und sieht mich dann fragend an. „Erwartest du jemanden?", fragt sie. Ich wende mich schulterzuckend zum Flur. Ich erwarte niemanden. Und für einen Nachbarn ist es reichlich spät. „Vielleicht ist es Andrew und ihm haben die Ohren geklingelt", sage ich verschwörerisch. Ich lasse meine Hände neben meinen Ohren wackeln und schaue noch einmal kurz in die Küche. Shari grinst. „Pah, er weiß gar nicht, dass ich hier bin", kontert sie. Ich denke, dass das auch besser so ist. „Na dann ist es endlich der Pizzabote mit der Riesenpizza, die ich bestellt habe, weil du mich hier verhungern lässt", rufe ich ihr entgegen und ernte ein weiteres belustigtes 'Haha' aus der Küche. Ich öffne die Tür ohne durch den Spion zusehen und bleibe erstarrt stehen. Seine grünen Augen erfassen mich direkt. Sie tauchen in mich hinein und lösen sofort das Chaos aus, welches ich seit Monaten zu unterdrücken versuche. Dieses Verlangen gemischt mit dem Schmerz, der seit ebenso vielen Monaten in mir schwelt. Raphael. Ich bin überrumpelt und fixiere ihn apathisch. Für einen Moment setzt mein Herz aus, um dann in dreifacher Geschwindigkeit Blut durch meine Adern zu pumpen. „Hi", sagt er leise und lässt seinen Blick über meine feuchten Haare und meiner halb geöffneten Strickjacke wandern. Bevor ich etwas erwidern kann, steckt Shari ihren Kopf durch die Tür und sieht in den Flur. Mein Herz rammt sich hart gegen meinen Brustkorb und ich befürchte, dass es jeden Moment hindurchbricht. „Und ist es dein Pizzabote?" Es muss, wie ein Klischee klingen für jeden, der den vorigen Teil des Gesprächs nicht mitbekommen hat. Auch Shari wird seltsam stumm, als sie den Freund meiner Schwester erkennt. „Hey Shari.", begrüßt Raphael sie. Er hebt seine Hand zum Gruß und sieht mich wieder an. „Hallo Raphael", erwidert sie verhalten. Sie sieht mich eindringlich an und ich halte ihren Blick kaum stand. Ich atme geräuschlos ein und sehe wieder zu dem anderen Mann. Er sieht verdammt gut aus. Braungebrannt. Trainiert. Ein leichter Dreitagebart schmiegt sich auf seine Wangen, der ihn so viel maskuliner erscheinen lässt. Ich verscheuche die Gedanken schnell wieder. „Mark?", fragt sie eindringlich und ich deute ihr an, dass alles okay ist. Sie nickt und verschwindet zurück in die Küche. „Darf ich?" Raphael deutet in die Wohnung und ich zögere, lasse ihn aber vorbei. Als ich die Tür schließe, lehne ich mich dagegen und sehe ihn an. Unbewusst verschränke ich meine Arme vor der Brust. Schützend und abwehrend. Sein Blick wandert kurz über die Wände meiner kleinen Wohnung. „Weiß sie, dass du wieder hier bist?", frage ich als erstes und direkt. Er ist immerhin ein paar Wochen zu früh. „Nein, sie weiß nicht, dass ich schon zurück bin." Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich setze zur nächsten Frage an, doch er kommt mir zu vor. „Ich habe die Adresse von deiner Mutter. Sie beklagt sich, dass du zu selten vorbeikommst." Mir ist nicht nach Scherzen zu mute. Auch nicht nach belanglosem Smalltalk. „Was willst du hier?", frage ich um auf den Punkt zu kommen und wende meinen Blick ab. „Dich sehen", sagt er einfach und mir läuft ein warmer Schauer über den Rücken. Ich schließe meine Augen und versuche meine aufkommenden Gefühle zu unterdrücken. „Das hast du jetzt, also geh", sage ich kalt. Doch in meinem Inneren brodeln allerhand Gefühle, heiß, wie glühende Suppe aus Verärgerung, Wut, Verzweiflung und Freude. Meine Finger klammern sich fest in meinen Oberarm und ich drücke meine verschränkten Arme fester an meinen Körper. „Mark, bitte..." Er macht einen Schritt auf mich zu. Raphael streckt seine Hand nach mir aus. Sanft streicht er einen Wassertropfen davon, der sich von meinen feuchten Haaren gelöst hat und in meine Drosselgrube fließt. Danach treffen seine Finger auf die schmalen silbernen Kettenglieder. Er erkennt sie sofort und ich verfluche, dass ich sie in diesem Moment trage. Hätte ich doch auf Shari gehört. Ich habe Raphael gegenüber stark sein wollen, ihn ignorieren wollen. Gegen seine Worte protestieren wollen. Doch seine Kette um meinen Hals widerspricht jedem meiner noch nicht gesagten Ausflüchte sofort. Also schweige ich. Seine Finger wandern die Glieder hinab, bis er den Anhänger vorsichtig hervorzieht. An meinem Hals bildet sich Gänsehaut. Raphaels Hand bleibt auf meinem Brustkorb liegen. Mein Puls beschleunigt sich zusehends. Was macht er hier? Ich greife nach seinem Handgelenk und stoße seine Hand zu meiner Überraschung nicht weg, sondern halte sie nur fest. Meine Finger beginnen zu kribbeln. Ich spüre seine Hand noch immer auf meiner Brust. Direkt oberhalb meines Herzens. Ich bin mir sicher, dass er meinen Herzschlag spürt. Die Stellen seiner Berührung scheinen zu brennen. Ich fühle mich hilflos. Es ist, als würden die verdrängten Gefühle siedend heiß auf mich einprasseln, mich verbrennen und schinden. „Was willst du hier?", erfrage ich erneut und sein Blick wandert von meinem Hals über mein Gesicht zu meinen Lippen. Ich kann sehen, wie er sie fixiert. „Dich sehen", wiederholt er leise. Er hebt seine von mir festgehaltene Hand. Bevor ich es realisiere, schmiegt er sie an meine Wange und zieht mich in einen Kuss. Ich bin erstarrt. Ich bin elektrisiert. Die Wärme umfängt mich als Schleier der Sehnsucht. Ich schließe meine Augen und kann nicht verhindern, dass ich es genieße. Seine Lippen sind wohltuend, weich und so unendlich süß. Der Kuss wird schnell intensiver. Fast dringlich und dennoch ist er innig. Er erkundet meinen Geschmack ausgiebig. Sehnsüchtig. Das Kribbeln in meiner Brust wird durchdringender und stärker. Es breitet sich aus und pulsiert in die entlegensten Ecken meines Körpers. In jeden einzelnen Finger. In jeden einzelnen Zeh. In seinem Kuss liegt so viel Sehnsucht und doch beginnt langsam die Obacht in meinem Schädel zu pulsieren. Hart und warnend. Sein Daumen streicht hauchzart über meine Wange. Erst ein Poltern aus der Küche holt mich vollkommen zurück. Ich neige meinen Kopf zur Seite, streiche mir symbolisch die Süße von meinen Lippen und hole tief Luft. Ich sehe an ihm vorbei zur Küche, spüre, dass er seinen Blick nicht von mir löst. „Shari und ich... wir kochen zusammen", stammele ich nervös. Ich weiß nicht, warum ich ihm das sage. Raphael folgt meinem Blick und nickt. „Okay, dann lasse ich euch in Ruhe essen." Ich bin mir nicht sicher, ob ich das damit gemeint habe. Mein Kopf schreit 'verschwinde', doch mein Herz bindet sich bereits jetzt schon wieder fesselnd an ihn. Raphael greift an mir vorbei zur Tür, öffnet sie jedoch nicht, sondern beugt sich runter und ich spüre die weichen Stoppeln seines Bartes an meiner Wange, rieche den dezenten Duft, der so viele Erinnerungen in mir weckt. Gute, wie auch Schlechte. „Bitte verzeih mir, Mark. Ich habe das Alles so nicht gewollt." Ein gehauchter Kuss trifft meine Wange. Mein Herzschlag ist wild und ungestüm. Ich erzittere und spüre, wie seine Lippen erneut meine Wange küssen. Federleicht und liebevoll. Ein weiterer Kuss an meiner Schläfe und ohne ein weiteres Wort verschwindet er durch die Tür. Verzeihen. Was genau soll ich ihm verzeihen? Dass er mich abgewiesen und verletzt hast? Dass er einfach abgehauen ist? Dass er jetzt vor meiner Tür steht und mich küsst? Ich bleibe im dunklen Flur zurück, höre meinen Herzschlag, der dröhnend an den Wänden niederhallt. Meine Glieder pulsieren und in meinem Kopf herrscht für einen Moment verwirrende Leere. Sharis Schritte werden durch das Rauschen in meinen Ohren gedämpft. Nur ihre warme Hand an meinem Arm spüre ich. Ich atme tief ein. „Er ist wieder da, Shari", sage ich flüsternd. „Ohne Zweifel!" Auch sie klingt ungläubig. Darauf bin ich einfach nicht vorbereitet. Unbewusst greife ich an die Kette um meinen Hals und sehe dann zu der indischen Schönheit neben mir. Ihre warmen braunen Augen sind voller Sorge. Bevor sie danach fragt, versichere ich ihr, dass es mir gut geht, atme noch einmal tief ein und ziehe sie in die Küche. Ich sehe auf die blubbernde Pfanne und ziehe den herrlichen Duft in mich ein. Es riecht wunderbar und köstlich. Das Rot und Gelb der Paprika harmonierten perfekt mit dem saftigen Grün der Zucchini. Der Duft von Jasmin-Reis durchströmt den Raum und doch ist mir jeglicher Appetit abhandengekommen. Ich schlucke und sehe zu Shari, die ein paar Teller aus dem Schrank holt. Ich helfe ihr. „Mark, was hat er gewollt?" In ihrer Stimme schwingt Verärgerung. Ich überlege einen Moment zu lügen, doch was soll das bringen? „Er wollte mich sehen", sage ich ehrlich und wahrheitsgemäß. „Was? Er geht erst zu seiner Freundin und schleicht sich dann heimlich zu dir?" Ihre Worte sind beißend und lassen wenig Zweifel an ihrer Meinung von ihm übrig. „Maya weiß nicht, dass er schon hier ist", sage ich leise und Shari unterbricht ihren ausbruchartigen Redeschwall. Das sagt Raphael jedenfalls, ob es wirklich stimmt, sei einmal dahingestellt. „Nicht?" „Anscheinend nicht." Ich setze mich an den schmalen Küchentisch und fahre mir mit beiden Händen durch die Haare. Noch immer scheint mein Herz bis zum Himmel zu schlagen. Allein der Gedanke an den vorigen Moment lässt es heiß in mir brennen. Mein Atem geht schwer und meine Finger beginnen zu zittern. „Mark, nicht! Er ist Mayas Freund. Du darfst ihn nicht wieder an dich ranlassen." „Ich weiß." Ich weiß es nicht. Ich realisiere es nicht. Ich will es nicht. „Wirklich?" „Ja, wirklich" Trotz meiner Gedanken lächele ich. Ihr Blick ist forschend und ich bin mir sicher, dass sie es mir nicht abkauft. Doch für diesen Moment gibt sie Ruhe. Wir füllen das Essen auf unsere Teller und verbringen den Rest des Abends mit leisem Reden und vertrauten Beieinandersein auf der Couch. Es ist das, was wir hin und wieder brauchen. Meine Gedanken wandern immer wieder zu dem Mann mit den grünen Augen. PS vom Autor: Lieben Dank an die lieben Leute, die sich nach dem ersten Teil wieder hier her verirrt haben :) Kapitel 3: Familie und andere Tragödien --------------------------------------- Kapitel 3 Familie und andere Tragödien Der Rest der Woche verfliegt, ohne, dass ich noch einmal was von Raphael höre. Doch meine Gedanken sind ständig bei ihm. Es ist wie verhext. Zwischendurch habe ich Momente, in den ich der vollen Überzeugung bin, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Raphael nie hier gewesen ist. Mich nicht geküsst hat. Doch jeden Tag erhalte ich Sharis mahnende Worte in Form von Textnachrichten und Wortschwalle. Ich versuche sie zu beschwichtigen, doch sie kennt mich mittlerweile zu gut. Sie weiß, wie sehr es in meinem Kopf arbeitet und sie hat Recht. Seit mehreren Tagen schlafe ich schlecht, wälze mich von einer Seite zur nächsten und frage mich, was Raphael mit seinem Besuch bezweckt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm plötzlich klar geworden ist, wie wichtig ich ihm bin. Dass ich ihm wichtiger bin als sein normales, einfaches Leben mit Maya, dem er beim letzten Mal noch alles an Bedeutung beigemessen hat. Es zermürbt mich. Ich bin hin und her gerissen zwischen hoffungsvoller Zuversicht, nagendem Zweifel und bohrendem Misstrauen. Als er in den Staaten war, waren meine Gedanken zwar nie gänzlich von ihm weg, aber dennoch hatte die Distanz etwas Gefühlsbeschwichtigendes für mich gehabt. Seine Anwesenheit ändert das schlagartig. Im Grunde weiß ich nicht einmal, ob ich darüber zufrieden oder verärgert sein soll, dass er hier auftaucht und sich dann nicht wieder bei mir meldet. Was soll das? Nur der Anruf meines Vaters erinnert mich daran, dass ich versprochen habe am Sonntag für Kaffee und Kuchen vorbeizukommen. Ich habe es verdrängt. Erfolgreich. Am Sonntagmorgen bin ich früh wach, gehe kalt duschen um in Gang zu kommen und habe meine Schwierigkeiten, wirklich konzentriert zu bleiben. Nur ein paar Stunden bei der Familie, das sollte ich schaffen. Meine Laune ist unterirdisch. Erdkernnahe. Ein paar Meter tiefer und ich löse mich in flüssiger, heißer Lava auf. Oder Magma. Egal, Hauptsache heiß. Ein leises verpuffendes Geräusch kommt mir in den Sinn und all meine Probleme wären schlagartig gelöst. Ich schüttele die Gedanken seufzend fort. Meine Hand umspielt die silberne Kette, die schon wieder um meinem Hals hängt. Ich ziehe sie mir über den Kopf, lasse den schmalen Anhänger durch meine Finger gleiten. Wiederholt lese ich das Datum, so wie ich es in den letzten Monaten immer wieder getan habe. Seine letzten unausgesprochenen Worte an mich. Bedeutungsschwer und dennoch ohne weitere Erklärungen seltsam leer. Im Grunde weiß ich noch immer nicht, was er genau für mich empfindet. Das Gefühl seiner Lippen auf den meinen kommt mir in den Sinn. Sanftheit. Erregung und das zarte Aroma des Verlangens. Meine Lippen beginnen zu kribbeln. Ich fasse mir dagegen um die Vibrationen aufzuhalten. Noch ein weiteres Mal streiche ich über das Silberstück und lege sie mir wieder um den Hals. Ich stehe auf und ziehe mir das Hemd über. Knopf für Knopf schließe ich es bis die Kette unter dem dünnen Stoff verschwunden ist. Für einen Moment denke ich darüber nach, sie nicht zu tragen, schließlich weiß ich bis heute nicht, ob Maya die Kette kennt. Ich betrachte mich im Spiegel. Das Hemd ist weinrot und schmal geschnitten. Es betont meine Figur. Shari hat es für mich ausgesucht. Sie sagt, ich müsse auch Hemden besitzen Schließlich könne man nicht überall mit einem T-Shirt auftauchen. Mein Argument, dass ich bereits Hemden besitze, stritt sie freundlich ab und überzeugte mich voll Inbrunst zu einem Neukauf. Das Hemd passt gut zu mir. Es unterstreicht die Wärme meiner braunen Augen und schmeichelt meinem Teint. Das mit Teint habe ich von Shari. Vorsichtig schiebe ich mir das Hemd in die Hose und krame dann nach meinen Schuhen. Ich sehe auf die Uhr und weiß schon jetzt, dass ich zu spät kommen werde. Ich lasse meinen Blick noch einmal über die kleine Kommode im Flur wandern und greife nach meinem Portmonee. Ich atme tief ein, schnappe mir meine Jacke und gehe endlich los. Wenig später stehe ich vor dem Haus meine Eltern. Ich hole meinen Schlüssel aus der Tasche. Doch bevor ich die Tür aufschließen kann, wird sie aufgerissen. „Hossa“, rufe ich erschrocken aus und weiche einen Schritt zurück. Ich blicke in das vergnügte Gesicht meines Onkels. „Onkel Tom?“, frage ich dümmlich als ich meinen Lieblingsonkel erkenne. Er nimmt mich lächelnd in den Arm. Ich habe nicht gewusst, dass auch er da sein wird. Meine Laune bessert sich. „Komm schnell rein, deine Mutter ist schon fuchsteufelswild, weil du zu spät bist.“ „Ich dachte, sie hat längst daran gewöhnt.“ „Sie hat noch Hoffnung. Du hast sie nicht genügend vorbereitet, würde ich behaupten.“ Ich ziehe meine Schuhe aus und hänge meine Jacke in der Garderobe auf. „Scheint so. Bist du ohne die Familie hier?“, frage ich und lasse meinen Blick kurz in die Küche wandern. Sehen kann ich nichts, aber riechen. Den Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee und aufgeschlagener Sahne. „Ja, Andy ist krank. Sagt jedenfalls die erhöhte Temperatur und Luzi wird sich garantiert anstecken. Dann Anne. Dann ich. Und so weiter und so fort…“ Tom hebt resigniert seine Hände in die Lüfte und grinst. Ja, Kindergartenbazillen sind besonders böse. Bevor ich in die Küche gehen kann, zieht er mich kurz zur Seite und legt, wie gewohnt seinem Arm um mich. „Mark, ich finde toll, dass du unsere Tradition weiterführst und dich für unsere Universität entschieden hast.“ Sein Lächeln ist breit und freudestrahlend. „Aber, was ich nicht verstehe ist, warum bist du ausgezogen?“, fragt er mich ernsthaft und ich ziehe eine Braue nach oben. „Fragst du mich das wirklich?“ Im passenden Moment kommt Maya die Treppe hinunter. Wie immer sieht sie perfekt aus. Makellos gestylt. Ihre langen Wimpern rahmen strahlende, blaue Augen. Der schwarze Lidstrich scheint Millimetergenau. Ihre Lippen schimmern sanft feucht. Es ist alles etwas zu viel. Sie geht nicht in die Disko, sondern Kaffeetrinken mit der Familie. Ich zwinge mich dazu nicht die Augen zu verdrehen. „Ist Mama in der Küche?“, fragt sie, würdigt mich keines Blickes und ist nicht mal dazu bereit mich zu begrüßen. Sie geht ohne eine Antwort abzuwarten an uns vorbei. „So, stell dir die Frage jetzt noch mal.“ Ich sehe meinen Onkel überzeugt an. Er grinst schelmisch. „Keine Maya, keine Vorschrift und endlich ein freies Sexleben“, erläutere ich ihm noch mal konkret und er beginnt, amüsiert seinen Kopf zu schütteln. Sein Arm auf meiner Schulter beginnt zu wackeln und er drückt mich ein paar Mal an sich. „Touché, ich werde nichts mehr sagen.“ Damit schiebt er mich in die Küche. Der Duft von frischem Kaffee und aufgeschlagener Sahne wird stärker. Meine Mutter und meine Tante habe ganze Arbeit geleistet. Drei Torten und mehrere Kleingebäcke. „Schaut, wen ich endlich in die Küche lasse…“, sagt Tom zu meiner Mutter, welche mich tadelnd anschaut und ganz genau weiß, dass ich schon wieder zu spät gekommen bin. „Hallo Mama.“ Sie kommt auf mich zu und umarmt mich. Eine ihrer Hände wandert an meine Wange und sie sieht mich prüfend an. „Du isst nicht genug“, flüstert sie und ich sehe sie entgeistert an. „Ich wachse noch.“ „Mark, sei nicht albern“, sagt nun meine Tante Elli und zieht mich in eine Umarmung. Ich stelle mich auf Zehenspitzen und blicke einen kompletten Kopf über sie hinüber. „Da schau, ich habe in den letzten Monaten mindestens 10 Zentimeter gemacht.“ Sie beginnen zu lachen. Meine Mum streicht mir kurz durch die Haare und ich versichere ihr mehrmals, dass alles okay ist und ich nur etwas im Stress bin. Außerdem achtet Shari schon darauf, dass ich nicht vom Fleisch falle. „Hier, du kannst schon mal einen Kuchen mitnehmen.“ Sie drückt mir eine der Torten in die Hand und dreht mich an den Schultern zum Esszimmer. Der gedeckte Tisch sieht einladend aus, doch in meinem Magen ist es flau. Ich mache mir zwischen zwei Torten einen Tee und sorge brav dafür, dass sich der Tisch füllt. Aus dem Wohnzimmer höre ich belustigtes Geschnatter. Genauso, aus der Küche. Ich bleibe im Esszimmer und nippe an meiner Tasse Tee. Grüner Tee mit Vanille. Irgendwann kommen nach und nach auch die anderen dazu. Verstohlen sehe ich zu meiner Schwester und frage mich, ob sie mittlerweile weiß, dass ihr toller Freund wieder in der Stadt ist. Ich spüre, wie mein Herz heftig zu schlagen beginnt und das vor purer Eifersucht. Ein unschönes Gefühl, was meine Brust zu sprengen scheint. Deutlicher und stärker, als jemals zu vor. Es frisst sich durch meine Knochen und lässt meine Finger zittern. Ich atme tief ein, doch dadurch scheint das Brennen in mir nur noch mehr anzufachen. Raphael geht mir nicht aus dem Kopf. Seine Gestalt in der Tür. Das Lächeln und der Geschmack seiner Lippen. Erst das Lachen meiner Schwester reißt mich aus den Gedanken und ich wende meinen Blick von ihrem perfekten Gesicht ab. Ich lasse mich auf einen der Stühle nieder und schlage die Beine übereinander damit ich unruhig mit meinem Fuß wippen kann. Als sich der Stuhl neben mir bewegt, erblicke ich meinen Vater. „Na, Großer, was macht die Kunst? Wie läuft es? Kommst du gut zurecht?“, fragt er mich. Sein Blick ist ernst, aber weniger besorgt als der meiner Mutter. Anscheinend traut er mir zu, dass ich es schaffe zu überleben. „Du siehst, dass ich noch lebe. Ich bin also durchaus in der Lage allein zu recht zukommen“, sage ich flapsiger, als gewollt. Er schaut verdutzt und lacht dann auf. „Schön zu hören! Und deine Mutter macht sich einfach Sorgen.“ „Ach wirklich, das habe ich noch gar nicht gemerkt“, gebe ich sarkastisch von mir und entschuldige mich sofort. Mein Vater schmunzelt und drückt mich kurz an sich. „Melde dich einfach öfter, dann gibt sie Ruhe.“ Mir liegt eine scherzhafte Bemerkung auf den Lippen, doch ich schlucke sie runter. „Ich versuche es.“ „Gut. Wie sind die Vorlesungen?“ „Langatmig...“, beginne ich und kriege dann, aber die Kurve, „Wirklich gut. Unglaublich interessant sogar. Die Methodikkurse toll. Nein, im Ernst. Es ist gut, aber wir haben bisher nur die ganzen Grundlagen und das ist ausschließlich trockene Lernerei“, erkläre ich ihm, stelle meine Ellenbogen auf den Tisch und lehne mich darauf. „Ich vermisse den kreativen Teil, aber der wird noch kommen.“ „Garantiert und dann wirst du sagen, dass du gern mal wieder trockene Theorie hättest.“ „Wahrscheinlich“, kommentiere ich lachend. Das Klingeln an der Tür durchdringt den ganzen Raum. Meine Mutter klatscht freudig in die Hände und ich überlege, wen sie noch eingeladen hat. Es gibt etliche Möglichkeiten. Mein Onkel öffnet die Tür und dann ruft er nach Maya. Sie rennt los. Ein bestimmter Gedanke kitzelt durch meinen Kopf, doch es ist nichts Eindeutiges. Erst das sonore Quietschen lässt den Gedanken aufklaren. Raphael. Mit einem Mal wird mir ganz kalt. Ich kann hören, wie sie ihn in die Küche zieht. Die Stimme meiner Mutter, die ihn überschwänglich begrüßt und Maya dann stolz berichtet, dass sie längst wusste, dass er seit gestern wieder da ist und sie ihn als Überraschung eingeladen habe. Seit gestern? Maya ist aus dem Häuschen. Tausende überschwängliche Küsse und Umarmungen. Vor ein paar Tagen hat er noch mich geküsst. Willkommen zurück im Status quo. Ich habe das Gefühl in einer eisernen Jungfrau zu stecken. Die Worte, die mein Vater neben mir an mich richtet, dringen nicht zu mir durch. Er legt mir seine Hand auf den Arm und erst jetzt sehe ich ihn an. „Tolle Überraschung, oder?“ Er lächelt und ich nicke unmerklich. „Ja, toll.“ Ich klinge wenig überzeugend. Ich sehe Raphael und meine Schwester im Türrahmen zur Küche stehen. Sie hält seine Hand und haucht ihm einen Kuss gegen die blank rasierte Wange. Raphael lächelt und mir wird schlecht. „Entschuldige mich“, sage ich und stehe auf. In dem Moment, in dem sie den Raum betreten, bin ich an der Kommode vorbei zur Tür raus. Nur einen kurzen Blick werfe ich ihnen zu und ich merke, dass Raphael mir nachsieht. Schnellen Schrittes bin ich nach oben verschwunden. Ich höre, wie mir mein Onkel aus dem Flur nachruft, ob ich nicht unten bleiben will, weil wir gleich essen. Doch ich ignoriere es. Im Badezimmer angekommen, stütze ich mich mit den Armen auf dem Waschbecken ab und schaue auf die weiße Keramik. Ich atme tief ein und versuche das schlechte Gefühl in meinem Magen zu unterdrücken. Es fällt mir schwer. Ich schaffe das nicht. Noch einmal atme ich tief ein und wieder aus, dann stelle ich den Wasserhahn an. Kaltes Wasser trifft mein Gesicht. Ich benetze meine Lippen und spüre, wie etwas Wasser mein Kinn hinabrinnt und dann meinen Hals entlang fließt. Obwohl der Gedanke seiner Rückkehr immer da gewesen ist, trifft es mich trotzdem wie einen Schlag sie zusammen zusehen. Sein Lächeln. Seine Erwiderungen gegenüber Mayas Berührungen. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glaube soll. Ein weiteres Mal befeuchte ich meine Lippen. Nur ein wenig Kuchen essen, reden und Interesse heucheln, dann werde ich wieder gehen. Ich sehe in den Spiegel und muss meiner Mutter Recht geben. Trotz Sharis guter Kochkünste bin ich schmaler geworden. Ich fahre mir durch die Haare und als ich das Badezimmer verlasse, stoße ich direkt gegen Raphael. Ich blicke erschrocken auf und sofort wieder weg „Alles okay bei dir?“ Sein besorgtes Lächeln ist ehrlich, doch ich weiche ihm aus, schiebe mich an ihm vorbei. „Ja.“, sage ich und gehe ich die Treppe hinunter. Ich setze mich kommentarlos an den Tisch. Die fragenden Gesichter der anderen ignoriere ich ebenfalls. Allen voran Mayas. Erst als auch Raphael am Tisch sitzt, beginnt die große Kuchenschlacht. Nach einer Viertelstunde bin ich noch immer bei meinem ersten Stück. Ich habe das Gefühl, es mir runterquälen zu müssen. „Raphael, nun erzähl uns von deinem Aufenthalt in den Staaten. Nicht, dass wir nicht alles schon von Maya gehört hätten, aber vielleicht hast du ja auch noch etwas zu berichten“, erkundigt sich mein Vater quer über den Tisch und alle lachen, nur Maya wird rot und ich schweige. „Es war wirklich aufregend. Ein ganz anderes Schulsystem und auch die Menschen haben eine besondere Mentalität. Es hat mir großen Spaß gemacht, vor allem, da die Mannschaft so unglaublich dankbar war, hat mich fasziniert. Sie haben auch weniger gemurrt, als meine Jungs hier.“ Erneutes Lachen. Ich denke an Danny, einen ehemaligen Klassenkameraden von mir und Mitglied von Raphaels alten Leichtathletikteams. Danny ist in den letzten Monaten, doch mehr zu einem Freund für mich geworden. Mit ihm ist es locker und lustig. Das tat mir ganz gut. Er ist an eine spezielle sportorientierte Hochschule gegangen, die aber in der Nähe liegt. Ihm wird eine gute und erfolgreiche Zukunft prognostiziert. Ich nehme mir vor, ihm mal wieder zu schreiben. „Und die Familie, bei der du untergekommen bist?“, fragt meine Mutter und schleckt Sahne von ihrer Kuchengabel. „Durch und durch amerikanisch. Wirklich freundlich und extrem begeistert. Gerade im Zusammenhang mit Sportevents. Jedes Wochenende gab es ein anderes Turnier oder ein Spiel.“ Ich höre kaum noch zu. „Aber insgeheim bin ich froh, wieder hier zu sein“, sagt er und lächelt. „Und wir sind froh, dass du wieder hier bist“, kommt es von Maya und ich verkneife mir ein angewidertes Raunen. Als sie auch noch nach seiner Hand greift, wird mir wieder ganz anders. Ihre schmale, helle Hand wirkt auf seiner großen dunklen ungemein zerbrechlich. Ich sehe zu Maya und sie sieht mich direkt an. Ein seltsamer Blick, doch ich setze mich nur aufrecht hin und schlage unbewusst erneut die Beine übereinander, lasse meinen Fuß angestrengt wippen. Meine Gabel bohrt sich in die weiße Creme des Kuchenstücks. Kokosccreme und Kirschmarmelade. Millimeter für Millimeter bohrt sich das Metall tiefer hinein. In meinen Kopf passiert das in Zeitlupe. „Wäre so ein Auslandsaufenthalt auch etwas für dich, Mark?“, fragt meine Tante und ich sehe sie nicht mal an. Ich pieke das Stück endgültig von meinem Kuchen ab und führe die Gabel nicht zum Mund, sondern lasse es zur Seite kippen. „Nicht wirklich“, gebe ich uninteressiert von mir. Im Raum wird es still. „Wer möchte noch Kaffee?“, fragt meine Mutter und einige Hände heben sich. „Mark, hilfst du mir bitte“ Keine richtige Bitte, sondern eine definitive Aufforderung. Ich lege meine Gabel missmutig zur Seite und folge meiner Mutter. Ohne auf ihre fragenden Gesten zu achten, hole ich den Kaffee aus dem Schrank und setze Wasser auf. „Was ist los mit dir?“, entfährt es ihr aufgebracht. „Nichts.“ „Komm mir bitte nicht so“, sagt sie streng und ich seufze leicht. „Ich habe nicht gut geschlafen, das ist alles.“ Ich hoffe, dass sie diese Erklärung akzeptiert. „Es liegt, also nicht an Raphael und Maya.“ Bei der Erwähnung ihrer Namen zucke ich zusammen. „Habt ihr euch verkracht? Du und Raphael? Oder du und Maya?“ „Was? Nein, wie kommst du auf so was? Es hat nichts mit ihm oder Maya zu tun. Ich habe sie doch gar nicht gesehen. Ich bin einfach nur müde“, wehre ich ab. Eine Lüge. Ich habe mir vorgenommen nicht mehr zu lügen, doch manchmal passiert es automatisch. „Wirklich? Mark, du hast ihn damals nicht verabschiedet und heute nicht begrüßt.“ Ich zucke nur mit den Schultern. Ich hatte ihn verabschiedet und er hat mich begrüßt. Ich kann ihr schlecht erklären, dass ich schon lange weiß, dass er wieder hier ist und ich ihn sogar schon gesehen habe. „Ich habe ihn oben kurz begrüßt“, sage ich verteidigend. „Dein Vater und ich sind nicht blind. Wir wissen, dass du mit der Beziehung von ihm und Maya nicht einverstanden bist“, setzt sie fort. Guter Blick. Falsche Schlussfolgerung. „Was? Ich finde es fantastisch. Ein Hoch auf ihr ewiges Glück.“ Eindeutig zu sarkastisch und den letzten Satz hätte ich mir sparen sollen. Meine Mutter lässt sich nicht beirren. „Die Gründe dafür sollen deine bleiben, aber könntet ihr euch nicht, bitte aussprechen?“ Sie weiß von dem Umschlag, den mir Raphael am Morgen seiner ersten Abreise gebracht hat. Sie weiß nur nicht, was sich darin befand und würde es auch nicht verstehen. Ich höre im Hintergrund das leise Klacken des Wasserkochers. Das Wasser ist heiß. Ich wende mich um und gieße die Kanne auf. „Mark?“ Sie legt mir ihre Hand auf die Schulter. Ich antworte noch immer nicht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass meine Eltern auf so etwas achten. „Du kannst dich wieder hinsetzen. Ich bring den Kaffee gleich hinterher“, sage ich leise. „Wirst du es klären?“ „Was wird er klären?“, fragt Maya. Sie kommt in die Küche und sieht abwechselnd von mir zu unserer Mutter. „Nichts, was dich angeht“, antwortet sie, bevor ich das Gleiche weniger freundlich von mir geben kann. Unsere Mutter stupst ihr sanft gegen die Nase und lächelt. „Hat er schon wieder Unfug gemacht? Fliegst du schon jetzt von der Uni?“, fragt sie trotz alledem weiter. „Nein, Maya. Du hörst bitte auf ihm so etwas zu unterstellen.“ Ich drehe mich, nachdem ich die Kaffeekrümel mit dem Sieb runtergedrückt habe, um und verschränke die Arme vor der Brust. Ich sehe Maya herausfordernd an. „Ja, schon gut, ich bin nur neugierig. Es ist immer wieder belustigend von seinen Eskapaden zu hören. Das ist alles.“ „Tja, wer selbst nur ein pseudointeressantes Leben führt, muss sich eben an dem Leben anderen ergötzen. Vielleicht solltest du öfter deine bunte, scheinheilige Plastikwelt verlassen und den Geruch der Realität schnuppern. Ach, lieber nicht, du könntest dir dabei einen Fingernagel abbrechen.“ Ich sehe, wie sie tief einatmet, aber kein Wort aus ihrem Mund kommt. Ich setze sofort wieder an und gebe ihr keine Chance zur Erwiderung. „Huch, hat es dir die Sprache verschlagen? An welchem Wort bist du gescheitert, Schwesterchen? Pseudo? Realität? Fingernagel? Das kommt davon, dass in deinem Kopf immer nur für ein Wort Platz ist“, gebe ich bitterböse von mir. Ihr Blick ist tötend und der meiner Mutter auch. Ich spüre das Höllenfeuer bereits in mir brennen. Ich greife mir den Kaffee und gehe an beiden vorbei, bevor sie etwas sagen können. Bereits beim Verlassen der Küche beiße ich mir kurz die Zähne zusammen. „Wer möchte Kaffee?“, frage ich übertrieben fröhlich. Ich versuche nicht zu Raphael zu sehen, doch ich spüre seinen Blick auf mir. Dann hebt er die Tasse. Ich zögere bevor ich zu ihm gehe und neben ihm stehen bleiben muss. Er hält die Tasse so, dass sich unsere Arme kurz berühren. Er lässt mich nicht aus den Augen und ich spüre, wie sich langsam, aber sicher Schamesröte auf meine Wangen legt, weil mir sein Blick sagt, dass meine Worte definitiv auch hier zu hören gewesen sind. Ich gieße ihm etwas ein und setze mich dann zurück zu meinem halbaufgegessenen Stück Kuchen. Er nimmt einen Schluck und hustet. „Oh, Mark kreiert aktive Sterbehilfe“, witzelt Raphael mit verzogenem Gesicht. Vielleicht brauche ich die selbst bald. Raphael greift nach der Milch und dem Zucker. Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. Erst ein paar Minuten später folgen Maya und meine Mutter. Sofort wendet sich Maya an Raphael und flüstert ihm etwas zu. Sein Blick wandert zu mir und ich starre ihn diesmal absichtlich an. Kapitel 4: Wie Schafe auf der Wiese ----------------------------------- Kapitel 4 Wie Schafe auf der Wiese Ich bringe den Rest des absurden Kammerspiels hinter mich, beteilige mich notgedrungen und scheinwahrend an den Konversationen und mache gute Miene zum bösen Spiel. So wie es sich meine Mutter gewünscht hat. Mayas Blicke wünschen mir durchweg brennende Qualen. Ich helfe dabei den Tisch abzuräumen und mache freiwillig den Abwasch. Ich sammele die Tassen ein und greife nach der von mir benutzten Teetasse. Darauf ist ein wolleweiches Schaf abgebildet, welches einem 'Du bist schaaaf' zu mäht und zwinkert. Papa schenkte sie Mama vor etlichen Jahren zum Hochzeitstag. Für Maya und mich war es ein Moment des abgrundtiefen Fremdschämens. Doch unserer Eltern haben dabei gekichert, wie zwei Teenager. Mittlerweile kann auch ich darüber schmunzeln. Ich sehe zu meiner Mutter, die den Rest der Tassen in die Küche stellt. Ihr Blick strotzt vor Enttäuschung und dass sie sauer ist, zeigt sie mir mit deutlichem Schweigen. Ich bin ein Idiot und wieder einmal selbst schuld. Könnte ich mich doch nur besser zusammenreißen. Das Wasserrauschen lässt mich einen Moment lang in der Monotonie meiner Gedanken ertrinken. Ich stelle es ab und tauche meine Finger in das Becken. Das warme Abwaschwasser um meine kühlen Finger ist wohltuend. Sie malen kleine Kreise und wirbeln mehr Schaum auf. Ich räume ein paar Teller ins klare Nasse und höre wie Porzellan auf Glas trifft. Ich entscheide mich für den Schwamm und beginne die ersten Teller zu reinigen. Kreisend. Hier und da rubbelnd. Ich wende den Teller. Es hat etwas Hypnotisches. Ich beginne leise zu summen und genieße die Ruhe. So lange bis ich leises Gemurmel und gedämpftes Gelächter höre. Ich achte nicht auf die Stimmen, die aus dem Esszimmer zu mir dringen. Auch das Zersplittern des Glases unter Wasser ist nicht zu hören als ich gedankenlos weiter das Geschirr schrubbe. Doch als ich versehentlich in das kaputte Glas greife, kann ich es spüren. Ein kurzer Schmerz, der durch meine Hand zuckt. Erschrocken ziehe ich sie aus dem Wasser raus und fluche. Die rote Flüssigkeit mischt sich mit dem Wasser. Sofort läuft mir Blut den Arm hinab und ich sehe mich suchend nach einem Handtuch um. Derweil betropfe ich die Arbeitsplatte. Ich bewege mich hektisch suchend umher. Nach kurzer Zeit sieht es aus, wie nach einer Notschlachtung. Viele rote Tropfen am Boden. Auf meinem T-Shirt und es bildet sich eine kleine Lache auf der Arbeitsplatte. Ich finde nichts zum Abbinden und lasse meine Hand sinken. Mein Puls pumpt heftig und heiß Blut durch meine Adern. Trotzdem wird mit kalt. Plötzlich greift jemand nach meinem Arm. Ich höre, wie klappernd etwas Geschirr auf die Anrichte gestellt wird und spüre Raphaels festen Griff um mein Handgelenk. Er fasst direkt in das Blut. Ich beginne heftig und laut zu atmen. „Bleib ruhig und halt die Hand oben." Raphaels leise und ruhige Stimme dringt zu mir durch. Sein bestimmtes und sicheres Handeln beruhigt mich. Er zerrt meine Hand in eine aufrechte Position und zieht ein sauber gefaltetes Stofftaschentuch aus seiner Tasche. Schnell und fest drückt er es auf die lädierte Stelle. Ich zucke zusammen, als ein heftiger Schmerz meinen Körper durchfährt. „Halt still, Mark", höre ich Raphael sagen, doch dann geben meine Beine nach. Erschrocken hält er mich fest, sodass ich nicht vollkommen zu Boden gehe und lehnt mich vorsichtig an den Küchenunterschrank. Kalter Schweiß steht auf meiner Stirn. Mir ist schummerig. Ich höre, wie Raphael nach meinen Eltern ruft. Er nennt meine Mutter bei ihrem Vornamen. Nur das fällt mir auf. Was er noch sagt, kriege ich nicht mit. Mein Blick verschwimmt und das Rauschen in meinen Ohren wird lauter. Es dauert einen Moment bis ich alles um mich herum wieder klar mitbekomme. Das erschrockene und besorgte Gesicht meiner Mutter. Die Aufregung in den Stimmen meines Vaters und meines Onkels, die sich darüber streiten, ob sie einen Krankenwagen holen sollen. Meine Tante, die schnell und gekonnt meine Hand abbindet. Raphaels warme Hand, die in meinem Nacken liegt. Wohltuend und angenehm. Es beruhigt mich und ich spüre es so deutlich. Ich fühle, wie seinen Daumen über meine Haut streicht und dabei auch die Kette berührt. Nun weiß er, dass ich sie noch immer trage. Ich spüre, wie sie auf meiner schwer atmenden Brust hin und her schwingt. Ich höre sie weiterhin diskutieren. „Beruhigt euch endlich. Nicht um sonst belegen die Statistiken, dass 40% aller Todesfälle bei der Hausarbeit passieren", sage ich leise und schmunzele mit Galgenhumor. Den Anderen ist leider nicht nach Lachen zu mute. „Nicht witzig", flüstert mir Raphael zu. „Was ist passiert?", fragt meine Mutter sorgenvoll und ich deute zur Spüle. „Ich denke, da drin ist ein Glas kaputt gegangen. Beim Reingreifen habe ich mich wohl geschnitten." „Und wieso fällst du bei einer kleinen Schnittwunde gleich um?" Ein Kommentar von Maya, die missmutig am Tisch lehnt und ihre Fingernägel anschaut. Ihr Mitleid hält sich in Grenzen und ihr Blick ist seltsam genervt. Ihre verschränkten Arme verdeutlichen die Abwehr. Sie erträgt es nicht, dass ich im Mittelpunkt stehe und wahrscheinlich geht es ihr gegen den Strich, dass Raphael sich um mich kümmert. Ein triumphales Gefühl in meiner Brust. „Maya, halte dich zurück", gibt unsere Mutter streng von sich und sieht nicht zu Maya auf. „Wieso? Das ist doch eine berechtigte Frage? Fällt um wie die bulimischen Mädchen in meiner Klasse." Der Kommentar bringt mich dazu aufzublicken. Für einen Moment sprachlos schaue auf die klapprige Gestalt meiner Schwester und kann mir eine hochgezogene Augenbraue nicht verkneifen. „Schließe nicht immer von dir auf andere, Maya. Ich weiß, dass ein Body-Mass-Index unter 17 nicht erstrebenswert ist. Du anscheinend nicht.", kommentiere ich ihre dämliche Aussage. Meine Mutter zieht das Tuch an meiner Hand fester. Schmerzerfüllt zucke ich etwas zusammen und sehe sie beleidigt an. Sie schüttelt ihren Kopf und ich beiße mir kurz auf die Unterlippe. „Sagt der Richtige", sagt Maya abschätzig und ich sehe, wie sie mich mustert. Ich verabscheue sie für diese Übertreibung. „Oder hast du irgendwelche widerlichen Geschlechtskrankheiten? So was holen sich doch Leute, wie du...", setzt meine Schwester abschätzig fort. Hat sie das gerade wirklich gesagt? Diese Anspielungen sind ungeheuerlich. „Maya es reicht!", fährt sie nun Raphael an und sie zuckt merklich zusammen. Ihre Arme verschränken sich beleidigt vor der Brust. Mein Herz rast. Ihre Äußerungen sind die Retourkutsche für die Beleidigungen von vorhin, doch das lässt mich schwer schlucken. „Es ist einzig deine Anwesenheit, die mich krank macht", kontere ich spitz, aber wenig effektvoll, während mir zwei Leute aufhelfen. Meine Stimme zittert vor Fassungslosigkeit. „Jetzt ist aber Schluss. Alle beide", bellt mein Vater laut. Seine Stimme schallt in den stillen Wänden der Küche wieder. Wir zucken alle derart zusammen, dass wir keinen Ton mehr von uns geben. Es ist Jahre her, dass er so aus der Haut gefahren ist. „Mark, Couch. Maya, Zimmer. Unglaublich, dass ihr es mit euren ewigen Streitereien schafft, einen gemütlichen Nachmittag zu ruinieren." Erst die sanft aufgelegte Hand meiner Mutter auf seinen Arm, lässt ihn durchatmen und leiser werden. „Raphael, es tut mir sehr leid, so, sollte dein Willkommen nicht ablaufen." Raphael nickt verständnisvoll und ich traue mich nicht, ihn anzusehen. Zu meinem Glück scheint niemand über den tieferen Sinn von Mayas Aussage nachzudenken. Dennoch wird mir ein wenig flau. Meine Tante begleitet mich zur Couch, während die anderen die Sauerei in der Küche beseitigen. Mein Onkel holt Verbandszeug aus dem Bad und Elli begutachtet meine Hand. Es ist ein Schnitt, der sich zwischen Zeigefinger und Ballen des Daumens zieht. Er ist nicht übermäßig tief, aber lang und blutig. Ich darf nicht so lange drauf starren, denn schon jetzt wird mir wieder schummerig. Als Krankenschwester erkennt sie sofort, dass ich wieder wanke und drückt mich in die Kissen. Elli begutachtet alles fachmännisch. Der Schnitt ist zwar unschön, aber er muss nicht genäht werden. „Glück gehabt. Aber du solltest trotzdem einen Arzt aufsuchen und musst dich in der nächsten Zeit vorsehen", murmelt sie und lässt ihre braunen Augen über die Wunde gleiten. „Mist, dann muss ich den Eintritt in die unieigene Handballmannschaft wohl verschieben", witzele ich und ernte einen bösen Blick. „Mit deiner Tagliatellemuskulatur ist das auch besser so", kommentiert mein Onkel, setzt sich neben mich und grinst. Ich werfe ihm einen beleidigten Blick zu, während er meiner Tante dabei zu zieht, wie sie nach dem Verbandszeug greift. „Urkomisch. Aber immerhin habe ich jetzt einen Grund jemand anderes für mich mitschreiben zulassen", sage ich und bekomme diesmal an berechtigtes Nicken von beiden Parteien. „Mark, dass du so empfindlich auf den Blutverlust reagierst, ist nicht gut. Hast du viel Stress? Fühlst du dich kränklich oder hast du irgendwas eingenommen?" Ich weiß, dass ihre Fragen aus dem Standardrepertoire der Medizin sind, doch ich fühle mich angegriffen. Sie kennen mich und wissen, dass ich nichts Derartiges zu mir nehme. „Nein, nur die üblichen Muntermachen, die alle Studenten so konsumieren", gebe ich bissig von mir und seufze, „Nein, ich bin einfach nur unausgeschlafen und ich gebe zu, dass in der letzten Zeit mein Speiseplan nicht sehr reichhaltig war, aber mehr nicht." „Okay, okay", beruhigt meine Tante und fährt mir fürsorglich über die Stirn. Sie verbindet meine Hand perfekt und geht dann zu meiner Mutter in der Küche. Mein Onkel bleibt bei mir sitzen und sieht mich an. „Was ist los? Stress? Probleme in der Uni?", erfragt er ein weiteres Mal, aber mit einer so warmherzigen Stimme, dass mir ganz zahm zu Mute wird. Ich weiß, dass jegliches Herausreden keinen Sinn macht. „Nicht wirklich, in der Uni läuft alles gut. Viel zu tun, aber noch kein Stress. Ich habe Spaß und viele nette Leute kennen gelernt." „Unglücklich verliebt?", vermutet er weiter. Er trifft den Nagel auf den Kopf. Nur nicht so, wie er es sich denkt. „Seit Jahren, aber das halte ich aus. Schlimmer sind die ständigen Date-Anfragen, die ich habe. 7 Tage sind einfach zu kurz für eine Woche", sage ich verschmitzt. Doch mein Onkel springt widererwartend nicht auf den Komikerzug auf. „Willst du darüber reden?" „Eigentlich nicht." „Okay." Er nimmt mich sachte in den Arm. Ich bin ihm dankbar, dass er nicht weiter bohrt. „Ich hole uns etwas zu trinken." „Jo, 10 Bier für die Männer vom Sägewerk, bitte.", sage ich hebe beide Hände in die Luft und klappe beim Hochhalten an beiden Händen zwei Finger ein, sodass ins gesamt nur sechs erhoben sind. Ein alter Kneipenwitz. Ich bekomme ein kehliges Lachen, schaue ihm nach. Unwillkürlich legt sich meine Hand in den Nacken. Noch immer fühlt sich die Stelle seiner Berührung warm und liebkost an. Ich schließe meine Augen und lasse meinen Kopf nach hinten auf die Lehne fallen. Ich bin wirklich müde. Nicht nur physisch. Mein Onkel bringt mir ein Glas Cola und schaltet den Fernseher ein. Eine Weile sitzen wir still nebeneinander. Meine Eltern diskutieren in der Küche, während meine Tante beruhigend auf beide Parteien einredet. Ich entschuldige mich und gehe nach oben. Vor dem Bad schwenke ich um und stehe mit einem Mal in meinem alten Zimmer. Ich seufze leise in die Stille des relativ leeren Raumes hinein. Mein Blick wandert über die zurückgelassenen Möbel. Das Bett. Einer Kommode und erschreckend vielen Stühlen. So viele waren vorher definitiv nicht hier drin. Genauso wenig, wie die Kisten mit den alten Spielsachen. Ich begutachte den zerzausten Puppenkopf, der durch den Spalt der Verschlussseite lugt. Auf der anderen Kiste steht groß das Wort 'Lego'. Ich weiß nicht, warum meine Eltern das Zeug aufheben. Ein feines Seufzen perlt von meinen Lippen. Mein Zimmer wird zum Abstellraum. Welch seltsame und bedrückende Vorstellung. Ich höre leise Stimmen im Nebenzimmer diskutieren. Erinnerungen an vergangene Zeiten. Ich verstehe nicht, warum sich Maya nicht einfach an seiner Anwesenheit erfreuen kann. Ich tue es auch. Irgendwie jedenfalls. Na ja, auch meine Begrüßung war nicht sonderlich liebevoll gewesen, aber ich glaube er hat auch nichts anderes erwartet. Aber vielleicht erhofft. An Mayas Stelle wären Streit und Diskussionen das Letzte, woran ich in dem Moment seiner Rückkehr denke würde. Alles nur nicht das. Erneut streichen meine Fingerspitzen über meine leicht trockenen Lippen. Sein Geschmack breitet sich darauf aus. Doch ich bin nicht an ihrer Stelle. Unwillkürlich ziehe ich meine Finger zurück und greife mir an den Hals. Ich spüre das kühle Metall und merke nicht, wie sich hinter mir die Tür öffnet. Seine warme Hand legt sich an meine Schulter und ich schrecke zurück. Raphael steht hinter mir im Raum und sieht mich mit seinen tiefgrünen Augen an. Unergründlich, aber gefühlvoll funkeln sie mir entgegen. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Sein liebevolles Verhalten mir gegenüber macht mich wahnsinnig und bringt mich durcheinander. Warum auf einmal? Nicht, dass er je wirklich unfreundlich zu mir gewesen war. Vor seiner Abreise jedoch war er durcheinander und abweisend. Das hatte mich sehr getroffen, aber mich jetzt dieser liebevollen Freundlichkeit gegenüberzusehen, macht alles noch schlimmer. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Warum kann er mich nicht einfach meiden? Warum kommt er wieder auf mich zu? Was hat sich geändert? „Ich glaube, du hast dich im Zimmer geirrt. Deine Freundin hat das Zimmer neben an", sage ich ungewöhnlich scharf und verschränke die Arme vor der Brust. Der Schnitt an meine Hand pocht. Raphael kommt näher und bleibt neben mir stehen. Ich erwarte eine verärgerte Antwort und starre weiter auf die Kartons vor meinen Füßen. Nichts. Meine Hand liegt noch immer über der Kette um meinem Hals. Warum kann er nicht einfach gehen? Die Frage echot durch mein Inneres und das stille Flüstern in mir antwortet, dass ich es gar nicht will. „Ist Maya sauer?", frage ich stattdessen leise und schaue ihn an. „Wann ist sie das nicht?", antwortet er verschmitzt. Ich sehe, wie seine Schultern leicht nach oben zucken und wie sich ein winziges Lächeln auf seinen Lippen bildet. Ein komischer Ausdruck. Er zeugt nur minimal von Belustigung, sondern eher von verspäteter Erkenntnis. Das gesamte Haus ist aufgebracht und das wegen Mayas und meiner Streitereien. Der Grund ist Raphael. Auch, wenn das für meine Eltern und dem Rest meiner Familie nicht deutlich ist. „Wie geht es deiner Hand?" Seine Stimme gleicht einem Flüstern und doch habe ich das Gefühl. dass sie durch den gesamten Raum hallt. Sie vibriert in meinen Knochen, in meiner Brust. „Keine Amputation nötig, Herr Doktor!", entfährt es mir flapsig. Die Wut wird stärker mit jedem zärtlichen Wort, welches er an mich richtet. „Sonst alles okay?", fragt er einfühlsam und ich bekomme Gänsehaut. Ich rede und rede mir ein, dass das mit Raphael nicht funktionieren kann und das Alles falsch ist, so wie er es mir vor seinem Abgang eingebläut hat. Doch nun steht er neben mir und bringt alles in mir durcheinander. Seine alles umfassende Zuneigung irritiert mich. Die Zärtlichkeit seiner Berührungen wühlt mich auf. Wieso schenkt er sie mir plötzlich? Es macht mich wütend. Ich bin so wütend über die Hilflosigkeit und den Zwiespalt, die ich empfinde, weil er erneut Hoffnung in mir weckt. Ich will sie nicht, weil sie schmerzhaft sind. „Was glaubst du?" Diesmal sind meine Worte voller Verärgerung. Ich höre ein leises Seufzen. „Mark" Mein Name perlt über seine Lippen. Weder wütend, noch mahnend. Er klingt verzweifelt. Seine Fingerspitzen berühren meinen nackten Arm. „Nichts ist okay, Raphael. Du hast mich abgewiesen. Du hast mich verletzt. Und.. und damit hätte es gut sein sollen, aber nein, du...", breche ich ab, weil ich zu laut werde. Ich wende mich zur Tür und drücke sie zu. Ich ziehe mir beim Zurückkommen kurzerhand die Kette vom Hals. Ich blicke sie an und spüre, wie sie mit jeder Sekunde schwer zu werden scheint. Wie eine Last. „Du gibst mir die hier. Ohne eine Erklärung oder irgendwas, was mir sagt, warum du eine Kette mit diesem Datum hast. Nein, nichts ist okay. Gar nichts!", fahre ich fort. Raphaels Kopf neigt sich nach unten. Er streicht unruhig mit den Fingern über seine Jeans. Ich sehe, wie sein Adamsapfel hüpft als er schwer schluckt. „Und weil es anscheinend noch nicht genug ist, kommst du in meine Wohnung, bist nett zu mir und sagst diese Dinge und heute herzt du meine Schwester. Wenn du keine Entscheidung getroffen hast, warum bist du zu mir gekommen?" „So ist das nicht." „Du bist Mayas verdammtes Überraschungsbonbon..." „Mark, das heute war nicht meine Idee...Ich wollte es nicht..." „Du bist aber hier und du bist es für sie..." Raphael schweigt und es ist für mich Zustimmung genug. „Warum bist du zu mir gekommen?" „Ich habe dir den Grund genannt." Ja, das hatte er, aber ich will mich von ein paar netten Worten nicht erneut blenden lassen. „Ja, aber dein blöder Grund ändert nichts. Auch die Kette ändert nichts an der Tatsache, dass du heute wegen meiner Schwester hier bist. Also, was willst du eigentlich?" Meine letzten Worte betone ich besonders. Ich sehe ihn bitterernst an und höre von ihm das, was ich im Grunde immer hören wollte, nur nicht jetzt. „Dich...ich will dich nicht verlieren." Ich kann es ihm nicht glaube. Ich bin selten sprachlos, doch in diesem Moment scheinen alle Worte in meinem Kopf formlos und ungreifbar. Die Emotionen in meinem Bauch fahren Achterbahn. Erregung paart sich mit Glück, Sehnsucht mit Anspannung. Ungläubigkeit fragt nach Verständnis. Doch vor allem spüre ich Wut. Ich bin verdammt wütend. Wie kann er das sagen? Jetzt und nach alledem? Fassungslosigkeit umarmt den Starrsinn. „Was?", entflieht es meinen Lippen ungläubig, „Ich fasse es nicht. Wie kannst du mir das jetzt einfach so sagen?" Raphael rührt sich nicht. „Glaubst du wirklich, dass ich all das, was du vorhergesagt hast, dadurch vergesse? Eine Verirrung. Ein Fehler. So hast du es genannt, weißt du noch? Erinnerst du dich, du kannst mir nicht geben, was ich will, Raphael. Wieso also sollte ich jetzt etwas anderes annehmen." „Ich weiß, dass ich das gesagt habe, aber lass es mich..." „Du hältst vor meinen Augen mit meiner Schwester Händchen", ranze ich ihn fassungslos an uns schneide ihm damit das Wort ab. Ich sehe, wie er zusammenzuckt, weil es stimmt. Shari hat Recht. Ich muss von ihm loskommen. Ich muss es vergessen und mehr Abstand gewinnen, bevor er ich nochmals die Kontrolle verliere. Besonders jetzt, wo er wieder in der Stadt ist. Ich unterbreche einen weiteren Erklärungsversuch und halte ihm die Kette entgegen. „Hier, ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, sie zu tragen. Wirklich, keine Ahnung. Weißt du, ich kann das genauso wenig, wie du. Ich bin kein Spielzeug, was man rausholt, wenn man gerade lustig ist und ich will es nicht abermals werden", frustriert mache ich eine fordernde Geste mit meiner Hand. Raphael reagiert nicht sofort. Erst als mein Blick und meine Körpersprache eindringlicher werden, streckt er seine Hand aus. Die silberne Kette gleitet auf seinen Handteller. Er starrt sie an und schließt die Augen, während er leise einatmet. Enttäuschung, ich höre sie deutlich, aber sie muss mir jetzt egal sein. Ich will einfach keine weiteren Ausflüchte mehr. Keine fadenscheinigen Erklärungen. Wieso das und das nicht. Er ist noch immer der Freund meiner Schwester. „Verstanden", sagt er tonlos und mit seinem Blick auf das silberne Häufchen in seiner Hand. Mein Herz verkrampft sich. Ich weiß, dass es richtig ist, doch mein Inneres brennt. Ich öffne die Tür. „Geh am besten zu Maya und lass dich trösten", kommt es bitterböse über meine Lippen. „Ich will es doch nur richtigmachen", flüstert er, als ich an ihm vorbeigehe. Richtigmachen. Ich verstehe nicht, was er damit meint. Dennoch schaffe ich es nicht, noch einmal zu dem anderen Mann zu schauen und zu fragen. Ich gehe, bleibe hinter der Tür stehen, atme ein und sehe auf. Mein Vater steht am oberen Treppenabsatz. Ich weiß nicht, ob er meine letzten Worte gehört hat, doch im Moment ist es mir egal. Ich weiche seinem Blick aus und biege ab um ins Badezimmer zu gehen. Nachdem ich meiner Mutter noch wiederholte Male versichere, dass es mir gut geht, darf ich endlich gehen. Sie packt mir eine Ladung Kuchen ein und versucht mich noch drei weitere Mal davon zu überzeugen, dass ich zum Abendbrot bleiben soll. Doch ich bin so müde, dass ich nur noch ins Bett möchte. An der Tür drückt sie mir den Brief in die Hand von dem sie am Telefon gesprochen hat. Er ist von meiner Krankenversicherung. Nichts Interessantes also. Ich schiebe ihn in die Innentasche meiner Jacke und steige ins Auto. Mein Onkel fährt mich nach Hause. Unsere Unterhaltung ist lustig und heitert mich auf, aber trotzdem denke ich dauernd an Raphael. Ich danke Tom und verschwinde in meine Wohnung. Die Wunde an meiner Hand pocht und ich genehmige mir eine Schmerztablette, lasse mich aufs Bett fallen. Sofort schließen sich meine Augen. Ich bin so müde. Mein Handy beginnt zu vibrieren und ich sehe Sharis Namen auf dem Display. Sie ist wirklich die einzige Person, mit der ich jetzt noch sprechen würde. Ich nehme den Anruf an. „Dia duit", sage ich ermattet, aber fröhlich und denke an die schöne grüne Insel. Schafe kommen mir in den Sinn und ich frage mich, ob es wirklich mehr von den Tieren als Menschen in Irland gibt. Ich kichere noch bevor sie antworten kann. „Namasté. Alles okay bei dir?", fragt sie argwöhnisch. „Entschuldige, ich stelle mir gerade vor, wie es wäre, eine Horde Schafe zu hüten." „Willst du unter die Züchter gehen?" „Ja, warum nicht. Nur ich und tausend Schafe auf der Weide. Sie sind ganz flauschig und weich. Wir stehen kauend im Gras. Keine Probleme und keine Sorgen mehr. Schöne Vorstellung, oder?" Während ich das sage, ziehe ich mein Kissen in die Arme und beginne es zu umarmen. Ich zerdrücke es regelrecht. „Stehst du unter Drogen? Mark, du sollst doch keine Süßigkeiten von Fremden annehmen", sagt sie halb scherzhaft, halb ernst. „Aber sie sahen aus wie Smarties!", sage ich gespielt entsetzt und schniefe theatralisch. „Oh nein, das sind die Schlimmsten!" Shari beginnt zu kichern. „Ein irisches Sprichwort besagt: Versammeln sich die Schafe oben auf dem Berg, kommt schönes Wetter. Ob das auch gilt, wenn ich meine Schafe auf den Berg trage?", frage ich geistesabwesend und umschlinge nun das Kissen auch mit beiden Beinen. „Ähm, Mark, im Ernst alles gut?", fragt sie weiter. Shari klingt ein wenig verstört. „Ja, der Spruch steht heute auf meinem Tischkalender und ich habe wirklich Schmerzmittel geschluckt", plaudere ich ehrlich aus. „Oh, was? Warum?", gibt Shari erschrocken von sich. „Ich habe mich beim Abwaschen geschnitten und bin daraufhin glatt umgefallen. Ich habe allen einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Vor allem Raphael", giggle ich. „Ernsthaft? Wie Raphael" Ungläubig. „Raphael hat mich festgehalten, sonst hätte ich mir auch noch den Kopf angeschlagen. Oh, falls du es noch nicht erraten hast, aber er war der wunderbare Überraschungsgast der zuckersüßen Kuchenparty. Maya hat sich riesig gefreut und ich natürlich auch", sage ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und setze mich auf. „Wie schrecklich. Was hast du gemacht?" „Nichts. Was es noch schlimmer gemacht hat, denn nun glaubt meine Mutter, dass ich Raphael nicht leiden kann und ihn deshalb meide." Shari schweigt. Ich sacke in mich zusammen und seufze schmerzerfüllt. „Hat er etwas wegen seines Auftauchens in deiner Wohnung gesagt?" Ich überlege, ihr von dem Streit in meinem Zimmer zu erzählen und entscheide mich dagegen. „Nein, er war ja mit Maya beschäftigt. Shari, das macht mich alles so fertig. Ich weiß nicht, was ich meinen Eltern noch sagen soll." „Es ist doch egal, was deine Eltern denken." „Das sagst du so leicht, aber ich möchte auch nicht, dass sie glauben, dass ich darauf Eifersüchtig bin, dass Maya eine Beziehung hat und ich nicht. Denn so klingt es für mich. Und das ist Blödsinn. Mir ist doch egal, was Maya macht. Nur nicht die Tatsache mit wem sie zusammen ist." Ich lasse mich zurück ins Bett fallen und drücke noch immer das Kissen an mich. „Hast du jemals in Betracht gezogen deinen Eltern zu erzählen, dass du schwul bist?" Ich drehe mich in dem Moment, in dem sie das sagt, auf den Bauch. Mein Gesicht drücke ich in das Kissen. Meine Antwort ist nur ein unwirsches, unverständliches Gebrabbel. Ich frage mich, ob das etwas ändern würde, denn selbst wenn meine Eltern über meine sexuelle Neigung Bescheid wussten, wäre Raphael noch immer Mayas Freund. Also resultiert daraus kein positiver Effekt für mich, somit ist der Gedanke nichtig. „Ja, genau Mark, das habe ich jetzt auch verstanden." Ich wiederhole das Gebrabbel und beginne zu kichern, drehe dann meinen Kopf wieder zur Seite. „Das würde doch nichts ändern, aber ja, habe ich und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt ist" „Warum? Was macht einen späteren Zeitpunkt besser?" Berechtigte Frage. „Ja. Nein. Vielleicht. Ich weiß auch nicht. Ich habe das dringende Bedürfnis erst zu beweisen, dass ich etwas auf die Reihe bekomme bevor ich ihnen offenbare, wie verkorkst ich wirklich bin und wie Maya sagen würde, Schande über das Haus Dima bringe." Ich seufze leicht und drehe mein Gesicht erneut ins Kissen. „Ich glaube nicht, dass deine Eltern, dass schlecht aufnehmen werden. Sie lieben dich, egal, ob du auf Männer stehst oder auf Frauen." „Und was ist mit den Enkelkindern?", frage ich. „Dafür gibt es noch Maya." „Lauter blonde Barbie-Klone! Gruselig. Danke für diesen Albtraum." Bei dem Gedanken beginne ich mich angewidert zu schütteln. „Jetzt übertreibst du, aber ganz gewaltig. Du kannst dich, übrigens auch noch fortpflanzen." „Nein, ich habe meine Fortpflanzungsfähigkeit an der Schlange zur Homosexualität abgegeben", sage ich flapsig und weiß selbst, dass das totaler Schwachsinn ist. Nun reicht es sicherlich auch Shari. Warum habe ich bei der Verteilung idiotischer Eigenschaften so laut schreien müssen? Ich seufze in mich hinein. „Ich glaube, du solltest dringend ein paar Stunden schlafen und morgen, wenn du aufstehst und die Sonne scheint, sieht alles wieder besser aus. Vielleicht funktioniert dann auch dein Verstand wieder. Dann darfst du mich auch noch einmal anrufen, okay?" Eine klare Abfuhr und Maßregelung. „Okay, aber...", sage ich und Shari unterbricht mich. „Mund halten. Bett. Schlafen.", kommentiert sie mein Aber. Ich atme geknickt aus und weiß, dass sie Recht hat. Ich bin ihr dankbar für ihre Ehrlichkeit. Trotzdem kitzelt ein aller letzter Versuch in mir. „Das ist der immense Blutverlust", versuche ich mich zurechtfertigen, doch ich höre Shari nur kurz lachen. „Mark. Schlafen. Jetzt." „Shari?" „Ja?" „Ich hab dich lieb", murmele ich leise und stelle mir ihr schönes Lächeln vor. „Ich dich auch und jetzt schlaf ein bisschen." „Ja, wohl! Ma'am" „Fir milenge" „Slán", brabbele ich noch und lege das Handy neben meinem Kopfkissen ab. Ich drehe mich auf die Seite und bin schnell eingeschlafen. Ich träume von dem Abend, an dem ich vor Raphaels Tür stand. Unser Abschied. Seine Worte und der Ausdruck in seinem Gesicht. Flehend und um Verständnis bittend. Wahrscheinlich haftete dem auch ein wenig Verzweiflung an. Der Anblick verschmilzt mit seinem Gesichtsausdruck von vorhin. Ist es die richtige Entscheidung gewesen? In meinem Traum frage ich mich das immer wieder. Ich schrecke hoch und fahre mir mit der verbundenen Hand über den Hals. Ich bin schweißgebadet und merke, wie sich meine Vene heißpochend gegen meine Finger drückt. Mein ganz eigener Albtraum. Ich drücke mir das Kissen gegen den Mund und beiße in den Baumwollstoff. Das seltsame Gefühl auf meiner Zunge lenkt mich ein bisschen ab. Ich fahre mir über die Zähne und plötzlich sind meine Gedanken wieder bei Raphael. Sein sorgenvoller Blick in der Küche. Die sanfte Berührung in meinem Nacken. Die Wärme, die von seiner Hand ausging und so tief in mich hinein drang. Ob sich vielleicht doch etwas geändert hat? Warum sonst sollte er zuerst zu mir kommen? Was will er richtigmachen? Ich habe seine Erklärung nicht abgewartet. Vielleicht hatte er eine? Ein hoffnungsvolles Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, welches aber schnell von der anhaltenden Ernüchterung überschattet wird. Er hätte es mir einfach sagen könne. Ich greife mir unbewusst erneut an den Hals und taste diesmal nach etwas ganz bestimmten. Nichts. Erneut kommen mir die Schafe in den Sinn. Weiß und Wuschelig. Die tiefen schwarzen Augen sprühen vor Genügsamkeit. Ich sehe mich auf einer saftig grünen Wiese liegen. Mein Kopf liegt auf dem weichen Fell eines Schafes. Ich schließe die Augen und in diesem Moment hüpft das erste Schaf über mich. Eins. Ich beginne zu zählen. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Diesmal schlafe ich traumlos bis zum nächsten Morgen. Kapitel 5: Mit Gemüsebratlingen gegen Glücksbärchies ---------------------------------------------------- Kapitel 5 Mit Gemüsebratlingen gegen Glücksbärchies Ich erwache durch ein heftiges Pochen in meiner Handfläche. Es ist gleichmäßig, dumpf und damit umso nerviger. Die Schmerztablette hat aufgehört zu wirken und mit einem Dröhnen im Kopf setze ich mich auf. Ich lasse das gestrige Gespräch mit Shari Revue passieren und nehme mir vor, mich bei ihr zu entschuldigen. Das Unsinnometer in ihren Kopf muss bis zum Ende ausgeschlagen haben. Mehr als sonst. In diesem Moment frage ich mich, wie sie es bloß mit mir aushält. Ich schwinge meine Beine aus dem Bett und fahre mir über das Gesicht. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch ausreichend Zeit habe. Meine erste Vorlesung beginnt erst um 10 Uhr. Ich sehe auf meine bandagierte Hand und komme zu dem Schluss, dass ich mir auf dem Weg zur Uni ein paar Verbände und Pflaster besorgen sollte um nicht doch noch an einer Blutvergiftung zu sterben. Was war das nur gestern wieder für ein Tag? Ich seufze, während es in meinem Nacken langsam kribbelnd warm wird. Es ist, als würde ich erneut Raphaels Hand dort spüren und ich jaule verzweifelt auf. Unwirsch reibe ich mir über die Stelle bis sie brennt und gehe ins Bad. Ich stelle mich unter die Dusche und ignoriere, dass der Verband mit Wasser vollläuft. Immerhin achte ich darauf, dass ich ihn nicht auch noch einseife. Ich gönne mir zum Frühstück ein Stück des gestrigen Kuchens und mache mich auf den Weg zur Uni. Im Treppenhaus pralle ich mit einem jungen Mann zusammen. Ich weiß, dass er über mir wohnt und so gut, wie nie etwas von ihm zu hören ist. Seine braunen Augen schauen immer abwesend. Als wäre er so weit entfernt, wie die entlegensten Galaxien im Weltraum. Doch diesmal sieht er mich an. Ein attraktives Gesicht. Sanfte, liebevolle Gesichtszüge. Seine Hand legt sich abfangend an meine Schulter und meine bettet sich an seinen Arm. Er zieht sie sofort zurück, als wäre ihm diese winzige Berührung ungewohnt. Fast unangenehm. „Entschuldigung, ich sollte damit aufhören mit dem Hintern zuerst die Wohnung zu verlassen", witzele ich. Nur ein feines Zucken in seinem Gesicht, als wäre er nicht sicher, wie er darauf zu reagieren hat. Seine graue Arbeitshose hat schwarze Flecken und definitiv schon bessere Tage gesehen. „Schon okay. Es ist ja nichts passiert.", erwidert er sanft. Er wendet sich ab und gleitet leichtfüßig und fast lautlos die Treppe hinab. Ich blicke ihm einen Moment nach. Ein wunderlicher, junger Mann. Ich schüttele den Kopf und folge ihm die Treppe hinunter. An der Türklingel suche ich nach seinem Namen. E. de Faro. Auch ungewöhnlich. Bevor ich zur Uni gehe, mache ich wie geplant einen Abstecher zur Apotheke. Ich decke mich dort mit Bandagen und Pflastern ein. Eine freundliche Apothekerin erneuert mir meinen alten, blutigen Verband und schwatzt mir noch ein Desinfektionsmittel und ein Wundcreme auf. Ich nehme alles mit. Sie fragt mich nach dem Unfallhergang und ich fantasiere eine spektakuläre Geschichte mit Einbrechern, Kung fu und Messern zusammen. Sie weiß, dass ich spinne, aber an ihrem Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass ihr diese kleine Ablenkung ebenfalls gut gefällt. Ich, der Erretter aus dem tristen Alltag. Ich freue mich, als sie mir bestätigt, dass mich wirklich keine Amputation erwartet und ernte ein heiteres Lachen der jungen Frau. Bei einem bezaubernden Café mit veganen Leckereien kaufe ich meiner kleinen Blume einen Bitte-sei-mir-nicht-böse-Muffin mit extra vielen Ich-bin-untröstlich-Blaubeeren und mir selbst eine Ich-hatte-noch-nicht-genug-Kuchen-zum-Frühstück-Zimtschnecke. Dann verschwinde ich zur Uni. Nach den ersten beiden Vorlesungen treffe ich endlich auf Shari. Sie beäugt mich kritisch, während ich auf sie zu laufe. Ich werde gespielt langsamer und neige meinen Oberkörper etwas nach hinten, bis ich die letzten Schritte gebeugt und in Zeitlupe auf sie zugehe. Zunächst ist ihr Blick ernst, dann säuerlich und zum Schluss beginnt sie zu lachen. Sie stupst mir sachte gegen die Schulter. „Dila mshvidobisa", krächze ich ihr auf unsauberem Georgisch entgegen und lächele überzeugend. Was anderes fiel mir gerade nicht ein. „Aloha, du Scherzkeks. Wie geht es dir und deiner Hand?", fragt sie mich und greift nach meinen bandagierten Fingern. Kritisch schaut sie auf den weißen Mullstoff. Ich wackele kurz mit dem Zeigefinger. Shari greift danach und hält ihn fest. „Schrecklich, aber wie du siehst bin ich aufgewacht und in der Nacht nicht verblutet." „Tut es sehr weh?" Ihre Stimme ist von Sorge getränkt. Natürlich gespielt. „Ja, ganz furchtbare Schmerzen!", stimme ich ein und mache ein bemitleidenswertes Gesicht. Shari tätschelt mir den Kopf. „Übertreib mal nicht." „Würde ich nie, aber ich konnte vor lauter Pein kaum mitschreiben", sage ich theatralisch. Ich schüttele energisch den Kopf. Es folgt ein Schniefen. Shari lächelt. „Dann solltest du dir ein Diktiergerät anschaffen oder jemanden schmieren", sagt sie lapidar und ich lasse meine Schultern enttäuscht sinken. Nicht das, was ich hören will. „Du bist knallhart, weißt du das?" Ich schaue sie mit hochgezogener Augenbraue an und Shari lächelt nur besonnen. „Lass uns essen gehen." Sie hakt sich bei mir unter, doch ich bleibe stehen. Der Muffin. „Hey, wegen gestern. Ich will mich noch entschuldigen, weil ich so viel Blödsinn gequatscht habe. Ich war wirklich etwas fertig." Shari nimmt mir solche Momente nicht krumm, das weiß ich. Übertreiben sollte ich trotzdem nicht. Ich ziehe die Tüte mit dem Muffin hervor und halte ihr diesen hin. „Was ist das?", lacht sie und nimmt die Tüte. „Ein durch und durch veganer BlaubÄrmuffin", säusele ich, zwinkere und mache dazu eine Krallenbewegung mit den Händen. Shari kichert. „Ich habe dir übrigens gestern nicht erzählt, dass ich Raphael die Kette zurückgegeben habe. Ja, und ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht mitmache." Sie ist überrascht. Dann forschend. Sie betrachtet mein Gesicht, sucht darin nach Regungen und Anzeichen, die mich verraten könnten. Ich versuche meinen Blick neutral bis überzeugt zu halten, auch wenn ich es noch immer nicht bin. Das enttäuschte Schimmern in Raphaels Augen holt mich ein und ich schlucke schwer. Die Wut vom gestrigen Abend ist nun verschwunden und macht der beißenden Unsicherheit Platz. „Du hast das Richtige getan, Mark", sagt sie als hätte sie die Unsicherheit gesehen und tätschelt mir den Kopf, wie sie es bei ihren kleinen Geschwistern macht. Seltsamerweise mag ich das. Trotzdem bestärkt es mich in meiner Überzeugung doch einen Fehler gemacht zu haben. Meine Gesichtszüge trüben sich. „Ich weiß", antworte ich leise. Sie mustert mich. Ich versuche zu lächeln und ziehe sie Richtung Mensa. Ich weiß nicht, ob sie die Veränderung in meinem Gesicht bemerkt hat. Meine Gedanken sind bei Raphael. Ich brauche lange bis ich mich endlich für ein Essen entschieden habe. Geworden ist es ein Gemüsebratling mit Kartoffeln und Kräutersoße. Es sieht besser aus, als ich dachte. Ich bekomme am Ende noch ein Dessert von Shari aufgedrückt, dass sie allein nicht essen möchte, aber sicher wird. Auf ihrem eigenen Teller thront ein Berg Salat. Heuchlerin. Sie berichtet mir von ihrer Vorlesung. In den kommenden Wochen stehen bei ihr, etliche Exkursionen an. Sie freut sich und beginnt mir zu erklären, was sie sich alles ansehen werden. Den Botanischen Garten. Die Labore rund um das Forschungsinstitut. Es folgen weitere Beispiele, die ich mir allerdings nicht merke. Ich trotte Shari hinterher, doch ich bin zu sehr in Gedanken um wirklich mitzubekommen, was sie mir erzählt. Als sie stehen bleibt um sich in der überfüllten Mensa umzusehen, tue ich es ihr gleich. Doch wie durch einen Zufall fällt mein Blick direkt zu dem Tisch, an dem ein altbekanntes Gesicht sitzt. Seine Silhouette. Sein Profil erkenne ich blind. Seine sonnengeküsste Haut sticht besonders hervor unter den ganzen Kellergebräunten. Ich spüre meinen Herzschlag, der mit jeder Sekunde, den ich ihn nur ansehe, nach oben schnellt. Er sitzt zwischen ein paar der unieigenen Athleten. Sie lachen. „Mark" Shari ruft mich zu sich. Es ist nicht laut, doch ich kann sehen, wie Raphael seine Erzählung unterbricht und aufsieht. Direkt zu mir. Als würde er jedes Mal auf meinen Namen reagieren, obgleich wirklich ich damit gemeint bin. Seine schönen, grünen Augen sind intensiv und scheinen in die Tiefe jeder meiner Fasern zu dringen. Ich kann sehen, wie er langsam einatmet und den Blickkontakt nicht unterbricht. Seine Augen werden weich und dann schenkt er mir das schönste Lächeln, welches ich je bei ihm gesehen habe. Tief und liebevoll. Sehnsüchtig. In mir beginnt es zu brennen, schier zu lodern. Ich fühle mich in die 10. Klasse zurückversetzt. Unser Tag im Herbst. Sein Lächeln, als er mir den Rucksack zurück auf die Schultern zog. Wie dabei seine Haare über die Stirn streichelten, angeregt durch einen zarten warmen Windhauch. Soviel Unschuld in seinen Blick. Das starke Kribbeln in meiner Brust, das für so lange Zeit nur ein heißes, schmerzendes Brennen gewesen war, wird zu einem verlangenden Reißen, das sich durch meine Glieder arbeitet und in meiner Körpermitte bündelt. Ich wünsche mir diese zarte Berührung zurück. Die Wärme seiner Haut und das Gefühl seiner Lippen auf meinen. Es ist als wäre mit einem Schlag jedes noch so kleine Gefühl für ihn zurück. Nun bereue ich meinen gestrigen Abgang, auch wenn ich genau weiß, dass er an dieser Stelle richtig gewesen ist. Noch ist nichts geklärt. Ich bin kein Spielzeug. Ich bin die richtige Wahl. Nicht weniger. Fast gleichzeitig werden wir von unseren Freunden zurückgeholt. Sein Lächeln hätte ich mir noch ewig ansehen können. Erneut ruft Shari mein Name und ich atme kurz durch. Das Tablett in meiner Hand wiegt schwer, doch noch einmal schaue ich zu ihm zurück. Sein Blick wandert über dem Nacken der Blondine zu mir. „Mark, träumst du?" Sie nimmt mir das Tablett aus der verletzten Hand und ich setze mich ihr gegenüber. Ich vermeide einen weiteren Blick in Raphaels Richtung. „Wo bist du mit deinen Gedanken?", hakt sie nach. Sie sieht sich ebenfalls um, doch aus ihrer Position heraus ist er nicht zu sehen. „Entschuldige, ich trainiere da so eine neue Technik. 'Das aktive im Stehenschlafen - Die beste Methode für gebeutelte Männer beim Shoppingwahn mit ihren Frauen'. Patent beantragt. Vielleicht ändere ich den Namen noch." „Klar. Du kannst nicht mal ordentlich im Liegen pennen, wie willst du das dann im Stehen?" Shari zieht eine Augenbraue nach oben. Sie kennt mich zu gut und sie hat vollkommen Recht, denn im Moment schlafe ich extrem schlecht. „Deswegen ja das harte Training." „Okay, wen hast du gesehen?", fragt sie und beginnt sich in der überfüllten Mensa umzusehen. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn sie mir das sofort geglaubt hätte. „Niemand", versuche ich ihr überzeugend zu verkaufen. Doch das Misstrauen in ihrem Blick verschwindet nicht. Sie reckt ihren schlanken Hals, doch zu meinem Glück ist Raphael wieder von der jungen Frau verdeckt. Sie weiß, dass ich lüge. Sie sieht mich forschend und herausfordernd an. Ich weiche ihrem Blick nicht aus und starre ebenso intensiv zurück. Ich verliere das Duell. Ich kann es deutlich spüren. Zu meinem Glück lässt sich in diesem Moment Paul neben Shari nieder. Sein Tablett fällt klirrend auf die Tischplatte und sein Löffel rutscht geräuschvoll gegen die Plastikkante. „Namasté, ihr wunderbaren Glücksbärchies." Paul sieht grinsend von mir zu Shari und greift nach dem Löffel. Ich brumme nur leicht und sehe Shari weiterhin trotzig an. Sie erwidert meinen Blick weiterhin forsch. Meine Hand pocht wild. „Okay, ich revidiere. Brummbärchie und Böser-Blick-Bärchie trifft es bei euch eher. Ärger im Scheinparadies?" Noch einmal blickt er von mir zu Shari und wieder zurück. „Böser-Blick-Bärchie gibt es nicht", erläutere ich ohne Paul anzusehen. „Aber Brummbärchie, oder?" Paul hebt seinen Löffel. „Wie hast du uns gefunden?", fragt Shari zuckersüß, nachdem sie endlich ihre wissenden Augen von mir nimmt. Sie lächelt Paul zu. Der plötzliche Emotionswandel in ihrem Gesicht ist beeindruckend. „War ganz einfach! Ich habe einfach nach einer atemberaubenden Schönheit geschaut und ihrem schlaksigen Lakaien." Sein Löffel ummalt Sharis Antlitz und markiert mich. „Hattest du heute Morgen einen Clown zum Frühstück?", frage ich fast beleidigt und ignoriere Sharis Kichern. Doch sie wird nur noch lauter. Ich sehe die hübsche Inderin empört an. Zur Beruhigung legt sie mir ihre warme Hand auf den verletzten Arm. Ein verneinendes Kopfschütteln versichert mir, dass sie mit Pauls Beschreibung für mich nicht konform geht. Beleidigt bin ich trotzdem. „Ein kompletten Zirkus mit Manege und seither muss ich böse Aufstoßen. Die Artisten haben wohl das Trampolin wieder entdeckt, aber wir wollen keine Tiere scheu machen.", kommentiert Paul sein Clownsfrühstück. Seine Worte ergeben gar keinen Sinn, doch ihm ist das egal. Taktik der Verwirrung. Seminar und Vorlesung im ersten Semester. Paul studiert Jura im 2. Jahr und hat mir geholfen, mich zurecht zu finden. Er ist Sohn reicher Eltern, was sich vor allem in seinem widerspruchslosen Bestimmungswahn äußert und er ist ein fantasievoller Laberkopf, der um keine Ausrede verlegen ist. Wir verstehen uns prima und seit ich ihm Shari vorgestellt habe, überhäuft er sie mit Komplimenten und Huldigungen. Sie genießt es und ich muss zugeben, dass oft sehr ausgefallen Sachen dabei sind. Paul schaufelt ein paar Nudeln auf und schiebt sich die Brille auf die Nase. Bisher habe ich noch nicht herausbekommen, ob er die Brille wirklich braucht oder ob sie, wie vermutet, nur ein Accessoire ist. Während er sich einen Berg Teigspiralen in den Mund schiebt, begutachtet er meine bandagierte Hand. „Waff afft fu mafft?", fragt er mich und ich schiebe ihm meinen Teller zu. „Stopf noch mehr rein, vielleicht erstickst du dann", sage ich als retour zu seinem gemeinen Kommentar von eben und er grinst. Ein paar rote Nudeln blitzen zwischen seinen Zähnen hervor. Ich klaue mir von Sharis Teller ein Salatblatt und werfe es ihn an den Kopf. „Hey, schmeiß lieber deinen seltsamen Bratling. Das tut sicher mehr weh und rettet dich vor einer Vergiftung", sagt Shari und schirmt ihren Salat mit den Händen ab. Paul und ich wechseln einen vielsagenden Blick und beginnen dann beide zu lachen. Solche Kommentare kommen von Shari äußerst selten. „Nee, im Ernst, was ist mit deiner Hand passiert?" Paul wischt sich über den Mund, doch ein Rest der Tomatensoße bleibt zurück. Wie bei einem zu hastig essenden Kind. Er ist ein angehender Jurist, rufe ich mir ins Gedächtnis und komme nicht drum herum meinen Kopf zu schütteln. Ich bekomme den jetzigen Anblick nicht mit der Vorstellung eines schick gekleideten Anzugträgers vereint. Automatisch blitzt das Bild von ihm im Gericht mit Anzug und Tomatensoße im Gesicht durch meinen Kopf. Paul deutet ungeduldig auf meine Hand. „Ich habe mich im Löwen bändigen versucht, aber das kann ich jetzt an den Nagel hängen, schließlich hast du den Zirkus vertilgt." Shari tippt mir gegen die Stirn und deutet mir damit an, dass wir genug Blödsinn von uns gegeben haben. Paul betrachtet die Szene schmunzelnd. „Ich bin zu blöd zum Abwaschen", sage ich nun wahrheitsgemäß, sehe Sharis zufriedenen Blick und wie Paul das Gesicht verzieht. Wahrscheinlich stellt er sich gerade vor, was passiert ist. „Uh unschön, aber jetzt kannst du verlangen, dass jemand für dich mitschreibt." Ein weiteres Grinsen in seinem jungenhaften Gesicht. Ein Klecks Tomatensoße landet auf seinem Shirt. Er merkt es nicht. Ich sage nichts. „Endlich jemand, der mich versteht", sage ich und haue mit der gesunden Hand auf den Tisch, „Genau das habe ich auch zu meinen Eltern gesagt. Die waren aber nicht so begeistert, wie wir beide. Sie auch nicht." Ich deute beleidigt mit meinem ausgestreckten Daumen zu Shari, die sich Salatblätter in den Mund schiebt. Ich ziehe endlich meinen Teller wieder zu mir heran und begutachte meine Essenswahl. Ein Haufenkartoffeln und eine unter weißer Soße schwimmende Presspappe aus Blumenkohl, Möhren und anderen undefinierbaren grünen Pflanzenfasern. Meine Entscheidungen sind schon mal besser gewesen, aber im Moment herrscht in meinem Kopf sowieso nur heilloses Durcheinander. Unwillkürlich wandert mein Blick zu dem Tisch an dem Raphael sitzt. Ich kann nicht sehen, ob er noch immer da ist, aber in mir beginnt es erneut zu kribbeln. Nur halbherzig höre ich bei der aufkommenden Diskussion über genetische Beweismittel in Kriminalfällen meiner beiden Tischnachbarn zu und verspeise ungewöhnlich schweigsam mein Mittagessen. Ich weise nicht daraufhin, dass sie im Grunde beide der gleichen Meinung sind und nur vollkommen aneinander vorbei diskutieren. Noch während sie sich Pros und Kontras an den Kopf werfen, klingelt mein Telefon. Eine neue Nachricht. Ich öffne sie. -Ich denke an dich-. Jake. Vier einfache Worte. Doch sie zaubern mir ein Lächeln auf die Lippen, ebenso, wie ein warmes und erregendes Gefühl, welche durch meine Glieder strömt. Jake erwartet nicht mal eine Antwort, sondern erfreut sich jedes Mal an der Tatsache, bei mir zu sein. Doch diesmal antworte ich ihm. - Konzentriere dich lieber auf deine Arbeit, sonst gibt es noch Ärger. ;) freue mich auf dich - Meine letzten Worte lassen mich kurz zögern. Ich freue mich wirklich, trotzdem blicke ich und zu dem Tisch an dem Raphael sitzt. Ich sende es ab und bin überzeugt, dass meine Freude echt ist. Jake ist etwas Konkretes. Jake ist eine Antwort. Er bedeutet vergessen und das kann ich gut gebrauchen. Mein Handy vibriert erneut. - Keine Chance, zu heiße Bilder im Kopf. Meine Konzentration schwächelt. Ich wäre gern bei dir. ;) - Die Nachricht treibt mir fast Schamesröte ins Gesicht. Ich bin in keiner Weise prüde, aber solche Nachrichten zu bekommen, ist noch immer neu für mich. Ein kurzes, leises Lachen perlt über meine Lippen. Ich sehe schmunzelnd auf das Telefon in meiner Hand und ignoriere Sharis und Pauls Blicke. Erst das Schurren von Stühlen lässt mich zur Seite schauen. Raphael. Er beobachtet mich. Ich lasse das Handy sinken. Kein Lächeln in seinem Gesicht und er hat einen für mich undefinierbaren Blick. Wie viel er wohl gesehen hat? Er greift sich an die Brust, kaschiert es mit einem undefinierten Glattstreichen von imaginären Falten und wird dann von einer der Frauen fortgezogen. Diesmal hat auch Shari ihn gesehen. Allein ihr Blick steinigt mich. Ich zucke unschuldig mit den Schultern. Paul versteht unsere Blicke nicht. Er weiß nichts von dem Drama mit mir und dem Freund meiner Schwester. Immerhin weiß er bereits, dass ich auf mein eigenes Geschlecht stehe und hat damit keinerlei Probleme. Sharis Augenbraue zuckt und sie fährt sich mit dem Finger über die Lippen. Nun weiß sie, was mich vorhin abgelenkt hat. Ich erwarte neue Diskussionen, doch in diesem Moment sehe ich nur Mitgefühl und Traurigkeit in ihrem Blick. Das ertrage ich noch weniger als den Ärger. Unsere Wege trennen sich nach dem Mittagessen. Shari fährt nach Hause und ich habe noch zwei Seminare. Bevor sie geht, nimmt sie meine Hand. Ihre Fingerspitzen sind ungewöhnlich kühl. Ich nehme sie zwischen meine und Wärme sie einen Moment. Doch meine Glieder sind nicht wirklich temperiert. In letzter Zeit habe ich ständig kalte Hände. „Du bist stark", flüstert sie und löst ihre Hände von meinen, schlingt mir die Arme um den Hals und drückt mich fest an sich. Bin ich das wirklich? Ich schließe meine Augen, sauge den dezenten Duft in mich ein und fühle mich, wie immer etwas besser. Wenn auch nur temporär. „Ruf mich heute Abend an", fordert sie und duldet keiner Widerrede. Das würde mir auch nie einfallen. Ich lächele. „Kargad brdzandebodet", krächze ich ihr in schlechtem Georgisch nach und winke. Als Shari weg ist, legt Paul seinen Arm auf meiner Schulter ab und grinst. „Alter, mir wird schon vom Zusehen ganz warm." Seine Hand wedelt ihm Luft zu. „Pass lieber auf, was du sagst. Der Letzten, der so etwas andeutete, den habe ich verprügelt." Pauls griff um meine Schulter wird nicht lockerer, sondern einen Moment fester. Er scheint abzuwägen, ob er mir glaubt oder es als weiteren Scherz versteht. Ich denke an Danny und nehme mir ein weiteres Mal vor, mich bei ihm zu melden. Ich beobachte, wie Pauls Blick an mir entlangfährt. „Ja, ich kann dich verprügeln und ich mache es auch gleich, wenn du deine Fantasie nicht im Zaum hältst." „Wirklich? Ist das dein Ernst. Du hast dich geprügelt?" „Ja, habe ich und dafür habe ich einen Verweis kassiert. Ich bin ein gefährliches Subjekt!", sage ich in völliger Überzeugung und klopfe mir demonstrierend auf die Brust. Natürlich mit der kaputten Hand und zucke schmerzerfüllt zusammen. Paul greift in seine Jackentasche und zieht eine Visitenkarte hervor. Er reicht sie mir. „Hier, vielleicht brauchst du sie irgendwann. Du, gefährliches Individuum du." „Wozu brauche ich denn einen mit Tomatensoße bekleckerten Jurastudenten?" Paul blickt an sich hinab und bemerkt erst jetzt den Fleck. „Möglicherweise, wenn du von der italienischen Mafia kassierst wirst und ihnen nicht glaubwürdig verkaufen kannst, wie sehr du auf Spaghetti Arrabiata stehst?" „Und anhand deines T-Shirts würden sie das dann glauben?" Ich hebe fragend meine Augenbraue. „Vielleicht oder sie verarbeiten dich gleich zur Bolognesesoße", kommentiert Paul verschwörerisch. Ich blicke ihn ungläubig und fragend an. Wir beginnen zu lachen und verabschieden uns voneinander. Die Seminare sind schnell durchgestanden und diesmal habe ich es geschafft meine Augen offen zu halten. Zurück in meiner Wohnung fällt der Rucksack gleich im Flur zu Boden und ich steuere das Badezimmer an. Ermattet fahre ich mir durch die Haare und blicke kurz in den Spiegel. Ich muss dringend ausschlafen und mehr essen. In Gedanken spiele ich mit einer spontanen Selbsteinladung bei Sharis Eltern, während ich mir die Hände wasche und überlege direkt unter die Dusche zu springen. Ihre Mutter kocht so viele leckere Sachen. Nicht nur indisch, aber meistens natürlich. Ich liebe es. Shari hängt es manchmal zum Hals raus und dann beginnt sie die ganzen Snacks an mich zu verfüttern. Doch allein der Gedanken an Sharis Vater lässt mich zurückrudern. Vielleicht sollte ich auch einfach erwachsener werden und mich selbst um mich kümmern. Ich mache für mich selbst im Spiegel einen verdatterten Gesichtsausdruck und wende mich kichernd ab. Ich und erwachsen. Verrückt. Ich will die Dusche. Schnell fallen meine Kleidungsstücke und ich lasse den zunächst kühlen Wasserstrahl auf meinen nackten Körper treffen. Als es endlich wärmer wird, atme ich zufrieden aus. Ein langer Tag voller Informationen. Es ist mein längster Tag in der Woche und der mit den interessantesten Vorlesungen und Seminaren. Ich versuche meine eingewickelte Hand so wenig zu benutzten, wie möglich, aber sie wird allein durch die Feuchte der Luft nass. Ich streiche mir die Haare zurück und nehme mir dann mein Duschgel zur Hand. Der altbekannte und vertraute Geruch strömt mir entgegen. Ich lächle. Als ich fertig bin, ziehe ich mir eine Jeans über und eine dicke Strickjacke an, die ich nicht schließe. Ich sehe auf die Uhr und wähle Sharis Nummer. Ich tue das, was man mir aufgetragen hat. Was bin ich doch für ein braver Scheinehemann. Paul hat, nachdem er mitbekam, wie nah Shari und ich uns stehen, begonnen uns eine Form der Scheinehe anzudichten. Ich halte ihr die lästigen Verehrer fern und sie mir Frauen. Ich fand die Vorstellung seltsam, doch je mehr ich darüber nachdachte, umso auffälliger wurde mir die darin steckende Wahrheit. Auch Raphael hatte lange geglaubt, dass ich mit Shari eine Beziehung führe und auch Danny hatte mich danach gefragt. Es klingelt beständig. Ich gebe nicht auf. „Namasté" „Manahoana", antworte ich heiter auf Madagassisch. „Oh, das klingt viel besser, als das von vorhin. Was war das überhaupt?" „Georgisch!" „Wo liegt denn das?", fragt sie mit voller überzeugter Verwunderung. „Georgien liegt im Kaukasus." Ich höre, wie sie erneut zu einer Frage ansetzt und komme ihr zu vor. „Nimm dir einen Atlas, Shari." Sie und Geografie ist eine schlechte Mischung. Sie murrt und ich höre, wie im Hintergrund mehrere Bücher umfallen. „Und jetzt?", kommentiert sie das Geräusch. Ich höre sie lachen und öffne, während sie lacht den Kühlschrank. Ich greife zielsicher die Dose mit den noch immer reichhaltigen Kuchenüberresten und schaffe es sie mit einer halben Hand und dem Mund zu öffnen. Ich angele mir eine Gabel aus der Besteckschublade und schiebe sie in die vanillige Buttercreme. Ich lecke die Creme ab, bevor ich ihr antworte. „Jetzt öffnest du ihn und siehst, dass die Erde eine Kugel ist. Es gibt 5 Kontinente und zwei Pole." „Oh, auf einen von denen leben Pinguine, oder?" „Ja, und wenn du bis morgen rausbekommst auf welchem, bekommst du einen Drops von mir", sage ich lehrermäßig und höre, wie ihr Kichern immer lauter wird. „Okay, genug der Geografie. Klär mich wegen heute Mittag auf!" Beim Kuchennaschen rutscht die Plastikschale der Torte immer ein Stückchen weiter über die Arbeitsplatte. Ich kann sie nicht festhalten. Den Kuchen vernichte ich dennoch. „Was meinst du?", frage ich unschuldig. Ich lecke Sahne von der Gabel und wedele mit dem Metall vor meiner Nase herum. Der Kuchen ist wirklich köstlich. „Raphael!", sagt sie mit Nachdruck. „Interessanter Name...Einer der Erzengel im Alten Testament...Schutzpatron der...", philosophiere ich ausweichend und habe keine Lust mit ihr darüber zu diskutieren. Doch Shari unterbricht mich. „...der Blinden. Mark, genau das ist das Problem. Er macht dich blind." Mahnend. Ich seufze. „Genauso, wie zu viel in die Sonne starren. Und?", würge ich heraus und lasse meinen Kopf auf meinen Handrücken fallen. „Mark!" „Shari!", gebe ich ihren Namen ebenso mahnend von mir. „Was willst du denn noch? Ich habe ihm die Kette zurückgegeben! Und ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht mitmache", wiederhole ich und Shari schweigt einen Moment. Wahrscheinlich versucht sie rauszuhören, wie ernst es mir ist. Ich weiß es selbst nicht. „Gut, aber was hatten diese Blicke in der Mensa zu bedeuten?" Ich komme nicht umher, leicht zu seufzen. Was Raphaels Blicke zu bedeuten haben, weiß ich selbst nicht. Meine waren pure Sehnsucht. Ich kann es nicht mehr leugnen. „Was weiß ich. Vielleicht hat er auch den Gemüsebratling gegessen und ihm ist er auf den Magen geschlagen", sage ich wieder einmal witzig ausweichend und verdränge den Gedanken daran, dass er mich beim Nachrichtenschreiben beobachtet haben könnte. Meine Gesichtsausdrücke waren sicher leicht interpretierbar. Die Stimme, die mir zuflüstert, dass ich es mir mit Raphael verscherzt habe, ist nicht abzuschalten. Ich schiebe mir das letzte Häppchen des Kuchens in den Mund und wandere noch einmal zum Kühlschrank. Keine große Auswahl. „Hm,...", macht meine kleine Blume leise. Überzeugt ist sie nicht. „Shari, ich passe schon auf, versprochen." „Gut." Kurz und knapp. Für einen Augenblick herrscht Stille und ich krame einhändig in meinem Kühlschrank umher. Nur unfertiges Zeug. Ich müsste also kochen. Kochen und ich sind, wie Shari und Geografie. „Ich habe Andrew angerufen", kommt es vom anderen Ende des Apparates und ich halte in meiner Bewegung inne. Ich schließe den Kühlschrank und lehne mich auf die Arbeitsplatte zurück. Das kalte Furnier trifft meinen nackten Bauch. Ich bin überrascht und gespannt. „Was hat er gesagt?", frage ich zurückhaltend, obwohl die Neugier in mir gleich fünf weitere Fragen hinterher schieben will. „Er war erfreut, dass ich mich melde." Vorsichtig. Und für mich keinesfalls überraschend. „Und?" In mir kribbelt es vor Aufregung. „Wir haben am Donnerstag ein Date." Als sie das sagt, lasse versehentlich das Telefon fallen, weil ich meine Arme hochreiße. Ich habe es gewusst. Schnell hebe ich das Handy wieder auf. „Hey, was machst du denn?", fragt sie erschrocken, nachdem ich wieder dran bin. „Entschuldige", sage ich kichernd. „Ich bin gerade so aufgeregt!", fahre ich erfreut fort. „Sehr witzig, was mache ich denn jetzt, Mark?" In ihrer Stimme schwingt Sorge. „Genießen und gutfühlen? Du klingst, als wäre euer Date was Schlechtes." „Ich mache mir einfach Sorgen. Was ist, wenn meine Eltern das rausbekommen? Was, wenn sie ihn nicht mögen? Du bist schuld, weil du mich ständig dazu drängst." Die gleiche Leier, wie beim letzten Mal. So eine dramatische Diskussion hatten wir schon vor ein paar Monaten. Ich fasse mir leicht an den Kopf und stocke. Dränge ich sie wirklich? Zugegebenermaßen habe ich viel auf sie eingeredet. Ich frage mich, ob Andrew jemals gefragt hat, was Shari und ich eigentlich für eine Beziehung führen. Weiß er, dass ich schwul bin? Ich schüttele die seltsamen Gedanken von mir. „Darüber brauchst du dir doch noch keine Gedanken machen. Erstmal das Date und ein paar schöne Stunden verleben! Genießen, chisai Hana, genießen!" Ich klinge schrecklich zweideutig. Shari bemerkt es nicht und ich höre sie nur leise seufzen. „Und keine Sorge, ich werde weiterhin an meiner telefonischen Imitation von dir feilen, falls dein Vater anruft." Die letzten Worte spreche ich mit hoher piepsender Stimme und höre Shari am anderen Ende der Leitung lachen. „Oh, nein, dann sollte ich lieber gleich der Zwangsehe zustimmen." In Gedanken wiederhole ich den Sachverhalt einer zugestimmten Zwangsehe und verkneife es mir doof nachzuhaken. „Damit drohen sie dir schon seit Jahren und du bist mittlerweile nicht mehr die Jüngste"; merke ich an und ernte ein empörtes Schnaufen. „Was soll denn das jetzt heißen? Die meisten indischen Familien würden sich um mich reißen!", kontert sie scherzhaft und nun lache ich. Wahrscheinlich ist sie in einigen Ländern einen gesamten Zoo wert oder Familien würden sich in den Ruin stürzen. Jeder Kerl, den Shari irgendwann mal ehelicht, hat den eindeutigen Jackpot geknackt. Ich stelle mir Shari in einem dieser wunderschönen Hochzeitssari vor. Intensives Rot, welches ihrem Teint schmeichelt. Ihr langes Haar, die wie schwarze Seide über ihre Schulter fallen. In meiner Vorstellung formt sich ein perfektes Bild. Meine Gedanken werden je unterbrochen als es plötzlich an der Tür klingelt. Kapitel 6: Die Zwiespältigkeit der Gedanken ------------------------------------------- Kapitel 6 Die Zwiespältigkeit der Gedanken Irritiert tapse ich zur Tür und schmule in den Flur. Ich erwarte niemanden. „Shari warte kurz, es hat geklingelt." Ich ziehe mir die Strickjacke fester um den nackten Oberkörper und stiefele der Tür entgegen. „Was du so nachts an die Tür gehen musst, ist schon irgendwie gespenstisch!", kommentiert Shari mystisch. „Tja, ich bin eben sehr beliebt bei den Gestalten der Nacht..." „Gruselige Vorstellung", sagt sie. „Ich frage mich gerade, wie ich es 19 Jahre ohne diese nächtlichen Besuche ausgehalten habe. Ich stehe drauf." „Es wird immer gruseliger!", kommentiert sie geschockt und entschärft es so gleich mit Gekicher. Ich öffne die Tür und blicke direkt in Jakes warme, braune Augen. Er stützt sich mit der Hand m Türrahmen ab und lächelt. „Hi", haucht er mir entgegen. Ich lasse erstaunt das Telefon sinken, spüre nur, wie sich seine Arme um meinen Körper legen und er mich in einen langen, intensiven Kuss zieht. Es dauert nur Sekunden bis ich meine Starre überwinde und den Kuss genüsslich erwidere. Ich schmecke seine Freude auf meinen Lippen, spüre seine Lust kribbelnd auf meiner Haut. Ich genieße seinen Geschmack und spüre, wie er mir auf der Zunge zergeht. Meine Arme legen sich um seinen Hals und ich schmiege mich dichter an den größeren Körper, der mir in den letzten Monaten so vertraut geworden ist. Sachte drückt er mich gegen die Wand und schnell haben seine kühlen Finger einen Weg unter meine lose Strickjacke gefunden. Sie entfachen ein Feuer in mir, welches der Kälte unwiderruflich trotzt. Ich spüre, wie sie die kleinsten Härchen meines Körpers in Wallung bringen, wie sich die Wogen von meiner Seite über die Brust ziehen und an meinem Hals stoppen. Seine Hand streicht über meine rechte Brust und bleibt bei meiner harten Brustwarze stehen. „Hm, so habe ich mir das vorgestellt", raunt er mir erregt entgegen und ich lecke mir über die feuchten Lippen. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass du kommst." „Noch bin ich auch nicht gekommen", säuselt er mir verschmitztes Lächeln zu. Ich boxe ihm sachte gegen den Bauch und merke dabei, dass ich noch immer Shari am Telefon habe. Ich erröte und Jake sieht mich verwundert an. Ich löse mich peinlich berührt aus seinem Griff und hebe das Telefon in seine Sichthöhe. Nun zucken seine Hände entschuldigend nach oben. „Shari, entschuldige bitte...Jake ist mein unerwarteter Besuch." „Schon gut, ich habe mehr mitbekommen als mir lieb ist", sagt sie gespielt angeekelt und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Grüß ihn von mir! Wir sehen uns morgen?" "Ja, sicher. Good night, my little flower! Veloma" Ich lege auf und wende mich Jake zu, der seine Jacke und Schuhe ausgezogen hat und nun mit nackten Füßen vor der Garderobe steht. Ich spüre, wie sich mein Puls beschleunigt, als ich den gutaussehenden Mann vollkommen entspannt in meinem Flur sehe. Es ist ein schönes und angenehmes Gefühl, ihn um mich zu haben. Ihn zu spüren. Und der Sex ist mehr als befriedigend. Bereits jetzt spüre ich, wie sich meine Lenden regen. Vor Vorfreude und akuter Geilheit. Ich beobachte Jake dabei, wie er den Rest seiner Sachen zur Seite stellt und sich durch die dunklen Haare fährt. Nach dem langen Tag liegen sie wirr und durcheinander um seinen Kopf. Es sieht niedlich aus, aber genauso sexy. „Schöne Grüße von Shari", flüstere ich ihm entgegen als er mit geschmeidigen Schritten näherkommt. „Danke. Wie geht es ihr?", fragt er lächelnd, hebt seine Hand und streicht mir eine verirrte Strähne zurück. „Sie hält es mit mir aus. Sie muss verrückt sein." Jake grinst, aber reagiert nicht weiter auf meinen schlechten Scherz. Stattdessen mustert er mich eindringlich. Ich hebe fragend, aber stillschweigend meine Augenbraue um ihn zu einer Äußerung zubewegen. Es funktioniert. „Ist es okay, dass ich hier bin?" Wieder ist diese sanfte Fürsorge in seinem Blick. Zärtlich legt er seine Hände an meine Hüfte. Sehr okay. Als ich bestätigend nicke, beugt er sich zu einem Kuss nach unten. Seine Wärme auf meinen Lippen ist ein zärtliches Streicheln. Beruhigend und verheißend. Trotzdem erwische mich dabei, wie ich die Süße vermisse, die Raphaels Lippen so ungewöhnlich anziehend für mich machen. Seit dessen Rückkehr beschleicht mich dieses beklemmende Gefühl, wenn ich an Jake denke. Ich spüre es jetzt noch deutlicher, als vorhin. Jetzt, wo ich versuche seine Anwesenheit zu genießen. Jetzt, wo ich versuche mir einzureden, dass Jake meine beste Möglichkeit ist. Ich versuche mich auf die schönen Berührungen an meinem Mund zu konzentrieren. Genüsslich küsst Jake meine Lippen, nimmt meinen Geschmack in sich auf. Es ist ein vertrautes Gefühl. Es ist ein gutes Gefühl, aber es ist nicht atemberaubend. Raphaels grünen Augen blitzen in mir auf, als ich meine Augen schließe. Die Enttäuschung in seinem Blick, der nach Verständnis suchte, aber nicht fand. Jake lockt meine Zunge und mit kurzer Verzögerung erwidere ich das neckende Spiel. Stupse zart mit der Zungenspitze gegen seine. Ich genieße das leichte Kribbeln, welches die Berührungen auslösen und bin weiterhin abgelenkt. Jake löst den Kuss und streicht mir ein paar feuchte Strähnen zurück. Sein Blick ist forschend. Er durchringt mich. „Wirklich alles okay?", fragt er leise und ich ertrinke in der Sanftheit seiner Augen. „Ja, ich bin nur... Ich bin geschafft. Heute war ein anstrengender und langer Tag. Bitte entschuldige." Meine Lügen sind so schrecklich überzeugend. Immerhin ist es nicht vollkommen gelogen, denn mein Tag war wirklich lang und auch irgendwie anstrengend. Ich schäme mich ein wenig. Jake haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß ganz genau, wie man sich nach einem anstrengenden Tag fühlt", erwidert er verständnisvoll. Sein Job ist nicht der leichteste. Vor allem nicht die ständige Fahrerei. Ich streiche mit der kaputten Hand sachte über seine Wange und merke, wie er zurückweicht. Verwundert schnappt er sich meine Hand. „Oh, was hast du gemacht?", fragt er besorgt und streicht vorsichtig über die Fingerkuppen der kaputten Hand. Meine Finger zucken leicht. „Beim Abwaschen geschnitten." Bei ihm antworte ich nicht ausweichend oder scherzhaft. „Oje, nicht schön." Er haucht mir einen Kuss auf den Verband und ich sehe ihm dabei zu, mit Lächeln auf meinen Lippen. „Tut es sehr weh?" „Alles halb so wild. Ich muss nur ein bisschen aufpassen." Sein Mund berührt die Kuppe meines Zeigefingers. „Das ist gut. Dann wollen wir deine Hand mal schonen. Ich würde gern kurz duschen wollen und dann können wir es uns gemütlich machen. Ist das ein Plan?" Wenn Jake gemütlich sagt, ist er einer der wenigen Menschen, die wirklich nur Kuscheln auf der Couch meinen. Ich kann über seine Behutsamkeit nur schmunzeln. Ich bestätige die Perfektion seines Plans und sehe ihm nach, als er ins Badezimmer verschwindet. Mein Lächeln nimmt augenblicklich ab. Jake tut mir gut. Er ist wahrhaftig. Aber auch er ist im Grunde nie da. Nur ein paar Tage alles drei Wochen. Das, was wir im Moment haben ist in dem Sinne keine wirkliche Beziehung, sondern Spaß und Befriedigung. Unsere jetzige Beziehung ist nur der Austausch von sexuellen Gefälligkeiten und dem Überbrücken partieller Einsamkeit. Ich denke, Jake ist froh darüber zu jemanden gehen zu können. Ich denke an Raphael. Er hat jemanden. Maya. Ich denke an seine Blicke und an das Gefühl seine Lippen auf meinen zu spüren. Das unsagbare Kribbeln und die Aufregung, die ich dabei empfinde, sind allgegenwärtig und stark. Ich bin Jake gegenüber nicht fair, echot es in meinem Kopf und der Geschmack in meinem Mund wird bitter. Wenn Raphael es wirklich wollte, wenn er wirklich mich will, dann müsste er längst von Maya getrennt sein. Doch das ist er nicht. Wie ernst sind also seine Äußerungen? Wie ehrlich? Ich sehe Richtung Badezimmer und denke an den Mann, der nackt in meiner Dusche steht. Das Gefühl seiner Hände auf meiner Haut ist keine Einbildung. Keine Erinnerung. Die Befriedigung, die sie mir bringen, ist kein Wunsch, keine Fantasie. Sie ist wirklich. Würde Raphael überhaupt so weit gehen können? Vielleicht spornt ihn nur die Vorstellung an und wenn es dann zum richtigen Sex kommen sollte, würde er den Schwanz einziehen. Warum denke ich über Sex mit Raphael nach? Erneut überschwemmen mich die vielen Fragen. Ich merke, wie mich langsam, aber sicher Kopfschmerzen übermannen. Ich ziehe einen Moment lang die Strickjacke enger um mich, seufze lauter als gewollt und bette meinen Kopf gegen die Wand. Das Kühle beruhigt meine erhitzte Haut. Ich richte mich auf und sehe zum Badezimmer zurück. Jake ist gefestigt. Er ist sich sicher und ich bin mir gewiss, dass er mich wirklich will. Alles an mir. Andererseits ist er nie da. Ich bin wieder Mal uneins mit meinen Gefühlen und den Dingen, die mir mein Verstand zuflüstert. Ja. Nein. Vielleicht. Traum oder Wirklichkeit. Raphael, der schon so lange einen Platz in meinem Herzen hat und Teil meiner Fantasien ist. Doch er ist nur ein Traum. Jake ist Realität. Ich höre das leise Rauschen des Wassers und ziehe ich mir kurzentschlossen die Strickjacke von den Schultern. Jake schließt nicht ab. Er lehnt die Tür nur ran und so schlüpfe ich durch den Türspalt. Es ist so laut, dass er mich nicht hören kann. Ich sehe die Silhouette seines Körpers durch den Duschvorhang schimmern. Einen Moment beobachte ich seine ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen und knüpfe mir die Hose auf. Seine Hände streicheln sich seinen Körper entlang, gleiten über seinen flachen Bauch, über seine Brust und weiter hinab. Danach fährt er sich über das Gesicht und streicht sich die Haare zurück. Mein Puls geht nach oben, während ich mir vorstelle meine eigenen Hände über den schönen Körper gleiten zu lassen. Ich stehe auf das Gefühl, wenn ich seinen größeren männlichen Körper an meinem spüre. Leise raschelnd entferne ich den Rest meiner Kleidung und steige hinter ihm in die Badewanne. Meine kühlen Finger lasse ihn kurz aufschrecken, doch dann greift er nach meinen Händen, schmiegt sie fest an seine warme, feuchte Brust. Ich lehne mich an seinen Rücken und schließe die Augen. Wir bleiben einen Moment lang so stehen, bis ich meine Hände aus seinen löse und beginne sie über seinen Bauch wandern zu lassen. Er ist straff und flach. Das Gefühl seiner warmen Haut unter meinen Fingern ist beruhigend und erregend. In diesem Augenblick ist mir völlig egal, dass der Verband an meiner Hand durchweicht. Jake stellt keine Fragen, er genießt. Ich streichele ihn noch einer Weile schwelgend bis er einen Schritt nach vorn macht und mich so tiefer unter den Duschstrahl zieht. Warmes, angenehmes Wasser trifft auf den Rest meines Körpers. Jake stupst mit dem Duschbad sachte gegen meine gesunde Hand und ich halte ihm die Innenfläche hin. Er verteilt etwas der duftenden Flüssigkeit darauf und ich beginne damit sie auf den schönen Körper des anderen Mannes zu verteilen. Erst der Bauch, höher zur Brust. Trotz der Wärme sind seine Brustwarzen hart und ich umkreise sie mit meinen Fingerspitzen genießerisch. Jakes Kopf lehnt sich zurück und höre ein sanftes Keuchen von seinen Lippen fliehen. Er mag es, wenn ich daran knabbere und genau daran denke ich gerade. Es erregt mich sehr und so drücke ich ihm meine harte Körpermitte fester gegen seinen knackigen Hintern. Jake greift nach meinen Handgelenken und sorgt dafür, dass meine Hände tiefer streicheln. Er stoppt auf seinem Unterbauch. Ich lasse die gesunde Hand vorwitzig direkt zu seiner Erregung wandern. Ich weiß genau, was er will und grinse in seinen Rücken hinein als überrascht aufstöhnt. Es fühlt sich gut an ihn zu spüre. Es fühlt sich unglaublich an zu wissen, dass er wegen mir so hart und heiß ist. Ich erfülle ihm seinen Wunsch und greife ihn fest. Der Schaum des Duschbads sorgt dafür, dass ich geschmeidig über das feste Fleisch gleiten kann. Meine andere Hand bleibt auf seinem Unterbauch liegen und ich merke, wie sein Atem immer unkontrollierter wird. Sein ganzer Körper spricht. Es erregt mich sehr und ich beginne mich fester an ihm zu reiben. Mein warmer Atem trifft seine Haut. Jake Hand greift nach hinten und packt mich an der Hüfte. Nicht um meine Bewegungen zu stoppen, sondern um die Reibung noch intensiver zu spüren. Ich bin nicht der aktive Part, aber auch mich erregt die Vorstellung und so genieße ich das Gefühl, wenn sich meine Erregung zwischen seinem festen Hintern bewegt. Jake greift nach meiner Hand, die seine Härte pumpt und zieht scharf die Luft ein. Nun hindert er mich doch daran weiter zu machen. Er dreht sich zu mir und zieht mich in einen leidenschaftlichen Kuss. Er ist fahrig und unstet. Er ist pures Verlangen. Ich spüre die Hitze seines Körpers und sofort streift seine harte Erregung meinen Bauch. Ich keuche auf. Allein der Gedanke an den heißen Körper und das was folgt, lässt mich vor Erregung und Lust erschaudern. Jakes Hände streichen über meinen Rücken, zu meinem kleinen Hintern. Er presst unsere Becken aneinander und wir stöhnen auf. Ich koste den Geschmack seiner Lippen, der sich mit warmen Wassertropfen mischt. Ich beiße sanft in seine Unterlippe, werde fordernder und genieße das Gefühl, seine Hände auf meinem Körper zu spüren. Sie streicheln und erkunden. Sie wissen ganz genau, wo sie mich berühren müssen. Sein Schenkel schiebt sich zwischen meine Beine und ich beginne sie etwas zu spreizen. Ein weiterer langer Kuss folgt, den ich nur zu gern auskoste. Raphaels Gesicht taucht in meinen Kopf auf. Der verhangene Blick, den er mir unter der Dusche zugeworfen hat. Seine Stimme, die in dem gekachelten Raum widerhallt. Erschrocken löse ich den Kuss. Jake nimmt das als Anlass meinen Hals hinab zu küssen. Wassertropfen für Wassertropfen leckt er von meiner Haut. Ein angenehmes Kitzeln. Er geht vor mir auf die Knie und küsst meinen Bauch entlang. Immer tiefer. Die feuchte Hitze seiner Lippen lässt mich ekstatisch aufkeuchen. Das Gefühl ist himmlisch. Heiß. Feucht. Weich. Seine Zunge kitzelt. Vor allem, wenn sie sich meiner empfindlichen Spitze widmet. Sie flattert über den schmalen Spalt und meine Knie werden weich. Ich wende meinen Blick nicht mehr von ihm ab. Ich zwinge mich dazu, meine Augen nicht zu schließen und den Anblick vollkommen in mich aufzunehmen. Ich stütze mich Halt suchend an der Wand ab. Jake Rhythmus wird schneller und intensiver. Der Druck in meinen Lenden scheint nicht steigerbar. Doch ich irre. Als ich laut stöhne, wird er wieder langsamer und mit einem Mal spüre ich nur noch seine flinke Zunge, die um meine Eichel tänzelt. Ein Kuss. Er richtet sich schmunzelnd auf. Ich atme schwer und erwidere den ersten Kuss nur pro forma. Die folgenden aber leidenschaftlich. Als wir den Kuss lösen, sehen wir uns an. Die Erregung in seinem Blick lässt mich erzittern. Ich will ihn spüren, am besten sofort. Fahre mit meinen Augen gierig und offensichtlich seine gesamte Länge ab. Die freigelegte Spitze und den mit Adern durchzogenen Muskel. Danach sehe ich wieder auf. Jake folgte meinem Blick. Ich will ihn jetzt. Ohne noch mal nachzufragen, lehne mich an ihm vorbei zum Spiegelschrank. Wasser tropft auf die Fliesen, doch dann finde ich das, wonach sich suche. Ich ziehe ein Kondom und das Massageöl hervor und sehe zu Jake. Er nimmt mir wortlos beides ab und legt sie zur Seite. Danach drängt er mich mit der Vorderseite gegen die Wand und spreizt meine Beine. Seine Lippen küssen meinen Nacken, meinen Hals und meine Schultern. „Wirklich hier?", hakt er nun doch nach. „Unbedingt", sage ich als einziges und strecke ihm herausfordernd meinen Hintern entgegen. Ich lasse ihn neckisch wackeln und Jake haucht mir lachend einen Kuss auf die Wange. Ich genieße das sanfte Kribbeln, welches seine Berührungen in mir auslösen. Seine Hände sind routiniert und vorsichtig. Sanft und ausdauernd. Sie streichen über meinen kleinen, festen Hintern und beginnen neckisch zu spielen, während ich fordernd mein Bein auf den Wannenrand stelle um ihm mehr Raum zu bieten. Meine Stirn lehne ich gegen die kühlen Kacheln, als mein heißer Atem nur noch stoßweise aus meinem Mund flieht. Ich neige meinen Kopf und spüre die feuchte Kälte nun an meiner Wange. Jakes Hand greift nach meinem Kinn und ich berühre die Wand nicht mehr, weil er meinen Kopf leicht nach hinten neigt. Ich keuche und lasse meine Zungenspitze über seinen Daumen streichen. Ein Kuss auf den selbigen bis ich ihn in den Mund nehme. Ein leichter Sog und ich beginne lustvoll an ihm zu lutschen. Jake Bewegungen werden noch intensiver und ich höre sein angeregtes Stöhnen direkt an meinem Ohr. „Bitte", keuche ich heiß. „So ungeduldig?" „Ich will dich", antworte ich fahrig und spüre, wie er sich von mir entfernt um sich das Kondom überzuziehen. Noch ein weiteres Mal beginnt er mich mit reichlich Öl zu massieren, doch dann drückt er meinen erregten Leib gegen die Wand. Er verschränkt seine Finger mit meinen, die sich gegen die Kacheln pressen, während er sich ruhig, aber stetig in mich schiebt. Die ersten Stöße sind langsame und intensiv. Sie werden alsbald schneller, als ich beginne mein Becken auffordernd zu kreisen. Mein Körper, der gegen die feuchte Wand gedrückt wird, ist nahe am Explodieren. Die feuchte Kühle der Kachel an meiner Brust und meinem Bauch sind erregend und kribbelnd. Unser geräuschvolles Keuchen wird durch das Rauschen des Wassers überdeckt und doch animiert es mich. Jakes Lippen beginnen über meinen Hals zu wandern. Mit jedem seiner Stöße werden seine Lippen energischer, bis er mir sanft, aber intensiv in den Hals beißt. Es ist leichter Schmerz, der sich kitzelnd meinen Arm entlang arbeitet. Ich neige meinen Kopf zur Seite und biete ihm mehr Platz. Ich neige mich vor und gebe ihm so die Möglichkeit noch tiefer in mich einzudringen. Mit jedem Stoß zittert mein Körper mehr. Je näher ich meinem Höhepunkt komme, umso spielerischer werden seine Bewegungen. Ich stöhne ekstatisch auf und er nimmt Tempo heraus. Er wird erst wieder schneller, wenn ich fahrig keuche. Erst als ich beginne mich selbst zu berühren, verlässt ihn sein Spieltrieb. Sein Becken rammt sich gegen meins. Ich brauche nicht mehr lange und kaum eigene Beruhigungen, um zu kommen. In meinem Kopf blitzen die sanften grünen Augen auf. Ein paar schnellere Bewegungen und auch Jake bleibt heftig atmend hinter mir stehen. Seine Lippen küssen meinen Nacken. Seine Brust ist warm und ich spüre seinen ruhelosen Herzschlag. Ein beruhigendes und betörendes Gefühl. Ich stütze mich mit dem gesamten Arm an der Wand ab, lehne meinen Kopf gegen mein Handgelenk. Neben der Befriedigung macht sich das schlechte Gewissen in mir breit. Ich halte meine Augen geschlossen, auch als sich Jake von mir löst, um sich und mich abzuduschen. Erst als er mich sanft antust, öffne ich sie. Er reicht mir das Duschbad und lächelt. Dieses warme, sanfte Lächeln. Ich erwidere es nicht, sondern fahre mit meiner Hand in seinen Nacken und ziehe ihn in einen Kuss. Er schmiegt sich an mich und wir umarmen uns zärtlich. Beruhigend. Meine Wange an seiner Brust. Ich schließe meine Augen, als ich seinen noch immer schnellen Herzschlag höre. Jake nimmt mein Gesicht in seine Hände, haucht mir einen sanften Kuss auf die Lippen und dann gegen die Schläfe, danach verschwindet er aus der Dusche. Ich bleibe ein paar Minuten länger unter dem warmen Wasserstrahl stehen. Meine Gedanken fahren Achterbahn. Ich hatte gerade Sex mit einem unglaublichen, tollen Mann und denke dabei an Raphael. Unwirsch streiche ich mir durch die feuchten Haare. Ein Knurren entrinnt meiner Kehle, welches durch das Rauschen des Wassers gedämpft wird. Mit der flachen Hand schlage ich gegen die Fliesen. Ein heftiger Schmerz durchfährt mich und ich sehe es als unzureichende Bestrafung. Ich ziehe die Hand an meine Brust und spüre das durchdringende Pochen, das durch meinen Körper schwappt. Mein schlechtes Gewissen wird nicht gelindert. Warum kann ich das, was mir Jake gibt, nicht einfach genießen? Warum genügt es mir nicht? Ich fühle mich schrecklich. Und kein Wasser der Welt kann die Scham von mir abwaschen. Ich gebe es auf und trockne mich ab. Bevor ich das Bad verlasse, putze ich mir die Zähne, ziehe mich an und gehe Jake suchen. Er sitzt nur mit Jeans bekleidet auf der Couch. Seine feuchten Haare malen feine Wasserstraßen, die sich über seinen Hals zu seiner Brust ziehen. Sie glänzen im Licht. Ein Tropfen bleibt über seiner Brustwarze stehen. Ich lehne mich gegen den Türrahmen, verschränke die Arme vor der Brust und beobachte ihn dabei, wie er sich Socken überzieht und dann nach der Fernbedienung angelt. Erst jetzt bemerkt er mich. Sein Blick gleitet über meinen vollständig bekleideten Körper. Jake streckt seine Hand nach mir aus und winkt mich zu sich heran. Ich folge der Aufforderung und setze mich neben ihn auf die seitliche Couchlehne. Er rutscht lächelnd zu mir heran. „Heute mal von oben herab?", fragt Jake neckisch. Sonst bin ich es immer, der zu dem größeren Mann aufsehen muss. Eine etwas andere Perspektive. Es hat etwas. Seine Hand legt sich auf meine Knie und ich stelle meine nackten Füße auf seinen Oberschenkel ab. Seine andere Hand legt sich wärmend darüber. „So behalte ich den Überblick", sage ich frech. „Worüber musst du denn den Überblick behalten?", erkundigt er sich. „Über meine ganzen Verehrer", kommentiere ich eher unüberlegt, als beabsichtigt. Ich beiße mir sachte auf die Unterlippe, beobachte Jake aber genau. „So so", erwidert er. Noch ist sein Blick neutral. „Es hätte mich auch gewundert, wenn du keinem heißen, gutaussehenden Studenten aufgefallen wärst." „Ja, den Abertausenden, die mich vergöttern...", sage ich und verdrehe übertrieben die Augen. Nur als Spaß. „Du kannst dich bestimmt vor Angeboten nicht retten... Umso mehr freue ich mich, dass du mir etwas Zeit einräumst." Jake zieht mich an den Fußgelenken die Lehne runter, sodass ich auf seiner Ebene zum Sitzen komme. Meine Strickjacke schiebt sich dabei nach oben. Er lächelt einnehmend und legt meine Beine über seinen Schoss ab. Dann zieht er mich in einen Kuss. Zärtlich, aber dennoch leidenschaftlich. Ich merke, wie sehr Jake es genießt. Er kostet jede Sekunde aus und dafür mag ich ihn jedes Mal mehr. Doch mein schlechtes Gewissen wird nagend, bohrend, beißend. Ich greife mit meiner bandagierten Hand in seinen Nacken und Jake zuckt wegen der Feuchte im Verband zusammen. Wir lösen uns voneinander und er nimmt meine Hand in seine. „Wir sollten den Verband wechseln. Nicht, dass es sich entzündet", sagt er sorgenvoll. Ich nicke, möchte aber nicht aufstehen. Ich schmiege mich an ihn und sauge die Wärme seines nackten Oberkörpers in mich ein. Meine Augen lasse ich geöffnet. „Nicht morgen. Jetzt!" Diesmal ist er fordernder. „Vielleicht fällt die Hand einfach ab, dann habe ich ein paar Probleme weniger", kommentiere ich und lächele gegen Jakes Brust. „Wohl eher ein paar mehr. Und du könntest nicht mehr zeichnen. Das wäre schade." „Ja, klar, nicht mehr „zeichnen". Als ob es das ist, was du schade finden würdest..." Ich betone das Wort 'zeichnen' besonders und grinse. Unter der Dusche fand er meine Hände für ganz andere Sachen toll. Er versteht mich sofort und zwickt mir sanft in die Seite. „Los, sei ein braver kleiner Student und hol das Verbandszeug." „Jawohl! Schließlich bin ich immer ein kleiner braver Student. Wissbe-Gierig. Bildungs-Eifrig. Neu-Gierig. Lern-Willig." Mit jedem Wort wird mein Grinsen breiter und auch Jakes Mundwinkel zucken nach oben. „Soll ich weiter machen?", säusele ich. „Liebend gern, aber dann müssen wir wahrscheinlich wirklich bald amputieren." Er versucht ernst zu gucken, aber es gelingt ihm nicht. Jake beginnt zu lachen und ich schnappe nach seinem Ohrläppchen. „Du machst mich fertig, Mark" Er zieht mich dichter zu sich heran und wir küssen uns leidenschaftlich. Seine Lippen gleiten nach einem Moment meine Wange entlang, schmatzen sich meinen Hals hinab, bis er mir leicht in die Stelle zwischen Schlüsselbein und Hals beißt. „Ich revidiere. Du machst mich verrückt." Ein weiterer Biss, diesmal dieselbe Stelle am Hals, die vermutlich schon durch das Duschen gemarkert ist. Ich grinse blöd und versuche ihn dann etwas fortzuschieben, da es beim dritten Biss sehr heftig ist. „Du magst das doch und nicht so doll, bitte." Er knurrt mich leicht an und beißt ein weiteres Mal scherzhaft zu. Damit stehe ich kichernd auf, suche im Badezimmer die in der Apotheke erstandenen Verbandsmittel zusammen. Ich halte innen und spüre, wie die Stelle in meinem Nacken, an der mich Raphael berührt hatte, leicht zu kribbeln beginnt. Ein Blick in den Spiegel. Ich schlucke und wende mich beschämt ab. Sorgfältig bandagiert Jake meine Hand neu. Als er fertig ist, haucht er mir einen Kuss auf die Fingerkuppen. Jake zieht mich in eine sanfte Umarmung und holt die Zeitung mit dem Fernseherprogramm an uns heran. Mein Telefon meldet sich lautstark. Marika. Jakes Cousine und eine gemeinsame Freundin von mir und Raphael. Sie lädt mich zu ihrem Geburtstag am Freitagabend ein. Ich sehe zu Jake. Ich weiß noch immer nicht, ob Marika von uns weiß. Sicher fragt sie sich, wo ihr Cousin in manchen Nächten abbleibt, denn normalerweise bezieht er eine Wohnung über ihr, wenn er in der Stadt ist. Ich fahre sein Profil ab, so wie ich es auch oft bei Raphael tue. Jakes Gesichtszüge sind weicher. Weniger kantig, aber ebenso männlich. Ich antworte Marika nicht, denn ihre Feier fällt auf Mayas Geburtstag und ich weiß noch nicht, was mich da erwartet. Von allein werde ich niemanden danach fragen. Eine Weile wandern Jakes Augen über die gedruckten Worte, bis er murrende Geräusche von sich gibt. „Okay, wir haben verschiedene Möglichkeiten. Entweder eine mittlerweile weniger lustige, gelbe Familie, altmodischer Mord und Totschlag oder ein Science-Fiction-Spektakel mit säureblutenden Außerirdischen?", durchbricht Jake meine Gedanken. Ich lächele bei der Auflistung und sehe dabei zu, wie er noch einmal die Zeitung durchforstet. „Nein, alles andere ist murks. Also?", betont er und legt die Zeitung beiseite. Ich überlasse die Entscheidung ihm und merke, wie ich nach und nach mit meinen Gedanken abdrifte. Ein ruhiger Abend. Angenehm. Schön. Ich bin weit weg. Kapitel 7: Heiter bis wolkig mit 90% Dramödienwahrscheinlichkeit ---------------------------------------------------------------- Kapitel 7 Heiter bis wolkig mit 90% Dramödienwahrscheinlichkeit Am Morgen renne ich nur mit Shorts bekleidet durch die Wohnung. Während das Wasser für Kaffee und Tee kocht, durchforste ich meine Unterlagen am Schreibtisch. Ich habe mir die Folien für die heutigen Vorlesungen ausgedruckt und kann sie einfach nicht finden. Ich ziehe alle Schubladen auf und reiße die Blätter heraus. Ein Umschlag fällt mir entgegen und ich stocke. Ohne hineinzusehen, weiß ich, um welchen Umschlag es sich handelt. Darin habe ich nach Raphaels Abgang das Ahornblatt und die silberne Kette gefunden. Unbewusst führe ich ihn zu meinem Gesicht und rieche an dem trockenen Papier. Ich fühle mich von den Gefühlen des Vermissens und der Schuld übermannt. Wieso taucht er immer wieder auf? Warum kommt er mir immer wieder in den Sinn? Ich zweifele mittlerweile an der Entscheidung, doch nicht weggegangen zu sein. An einer anderen Uni in einer völlig anderen Stadt wäre vieles einfacher. Trotz meiner Gedanken lege ich den Umschlag nicht beiseite, sondern ziehe die Lasche aus der Öffnung. Es befinden sich nur noch rote Krümel darin, die einst das Ahornblatt gewesen sind. Während meines Umzugs ist es einem verzweifelten Wutanfall zum Opfer gefallen. Immer wieder gab es diese Momente, in denen mich der Gedanke an Raphael übermannte und an diesem Tag hat mich eine Welle der Gefühle überrollt. Alles zu gleich. Wut, Verärgerung, Trauer, Enttäuschung und Sehnsucht. Die Sehnsucht war die Schlimmste und ich wurde sauer. Ich riss ein paar Bilder von der Wand und dabei auch das Ahornblatt. Als ich es aufhob, zerbröselte es schlicht weg unter meinen Fingern. Trotz Wut und Ärger hatte ich nach kurzer Zeit ein schlechtes Gewissen und am Ende auch noch geweint. Die Überreste habe ich eingesammelt und sie in den Umschlag zurückgetan. Ihn wegschmeißen konnte ich nicht, genauso, wie ich es nicht schaffe Raphael aus meinem Kopf zubekommen. Ich packe den Umschlag erst zur Seite als Jake aus dem Bad kommt. „Uff, du hast aber gewütet", sagt er lächelnd und rubbelt sich das Gesicht trocken, während er sich im Zimmer umsieht. Ich schubse den Umschlag schnell in die Schublade und schiebe sie zu. „Ich suche meine Unterlagen für die Uni und hatte, wie man sieht bisher noch kein Glück." „Dann such mal weiter. Ich mache Frühstück", bietet er an. Ich nicke bestätigend. Als er angezogen an mir vorbeikommt, haucht er mir einen Kuss auf die Wange und verschwindet in die Küche. Ich starre auf meinen Schreibtisch. Mein Herz ist unendlich schwer und die Schuldgefühle zerfressen mich. Ich bringe meine Vorlesungen auch ohne die Unterlagen hinter mich, auch wenn ich mir sicher bin, dass ich sie finde, sobald ich zu Hause bin. Ich verabrede mich zwischendurch mit Shari und Paul und bin auch als Erster an unseren Treffpunkt. Ich öffne die SMS, die ich nach jedem Treffen mit Jake bekomme. In diesen bedankt er sich für den schönen Abend und gesteht mir jedes Mal aufs Neue, wie sehr er es genießt, mit mir zusammen zu sein. Doch diesmal steht noch eine Ergänzung dabei. Er hofft, dass wir uns bald wiedersehen. Mein Herz schlägt hart und schwer in meiner Brust, als ich es wiederholt lese. Ahnt er etwas? Ich habe mich ein wenig komisch verhalten, das stimmt. War ich ihm gegenüber abweisend? Nein. Im Grunde viel zu freimütig. Mit einem Mal spüre ich schlanke Arme, die sich um meinen Bauch schlingen. Fest, aber liebevoll. Der zarte Karamellton ihrer Haut harmoniert perfekt mit dem violetten Shirt, welches ich trage. Ein blumiger Duft weht mir entgegen, gepaart mit einer feinen süßen Note. Ich schließe meine Augen und merke, wie ihre Umarmung noch fester wird. Shari drückt ihr Gesicht in meinen Rücken und ich spüre das schwere Seufzen, welches ihren gesamten Körper zu durchdringen scheint. Meine Hände legen sich auf ihre Arme, streichen über die warme, weiche Haut. Sie scheint fast haarlos und eindeutig makellos. Es fühlt sich ganz anderes an, als die Haut der Männer, die ich sonst spüre. „Was ist los, liten blomma?", frage ich meine kleine Blume auf Schwedisch und spüre erneut, wie ihr gesamter Körper seufzt. Wir bleiben einen Moment stehen und dann löst sie sich von mir. Ich drehe mich zu ihr um und sehe in ein traurig wirkendes Gesicht. Es passt nicht zu ihr. „Hey, was ist los?", frage ich besorgt. Sie blickt auf und ich streiche ihr eine verirrte Strähne des offenen Haares zurück. „Wenn ich es dir erzähle, wirst du stinkig", erklärt Shari mir und ihre Unterlippe schiebt sich dabei nach vorn, sodass sie eine leichte Schnute zieht. „Ich habe erst gestern geduscht und mich heute noch keine drei Meter bewegt, so schnell stinke ich nicht." Mein Witz zieht nicht. Ihr Blick ist weiterhin getrübt. Ich lifte meine Augenbraue und gehe gedanklich bereits durch, welche Themengebiete mich bei Shari auf die Palme bringen können. Vielleicht ihr mangelnder Sinn für gute oder überhaupt schaubare Filme. Sie favorisiert Liebesschnulzen oder Liebeskomödien. und ich möchte mir jedes Mal die Haare raufen. Möglichkeit zwei, ist ihre Gabe mir mein Eis wegzufressen, ohne, dass ich es merke. Zu dem schafft sie es immer wieder, dass wir ihre Lieblingssorten kaufen und nie meine. Oder ihre fehlenden Geografiekenntnisse. Ich war erstaunt, dass sie auf dem Globus Indien gefunden hat. Sie hatte aber auch eine Viertelstunde dafür gebraucht. Raphael. Im selben Moment kommt mir auch Andrew in den Sinn. Beide Kerle sind im Moment rote Tücher für uns. Na gut, Andrew ist für mich nur ein rosa Tuch. „Okay, nun sag schon?" Ich lege beschwichtigend meinen Arm um ihre Schultern und drücke sie sanft an mich. In derselben Art, die auch mein Onkel Thomas bei mir anwendet. Shari sieht mich aufmerksam an, als würde sie abwiegen, ob sie es mir wirklich erzählen soll. Sie drückt ihr Gesicht seitlich gegen meine Brust und brabbelt los. „Ich h...A...w.. abgesa..." Ich verstehe nicht mal die Hälfte. Ich schiebe mit zwei Fingern, die ich ihr gegen die Stirn drücke, ihren Kopf hoch. „Wie bitte?" „Ich habe Andrew abgesagt", wiederholt sie murrend und ich nehme die Finger von ihrer Stirn. Diese fällt wieder nach unten und auf meine Brust. Eigentlich hat sie morgen eine Verabredung mit Andrew und nach unserem gestrigen Telefonat hat sie zuversichtlich und erfreut geklungen. Ich weiß um ihre Vorbehalte und ihre Ängste. Für sie existiert keine Möglichkeit Andrew jemals in ihr Leben zu integrieren, da sie befürchtet, dass ihre Eltern ihn niemals akzeptieren werden. Ich verstehe auch, warum sie sich der Vorstellung verschließt, auch nur einen Moment mit ihm glücklich zu sein. Ich mache ihr nicht gerade vor, dass das erfüllend ist. Schließlich ist das mit meinem langjährigen Objekt der Begierde ziemlich in die Hose gegangen und gut geht es mir dabei auch nicht. Shari weicht meinem Blick aus und schmiegt noch immer ihre Wange an meine Brust. Ich drücke sie sachte an mich. Eine Weile bleiben wir so stehen. „Warum hast du dich umentschieden?", frage ich und ziehe den Geruch ihrer Haare in mich ein. Diesmal schnuppern sie nach Apfel. Ein leichtes Zucken ihrer Schultern drückt meinen Arm nach oben, dennoch antwortet sie. „Ich will ihn nicht enttäuschen. Ich weiß, dass du das anders siehst, aber...", sagt sie und bricht ihre Ausführung ab. Sie ist traurig. Ich bin mir sicher, dass sie ihre Entscheidung trotz aller plausiblen Ausreden bereut. Ich denke an Jake und daran, dass ich das Gefühl habe auch ihn zu enttäuschen. Shari löst sich von mir und sieht mich an. Sie erkennt den Ausdruck in meinem Gesicht. Sie liest mich, wie kein anderer. Manchmal ist es unheimlich gruselig, aber oft auch sehr befreiend, weil ich ihr nicht umständlich erklären muss, was ich empfinde. „Du machst das Richtige, Mark. Jake ist gut für dich." Ich weiß, dass sie Recht hat, aber macht es das wirklich richtig? Ich bin unsicher. Für einen Moment mustere ich ihr Gesicht. Ich sehe Zuversicht. Vertrauen und einen Schimmer Melancholie. „Und Andrew wäre gut für dich. Du darfst dich nicht isolieren und dich damit geißeln, allein zu bleiben, weil deine Eltern vielleicht etwas dagegen haben könnten." „Sagt der, der sich nicht traut, seinen Eltern zu gestehen, dass er schwul ist." Shari verschränkt die Arme vor der Brust und ich fühle mir auf den Schlips getreten. Der Umstand, dass sie Recht hat, macht es nicht weniger schmerzhaft. „Touché", sage ich etwas beleidigt, lasse sie aber nicht los. „Tut mir leid", murmelt sie mir entgegen. „Nein, es ist die Wahrheit. Ich bin ein Idiot und du ziemlich dämlich." „Ich würde ja temporär intelligenzschwach bevorzugen." „Temporär? Hättest du wohl gern", kontere ich bissig und Shari steckt mir ihre Zunge raus. „Gib euch doch die Möglichkeit. Einen Versuch mehr nicht. Ich hätte vieles für eine richtige Chance getan", gestehe ich ihr leise. Sharis Blick wird wieder forschend. Sie löst sich von mir und verschränkt ihre Arme vor der Brust. Ich weiche ihrem Blick aus und sehe dabei Paul, der langsam auf uns zu gelaufen kommt. „Wir hatten unsere Chance und ich habe für mich eingeschätzt, dass es nicht funktioniert. Er hat mehr verdient, als ein Vielleicht. Genauso wie du, Mark.", erläutert sie mir die beißenden Stimmen in ihrem Kopf. Darauf weiß ich keine Erwiderung und schweige. „Hier, passt du bitte kurz darauf auf. Ich geh schnell zur Toilette." Shari hält mir ihre Tasche vor die Nase und dreht sich um als ich danach greife. Hinter ihr steht Paul. Shari quietscht erschrocken auf. „Verdammt Paul, warum schleichst du dich so an?", kreischt Shari aufgebracht und springt Paul fast in sein amüsiert grinsendes Gesicht. „Mark hat mich gesehen, aka ist es kein Anschleichen", erklärt Paul, schüttelt seinen Lockenkopf und es fehlt nur, dass er mir die Schuld gibt. Ich schubse den Finger zur Seite, den Paul gerade hinter Sharis Rücken auf mich richtet. „Eure Logik will mal einer verstehen, Jungs. Ich habe für so was keine Zeit. Mark, bleib ein paar Minuten artig und Paul, du bleib..." Ihr fällt nichts ein. Paul wendet sich prompt zu mir und grinst übertrieben. „Siehst du, ich bin so perfekt, dass ihr nichts...absolut nichts einfällt." Er macht mit seinen Armen eine dampflokbetreibende Bewegung und dreht sich im Kreis. Seine wuscheligen Haare wirbeln dabei lustig umher. Sharis Augenbraue zieht sich derartig nach oben, dass man jeden Moment glauben könnte, dass sie im Haaransatz verschwindet. „Sie wusste nur nicht, womit sie anfangen soll. Die Liste ist endlos", kontere ich für die schöne Inderin. Die Tasche stelle ich neben mir ab. „Ja, redet euch das nur ein. Im tiefsten Inneren wisst ihr, wie wahrhaftig und perfekt ich bin." Während Paul das sagt, verdrehen sich Sharis braune Augen und ich verkneife mir ein amüsiertes Lachen. „Dein Ego braucht einen eigenen Personalausweis, weißt du das?" Sie macht eine Ich-hab-euch-im-Blick-Geste und verschwindet dann auf die Toilette. „Manno man, verbreitet ihr schon wieder einen Schneesturm." Er sieht ihr nach und schüttelt seinen Kopf. „So ist das nun mal. Einem Hochdruckgebiet folgt meistens ein Tiefdruckgebiet. So ist das Klima. Und wenn man genau hinschaut, schweben über Sharis Kopf lauter Cumulonimben ", gebe ich, wie ein Wetterfrosch von mir. Ich mache mit meinen Händen eine Wattegreifende Bewegung. Paul sieht mich schräg von der Seite an. „Cumulonimben?", fragt er mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. „Gewitterwolken", erkläre ich und Paul legt seinen Kopf schief. Ich frage mich, ob er mich nicht versteht oder es nicht verstehen will. „Möglich sind auch Nimbostratus oder Cirrocumulus." Bei der Erwähnung letzterer Wolkengattung denke ich wieder an Schafe und Irland. Paul schaut mich entgeistert an. Okay, er will es nicht verstehen. „Du hast mit dem meteorologischen Vokabular angefangen", kontere ich. „Woher nimmst du bloß immer diesen Kram?", fragt er mich perplex. „Ich bin ein Füllhorn des unnützen Wissens." Meine Schultern zucken nach oben. „Eindeutig. Hast du Shari schon wieder verärgert?", fragt er weiter. Natürlich bin ich schuld. „Nicht mehr, als sonst." „Was ist dann euer Problem?" „Sie will einfach nicht fremdgehen", sage ich als Anspielung auf unsere Scheinbeziehung, die Paul immer deklariert. „Ein Hoch auf eure offene Ehe", kommentiert er prompt. „Sie hat einem Date mit Andrew abgesagt und ich finde das zugegebenermaßen echt blöd." „Ist das der Kerl aus eurer Schule?" Paul kennt den kompletten Sachverhalt nicht. Wir füttern ihn auch nicht unbedingt mit allen Informationen. Zu seinem Glück. „Ja, genau der." Ich lehne mich an die Wand und schließe einen Moment lang die Augen. Wie kann ich sie umstimmen? Wahrscheinlich gar nicht. Ich glaube dennoch, dass es ihr guttun würde. „Und was ist ihr Problem? Wird er aufdringlich? Ist er ein Idiot?" „Überhaupt nicht. Er ist nett, zuvorkommend und intelligent. Der perfekte Mann für sie." „Klingt extrem langweilig", sagt er lapidar und schiebt Sharis Tasche aus dem Weg, als eine größere Gruppe an uns vorbeikommt. Die Tasche kippt dabei um und einiges vom lösen Inhalt rutscht heraus. Hefter. Blöcke. Krimskrams, deren Bedeutung nur Frauen kennen. Genauso, wie nur Frauen wissen, wieso sie das alles mitschleppen müssen. Ich boxe Paul hart gegen den Arm und hocke mich hin, um die Sache wieder einzusammeln. „Autsch, Mark, was soll das? Sie muss allein wissen, was sie will und wenn sie mich nicht will, dann läuft sowieso etwas falsch." Aufgebracht reibt er sich die lädierte Stelle. Ich starre auf die verteilten Sachen. Ihr Handy ist ebenfalls herausgefallen. Ich räume schnell den anderen Kram zurück und greife danach. Ich starre auf das dunkle Display. Ich tippe es an. Shari hat tatsächlich keinen Keylock. Paul hockt sich zu mir. „Was tust du da?", fragt er mich argwöhnisch und sieht vom Handy zu mir und wieder zurück. Ja, was mache ich hier? Ich suche das Telefonbuch. „Verhindern, dass du dich doch noch an sie ranmachst!", kommentiere ich und bin mir selbst nicht sicher, was ich vorhabe. Mein Daumen bewegt sich von ganz allein über das Display, öffnet das Telefonbuch und bleibt über Andrews Namen schweben. „Du willst doch nicht Andrew in ihrem Namen anschreiben?", fragt er mich perplex und für einen kurzen Augenblick zweifele ich. Ich schiele zur Damentoilette, doch Shari kommt noch immer nicht heraus. „Ich wollte ihn eigentlich anrufen, aber du hast Recht, meine Shari-Imitation ist noch nicht perfekt." Paul schlägt mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Autsch. Ach komm, sie soll Spaß haben und lieben. Mehr nicht", erkläre ich mit mir selbst zweifelnd. „Alter, das fällt dir auf die Füße und ich bin dann ein Mittäter." „So möge uns der zornige Tama gnädig sein", säusele ich und tippe eine plausibel klingende Nachricht, die halbwegs nach Shari klingt. Noch einmal zögere ich. „Mensch Mark, das wird eine ganz klischeehafte Teenager-Missverständis-Dramödie! Du tust es aus Freundschaft und aus Gutherzigkeit und sie wird einfach nur sauer, weil du dich in ihr Leben einmischst. Bämm, der perfekte Schnulzenplot. Nur, dass aus euch am Ende kein Paar wird." „Dramödie?" „Kofferwort aus den Begriffen Drama und Komödie. Hauptsächlich für Fernsehserien verwendet, deren Inhalt sich durch einen ausgewogenen Anteil von Humor und Ernsthaftigkeit kennzeichnet", zitiert er auf perfekten wikipedianisch. „Ja, klar. Du hast schon ein bisschen zu viel Langweile, oder?" Noch immer hocken wir beide im Flur vor einen Damenhandtasche und müssen selten dämlich dabei aussehen. „Du anscheinend zu wenig, denn sie bringt dich um, Mark", gibt mir Paul zu verstehen und ich schwanke weiter. Wahrscheinlich hat er Recht, aber Shari hat es verdient, glücklich zu sein und ich glaube wirklich daran, dass sie ihn noch einmal treffen sollte. Eine zweite Chance hat jeder verdient. In Sharis und Andrews Fall ist es Shari, die eine zweite Chance gebrauchen könnte. Ich denke an Raphael. Übertrage ich meine Probleme auf Shari? Ich fühle mich plötzlich mehr als unsicher. Mein Finger schwebt über dem Display. Sie wird mich lynchen, ohne Zweifel. „Ich hatte ein gutes Leben", murmele ich, aber mein zögernder Finger verhindert, dass ich die Nachricht abschicke. „Ah, verdammt." „Braver kleiner Lakai.", kommentiert Paul meinen Rückzug. Ich ziehe mein eigenes Telefon hervor. Schnell tippe ich Andrews Nummer ab und beginne den Text zu löschen. „Alter, schnell, sie kommt." Paul stößt mich an. Schnell werfe ich das Telefon zurück in ihre Tasche, bevor sie endgültig aus der Tür tritt. Fast tänzelnd kommt sie auf uns zu. Sie wirkt erfrischter und ruhiger. Bevor sie bei uns ankommt, stehen wir hektisch auf. Nicht ohne uns gegenseitig eindeutige Blick zu zuwerfen. Paul ist schockiert und schüttelt den Kopf. Ich schaue panisch und nicke. Meine Finger deuten auf ihn. Seine auf mich. Shari sieht uns argwöhnisch an. „Was ist los?", fragt sie skeptisch, „Irgendwas Peinliches passiert?" „Nein", kommt es wenig überzeugend von uns beiden. Shari kichert. „Habt ihr euch versehentlich geküsst?", bohrt sie weiter und legt ihre Hand vor dem Mund, um sich ein eindeutiges Grinsen abzuschirmen. Noch ein Dramödienklischee. „Nein", sagt Paul relativ neutral. Ich hingegen laut und energisch. Beide sehen mich überrumpelt an. Ich starre ebenso erschrocken zurück. „Also, das hätte ich jetzt von Paul erwartet und nicht von dir, Mark." Shari blinzelt mir entgegen. „Aber echt. Ich bin gerade echt beleidigt." Paul stemmt beide Hände in die Seite und macht einen auf gekränkt. Dann führt er seine Hand zu seinen Augen, legt sie darüber und schnieft theatralisch. „Sehe ich aus, als küsse ich jeden x-Beliebigen?", frage ich säuerlich. „Schon!" „Ein bisschen." Die beiden wollen mich doch verarschen. Ich sehe sie entrüstet an. „Du findest mich also nicht attraktiv? Ich bin...ich bin zutiefst verletzt", gibt Paul weinerlich von sich und ich fühle mich langsam wirklich verarscht. Shari tätschelt ihm sachte den Rücken. „Wahrscheinlich bist du ihm zu blond", gibt Shari zu bedenken. Paul streicht sich seine blonde Wuschelmähne zurück. Shari tätschelt ihm weiter mitfühlend die Schulter und ich sehe beiden mit hochgezogener Augenbraue zu. „Ey, seid ihr blöd", kommentiere ich und schnappe mir meinen Rucksack. Ich lasse sie ohne ein weiteres Wort stehen. Shari ruft mir hinterher, doch ich schmolle demonstrativ und stecke ihnen nur die Zunge raus. Verstimmt lasse ich mich draußen auf eine Bank fallen, lege meinen Rucksack beiseite und lehne mich zurück. Ich weiß nicht mal, warum es mich eigentlich ärgert. Im Moment bin ich einfach zu empfindlich. Wie ein kleines Mädchen. Wie Maya. Der Gedanke lässt mich erschaudern. Ich ziehe meinen Schal an den Enden fester um meinen Hals und tue einen Moment, als würde ich mich erwürgen. „Aaah, sind die doof. Unfassbar", mache ich meinem Ärger laut Luft. Ich seufze Gedanken versunken und lasse meinen Kopf nach hinten fallen. Kühler Wind streift mein Gesicht und lässt meine Haare kitzelnd über meine Ohren gleiten. Was habe ich mir nur dabei gedacht Sharis Handy zu nehmen. Ich habe ich das echt durchziehen wollen? Herrje, was läuft nur gerade falsch bei mir? Ich schiebe mir mit beiden Händen die Haare zurück und lasse sie einen Moment an meinem Kopf liegen. Meine Ellenbogen strecken sich dabei nach hinten. Ich gebe einen unwirschen Laut von mir und fahre mit meinen Händen weiter durch die Haare bis ich dabei gegen etwas Weiches stoße. Ich sehe auf und direkt in zwei wunderschöne grüne Augen. Raphael steht hinter mir und beugt sich zu mir hinab, sodass ich direkt in sein Gesicht blicke. Seine Hände fassen nach meinen Ellenbogen und er hält mich sanft fest. Das kurze Erschrecken stößt den Motor meines Herzschlags an. Doch es ist seine Nähe, die es vollends auf Touren bringt. Sein warmer Körper verströmt diesen vertrauten Geruch. Mein spontan angesetzter Abweisungsspruch formuliert sich nur halbgar und verliert sich in den Tiefen meiner Gedanken. Es ist diesen atemberaubenden Augen geschuldet. Sie greifen von mir besitzt und für einen kurzen Moment, schaue ich verträumt in sein Gesicht. Wenn er mich doch immer so anschauen könnte. Ich schelte mich innerlich für diesen Gedanken und zergehe zugleich darin. „Hey", begrüßt mich Raphael leise und ich schließe meine Augen, versuche seinem Blick zu entkommen. „Hi", erwidere ich. Doch es entflieht mir nur als Flüstern. „Wie kommt es, dass du so betrübt aussiehst?" Obwohl ich für einen Augenblick erneut ausweichend antworten möchte, lasse ich es sein. „Tue ich das?“, sage ich stattdessen und richte mich auf. „Ja. Was ist passiert?", hakt er nach. Raphael stützt sich neben mir auf der Lehne der Bank ab. Sein Arm berührt meine Schulter. Ich spüre das Beben meiner Haut, obwohl wir uns noch nicht mal wirklich berühren. Mindestens 4 Schichten Stoff liegen zwischen uns und doch ist es der leichte Druck seines Körpers, der diese Reaktionen in mir auslöst. Ich fahre mit meinem Blick sein Profil entlang. So wie ich es schon oft getan habe. Ich kann ihn blind zeichnen. Die markanten Wangenknochen. Die etwas zu spitz zulaufende Nase. Die unwiderstehlichen Lippen. Was macht dieser Mann nur mit mir? Wie kann es sein, dass mich nur sein Anblick vollkommen aus der Bahn wirft? Die Ansätze seines Bartes sind diesmal ungleichmäßig. Wenn es nach mir ginge, hätte er den Bart, den er nach seiner Wiederkehr hatte, behalten können. Er sieht mich an. Mein Herz macht einen Satz. Ich versuche nicht einmal so zu tun, als hätte ich ihn nicht angestarrt. „Nun?" Er gibt nicht nach. „Ich war mal wieder typisch ich...", sage ich nur und schließe kurz die Augen, um nicht weiter in das attraktive Gesicht blicken zu müssen. „Charmant und schlagfertig?", sagt er mit einem scherzhaften Schmunzeln. „Haha", kommentiere ich nur. „Du hast Dummheiten gemacht?", witzelt Raphael. Ich schnaufe verhalten. „Ich habe ein Talent dafür." „Willst du darüber reden?" „Lieber nicht", sage ich und spüre, wie mich nur die Tatsache hemmt, dass es Raphael ist. Seine Nähe macht mich verrückt. Nach den Vorkommnissen seiner Rückkehr nur noch mehr. „Angst, dass ich deine Dummheiten bestätige?" „Könntest du Dummheit erkennen, würdest du dir mehr Gedanken über dich selbst machen", knalle ich ihn ungerührt vor den Latz. Ich erschrecke selbst vor der Verbitterung, die in meinen Worten mitschwingt. Im Moment habe ich das Gefühl, dass wir die Positionen getauscht haben. Vor seinem Abgang war er es, der versucht hat, den aufkommenden Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Nun bin ich es. Irgendwie jedenfalls. Ich bestreite meine Gefühle nicht, aber das unpassende Drumherum hemmt mich ungemein. Ich spüre Raphaels Blick auf mir und sehe wieder zu ihm. Mir wird heiß und unbewusst löse ich den Schal ein wenig, den ich eben noch fester gezogen habe. Wie schafft er es nur mit seinem Blicken, so eine Reaktion in mir hervor zu kitzeln? Die Hitze arbeitet sich durch meinen ganzen Körper und bündelt sich in meiner Körpermitte. Unfassbar. Dabei gibt es nach der gestrigen Nacht keine Gründe dafür. Sein Blick ist trotz der Beleidigung so unendlich weich. Ich habe das Gefühl, das mein Herz wimmernd nach ihm schreit. „Warum bist du so abweisend?", fragt er mich flüsternd, lässt seinen Blick über meinen Körper wandern und sieht, wie ich mir unbewusst mit den Händen gegen meinen Bauch drücke. Er durchschaut mich. Raphael erkennt meine Handlungen als Abwehr. Sein Blick ist so beruhigend, dass es mich aufregt. Normalerweise schätze ich diese ruhige und analytische Art. Doch in diesem Moment offenbart sie meine Unzulänglichkeiten. Nicht gut. „Reiner Selbstschutz." So ehrlich bin ich selten. „Wovor?" „Vor dir und deinem Wunsch nach einem normalen, einfachen Leben", wiederhole ich bitter. An seinem Blick erkenne ich, wie sehr ich den Kern der Wahrheit treffe. Allein die Tatsache, dass er sich noch immer nicht von Maya getrennt hat, zeigt mir, wie unsicher er noch immer ist. Raphael seufzt und seine Hand wandert zu seiner Brust. Er holt die Kette hervor und nimmt sie von seinem Hals. „Bitte, nimm sie zurück, Mark. Sie war eigentlich immer für dich gewesen, auch wenn ich lange gebraucht habe, um das zu verstehen", sagt er leise und sieht mich an. Kapitel 8: Den Punkt der Umkehr…um so | | viel verpasst ------------------------------------------------------- Kapitel 8 Den Punkt der Umkehr…um so | | viel verpasst Ich schaue auf das silberne Häufchen, welches er mir entgegenstreckt. Der kleine Anhänger liegt mit der Rückseite zu mir und doch habe ich sofort die Zahlen darauf im Kopf. Mein Herz presst sich gegen meinen Brustkorb, bleibt dort kurz stehen, um dann flugs heftig und unkontrolliert weiter zu schlagen. „Nein, ...", sage ich und es klingt mehr als unentschlossen. Raphael atmet tief ein und streicht sich durch die dunklen Haare. „Warum nicht?" Fragt er mich das wirklich? Warum nicht? Immer wieder klappt mein Mund auf und wieder zu. Ich suche nach der richtigen Antwort, doch kein Laut dringt über meine Lippen. Nur hin und wieder ein eigenartiges Japsen. Es muss reichlich bescheuert aussehen und trotzdem blase ich aus Frustration kurz die Backen auf. Ich habe arge Probleme es vernünftig auszudrücken. Wieder einmal. Wieder mal nur Weil ich in Raphaels Nähe bin. Ich gebe nicht auf. „Du und Ich... und Maya... Hallo?" Das Problemtrio ist schnell komplett. Den Namen meiner Schwester betone ich besonders. Der Mann neben mir schaut verzweifelt auf seine Hände. Ich würde ihm gern sagen, dass sie ihm nicht helfen können. Er muss den Mund auf machen. Er muss es erklären. Ich will endlich verstehen, was in seinem Kopf los ist, dass er glaubt die Kette würde ausreichen um mich zu überzeugen. „Raphael, du begreifst es nicht, oder? Die Kette macht nichts vergessen und sie löst auch die Probleme nicht. Du bist immer noch mit ihr zusammen." „Ich weiß. Mark, ich will es doch nur richtigmachen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und du irritierst mich." Der letzte Teil ist nur noch ein Flüstern. Was genau bedeutet es richtig machen? Wenn es sein Anliegen ist, niemanden weh zu tun, dann ist sein Versuch bereits gescheitert. „Wie bitte?" „Vor ein paar Monaten warst du so offensiv und jetzt weist du mich ab. Das irritiert mich", erklärt er und ich bin mir sicher, dass ihn das nicht nur irritiert, sondern arg verunsichert. Mir geht es ähnlich, aber was soll ich tun? Soll es so weitergehen, wie bisher? Das schaffe ich nicht. „Willst du, dass ich über dich herfalle, wie ein Tier? Tut mir leid, momentan hat nur der Streichelzoo für Sie geöffnet", sage ich sarkastisch. Ich weiß, dass er nichts in dieser Richtung ausdrücken wollte. Raphael sieht mich mit einem gemischten Blick an. Wut. Unsicherheit. Unglauben. Was will er von mir hören? „Ich will und brauche mehr, als nur mal einen Kuss zwischendurch. Ist dir das eigentlich bewusst? Ich glaube, du verstehst nicht, was du jedes Mal wieder in mir lostrittst. Außerdem verstehe ich nicht, was du mit deinem dämlichen Hin und Her bezweckst. Du kannst nicht mich küssen und dann meine Schwester herzen als wäre nichts gewesen." „Ich weiß das. Ich versuche es doch nur...", flüstert er in den Wind und ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Vor allem, weil er seine Gedanken erneut abbricht. „Wirklich? Was soll das dann?", frage ich dementsprechend skeptisch, „Wie soll ich dich oder das, was du sagst ernst nehmen, wenn du im nächsten Atemzug jedes Mal das Gegenteil machst. Du kommst als Erstes zu mir und dann überraschst du meine Schwester? Du sagst, du willst mich nicht verlieren, aber setzt alles daran, dass ich niemals in deiner Nähe sein kann. Erkennst du mein Problem?" „So war das nicht, Mark. Ich wollte nicht zu Maya. Ich wollte erst mit dir reden und dann mit ihr. In Ruhe. Aber deine Mum hat plötzlich nur noch davon geredet, Maya zu überraschen und Kuchen am Sonntag. Was hätte ich denn machen sollen? Hätte ich Nein sagen sollen?" „Ja, wäre doch mal ein Anfang", kommentiere ich und weiß, dass das bei meiner Mutter nicht so einfach ist. Zudem hätte Raphael keine plausible Begründung gehabt, denn warum sollte er seine Freundin nicht sehen wollen? Raphael richtet sich auf und bleibt kurz hinter mir stehen, dann kommt er rum. Er setzt sich neben mich. „Das sagst du so leicht. Du hattest neunzehn Jahre mehr Zeit ihr gegenüber das Widersprechen zu perfektionieren", kontert er ungesehen und ich komme nicht umher, perplex zu gucken. Kurz presse ich die Lippen zusammen und blicke auf meine kalten Finger. Als ob ich meine Mutter wirklich widersprechen könnte. „Du bräuchtest ein Jahrhundert dafür und selbst dann würdest du es nicht hinkriegen", pampe ich zurück. Raphael seufzt und streicht sich über den Nacken. „Ja, okay, vielleicht hätte ich einfach nein sagen sollen. Mark, was hat sich geändert?", erfragt er vorsichtig. Ich weiß selbst nicht genau, wo mein Problem liegt. Meine Gefühle sind da. Ich kann es nicht leugnen. Sie schreien formlich, gerade jetzt in diesem Moment, in dem er neben mir sitzt und versucht das Richtige zu tun. Vielleicht ist es Furcht oder sogar Angst? Der Wunsch nach einem beständigen und sicheren Leben. „Du hast mich damals gefragt, was ich fühle und ich konnte dir nicht antworten. Jetzt kann ich es", setzt Raphael fort, weil ich nichts antworte. Ich erinnere mich an den Moment zurück. Wir standen auf dem Balkon. Ich war mir damals so sicher gewesen, dass er mich vielleicht doch mehr mochte. Mehr als nur das brüderliche Gefühl, welches man seinem Schwager entgegenbringt. Er war mir ausgewichen, war unsicher und zurückhaltend. Nun bin ich es, der sich dessen nicht mehr sicher ist, aber nicht, weil ich mir meiner Gefühle nicht mehr bewusst bin. Denn das bin ich. Mehr als zuvor. Es ist einfach diese ständige Angst vor weiteren Enttäuschungen, die in mir schwelt. „Ich mag dich wirklich sehr." Ich sehe auf und direkt in die intensiven grünen Augen des anderen Mannes. Er mag mich. Sehr. Mein ganzer Körper beginnt zu kribbeln. Tausende kleine Explosionsherde, die sich wellenartig durch meinen Körper arbeiten. Wären die Explosionen sichtbar, würde ich jetzt leuchten, wie ein Weihnachtsbaum. Meine Hände beginnen zu zittern und ich versuche sie zu verstecken. Meine Hose sitzt zu eng und meine Jackentaschen sind zu voll. Prima. Der Versuch, sie irgendwo reinzuschieben, scheitert. Ich wende meinen Blick wieder ab. „Wow, dann stehe ich bei dir in einer Reihe mit Kaffee, Turnschuhen und die Sims3. Stell mich doch zu diesen Dingen ins Regal", gebe ich tonlos von mir und streiche mir die Haare zurück. Einmal habe ich ihn an Mayas PC erwischt. Er spielte Sims3 und baute Häuser und Gärten. Sehr akribisch. Sehr vertieft. Es war ein sehr befriedigender Anblick. Doch diesmal erheitert mich der Gedanke daran nicht. Raphael lässt die schmale Kette langsam von einer in die andere Hand gleiten. Ein ernüchterndes Geräusch, welches von seinen Lippen perlt, lässt mich aufblicken. Mein dummer Kommentar hat ihn getroffen. Ich empfinde keine Genugtuung. Ich trete seine Gefühle mit Füßen. Obwohl mich seine Aussage freut, ist es die Ungläubigkeit, die mich quält. Die kleinen Glückshormone ertrinken in einer Suppe voller Bedenken. Was heißt eigentlich mögen? Ich mag viele Dinge. Reicht mögen? Reicht es mir? Er ist immer noch an Mayas Seite. Zudem hat sich Raphael während seines US- Aufenthalts nicht bei mir gemeldet. Kein einziges Mal und obwohl ich mir einredete, dass das nicht schlimm war und ich damit zu Recht komme, hat es mich unheimlich verletzt und verunsichert. In der ersten Zeit habe ich darauf gewartet und es wirklich gehofft. Doch es kam nichts. Nur für Maya. Telefonate. Postkarten. Erst als ich merkte, dass ich vergeblich warte, habe ich mich Jake vollends zu gewandt. Aus Trotz. Aus Ablenkung. Aus Schmerz. „Glaubest du wirklich, dass sich damit wie aus Zauberhand alles für mich geklärt hat? Ich habe auch meinen Stolz." Ich deute auf die Kette, die er noch immer in der Hand hält. „Zauberhand? Ich dachte, dass ich es dir zu genüge erklärt habe, wie schwer das für mich ist. Ich habe auch meine Zweifel und Ängste, Mark. Ich habe dir gesagt, dass das für mich nicht einfach zu begreifen ist." Ich verstehe, wovon er spricht. Als ich merkte, dass ich nicht auf Mädchen stehe, war es im ersten Moment sehr schwer für mich. Und obwohl ich aufgeschlossen und stark wirke, zeigt die Tatsache, dass ich es nicht schaffe, mich vor meinen Eltern zu outen, wie schwer ich mich mit der Sache wirklich tue. Insgesamt fällt es mir nicht leicht, mich den Leuten aus meinem „alten" Leben zu offenbaren. Nur Shari weiß es. Niemand sonst. Danny weiß es nicht. Marika nicht. Ich sollte Raphael deshalb keine Vorwürfe machen. Sie entstehen trotzdem. Raphaels Knie stößt absichtlich gegen meins. Eine kindische, aber irgendwie liebevolle Geste mit der ich ihn schon mehrfach traktiert habe um ihn zu reizen. Trotz der Öffentlichkeit sucht er den Körperkontakt zu mir. Er beugt sich etwas nach vorn und legt seine Hand sachte an mein Bein. Ich spüre sie kaum und bekomme dennoch Gänsehaut. Die Wut über die Zwiespältigkeit seiner Handlungen erfasst mich schleichend, aber schon die ganze Zeit. „Hör zu, ich habe Maya nur am Sonntag gesehen und mich seither..." Ich unterbreche seine Erklärung und springe auf. „Du hast dich über die ganze Zeit in Kalifornien nicht einmal bei mir gemeldet. Du hast mir die Kette gegeben und bist stillschweigend abgehauen. Du hast mich mit all den Fragen zurückgelassen", fahre ich ihm in die Parade und merke, wie mich eine schmerzhafte Welle erfasst. Es bricht förmlich aus mir heraus. „Das ist nicht wahr", sagt er laut und steht ebenfalls auf. Ich sehe ihn verwundert an. „Was ist daran nicht wahr?", frage ich aufgebracht, denn mit dieser Aussage wird mir nicht klar, was er von meinen Vorwürfen in Frage stellt. Anscheinend spricht mein Gesichtsausdruck Bände, denn er beginnt mit einer Erläuterung. „Es ist glatt weg falsch, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe." Raphael neigt seinen Kopf nach unten, blickt danach auf seine Hand, in der noch immer die schmale Kette liegt und sieht dann wieder zu mir. Ich weiß nicht, wovon er spricht. „Wie meinst du das?" „Ich habe dir geschrieben. Briefe. Mehrmals. Zuletzt zu deinem Geburtstag." Der war im September. Ich wusste nicht einmal, dass er ihn kennt. „Wovon redest du? Ich habe von dir keine Briefe bekommen." Auf Raphaels Stirn bilden sich Falten und seine Augenbraue ziehen sich zusammen. Irgendetwas scheint in seinem Kopf vor zu gehen, doch er erläutert es mir nicht. Wir haben nie Handynummer miteinander getauscht oder E-Mail-Adressen. In meinem Kopf herrschte immer die Vorstellung, dass Maya jedes Mal, wenn sie allein ist in seinem Handy rumstöbert. Ein absolutes No-Go. Und wenn Raphael nicht gerade bei meinen Eltern anruft und nach mir verlangt, dann hat es wirklich keine andere Chance gegeben, mich zu erreichen außer mit einem Brief. Was hat das zu bedeuten? „Briefe?" „Ja, ich dachte die ganze Zeit, dass du sie gelesen hast und nur..." Er bricht ab und führt den Satz nicht zu Ende. Raphael fasst sich mit beiden Händen an den Kopf, drückt sich resigniert an den Seiten die Haare platt. Raphael nimmt die Arme runter, streicht mit seinen Fingern über seine Hose und sieht zur Seite. Er ist schwer am Grübeln und ich bin noch immer etwas perplex. „Du hast keinen bekommen? Nicht einen?", hakt er nach und ich denke noch einmal darüber nach. Ein Brief von Raphael wäre mir garantiert im Gedächtnis geblieben. Ein Bild von mir im Zimmer hüpfend und tanzend, schießt durch meinen Kopf. Ich schüttle mein Haupt und zugleich den Gedanken davon. „Keinen einzigen. Hast du dich nicht darüber gewundert, dass ich nicht antworte?" „Schon, aber ich dachte, dass du einfach noch immer verletzt bist und...schmollst." „Schmollst?", wiederhole ich nun echt beleidigt nach. „Du weißt, wie ich es meine." Weiß ich das? Wir starren uns einen Moment lang an. Dann macht er einen Schritt auf mich zu und greift nach meiner Hand. Er ist mir so nah. Ich spüre die Hitze auf meiner Haut. Sie erhitzt jede meiner Hautschichten bis sie mich vollkommen durchdrungen hat. Sein dezenter Duft ist gemischt mit dem mir allzu bekannten Geruch des Duschbads, welches in unseren beiden Bädern steht. Nur ein feiner, süßer Hauch. Er sorgt dafür, dass sich die seitlichen Stränge meines Halses zusammenziehen und es auf meiner Zunge zu kribbeln beginnt. Das Geräusch meines schlagenden Herzens wird immer lauter und ich beginne das Rauschen meines eigenen Blutes zu hören. Erst jetzt bemerke ich, dass sich Raphaels Brust unter seiner Jacke ebenso heftig bewegt. Die Vene an seinem Hals pumpt unkontrolliert Blut. Ich starre auf die Bewegung, die sie unter seiner gebräunten Haut verursacht. Es hat etwas Hypnotisches. Ich habe das Bedürfnis zu spüren, wie sie gegen seinen Hals schlägt. Ich will das Pochen auf meinen Fingerspitzen fühlen und dann meine Lippen darauflegen. Ich sehne mich danach. Nur wenige Zentimeter zwischen uns. Wir sehen uns einfach nur an. Ich habe das Gefühl das seine Augen mich erkunden und genau das erlesen, was er sucht. Meine Gefühle für ihn. Meine Unsicherheit. Meine Angst. Meine Liebe. Ich glaube, dass das Grün in seinen Augen noch voller und prächtiger geworden ist. Ich verliebe mich mit jedem Mal mehr, wenn ich nur in diese Augen blicke. Das kann nicht normal sein, oder? Irgendwas in mir läuft nicht ganz richtig. Leichter Wind bewegt seine Haare. Sie umspielen seine Ohren. Streicheln. Liebkosen. Sein Griff wird lockerer und ich berühre sachte mit meinen Fingern sein Ohr. Sie streiche nun selbst ein paar Haarsträhnen zurück, während er noch immer meine andere Hand festhält. Mein Daumen an seiner Schläfe. Raphael zieht mich sanft näher, so dass uns nur der Hauch einer Bewegung voneinander trennt. Versteht er wirklich, was es bedeuten würde, wenn er sich für mich entscheidet? Ich spüre, wie mein Herz verlangend danach schreit. „Mark, ich will es wirklich. Können wir bitte in Ruhe reden und..." Mein gerufener Name unterbricht ihn. Für mich ist es nur ein dumpfes Geräusch, aber ich blicke dennoch zur Seite. Kühler Wind weht das Ende meines Schals von meiner Schulter und legt die linke Seite meines Halses frei. Kalter Wind streicht über meine Haut. Shari steht am Haupteingang des Unigebäudes. Raphaels Griff wird plötzlich schmerzhaft und ich schaue mit verkniffenem Gesicht zu ihm. Sein Daumen bohrt sich in die Handfläche und meine eh schon geschundene Hand zuckt. „Autsch, was zum...?" Der Ausdruck in seinen Augen hat sich geändert. Ich sehe Schmerz und Wut. Die plötzliche Veränderung wundert mich. In diesem Augenblick lässt er mich los. Ich greife an mein Handgelenk, ziehe die Hand an meine Brust. „Entschuldige", murmelt er. Raphael schaut kurz zu Shari. Sein Arm hebt sich zu einem einfachen Gruß und danach macht er auf dem Absatz kehrt. Er schiebt seine Finger in die Jackentaschen und geht ohne ein weiteres Wort einfach weg. „Raphael!", rufe ich ihm nach, doch er reagiert nicht. Ich sehe ihm nach. Was ist passiert? Als ich mich wieder umwende, steht Shari fast neben mir. „Was war denn das gerade?", fragt Shari scharf und ich benötige einen Moment, um zu reagieren. „Raphael", sage ich. „Ja, ihn habe ich tatsächlich erkennt. Was wollte er und wieso habe ich das Gefühl, dass ihr euch gleich geküsst hättet." Weil ich das Gefühl auch hatte. Ich sehe in Sharis schönes, aber fragendes Gesicht. „Er wollte mit mir reden. Er hat mir wohl aus Amerika geschrieben. Mehrfach, aber ich habe keine Briefe bekommen", erläutere ich. Shari sieht mich weiterhin an und ist ebenso verwundert, wie ich. Nach einer Weile hebt sich eine ihrer schwungvollen Augenbrauen. „Aber wusste er nicht, dass du ausgezogen bist?", fragt sie und ich zucke mit den Schultern. „Woher denn? Und wenn, wird er Maya nicht nach meiner neuen Adresse gefragt haben. Dafür hätte er schon mit meinen Eltern telefonieren müssen und das glaubst du doch selbst nicht", sage ich belustigt, aber halbernst. „Aber er wusste, doch wo du wohnst, also muss er Maya gefragt haben", gibt Shari zu bedenken und folgt meinen Blicken zu der Stelle, an der Raphael verschwunden ist. Seltsam. „Nein, er meinte beim letzten Mal er hat die Adresse von meiner Mutter...Oh", geben ich langsam verstehend von mir. Mein Kommentar hat mich selbst ausgeknockt. Er muss also wirklich mit ihr telefoniert habe. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich werde etwas rot. Shari und ich wären keine guten Analytiker. Nun hebe ich eine Augenbraue und sehe dabei zu, wie sich Sharis Lippen in ein herzhaftes Lächeln wandeln. Sie beginnt zu kichern. „Hihi, das ist ja so peinlich, aber wenn er das gemacht hat, dann ist das schon irgendwie süß." Das aus ihrem Mund. Kurios. Ich schaue ihr einen Moment beim Glucksen zu und bin mit den Gedanken völlig woanders. Das passt alles nicht zu Raphael. Er ist nicht der Typ für große Worte und Taten, sondern schweigsam und zurückhaltend. Auch Maya gegenüber hat er selten überschwängliche Gefühle heraushängen lassen. Ich habe nichts von den Briefen mitbekommen und bin mir sicher, dass meine Eltern sie weitergeleitet hätte. Shari reißt mich aus meinen Gedanken. „Bist du noch sauer wegen vorhin?", fragt sie und setzt dabei ihre Rehleinmiene auf. „Dir kann ich sowieso nicht sauer sein, aber Paul gehe ich nachher noch verprügeln", sage ich lächelnd und Shari atmet laut aus. „Puh, gut! Ich finde es schrecklich, wenn du auf mich wütend bist." Auf den Kommentar mit Paul geht sie nicht ein. „Ja, denk daran, wenn du das nächste Mal auf mich sauer bist", sage ich vorbeugend auf einen ganz bestimmten Moment, der in den nächsten Tagen garantiert über mich hinein brechen wird. „Werde ich!" Sie hängt sich liebevoll an meinen Arm. Die Ruhe vor dem Sturm. Ich muss es genießen. Wir gehen zusammen zum Bus und ich warte so lange, bis sie mir aus dem Bus heraus freudig zu winkt. Ich schaue dem großen Fahrzeug nach und bleibe noch einen weiteren Moment an der Haltestelle stehen. Shari hat gar nicht gegen Raphael gewettert. Es wundert mich erst jetzt, aber andererseits bin ich auch erleichtert, keine Diskussionen mit ihr führen zu müssen. Ich habe genügend andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel, warum Raphael gerade so hastig abgehauen ist. Wollte er keine Konfrontation mit Shari? Lächerlich. Sie ist manchmal bissig, aber die meiste Zeit über ein zahmes Rehlein. Sie will mich nur beschützen. Eine Stunde später bin ich auch in meiner Wohnung angekommen. In der Küche steht noch immer das Geschirr vom Frühstück auf den Tisch. Meine Teetasse. Jakes halbgetrunkener Kaffee. Ich bleibe hinter dem Stuhl, an dem am Morgen noch Jake gesessen hat, stehen. Meine Hand legt sich auf die stoffbezogene Lehne. Ich erinnere mich, wie er die Tasse Kaffee gehalten hat. Wie er in der alten Zeitschrift blätterte und ab und an aufblickte um mir ein Lächeln zu schenken. Warum muss das alles so kompliziert sein? Warum habe ich mich nicht einfach in einen unkomplizierten, definitiv schwulen und freien Mann verlieben können? Warum habe ich mich überhaupt verlieben müssen? Wie würde ich für Jake empfinden, wenn ich ihn ohne Raphael kennen gelernt hätte? Würde ich dann für ihn so intensiv empfinden? Jake ist zwar älter, als ich, aber ansonsten ist er perfekt. Gutaussehend. Liebevoll. Zärtlich. Wahrhaftig. Er ist vor allem wirklich schwul und nicht mit meiner Schwester zusammen. Meine Finger krallen sich in den Stoff der Lehne. Ich seufze schwer und tapse in mein Schlaf-Wohnzimmer. Dort angekommen, beziehe ich mein Bett neu und beginne die Blätter und Aufzeichnungen vom Boden auf zu heben, die heute Morgen bei meiner Panikattacke flöten gegangen sind. Sorgsam verstaue ich alles wieder in der Schublade und beginne auch die Oberfläche des Tisches in Ordnung zu bringen. Unter einem weiteren Stapel loser Papiere entdecke ich einen weiteren Umschlag und ziehe eine Karte heraus. Das Geburtstagsgeschenk meines Onkels. In der Annahme, dass ich vielleicht bald eine Freundin habe, schenkte er mir einen Gutschein für einen romantischen Restaurantbesuch für Zwei. Wie sehr er sich doch manchmal täuscht. Eigentlich mehr ein Scherz. Im ersten Moment möchte ich ihn schreienden Herzens wieder zurückstecken, doch dann halte ich innen. Ich werde ihn nicht benutzen, aber vielleicht kann ich ihn als beschwichtigendes Mittel Shari andrehen. In meinem Kopf bildet sich ein Plan, der mich garantiert Kopf und Kragen kostet. Ich greife nach meinem Telefon und hadere mit mir, ob ich Andrew schreiben oder einfach anrufen sollte. Ich entscheide mich gegen mein feiges Bauchgefühl und rufe ihn an. „Barnes", sagt Andrew geschäftsmäßig, denn ihm ist meine Nummer nicht bekannt. „Hey, Andrew. Hier ist Mark." „Mark? Oh, Hallo." „Du magst Shari, oder?", frage ich kurzum. Es folgt ein verblüfftes Schweigen. Er ist überrumpelt. „Ja, sehr sogar. Mark, was soll das?" „Hör zu, ich werde dir jetzt etwas vorschlagen. Bitte lass mich ausreden und danach sagst du einfach Ja oder Nein." „Okay", kommt es misstrauisch und ich erkläre ihm meinen Plan. Ein Hauch Zurückhaltung, doch dann willigt er ein. Ich nehme die volle Schuld auf mich und lasse nach Beendigung des Telefonats meinen Kopf auf den Tisch fallen. Ich greife erneut nach dem Handy und wähle die Nummer des Restaurants. Wenn ich schon untergehe und abtrete, dann richtig. Ich bestelle einen Tisch für zwei für Freitag, 20 Uhr. Freitag ist ihr geplanter Ausgehabend mit mir, dennoch muss ich mir etwas Sinnvolles und Ablenkendes einfallen lassen. Ich stehe geschlagene 10 Minuten starr vor meinem Schreibtisch und denke darüber nach, welche plausible Ausrede sie für ihre Eltern haben kann, nicht erreichbar zu sein. Mein Blick wandert langsam durch meine Wohnung und nach einem Moment gehe ich zurück in die Küche. Ich ziehe die alte Zeitschrift hervor. Sie enthält ein Kinoprogramm. Ich könnte Karten vorbestellen und Shari, als Beweis für ihren Vater, eine mitgeben. Ich beiße mir auf meiner Unterlippe rum, bis sie fast blutet und dann setze ich mich vor den PC und mache genau das. Sie würde keine Möglichkeit haben eine Lücke in meinem Plan zu sehen, abgesehen davon, dass ich ein furchtbarer Freund bin und gegen ihren Willen für sie etwas entscheide. In diesem Fall sogar in drei Dingen. Wen. Wo. Wann. Ich lasse, nachdem ich die Karte bezahlt habe, meinen Kopf auf den Tisch fallen und bleibe apathisch sitzen, bis mir vor Kälte meine Finger taub werden. Ich bin so ein schlechter Mensch. Ich lüge. Ich bevormunde. Ich verarsche. Ich provoziere. Das ist kaum auszuhalten. Paul hat Recht, das wird sicher in einem Blutbad enden. Ich bin vollkommen der Überzeugung, dass es an meiner momentanen Situation liegen muss. Ich weiß selbst weder ein, noch aus und das lässt mich schlecht handeln. Ich denke an Raphael und an seinen Gesichtsausdruck von vorhin. Was hatte er noch sagen wollen? Was war auf einmal passiert? Als am späten Abend mein Telefon klingelt, gehe ich ran, ohne auf das Display zu schauen. „Gauon, Shari", sage ich erwartungsvoll, denn niemand sonst ruft zu dieser Uhrzeit bei mir an. Im Inneren bin ich auf jede Seite ihres Gefühlsspektrums gefasst. Ich lehne mich angespannt auf meinem Schreibtischstuhl zurück und ziehe das rechte Knie hoch. Ich drücke es stützend gegen den Tisch. „Gauon selbst. Nein, nicht Shari, aber ich fühle mich geehrt. Seit wann sprichst du Baskisch?" Der kichernde Bass meines Vaters. Ich atme beruhigt aus. „Seit wann sprichst du es? Hey, Papa." „Austauschjahr vor etlichen Jahren. Schöne Gegend. Eben klangst du erwartungsfroher. Alles okay?" „Ja, eigentlich schon. Was habe ich vergessen?", frage ich in der Annahme, dass ich schon wieder irgendwas verplant habe und höre, wie mein Vater sofort zu lachen beginnt. Normalerweise ruft mein Vater nur an, um mich an etwas zu erinnern. Ein Treffen. Ein Termin oder Sonstiges. Für die anderen Dinge ist meine Mutter zu ständig. „Oh weia, lass das nicht deine Mutter hören." „Warum? Sie hätte jetzt nur zustimmend geschnurrt. Außerdem versuche ich gar nicht mehr abzustreiten, dass ich manchmal etwas arg verplant bin." „Okay, okay. Wie geht es dir?" Er spielt auf den Unfall beim Abwaschen an. Ich blicke einen Moment auf meine unsauber verbundene Hand. „Hand ist noch dran. Ich wechsele regelmäßig den Verband und die nette Apothekerin versicherte mir, dass sie mir nicht abfällt. Jedenfalls nicht ohne weiteres." „Gut zu hören. Warst du beim Arzt? Warte, spar dir die Antwort. Ich kenne sie bereits. Ich will dir auch nur Bescheid sagen, dass du dir den Freitag, also Mayas Geburtstag, für ein Familienessen freihalten musst." Kein langes Hin und Her, sondern gleich auf den Punkt. Ein Männergespräch. Ich grinse dämlich vor mich hin. Dass Maya demnächst Geburtstag hat, habe ich fast komplett verdrängt. So, wie jedes Jahr. Ich bin nicht gut im Merken von Geburtstagen. Meinen eigenen trage ich mir auch in den Kalender ein. „Ich glaube kaum, dass mich Maya dabeihaben will." „Mark. Das Zuhören ist eine Gabe. Du hast sie nicht. Was verstehst du an Familienessen nicht? Maya hat nicht mitzureden." Subtilität ist nicht meines Vaters Stärke. Ich nehme das Knie wieder runter und lasse meinen Kopf auf den Tisch sinken. Eine berechtigte Frage ist es dennoch. Ich habe also keine Wahl. Es ist eine Anordnung. Ich nicke es zustimmend ab. „Du rufst mich noch mal an, damit ich es nicht vergesse?", frage ich witzelnd. Ich schiele auf den Taschenkalender auf meinen Tisch. „Wenn du das möchtest." Im Hintergrund höre ich mit einem Mal Mayas Stimme und dann auch Raphaels. Er ist bei ihr. Mein Herz setzt für einen Wimpernschlag vollständig aus. Es bleibt einfach stehen. Ich höre sie gackern. Ein Ausschlag. Ihr Gelächter bohrt sich schmerzhaft in meinen Leib. In mir entflammt die Enttäuschung und mein Herz wummert heftig. Ich denke an den Moment zurück, bevor Raphael einfach abgerauscht ist. Seine Worte klangen ehrlich und aufrichtig. Er sagte, er wäre sich seiner Gefühle nun bewusster. Er meinte, er würde mich mögen. In diesem Augenblick habe ich ihm wirklich geglaubt, dass das wird mir nun bewusst. Doch jetzt ist er wieder bei meiner Schwester. So widersprüchlich. Warum? Es trifft mich hart. „Volles Haus?", frage ich ungemein deprimiert und bin froh, dass es mein Vater nicht bemerkt. „Wir schauen Fotos von Raphaels USA-Aufenthalt. Die Frauen sind ganz aufgeregt. Vor allem deine Mutter. Sie löchert ihn unaufhörlich mit Fragen. Ich befürchte, dass wir unseren nächsten Urlaub in den Staaten verbringen müssen." Mein Vater klingt etwas genervt. So detailliert wollte ich es gar nicht wissen. „Ist das so. Bestell Grüße", sage ich leise und mein Vater gibt die Grüße gleich weiter. Ich höre, wie er sie ins Wohnzimmer ruft. Meine Mutter antwortet sofort. Maya nörgelt. Raphael schweigt. Welchen Gesichtsausdruck er wohl gerade hat? Ja, ich habe dich erwischt. „Grüße zurück. Es war sehr spontan sonst hätte wir dich auch gefragt." „Sicher." Spontan. „Pass auf dich auf." „Ich versuche es. Bis dann." Ich lege auf und lasse meinen Kopf auf der Tischplatte liegen. Raphael ist bei ihr. Er belügt mich. In meinem Magen breitet sich ein unschönes Gefühl aus. Egal, was er sagt für mich wird er sich nicht von ihr trennen, sonst hätte er es schon längst getan. Ich bin und bleibe wohl nur ein Spielzeug für ihn. Eine Woge der Enttäuschung und der Frustration erfasst mich. Sie lähmen mich. Eine Weile bleibe ich unbeweglich sitzen und bekomme kalte Füße. Ps vom Autor: An meine lieben Leser und Kommieschreiben ein ganze herzliches und dickes Danke! Ich freue mich, dass ihr meine Geschichte noch immer verfolgt und hoffe, dass sie euch auch weiterhin gefällt. Ich gebe mir alle Mühe!! :D Ich danke vor allem euch, ihr aufmunternden Kommietipper! Ihr seid einsame Spitze! Gruß, del Kapitel 9: Ein Mann für gewisse Stunden --------------------------------------- Kapitel 9 Ein Mann für gewisse Stunden Ich blicke mich in der ruhigen Wohnung um. Nur hin und wieder wird der dunkele Raum durch die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos erhellt. Das ist einer dieser Momente, in denen mich das Alleinleben auffrisst. Ich ziehe das Handy wieder zu mir heran und scrolle mein Telefonbuch durch. Als Erstes lande ich bei Shari, doch da ich mir sicher bin, dass sie lernt oder vielleicht sogar schon schläft, lasse ich es sein. Ich blättere etwas nach oben und für einen Moment erliege ich fast der Versuchung Jake anzurufen. Doch wie erkläre ich diesem meine Stimmung, ohne das Offensichtliche zu verraten. Ich hole einmal mit dem Daumen Schwung und lasse dem Display freilaufen. Danny DiMarcos Name erscheint genau mittig. Ich sehe sein vergnügtes Grinsen und erinnere mich prompt an die gelassene Stimmung, die mit ihm herrscht. Er ist mein Kerl für unbedarfte Stunden. Er ist heute meine Rettung. Kurzerhand tippe ich auf den grünen Hörer und es beginnt zu klingeln. „Anstalt für chronischen Muskelkater und positive Muskelversteifung, was kann ich für sie tun?", flötet mir Danny mit heiterer Stimme entgegen. „Ich hätte gern einen ihrer Patienten gesprochen. Er gehört, aber eher in die Kategorie chronische Muskelspasmen", gehe ich auf den Scherz ein und lehne mich zurück. „Tut mir leid, so einen Patienten haben wir nicht. Aber hätte der Herr daran Interesse unserer Selbsthilfegruppe beizutreten?" „Oh, Testosteron, Selbstverliebtheit und Muskeln. Der Traum eines jeden Nerds", kommentiere ich diese Einladung. Danny beginnt zu lachen. „Wenn du das sagst. Wie geht es meinem Lieblings-Dima?", fragt er mich und ich denke über die Verwendung meines Nachnamens nach. Das macht Danny seit unserer Schulzeit und es hat mich auch immer etwas gestört, aber mittlerweile weniger als damals. „Muss. Muss. Bei dir alles senkrecht?", erwidere und ernte ein kehliges und vergnügtes Lachen. „So senkrecht, wie es nur geht, Mark." Ein weiteres, aber diesmal dreckiges Lachen. „Zu viel Information, vielen Dank! Wie läuft das Studium?", frage ich. „Eigentlich ganz gut. Es ist anstrengend und ehrlich, ich dachte, Raphael war hart, aber gegen unsere Trainer hier ist er ein zahmes Kätzchen." Danny macht ein schnurrendes Geräusch und in meinem Kopf bildet sich ein Bild von Raphael mit Katzenohren. Er auf allen Vieren mit nichts an außer den besagten Öhrchen und flauschigen Tatzen. Ich unterdrücke ein prustendes Lachen und nehme mir vor, davon irgendwann einmal ein Bild zu malen. Ich verdränge die Gedanken, als sie mir augenblicklich auf den Magen schlagen. Ich will nicht mehr an Raphael denken. Ich will Ablenkung und Danny kann sie mir garantiert bieten. „Am Schlimmsten ist die Lernerei", ergänzt er seine Ausführungen. „Tja, lieber Danny, irgendwann musste der Zeitpunkt kommen, an dem zu deinen Beinchen auch noch Köpfchen dazu kommt." „Aber wieso, ich habe doch auch noch Ärmchen und Waschbrettbäuchchen", kontert er in völliger Überzeugung und ich kann mein Lachen nicht mehr zurückhalten. In vielerlei Hinsicht erfüllt er voll und ganz das Klischee eines Sportlers. „Du kannst dich in der nächsten Klausur ja mal ausziehen. Vielleicht hilft es", sage ich ungerührt und lasse es klingen, als wäre es ein ernstzunehmender Vorschlag. „Ich sehe schon, in dir bekomme ich keinen ernstzunehmenden Unterstützer! Das wird dich, was kosten, Mark", kommentiert Danny theatralisch und wenig ernsthaft. „Vielleicht heute Abend schon? Ich lad dich auf ein Bier ein", frage ich und überrasche mich damit selbst. Ich bin normalerweise nicht der Typ für so was, aber in mir schreit es nach leicht bekömmlicher, menschlicher Nähe und Danny ist genau der Richtige dafür. Abgesehen davon haben wir uns schon eine Weile nicht mehr gesehen. „Jo, gern. Ich will mich sowieso Mal vorm Lernen drücken. Mein Zimmernachbar ist schrecklich gewissenhaft und säuft nur an den Wochenenden." Ich stelle mir vor, wie Danny dabei den Kopf schüttelt und breitbeinig auf seinem Schreibtischstuhl fläzt. Wahrscheinlich nur in Unterwäsche. Oder nur in Socken. Ich schüttele den Gedanken fort. Wir verabreden uns für eine Bar in der Stadt, in der wir schon mehrere Male nach dem Abschluss waren und ich mache mich nach dem Richten von Haaren und Klamotten auf den Weg. Ich bin als Erster vor Ort. Von Danny keine Spur. Sein Weg ist weiter als meiner und er ist ebenfalls auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Das ist immer so eine Sache. Ich beginne vor einem Papierkorb meine Jackentaschen zu leeren. Kassenbons, Kaugummipapiere und eine aus vier Dingen bestehende Einkaufsliste. Brot. Duschbad. Tee und ein einzelnes K. Das K steht für Kondome. Was die Liste wohl über mich aussagt? Ein einfaches, aber durchtriebenes Leben. Der Zettel ist schon uralt. Ich lasse alles verschwinden und es ist natürlich genau die Liste, die an der riesigen Mülleimeröffnung vorbei fällt. Bevor ich sie aufheben kann, sehe ich große, muskulöse Hände und schaue dabei zu, wie Danny amüsiert grinsend den Zettel entfaltet. „So, so. Kohlenhydrate, Kosmetik und das eindeutig falsche Getränk zum Aufbrühen. Ich nehme mal an, dass das K für Karamellbonbons steht?" „Natürlich, genauso wie SM eigentlich schmusend meditieren meint", sage ich trocken und hebe meine Augenbraue. Ich nehme dem grinsenden Danny DiMarco den Zettel aus der Hand und stecke ihn statt in den Mülleimer, wieder in meine Tasche. „Hach, wie ich das vermisse", sagt der große Mann übertrieben quietschend und schlingt seine Arme mich. Erst jetzt merke ich, wie bullig Danny wirkt. Er drückt mich weniger fest als es aussieht und als er mich wieder loslässt, sehe ich ihn unverhohlen musternd an. Ich staune nicht schlecht, denn er scheint noch muskulöser und breiter geworden zu sein. Im Grunde sieht er nicht mehr wie ein Leichtathlet, sondern wie ein Boxer aus. Vielleicht hatte ihn unser kleiner Kampf auf den Geschmack gebracht. „Danny. Wow, womit füttern die dich in deiner Uni? Mit nuklearem Spinat?", frage ich verblüfft. Danny grinst. „Gedopte Pilze und testorongetränkte Tomaten", kommentiert er. „Chemieverseuchtes Gemüse. Du bist definitiv furchteinflößender geworden." Ich mustere ihn ein weiteres Mal von oben bis unten und habe das Gefühl, das mir immer wieder der Mund aufklappt. Danny nutzt die Gelegenheit und stellt sich extra posend zu mir. Er macht den Popeye und ich verkneife mir ein Lachen. Seine blonden Haare sind kürzer, aber seine blauen Augen so intensiv, wie immer. „Ja, jetzt haust du mir nicht mehr so leicht eine rein, Dima!" Als ob es vorher ein Leichtes für mich gewesen war. Er boxt mir sanft gegen die Schulter und legt mir dann seinen Arm um. Fast beschützend. „Ja, garantiert nicht. Lass uns reingehen. Ich brauche auf den Schreck ein Bier", sage ich. „Dito." Danny grinst und schiebt mich dann Richtung Eingang. Warme, stickige Luft dringt uns entgegen. Der Geruch von Zigaretten. Alkohol. Das Etablissement hat etwas Rustikales. Eine typische Spelunke. Wir setzen uns direkt an die Bar und bestellen gleich zwei Bier. „Wie geht es deiner besseren Hälfte?", fragt mich Danny, nachdem er einen großen Schluck von seinem Bier genommen hat. Ich puste, währenddessen im üppigen Schaum meines Glases rum. Kein Durchkommen. Ich mag den Geschmack und die Konsistenz des Schaumes nicht. „Hütet Haus und Kinder", sage ich lapidar und sehe, wie sich eine von Dannys buschigen Augenbrauen hebt. Er glaubt noch immer nicht so richtig, dass zwischen mir und Shari nichts läuft. Er weiß auch nichts von meiner Homosexualität. „Sie ist in ihrem Elternhaus und bringt ihre kleinen Brüder ins Bett oder schläft oder lernt", ergänze ich meinen Ausspruch und sehe Danny verstehend nicken. Wahrscheinlich spielen sich in seinem Kopf dennoch allerhand seltsame Szenen ab. Ich kann darüber nur mein Haupt schütteln. „Aber keine Sorge, ich habe ihre Erlaubnis." „Gut, dass sie dich noch immer im Griff zu haben scheint." „Ja, mehr oder weniger. Ich werde langsam aufmüpfig. Ich bin in diesem gewissen Alter, weißt du?" „Auch du musst ja irgendwann in die Pubertät kommen, Dima." „Dabei habe ich so gehofft, dass ich meinen jungenhaften Charme behalten kann." „Hoffentlich erklärt dir Shari bald, was es mit den Bienen und Blümchen auf sich hat." Der Austausch von sinnfreien Kommentaren. Ich genieße die Gedankenlosigkeit und die Blödelei. „Wehe, du erschütterst meinen Glauben an den Storch!", sage ich drohend und Danny fasst sich spielerisch schützend an die Nase, so wie er es nach unserer Prügelei öfter getan hat. „Ich dachte immer, solche wie du wachsen unter der Erde?" „Bist du der Überzeugung ich bin eigentlich ein Zwerg?" „Beweise mir das Gegenteil!", sagt Danny herausfordernd. Ich stehe auf und stelle mich auf die Zehenspitzen, bin damit einen Kopf größer als er auf dem Barhocker. „Es ist des Zwergen Eigenart, dass er die Frauen mag behaart!", zitiere ich Gimli, aus Herr der Ringe und bekomme erst später mit, wie viel das über meine eigenen Vorlieben aussagt, denn ich mag meine Partner tatsächlich gesichtsbehaart und männlich. Danny lacht herzhaft auf. „Behaart. Du bist ein Typ! Wie läuft die Kunst bei dir?", fragt er mich. Ich setze mich wieder auf den Barhocker neben ihm und nehme den ersten schaumgetränkten Schluck aus meinem Glas. Er ist bitter. Meine Halsstränge ziehen sich zusammen. Ich wische mir Schaum von der Lippe. „Du machst doch irgendwas mit Kunst, oder?" Ich nicke und bin mir sicher, dass ihm noch immer nicht ganz klar ist, was ich eigentlich studiere. Irgendwann während unserer Abschlussfeier hatten wir eine längere Diskussion über das Für und Wider der Produktgestaltung. Danny war felsenfest der Überzeugung, dass bereits vorhanden Designs und bewährte Produkte wie von Zauberhand und aus Zufall entstanden sind. Ich gab mich tatsächlich irgendwann geschlagen und ließ ihm seinen Glauben. Denn ich war zu dem Zeitpunkt schon zu betrunken, um sein ebenso lädiertes Gehirn erreichen zu können. „Läuft. Im Moment werde ich mit Informationen über Methoden überschüttet. Also kaum kreative Arbeit..." „Wie schade. Ich habe deine Arbeiten immer bewundert und der Comic, den du auf dem Klo der Umkleideräume verewigt hast, ist einsame Spitze" Danny lacht, doch ich laufe rot an. Er meint eine humoristische Karikatur unserer Lehrerschaft. Der Comic war eine meiner Trotzhandlungen, nachdem ich wegen vorlautem, aber ehrlichen Verhalten eine Rüge kassiert hatte. Ich regte mich in diesem Moment so auf, dass ich mich für eine Stunde ins Klo sperrte um nachzudenken. Irgendwann begann ich die Wand voll zu kritzeln und daraus wurde ein Comicausschnitt. Es zog ziemlich bald die Runde, doch Dank des seltsamen Schülerzusammenhalts unserer Schule drang davon nie etwas zu den Lehrern durch. Es blieb ein unterhaltsames und gut behütetes Geheimnis. Ich dachte, dass nie jemand herausbekommen hat, dass ich das Ding dort hingemalt habe. Ich habe mich eindeutig geirrt. Danny versteht meinen verwunderten Blick. „Ja, keine Sorge. Es wissen nur wenige." „Woher?" „Alter, wir waren Jahre im selben Kunstkurs und hingegen der weitläufigen Meinung, bin ich nur halb so sehr Neandertaler, wie alle denken." Er schlägt sachte auf den Tresen und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn lange für genauso einen Neandertaler gehalten habe. Der Stereotyp eines blonden, blauäugigen Sportlings, der nichts anderes konnte als Muskeln stählern und gutaussehen. Danny nimmt einen großen Schluck Bier. Ich tue es ihm gleich und bin noch immer etwas perplex. Er beobachtet mich und ich bin mir sicher, dass er weiß, welche Meinung ich früher von ihm hatte. Warum auch nicht, schließlich habe ich mit meiner Meinung nie hinterm Berg gehalten. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich die Zeichnung so lange hält", sage ich knapp und Danny nickt. Damit hat wahrscheinlich niemand gerechnet. „Am besten war die Karikatur vom Herr Müller." Der Sportlehrer. Ich rufe mir die sexuell angehauchte Szene mit zwei Stoßkugeln in den Kopf. Ich habe viel Fantasie und diese habe ich in dem Werk ausführlich umgesetzt. Ich sehe, wie Danny den Kellner ran winkt und dieser uns dann zwei Tequila hinstellt. Oh, oh. Bevor ich etwas dagegen sagen kann, redet er einfach weiter. „Ich habe mir absichtlich immer die Kabine ausgesucht, weil ich es so lustig fand." Er lacht zur Untermalung seiner Meinung. „Und einmal bin ich vor dem Training auf Raphael getroffen. Er stand bei geöffneter Tür in der Kabine. Eine echt seltsame Situation, sag ich dir." Und wieder dieser Name. Schlagartig wird mir der Grund für dieses Treffen bewusst und das, obwohl die Ablenkung, die ich mir durch Danny erhofft habe, wirklich eingetreten ist, schlägt meine Stimmung etwas um. Die Zeichnungen entstanden in Raphaels letzten Schuljahr und ich habe nie darüber nachgedacht, dass er sie auch gesehen haben könnte. „Wir haben uns unterhalten und er merkte an, dass er wisse, von wem der Comic ist. Ich dachte erst 'Shit, jetzt bekommen die Lehrer davon Wind' und sie wird entfernt. Doch er hat nur gelacht und dann haben wir uns über dein Talent unterhalten", fährt er fort und schmückt seine Erzählung lauter lustigen Stimmen. Trotzdem spüre ich, wie mein Puls langsam, aber sicher nach oben schnellt und er heiß in meinen Adern vibriert. Woher Raphael wohl erkannt hat, dass ich der Schmierfink war? In der Schule hängen etliche Bilder von mir aus, aber nur durch den Namen darunter ist zu erkennen, dass ich sie gemalt habe. „Er weiß von der Zeichnung? Das wusste ich nicht", murmele ich eigentlich mehr zu mir, als dass ich auf Dannys Redeschwall reagiere. Der Gedanke lässt mich erröten. Wie nah ist er mir immer gewesen? Obwohl ich ihn immer auf dem Radar hatte, sind mir so viele Dinge nicht aufgefallen. Die Fotos. Sein Interesse. Erneut denke ich an den Ausdruck in seinen Augen, als er vorhin gegangen ist. Der Schmerz darin brennt sich in mein Inneres. Meine Abweisungen verletzen ihn, aber ich will mich doch nur selbst schützen. Ist das verwerflich? Ich nehme mehrere große Schlucke aus meinem Glas und habe endlich den elendigen Schaum weg. Ein paar wenige Schaumreste tanzen über die klare, gelbliche Flüssigkeit, bilden verschiedene Formen und setzen sich am Rand ab. „Ja, natürlich!", erwidert Danny als wäre es selbstverständlich, dass Raphael es wusste und die Hand, die eben noch auf meinen Rücken klopfte, bleibt an meine Schulter liegen. „Du hast das echt nicht mitgekriegt?" „Mein Universum ist erstaunlich klein!", sage ich und lächle verlegen. „Scheint so. Lass uns anstoßen. Auf die tolle Schulzeit." Er greift nach dem Schnapsglas und wie leeren gemeinsam und nach den altbekannten Vorschriften den Tequila. Ich widerstehe dem Bedürfnis, den Agaven-Brand ohne Zitrone und Salz zu schlucken. Das Klirren der Gläser ist leise und ich sehe einen Moment dabei zu, wie Danny danach mit einem Zug die Hälfte des Bieres leert. Ich atme kurz durch und tue es ihm gleich. Unser erstes Bier ist schnell verschwunden. Neben ständigen Erinnerungen an Situationen aus unserer Vergangenheit kommen auch gegenwärtige Ereignisse zur Sprache. Danny berichtet von den sportlichen Frauen an seiner Fachhochschule. Alle samt gelenkig und ausdauernd. Ein Füllhorn an Frauengeschichten. Ich gebe meinen Senf dazu und bin immer wieder staunt, wie einfach es mir fällt, unauffällige Reaktionen hervor zu kitzeln. Eine Anspielung hier und ein sexueller Kommentar dort. Ein weiteres Männergespräch. Im Grunde bin ich das perfekte, verdrängende Klischee eines Schwulen, der sich noch nicht geoutet hat. Dannys Gelächter wird mit jedem Schluck Alkohol lauter. Meine Gedanken werden etwas betrübter. Bald sind wir beim vierten Bier und dritten Tequila. Dannys maskulines Rambogesicht wird welpenartig und sein Blick mit jedem weiteren Schluck weicher. Langsam merke ich, wie mir die Grundlage und der Verstand schwinden. „Gut, genug von mir. Was macht die Liebeskunst bei dir?" Danny greift nach seinem frischen Bier und setzt erst zum Trinken an, als ich Anstalten mache zu reden. "Sittsam, wie eh und je", kommentiere ich und merke, wie ich langsam zu lallen beginne. Ich verkneife mir ein leichtes Kichern, weil mir die Absurdität meiner Bemerkung erst nach und nach auffällt. Ich denke an meine Stell-dich-eins mit Jake und bin von sittsam weit entfernt. Was würde er sagen, wenn ich ihm davon erzähle? Die Szenerie in meinem Kopf ist vielfältig. „Spielst du immer noch den trockenen Sexoholiker?", fragt Danny kichernd. „Japp. Staubtrocken. Komplettes Brachland." Wir kichern nun beide. „Sorry, aber das kriege ich nicht auf die Reihe. Du hättest dich schon durch die halbe Schule vögeln können und ich glaube kaum, dass die Angebote in der Uni weniger werden." „Ehrlich? Wie kommst du denn auf so was?", frage ich wenig von der Aussage überzeugt. Auch Shari meinte mal zu mir, dass ich teilweise ziemlich blind durch die Gegend gelaufen bin, doch die halbe Schule scheint mir etwas überzogen, aber Übertreibungen liegen einfach in Dannys Natur. „Ja, man. Du bist witzig, charmant und ein ganz Hübscher. Ich weiß allein von drei." Er hebt seine Hand und nach einigem hin und her zeigen seine Finger wirklich drei. „Du hättest in Mathe besser aufpassen sollen, denn drei sind nicht die Hälfte von 350", kommentiere ich platt, indem ich die Anzahl der Schüler unserer ehemaligen Schule aufzeige. Sein Blick ist verwirrt. Wahrscheinlich ist Logik in seinem Zustand kein Bestandteil mehr. Ich nehme einen großen Schluck Bier und gestehe mir ein, dass es von Bier zu Bier besser schmeckt. Aber langsam habe ich genug. „Ha, ich habe es. Du und Shari. Da läuft doch so eine Freundschaft mit Sonderleistungen- Ding." Sein Gesicht strahlt so sehr, dass man glauben könnte, er hätte eine Methode für unerschöpfliche Energie entdeckt und würde damit die Welt revolutionieren. „Gestatten der Eunuch", kommentiere ich und beuge mich nach vorn, „Denn wenn das wahr wäre, hätte mich Sharis Vater längst kastriert." Ich schaffe es meine Stimme so ernst klingen zu lassen, dass Danny schluckt. Ich weiß nicht, ob er weiß, was ein Eunuch ist, doch es ist mir in diesem Moment auch herzlich egal. „Das würde, aber Einiges erklären!", sagt Danny trotz des entsetzten Blickes und ich boxe ihm gegen die Schulter. „Shari ist scharf", ergänzt er und ich merke, wie sich langsam, aber sicher erneut mein Beschützerinstinkt regt. Erneut legt er brüderlich seinen Arm um mich. „Red nur weiter, ich bin so ungehemmt, dass ich dir trotz deiner Statur eine reinhaue. Vorausgesetzt ich treffe." Ich hebe meine Faust um meiner Drohung Nachdruck zu verleihen und benutze logischer Weise meine Kaputte. Danny nimmt meine verbundene Hand runter und beginnt laut zu lachen. „Keine Sorge, auch ich bin lernfähig. Wenn es um Shari geht, wirst du zum bengalischen Tiger!" Noch immer liegt sein schwerer Arm auf meiner Schulter und macht keine Anstalten, dort zu verschwinden. Im Gegenteil. Er drückt mich sachte gegen seine Brust, fast liebevoll. So wie es auch mein Onkel Thomas tut. Ich fühle mich wohlig. Er fasst mir an die Schulter und dreht mich auf dem Barhocker zu sich. Meine Jeans quietscht über den glatten Stoff der Sitzfläche. Ich frage mich, wie er mich so leicht gedreht bekommt und sehe mich verwirrt um. Seltsam. Seine beiden Hände liegen auf meinem Körper und er fixiert mich leicht wankend. Ich erwidere seinen Blick, lasse ihn starren und ziehe dabei ein paar verwunderte Grimassen. Irgendwann lässt er mich los, greift nach seinem Glas und schüttelt den Kopf. „Nein, ich durchschaue dich nicht. Keine Chance." Er macht eine typische Ich-gebe-auf-Bewegungen und ich sehe ihm dabei zu. „Ich bin ein Phämo..Phanmom...men...ich bin anders", sage ich, als ich merke, dass sich das klare Wort in meinem Kopf einfach nicht wiedergeben lässt. Danny fährt sich durch die kurzen Haare und sieht mich einen Moment forschend an. „Anders, aber gut." Er zeigt mit dem Finger auf mich und ich drehe mich wieder zu Tresen. Das halbe Bier ist bereits verschwunden. Ich lasse mir das Wort durch den Kopf gehen. Ich habe nie anders sein wollen. „Raphael hatte das auch gesagt!", merkt er plötzlich an. Ich sehe, wie seine bulligen Finger über sein breites Kinn streichen. „Was?", frage ich begriffsstutzig. „Dass du anders bist. Damals auf dem Klo. Ich weiß noch, dass er dabei lächelte. Ich habe nie darüber nachgedacht, woher er dich eigentlich kannte, schließlich waren wir nicht in derselben Stufe und er war zu der Zeit auch noch nicht mit deiner Schwester zusammen. Aber jetzt. Schon komisch." Dannys zusammengefasste Impressionen erstaunen mich. Danny ist definitiv ein besserer Analytiker als Shari und ich. Ich starre ihn an. „Was ist das eigentlich mit dir und Raphael?" Sein Blick, der bisher nach vorn gerichtet war, wendet sich zu mir. Meine Stimmung kippt. „Ja, also...es ist kompliziert", wiegele ich Dannys Frage ab und nehme einen gigantischen Schluck des Bieres mit dem Ergebnis, dass mir auf beiden Seiten des Mundes Flüssigkeit vorbeiläuft. Nun bin ich auch noch ein Klischee. Ich spüre schon jetzt, dass mein Appetit auf Bier umgeschlagen ist. Der Alkohol verursacht mir Übelkeit. „Kompliziert. Das passt nicht zu dir, Dima." Dannys Hand an meine Schulter. Selbst, wenn ich es ihm erklären wollte, ich kann es nicht. Ich schaffe es nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Hunderte Bilder von Raphaels Gesicht prasseln auf mich ein. Der Moment vorhin. Was hatte er mir sagen wollen? Ich blicke auf meine demolierte Hand und spüre noch jetzt seinen festen Griff. Ich seufze schwermütig. „Na komm, was habt ihr da für ein Ding am Laufen?", stichelt Danny weiter und ich weiß, dass er nicht aufhören wird. Ich blicke in das Bierglas und nehme einen weiteren Schluck. Ich seufze ergeben. „Na gut...Tagsüber braver Student, bei Nacht bin ich der Rächer in Jumpsuit und Raphael mein grünbestrumpfter Gehilfe." Das Lachen meines Gegenübers ist herzhaft. Wahrscheinlich bildet sich in seinem Kopf dasselbe kuriose Bild, wie in meinem. Warum sollte der Gehilfe mal nicht größer und muskulöser sein, als der eigentliche Held? Ich sollte meine Comiczeichnertätigkeit wieder aufnehmen. Markmen und Raphboy. „Die perfekte Tarnung, Clark Kent, aber ich weiß, dass du gar nicht so harmlos bist, wie du tust." Danny mustert mich eingehend. Ich weise ihn nicht darauf hin, dass er im falschen Comic ist. Er lässt sich nicht ablenken. „Oh, okay. Ich bin eigentlich der heimliche Star der Leichtathletikwelt. Ich bin Usain Bolt", witzele ich übertrieben. Ein weiterer Versuch. Danny grinst. „Nein, im Ernst, Mark.", mahnt er mich lachend an. „Ich verwalte den Schlüssel zu Mayas Keuschheitsgürtel." Ein weiterer Scherz auf Raphaels Kosten. Dannys Lachen wird immer lauter. „Ach komm, Raphael ist doch ein Frauenversteher und Schwerenöter. Der zwinkert nur und der Keuschheitsgürtel fällt von allein von ihrer Hüfte." Autsch. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Das kann nicht gesund sein. Ich presse meine Kiefer aufeinander und trinke danach mein Glas leer. Unweigerlich frage ich mich, wie Raphael wohl gewöhnlich mit Frauen umgeht. Wahrscheinlich hat Danny Recht. Er kommt sicher gut bei Frauen an. Ich kenne nur die Zurückhaltung im Umgang mit Maya. Kaum körperliche Intimität, aber weiß ich, was er ihr abends beim Zubettgehen ins Ohr flüstert? Wie viele Freundinnen hatte Raphael vor Maya? Ich weiß rein gar nichts über ihn. „Gib es zu, du hast ihn dazu gedrängt das Stipendium anzunehmen, damit du diese Kindergartenbeziehung nicht länger ertragen musst. Oder woran lag es, dass er doch abgezischt ist?" Kindergartenbeziehung, wiederhole ich in Gedanken und seufze unmerklich. Ich habe ihn nicht überredet, aber dennoch war ich einer der Gründe seines Abgangs. Nur in einer ganz anderen Form als sich Danny vorstellt. „Vielleicht war er es einfach Leid grüne Strumpfhose zu tragen. Vielleicht hat er gemerkt, dass er mir sportlich nichts mehr vor machen kann." Meine Stimme ist wenig witzig, sondern einfach bedrückt. Ich greife ein letztes Mal das Glas und nur noch Schaumreste treffen auf meine Zunge. Dannys Blick ruht auf mir. Ich hole tief Luft, obwohl es mir schwerfällt. „Vielleicht lag es daran, dass ich den Schlüssel zu Mayas Keuschheitsgürtel verloren habe... oder daran, dass ich mehr für ihn empfinde, als gut für uns ist." Ich krame einen letzten Rest des amüsierten Tonfalls heraus und grinse zur Abrundung. Doch Danny lacht nicht. Ich auch nicht. Ich vermeide es zu ihm zu sehen, denn ich habe Angst vor seiner Reaktion. In Gedanken beginne ich ungefähr zu überschlagen, was ich Danny schulde, denn er hat bisher alles bezahlt. Ich ziehe mein Geldbeutel hervor, suche die Scheine raus und gebe noch was drauf. Während der Mann neben mir noch immer schweigt, lege ich mit einem ernüchterten Blick die Scheine hin. „Du machst keinen Scherz!", bemerkt Danny leise. Ich rutsche vom Barhocker und greife nach meiner Jacke, die auf einem Nachbarstuhl liegt. „Bist du dir sicher? Ich finde, das ist doch die Dramödie schlechthin", erwidere ich mit Pauls Wortlaut und schere mich nicht darum, ob Danny den Zusammenhang versteht. Mir wird immer deutlicher, wie aberwitzig die Geschichte doch ist. Ich, verliebt in den Freund meiner Schwester. Lachhaft. Verrückt. Schmerzhaft. Ich ziehe mir die Jacke über die Schultern. Der Alkohol arbeitet sich durch meinen Körper. Im Stehen merke ich ihn nur noch mehr. "Ist er wieder da?", fragt Danny ruhig. „Ja, dass ist er...Entschuldige Danny, aber ich muss los. Danke für den Abend." PS vom Autor: An alle meine lieben Leser und euch an euch grandiosen Kommieschreibern, ich wünsche euch eine besinnliches Weihnachtsfest und hoffe, dass ihr die Zeit genießt. Ich bin noch immer nicht in Weihnachtsstimmung XD mal sehen, ob das noch was wird. Die Weihnachtshektik hat mich jedenfalls schon. :) In dem Sinne eine frohes Fest ! Kapitel 10: Der bittere Geschmack süßer Dummheit ------------------------------------------------ Kapitel 10 Der bittere Geschmack süßer Dummheit Mit jedem Schritt, den ich mache, merke ich den Alkohol mehr. Er arbeitete sich durch meine Blutbahnen, bis er in meinen Kopf sickert, sodass ich das Gefühl habe, mein gesamtes Gehirn wäre in C2H6O eingelegt. Ich bleibe hinter dem Ausgang der Bar kurz stehen, spüre die kalte Herbstluft auf meiner Haut und frage mich, warum ich die chemische Formel von Alkohol kenne. Chemie war nie mein Fach. Meine Umgebung steht nicht still und das obwohl ich definitiv nicht mehr laufe. Ich starre auf ein Stoppschild ein paar Meter von mir entfernt. Ich versuche es zu fixieren, doch aus dem Rot und dem Weiß wird langsam, aber sicher rosa. Einatmen. Ausatmen. Aufstehen war keine gute Idee, aber ich wollte nicht bei Danny sitzen bleiben. Ich habe mich mit ihm ablenken wollen und dann reden wir über genau das Thema, was ich vermeiden wollte. Raphael. Überall ist Raphael. Danny bekam mehr mit als ich dachte. Und nun habe ich mich Danny gegenüber auch noch geoutet. Bisher sickert es nur langsam zu mir durch, aber dennoch merke ich schon jetzt den unangenehmen Kitzel der Aufregung. Stoppschilder sind normalerweise nicht rund, oder? Ich mache einen Schritt darauf zu. Die Form bleibt verzerrt. Für einen Augenblick schließe ich die Augen und schätze sofort ein, dass das auch keine schlaue Idee ist. Ich wanke und greife an die Stange des Schildes. Warum habe ich nur so viel getrunken? Ich hätte noch etwas essen sollen. Ich könnte jetzt etwas essen. Ich drehe mich einmal um die Stange und verfluche den Tequila von neuem. Das Schild ist immer noch rund. Das kann nicht sein. Verdammter Alkohol. Warum musste Danny unbedingt nach Raphael fragen? Unbewusst hat er mir damit ein Messer in den Rücken gerammt. Raphael. Sein Name hallt unaufhörlich durch meinen Kopf. Er ist schuld. Warum hat er mir damals auffallen müssen? Warum müssten mich ausgerechnet seine grünen Augen verzaubern? Diese vermaledeiten, verdammten, wunderschönen und so herrlichen grünen Augen. Für einen Augenblick schwelge ich dem sanften Schein seiner Iriden nach, bis mich das schlechte Gefühl zurück katapultiert. Raphael ist an allem schuld! Schuld an dem Chaos in meinem Kopf! Schuld daran, dass ich meine Schwester noch weniger leiden mag als vorher. Schuld daran, dass meine Eltern glauben, ich wäre eifersüchtig auf sie! Schuld daran, dass mich Danny vielleicht nicht mehr mag. Raphael ist eindeutig schuld daran, dass Shari mir mein Eis wegisst. Wenn schon, denn schon. Unwillkürlich fange ich leise an zu kichern und vollführe eine weitere Runde um die Stange des Stoppschildes. Warum muss ich dauernd an ihn denken? Egal, was ich mache. Er ist da. Ich lege beide Hände an meinen Kopf und gebe ein verzweifeltes Geräusch von mir. Mein Körper lehnt sich gegen das Schild. Raphael ist schuld daran, dass ich Jake nicht so genießen kann, wie ich es sollte. Ich löse mich laut murrend von dem Schild und laufe langsam die Straße hinunter. Eigentlich ist Maya schuld, piepst ein Stimmen in meinem Kopf, passend zu der nervigen Stimme, die meine Schwester hat. In meinem Bauch keimt Wut. Ihre überhebliche Art. Ihr perfektes Gesicht. Alles an ihrem Äußeren ist perfekt. Perfekt ist so langweilig und blöd. „Pah, wer steht schon auf so was? ...Raphael...", rufe ich frustriert in die Nacht hinein und knurre theatralisch. Was ist es, was ihn bei ihr hält? Ist es wirklich nur der Umstand ihres Geschlechts? Weil sie ein Mädchen ist und ich nicht? Wenn dem so ist, dann ist Raphael wirklich nur feige. Doch das alles ist das Symptom einer schon immer verquerlaufenden Realität. Maya bekam schon immer viel Aufmerksamkeit. Sie war ein verdammt süßes Baby. Kleine blonde Locken und die großen blauen Augen. In meinem Kopf hallen die Stimmen unserer Verwandten wider. Sie war ein süßes Kind und sie ist auch jetzt eine hübsche Frau. Ohne Frage, aber sie kann nichts und ist doof. Mein betrunkenes Hirn lässt mich spöttisch Kichern und bald darauf klinge ich, als hätte ich mich verschluckt. Schon damals war sie vor anderen lieblich und zu mir biestig. Maya wollte auch früher stets das, was ich wollte und das Schlimme war, dass sie es meistens auch bekam. Zu meinem Bedauern mit der Begründung, ich wäre der Ältere und sie das kleine Mädchen. Ich müsse zurückstecken. Ich würde es verstehen, sie nicht. Noch heute verwendet meine Mutter diese Worte und jedes Mal wieder beginne ich, innerlich zu brodeln. In diesem Sinn stellen wir ein absolutes Klischee da. „Ihr blödes, perfektes Gesicht...", brumme ich leise vor mich hin. Ein verächtliches Schnauben löst sich von meinen Lippen, als mir klar wird, dass es jetzt noch immer so ist. Raphael. Ich will ihn und Maya nimmt ihn sich. Nicht bewusst, aber es lässt sich ein eindeutiges Schema erkennen. Der Gedanke ernüchtert und verärgert mich zugleich. Im Grunde bin ich schrecklich eifersüchtig und das regt mich nur noch mehr auf. Auch jetzt ist er bei ihr. Bei meiner durch und durch weiblichen Schwester. Warum ist er zu ihr gefahren? Ich versteh es einfach nicht. Er meinte, er würde mich mögen. Sehr! Er küsst mich. Er mag mich. Sehr! Habe ich mit meinem abweisenden Verhalten dafür gesorgt, dass wir noch immer auf der Stelle treten? Was hat es mit den Briefen auf sich? Was steht darin? Dass er mich mag? Will er wirklich an meiner Seite sein, statt an ihrer? Nein, wenn es so wäre, dann hätte er sich nach seiner Rückkehr von Maya trennen müssen. Alles andere ist scheinheiliges Gelaber. Aber ich reagiere darauf und das macht es so schwer. Und die eigentliche Frage ist wohl, wo die Briefe abgeblieben sind. Vielleicht sind sie nie hier angekommen. Oder sie sind noch immer auf dem Weg hier her. Oder jemand anderes hat sie genommen. Doch warum sollte das jemand tun? Mir wird schwindelig. In meinem Kopf herrscht ein heilloses Durcheinander. Ich will wissen, was er mir sagen wollte. Ich will das Warum verstehen. Bilder meiner Erinnerungen vermischen sich mit fantasierten. Sie fühlen sich in diesem Moment besonders real an. Ich denke an seine Worte zurück, als er fragte, was sich geändert hat. Ich weiß es nicht. Mein Stolz, vielleicht? Ich will keine halben Sachen. Ich will ihn ganz. Nur für mich. Ein Bus hält neben mir. Dass ich an einer Bushaltestelle stehe, fällt mir erst jetzt auf. Ich krame meinen Studentenausweis hervor und steige ein. Ich sehe aus dem Fenster, während ich versuche, herauszubekommen, wohin der Bus eigentlich fährt. Die Dunkelheit erschwert meine Orientierung und mein benebeltes Hirn ebenso. Irgendwann erkenne ich die Uni. Nun weiß ich, in welchen Bus ich sitze und steige drei Stationen später aus. Vor fast einem Jahr stand ich schon einmal hier. Ich habe Raphael loslassen wollen. Doch im Grunde hatte sich mein Herz nur noch fester an ihn gekettet, wie mir nun immer deutlicher wird. In der Wohnung ist es dunkel. Er ist ja auch bei meiner Schwester. Obwohl dieser Fakt durch meinen Kopf geistert, gehe ich zu Tür. Sie drückt sich einfach auf und dann stehe ich vor seiner Wohnung. Ich weiß nicht warum. Vielleicht wegen diesem winzigen Funken Hoffnung, der sich stets erhalten hat und jetzt in mir zu glühen und zu lodern beginnt. Ich starre eine Weile auf den Namen, der an der Türklingel steht. Cohen. Raphael Cohen. Meine Hand zittert und ich zögere mehrere Male, bevor ich die Klingel drücke. Er ist sowieso nicht da. Ich spüre, wie sich Aufregung und Furcht durch meinen Körper ziehen. Sie haften sich an meine Synapsen und beschweren mein Gemüt. Wie erwartet, passiert nichts. Ich schlucke, als sich Enttäuschung hinzumengt. Warum ist er bei ihr? Warum? Weshalb entscheidet er sich nicht für mich? Bleibt er nur bei ihr, weil er sich mit ihr ein einfacheres und unproblematisches Leben erhofft. Weil sie eine Frau ist? Ich kann ihm genauso viel bieten. Viel mehr. Vielleicht muss ich ihm das beweisen? Mein alkoholisiertes Gehirn malt Bilder von ganz bestimmten Dingen. Normalen und Schönen. Ich würde ihn bedingungslos lieben und ihm jeden Wunsch erfüllen. In meinem Kopf zeichnen sich auch befriedigende Dinge, die ihm Maya garantiert nicht bietet. Mir wird warm, bei der Erinnerung an den Moment in der Dusche der Umkleidekabine. Auch das, was wir in seiner Wohnung getan haben, beflügelt mich. Ich klingele ein weiteres Mal. Unbewusst und ohne es zu merken. Ich kann so schöne Dinge mit ihm machen. Ich schlucke, als mich langsam aber sicher extreme Erregung überfällt. „Verdammt", murmele ich leise und schlage mit der flachen Hand gegen den Türrahmen. Der innere Funke flackert und erlischt. Ein lautes Klacken schallt durch den Flur. Als die Nachbartür plötzlich auf geht, schrecke ich unwillkürlich zurück und drehe mich um. Einem jungen Mann folgt eine junge Frau. Sie mustern mich, doch sie geben kein Wort von sich. Das Geräusch des sich schließenden Schlosses hallt durch den stillen Treppenaufgang als der Typ den Schlüssel dreht. Ich hebe meine Hand zum Gruß, grinse blöd und mache einen Schritt zurück, als sie auf dem Weg zur Treppe an mir vorbeikommen. Ich merke, wie ich mit dem Hacken am Absatz des Türrahmens hängen bleibe und verliere das Gleichgewicht. Meine Finger krallen sich haltsuchend in den Rahmen der Tür, doch ich falle weiter als ich dachte. Plötzlich stoße ich gegen etwas weiches, spüre einen Arm, der sich um meinen Bauch schlingt. Mein Herzschlag wird von einer Sekunde zur nächsten zu einem donnernden Trommelwirbel. Fast sofort ziehe ich mich wieder hoch und wende mich um. Ich sehe Raphael perplex an. Er ist hier! „Mark?" Die Verwunderung in seiner Stimme wird nur noch von seinem erstaunten Gesichtsausdruck übertroffen. Er ist wirklich hier. Ich habe deutlich seinen Körper gespürt. Um mich zu vergewissern, strecke ich meine Hand aus und merke, wie mein Zeigefinger gegen seine Brust tippt. Er verfolgt mein Handeln ruhig. Es muss von außen und auch für Raphael selten dämlich aussehen. Doch das interessiert mich gerade wenig. Die Erleichterung über seine Anwesenheit paart sich mit dem wahnsinnigen Gefühl der Eifersucht, welche sich mehr und mehr in mir ausbreitet. Er war bei ihr. Er ist noch immer mit ihr zusammen. Wut und Sehnsucht arbeiten sich durch meinen Leib. Sie lassen meinen Körper pulsieren. Stark und unnachgiebig. Ich will ihn so sehr. Ich kann ihm so viel mehr geben. Immer stärker erliege ich diesen Gefühlen, die ich so lange versucht habe zu unterdrücken. So irrational sie auch sind. Er ist hier. Mein Blick wandert über seine verwuschelten Haare, über das zerknitterte Shirt und bleibt bei den engen Unterhosen hängen. Er war wohl schon im Bett. Mein alkoholisiertes Hirn wird immer träger und fällt dann komplett aus. Ohne irgendetwas zu sagen, mache ich einen Schritt auf ihn zu und drücke ihm einen deutlichen Kuss auf, während ich meine Hand in das lockere Shirt kralle. Ich spüre, wie sich Raphaels Körper leicht versteift und wie sich seine Hände an meinen Schultern legen. Doch der Versuch, mich wegzudrücken, ist nur halbherzig. Kaum wahrnehmbar. Ich kann die Wärme, die seinen Körper umgibt, förmlich schmecken. Sie vermengt sich mit der unglaublichen Süße seiner Lippen. Der letzte Hauch seiner Gegenwehr verblasst und seine Hand wandert in meinen Nacken. Er zieht mich näher an sich heran. Ich nehme es als Erlaubnis den Kuss zu intensivieren, koste das zarte Fleisch seiner Oberlippe und genieße das sanfte Beben seiner unteren. Ich locke seine Zunge mit einem neckenden Stupsen und tausende Flügellinge flattern und tänzeln, während sie sich einen Weg durch meinen Körper bahnen. Jede seiner Berührungen zieht mich tiefer in seinen Bann und ich verliere mich in den wunderbaren Empfindungen, die in jeder winzigen Stelle meines Leibes pulsieren und explodieren. Raphael hält mich nicht zurück, als ich ihn in seine Wohnung dränge, dennoch löst er den Kuss. Nur wenige Millimeter trennen unsere Gesichter. Ich schaffe es nicht, meinen Blick von seinen lieblichen Lippen zu nehmen. Ein sanfter feuchter Glanz lädt mich ein, sie erneut zu probieren. Sie beben angestachelt durch den heftigen Atem, den mein einnehmender Kuss verursachte. Ich will nie wieder aufhören diese Lippen zu berühren. Die Tatsache, dass es ihn nicht kalt lässt, verstärkt meinen Wunsch nur noch mehr. „Mark, warte. Hast du getrunken?", fragt er mich leise und ich gebe ihm keine Antwort. Er hat den herben Alkohol, der auf meinen Lippen haftet, längst geschmeckt. Ich beuge mich für einen weiteren Kuss zu ihm, doch er weicht mir aus. Ich greife daraufhin sein T-Shirt fester und zwinge ihn weiter in die Wohnung. Raphael macht keine Anstalten es zu verhindern, obwohl es ein Leichtes für ihn wäre, mich aufzuhalten. „Mark...", setzt er an. Diesmal legen sich meine Lippen wieder auf seine. Ein Kuss voller Leidenschaft. So intensiv und unmissverständlich. Ich will ihn. Ich will ihn schon immer, daran hat sich nichts geändert. So sehr ich auch versuche den Gedanken an Raphael durch einen anderen zu ersetzen, es funktionierte nicht. Meine Lippen lechzen nach seinen. Meine Finger kribbeln so sehr, dass ich das Gefühl habe, das nur sein Körper es lindern kann. Kein anderer. Wieder suche ich nach seinen Lippen, finde und genieße sie und verhindere damit einen weiteren verwunderten Ausruf meines Namens. Meine Hände nutzen seine Zurückhaltung, finden ihren Weg an seine Hüfte und an seine Wange. Ich merke deutlich, wie sehr sein Körper auf meine Anwesenheit reagiert, spüre sein unbewusstes Entgegenbäumen und wie er sich sehnsüchtig in meine Berührung schmiegt. Raphaels Augen sind geschlossen. Sein Herz flattert. Genauso, wie meines. Sein heißer Atem streift meine Wange, als ich beginne, seinen Kiefer entlang zu küssen. Die leichten Bartstoppeln verursacht ein prickelndes Wonnegefühl auf meinen Lippen und der Geschmack seiner Haut ist aphrodisierender Nektar. Ich will jede Stelle seines Körpers kosten. Ich will ihn mehr und mehr spüren, merken wie die herrliche Süße auf meiner Zunge tanzt und zergeht, wie zartschmelzender Balsam. Ich küsse und lecke mich seinen Hals hinab, spüre deutlich die Sehnen und Muskeln, die sich durch hektische Atembewegungen anspannen. Er ist nicht bei ihr. Er ist nicht bei ihr geblieben. Das Wissen darum lässt pures Glück und Verlangen durch meine Adern fließen. Meine Finger gleiten unten sein Shirt, streicheln über die zarte Haut seines festen Bauches. Den Stoff schiebe ich weiter nach oben, als meine Fingerspitzen um seine Brustwarzen zu kreisen beginnen. Neckend blicke ich ihn an, sehe in die nur halbgeöffneten Augen des anderen Mannes. Ich beuge mich zu seiner Brust, bleibe mit dem Mund direkt über der Stelle seines Herzens stehen. Ich stelle mir vor, wie es unter den Muskeln schlägt. Heiß. Gierig. Nur für mich. Ich bette meine Lippen auf die stoffbedeckte Stelle. Drei Schläge warte ich ab. Genieße das vibrierende Gefühl, welches sie auf meinen Lippen hinterlassen und gehe dann vor ihm auf die Knie. Ich weiß, dass er zu mir runterblickt. Ich frage nicht und warte auch nicht ab. Mein Mund senkt sich auf die deutlichen Spuren seiner Erregung. Ich fühle die Härte auf meinen Lippen. Raphael stöhnt erschrocken auf und seine Finger gleiten zurückhaltend in mein Haar. Er will, dass ich aufsehe, will, dass ich die unausgesprochenen Fragen beantworte. Doch stattdessen knabbere ich mich seine verdeckte Härte entlang. Die Fingerkuppen meiner linken Hand versenken sich in den Bund seiner Shorts und langsam ziehe ich sie hinab. Feines Keuchen dringt an meine Ohren. Ich werde ihm beweisen, was ich zu bieten habe. Mein gehauchter Name, der über seinen Lippen perlt, ist in diesem Moment nur ein weiterer Ansporn, egal wie verneinend er klingen soll. Meine Finger ziehen den Stoff tiefer. Wie gebannt schaue ich dabei zu, wie sich Haut für Haut entblößt. Er spannt an seiner Eichel und bietet einen kurzen Widerstand. Meine Lippen sind nur Millimeter von der frohlockenden Süße entfernt. Ich lasse meine Zunge nach vorn schnellen in dem Moment, wo ich ihn vollkommen freilege. Die Hitze trifft meine Zungenspitze. Ich erzittere. Die Finger meiner bandagierten Hand streichen langsam über seinen angespannten Bauch. Für einen Moment hält er den Atem an. Der Stoff des zurückgefallenen Shirts behindert meine Sicht auf den trainierten Körper des Mannes, den ich so sehr begehre. Ich streiche es davon, während ich neckisch meine Zunge um seine Spitze kreise lassen. Mein Blick geht nach oben und trifft auf lustverhangenes Grün. Ich lasse meine Zunge erneut kreisen und er keucht ekstatisch auf. Seine Finger in meinem Haar gebärden sich als eine Mischung aus Vereitelung und wohligen Empfangen. Ich lasse mich nicht irritieren und lecke mit locker gehaltener Zungenspitze seine gesamte Länge entlang. Ich wiederhole es, lasse sie, als ich am oberen Ende angelangt bin über seine Eichel flattern. Locker, dann spitz. Ich treffe die empfindliche Mitte, lecke über das feste Bändchen. Es ist das zweite Mal, dass sich dieser grandiose Geschmack an meine Lippen haftet, meine Geschmacksknospen neckt und mich vor Verlangen zergehen lässt. Ich will mehr. Noch einmal lecke ich die gesamte Länge entlang. Deutlich spüre ich die pulsierenden Äderchen, die sich auf der glatten Haut abzeichnen. Das hauchzarte Zucken des Muskels. Das Beben. Ich lechze nach dem Gefühl ihn zur Gänze in meinem Mund zu spüren. Die Hitze. Die Härte. Der Geschmack. Meine eigene Erregung presst sich hart und unnachgiebig gegen den festen Stoff meiner Jeans. Mit einem schnellen Angriff öffne ich weniger den Knopf und den Reißverschluss. Keuchend gebe ich dann meinem Verlangen nach ihn vollkommen zu schmecken. Die linke Hand, die zuvor noch den Stoff seine Hose entfernt hat, legt sich um seinen Schaft Mit nur zwei Fingern, bilde ich einen festen Ring. Genüsslich lecke ich über die pulsierende Spitze, treffe genau die gespaltene Mitte und lasse meine Hand zärtlich über seine Härte wandern. Ein Zucken jagt durch seinen Körper und ich merk sofort, wie er sich der Hitze meines Mundes entgegen stößt. Ich betrachte das feuchte Glänzen, welches meine Zunge hinterlässt und sich eindrucksvoll mit Raphaels Lauten paart. Sein kehliges Keuchen wird zu einem wohligen Brummen, welches in den stillen Räumen tief in mich eindringt. Ich weiß, dass es in der Ekstase noch klarer wird. Noch intensiver. Noch erregender. Die Erinnerung daran, wie er beim letzten Mal geklungen hat, schickt heiße Schauer durch meinen Leib. Auch ich keuche auf und bin vollkommen berauscht. Der Alkohol in meinem Blut verschärft mein Verlangen und meine Zügellosigkeit. Also nehme ich mir das, was ich so sehr begehre. Meine Lippen schließen sich um den heißen Muskel. Ich zergehe bei dem Gefühl, welches sich in meinem Mund ausbreitet. Die ersten Bewegungen sind genießend, aber bei weitem nicht vorsichtig oder erprobend. Ich will einfach alles spüren und ich werde ihn nicht mehr schonen. Während ich ihn immer tiefer schlucke, sehe ich wieder auf. Meine Lippen sind fest um ihn geschlossen. Das Grün seiner Augen ist verhangen durch den glänzenden Nebel der Lust und er lässt mich nicht aus den Augen. Seine Brust hebt sich sichtbar. Seine Lippen sind leicht geöffnet. Ich kann sehen, wie sich seine Zunge stoßend nach vorn bewegt. Er simuliert unbewusst das, was er sich von mir wünscht. Ich gleite wieder zurück und lasse meine Lippen locker. Ich halte in meine Bewegung innen. Sein Keuchen erfüllt den Raum. Ein kurzes Blitzen in seinen Augen und dann lasse ich meine Zunge tanzen. Kreisend. Rhythmisch leckend. Meine ganz eigene Melodie. Sein Kopf neigt sich nach hinten. Der Griff in meinen Haaren wird fester. Ich nehme wieder an Bewegung auf. Als ich auch meine Hand dazu verwende, höre ich ihn schwer schlucken. Meine Finger bewegen sich pumpend im Takt. Die intensiven Berührungen gefallen ihm. Mir wird selbst immer wärmer und ich öffne meine Jacke. Ich schüttle sie nebenbei von meinen Schultern, ohne, dass es Raphael merkt. Meine geschickte Zunge ist eine gute Ablenkung. Meine Bewegungen werden schneller und Raphaels Atem immer schwerer. Für einen Moment höre ich ihn gar nicht mehr atmen, denn er hält die Luft an. Ich blicke nach oben, lasse währenddessen meine Zunge neckisch um seine Spitze kreisen. Wir sehen uns an. Neben der unbändigen Lust erkenne ich zusätzlich Scham. Es ist ihm tatsächlich peinlich. Es amüsiert mich. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und lege dann meine Lippen erneut um ihn. Fest. Ich nehme ihn bis zum Anschlag. Seine Finger versuchen mich zu stoppen, doch ich lasse es nicht zu. Raphael atmet hektisch aus. Ich spüre ein Zucken, das durch seinen Körper jagt, als ich beginne zu schlucken. Langsam und tief. Unbewusst drückt mich die Hand an meinem Kopf haltend in diese Position, aber ich tue es, weil ich es will. Nicht weil er es mir diktiert. Er ist gar nicht der Typ für solch eine Härte. Ich entferne mich langsam, lasse die Spannung in meinen Lippen, damit er sie auf der ganzen Länge spürt. Ein weiteres Mal nehme ich ihn tief auf. Wiederhole das reizende Schlucken. Raphaels Körper zuckt. Sein Stöhnen wird tiefer. Wohliger. Ich lasse wieder von ihm ab, um ihn dann mit weniger tiefen, aber schnellen Bewegungen zum Höhepunkt zu treiben. Seine Hand krallt sich in meine Schulter und er bäumt sich mir entgegen. Sein Stöhnen ist tief und lang. Der Geschmack, der sich in meinem Mund ausbreitet, ist herb, aber herrlich. Meine Geschmacksknospen erblühen. Ich kann nicht verhindern, dass mir ein wenig der Flüssigkeit über die Lippen fließt. Unbewusst wische ich sie mit der bandagierten Hand fort. Ich richte mich auf, spüre den heftigen Druck in meiner Lende und stöhne leise, als ich in sein befriedigtes Gesicht blicke. Ich beuge mich zu ihm heran und die Hand legte sich an meinen Oberarm, streichelt sich über die Schulter zu meinem Hals. Mein warmer Atem trifft seine Wange als ich ihn sanft dort küsse. Mein Herz rast. Ich sehe, wie sich Gänsehaut auf seinem Nacken bildet. Ich drücke mein Becken gegen Raphaels Oberschenkel, reibe meine eigene Erregung ein kleinen wenig dagegen und keuche auf. Noch immer sind seine Augen geschlossen und seine Hand liegt haltsuchend an der Wand, als würden ihm sonst die Beine versagen. Mein Kopf fühlt sich seltsam dumpf an und ich frage mich, ob er bei ihr auch diesen Gesichtsausdruck hat. Hat Maya ihn jemals so gesehen? Das Blut in meinen Adern rauscht und pulsiert, verteilt die reichlichen Reste des Alkohols immer weiter. Und auch die Wut. „Na, wer von uns beiden besorgt es dir besser?", frage ich bissig, bevor ich wirklich darüber nachgedacht habe. Ich lecke über sein Ohrläppchen ab und er drückt mich augenblicklich von sich. Obwohl ich weiß, dass er solche Sache mit Maya nicht macht, brodelt diese Vorstellung in mir und erzeugt Wut. Pure Eifersucht. Meine eigenen Gedanken entflammen sie. Der vorher betäubende Alkohol dient nun als Brandbeschleuniger. „Wie bitte?", entfährt es ihm entsetzt. „Kannst du dich wieder nicht entscheiden?", stichele ich weiter. „Willst du mich verarschen? Was soll das?" In seinen Augen spiegelt sich Entrüstung und Wut. Sein Körper bebt. Er greift nach seinen Shorts und zieht sie hoch. Ich sehe ihm dabei zu, bevor ich lallend zur Erklärung aushole. „Na, du kannst dich, wie immer nicht entscheiden. Du magst mich. Du magst sie. Du bist bei mir. Du bist bei ihr. Also bitte, fick uns beide!" Meine Stimme ist ein spöttisches Raunen, träge und schwer vom vielen Alkohol. Raphael schluckt. Seine Hände ballen sich zu Fäusten. Er drückt mich an die gegenüberliegende Wand. Die Bewegung ist so schnell, dass ich nicht reagieren kann. Sein Griff ist fest und unnachgiebig. Er greift mir ans Kinn und dreht mein Gesicht hart zur Seite. „Musst du gerade reden! Du hast anscheinend ebenso genügend andere. Du bist kein Heiliger, Mark!", sagt er fast bitter, aber definitiv sauer. Er blickt direkt auf meinen Hals, tippt dann gegen eine Stelle, die deutlich zwiebelt als er sie berührt. In diesem Moment wird mir klar, was er vorhin gesehen hat. Die Bissspüren, die mir Jake beim letzten Wiedersehen verpasst hat. „Wenigstens fahre ich nicht offen zweigleisig", sage ich leise und mit erschreckend wenig Substanz. Ich führe weder mit Raphael, noch mit Jake eine Beziehung. Im Gegensatz zu Maya und Raphael schwebe ich in der Luft, wie ein heliumgefüllter Ballon. Kein schönes Gefühl. In meinem Kopf beginnt sich langsam wieder Alles zu drehen. „Vielen Dank auch. Du weißt gar nicht, was du sagst. Ich war heute auf Bitten deiner Mutter dort und nicht wegen Maya... ah verdammt." Raphael senkt seinen Blick. Für einen Moment sehe ich noch Scham und Selbsthass aufblitzen. Er wirkt gequält und gefangen. „Verschwinde und schlaf deinen verdammten Rausch aus." Damit lässt er mich los. Für einen Moment habe ich das Gefühl, wieder nüchtern zu sein. Was quält ihn derartig? Ist es so furchtbar für ihn, mich zu mögen? Raphael richtet beim Laufen seine Kleidung und dann fällt die Tür zu seinem Schlafzimmer ins Schloss. Der Geschmack auf meinen Lippen wird mit einem Mal bitter. Ich schließe meine Augen und applaudiere mir innerlich für diese grandiose Leistung. Erst Zuckerbrot, dann Peitsche. Kann ich ihn noch mehr verwirren? Noch mehr von mir stoßen? Mein Schädel dröhnt. Ich stoße mich von der Wand ab und will gehen. An der offenen Tür zum Wohnzimmer bleibe ich stehen. Mein Blick fällt in den Raum. Trotz Dunkelheit kann ich schemenhaft den Schreibtisch erkennen, der direkt neben der Tür steht. Das Bücherregal neben dem Fenster. Ich betrete den Raum und schalte das Licht an. Es sieht noch genauso aus, wie beim letzten Mal. Die Couch. Der Fernseher. Alles ist an seinem Platz. Es sind die Bilder am Schreibtisch, die mich innehalten lassen. Es sind andere als beim letzten Mal. Seine Eltern. Ein Familienbild. Anscheinend ist er ihr einziges Kind. Sie lächeln. Mein Herz wird schwer. Ich habe nie darüber nachgedacht, was mein Handeln für Raphael bedeutet. Für ihn und seine Familie. Ich bin selbst nicht ehrlich, wie sollte er es dann sein? Die Traurigkeit und der Selbsthass erfassen mich schlagartig. Ich war eben ein richtiges Ekel. Widerlich. Ihn so etwas zu fragen. Mein Kopf beginnt zu schmerzen. Ich atme tief ein und schaue zu den anderen Fotos. Bilder seiner Freunde. Ich erkenne ein paar Leute aus der Uni wieder. Es sind mehr, als beim letzten Mal. Und kein einziges von Maya. Stattdessen hängt die Zeichnung, die ich beim letzten Mal von ihm gemalt habe an der Wand. Den darauf abgebildeten, ernsten Gesichtsausdruck hatte er auch eben. Noch immer kann ich die davor gezeichneten fröhlichen Gesichtszüge erkennen. Ich lasse mich auf den Schreibtischstuhl nieder und nehme die Skizze ab. Meine Finger fahren die unvollendeten Striche nach. Die weichen Konturen seines Gesichts. Die Zeichnung wird ihm noch lange nicht gerecht. Das Leben, welches seine Augen so auszeichnet, fehlt. Die Intensität, die sie haben, egal welches Gefühl sie ausdrücken. Das sanfte Scheinen, wenn er lächelt. Das wilde Funkeln der Wut und der Freude. Der verhangene Schleier seiner Lust. Und manchmal auch der matte Schimmer der Enttäuschung. Diesen habe ich in der letzten Zeit viel zu oft bei ihm gesehen. Gedankenverloren greife ich nach einem Bleistift und beginne zu zeichnen. Ich präzisere den kantigen Übergang seines Kiefers zu den kleinen Ohren, verfeinere den sanften Bogen des unteren Kiefernbereiches bis er in seinem maskulinen Kinn endet. Ein leicht angedeutetes Grübchen. Vor allem dann, wenn er lacht. Die Schattierung der Wangenknochen verdeutlicht die markante Form seines Gesichtes. Der Wimpernkranz um seine Augen, der die Tiefe seiner Blicke verstärkt. Der kleine braune Fleck in seiner rechten Iris, der nur auffällt, wenn man ihn seitlich anblickt. Meine Finger beginnen zu kribbeln als ich den feinen Glanzpunkt setze, der ein jedes Portrait Leben einhaucht. Meine Hand zittert. Wir verletzen uns andauernd gegenseitig. Der Alkohol in meinem Blut hat noch immer einen hohen Pegel, der mich im Moment einfach nur ermattet und emotional aufwühlt. Ich bette meine Stirn auf die kühle Tischplatte. Ich bin erschöpft, müde und fertig. Mein Schädel pocht. Warum können wir nicht einfach glücklich sein? Stehen wir uns selbst im Weg? Mit diesen Gedanken dämmere ich weg. Ps vom Autor: Euch allen ein gesundes und frohes neues Jahr! Ihr seid toll!   Kapitel 11: Von Mal zu Ma(h)l ----------------------------- Kapitel 11 Von Mal zu Ma(h)l Das Dröhnen in meinem Kopf breitet sich vom vorderen Teil meines Gehirns langsam, aber sich nach hinten aus. In meinem Traum stehen vier Bauarbeiter mit Asphalthammer um mich herum. Ich drücke mein Gesicht fester in das Kissen und seufze schwer. Das Kissen riecht anders. Kissen? Mit einem Mal sitze ich senkrecht. Die schnelle Bewegung war keine gute Idee. Der stechende Schmerz, der sich in meinem Kopf ausbreitet, scheint mein Gehirn in zwei Teile zu spalten. Ich ächze laut. Tequila. Der böse Tequila. Warum kann ich auch nie Nein sagen? Shots waren noch nie meine Stärke. Das musste ich bereits bei den letzten Treffen vermehrt feststellen. Daraus gelernt habe ich offenbar nichts. Ich blinzele einäugig umher und erforsche meine Umgebung. Im ersten Moment verwundert, dann begreifend. Ich liege auf der Couch in Raphaels Wohnzimmer. Wieso bin ich in Raphaels Wohnung? Ein paar Bilder des gestrigen Abends blitzen auf. Momente aus der Bar mit Danny. Sein Lachen. Sein schockiertes Gesicht gefolgt von Raphaels verwundertem, als er mir die Tür öffnete. Mit einem Mal schmecke ich die Süße seiner Lippen in meinem Mund und das Aroma seines Körpers benebelt mich. Die Erkenntnis trifft mich, wie ein tosendes Gewitter. Hart. Unbarmherzig und in keiner Weise schonend. Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an jedes noch so kleine Detail und am deutlichsten sind die Worte, die ich ihm an den Kopf geworfen habe. Grandiose Leistung. Mein Blick wandert zum Schreibtisch. Ich weiß, dass ich dort gesessen und gezeichnet habe. Dabei muss ich eingeschlafen sein. Müde streiche ich mir durch die Haare und lasse mich wieder ins Kissen fallen. Wie bin ich auf die Couch gekommen? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder bin ich mitten in der Nacht zur Couch geschwebt oder geschlafwandelt. Nein, eigentlich gibt es drei. Die beiden genannten und Raphael. Ich schaue auf das Kissen und die Bettdecke, die mich bedecken. Er muss mich gefunden und auf die Couch verfrachtet haben. Wie peinlich. Ich habe nichts davon mitbekommen, denn mit Alkohol im Blut schlafe ich so tief, wie ein Stein. Warum hat er mich nicht einfach rausgeschmissen? Das widerwärtige Gefühl vom gestrigen Abend überfällt mich erneut. Was er wohl jetzt von mir denkt? Ich rappele mich auf und sehe zum Couchtisch, auf dem eine Flasche Wasser steht. Ich bade noch etwas im Selbsthass und stehe auf. Ich richte meine Klamotten und rieche abgestandenen Rauch und Alkohol. Der Gestank völligen Versagens. Selbst die Decke riecht danach. Ich ziehe den Bezug vorsorglich ab und räume alles zusammen. Als ich fertig bin, bleibe ich vor der Couch stehe und merke, wie sich mein Herzschlag noch immer nicht normal anfühlt. Es vibriert schier in meiner Brust und es wird schlimmer, als ich zur Tür sehe. Ich öffne sie und lausche. Keine Bewegung. Kein Geräusch. Nichts. Beim letzten Mal, als ich in seiner Wohnung genächtigt habe, war er auch am nächsten Morgen verschwunden. Diesmal kann ich es sogar verstehen. Ich verspüre das dringende Bedürfnis, mich bei ihm zu entschuldigen, also setze ich mich wieder an den Schreibtisch. Das Bild, welches ich gestern weiter gemalt habe, hängt wieder an seinem Platz. Trotz meines betrunkenen Zustands ist es recht gut gelungen. Je länger ich es ansehe, umso weniger weiß ich, wie ich den Ausdruck seines Gesichts interpretieren soll, den ich ihm selbst gezeichnet habe. Wie das Ganze wohl für ihn gewirkt hat? Ich, betrunken, dämlich und an seinem Schreibtisch eingeschlafen. Für einen Moment lasse ich meinen Kopf auf das Holz sinken. Viermal lasse ich ihn draufschlagen. Als ich mich wieder aufrichte, sind meine Kopfschmerzen stärker und mein Gemüt keineswegs erleichtert. Ich bin so ein Idiot. In vielerlei Hinsicht. Ich lehne mich seufzend zurück. Mein Finger tippt gegen den Einband eines der dicken Bücher, die auf seinem Schreibtisch verteilt liegen. Einige sind aufgeschlagen, andere mit hunderten Klebchen markiert. Sie sind aus der Bibliothek, dass erkenne ich an der Standortmarkierung. Ich greife mir eines, schlage es auf und finde darin einen geschriebenen Text. Ein Aufsatz über Geschlechter und Koedukation im Sport. Es ist ein Ausdruck. Der Inhalt ist gut und verständlich, selbst für einen Laien, wie mich. Manche Sätze sind holprig. Grammatik und Rechtschreibung sind nicht Raphaels Stärke. Vielleicht sollte ich ihm Shari zur Verfügung stellen. Sie macht Tabula rasa mit jedem noch so kleinen Fehler. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, welches schnell wieder erstirbt. Ich weiß so wenig von ihm. Mein Blick fällt erneut auf das Familienportrait. Seine Familie ist jüdisch. Ich weiß nicht, ob Raphael gläubig erzogen wurde. Ich bin nur ein nichtsnutziger, an nichts glaubender Atheist. Für mich ist das ein Dilemma weniger. Aber für Raphael? Selbst meine Eltern wissen mehr über ihn, als ich. Mit ziemlicher Sicherheit weiß meine Mutter, dass Raphael jüdisch ist. Wieso weiß ich es nicht? Ich bin ein ziemlicher Heuchler. So gesehen haben wir nie viel miteinander geredet und im Prinzip tun wir es noch immer nicht. Wenn wir reden, dann oft aneinander vorbei oder weichen einander aus. Ich schiebe den Text wieder zurück in das Buch und schließe es. Als ich den Flur betrete, ist es noch immer nichts zu hören. Im Badzimmer versuche ich mit den wenigen Mitteln, die mir zu Verfügung stehen Leben in meinen Körper zu bekommen und nicht mehr wie ein betrunkener Penner auszusehen. Das Ergebnis ist eher mittelmäßig. Mein Blick fällt auf die Bissspuren an meinem Hals und mein Magen wird flau. Ich streiche mir mit den Fingern darüber und sehe mich verstohlen nach etwas um, womit ich es kaschieren kann. Geräusche im Flur bringen mich davon ab mich durch seine Schränke zu wühle. Ich höre das Rauschen von Wasser und metallisches Klappern. Raphael ist in der Küche. Ich stecke neugierig meinen Kopf durch die Tür und spüre, wie meine Hände zu zittern beginnen. Er ist doch hier. Für einen Moment durchzuckt mich der Gedanke nach Flucht, einfach abhauen, doch dann gehe ich zur Küche und bleibe im Türrahmen stehen. Raphael bemerkt mich nicht. Er steht an der Spüle. Die Ärmel seines Pullovers sind an beiden Seiten hochgekrempelt und bieten so einen tollen Blick auf seine muskulösen Unterarme. Sie glänzen feucht und ich erkennen deutlich die nassen, durcheinander gewirbelten Härchen, die geradezu dazu einladen drin rum zu malen und sie zu streicheln. Herrje. Konzentriert streicht er mit kreisenden Bewegungen über Teller und Schüsseln. Seine Haare sind ungestylt und ungekämmt. Der wuschelige Look steht ihm außerordentlich gut. Ich lächele und blicke dann beschämt zu Boden. Alles in mir kribbelt. Für einen Moment ist mein Körper so empfindsam, so angeregt, dass ich selbst den Stoff meiner Kleidung spüre ohne mich wirklich zu bewegen. Ich schließe meine Augen und fühle mich nur noch dämlicher. Es war nicht richtig Raphael derartig anzugehen, aber die ganze Situation macht mich so unfassbar wütend. Die plötzliche Ruhe lässt mich aufschauen. Raphael lehnt schweigend an der Spüle und sieht mich an. „Guten Morgen", sage ich kleinlaut und trete nun endgültig zu ihm in die Küche. Er dreht sich zurück und taucht seine Hände erneut in das warme Wasser. „Morgen! Möchtest du etwas essen?", fragt er seltsam tonlos. Er ist sauer. Eindeutig. „Eigentlich wäre mir eine Dröhnung in Form von Tabletten lieber", witzele ich und spüre, wie zur Strafe das Hämmerchen in meinem Kopf noch mal ausholt. Bei Raphael kommt der Witz auch nicht an. Vielleicht sollte ich einfach den Mund halten. „Auf dem Tisch", bemerkt er, ohne sich umzudrehen. Er deutet mit dem Ellenbogen auf die Packung Tabletten. Es ist alles vorbereitet. Ich greife nach der Packung und drücke mir eine Pille heraus. Bevor ich irgendwas sagen muss, reicht er mir ein frisch abgewaschenes Glas samt klarer Flüssigkeit. „Danke!", murmele ich verlegen. Ich lehne mich gegen den Kühlschrank und sehe ihm still beim Abwaschen zu. Warum wirft er mich nicht einfach raus? Der Gedanke daran, dass Raphael auf mich wütend sein könnte, dass er höchstwahrscheinlich enttäuscht ist, belastet mich. Das Glas in meiner Hand ist feucht und ich starre auf ein paar kleine Tropfen, die an meinen Fingerkuppen hängen. Das Geräusch von Metall auf Metall lässt mich aufblicken. Raphael hat eine Pfanne auf den Herd gestellt und kommt auf mich zu. Vor mir bleibt er stehen. Ganz dicht. Ganz nah. Seine schönen Augen erfassen mich. Ich kann nicht erlesen, was er in diesem Moment denkt oder fühlt. Seine Hand greift an mir vorbei, streift dabei meine Hüfte und legt sich an den Griff des Kühlschranks. Allein diese kurze Berührung lässt meinen Puls nach oben schnellen. Die Stelle wird ganz warm und prickelig. Er hätte genug Platz gehabt, um mich nicht zu berühren. Ich kann deutlich seinen Geruch wahrnehmen. Die maskuline Süße. Wahrscheinlich ist diese Mischung nur für mich derartig berauschend, dass sich langsam aber sicher mein Gehirn lahmlegt. Jedes Mal aufs Neue. Der Duft wird noch intensiver, als er sich dichter zu mir beugt. „Entweder du gehst weg oder du gibst mir die Lebensmittel raus, die ich brauche", raunt er dunkel. Fast neckend. Es schafft genau das, was es auch bezwecken soll. Mein ganzer Leib erblüht vor Aufregung und Verlangen. Ich räuspere mich. Raphael will mich reizen und er ist definitiv sauer. Wir sehen uns an. Die Tiefe seines Blicks lässt mich erbeben und ich muss mir eingestehen, dass ich ihm nicht standhalte. Ich weiche aus, lege meine Hand gegen seine Schulter und drücke ihn zur Seite. Mit rasenden Herzen öffne ich den Kühlschrank und blicke in das gesunde Grauen eines Sportlers. Gemüse. Kram mit Eiweiß. Milch und mageres Fleisch. Raphael bleibt hinter mir stehen. Ich beuge mich nach vorn um einen besseren Überblick zu bekommen und stütze mich an der Tür und an der Außenwand ab. Jetzt weiß ich, wie er diesen Körper hinbekommt. Nichts Leckere. Nichts Sündiges. Der Mann ist der reine Nahrungslasterverzicht. Raphael weiß bestimmt, was der Unterschied zwischen einer Aubergine und einer Zucchini ist. Ich spüre seinen Arm an meinem Unterbauch und meinem Becken und wie sich sein schwerer, größerer Körper auf meinen lehnt. Meine Hand krallt sich fester in die Tür des Kühlschranks. „Eier. Tomaten. Käse. Danke.", flüstert er mir zu. Sein warmer Atem streicht über meinen Hals und hinterlässt ein Feuerwerk. Ich erzittere deutlich und halte unbewusst den Atem an. Raphael greift nach dem Milchkarton in der Tür und richtet sich wieder auf. Wenn mein Puls eben schon schnell war, dann gerät er jetzt außer Kontrolle. Ich unterdrücke ein leises Keuchen und schlucke meine aufkeimende Willenlosigkeit runter. Mit zusammengebissenen Zähnen stelle ich die gewünschten Lebensmittel auf den Tisch und bleibe von ihm abgewandt stehen. Einatmen. Ausatmen. Das ist garantiert die Retourkutsche für meinen gestrigen Überfall. Es macht mich ein wenig sauer und kribbelig. Mit geschlossenen Augen lausche ich dem Rauschen des Wasserhahns, vernehme ein leise Rascheln und dann typische Schnittgeräusche. Noch einmal atme ich tief durch und drehe mich wieder um. Raphael steht an der Arbeitsplatte und schneidet die Tomaten im gleichen Stil, wie es auch Shari macht. Leicht. Flüssig. Schnell. Seine geschmeidigen Bewegungen faszinieren mich. Es folgen der Käse und dann noch ein paar Kräuter, die in frischen Töpfen am Fenster stehen. Ich sehe, wie er den Herd einschaltet und sich eine Tasse aus dem Schrank nimmt. Ich lasse mich auf einen der Stühle fallen. Ich schaue ihm schweigend dabei zu, wie er in Präzision und Perfektion zwei Omeletts zaubert. Nebenbei kocht er stillschweigend Kaffee und Tee. Auch ich halte mich zurück und halte die Klappe. Der Mann macht mich fertig. Seine Ruhe irritiert mich. Als er sich endlich zu mir setzt, starre ich noch immer auf den dampfenden Teller vor mir. Ich bin selten sprachlos. „Was, isst du nur noch das, was dir Shari kocht?", fragt er tatsächlich spöttisch. Ich gebe meine Augenbraue und versuche ihm nicht allzu sehr zu zeigen, wie beeindruckt ich bin. „Das nicht, aber... Shari hätte mich gezwungen zu helfen." „Ich habe einmal gesehen, wie du Rühreier machst. Ich wollte nicht renovieren müssen." „Sehr witzig. Wieso kannst du kochen?" Ich trenne mit der Gabel etwas ab und probiere. Es ist auch noch köstlich. Perfekt abgeschmeckt und saftig. Abgesehen davon, dass es mir zu viel ist, ist es vollkommen. Der Mann macht mich wirklich fertig. In vielerlei Hinsicht. „Das ist nicht kochen, das ist Zutaten in eine Pfanne werfen", berichtigt er mich. Für mich ist das schon hohe Kochkunst. Auch ich kann mich an das Rühreeimassaker erinnern. Ich schaue verdutzt auf das farbenfrohe, leckere Gebilde auf meinem Teller. „Und woher kannst du das?", frage ich ihn, ohne mich von der leichten Abfälligkeit in seiner Stimme ärgern zu lassen. „Ich lebe schon eine Weile allein, da lernt man sowas nach und nach. Zwangsweise." Ich sehe auf. Eine Weile? „Wie lange lebst du schon allein?", frage ich verwundert. Raphael steckt sich erst ein Stück Tomate in den Mund und leckt sich über die Lippen bevor er antwortet. „Fast 4 Jahre müssten es sein", sagt er ungerührt und trinkt einen Schluck Kaffee. Ich lasse perplex meine Gabel sinken. 4 Jahre. Wie kann das sein? „Oh, so lange...", entflieht es mir derartig inhaltslos, dass es mir fast peinlich ist. Was ist mit seinen Eltern? Er steht in Kontakt mit ihnen, das weiß ich, durch meine Mutter, aber warum lebt er dann schon so lange allein? Wieder einmal wird mit schweren Herzens bewusst, wie wenig ich über Raphael weiß. Der große Mann zuckt mit den Schultern. Für einen Augenblick essen wir schweigend. Ich sehe immer wieder verlegen zu ihm bis er sich im Stuhl zurücklehnt. In seiner Hand hält er die Tasse mit Kaffee, während die andere über seinen verdeckten, muskulösen Bauch fährt. Noch immer sind die Ärmel seines Pullovers nach oben gekrempelt und geben den Blick auf seine starken Arme preis. Seine langen Beine sind übereinandergeschlagen. Er wirkt unglaublich erwachsen, doch ich weiß, dass das in mancher Hinsicht gar nicht so ist. In seinem Gesicht spiegelt sich Anspannung. Er weiß ebenso wenig mit der Situation umzugehen, wie ich. Und obwohl ich mir ständig versuche einzureden, dass es auch für ihn nicht leicht ist, schreit es in mir, dass es im Grunde ganz einfach ist. Er muss sich von meiner Schwester trennen. Ich wünsche es mir so sehr. So sehr, dass ich kaum darüber nachdenke, was dann passieren wird. Wie es danach weiter geht? Was meine Eltern dazu sagen würden, wenn sie es erfahren sollten. Doch all das ist noch unendlich weit weg, wenn nicht sogar unerreichbar. „Was ist?", fragt er nachdem er einen Moment still dabei zusieht, wie ich ihn mustere. „Tut mir Leid", sage ich unvermittelt. „Was? Das Starren oder das du mich gestern überfallen hast?" „Es tut mir leid, dass ich diese Sachen gesagt habe", sage ich aufrichtig und versuche es gar nicht erst auf den Alkohol zu schieben. Er hat einfach nur meine Zunge gelockert und dafür gesorgt, dass das Ausmaß meiner Worte nicht bis zum Grund meines Gehirns sickerte. Den vorangegangenen Teil habe ich mehr als genossen und Raphael sicherlich auch. Dessen bin ich mit sicher. „Der Rest... tut mir nicht leid", ergänze ich und obwohl es mir wirklich nicht peinlich ist, kann ich nicht verhindern, dass ich beschämt meinen Blick von ihm abwende. Das Scharren des Stuhls lässt mich aufschrecken. Er läuft wieder davon. Fast automatisch greife ich nach seiner Hand, als er neben mir ankommt. Ich will nicht, dass er geht, ohne, dass ich ihm alles sagen könnte, was mir auf der Seele brennt. Raphaels Blick ist überrascht. Seine Augen wandern von meinem Gesicht zu der Stelle unserer Berührung. Der Hauch eines Lächelns bildet sich auf seinen Lippen. Er löst meine Finger von seinem Handgelenk. Doch statt meiner Hand komplett loszulassen, verwebt er seine Finger in meine. Die freie Hand stützt sich auf die Rückenlehne meines Stuhls. Er beugt sich zu mir herab. Mein Herz schlägt von einer Sekunde zur nächsten bis zum Himmel. Und viel höher. Mit jedem Millimeter, den er mir näherkommt, wird das Rauschen in meinen Ohren stärker. „Ich dachte, du würdest wieder weglaufen", rechtfertige ich meinen Griff leise und starre unaufhörlich auf seine feucht glänzenden Lippen. Sie sind mir so nah. Wann hat er sich über die Lippen geleckt? Ich habe es nicht mitbekommen. „Weißt du, dass du mich manchmal sehr wütend machst!", flüstert er mir zu. Raphael ist nicht der Erste, der das sagt. Es ist nicht einmal das erste Mal, dass er das zu mir sagt. Ich erinnere mich an dem Moment auf dem Balkon im Wohnhaus meiner Eltern zurück. Ein feines Schaudern erfasst mich. Sie zieht sich augenblicklich über meinen gesamten Körper. Kitzelnd. Kribbelnd. Wärmend. Er macht mich genauso wütend. Ich sage nichts, denn ich bin gerade nicht dazu im Stande, auch nur einen klaren Gedanken zufassen. Er beugt sich minimal dichter zu mir, in dem seine Handfläche über Holz und Stoff streicht. Ich höre das leise, raue Gleiten. „Du machst mich verrückt." Auch das höre ich nicht zum ersten Mal. „Du machst mich wahnsinnig", fährt er fort. Seine grünen Augen durchdringen mich. Sie funkeln und leben. So liebe ich sie besonders. Allein dieser Anblick lässt meinen Körper vor Verlangen erbeben. „Wirklich?", frage ich ebenso leise. „Ja, wirklich." Seine Hand lässt meine los und wandert in meinen Nacken. Er überwindet das letzte bisschen Abstand. Hauchzart spüre ich seine Lippen. So zart, wie ein Flügelschlag und doch fegt er alle meine Gedanken hinfort. Seine Berührung ist ein sanftes Necken, welches mich mit dieser unglaublichen Süße und tausenden kleinen Erschütterungen umschmeichelt. Ich lege meine Hand an seine Schulter, intensiviere den Kuss und locke fordernd seine Zunge in meinen Mund. Er folgt meiner Aufforderung. Genüsslich tänzeln unsere Zungenspitzen gegeneinander, aneinander und miteinander. Das laute Klingeln durchbricht die elektrisierende Spannung. Raphael hält in seiner Bewegung innen und löst den Kuss. Seine halbgeöffneten Augen schielen seitlich zum Flur und er atmet angestrengt ein. Eine böse Vorahnung erfasst mich. Es klingelt erneut. Geringfügig richtet er sich auf. „Geh nicht", flüstere ich und greife nach seinem Pullover, um ihn festzuhalten. Raphael stockt und sieht mich fragend an. Er wägt ab, wie ernst es mir ist. Sehr ernst. Es klingelt zum dritten Mal. „Ich muss. Ich erwarte ein Päckchen", antwortet sein Pflichtgefühl. Ich sehe nicht dabei zu, wie er den Raum verlässt, sondern nehme einen Schluck der lauwarmen Flüssigkeit. Trotz des Tees ist mir seltsam kalt. „Maya?" Der Namen meiner Schwester lässt mich unwillkürlich zusammenfahren und ich verschlucke mich am Tee. Hustend schließe ich meine Augen und seufze schwermütig. Warum nur? „Du gehst nicht ans Handy und da habe ich mir Sorgen gemacht. Bist du okay?" Ihre Stimme ist lieblich. Vor meinen geistigen Augen bilden sich Szenen, wie sie ihr manikürten Finger an seine Brust legen und wie sie sich ihm entgegen beugt. Die Berührung ihrer Lippen auf seiner Wange, seinem Mund und mit wird augenblicklich schlecht. „Ja. Entschuldige, aber ich bin früh ins Bett gegangen." Raphaels Stimme klingt matt. Ich rühre mich nicht und umklammere die Tasse. „Fühlst du dich nicht gut? Du bist gestern auch schon so schnell verschwunden." Ihre Stimme ist eine Mischung aus Vorwurf und lieblichen Säuseln. Ich verdrehe die Augen. „Ich war einfach nur müde, das ist alles." „Okay, dann lass uns heute etwas unternehmen. Vielleicht ein bisschen Bummeln. Ich bin wirklich enttäuscht, dass du nicht über Nacht geblieben bist." Ein schlechtes Gewissen machen konnte Maya wirklich gut. Raphael antwortet nicht. Er zögert. „Maya, ich weiß nicht. Ich muss noch eine Arbeit beenden und..." „Komm schon, du hast mir versprochen, dass ich mir was zum Geburtstag aussuchen darf." Ihr verdammter Geburtstag. Ich habe ihn schon fast wieder vergessen. Ein weiterer Grund, weswegen ich auf eine baldige Trennung der beiden warten kann bis ich endgültig verrotte. Raphael ist anständig und er wird sich sicher nicht vor ihrem Geburtstag von ihr lösen. Ich mache mir etwas vor, wenn ich ernsthaft glaube, dass es irgendwann passieren wird. Es wird immer einen nächsten Grund geben. Ein Schnauben perlt von meinen Lippen, welches sich in reine Ironie wandelt. Warum also dieses Versteckspiel? „Was ist denn los, Rapha?" Sie klingt genervt. Ich stehe auf, trinke den letzten Rest meines Tees aus und trete in den Flur. Augenblicklich richten sich ihre blauen, wachen Augen auf mich. „Guten Morgen, Schwesterchen!", kommentiere ich überlustig den entgeisterten Gesichtsausdruck meiner kleinen Schwester als sie mich erkennt. „Was macht er hier, Rapha?", fragt sie mit zusammengebissenen Zähnen und Raphael sieht kurz zu mir. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn ich stillschweigend in der Küche sitzen geblieben wäre. „Ich habe ihm von dem Barbie-Traumhaus erzählt, welches du dir zum Geburtstag wünschst. Das in extra pink und mit viel Glitzer." Mayas Blick ist tötend. „Was? Wünschst du dir das nicht schon seit Jahren?" „Mark, du bist ätzend. Rapha, was will er hier?", zischt sie erst mir und dann ihrem Freund entgegen, sieht dann wütend zu Raphael. Schon wieder diese Koseform für Raphaels Namen, die mir echte Probleme verursacht. In meiner Brust beginnt es schmerzhaft zu brennen. Weitere gemeine Dinge kommen mir in den Sinn, doch ich schlucke sie zum Wohle aller runter. Es fällt mir wirklich schwer. Maya will eine Antwort und starrt den anderen Mann zickig an. Ich will mir das nicht mit ansehen. „Danke für das Frühstück. Ich haue ab", sage ich stattdessen. Ich gehe ins Wohnzimmer und greife nach meiner Jacke, die noch immer über der Lehne der Couch hängt. Maya und Raphael tuscheln aufgebracht. Ich höre, wie er seufzt und sie allein im Flur zurücklässt. Raphaels altbewerte Methode. Davonlaufen. Ich versuche den Ärger, der sich in mir ausbreitet, zu ignorieren und ziehe mir dir Jacke über. Als ich an Maya vorübergehe um raus zu kommen, hält sie mich am Arm zurück. Ihr sonst so hübsches Gesicht ist grimmig und irgendwie hässlich. „Du hast hier nichts verloren. Also, was machst du hier?", knurrt sie mir entgegen. Ich habe das dringende Bedürfnis ihr direkt ins Gesicht zu sagen, was ich gestern mit Raphael getan habe und wie sehr er es genossen hat. „Was ich hier mache, geht dich nichts an", belle ich retour. „Natürlich geht es mich etwas an, wenn mein hochgradig schwuler Bruder bei meinem Freund ist. Wer weiß, was du ihm für widerliches Zeug anhängst." Schon wieder diese dumme und völlig unangebrachte Diskriminierung. Ich schlucke schwer und hole tief Luft. Ich darf mich nicht reizen lassen. Mein Kiefer knackt. „Hör auf rumzuzicken. Ich habe auf seiner Couch gepennt, mehr nicht", sage ich erstaunlich ruhig. Ich verdiene einen Oscar für diese maßlose Untertreibung. „Hast du ihn wieder belästigt?", fragt sie abschätzig. Sie hört nicht, was ich sage und ich mache demonstrativ einen Schritt auf sie zu. Sie weicht erschrocken zurück, aber ich schließe wieder auf. Nur Zentimeter trennen uns. Ihre Hand legt sich abwehrend gegen meine Brust. Maya atmet unruhig. Ihre Schultern ziehen sich nach oben. Abwehrend und schützend. So als hätte sie Angst, dass ich noch körperlicher werde. Ich habe und werde sie niemals körperlich Angreifen. Die Hand an meinem Oberkörper drückt mich unbeholfen weg. „Was, Schwesterchen? Bist du dir Raphaels Gefühle so unsicher, dass du Vermutungen anstellen musst? Ja, solltest du vielleicht auch. Du kannst ihm nichts bieten, denn du bist nichts weiter als das Placebo unter den Freundinnen. Oberflächlich hübsch anzusehen und sonst nur heiße, dumme Luft." Noch immer starre ich Maya ernst an. „Deine dummen Diskriminierungen kannst du dir übrigens sparen. Sie sind nur der eindeutige Beweis dafür, dass du nicht in der Lage bist dich auf intelligenter verbaler Ebene zu verteidigen." Sie weicht meinem Blick kurz aus, um dann von unten wieder zu mir auf zu sehen. Ich bin fast einen Kopf größer als sie. Ich sehe ihre Niederlage und dennoch blitzt etwas in ihrem Blick auf, was mich verwundert „Es ist wirklich interessant zu sehen, wie sehr dich unsere Beziehung wurmt." Sie kitzelt absichtlich meine Wut. „Ich verstehe, warum er dir gefällt. Dieser Körper. Das männliche Gesicht." Mayas Stimme ist nur ein Raunen. In meinen Ohren klingt es spottend. Beißend. „Weißt du, du kannst noch so gemein zu mir sein, aber Raphael gehört mir. Finde dich damit ab, du kranker Freak." Sie lächelt hinterhältig. „Pah, kein Mensch versteht, was jemand an dir finden kann. Du bist oberflächlich und so inhaltslos, dass drei Mal die UY Scuti-Sonne in dir Platz finden würde. Ein gigantisches Vakuum des Nichts. Also wenn du nicht langsam deine arrogante und dumme Klappe hältst, dann garantiere ich dir, dass meine vorigen Äußerungen noch zu den Netteren gehörten", kommentiere ich bitter böse. „An deiner Stelle würde ich aufhören, mir zu drohen, denn du weißt ja, wie schnell ich mich verplappere." „Wenn du glaubst, dass ich mich von dir einschüchtern lasse, hast du dich geschnitten. Dir glaubt sowieso kein Mensch." Sie dreht sich mit dem Finger eine blonde Strähne ein und sieht mich neckisch an. „Na. Na. Ich bin immer noch der Überzeugung, dass es Mum und Dad sehr interessieren wird, was ihr Sohn für perverse Vorlieben hat. Es bricht ihnen sicher das Herz. Fordere mich nicht heraus, Brüderchen." Wir funkeln uns gegenseitig an. „Halte dich von mir und Raphael fern. Er hat kein Interesse daran mit so jemanden, wie dir zu verkehren." Sie fühlt sich siegessicher. Ich beuge mich zu ihrem Ohr. „Das sollte Raphael wohl selbst entscheiden, nicht wahr?", sage ich beherrscht. Ich sehe, wie sie tief einatmet. „Außerdem muss ich mich nicht vor dir rechtfertigen, Schwester. Und zu deiner Information. Ich kenne Raphael schon länger, als du." „Oh, das weiß ich, Mark." Plötzlich ist ihr Tonfall beängstigend. Auch ihr Gesichtsausdruck ist anders, als sonst. Fast bösartig. Das Blau ihrer Augen scheint förmlich zu brennen. Diesen Ausdruck habe ich noch nie bei ihr gesehen. „Er sieht besser aus als auf deinen Bildern, weißt du." Ich brauche einen Moment um ihre Worte wirklich zu verstehen und es bildet sich eine eigenartige Leere in meinem Kopf. „Du malst ihn schon seit Jahren. Glaubst du wirklich, dass das niemanden aufgefallen ist?", fragt sie fast spöttisch. Ich brauche nicht fragen, sie redet von allein weiter. „Ich fand deine Zeichenmappe, mit den ganzen Skizzen irgendwann mal im Flur. Da waren viele interessante Sachen drin und aus Neugier habe ich mich dann mal an deinen PC gesetzt. Du bist wirklich fleißig, Mark. Und eigentlich auch ganz gut. Dann fiel mir auf, dass es immer derselbe ist, den du malst." Sie beugt sich mit jedem Wort weiter zu mir. Mein Herzschlag wird immer schneller, während ich ihr direkt in die blauen Augen starre. Fassungslosigkeit breitet sich in mir aus und sie umklammert meine Schlagfertigkeit. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Kein Gegenwort kommt über meine Lippen. „Ich dachte, es wäre an der Zeit den Typen kennen zu lernen, den du so fleißig malst und siehe da, ich fand ihn an deiner Schule." Mir stockt der Atem. „Halt den Mund", flüstere ich ihr entgegen. „Oh, was denn! Freust du dich gar nicht, dass du uns zu unserem Glück verholfen hast?" Ich beiße meinen Kiefer zusammen und spüre, wie ein unangenehmes Kitzeln über meinen Hals wandert. Ich starre sie an. Noch immer bin ich zu entsetzt, weil mir langsam klar wird, dass diese ganze Beziehung reines Kalkül für sie gewesen ist. Ich höre nur dumpf, wie sich die Tür zu Raphaels Schlafzimmer öffnet. „Ich habe sogar ein paar der Bilder behalten", flüstert sie. Maya sieht zu mir und dann mit einem übertrieben freundlichen Lächeln zu Raphael. Ich starre auf die perfekte Fratze meine Schwester und sehe dann kurz zu dem anderen Mann. Er hat sich umgezogen und beobachtet die seltsame Szene zwischen uns. „Bist du fertig, Schatz?", fragt Maya fröhlich. Raphael antwortet nicht, sondern sieht mich einfach nur an. Ich bin innerlich derartig aufgewühlt, dass ich nicht reagieren kann. Sie hat es geplant. Sie hat ihn absichtlich kennengelernt. Maya geht diesmal tatsächlich als Sieger aus unserem Gefecht hervor, weil der Schock mich regelrecht niederstreckt. Mir ist speiübel. Ich brauche frische Luft. Ich greife mir meine Schuhe und verschwinde ohne noch einmal zurückzusehen oder Raphael auch nur einen Ton zu erklären. Nur grob schlüpfe ich in einen der Treter und flüchte die Treppe hinab. Ich kann gerade nicht atmen. Nicht denken. Das hat zur Folge, dass ich einen der Schuhe beim Laufen verliere. Er rollt Stufe für Stufe hinab. Ich gebe ein genervtes Geräusch von mir, spüre den kühlen Boden unter meinem unbeschuhten Fuß und muss mich letztendlich hinsetzen, damit ich den Schuh vernünftig angezogen bekomme. Die Schleife öffnet sich nicht, weil ich sie beim überstürzten Überziehen festgesurrt habe. Meine kaputte Hand tut ihr übriges. Ich will einfach nur weg und jetzt fesselt mich ein dämlicher Schuh an diesen Ort. Wütend und enttäuscht schleudere ich den besagten Schuh gegen die Wand. Er prallt ab und fällt so gleich ein paar Stufen hinab. Mein Herz brennt. Ich höre Raphaels Tür. „Mark, warte." „Lass mich in Frieden", rufe ich und springe auf. Ich kralle mir unterwegs den verloren gegangen Schuh. Ich schaffe es nach unten und vor die Tür, bevor er mich am Arm packt. Raphael trägt nicht einmal eine Jacke und ich habe nur einen Schuh an. „Mark, was ist los? Bitte, glaube mir, ich wusste nicht, dass sie kommt." „Du weißt ja nie etwas. Geh zu meiner Schwester, lass dich von ihr ficken, nerven oder was auch immer du willst, aber lass mich in Frieden", schleudere ich ihm aufgebracht und auf offene Straße zu. Mayas Worte haben mich schlimmer getroffen, als ich gedacht habe. „Das will ich gar nicht. Meinst du, ich finde das witzig?" „Mache ich für dich ein Clownsgesicht?", frage ich bitter und verzweifelt. Das ist Alles keine Dramödie mehr, es ist das reinste Drama. Warum ist es mir nicht vergönnt, einfach nur glücklich zu sein? Noch immer halte ich den Schuh in meiner Hand. Ich fuchtele unbeabsichtigt damit rum. Raphael greift nach meinem Handgelenk und der Schuh fällt zu Boden. „Ich wollte sie abwimmeln, wenn du in der Küche geblieben wärst, dann..." „Dann was, Raphael? Dann hättest du sie weggeschickt und was wäre beim nächsten Mal? Und beim darauffolgenden Mal? Du kannst es nicht damit lösen, dass du ihr aus dem Weg gehst." „Mark, ich weiß, dass das keine Lösung ist, aber..." „Was aber? Spekulierst du darauf, dass sie sich irgendwann von dir trennt. Wird sie nicht, denn anscheinend hat sie das alles geplant, also erkläre mir deine Taktik, werter Herr Trainer." „Was?", fragt er irritiert. Ich habe nicht die Muße alles zu wiederholen, was mein Drachen von Schwester gerade offenbart hat. Es schmerzt zu sehr. „Dein Plan! Vor unseren Familien wahrst mit Maya den Schein und abends kriechst du zu mir ins Bett? Für dich sind das zwei Schnippchen mit einer Klappe. Bin ich der Plan B, den du dir zurechtgelegt hast, wenn du von allem anderen genervt bist und Gefälligkeiten willst?" Meine Aussage ist mehr als unfair. Ich tue ihm Unrecht, denn gerade die sexuellen Gefälligkeiten kommen fast ausschließlich von mir. Aber ich bin selbst derartig aufgewühlt, dass ich im Moment keinen klaren und vor allem vernünftigen Gedanken fassen kann. Seine Hand, um mein Handgelenk wird immer heißer. „Raphael?" Maya Stimme dringt aus dem Treppenflur zu uns. Raphael schließt die Augen und zwingt sich dazu, nicht auf Maya zu reagieren. „Es tut mir leid, Mark. Ich verstehe das gerade nicht...Können wir bitte nachher reden, wenn du dich beruhigt hast." Bittend perlen diese Worte von seinen Lippen. Ich spüre, wie kleine blitzende Schauer durch meinen Körper jagen. „Wozu, ich weiß schon, was du mir sagen wirst, dass du dich noch nicht von ihr trennen kannst. Dass du noch etwas Zeit brauchst. Raphael, ich weiß, dass du niemanden enttäuschen willst, aber zu deiner Information, da wirst du nicht Drumherum kommen." Egal, wie er sich entscheidet, es wird immer jemanden geben, den er enttäuscht und im Moment werde ich es sein. Sein Atem geht schwer und er schweigt. So wie er es oft macht. Ich habe also ins Schwarze getroffen und das verletzt mich nur noch weiter. „Ich kann das nicht mehr. Ich habe keine Kraft für solche Spielchen. Du kannst dich nicht von ihr trennen, dann sage ich dir jetzt klipp und klar, dass ich fortan auch kein Interesse mehr daran habe." Ich fahre mir mit der Hand übers Kinn und verhindere, dass er das Zittern meines Kiefers mitbekommt. Meine Finger sind kalt. Das hat doch alles keinen Sinn. Ich sehe seine sonnengeküsste Hand, die noch immer um mein Handgelenk liegt. Sie bildet auf meiner helleren Haut ein starker Kontrast. Sie umklammert mich. Haltend. Wärmend. Ich schaue auf und sehe Unsicherheit in seinem Blick. Ich glaube ihm, dass er Gefühle für mich hat, aber das macht das Ganze nur noch schlimmer. Raphael senkt seinen Blick. „Du bist verdammt feige", sage ich ehrlich und direkt, doch diesmal ist es einfach nur ein Ausspruch der reinen Verzweiflung. „Ja, ich weiß. Wenn ich es nicht wäre, dann hätte ich schon vor Jahren verstanden, was ich eigentlich will. Bitte, gib mir noch etwas Zeit." Ich löse seine Hand aus seinem Griff und schüttele den Kopf. Er hatte genug Zeit. Ich habe genug gelitten. „Mark, ich tu's wirklich... Jetzt gleich...", setzt er erneut an. Ich stoße ungläubig die Luft aus. Ich glaube ihm nicht. „Ich warte schon zu lange darauf, dass ich bei dir erste Wahl bin. Aber weißt du, ich glaube nicht mehr daran...Also danke für das Frühstück." Ich klinge ungewöhnlich resigniert. Mein Herz pulsiert, doch ich klaube nur den Schuh vom Boden auf und wende mich ab. Ich höre meinen Namen. Ich gehe weiter. Noch immer habe ich meinen Schuh nur in der Hand und ignoriere das kaltfeuchte Gefühl auf meiner Fußsohle. Eisige Luft trifft mein Gesicht. Kühlend. Gefühllos. Ich stütze mich nach ein paar Meter an einem steinernen Türrahmen einer Eingangstür ab und beuge mich nach vorn. Mein Magen verkrampft sich. Mayas Worte. Raphaels Ausflüchte. Übelkeit überfällt mich. Ich muss mich richtig zusammenreißen um mich nicht zu übergeben. Es ist nicht dem Alkohol geschuldet. Der Schmerz in meiner Brust ist schlimmer als alles andere vorher. Nach einem Moment spüre ich Tränen. Heiß fließen sie über meine Wangen. Ich streiche sie schnell und fahrig davon, schluchze heißer und fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht. Ich ersinne die Worte, die ich gerade Raphael gesagt habe und beginne, sie wie ein Mantra vor mich her zu beten. Ich habe kein Interesse mehr an ihm. Ich bin es Wert, erste Wahl zu sein. Mein Verstand antwortet mir mit Ungläubigkeit. Das plötzliche Hupen lässt mich hochfahren. Auf der Straße steht das parkende Auto meines Vaters. Ich stehe kerzengrade. Kapitel 12: Einmal das Streitmenü zum mitnehmen, bitte! ------------------------------------------------------- Kapitel 12 Einmal das Streitmenü zum mitnehmen, bitte! Das Gesicht meines Vaters blickt mir aus der runtergekurbelten Autofenster entgegen. Er lehnt sich umständlich über den Beifahrersitz zu mir. Ich straffe meine Schultern, schniefe lautlos und wische mir unbewusst über die Nase. Die Frage nach seiner Anwesenheit beantwortet sich mit der Tatsache, dass Maya hier ist. Er hat sie vermutlich hergefahren. Warum muss er ausgerechnet hier stehen? Warum ist er überhaupt noch hier? Zudem wird mir langsam bewusst, dass es nicht das erste Mal ist, dass er eine Auseinandersetzung zwischen mir und Raphael mitbekommen haben könnte. Ich atme noch einmal durch und lehne mich ins Autofenster. „Papa, hey...", sage ich übertrieben fröhlich in der Hoffnung, dass er nichts von meinem peinlichen Theater mitbekommen hat. Wenn dann hätte er sich sicher früher bemerkbar gemacht. Das rede ich mir zu mindestens ein. „Hallo, mein Sohn. Was machst du denn hier?" Seine Frage ist neutral gehalten. Ich schöpfe weitere Hoffnung, dass mein Auftritt unbemerkt geblieben ist. Dennoch mustert er mich aufmerksam. „Und warum hast du nur einen Schuh an?" Diesmal ist die Frage eher argwöhnisch. „Ähm, ich war gestern hier um die Ecke mit Danny unterwegs. Es ist etwas spät geworden und da durfte ich auf Raphaels Couch pennen." Er sieht mich aufmerksam an, während ich abwäge, wie viele Informationen ich preisgeben kann. Im Grunde ist das nicht einmal gelogen, aber keine richtige Antwort auf seine Frage. Ich schlüpfe in den Schuh und lächele dämlich. „Du trinkst unterhalb der Woche?", fragt er skeptisch und ich lifte meine Augenbraue. Ich durchschaue die Frage. „Getrunken? Von trinken habe ich nichts gesagt. Wir haben einfach nur gequatscht." Ich lege meinen Finger unter mein rechtes Auge, ziehe es leicht runter und stecke meinem Erzeuger fast frech die Zunge raus. Er packt mich sachte an der Nase und lächelt. „Touché. Soll ich dich eben nach Hause fahren? Wenn ich schon den Chauffeur für Maya spiele, kann ich auch gleich bei dir weitermachen." Er schiebt seinen Laptop vom Beifahrersitz, doch ich schüttle den Kopf. „Nein, danke. Ich habe gleich Vorlesungen und die Uni ist, ja gleich um die Ecke." Während ich ablehne, deute ich in die ungefähre Unirichtung und lächele. Mein Vater nickt und ich richte mich auf. „Na gut, dann sei, aber vorsichtig. Nicht, dass du den Schuh noch komplett verlierst", sagt er zögerlich und danach übertrieben witzig. „Immer, weißt du doch! Mich haut sowieso so schnell nichts um. Grüße Mama ganz lieb", versichere ich lügend und lächelnd. Ein Profi würde sofort erkennen, dass an meinem Lächeln nichts echt ist. Ich winke meinem Vater zu, knie mich runter um den Schuh zu zubinden und wende mich dann zum Gehen. „Mark?", ertönt es noch einmal. Ich wende mich zu ihm, doch er winkt nur ab. „Schon gut. Wir sehen uns Freitag." Damit fährt er die Scheibe hoch und ich sehe dabei zu, wie er davonfährt. Hat er doch etwas gemerkt? Ich fühle mich elendig. Zum einen, weil die Reste des Alkohols noch immer in Form eines Seeigels Kreise in meinem Blut schwimmen und zum anderen, weil es sich anfühlt, als hätte man mir mit einem Beil das Hirn und das Herz gespalten. Ich will das nicht mehr. Ich kann es nicht mehr. Meine Hand presst sich gegen meine Brust und ein weiteres Mal beuge ich mich vor, in der Hoffnung der Schmerz würde sich dadurch lindern. Vergeblich. Nichts passiert. Hingegen meiner vorigen Aussage nehme ich doch den Bus und fahre in meine Wohnung. Dort wechsle ich die stinkenden Klamotten und schnappe mir die Unterlagen für die Uni. Das alles geschieht in einem eigenartigen Dämmerzustand. Mein Kopf ist leer und ich fürchte, dass es den restlichen Tag so bleiben wird. Vielleicht sollte ich zu Hause bleiben. Doch, dann werden die Gedanken sicherlich schneller zurückkehren und mich erbarmungslos auffressen. Auf meinem Schreibtisch liegen die Eintrittskarte für das Kino und der Gutschein, die mich zusätzlichen daran erinnern, dass ich nicht zu Hause bleiben kann. Ich stecke beides in einen Umschlag und verfrachte diesen in meine Jackeninnentasche. Auf in den Kampf. Im Bus zur Uni schalte ich mein Handy wieder ein. Drei Anrufe in Abwesenheit. Zwei sind von Shari und einer von einer unbekannten Nummer. Mein Magen macht eine weitere Karussellfahrt. Dabei ist auch eine SMS von Andrew. Oh oh. Sie weiß es. Die erste Vorlesung habe ich bereits verpasst. Egal, denn konzentrieren kann ich mich sowieso nicht. Heute wird mein monatlicher Scheißtag. Nach meinen Vorlesungen trotte ich zu unserem typischen Treffpunkt und sehe als erstes Paul. Ich widerstehe dem Bedürfnis mich einfach umzudrehen und davon zu rennen. Noch habe ich die Chance dazu. Aber nach einem kurzen Zwiegespräch entscheide ich mich dagegen. Schließlich löst das meine Probleme nicht. Meine Stimmung ist aber auf einem neuen Tiefpunkt und diesmal wünsche ich mir tatsächlich mich vaporisieren zu können. Vielleicht mit einem leisen oder doch lauten Puff. Oder ich könnte mich einfach in der Hitze des schmelzenden Mantels des Erdinneren wälzen, bis ich danieder gehe. Ich habe noch immer Raphaels Geschmack auf den Lippen und jeder Versuch ihn fort zu reiben, endet mit dem erneuten Entflammen. Paul beobachtet mich, während ich auf ihn zu kommen. Ich glaube, dass ich zwischendurch stehengeblieben bin. Vielleicht habe ich mich auch kurz mal umgedreht. Selbst für ihn muss es seltsam rüberkommen, wie ich mich verhalte. „Hey,...", sage ich kurz angebunden. Ich lehne mich ermattet gegen die Wand neben Paul, ignoriere seinen fragenden Blick. „Aus welcher Gruft hat man dich heute ausgebuddelt?" „Mein Schlafsarg hat ein loses Rückenbrett", kommentiere ich wenig amüsiert und schließe die Augen. Mir ist nicht nach Schabernack zu mute, das merkt auch Paul und sieht mich fast besorgt an. Ich würge gerade weitere Fragen ab als plötzlich mein Name durch den Flur gerufen wird. Die geringe Anzahl an Studenten im Flur lässt ihre Stimme besonders schön hallen und sie dringt mir durch Mark und Bein. Die indische Schönheit gleicht einer Gewitterfront als sie auf uns zu stiefelt. „Mark Gennadij Dima!" Diesmal mit meinem vollen Namen. Oh weh. Ich sehe zu Paul. Er wiederholt murmelnd meinen zweiten Namen und richtet dann seinen Blick auf Shari. Ich greife an seinen Arm und halte ihn fest, bevor er sich verabschieden kann. Wenn ich mich nicht in Luft auflösen kann, dann er auch nicht. „Nicht dein Ernst, du ziehst mich da tatsächlich mit rein?", kommentiert er meinen deutlichen und festen Griff. „Du wirst Anwalt. Sei ein Mann, verdammt." „Ich will ins Wirtschaftsrecht." Für einen Moment blicke ich ihn ungläubig an. „Irgendwann wirst du vor gefährlicheren Leuten stehen, als vor Shari, also reiß dich zusammen." „Was bitte ist schlimmer als eine erzürnte indische Gottheit?", gibt er mit zusammengebissenen Zähnen wieder und ich stocke. Bilder von hinduistischen Gottheiten kommen mir in den Sinn. Mehrarmige Körper, die sich mit abgerissen Gliedmaßen und Schädeln schmücken. Ketten aus Köpfen. Messerscharfe Waffen und gefährliche Stäbe. Augenblicklich sehe ich Shari mit einer Kette aus meinen Extremitäten tanzen. Paul greift mir an den Arm und zieht mich damit etwas zurück. Unsere Blicke sind auf Shari gerichtete, die ihre Hand fest in die Seite stemmt und meines Erachtens immer röter wird. „Oh oh, sie wird zur Reinkarnation von Kali", flüstert er mit zittriger, leiser Stimme und meint die hinduistische Göttin des Todes und der Zerstörung. „Oder Shiva", merke ich. Die Kommentare trauen wir uns nur zusagen, weil Shari noch nicht in Hörweite ist. Wir schweigen angsterfüllt als sie nur noch einen Meter von uns entfernt ist. Kurz sehen Paul und ich uns an und dann wieder zu der immer heftiger atmenden Schönheit. Ihre geröteten Wangen sprechen von Wut und Empörung. „Salve", begrüße ich sie kleinlaut in Latein. Ich benutze für meinen Untergang eine tote Sprache als Begrüßung. Das ist eindeutig ein schlechtes Omen. „Du...Du ... Was hast du dir dabei gedacht?" Sie beginnt mit ihren Händen rumzufuchteln und für ein einen Moment sieht es aus, als hätte sie plötzlich wirklich vier Arme. Ganz im Sinne der Göttin der Zerstörung. „Lasst mich raten, du hast dir gar nichts dabei gedacht", fährt sie fort und trifft den Kern meines Hauptproblems. „Wir haben stets nur dein Wohlbefinden im Kopf", versuche ich sie zu beschwichtigen. Paul schiebt sich hinter mich und geht in Deckung und verdeutlicht meiner besten Freundin, dass er so gar nichts mit dem Geschehen zu tun hat. „Alter, was bist du für ein verdammter Feigling?", frage ich verärgert an Paul gewandt und versuche ihn hinter meinen Rücken hervor zu bekommen. Ein dummes Wechselspiel entbrennt, während Shari immer genervter ausatmet. „Sieh sie dir doch an. Ich habe doch gesagt, dass sie dich killen wird. Wenn du Glück hast, schlägt sie dir nur den Schädel ein, wenn du Pech hast. wird sie dich 5-Teilen." Dieses kindische Verhalten verärgert sie nur noch mehr. Pauls Hände krallen sich in meine Schultern und ich gebe auf. Er schiebt mich ein Stück zu Shari heran. Ich lasse es geschehen. „Vielleicht mache ich auch 7 Teile aus dir", gibt Shari noch einen drauf und schaut mich sauer an. „Ernsthaft, was hast du dir dabei gedacht so hinter meinem Rücken zu handeln, Mark?" Ich seufze als Antwort und lasse meine Schultern hängen. Ja, was habe ich mir dabei gedacht? Das frage ich mich jetzt schon seit Tagen. Ich will Shari glücklich sehen. Oder ist es doch nur eine scheinheilige Ausrede um meine Inkompetenz zu kaschieren? Nein, ich möchte sie wirklich glücklich machen, aber wahrscheinlich wähle ich dafür den falschen Weg. „Was? Hat es dir tatsächlich die Sprache verschlagen?", schlägt Shari nach und ich spüre, wie ich leicht zusammenzucke. Selbst Paul nimmt seine Hände von meinen Schultern, bleibt aber hinter mir stehen. „Shari, es tut mir leid. Ich weiß, dass ich nicht der Richtige bin um dir Ratschläge über Beziehungen zu geben, aber ich denke, dass du einen Fehler machst, wenn du Andrew einfach aufgibst." „Ganz Recht, Mark, du bist der komplett Falsche um mir Ratschläge zu geben. Du hast hinter meinem Rücken gehandelt und das, obwohl ich dir meine Beweggründe schon hunderte Male verdeutlicht habe. Du hast mich wirklich enttäuscht." Bei jedem ihrer Worte fühle ich mich geprügelt. Ihr wutenttäuschter Blick bringt mich langsam, aber sicher um. Ich greife nach ihren Händen und halte sie fest. Sie sind warm, fast glühend. „Du hast vollkommen Recht. Es tut mir leid. Hör mir nur kurz zu. Ja?" Ich schaue sie eindringlich, aber bittend an. Unwillig schluckt sie ihre Folgeworte runter. An ihrem Blick sehe ich, dass sie nun eine gute und einleuchtende Erklärung erwartet. Alles anderen lässt sie nicht gelten. Die Strähnen ihres schwarzen, glänzenden Haares rahmen ihr wütendes Gesicht und sorgen dafür, dass sie noch immer zauberhaft aussieht. „Ich möchte nur, dass du es versuchst und dir und Andrew eine winzige Chance gibst." Ich greife in die Innentasche meiner Jacke, hole den Umschlag hervor. Eine ihre Hände behalte ich in meiner. Durch die Kälte meiner Finger merke ich besonders, wie viel Hitze von ihr ausgeht. „Ich habe für euch einen Tisch reserviert um 20 Uhr. Ihr könnt den Gutschein nutzen. Du weißt schon. Du findest darin auch noch eine Kinokarte für einen Film der um 19:30 Uhr beginnt. Ich habe vergessen, was es ist, aber es ist eine dieser Liebeskomödien, die du so magst. Ich dachte, du kannst sie als Alibi benutzen und deinen Eltern sagen, dass du mit mir im Kino bist. Dort werden sie dich nicht anrufen oder sich wundern, warum du nicht rangehst. So kannst du mit Andrew einen ruhigen Abend verbringen. Er weiß Bescheid, aber bitte, gib ihm daran keine Schuld. Ich habe ihn überredet. Shari, es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass du glaubst, dass ich es unüberlegt und aus purer Egomanie gemacht habe, aber ich habe nur das Beste für dich im Sinn gehabt. Das musst du mir glauben." Ich sehe auf und sie schweigt. „Weißt du, ich denke immer wieder daran, wie glücklich du nach euren ersten Treffen warst. Deine Augen haben geleuchtet, wenn du von seinen lieben Worten gesprochen hast, die er dir geschrieben oder gesagt hat. Ich weiß, wie gern du Andrew eigentlich hast und dass du im Grunde den Schritt und den Versuch mit ihm wagen willst. Doch in dir steckt einfach zu viel von der Vernunft, von der ich zu wenig besitze. Bitte, gib euch noch eine Chance. Sei glücklich. Versuche es wenigstens. Du bist mir so wichtig, Shari. Ich möchte, dass du glücklich wirst. Deine Augen sollen wieder leuchten, wie Bernsteine, die durch die untergehende Sonne geküsst werden. Auch wenn das heißt, dass ich dich demnächst teilen muss. Ich will dich glücklich sehen und nichts anderes. Und jetzt darfst du mich weiter anschreien." Die ganze Zeit über sieht sie mich schweigend an. Die plötzlich eintretende Stille ist noch schlimmer, als das vorige Anschreien. Mein Puls rast. Ihre schönen, braunen Augen mustern mein Gesicht ausführlich. Wahrscheinlich kann sie meine Angst riechen. Sie beißt kurz die Zähne zusammen. Kleine Falten bilden sich auf ihrer Stirn. „Elender Romantiker!", brummt sie mir entgegen, reißt mir den Umschlag aus der Hand und dreht sich um. Sie stampft davon. Ich blicke ihr nach und meine eisige Hand legt sich über meine Lippen. In diesem Moment hoffe ich inständig, dass das mit Andrew nicht in die Hose geht. Ich fühle mich, trotz der Tatsache, dass ich noch lebe, elendig. „Wie jetzt?", fragt Paul und schaut der abzischenden Shari dümmlich hinterher. Ich lehne mich wieder gegen die Wand und schließe die Augen. „Ist sie noch sauer oder hast du ihr mit deiner kitschigen Ansprache so sehr das Herz verklebt, das sie weich geworden ist?" „Sie kocht vor Wut", sage ich und atme erschöpft aus. Ich hätte zu Hause bleiben und mich ins Bett legen sollen. Im Moment läuft nichts rund. Gar nichts. Null. Nada. Niente. Rei. Nol. In meinem Kopf formulieren sich noch weitere Sprachen und ich seufze über den sinnlosen Gebrauch meiner Gehirnkapazitäten. Noch immer steht Paul verwundert neben mir. Ich stoße mich von der Wand ab und greife meinen Rucksack, der am Boden steht. „Gennadij, ja?" Bei der Wiederholung meines Zweitnamens sehe ich mit hochgezogener Augenbraue auf. Natürlich hat er sich das gemerkt. Sonst muss ich es mindestens drei Mal wiederholen, bevor es jemand versteht oder auch nur aussprechen kann. Auch Shari hat es sich merken können. Dabei hat sie es nur einmal in meinem Ausweis gesehen. Ein einziges Mal. „Tja, was soll ich sagen. Meine Eltern hatten damals noch die Hoffnung aus mir würde was Vernünftiges werden." Der Name bedeutet von edler Geburt. Sie haben sich eindeutig geirrt. Paul darin zu bestätigen, dass ich den Namen nicht mochte, würde nur mehr für Sticheleien sorgen, also beuge ich mit meinen eigenen Witzen vor. Paul grinst. Nach dem Mittagessen bringe ich die restlichen Vorlesungen hinter mich. Unentwegt starre ich auf mein Handy in der Hoffnung, dass sich Shari noch einmal bei mir meldet. Nichts. Ich schreibe ihr eine weitere Entschuldigung. Insgesamt 6 Stück den restlichen Tag über, aber sie schmollt. Auch in meiner Wohnung angekommen, sehe auf mein Handy. Noch immer nichts. Shari schreibt mir einfach nicht. Ich tippe erneut eine lange Entschuldigungsbenachrichtigung, doch diesmal schicke ich sie nicht ab. Leise seufzend schiebe ich das Telefon zurück in die Hosentasche, stelle meinen Rucksack auf den Schreibtisch und lasse mich danach aufs Bett fallen. Mein Kopf schmerzt und mein Mund ist trocken. Nach dem Mittag hat der Kopfschmerz wieder angefangen. Im Grunde hat er nie aufgehört und obwohl die Ruhe und ein wenig Schlaf gut für mich wären, kann ich mich einfach nicht dazu durchringen. Im Gegenteil, die Stille macht mich nervös. Ich fühle mich allein. Es ist niemand da, mit dem ich reden kann. Ich würde so gern mit Shari über all das mit Raphael reden. Über Mayas Worte. Ich habe mich durch meine Dummheit selbst isoliert. Keine Shari. Kein Danny. Paul ist zwar da, aber nicht in der Materie, also keine Möglichkeit. Ich setze mich auf und sehe auf meine schlabberig verbundene Hand. Der Mullstoff hat Flecken in verschiedenen Farbtönen. Für manche wäre das moderne Kunst. Ich muss dringend den Verband wechseln. Im Badezimmer stelle ich mich vor das Waschbecken, lasse mir Wasser in die unverbundene Handfläche fließen und reibe mein Gesicht ab. Feuchtigkeit trifft auf meine Lippen und ich lecke sie davon. Als ich aufblicke, betrachte ich mein Spiegelbild. Ein ziemlich kaputter Idiot. Ich sehe weg und greife nach einem neuen Verband. Ich wickele den alten ab, reibe die noch immer rote Wunde mit Desinfektionsmittel und Wundsalbe ein und verbinde es neu. Als ich fertig bin, fällt mein Blick auf das Massageöl. Ich denke sofort an Jake und die Beklemmung in meiner Brust nimmt weiter zu. Jake, der Lückenbüßer, spottet es in meinem Kopf. Auch er ist für mich immer die zweite Wahl gewesen, wenn man es so will. Es ist auch nicht sehr rühmlich von mir, dass ich immer wieder auf ihn zurückgreife. Mein Verstand schreit dennoch danach, dass ich mit ihm glücklich werden kann, aber ich muss endlich ehrlich zu ihm sein. Ich nehme das Öl mit in mein Wohn-Schlafzimmer und stelle es auf dem Nachttisch ab. Es hat einen exotischen Geruch. Eine blumige Süße. Ich drehe den Deckel auf und lasse mir etwas auf die Fingerspitze laufen. Der Duft umnebelt mich. Ich lasse mich nach hinten fallen und bleibe liegen. Er erinnert mich an Shari. Sie duftet auch immer so herrlich. Meine Augen schließen sich genießend und ich verteile das Öl in meiner Hand, lasse sie danach über meinen Hals wandern. Ein leises Seufzen erfüllt den Raum. Ich fühl mich gerade ausgesprochen einsam. Irgendwann drehe ich mich auf die Seite und starre grüblerisch an die Wand. Ich muss mit Jake reden und ihm gestehen, was mein Problem ist. Bisher haben wir vor allem Spaß und Freude. Ich weiß, dass Jake zu Beginn unserer Treffen einer Beziehung nicht abgeneigt war, ob das noch immer so ist, weiß ich nicht. Vielleicht will er nur noch seinen Spaß mit mir, weil ich so wankelmütig bin. Ich wälze mich in meinem Bett hin und her und setze mich dann auf. Meine Hände fahren über mein Gesicht. Einatmen. Ausatmen. Einatmen und wieder ausatmen. Ich muss etwas ändern, denn so wie die Situation im Moment ist, bringt es mich bald um. Vielleicht ist die Lösung eine richtige Beziehung mit Jake. Aber vorher müssen wir einiges klären. Ich greife nach meinem Handy und schreibe Jake eine Nachricht. -Hey. Ich bin einsam.- Keine 5 Minuten später spüre ich Vibrationen auf meinem Bauch, die mir einen Anruf ankündigen. Jake. Ich zögere mit der Annahme, denn ich weiß nicht, was ich ihm eigentlich erzählen soll. „Hey", sage ich, nachdem ich endlich den grünen Hörer gedrückt habe. „Na mein Hübscher, was ist los?" Jakes sanfte Stimme erheitert mich nur halb so sehr, wie ich gehofft habe. Wir telefonieren so gut, wie nie, daher ist schon ein wenig seltsam. „Ich habe ein kleines Tief. Kommst du demnächst mal wieder her?" Ich komme gleich auf den Punkt. Jake antwortet nicht sofort, was kein gutes Zeichen ist. „Mark, es tut mir leid, aber ich habe eine ziemlich volle Woche. Viele Geschäftsmeetings und am Abend noch mehrere Essen mit einem potenziellen Kunden, der gebauchpinselt werden will." Er klingt wirklich aufrichtig. Dennoch kann ich mir ein enttäuschtes Seufzen nicht verkneifen. „Schon gut. Ich weiß, dass dein Job zeitintensiv ist." „Was ist denn mit deiner Blume?" „Shari redet gerade nicht mit mir." Ich höre, wie er verwundert die Luft einzieht und drehe mich zur Seite. Meine Augen schließen sich erschöpft. „Oje, was ist passiert?" „Ich habe mich in ihr Leben eingemischt und jetzt ist sie sauer." Ich klinge schrecklich bemitleidenswert, dabei ist das nicht mein Anliegen. Auf keinen Fall will ich ihm ein schlechtes Gewissen machen, weil er mich mit meiner schlechten Stimmung allein lässt. Jake kann von allen am wenigstens dafür. „Ach, Mark, Kopf hoch, das legt sich sicher wieder." Ich stelle mir vor, wie er aufmunternd lächelnd. Ich denke auch an seinen sorgenvollen Blick, denn er immer hat, wenn er mich ansieht. Im Hintergrund höre ich, wie Jake gerufen wird. „Entschuldige, aber ich muss los... Soll ich nachher noch mal zurückrufen?" „Nein, schon gut. Geh und lass deine Kollegen nicht warten. Ich übertreibe sowieso maßlos", sage ich gespielt fröhlich und lege nach einer Verabschiedung schnell auf. Was habe ich erwartet. Er ist viel unterwegs, hat viel zu tun und lebt ein echtes erwachsenes Leben. Ich bleibe eine Weile liegen, doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, dann sehe ich Raphael und Maya. Seine Worte. Ihre Worte, die in meinem Kopf umher hallen. Ich richte mich auf. Sie hat die Bilder gesehen. Sie hat meine Bilder behalten. Unwirsch beginne ich, meine alten Zeichenmappen unter dem Bett hervor zu kramen. Ich gehe die Zeichnungen alle durch. Als ich damit fertig bin, steht definitiv fest, dass einige Bilder fehlen. Vor allem Aktstudien und Portraits. Erneut wabert sich Fassungslosigkeit durch meinen Leib. Sie verklebt meine Rezeptoren, sodass ich das Gefühl habe, komplett leer zu sein. Keine weiteren Emotionen. Nichts. Ich fühle mich betäubt. Nur noch Bestürzung. Nach einer Weile stehe ich auf und setze mich an meinen Schreibtisch. Vielleicht hätte ich es Raphael gleich sagen sollen? Ob es etwas geändert hätte? Ich bin mir nicht mehr sicher. Unbewusst greife ich nach einem Bleistift, tippe unruhig auf einem unbeschriebenen Blatt Papier umher. Meine Wange lehnt in meiner Handfläche. Unbewusst beginne ich zu zeichnen. Meine Art der Problembewältigung. Nur, dass es nicht immer hilfreich ist. Noch immer habe ich Shari im Hochzeitssari im Kopf und während ich mir selbst keine gute Zukunft ausmale, erwünsche ich mir die Beste für sie. Ich zeichne sie stehend im Dreiviertelprofil. Ihr Blick geht zur Seite und doch ist deutlich ihr sanftes, weiches Gesicht zu erkennen. Mit schnellen Strichen formt sich das zauberhafte Gewand um ihren schlanken Körper. Fließende Stoffe. Weiche Materialien, die ihre wunderbaren Rundungen betont. Die vereinzelten Stellen, die Teile ihrer Haut preisgeben sind zuerkennen und schüren dennoch Fantasien. Für mich hat Shari eine perfekte weibliche Figur. Aber was weiß ich schon? Ich sehe das satte Rot, welches ihren Kurven schmeichelt und durch Feinheiten Glanz und Ausdruck erhält. In meinem Kopf ist das Bild schon längst vollendet. Detailreich und fantasievoll. Doch meine Gedanken driften immer wieder zu den Männern in meinem Leben. Raphael und Jake. Sie können nicht unterschiedlicher sein. Nach einer Weile krame ich meine alten Marker hervor. Die habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Ich zeichne grübelnd an dem Bild, während ich versuche zu verstehen, was ich eigentlich will. So bescheuert es auch klingt, aber ich hätte gern ein klares, deutliches Zeichen. Soll ich weiterhin auf Raphael warten oder mich doch endgültig Jake zu wenden. Was soll ich nur machen? Ich beginne mit einem goldenen Gelstift feine Verzierungen in den seidigen Stoff einzuarbeiten. Der Glanz passt sich dem zarten Karamellton ihrer Haut an. Ich betrachte das Bild. Shari ist noch immer sauer und wahrscheinlich wird sie das auch noch eine ganze Zeit lang sein. Ich kann es ihr nicht verübeln. Am liebsten würde ich mir von ihr Rat und Beistand holen. Doch ich muss ihr die Zeit geben um sich zu beruhigen. Ich lehne mich zurück, sehe auf das fast fertig kolorierte Bild meiner schönen Freundin. Wieder ist es ein unerwartetes abendliches Klingeln, welches mich aus meinen Gedanken reißt. Ich schiebe die Stifte weiter auf den Tisch um zu verhindern, dass sie irgendwann runterkullern und gehe zur Tür. Es ist Jake, der mit bereits gelockerten Arbeitsklamotten geschafft vor der Tür steht. Seine braunen Augen sehen mich liebevoll an. „Jake!", sage ich verwundert und bin wirklich perplex. Nach seiner Absage vorhin habe ich in keiner Weise mehr mit ihm gerechnet. Er beugt sich zu mir runter. Unsere Lippen berühren sich zu einem hingehauchten Kuss. „Ich dachte, du hast zu tun?", frage ich noch immer überrascht „Der erste Termin ist morgen eine mehrstündige Fahrt entfernt. Da ist egal, ob ich sie von hier oder vom Hotel ausmache. Außerdem kann ich doch nicht zulassen, dass du vor lauter Einsamkeit dein freches und wunderbares Mundwerk verlierst", kommentiert er seine Anwesenheit. Anscheinend müssen meine Kommentare von vorhin wirklich alarmierend gewesen sein. Ich bin ein schlechterer Schauspieler als ich dachte. In mir regt sich das schlechte Gewissen, weil die Beweggründe für mein depressives Verhalten breiter gefächert sind, als ich Jake berichtet habe. Er stellt seine Tasche ab und zieht seine Schuhe aus. Er kommt auf mich zu und ich erwidere den sanften, langen Kuss, der meine Lippen trifft. Meine Gefühle sind gespalten. Ich freue mich darüber, dass Jake hier ist und meiner Bitte gefolgt ist. Ist das mein Zeichen? „Und ich freue mich, dich noch mal zu sehen", sagt er hinterher. Ein weiterer Kuss und ich halte meine Augen einen Moment geschlossen, eher ich ihn in die Küche führe und Wasser aufsetze. Jake stellt sich hinter mich und legt mir seine Arme um den Bauch. Ich spüre seinen warmen Atem, der meinen Hals streift und schmiege mich in die wohltuende Umarmung. Seine weichen Lippen betten sich auf meine Haut. „So ruhig. So kenne ich dich gar nicht. Was ist los?" Ein weiterer Kuss trifft meinen Nacken, einer anderer legt sich unterhalb meines Ohres. Ein leichter Atemhauch streift mein Ohrläppchen. „Auch Clowns haben mal einen schlechten Tag", erkläre ich ermattet und schließe meine Augen, als sich seine Lippen gegen meine Schläfe drücken und dort verharren. Ich schwelge in der Wärme, die mir entgegen strömt. Doch in dem Moment, in dem ich meine Augen schließe, wünsche ich mir Raphael an meine Seite. Wird dieses Gefühl jemals verschwinden? Ich bin ein schlechter Mensch. Ich drehe mich in der Umarmung um und sehe ihn an. Jake ist nur wenig größer als ich, dennoch muss ich hochblicken. Seine warmen, braunen Augen sind voller Sorge. Das schlechte Gefühl in mir wird immer schmerzvoller. Ich frage mich, was er in diesem Moment denkt. Wie würde er reagieren, wenn ich ihm die Sache mit Raphael beichte? Würde er es verstehen? Würde er sich von mir abwenden? Ich habe ihn belogen. Mehr als einmal. Muss er wirklich von Raphael erfahren? Ich schaue auf die Falten seines Hemdes. Sie durchbrechen das feine Linienmuster. Mein Puls geht nach oben und ich atme kurz durch. „Rede mit mir, Mark?" Ich habe seine gesamte Aufmerksamkeit und ich verspüre Panik. „Was ist das für eine Beziehung, die wir haben? Ist es überhaupt eine?", frage ich leise und schaffe es nicht ihn anzusehen. Mit jeder Sekunde, die er nichts sagt, wird mein Puls heftiger. Bevor er Antworten kann, klingelt es an der Tür. Ich sehe verwundert zur Seite, blicke danach in die ebenso fragenden, braunen Augen des anderen Mannes. Ich rege mich nicht und hoffe, dass derjenige einfach wieder geht. Doch es klingelt erneut, diesmal eindringlich und lange. Ich winde mich aus Jakes Griff und hoffe, dass es nur ein verirrter Nachbar ist. Doch dem ist nicht so. Als ich die Tür öffne, steht Raphael davor. Er lehnt sich mit seinem Ellenbogen gegen den Türrahmen und sieht mich an. Mit ihm habe ich genauso wenig gerechnet, wie mit Jake eben. „Können wir bitte reden?", erkundigt er sich bittend und leise. „Schlechter Zeitpunkt", flüstere ich ihm knapp zu. „Mark, bitte." Ein weiterer Versuch. Ich bin mit der Situation überfordert. Raphaels Hand legt sich gegen die Tür und er versucht sie aufzudrücken. Unwillkürlich halte ich dagegen. Ich sehe von ihm in den Flur und kann nicht verhindern, dass ich danach zur Küche schaue. „Du bist nicht allein!" kommentiert Raphael mein Zögern und meine Reaktion. Anstatt sich zurückzuziehen, richtet er sich auf, um so problemlos über mich rüber zu schauen. Er linst in meinen dunklen Flur und ich stelle mich ihm weiter in den Weg. In Raphaels Blick schwimmt etwas, dass ich so intensiv noch nie bei ihm gesehen habe. „Ich bin kein Eremit", sage ich säuerlich und ziehe ihn am Kragen runter. Raphael blickt mich kurz irritiert an und versucht dann wieder forschend in meine Wohnung zu sehen. Ich halte ihn unten. „Ist Shari bei dir?" Ein unbekanntes Funkeln. Es lässt das Grün seiner Augen leuchten. „Nein, und es braucht dich nicht zu interessieren!" Wir funkeln uns gegenseitig an. „Warum bist du hier?", erfrage ich. „Wir wollten reden", sagt er lapidar und ich sehe ihn verwundert an. „Wann habe ich zu gestimmt, dass wir reden?" „Heute Morgen, ich habe gesagt, wir reden später und jetzt ist später." „Ja, Raphael, aber jetzt ist zu spät. Ich habe gesagt, du sollst gehen", sage ich diesmal energisch. Ich mache wieder Anstalten die Tür zu schließen, doch Raphael drückt sie mit der Hand auf. In diesem Moment kommt auch Jake aus der Küche und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge. Ich habe das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die beiden Männer sehen sich an und erkennen sich sofort. Sie kennen sich bereits länger und soweit ich mitbekommen habe, sind sie nicht gut aufeinander zu sprechen. „Raphael? Was willst du hier?", fragt Jake verwundert, als er ihn im Türrahmen stehen sieht. „Er will wieder gehen. Gute Nacht, Raphael", sage ich und sehe den Freund meiner Schwester eindringlich an. Doch dieser rührt sich nicht. Mittlerweile steht Jake direkt hinter mir. „Ausgerechnet du!", knurrt Raphael leise. Es sind nur diese zwei Worte und doch scheint es, dass sich mit einem Mal zwischen beiden alles klärt. Nur für mich nicht. Raphael weiß um meine Verbindung zu dem anderen Mann und Jake wurde die Bedeutung Raphaels klar, als ich ein weiteres Mal energisch versuche, ihn raus zu bugsieren. „Bitte, gehe jetzt", versuche ich es ein letztes Mal. Ich drücke Raphael an der Brust ein wenig nach draußen. In diesem Moment löst sich die schmale Silberkette aus seinem T-Shirt. Jake sieht sie und es braucht nicht lange bis er sie erkennt. Ich spüre prompt Jakes Reaktion hinter mir, als ihm die Bedeutung immer deutlicher wird. Er greift mir an den Arm und zieht mich zurück. Fest und unnachgiebig. „Du bist wegen ihm so seltsam drauf, oder?" Mir läuft es eiskalt den Rücken hinab, als ich die Worte höre. Anscheinend versteht er sofort, was hier vor sich geht. Ich wende mich zu ihm um. In Jakes Blick schwimmt Ungläubigkeit und Wut. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Mein Mund klappt auf, aber kein Geräusch entflieht meinen Lippen. „Ernsthaft?" Jake interpretiert mein Schweigen als ein Ja. „Bitte erklär es mir, denn meinem Wissen nach geht mit deiner Schwester", sagt er bissig. Jakes Hand gleitet zu meinem Handgelenk und er zieht mich energisch in den Flur. Von Raphael weg. „Wieso genau ist er hier und was ist das zwischen euch?" Er will eine Erklärung, die ich ihm nicht ohne weiteres geben kann. „Es geht dich nicht das Geringste an, was zwischen uns ist", mischt sich nun Raphael ein und ist damit wenig hilfreich. Er folgt uns in die Wohnung und schließt die Tür. Nun stehen wir zu dritt im dunklen Flur. Jake lässt mich los, drückt mich zur Seite und baut sich vor Raphael auf. Ihre angespannten Körper verströmen ungemein viel Aggressivität. „Solltest du um diese Uhrzeit nicht deine Freundin ins Bett bringen und dir ihre fantastischen Kindergartengeschichten anhören?", knallt Jake Raphael entgegen und ich beiße die Zähne zusammen. Raphaels Augen werden schmaler. Ich kann deutlich sehen, wie es in ihm arbeitet. Er versucht die Kontrolle zu behalten und dafür bin ich ihm dankbar. Eine Eskalation kann keiner gebrauchen. Doch, ich irre mich. „Müsstest du nicht mit dem Kopf in dem Arsch deines Chefs stecken? Kriechen und Graben? Ach, ich vergaß, er hat kein Interesse an alten Männern. Zu wenig Standhaftigkeit", gibt Raphael retour und ich spüre, wie mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. Dass sich die Beiden kennen und anscheinend nicht mögen, wird allmählich erschreckend deutlich. In meinem Kopf beginnt es zu rotieren. „Sagt der zwangskastrierte Schössling einer dummen, blonden Prinzessin? Anscheinend mangelt es dir an vernunftbewusster Entscheidungskraft", sagt Jake bissig und ein fast fieses Grinsen schleicht sich auf seine Lippen. „Sagt der mit einem brisanten Mangel an Überzeugungskraft. Wenigstens muss ich mich nicht durch Gefälligkeiten gegenüber meinem Chef profilieren." „Immerhin habe ich Erfolge vorzuweisen, von denen du in Hundertjahren noch träumst. Meine Arbeit spricht für sich. Du Möchtegerncoach." „Du sitzt in einem stinkenden kleinen Kabuff von Arbeitszimmer und lässt dich für einen Hungerlohn durch die halbe Welt jagen. Folgsam und hörig, aber man erwartet nichts anderes vom Schoßhündchen des Chefs. Nur zu schade, dass er langsam kein Interesse mehr an dir hat. Wer weiß, wo du dich noch hättest hin schlafen können. In ein Zimmer mit Fenster vielleicht", antwortet Raphael bissig und auch Jakes Augen werden zu schmalen Schlitzen. Mit jedem Schlagabtausch scheinen sie sich minimal näher zu kommen. Ich bin noch völlig erstarrt. Schoßhündchen? Möchtegerncoach? Ich habe nicht geahnt, dass die beiden sich so sehr hassen. „Kann ja nicht jeder so einen nutzlosen Freiluftjob haben, wie du, Raphael!" Das ist nicht zum Aushalten. „Jetzt hört auf!" Ich versuche dazwischen zu gehen, doch sie ignorieren mich. Sie bewegen sich keinen Millimeter auseinander. Dennoch legt sich Raphaels Hand sachte an meiner Brust und er schiebt mich weg. Fast als würde er mich aus der Schussbahn nehmen. „Würde sich Marika nicht ab und an dazu erbarmt, dich mal wieder an ihren Leben teilhaben zu lassen, würdest du doch in deinem Bürokabuff versauern", zischt ihn Raphael direkt an. „Halt meine Cousine da raus, sonst...", kommt es drohend von Jake. Seine Hand stößt gegen Raphaels Brust. „Sonst, was?", erwidert Raphael fordernd. Nun stehen sie sich mit nur wenigen Zentimetern Entfernung gegenüber und ich habe das Gefühl, im völlig falschen Film zu sein. Der gesamte Raum ist voller Anspannung und Aggressivität. Es fehlt nur noch, dass sie aufeinander einschlagen. Ich kriege nun doch Angst. „Stopp, das reicht", belle ich den beiden laut und warnend entgegen. Ich schiebe mich zwischen die aufgebrachten Körper. Hitze und Anspannung treffen mich von allen Seiten. Ich bekomme Gänsehaut und diesmal ist es keine Gute. „Kommt wieder runter. Ihr benehmt euch, wie streitende 5-Jährige im Bällchenparadies." Ich schiebe sie sachte auseinander und bin mir bewusst, dass ich nichts ausrichten könnte, wenn sie beginnen würden sich zu prügeln. Zudem ist mein Humor schrecklich unangebracht. Ich sehe kurz zu Raphael. Sein Kiefer ist angespannt. Es ist mehr als Wut in seinem Blick. Jake wendet sich zu mir, doch ich merke, wie Raphaels Blick ihn weiter zu durchbohren scheint. „Ernsthaft Mark, was willst du mit diesem Heuchler?" Jake wartet auf eine Erklärung und ich weiß nicht, wo ich ansetzen soll. „Hör zu, es ist nicht so einfach zu erklären.", setze ich an und werde direkt wieder unterbrochen. „Doch, das ist es. Schläfst du auch mit ihm?", fährt mich Jake an. „Nein." Es ist nicht gelogen, denn wirklich miteinander geschlafen, haben wir nicht. „Aber trotzdem wolltest du mich wegen ihm gerade abservieren?" Jake ist zu Recht aufgebracht. „Ich wollte dich nicht abservieren", gebe ich kleinlaut von mir und fahre mir nervös über das Gesicht. Das genaue Gegenteil war der Fall, doch das kann ich in diesem Moment nicht sagen. Ich fühle pure Verzweiflung. „Wieso dann die Frage nach unserem Beziehungsstatus?" „Bitte geh, Raphael. Geh!", sage ich auffordernd. Ich drehe mich zu Raphael und erschrecke vor den Emotionen in seinen Augen, die nicht allein an Jake gerichtet sind. „Nein, schon gut, ich werde gehen", sagt Jake stattdessen, greift nach seiner Jacke, den Schuhen und seiner Tasche. Er verschwindet durch die Tür. Ich schiebe Raphael zur Seite und folge ihm. „Jake, warte." Ich halte ihn im Flur zurück. Er dreht sich abrupt um und ich pralle fast gegen ihn. „Du solltest beim nächsten Mal besser aufpassen, wen du alles einlädst." „So war das nicht." „Spar es dir, ich sag dir nur eins. Er ist die falsche Entscheidung." Mit diesen Worten, lässt Jake mich stehen und rauscht davon. Einen Moment sehe ich ihm nach. Das kann doch alles nicht wahr sein. Auch wenn die Gewissheit in mir kitzelt, dass die Wahrscheinlichkeit groß war, dass das irgendwann passiert, erschlägt sie mich. Warum gerade jetzt? Ich gehe zurück in die Wohnung und schließe die Tür hinter mir. Ich seufze und lehne meine Stirn gegen das harte Holz. Meine Augen sind geschlossen. Ich versuche mich zu sammeln und drehe ich mich um. Raphael steht in unveränderter Position im Flur. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, doch er blickt zu Boden. Sein Verhalten macht mich wütend. Alles an der Situation macht mich wütend. „Ich finde es zum Kotzen, dass du einfach hier auftauchst und alles niederreißt. Du trennst dich nicht von ihr, also hast du dich de facto für meine Schwester entschieden. Steh doch einfach dazu", sage ich aufgebracht. Ich stoße ihn mit dem Rücken gegen die Wand. Raphael antwortet nicht, regt sich nicht und sieht mich nicht mal an. Das regt mich nur noch mehr auf. Ein Moment sehe ich dabei zu, wie sich sein Kiefer anspannt und wie seine Zähne knirschend übereinander gleiten. „Mach gefälligst den Mund auf! Rede mit mir, verdammt. Jake hattest du doch gerade auch mächtig viel zu sagen" Ich stoße ihm ein weiteres Mal gegen die Brust. Sein Rücken liegt bereits an der Wand, somit zuckt sein Körper nur jedes Mal, wenn ich ihn treffe. Seine Passivität bringt mich zum Kochen, denn nach dem Streit mit Jake, weiß ich, dass er sehr wohl anders kann. „Warum machst du das mit mir? Macht es dir Spaß mich immer wieder zu reizen, um mich im nächsten Moment mit ansehen zu lassen, wie du meine Schwester fi..." Ich spreche es nicht aus, weil Raphaels Hände meine Handgelenke zu fassen bekommen. „Warum er! Warum musst du mit ihm ins Bett gehen?", schreit er mich an und tauscht unsere Positionen. Er drückt mich heftig gegen die Wand. Ich halte vor Schreck die Luft an. Er packt mein Kinn und neigt meinen Kopf zur Seite. Ich schließe die Augen als ich Raphaels Lippen an meinem Hals spüre. Es folgt ein Biss. Ich zucke, als sich der Schmerz durch meinen Körper arbeitet. Sein Griff an meinem Kinn lässt erst nach als sich ein definitives Mal auf meiner Haut abbildet. Direkt über dem alten. Es ist so lächerlich. So kindisch. So falsch. Ich schnaufe verächtlich und greife neben mir zur Klinge der Haustür. Der leichte Luftzug, der hindurchdringt, als ich die Tür einen Spalt öffne, ist erfrischend und saugt Teile der angespannten Atmosphäre heraus, aber nichts der Emotionen. Raphael versteht, was ich ihm damit sagen will. Ich merke, wie sich sein Körper anspannt und dann spüre ich, wie er ebenfalls die Hand ausstreckt und die Tür schließt. Seine Hand legt sich auf meine. Sein Körper presst mich dichter gegen die Wand. Seine Fingerspitzen streicheln meine Wange. Die Hand, die meine an der Türklinke umfasst, zieht sie in einen sanften Griff. Er verschränkt seine Finger mit meinen und führt die Hand neben meinen Kopf gegen die Wand. Ich schaffe es nicht, ihn anzusehen und halte meinen Blick gesenkt. Die Vene an seinem Hals pulsiert. Sein Adamsapfel hüpft schwer und angestrengt. Ich höre die Schwere seines Atems und bilde mir ein, dass sich langsam, aber sicher sein rasender Puls auf mich überträgt. Seine Hand streicht über meine Wange bis seine Fingerspitzen mein Ohr berühren. „Es tut mir alles so leid. Bitte, schick mich nicht weg", flüstert er mit zitternder Stimme. Ich sehe auf. Seine schönen grünen Augen sind voller Schmerz und Reue. Ein feuchtes Schimmern von Tränen. Ich starre auf eine durchsichtige Spur, die sich über seine Wange zieht. „Schick mich jetzt nicht weg." Kapitel 13: Ein Mann im Bällchenparadies ---------------------------------------- Kapitel 13 Ein Mann im Bällchenparadies Ich spüre, wie sie sich seine Hand auf meine Brust legt. Direkt über meinem Herzen. Ich fühle die Hitze, die von ihm aus geht, trotz des Stoffs, der zwischen uns liegt. Raphaels Blick haftet sich auf die Stelle unserer Berührung. Der Druck wird etwas stärker, so als würde er deutlicher spüren wollen, ob mein Herz im selben Takt schlägt, wie seins. Das macht es. Es rast. Es vibriert und rennt. Nur für ihn und genau das will er wissen. Seine Tränen berühren mich tief. „Ich wollte dir nicht wehtun. Wirklich... Ich fühle mich mit allem so schrecklich überfordert." Ich lasse ihn reden, spüre, wie sich seine Hand fester in den Stoff krallt und der Pullover damit höher rutscht, so dass er meinen Bauch freilegt. Kühle Luft trifft meine Hüfte und ich merke, wie sich die feinen Härchen überall an meinem Körper aufrichten. Dennoch lausche ich nur seinen Worten. „Damals. Dein Lächeln, ich musste immer daran denken, aber du ...du warst in einer ganz anderen Welt, weißt du. Wir hatten nichts miteinander zu tun, außer, dass wir auf die gleiche Schule gingen. Mark, ich dachte damals, dass es wieder weggehen würde und als ich plötzlich doch in deiner Welt war, da wusste ich einfach nicht mehr, was ich machen soll. Und dann sah ich den Kuss und ich wusste, dass du... Es wurde immer schlimmer, weil ich hin und hergerissen war." Ein kurzes verzweifeltes Lachen perlt über seinen Lippen und er schüttelt seinen Kopf. Ich weiß nicht, was es ausdrückt. „Ich dachte, wenn ich Abstand zu dir bekomme, dann würden die Gefühle wieder weniger werden, vielleicht aufhören und ich kann das mit Maya irgendwie hindrehen. Aber jedes Mal, wenn ich sie ansehe, dann...dann denke ich an dich und in Kalifornien gab es keinen Tag, an dem ich nicht bei dir sein wollte. Ich kriege dich nicht aus meinem Kopf, Mark. Egal, was ich versuche. Egal, wie sehr ich es mir zu erklären versuche. Der Gedanke an dich ist immer da." Ich schließe meine Augen um der Intensität seiner Worte zu entkommen. Es funktioniert nicht. Ich spüre die Wärme seines Körpers, die durch meine Kleidung bis in mein Innerstes dringt. Seine Hand brennt sich kribbelnd in meinen Körper. Sein Kopf kommt auf meiner Schulter zum Liegen. „Als du nicht auf meine Briefe geantwortet hast, da... Ich...ich habe so oft mit deiner Mutter telefoniert, damit ich nach dir fragen konnte. Was du machst? Wo du bist? Wie es dir geht? Maya spricht nicht über dich. Nicht so." Der letzte Teil ist nur ein bedauerndes Flüstern. Die Hand an meiner Brust ist unnachgiebig. Ich merke die Reibung auf meiner Haut. Es brennt. Er hält mich fest. Eine kurze Pause, dann setzt er fort. „Weißt du, ich mag deine Mum. Sie ist aufmerksam und freundlich. Sie behandelt mich gut. Sie fragt mich immer, wie es mir geht... Aber jedes Mal, wenn sie das macht, möchte ich ihr antworten, dass es mir schlecht geht, weil ich mit dem falschen ihrer Kinder zusammen bin." Ich brauche einen Moment bis ich wirklich verstehe, was er gerade gesagt hat. Maya ist die Falsche. Nicht die Richtige. Ich bin es. Mein Herz rast. „Bitte versteh doch, ich wusste einfach nicht mehr weiter. Auf meine Briefe hast du nicht geantwortet und als deine Mutter erzählte du seist ausgezogen, da dachte ich, du hattest deine Drohung wahrgemacht und wärst an eine andere Uni gegangen." Seine Stimme ist nur ein Flüstern und trotzdem ist er seltsam atemlos. Fast unbewusst gleitet meine Hand an seine Schulter, schenkt ihm diese beruhigende Geste. Raphael sieht auf und ich sehe ihn an. Eine weitere, feuchte Spur an seiner Wange. Ich folge ihr zum Ursprung und versinke in dem wunderschönen Grün. Mein Puls beschleunigt sich und meine Gegenwehr schmilzt mit jedem seine verzweifelten Worte mehr. Meine Mutter hat mir nie erzählt, dass sie viel mit Raphael gesprochen hat. Nichts erwähnt. Nur die allgemeinen Grußaufträge. „Ich wollte dich so gern sehen...", haucht er mir entgegen und sofort tanzt mein gesamter Körper Tango. Prickelnd und intensiv. Ich habe das Gefühl, dass selbst meine Ohrläppchen elektrisiert kitzeln. Die Worte hallen ungläubig durch meinen Kopf bis sich seine Lippen auf meinen Mund legen. Sanft und zart, doch ebenso spüre ich die gesamte Verzweiflung, die sich in ihm angesammelt hat. Nun liegen beide Hände an meinen Wangen. Seine Daumen streichen über meine Haut, während seine Lippen meine liebkosen. Zärtlich umschließen sie meine Unterlippe, küssen gleich darauf die Obere, um dann erneut das zarte Fleisch beider zu genießen. Sehnsüchtige Süße erblüht und legt sich auf meine Geschmacksknospen, wie ein Schauer voller witzig kleiner Feuerwerke. Spritzig. Prickelnd. Es lässt mich erzittern und selben Augenblick endlich nach Hause kommen. Ich fühle seine Hand langsam durch meine Haare streichen. Es sind nur seine Fingerspitzen, die meine Haut berühren und doch spüre ich all die Sehnsucht, die in dieser Berührung ruht. Mein Herzschlag wird flatternd und habe das Gefühl das mein Körper vibriert. Ich lege meine Hand an seinen Hals, ziehe ihn unbewusst dichter an mich. Seine warme Haut unter meinen Fingern fühlt sich wundervoll an. Sie wird von Sekunde zu Sekunde immer heißer. Meine Hand in seinem Nacken streift das Metall der feinen Kettenglieder. Ich denke an die eingravierten Zahlen. 5 Jahren. Ein Moment der Ernüchterung breitet sich in mir aus, der mich erneut schwer Schlucken lässt. All die Zeit. Die jahrelange Sehnsucht und der Verzicht. Er haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Die Berührung. Nicht gierig. Nicht verlangend. Sondern dankend und bittend. Er löst den Kuss und ich weiche unbewusst seinem intensiven Blick aus, in dem ich meinen Kopf leicht zur Seite neige. Seine Finger streicheln sich über meinem Kinn und verweilen. Sie zwingen mich nicht, aber sie führen, so dass ich meinen Kopf wieder hebe. Sanftes Grün blickt mir entgegen, welches in diesem Moment so unendlich viele Emotionen ausdrückt. Ich tauche ganz tief hinein. Wieder ein sanfter kurzer Kuss. Nur ein Hauch und dann geht er vor mir auf die Knie. Seine linke Hand greift in den Ärmel meines Pullovers, findet meine kühlen Finger und wärmt sie. Die Rechte kommt auf meiner Brust zu liegen und bettet sich flach dagegen. So, als könnte er einzig so erfahren, ob es eine Chance gibt, dass mein Herz noch für ihn schlägt. Ich sehe dabei zu, wie sich seine Wange gegen meinen Bauch schmiegt. „Bitte, verzeih mir." Seine Worte sind nur ein Flüstern, doch ich verstehe sie. Auch meine Augen schließen sich und ich lehne mich ermattet zurück. Ich spüre, wie sich seine Hand gegen den Schlag meines Herzens schmiegt. Nichts ist zu hören. Nur unsere wildschlagenden Herzen. Ich blicke auf den knienden Mann hinunter. In mir nagen der Zweifel und die beißende Angst vor weiteren Enttäuschungen. Doch, wie soll ich den Mann, den ich schon so schon lange in meinem Herzen trage, abweisen? „Ich bringe alles durcheinander, oder?", sagt er leise und ebenso ermattet. Ich nicke, wohlwissend, dass er es gar nicht wahrnehmen kann. Ich strecke meine Hand nach ihm aus und streiche ihm eine der wirren Strähnen von der Stirn. Auf seiner Wange spüre ich feine Bartstoppeln, die sich langsam durch seine Haut drücken. Ich liebe das Gefühl und finde das ihm der Bart ausgesprochen gutsteht. Das will ich ihm sagen doch ich schweige. Als ich daran zurückdenke, bildet sich trotzdem ein feines Lächeln auf meinen Lippen. Raphael richtet sich wieder auf. Seine Hand schmiegt sich an meine Wangen und ich lächele weiterhin. Ja, selbst in so einer Situation lässt er mich lächeln. Seine Augen durchdringen mich. Ich spüre, wie es sich Millimeter um Millimeter durch meinen Körper arbeitet und diesmal halte ihnen stand. Ich will, dass er mich sieht. Nach einer Weile lehnt Raphael seinen Kopf gegen mein Schlüsselbein. „Ich bin kein Spielzeug", wispere ich in die Stille hinein und obwohl meine Stimme ruhig und bedacht ist, merke ich wie ernst es mir ist. „Ich weiß, ...", antwortet er. „Dann spiel nicht mehr mit mir." In diesen Worten liegt der ganze Schmerz, der im Grunde seit unserem ersten Treffen durch meinen Körper fließt. Die Jahre der stillen Begierde, in denen ich ihn nur als Fantasie wähnte. Doch vor allem ist es der Schmerz vergangener Monate. Seine plötzliche Nähe, in der er mir dennoch so unendlich fern war. Der Griff an meiner Hand wird fester. „Keine Spielchen mehr. Ich bin kein guter Verlierer", sagt er und seine Hand gleitet zu meinem Hals, dann in meinen Nacken. Seine Haut ist warm und sein Griff ist fest. Sein Daumen streicht über meinen Haaransatz, fährt meinen Hals entlang und bleibt über der pochenden Vene stehen. „Verlierer?", wiederhole ich leise und frage mich, ob er dabei an Jake denkt. „Ein 5-Jähriger im Bällchenparadies", kommentiere ich, mit dem vorigen Vergleich. Seine Stimme ist übertrieben heiter. Er ist also nicht sauer und dennoch ist es schrecklich unpassend, genauso wie vorhin. Seine grünen Augen beginnen zu schimmern und ein feines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Raphael erwidert es liebevoll. Er führt mich zu sich und erneut treffen unsere Lippen aufeinander. Ein herbes Kitzeln. Mein Verlangen wächst mit jeder weiteren Berührung. Ich unterbreche den Kuss und beiße mir auf die Unterlippe. Ich darf mich nicht verlieren. Ein durchdringendes Geräusch erfüllt den Raum. Ich starre auf die Stelle, von der das Geräusch kommt. Raphaels Hosentasche. Am Klingelton erkenne ich, dass es Maya ist. Ein Zittern erfasst mich und ich drücke mich augenblicklich von ihm weg. Es ist mitten in der Nacht und sie ruft ihn an. Es ist, als würde der Handyton jegliches positive Gefühl aus mir wischen. Raphaels Brust hebt und senkt sich unruhig. Seine Hand greift zu dem singenden Gerät an seiner Hose und ich fasse nach ihr, halte sie fest. „Geh nicht ran", knurre ich ihm ernüchtert entgegen. Immer dasselbe. Es wird sich nichts ändern. Er löst seine rechte Hand aus meinem Griff. Ohne weiteres. Ich zucke merklich vor Enttäuschung zusammen und schließe meine Augen. Erst als seine Hand über meine Wange streicht und sich in meinen Haaren vergräbt, öffne ich meine Lider wieder. Raphael lächelt entschuldigend. Er zieht mich in einen Kuss. Warm. Süß. Das Klingeln endet nicht. Es scheint stetig lauter zu werden. Ein verzweifeltes Seufzen perlt von meinen Lippen und ich löse den Kuss frustriert. Raphaels Blick ruht auf mir. Er beobachtet meine Bewegungen. Mit jedem weiteren Klingeln beginnt meine Hand stärker zu zittern, das merkt nun auch Raphael. Mayas Worte kommen mir in den Sinn. Sie beißen und brennen sich durch meine Gehirnwindungen. Maya hat meine Bilder einfach behalten. Sie hat ihn absichtlich kennengelernt. Raphaels Hände fühlen sich mit einem Mal kalt und falsch an. Ich stehe abrupt auf und flüchte. Vor den Schmerzen in meiner Brust. Vor der unausgesprochenen Entscheidung. In der Küche hält mich sein fester Griff um mein Handgelenk zurück. Raphael zieht mich an sich. Das Geräusch ist nur noch ein weit entferntes Surren. Unwillkürlich sehe ich an ihm vorbei. Er hat das Handy im Flur auf die Kommode gelegt. Ich sehe, wie das leuchtende Display über das helle Holz tanzt und er hat es auf lautlos gestellt. Er ist nicht rangegangen. „Mark,...", raunt er mir entgegen und in seiner Stimme schwimmt dieser seltsame Ausdruck, den er in der letzten Zeit öfter hat. Die Mischung aus Sanftmut und Verlegenheit macht mich noch verrückt. „Kannst du bitte aufhören?", flüstere ich ihm entgegen und löse mich aus seinem Griff. Ich ziehe mich an der Arbeitsplatte hoch und setze mich. Raphael bleibt direkt vor mir stehen. Jedes Mal, wenn er meinen Namen so sagt, spüre ich, wie ich innerlich erzittere. „Womit?", fragt Raphael mich verwundert. „Damit meinen Namen so zusagen", erläutere ich bissiger als er verdient. Er sieht mich fragend an. Das Klingeln hört nicht auf und scheint immer dröhnender zu werden, trotz der Entfernung. Maya ist wirklich verdammt hartnäckig. „Mark." Schon wieder. Ich bekomme Gänsehaut. „Trenn dich von ihr!", fordere ich ihn unvermittelt auf. Seit langem formulieren sich diese Worte in meinem Kopf. Wieder und wieder und wieder. Eine Stimme flüstert sogleich seine typischen Ausreden und Ausflüchte. Es ist zum Verzweifeln. „Schon passiert." „Was?" Ich blicke auf. Im ersten Moment denke ich, dass ich mich verhört habe. Die Aussage klingt für mich wenig glaubwürdig. Raphael sieht mich direkt und verwandt an. Er nickt zur Bestätigung. Ein Kribbeln durchströmt mich. Mein Herz beginnt noch heftiger zu pulsieren. Es hallt in meine Fingerspitze und in meine Zehen wider. Seine Hände legen sich auf meine Knie und er kommt noch etwas dichter. „Wirklich?", frage ich noch immer skeptisch und erhalte ein weiteres Nicken von Raphael. „Wirklich. Ich habe ihr vorhin erklärt, dass ich schon länger darüber nachdenke und ich mich trenne, weil es nicht das Richtige ist... Sie nicht die Richtige ist. Ich habe ihr auch mitgeteilt, dass ich morgen nicht mit zum Essen komme." Das Kribbeln wird zu einem Flächenbrand, welcher in jeder winzigen Zelle meines Körpers zu explodieren scheint. „Hast... hast du ihr gesagt, warum?" „Natürlich. Ich habe ihr haarklein erzählt, dass ich mich wegen plötzlich entdeckter Neigungen und ihrem Bruder von ihr trenne, falls dieser sich trotz meiner monatelangen Idiotie und Dummheit dazu erbarmt, es mit mir zu versuchen", kommentiert er sarkastisch, aber ruhig und gefasst. Ich weiß einen Moment lang nicht, ob ich beleidigt bin oder einfach nur lachen soll. Ich presse meine Lippen aufeinander. Mein Schweigen hält nicht lange. Ich hauche einen Kuss auf seine Lippen. „Wenn du ihr das so gesagt hättest, würde ich dich jetzt fürstlich belohnen", sage ich neckend und Raphael sieht mich wenig begeistert an. Er wird auch etwas rot, was mich ungeniert schmunzeln lässt. „Das ist nicht witzig." „Überhaupt nicht... wegen monatelanger Idiotie, ja?", wiederhole ich seine Worte giggelnd und blicke in sein beschämtes Gesicht. Sein Kopf kippt gegen mein Schlüsselbein und ich öffne meine Schenkel um ihn somit mehr Platz in meiner Nähe zu bieten. Er nimmt die Gelegenheit sofort wahr. Seine Hand bleibt auf meinem Oberschenkel liegen. In mir bildet sich dieses befriedigende Gefühl der Genugtuung, weil Maya eine rein gewirkt bekommen hat. Auch, wenn es wie im Raphaels Fall nur auf dezente Weise passiert ist. „Anscheinend hat sie noch nicht verstanden, dass es eine Trennung ist. Deshalb bombardiert sie mich mit Nachrichten und ruft sie mich stündlich an und will mit mir reden." „Du hättest ihr ein Bild malen müssen", kommentiere ich bissig. „Das kannst du ja noch tun", erwidert er ebenso bissig. Ich sehe auf den dunklen Haarschopf Raphaels und dann auf das Handy im Flur. Es blinkt munter vor sich hin. Raphael will mich. Ich kriege das Lächeln nicht aus meinem Gesicht. Dass es im Grunde noch immer nicht alles in trockenen Tüchern ist, verdränge ich gerade phänomenal schnell. Die Euphorie ist allumfassend. Strahlend und energiebringend. Ich lasse meine Fingerspitzen sanft durch seine Haare gleiten, streichele erneut kleine Wellen hinein und spüre, wie er mich immer dichter an sich herandrückt. Allein die Tatsache, dass er jetzt hier bei mir ist, keine Anstalten macht zugehen und ich ihn streicheln und anfassen kann, macht mich glückselig. Raphaels Bekundungen sind dezent, aber sie geben mir im Moment all das, was ich brauche. Er hat sich von ihr getrennt. „Bist du dir sicher?", frage ich trotz alledem aus einem dringenden Bedürfnis heraus. Er ist hier, aber ist er es wirklich? „Das bin ich." Ohne Zögern. Mein Herz rammt sich unaufhörlich gegen meinen Brustkorb, weil ich es nur langsam registrieren, dass Raphael sich für mich entschieden hat. Raphael schmiegt sich in meine Halsbeuge ohne noch etwas anderes zu erwidern. Seine Lippen küssen meinen Hals, gleiten in die Kuhle zu meinem Schlüsselbein um sich danach höher zu liebkosen. Kurz vor meinem Ohr endet er. Sein Atmen streichelt mich weiter. Ich schließe meine Augen und genieße seine Nähe, die sich darauf versteht mich in ein wohliges Gedankennichts zu ziehen. Auch jetzt. Mein Atem wird unruhiger und das merkt auch mein Gegenüber. Es muss das Pochen meines Herzens gewesen sein, welches sich auf seinen Körper überträgt. Stetig. Eindeutig. Seine Zunge tippt sanft gegen mein Ohr und ich vernehme ein leises Raunen. Obwohl ich nicht einmal seine Haut berühre, merke ich, wie mein Körper reagiert. In meinen Kopf blitzen Bilder auf. Das Spiel seiner Muskeln. Der Geschmack und das Gefühl seiner Haut auf meinen Lippen. Unbewusst neige ich mein Gesicht zu der Seite seines Kopfes. Meine Nase taucht in sein weiches, wohlduftendes Haar bis er sein Haupt hebt. Unsere Münder trennen nur wenige Millimeter. Ich spüre eine pulsierende Anziehungskraft. Sie zieht mich unaufhörlich dichter an ihn heran. Ein Kuss. Ein weiterer. Er kostet mich so wie ich ihn koste. Das Verlangen ihn tief in mir zu spüren, alle zu schmecken, alles von ihm zu bekommen, kitzelt sich heiß und unnachgiebig durch meinen Körper. Ich keuche leise auf. Ich will ihn. Ich intensiviere den Kuss und belasse es nicht bei der Berührung unserer Lippen. Spielerisch stupse ich mit meiner Zunge gegen seine Oberlippe, streiche über das zarte, warme Fleisch und frohlocke als Raphael auf das Spiel eingeht. Er tippt sich selbst gegen die eben ertastete Stelle und zieht seine Zunge weg, als ich erneut ansetze um eine diese wohltuenden Berührungen zu bekommen. Eine seiner Augenbraue zuckt neckisch nach oben. Dasselbe Spiel noch mal, doch diesmal berühren sich unsere Zungenspitzen. Ein heftiger Sturm durchströmt meine Glieder. Er wird stetig intensiver. Ich ziehe ihn am Kragen seines Pullovers dichter an mich, locke diesmal seine Zunge eindeutig in meinen Mund. Ich bin nicht zimperlich und das lasse ich ihn spüren. Meine Hände gehen auf seinem Oberkörper auf Wanderschaft, während unsere Küsse immer intensiver werden. Der Geschmack seiner Lippen und das wilde Kitzeln, wenn sich unsere Zunge umtanzen, sind atemberaubend. Ich will ihn so sehr. Meine Finger reiben über den rauen Stoff, der ihn bedeckt und beginnen irgendwann von ganz allein daran zu ziehen. Ich will seine Haut spüren. Ich unterbreche den Kuss um Raphael den Pullover über den Kopf zu ziehen. Irgendwann muss er sowieso runter, also können wir das auch jetzt erledigen. Raphael hilft mir dabei und wirft ihn auf den Stuhl neben dem kleinen Esstisch. Ich ziehe ihn direkt wieder dichter zwischen meine Beine. Seine Hände legen sich an meine Hüfte, streichen über den Stoff meiner Jeans und treffen hin und wieder zufällig meine warme Haut. Jedes Mal durchfährt mich ein warmer Schauer, der mich nur noch tiefer in den Erregungszustand treibt. Unwillkürlich keuche ich wohlig auf. Nun fährt seine Hand absichtlich tief unter meinen Pullover, streicht über meinen flachen Bauch bis zu meiner Brust hinauf. Dort ist meine Brustwarze bereits hart und giert nach seiner Berührung. Ich spüre, wie Raphaels Fingerspitze gegen die empfindliche Stelle tippt. Sanft. Hauchzart. Es ist, wie das erforschende Ertasten und Erkunden einer unbekannten Oberfläche. Ich vergesse einen Moment zu atmen und löse damit auch den Kuss. Erst das sanfte Schnappen nach meiner Unterlippe lässt meine Konzentration zurück auf seinen Mund wandern. Ich lasse neckisch meine Zähne über seine dargebotene Lippe reiben. Kein richtiger Biss, bloß ein sehnsüchtiges Knabbern nach mehr. Meine Finger gleiten seinen Oberkörper entlang. Ich spüre jede winzige Welle. Die feine Beuge zwischen seinen beiden Brustmuskeln. Den Übergang zwischen Brust und definierte Bauchmuskeln. Dieser Körper ist ein Paradies. Genüsslich lasse ich meine Fingerspitzen über die feinen Hügel seines Bauches gleiten. Ich spüre, wie er sich etwas von mir entfernt und mir so einen Blick auf seinen perfekten Oberkörper gewehrt. Ich habe ihn schon hunderte Mal gezeichnet und dennoch habe ich weiterhin das brennende Bedürfnis, ihn immer und immer wieder anzustarren. Doch viel stärker ist das Verlangen, ihn zu berühren. Ich lasse meine Finger in den Rand seiner Hose fahren und ziehe ihn somit wieder dichter. Seine Lippen suchen meine. Seine Zunge fordert Aufmerksamkeit, die ich ihm nur zu gern geben. Ein guter, leidenschaftlicher Kuss ist das Beste, was es gibt. Ich möchte nichts anderes mehr tun als ihn küssen. Jeden Morgen. Jeden Mittag. Jeden Abend. Und dann noch einmal vor dem zu Bett gehen. Raphaels Hand streicht in meinen Nacken, während die andere erneut einen Weg unter meinen Pullover sucht. Kurzerhand ziehe ich mir das störende Stück Stoff über den Kopf. Raphaels Blick richtet sich auf meine bebende Brust. Er hat mich schon nackt gesehen, doch diesmal ziert meine Brust kein störender blutunterlaufener Streifen. Seine Finger strecken sich nach mir aus, streicheln über meine blassanmutende Haut. Seine Hand verweilt an meiner Hüfte. Sein Daumen streicht über den oberen Rand meines Beckenknochens. Ein zartes Kitzeln. Es erregt mich nur noch mehr. Wieder stiehlt er sich einen Kuss von meinen gierigen Lippen. Ich will ihn. Ich greife ein weiteres Mal an seine Hose, löse seinen Gürtel und öffne dabei fast automatisch den Knopf seiner Jeans. Sein Kuss wird fahrig. Meine Hand gleitet tiefer hinein. Bei uns beiden. Ich löse den Kuss ganz, lasse meine Lippen über seinen Kiefer wandernd. Küssend, knabbernd. Auch ihm entlocke ich ein tiefes, wohliges Brummen. Ich will ihn keuchen hören. Meine Hand gleitet tiefer und bettet sich über die ausgeprägte Beule seiner Shorts. Ich spüre seine Härte unter meinen Finger. Raphael keucht. Ich kann mir ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Ich küsse mich seinen Hals entlang, verkneife mir ein genüssliches Beißen. Je tiefer ich komme, umso schwerer wird es für mich. An seinem Schlüsselbein steigert sich mein Küssen und Lecken in ein sanftes Knabbern. Mit zwei Fingern gleite ich an den Seiten seiner Erregung entlang. Es reicht mir nicht, also lasse ich den Stoff hinter mir und tauche in seine Unterhose ein. Die Hitze, die mir entgegenschlägt, jagt wohlige Schauer durch meinen Körper. Meine Finger umschließen seine bettelnde Erregung. Er zieht scharf die Luft ein und die Sehnen an seinem Hals spannen sich an. Ich küsse die Stelle erneut und kann nicht verhindern, dass ich doch sanft zu beiße. Genauso, wie Raphael es vorhin getan hat. Er zieht mich dichter und ich umfasse ihn fester. Ein feines Zittern erschüttert seinen Körper und das leise Keuchen wandelt sich in ein herbes Stöhnen. Erneut finden seine Lippen meine. Meine Zurückhaltung verabschiedet sich komplett und das nicht erst eben. Ich lasse meine Hand langsam auf und abgleiten, pumpe ihn genießerisch. Das Gefühl ihn diesmal mit halbwegs klarem Verstand zu spüren, ist erregend und unglaublich gut. Ich spüre, wie sich sein Becken nach vorn drückt. Er genießt es. Er will es. Genauso, wie ich. Die Bewegung seiner Brust wird schneller. Gestern bin ich nicht zum Zug gekommen und das will ich nun ändern. Ich öffne meine eigene Hose, schiebe den Reißverschluss runter und merke prompt, wie sich der Stoff des Verbandes darin verfängt. Das Reißen von Stoff ist zu hören und Raphael blickt auf. Ich sehe auf und erkenne deutlich, wie er schluckt und schweratmend seinen Blick senkt. Auch meine Erregung zeichnet sich offensichtlich unter dem Stoff meiner Hose ab. Ich ziehe ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Diesmal wickele ich zusätzlich meine Beine um seine Hüfte. Ich drücke ihn mehrere Male stoßend gegen mich. Ich zeige ihm damit, was ich will. Raphaels Finger an meinem Arm verkrampfen sich. Ich sehe klare Erregung in seinem Blick, aber ebenso viel Unsicherheit. Raphael deutet ein Kopfschütteln an. Minimal. Ich drücke ihn fester gegen mein Becken. Er keucht hilflos. In meinen Ohren beginnt es zu rauschen. Mein Blut pumpt sich heiß durch meinen Körper. Ich sehe ihn absichtlich nicht an, sondern versuche mich darauf zu konzentrieren, meinen Körper unter Kontrolle zu bringen. Ich will ihn so sehr. Ich will ihn spüren. Ich will ihn an mich binden. Mit allem, was ich ihm geben kann. „Was würdest du tun, wenn ich jetzt sofort mit dir schlafen will?", frage ich mit lustgetränkter Stimme und schwer atmend. Ich muss es einfach wissen. Ich sehe, wie sich sein Kiefer für einen Augenblick anspannt. Auch, wenn er es nicht allzu offensichtlich macht. Seine Hand streckt sich nach mir aus. Sie streicht hauchzart und irgendwie zurückhaltend über meine Wange. „Ich würde dich darum bitten, dass wir es langsam angehen." Ein ehrliches Flüstern. Ich verstehe es und bin zu gleich ernüchtert. Er beginnt mit den Fingern durch meine Haare zu streichen. Ich entziehe mich seiner Berührung. Obwohl es keine Ablehnung ist, spüre ich tiefe Verunsicherung. Für ihn ist es alles neu und fremd, sage ich mir wieder und wieder. Doch eine Stimme in mir schreit danach, dass ich es nur dann wirklich glaube, wenn er auch diesen Schritt getan hat. Ich weiche seinem Blick aus. Vielleicht hat er Recht. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, nicht der richtige Moment. Ich verstehe was er meint, aber die Unsicherheit, die sich in mir ausbreitet, überschattet jegliche Vernunft. Raphael legt seine Hand an meinen Arm. Er sucht noch immer den Körperkontakt, doch das ist im Moment das, was ich am Wenigsten gebrauchen kann. Ich löse mich aus dem Griff, rutsche von der Arbeitsplatte runter, greife nach meinem am bodenliegenden Pullover und ziehe ihn mir ohne zu zögern über. Der Druck in meinen Lenden ist unerträglich. Den gestrigen Überfall auf Raphael habe ich auch nur deshalb überstanden, weil ich zu betrunken war, um selbst zu merken, wie sehr das meinen Körper in Fahrt gebracht hat. Doch jetzt pulsiert die Erregung in mir, wie ein unaufhörliches Beben. „Bitte, geh nicht...", höre ich ihn sagen. Er denkt, dass er etwas falsch gemacht hat und ich bin im Moment zu empfindlich, um es zu verneinen. „Ich hätte gern einen Flug zum Pluto", kommentiere ich ausweichend witzelnd. Meine Aussage ergibt wenig Sinn. An der Tür wende ich mich zu Raphael um. Sein Blick ist unerträglich. Reue. Angst und noch ein Hauch der Erregung. Ich seufze leicht. Er ist so verdammt sexy. Selbst mit diesem Gesichtsausdruck. Ich schließe ermattet meine Augen. „Willst du, dass ich gehe?", fragt er nun direkt und ich zucke erschrocken zusammen. „Nein", sage ich energisch und atme tief ein. Danach direkt lange und ausgiebig aus. Ich streiche mir durch die Haare. „Aber wir sollten etwas schlafen. Das Bett ist neben an. Ich gehe nur gerade..." Kurz deute ich auf meine untere Körperhälfte und dann zum Bad. Ich kann nicht verhindern, dass ich etwas anklagend klinge, aber dennoch sehe, wie die Anspannung von Raphaels Schultern fällt. Ich bin selbst schuld. Ich hatte mir denken können, dass er zu so einem Schritt nicht bereit ist. Wie sollte er auch. Ich muss seine Bitte akzeptiert. Auch wenn es mir gerade jetzt unfassbar schwerfällt. Ich schleiche ins Bad, stelle mich für 5 Minuten unter die kalte Dusche. Ich atme tief durch. Der Gedanke, dass Raphael im Nebenzimmer wartet, ist schön und beängstigend zu gleich. Ich gehöre zu der sehr körperlichen Sorte und ich muss mir eingestehen, dass Sex einen hohen Stellenwert für mich einnimmt. Ich will und kann nicht darauf verzichten. Raphael jedoch. Er hatte eine Beziehung ohne Sex und ich Sex ohne Beziehungen. Da sind Probleme vorprogrammiert. Außerdem hat Raphael keinerlei Erfahrungen mit Männern. Ich weiß nicht mal, wie viel sexuelle Erfahrung er überhaupt mitbringt. Ich schüttle den Gedanken fort. Wie ihm mein Verhalten wohl vorkommen muss. Als würde sich durch Sex bei mir alles klären. Langsam wird mir deutlich, wie lächerlich ich mich ihm gegenüber verhalte. Wie ein Teenager, der nichts anderes will, als ihn zu bespringen. Und der Teenager in meinem Kopf will gerade wirklich nichts anderes und zeigt es mir deutlich durch meinen noch immer hochgradig nervenden Ständer. Als ich das Bad verlasse und ins Schlafzimmer komme, sitzt Raphael noch auf dem Bett. Ich schlucke und mein Blick schweift unwillkürlich zur Couch. Er bemerkt es. „Sei nicht albern." Raphael streckt seine Hand nach mir aus, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich zögere, gehe dann aber auf ihn zu. Er macht mich nervös. Er sitzt mit nacktem Oberkörper vor mir. Die Silberkette um seinen Hals. Ich sehe dabei zu, wie sich seine Muskeln anspannen. Seine Beine sind durch einen Zipfel der Bettdecke verdeckt und ich sehe seine langen schönen Beine. Ich spüre, wie mit jeder Minute mein Herz heftiger schlägt. „Es tut mir leid, Mark." Seine Hand greift nach meiner. Raphael zieht mich zu sich aufs Bett. „Ich habe dich mit meiner Bitte verunsichert." „Etwas“, erwidere ich vollkommen untertrieben. „Ich gehe nicht weg...und ich entscheide mich nicht um. Das Verspreche ich dir. Wirklich! Gib mir mit alldem nur ein wenig Zeit. Das ist alles neu für mich." Die Zärtlichkeit in diesen Worten beeindruckt und berührt mich. Sie geben mir das, was ich schon so lange ersehne und dennoch lösen sie in mir auch andere Gefühle aus. Obwohl wir uns jetzt so nah sind, haben wir noch einen weiten Weg. Ich spüre es. Ich bin am Morgen als Erster wach, obwohl ich am Abend lange gebraucht habe, um einzuschlafen. In meinem Kopf hatte sich eine Grundsatzdiskussion darüber entfacht, wie wahrscheinlich es ist, dass in ein plötzlich auftretendes Koma mit Fieberträumen gefallen bin oder das Raphael sich tatsächlich von Maya getrennt und sich für mich entschieden hat. Ich war lange zwiespältig, also streckte ich immer wieder meine Hand nach dem schlafenden Körper neben mir aus. Tippte gegen seine Schulter, streichelte seinen Hals oder fühlte einfach nur seine Wärme. Solange bis sich Raphael regte und im Schlaf meinen Körper an seinen zog. Der warme Körper neben mir verströmte diesen Geruch, der mir vertraut und zu gleich fremd ist. Raphaels ruhige Atembewegungen sollten mich ein und sorgten ebenfalls dafür, dass sich mein gesamter Körper mit Schauer überzog. Ich spürte seine Bewegung an meinem Rücken. Gleichmäßig und sanft. Es war schön und zu gleich seltsam. Doch die Ernüchterung vom vorigen Abend hatte sich aufgelöst und einen aufregenden Prickeln Platz gemacht, welches auch jetzt noch anhält. Ich konnte nicht einschlafen, weil ich befürchte, doch nur zu träumen. Deshalb bin ich auch so früh wach. Noch immer liegt Raphael dicht hinter mir. Ich spüre seinen warmen Atem der meinen Nacken kitzelt. Obwohl ich es genieße, winde ich mich vorsichtig aus seiner Umarmung und drehe mich zu ihm um. Ich schaue in das schlafende Gesicht des Mannes und kann es immer noch nicht glauben. Er ist wirklich hier. Ein weiteres Mal berühre ich seine Wange. Raphael regt sich und dreht sich auf den Rücken. Ich sehe, wie die schmale Silberkette auf seiner Brust ruht. Sie bewegt sich im sanften Takt seiner Atmung. Ich berühre den Anhänger, rufe mir die eingravierten Zahlen in Erinnerungen, die in diesem Moment nicht zu erkennen sind. Wie lange er die Kette wohl schon hat? Warum hat er sie anfertigen lassen? Wir sind in der Schule oft zusammengetroffen. In der Mensa. Bei Veranstaltungen. Trotzdem habe nie gemerkt, dass ich ihm aufgefallen bin. Mein Finger streicht über die warme Haut neben der Kette. Hauchzart. Raphaels Kopf bewegt sich zur anderen Seite, doch er schläft weiter. Mag er mich wirklich schon so viel länger und hatte es sich nur nie eingestehen können? Was müssen diese Gefühle für ein Chaos in ihm verursacht haben! Es wäre wahrscheinlich nie herausgekommen, wenn er nicht durch Zufall mitbekommen hätte, dass ich schwul bin. Der Gedanke daran löst seltsame Gefühle in mir aus. Ist es Glück oder purer Zufall? Ich stütze mich auf meinem Arm ab. Raphaels braune Haut hebt sich deutlich vom weißen Bettlaken ab und harmoniert mit dem dunkelblauen Stoff meiner Bettdecke. Ich will diesen Anblick mal, also sauge ich ihn vollkommen in mich ein. Ich setze mich auf. Die Decke ist bei seinen Beinen verdreht, so dass seine Füße und Teile seiner Beine hervorgucken. Mit geschlossenen Augen beuge ich mich nach vorn und bleibe mit dem Kopf ungefähr bei Raphaels Knie stehen. Der Geruch seines warmen Körpers macht mich wahnsinnig. Ich richte mich wieder auf. „Oh man!", flüstere ich in die Stille hinein als mein Körper schon wieder zu schreien beginnt. So notgeil kann ich doch gar nicht sein. Ich brauche einen klaren Kopf. Raphael hat mich um Zurückhaltung gebeten und diese werde ich ihm auch entgegenbringen. Wir haben Zeit, nicht wahr? Wir können alles langsam und gemeinsam entdecken. Das ist das Beste für ihn, für unsere Beziehung und ich bin mir halbwegs sicher, dass ich mich seinem Tempo anpassen kann, so lange er es wirklich ernst mit mir meint. Meine Lenden widersprechen und schweratmend richte ich meinen morgendlichen Salut. Mein Blick fällt auf den verdrehten Verband meiner Hand. Ich wickele ihn vorsichtig ab und werfe ihn vom Bett. Der Schnitt unterhalb meines Zeigefingers ist rot und sieht noch immer nicht gut aus. Ich bin auch nicht sehr sorgsam damit umgegangen. Etwas ungeschickt krieche ich aus dem Bett und bleibe mit dem Fuß in Raphaels Decke hängen. Ich ziehe sie leicht von seinem Körper. Umständlich versuche ich mich daraus zu befreien und rutsche von der Matratze. Einen kompletten Sturz kann ich gerade noch verhindern, komme mit allen Vieren auf dem Boden auf und atme kurz durch. Heldenhaft. So ein Pech hat man nur in einem Traum. Ganz bestimmt. Ich schlüpfe weitestgehend geräuschlos aus dem Zimmer ohne zu bemerken, dass mir Raphael nachsieht. Als ich aus dem Bad komme, höre ich lautes Klappern aus der Küche. Es ist wie ein Déjà-vu des gestrigen Morgens nur diesmal in meinen vier Wänden. Dazu kommt, dass ich kein schuldiges Schamgefühl empfinde, sondern erregendes Kribbeln. Ich ziehe mir eine legere, weite Jeans und eine Strickjacke über, sehe kurz in den Spiegel und gehe zu Raphael in die Küche. Sein Oberkörper verschwindet gerade in einem der Hängeschränke. Danach beugt er sich zu einem der unteren. Ich sehe belustigt dabei zu, wie er suchend jeden Schrank öffnet, den ich habe. „Frag mich, vielleicht kann ich dir helfen, auch wenn im Grunde Shari alles eingerichtet hat", sage ich witzelnd und sehe Raphael lächeln. Meine Aussage scheint ihn nicht im Geringsten zu wundern. „Okay, sag, wo sind bei den Tassen versteckt?" „Normalerweise dort, wo du schon gesucht hast", antworte ich und deute auf einen der Hängeschränke. "Da ich aber nur drei besitze, schau am Besten in der Spüle." „Ernsthaft?" Sein Blick wandert zur Spüle und dann wieder zu mir. „Erschreckend, oder?", kontere ich, sehe wie Raphael die Schranktür schließt und dann auf mich zukommt. Geschmeidig. Fließend. Er bleibt direkt vor mir stehen. Ich spüre, wie mein Herz erwartungsfroh aussetzt und dann heftig aufgeregt gegen meinen Brustkorb schnellt. Nur durch seine plötzliche Nähe. Seine Haare sind noch immer leicht verwuschelt und das Grün seiner Augen scheint so klar und rein, wie frischer Raureif in den frühsten Morgenstunden. Ich schmelze augenblicklich dahin. „Ich habe noch nie viel gebraucht und...", säusele ich und werde bei jedem Wort leiser, bis ich verstumme. „Und?", fragt er, sieht mich mit diesen atemberaubenden Augen an. Ich bekomme keinen Gedanken gefasst, der mehr als einsilbige Worte enthält. Nur ein seltsamer Laut entflieht meinen Lippen. Raphael grinst und zieht mich am Kragen meiner Strickjacke in einen Kuss. Er ist lang und intensiv. Noch immer habe ich das Gefühl, zu träumen. Bestimmt erwache ich gleich, liege völlig allein in meinem komplett zerwühlten Bett und falle in ein tiefes dunkles Loch. Raphael zieht mich näher. Mir wird immer wärmer und schlagartig kalt als ein dumpfes Summen an mein Ohr dringt. Es ist nicht mein Telefon. Denn das würde richtig klingeln. Noch während ich das denke, entfernen sich die süßen Lippen von meinen. Selbst meine Träume sind von Unterbrechungen geprägt. Ich bin eindeutig geschädigt. Raphael löst sich von mir, sieht wenig erfreut aus und verschwindet im Flur. Sein Handy liegt noch immer auf der Kommode. Ich wende mich zur Spüle und wasche zwei Tasse aus, während ich den Wasserkocher anschalte. Mit dem vibrierenden Plastikgerät kommt Raphael in die Küche zurück. Ich stelle den Kocher wieder ab, während er sich gegen die Küchenzeile lehnt und grübelnd auf sein Telefon sieht. Sicher ist es Maya, die einfach keine Ruhe gibt. Ich kann seinen Blick nicht deuten als er rangeht. „Hallo." Seine Begrüßung ist eher verhalten. Ich beobachte, wie sich seine Kiefermuskeln anspannen und sich bedenkliche Falten auf seiner Stirn und zwischen seinen Augenbrauen bilden. Ich gieße, ihn beobachtend den Kaffee und meinen Tee auf. Raphael streicht sich durch die dunklen Haare. „Ja...gut...ja", erwidert er lustlos auf irgendwelche Fragen. Ich kann nur bestimmen, dass es sich um eine weibliche Stimme handelt, die aus dem Telefon dringt. „Möglich. Mutter,...nein... Ja... Was?" Seine Mutter. Nun lehne ich mich selbst auch gegen den Küchentresen und verschränke ungeduldig meine Arme vor dem Bauch. Raphaels Hand wandert über sein Gesicht und er sieht mich kurz an. Der Anruf ist scheinbar nicht sehr erfreulich. Einen Moment lang hört er nur zu. Dann ein feines Seufzen, welches nur ich vernehmen kann. „Okay. Ich verstehe. Ja. Bis dann." Er legt auf. Seine Hand bleibt über seinem Gesicht liegen und er sackt leicht in sich zusammen. „Was ist los?" Ich will nicht neugierig klingen, aber da ich noch immer nicht weiß, welche Art von Kontakt er eigentlich zu seinen Eltern hat, kommt mir dieser Anruf seltsam vor. „Meine Eltern...", setzt er an und schließt die Augen. So viel habe ich schon mitbekommen. Ich schiebe mich langsam näher an den anderen Mann heran und stupse ihn mit der Hüfte an. „Sie... Sie sind auf dem Weg hier her...Sie kommen zu dem Essen." Nun bin ich es, dem für einen Moment sämtliches Blut in den Adern gefriert. „Wie bitte?", frage ich erschüttert. „Maya hat sie eingeladen und sie sind schon unterwegs." Ein Albtraum. Ich muss noch tief und fest schlafen. Das kann doch nicht wahr sein. Kapitel 14: Dilemmata im Sonderangebot -------------------------------------- Kapitel 14 Dilemmata im Sonderangebot Es dauert einen Moment, bis seine Worte zum Grund meines Gehirns durchgesickern. Das Gefühl in meiner Brust nähert sich der Bodenlosigkeit. Maya hat seine Eltern zu ihrem Geburtstag eingeladen. Diese Tatsache wiederholt sich mehrere Male in meinem Kopf. Sie hat es getan, ohne Raphael zu fragen. Ich sehe den Ex-Freund meiner Schwester fassungslos an „Sie hat deine Eltern eingeladen?", wiederhole ich nachhaken. Es ist im Grunde keine richtige Frage, sondern der letzte Rest Hoffnung, dass ich mich vielleicht doch verhört habe. Der Sportler, der neben mir gegen die Küchenzeile gelehnt steht, nickt und sieht mich mit seinen nun getrübten grünen Augen an. Ich fühle einen Schauer, der zuerst meinen Nacken erfasst und dann in alle Glieder meines Körpers ausstrahlt. Er ist kalt und unangenehm. Ich halte kurz die Luft an. Seine Eltern sind bereits hierher unterwegs. Sie werden am Essen teilnehmen. Im Endeffekt heißt das, dass auch Raphael zum Essen erscheinen muss. Ich stütze mich mit beiden Armen auf der Arbeitsplatte ab. Mein Puls geht nach oben, diesmal aus reiner Wut. „Diese miese Giftschlange!" Aufgebracht schlage ich mit beiden Händen auf die Spüle und stoße prompt eine der leeren Tassen zur Seite, sodass sie von der Arbeitsplatte fällt und zerbricht. Da waren es nur noch zwei. Ich zucke zusammen, weil der Aufschlag mit meiner malträtierten Hand heftig schmerzt. Die Stelle pocht und britzelt. Ich genieße einen Augenblick lang, wie sie meine Wut nur noch weiter entfacht. Dann beiße ich die Zähne zusammen. Ich hätte den Verband besser dran lassen sollen. Mit einem zischenden Geräusch des Schmerzes schaue ich auf meine Handfläche. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie Raphael an mich herantritt. Seine warme Hand legt sich an meinen Arm. Sie hat nicht die vollkommen beruhigende Wirkung, die er haben möchte. „Das war unnötig", sagt er leise und beugt sich zu den Scherben, die auf dem Boden verteilt liegen. Raphael weist mich an, mich nicht zu bewegen, denn ich bin barfuß. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben?", frage ich aufgebracht und schaue zu, wie Raphael vor mir auf die Knie geht. Er sammelt einige der größeren Bruchstücke zusammen und legt sie neben der Spüle ab, danach greift er sich den Handkehrbesen und fegt mir eine Schneise, so dass ich mich an den Tisch setzen kann. Es wundert mich wirklich, warum er nicht noch eine andere der Tassen hinterhergeworfen hat. Allerdings ist mir auch bewusst, dass er eher zu der beherrschten und ruhigen Sorte gehört. Genau das nutzt Maya schon seit geraumer Zeit aus. Sie hielt ihm Vorträge. Raphael nickte es ab. Maya motzt sinnlos rum. Er nimmt es schweigend hin. Maya zickt. Er zuckt. Im Augenblick regt es mich nur noch mehr auf. Ein feines Seufzen perlt von seinen Lippen als er meinen Blick bemerkt. Er richtet sich auf und bleibt vor mir stehen. Auch Raphael belastet dieser Umstand sehr. Ich kann es deutlich sehen, auch wenn er in seinen typischen Schweige-Modus verfallen ist. Das nächste Dilemma. Als wäre das Geburtstag,- und Trennungsdilemma nicht schon schlimm genug für ihn. Ich widerstehe dem Bedürfnis, einmal laut zu schreien und spüre sogar, wie es gänzlich hinfort weht als er mir einen sanften Kuss gegen die Schläfe drückt. Er wirft die kleineren Scherben in den Müll und bleibt seitlich an der Spüle gelehnt stehen. „Es tut mir leid...", flüstert er. Ich sehe in die schönen Augen des anderen Mannes. Ich weiß, dass er an dieser Situation keine Schuld trägt und doch denke ich, dass wir nicht in dieser Lage wären, wenn er nicht versucht hätte, allem aus dem Weg zu gehen. Ich schweige und spüre, wie mir mehr und mehr der Kiefer schmerzt, weil ich meine Zähne stark aufeinanderpresse. Es ist unfair von mir, so etwas zu denken. Raphael will mit mir zusammen sein. Endlich. Und das ist alles was zählt. Ich stehe ebenfalls auf und stelle mich hinter ihn. Ich lehne mich gegen den starken Rücken und schließe meine Augen. „Wie wäre es mit einem Oneway-Ticket zum Pluto? Wäre doch die Idee, oder? Soll um diese Jahreszeit zauberhaft sein", brabbele ich leise. Eigentlich ist mir nicht nach Scherzen zumute. Doch es kommt mir einfach über die Lippen. Ich kann nicht anders. Ein Clown in jeder Lebenslage. Raphaels Hand legt sich über meinen Arm. Sie ist warm und berauschend. Sie streichelt sich von meinem Ellenbogen zu meinem Handgelenk und wieder zurück. Es fühlt sich schön an. Liebevoll und irgendwie beruhigend. Ich drücke mein Gesicht noch mehr in seinen Rücken und atme seinen Duft ein. „Oder, wir schießen Maya auf den Jupiter...", schlage ich vor. Meine Fantasie malt Bilder von ihrem entsetzten Blick und dem Augenblick ihrer plötzlichen Verpuffung. Zack. Puff. Aww. „Lass uns beide nicht zu dem Essen gehen", sagt Raphael unvermittelt, ernst und wendet sich vorsichtig um. Auf meinen Scherz geht er nicht ein. Seine grünen Augen erfassen mich und er legt seine Hände an meine Hüfte. Er meint es ernst. Von dieser Aussage überrumpelt, verfalle ich ins Grübeln. Wie würden es die anderen wohl auffassen, wenn wir beide nicht zu dem Treffen erscheinen? Es wurde mit Sicherheit eine mehrfache Vernichtung des Familienfriedens mit sich bringen. Garantiert würde Maya allen ohne zu zögern meine Neigung offenbaren und dann dramatös berichten, wie ich ihr Raphael weggenommen habe. Und das auch noch vor ihrem Geburtstag. Ein mehr als vernichtendes Outing, auf das ich kaum Einfluss nehmen könnte. Bei dem Gedanken wird mit so kalt, dass ich das Gefühl habe blau anzulaufen. Lähmen tut es mich bereits. Ich setze zu einer Erwiderung an, doch mein Mund öffnet sich nur kurz um sich direkt wieder zuschließen. Nein, es muss sich unbedingt alles erst etwas beruhigen. Für eine böswillige Hauruckaktion bin ich nicht bereit. Nein. Obwohl ich das Nein nur denke, merke ich, wie sich mein Kopf passend dazu hin und her bewegt. Erst langsam. Nein. Nein. Nein. Bis das Kopfschütteln immer energischer wird. Das kann ich nicht. Dazu fehlt mir der Mut. Raphaels Hände legen sich an meine Wangen. Er zwingt mich dazu, ihn anzusehen. In seinem Blick schwimmt etwas, was ich nicht interpretieren kann. Ist es Enttäuschung? „Warum nicht?" Eine plausible Frage, die eine ebenso glaubhafte Antwort verlangt. Ich weiß nicht, ob ich sie ihm geben kann. „Sie würden eine Erklärung verlangen...", druckse ich. Auf Raphaels Stirn bilden sich ein paar Falten und er mustert mich kritisch. „Ja, sicherlich und wir haben eine Erklärung." „Du... du kannst, sagen, dass du dich von ihr getrennt hast. Blöd, aber...verständlich", stottert ich rum. „Mark, wäre es jetzt nicht die Gelegenheit..." „Nein. Es... Wir... Ich... Sie..." Wow, es gibt zu viele Personalpronomen. „Ich kann es ihnen noch nicht sagen. Noch nicht", brabbele ich und fühle mich schlecht. Mehr als schlecht. Nun verlange ich von ihm zu lügen. Ich weiß selbst nicht, warum es mir derartig schwerfällt, mich vor meinen Eltern zu offenbaren. Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, spüre ich, wie meine Hände beginnen zu schwitzen und sie werden eiskalt. Auch jetzt. Ich kriege regelrecht Panik, wenn ich mir ihre Reaktionsvariationen vorstelle. Ich werde sie enttäuschen, dessen bin ich mir sicher. „Mark, es wird sowieso..." „Kannst du deinen Eltern nicht einfach absagen?", frage ich leise und unterbreche ihn damit. Ich weiß, dass ich die Antwort darauf bereits kenne und nicht laut hören will. „Und was soll ich ihnen sagen? Mama, Papa, schön, dass ihr euch extra auf den Weg gemacht habt, aber müsst wieder fahren, weil das Alles eine große blonde Intrige ist." Eine rhetorische Frage mit ironisch witziger Antwort. Raphael hat einen Scherz gemacht und unter normalen Umständen hätte ich mich gekringelt vor Lachen, aber weder ich noch er können wirklich darüber auch nur schmunzeln. Wie kann ich andauernd von ihm die Wahrheit verlangen, wenn ich vor meinen eigenen Eltern nicht dazu in der Lage bin? Warum bin ich nur so verdammt feige? Der Umstand belastet mich zusehends. Ich bin nur halb so stark, wie viele denken und egal, wie selbstbewusst ich manchmal wirke, ich bin es nicht. Alles ein übertriebener Schein, versteckt hinter Witzen und dummen Sprüchen. Eine Witzfigur, das bin ich. Raphael greift nach meinen Händen. Sofort spürt er, wie kalt sie sind und runzelt besorgt die Stirn. Er führt sie zu seinen Lippen und haucht kleine Küsse auf meine Fingerbeeren. „Dann müssen wir wohl doch hin." Ein Hauch von Ironie in seine Stimme. Sie ist unpassend, aber bezeichnend. Feigheit brachte uns in diese Lage und Feigheit hält uns in diesen Zustand gefangen. Ich schlucke, als mir klar wird, dass er wirklich Recht hat und ich daran Schuld bin. Aber es ist nur ein Abend. Das werden wir hinkriegen. Was soll schon passieren? Ein Gratisessen. Seminette Gespräche. Immerhin lerne auch ich seine Eltern kennen. Der Sarkasmus in meinem Kopf überschlägt sich. Noch nie habe ich von jemanden die Eltern kennengelernt. Nur Sharis und ihr Vater hasst mich, weil ich so bin, wie ich eben bin. Meine Gliedmaßen werden augenblicklich butterweich. Zudem spüre ich, wie mir mehr und mehr Blut abhandenkommt. Ich sehe mich außerstande, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Ich wäre schon in einer normalen heterosexuellen Beziehung nicht gerade der geliebte Schwiegersohntyp. Immer mehr Panik bereitet sich in mir aus. Meine Hände werden von Gedankenfetzen zu Gedankenfetzen klammer. Unter diesem Aspekt ist die Tatsache, dass sich Maya diese Bürde freiwillig aufhalst, noch unverständlicher für mich. Abgesehen davon, dass es mich im gleichen Maß ärgert. "Mark? Hey...Alles okay?" Erst jetzt merke ich Raphaels warme Hand, die meine Wange streichelt. Die schönen grünen Augen mustern mich. Sie beruhigen mich, weil ich augenblicklich in sie eintauche und mich in ihrer Schönheit suhle. Er ist hier bei mir. Ich spüre die Hitze, die von seinem Körper ausgeht und für einen kurzen Moment ist alles nur noch halb so schlimm. „Ja", erwidere ich leise. Raphael ist nicht überzeugt, entgegnet aber nichts. Ich habe so lange darauf gewartet, dass er sich für mich entscheidet, was macht da ein weiterer Abend aus? In meinem Kopf klingt es beschwichtigender als es wirklich ist. Fünf Jahre. So lange habe ich davon geträumt, diesen Mann berühren zu können. Fünf Jahre. Ich muss wirklich verrückt sein oder ein Masochist. Ich merke, wie mich Raphael weiterhin beobachtet und wende mich zur Spüle. Ich muss ihm meine panischen und verqueren Gedanken nicht aufladen. Er wird noch früh genug merken, wie verrückt ich eigentlich wirklich bin. Erneut stütze ich meine Arme auf die Arbeitsplatte ab und atme tief ein. Nach einem Moment schweigen, kommt Raphael wieder näher. Ich merke, wie er sich hinter mich stellt und seine Hände neben meine legt. Sie berühren sich nicht, aber ich spüre seinen Oberkörper an meinem Rücken. Warm und besänftigend. Ich merke, wie sich die feinen Härchen an meinem Arm für eine Runde Zumba wappnen. Und als er seinen Mund in meine Halsbeuge bettet, beginnen sie zu tanzen. Über die gesamte Fläche, die ich Ihnen biete. Die Frequenz meines Herzschlags nimmt sprunghaft zu. Seine Berührung ist nur ein Hauch, doch ich schließe die Augen, ziehe seinen vertrauten Geruch in mich ein und genieße das sanfte Prickeln, welches von den berührten Stellen ausgeht. „Wir kriegen das hin." Seine Worte öffnen mein Herz und lassen es erblühen, wie eine Blume bei den ersten Sonnenstrahlen eines taugeküssten Frühlingsmorgen. Die Zweifel bleiben trotzdem. Wahrscheinlich werden sie das auch noch eine ganze Weile. „Es ist nur der eine Abend", beschwichtige ich. Mehr für mich als für ihn. Nach einem Moment spüre ich kühles Metall auf meiner Haut. Raphael legt mir die Kette um den Hals, schließt sie in meinem Nacken und haucht einen Kuss auf den Verschluss. Fast automatisch greife ich nach dem Anhänger, der bereits so viele Monate an meiner Brust gelegen hat. „Warum eigentlich Pluto?" „Was?", frage ich abwesend. „Du hast eben gesagt, du buchst einen Flug zum Pluto. Warum gerade der Pluto? Der ist nicht mal mehr ein richtiger Planet.", erläutert er mir seine Gedanken. Raphael schlingt seine Arme um meinen Bauch. Fest und allumfassend, so dass ich keine Möglichkeit habe, zu entkommen. Ich will es auch gar nicht. Ich hebe meine Augenbraue, auch wenn er es nicht sehen kann. „Ich habe eigentlich an den Hund gedacht." Raphaels Kopf kippt auf meine Schulter. „Ja, klar. Warum rechne ich auch mit einer vernünftigen Antwort", kommentiert Raphael mit sarkastischem Unterton meinen Ausspruch und drückt mir dann seine Lippen gegen die Schläfe. Selbst schuld. Ich lächele, schließe meine Augen, genieße seine Nähe und das wundervolle Kribbeln in meinem Bauch. Es breitet sich immer weiter in mir aus, paart sich mit der aufquellenden Aufregung. „Hawaii wäre mir lieber", ergänzt er und ich stelle ihn mir in einem typischen Blumenhemd vor. Braungebrannt und muskulöse ist er seit seinem mehrmonatigen Ausflug in die USA bereits. Raphael wäre ein Surfertyp und ich, einer der Strandgaffer. „Tanzt du für mich auch den Hula?", frage ich frech, blicke seitlich nach hinten und kriege nun ein paar Schmatzer auf die Wange aufgedrückt. „Dir würden die Blumenketten besser stehen", kommentiert er zwischen den Küssen. „Aloha!", hauche ich kurz. Er wiederholt es. Nur ein Flüstern. Dann dreht er mein Gesicht noch etwas weiter zu sich, so dass er meinen Mund treffen kann. Das Aroma seiner Lippen trifft auf meine. Sie benebelt mich und macht für einen flüchtigen Moment die ganze Situation vergessen. Aber nur kurz. „Hast du Hunger?", frage ich und lecke mir die symbolische Süße von den Lippen. „Ja, aber ich würde vorher gern kurz unter die Dusche hüpfen." „Klar, ein Handtuch findest du im Regal." Ich löse mich von dem Größeren und stelle den Wasserkocher nochmal an. Nachdem Raphael im Bad verschwunden ist, fege ich restlichen Scherben zusammen und wasche die Tasse mit dem nun kalten Kaffee aus. Ich koche ihn neu. Den Tee trinke ich kalt. Die wenigen Lebensmittel, die ich noch in meinem Kühlschrank habe, stelle ich raus und hoffe, dass sie dem Gesundheitsfanatiker in Raphael genügen. Immerhin ist noch Gurke und Tomate dabei. Ich finde auch einen Rest Paprika, doch sie ist so schrumpelig, dass ich befürchte ausgelacht zu werden, wenn ich es wage sie auf den Tisch zu stellen. Im Schlafzimmer suche ich nach meinem Telefon, welches seit gestern Abend unbeachtet in meine getragenen Jeans versauert. Das Display ist schwarz. Der Akku ist leer. Ich hänge es in der Küche an den Strom und schalte es wieder ein. Das augenblickliche Klingeln lässt mich aufschrecken. Marikas Nummer. Automatisch denke ich an Jake. Ich befürchte, dass er wirklich sauer ist und kann es ihm nicht verdenken. Ein beklemmendes Gefühl überfällt mich. Ich schlucke es runter und blicke in den Flur. Noch immer höre ich das Rauschen der Dusche und gehe ran. „Meister Eder am Apparat", melde ich mich und denke an Marikas leuchtend roten Haarschopf. „Haha, du Scherzkeks. Was machst du Schönes?", kommentiert sie und ich höre mit Genugtuung, dass sie trotz des scharfen Tons lacht. „Ich produziere Kohlenstoffdioxid und was machst du? Sag mal, müsste ich dir in diesem Moment schon gratulieren oder erst Morgen?" Aus dem Flur hole ich meinen Rucksack und gehe zurück in die Küche. Ich beuge mich auf die Arbeitsplatte und beginne nach meinem Taschenkalender und nach dem heutigen Datum zu suchen. Ich kenne das genaue Geburtsdatum meiner Schwester nicht, das sagt doch einiges über mich als Bruder aus. Ich zucke etwas zusammen als ich beim Suchen gegen meine verletzte Hand komme. „Heute, aber meine Enttäuschung ist schon derartig fortgeschritten, dass du nichts mehr retten kannst", sagt sie theatralisch und nun kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. „Ich versuchen es trotzdem! Liebe Marika, ich wünsche dir alles, alles Gute zu deinem Ehrentag. Zudem besonders viel Glück und Gesundheit. Auf, dass all deine Wünsche in Erfüllung gehen. Na, Na, wie habe ich das gemacht?", gebe ich mit dem Elan eines fleißigen Schuljungen wieder und schließe den Kalender. Mein Blick fällt auf die rote Wunde an meiner Hand. Ich muss unbedingt einen neuen Verband drum machen. „Traumhaft", kommt es von Marika und ich stelle mir vor, wie sie grinst. Pumuckel in höchster Form. „Vielleicht sollte ich Glückwunschkarten verfassen." „In der Schule bekämst du dafür ein Bienchen." „Yeah, ich wollte nie etwas anderes." Wir lachen beide. „Genug der Späße, darf ich denn heute Abend mit dir rechnen? Es wird bestimmt lustig. Wir sind schon 80 Leute." Über die Anzahl der Eingeladenen wundere ich mich nicht. Marikas Feiern sind an unserer Schule legendär. „Jein, ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht so richtig, weil doch mein däm... strapazierendes Schwesterchen auch Geburtstag hat und wir am Abend gemeinsam essen gehen." „Oh, hätte ich auch allein draufkommen können. Raphael hat auch schon abgesagt." Der Benannte kommt in diesem Moment aus dem Badezimmer. Ich sehe dabei zu, wie er sich das Handtuch richtet und sich die nassen Haare zurückstreicht. Seine Haare wirken feucht, wie gegelt. Es verleiht ihm etwas Edles und mit dem Handtuch zusammen wirkt er wie aus einer Parfümwerbung. Er streicht sich über den muskulösen Bauch. Meine Lenden zucken. Kribbelnde Erregung arbeitet sich durch meine Blutbahnen und mir wird ganz warm. Ich verkneife mir ein verräterisches Keuchen. Das darf man niemanden erzählen. Ich sehe absichtlich weg und merke, wie ich im selben Moment wieder zu ihm rüberschiele. Der Anblick ist einfach zu gut. Raphael steht wirklich in meinem Flur. Nackt, nur mit Handtuch. Es ist fantastisch. Es ist unwirklich. „Noch dran? Mark?" Ich richte mich auf, obwohl es Marika nicht mitbekommen kann. Eine nutzlose Geste der Aufmerksamkeit. Meine Hose spannt. „Ja, entschuldige. Also, ich weiß nicht, wie es heute Abend aussieht, aber ich weiß, wo ihr seid und finde euch garantiert. Für den Fall." Raphael taucht im Türrahmen auf. Er mustert mich fragend. Ich hoffe inständig, dass er meine Erregung nicht bemerkt. Ich bin nur halb so sexbesessen, wie es wirkt. Ablenkend forme ich ein Marika mit den Lippen und zu meinem Erstaunen scheint er es zu verstehen. „Okay, kannst dich ja noch einmal melden", sagt sie freudig und legt nach meiner Verabschiedung auf. „Erinnere mich daran, dass ich ihr noch mal schreibe", kommentiert Raphael mein Telefonat und ich lege das Plastikteil beiseite, ohne noch einmal aufs Display zu schauen. „Willst du zu ihrer Feier gehen?", fragt er leise und ich zucke mit den Schultern. „Na ja, womöglich und höchstwahrscheinlich will ich mich nach dem Essen einfach nur betrinken." Sein nackter, feucht glänzender Oberkörper lenkt mich ungemein ab und so starre ich ihn ungeniert an. „Darf ich dich darum bitten, dass mit dem Alkohol einzuschränken." „Du darfst. Ich kann nur nichts versprechen...", gestehe ich ehrlich. Und obwohl mein gesamter Körper schon wieder zu kribbeln beginnt, schweifen meine Gedanken zurück zu dem Essen am Abend. Maya. Seine Eltern. Meine Eltern. Sie sind auch nicht ohne. Ich weiß noch immer nicht, wie ich das durchstehen soll. Wir bekommen einfach keine Ruhe in unsere Beziehung. Werden wir das jemals? Der Pessimismus, der sich in mir ausbreitet, behagt mir nicht. Raphael kommt auf mich zu, ohne, dass ich es merke. Erst seine starken, aber so sanften Finger, die über meinen Kopf streichen, holen mich zurück. Er ist mir so nah. Seine Lippen legen sich auf meine. Ich schließe sofort meine Augen, genieße das feine, explodierende Pulsieren, welches sich durch meinen Körper arbeitet. Fast automatisch gleiten meine Finger zum Rand seines Handtuchs. Er lockt meine Zunge. Ich schmecke Zahnpasta und intensiviere den Kuss. Er berauscht mich. Mein Handy klingelt. Ich verspüre das dringende Bedürfnis, das verfluchte Plastikgerät zu versenken. Irgendwo, wo es ganz tief ist. Ich löse den Kuss und schiele aufs Display. Mein Vater. Ich schiebe das Handy weg und nehme den Kuss wieder auf. Meine Hand legt sich in seinen Nacken und die sexuelle Spannung, die sich automatisch zwischen uns bildet, bringt mich langsam um. Sie ist atemberaubend, aber quälend. Ich genieße es trotzdem. Raphaels Hände gleiten unter mein Shirt. Meine Haut brennt an den Stellen unserer Berührung. Ich drücke mein Becken an seins. Meine Erregung ist deutlich zu spüren. „Lass uns einfach hierbleiben", wiederholt er. "Den ganzen Tag?", frage ich, wie ein verliebter Dummkopf. Raphael lächelt. "Den ganzen Tag." Vielleicht sollten wir das wirklich. Ich nicke fahrig und schließe meine Augen, als ich merke, dass Raphael seine liebliche Verführung fortsetzt. Ein Kuss berührt meine Lippen. Ich zergehe in dem kribbelnden Gefühl, welches meinen Körper durchströmt. Ich sehe ihn mit halbgeöffneten Augen an, spüre seine wohlschmeckenden Lippen und er drückt mich leidenschaftlich gegen die Arbeitsplatte. Das Klingeln der Tür lässt mich frustriert keuchen. Raphael beißt in seine Unterlippe. Es klingelt erneut. Ich knurre. Ich sehe ihn an. Seine Augen glänzen und sein Mund lächelt. Oh Gott, ich will ihn. Es klingt weiter. Er neigt seinen Kopf kurz zur Tür. Ein andeutendes Zeichen, dass ich gehen soll. Ungern, doch ich löse mich von ihm und gehe reichlich grummelnd zur Tür. „Ich kaufe nichts!", rufe ich gegen die geschlossene Tür. „Gut zu wissen", schallt es mir dumpf entgegen. Ich kann nicht verhindern, dämlich zu gucken und öffne die Tür. „Papa?", perlt es verwundert über meine Lippen als das ältere Abbild meiner Person vor mir auftaucht. Er lächelt und mustert mein bequemes, komplett durcheinander gebrachtes Outfit. „Mein Sohn, du lebst! Wie erfreulich, denn du bist nicht zu erreichen. Wir versuchen es seit gestern Abend und auch heute Morgen, aber erst ist dein Handy aus und dann besetzt. Und ich weiß, dass du manchmal absichtlich nicht ran." Ich höre eine winzige Spur des Vorwurfs und ignoriere sie gekonnt. Mein dümmlicher Gesichtsausdruck bleibt. Gestern Abend gab es andere Dinge. Wichtigere als mein Handy. Schließlich durfte ich Raphael die komplette Nacht mein Eigen nennen. Wer weiß, wann es wieder dazu kommt. Ich ziehe eine entschuldigende Grimasse. „Ich bin ein schwer beschäftigter Mann. Die Entwicklung eines Langzeithandyakkus steht aber auf meiner Liste", kommentiere ich seltsam einfallslos. „Falls du jemals Zeit dazu findest", greift mein Vater auf und schließt hinter sich die Tür. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, wie Raphael angezogen in den Flur tritt. Mein Vater bemerkt die Bewegung, reckt sich und lockert seinen Schal. Ich streiche mir das Shirt endlich glatt. Ich halte ihn nicht zurück. „Raphael?" Ein kurzes Blitzen in den Augen meines Vaters, welches ich nicht zuordnen kann. Der Angesprochene grüßt zurück, nennt meinen Papa aber nicht beim Vornamen. „Okay, ... dann spare ich mir einen Weg. Maya hat dich gestern Abend nicht mehr erreicht. Sie hat deine Eltern für heute Abend eingeladen." Mein Erzeuger klingt nicht sehr glücklich darüber. Das bestätigt mir, dass sie es wirklich auf vollkommen eigene Faust getan hat. Meine schwelende Wut wächst. „Ja, das weiß ich bereits. Sie haben heute Morgen angerufen." Mein Vater nickt und sieht uns dann ein weiteres Mal abwechselnd an. Ich warte schon die ganze Zeit auf die Frage über seine Anwesenheit. „Was machst du eigentlich hier?", fragt er nun wirklich und sichtlich verwundert. Ich schaue zu Raphael, denn die Frage geht direkt an ihn. Doch er vermeidet es, mich anzusehen. „Mark hat eine meiner Arbeit korrigiert. Sie muss am Montag fertig sein und er war so freundlich, mir zu helfen." Die perfekte, neutrale Antwort. Raphael verzieht keine Miene, doch ich sehe, wie er seine Hand kurz zur Faust ballt. Meinen Vater zu belügen, behagt ihm nicht. Ich verstehe es. „Gegenfrage, was machst du hier?", schreite ich nun ein und lenke die Aufmerksamkeit zurück auf meinen Erzeuger. Normalerweise müsste er auf Arbeit sein. Mein Vater richtet sich die Brille. „Deine Mutter hat gestern aus einer Laune heraus noch gebacken und wir wollte eigentlich fragen, ob ihr bereits zum Kaffee kommen könntet, aber wie bereits erwähnt, wart ihr beide absolut nicht zu erreichen", erklärt er endlich und sofort bildet sich in meiner Magengegend ein widerstrebendes Kitzeln. Meine Mutter hat also auch frei. Nicht gut. „Ich habe ab 13 Uhr Vorlesungen", sage ich automatisch. „Und du?" Alle Augen sind auf den Sportpädagogen gerichtet. Ich sehe, wie er kurz mit sich ringt und einknickt, wie Babyzweig. „Keine Vorlesungen, aber..." Er kommt nicht dazu sein Aber zu Ende zu bringen, da setzt mein Vater schon ein. Ich muss ihn für das nächste Mal instruieren. Niemals darf ihnen auch nur den Mü einer Chance gegeben werden seine Antwort auszulegen. „Gut, dann kann ich dich jetzt gleich mitnehmen und du, Mark, kommst heute Abend nach deinen Vorlesungen!" Er wirkt von seinem Plan überzeugt und fragt nicht mal, ob es uns auch passt. Ich merke, wie mein Magen zu rumoren beginnt und das nicht wegen des Hungers. Mein Vater blickt zu mir und dann zu Raphael. „Irgendwelche Einwände?", fragt er. Die Frage ist eher rhetorischer Natur. „Ehrlich gesagt, wollten wir ...", setzt Raphael an, deutet auf mich. Doch ich greife ihm ruckartig an den Arm und unterbreche ihn damit. Minimal schüttele ich meinen Kopf und schellte mich augenblicklich für meine Feigheit. Ich habe Raphael mehrere Mal an den Kopf geworfen, feige zu sein und im Grunde bin ich selbst. „Okay. Gut, wir treffen uns gegen 18 Uhr mit Raphaels Eltern am Restaurant. Mark, schaffst du es bis halb sechs Uhr zu Hause zu sein?" Mein Vater sieht mich an. Ich nicke widerwillig. Raphael streift sich die Jacke über. Sein Blick sagt mir, dass das jetzt die letzte Chance ist, um dem Ganzen noch zu entgehen. Ich kriege kein Wort heraus. „Gut, wollen wir dann?", richtet mein Vater an Raphael und wendet sich zur Tür. Raphael greift nach seinen Schuhen. Ich blicke ihn entschuldigend an. „Pluto", sage er knapp und wirft mir einen letzten Blick durch den Türspalt zu. In seinen Augen spiegelt sich das Unwohlsein, welches er empfindet und welches auch meine Gefühlslage beschreibt. Das ist doch alles zum Haare raufen. „Hawaii wäre auch gut", murmele ich leise und weiß, dass es Raphael nicht mehr hört. Eine Weile bleibe ich vor meiner Wohnungstür stehen. Apathisch und irgendwie überrollt. Jetzt wo ich wieder allein bin, ist es, als würden die Geschehnisse der letzten 24 Stunden über mich einbrechen. Mein hilfloser und vereitelter Versuch mich an Jake zu binden. Raphaels Geständnisse, die meinen Puls augenblicklich wieder in die Höhe treiben. Er hat sich für mich entschieden. Es klingt noch immer unwirklich. Und dann die Donnerwalze mit seinen Eltern. Wobei das ständige Auftauchen eines meiner Erzeuger auch nicht angenehmer ist. Im Moment hat mein Vater das Talent, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Irgendwie alarmierend. Meine Hand schlägt gegen den Türrahmen. Leise schimpfend gehe ich ins Bad, krame nach neuem Verbandszeug und gehe damit in die Küche zurück. Die Uhr sagt mir, dass es bis zum Abend noch 6 Stunden sind. 2 Vorlesungen liegen dazwischen. Ich fühle mich kaum in der Lage sie halbwegs adäquat zu absolvieren. Ein weiteres Mal sehe ich auf die Uhr und gehe dann in mein Hauptzimmer zurück. Mein Bett ist gemacht. Ich lasse mich auf die Couch fallen und mir kommen Raphaels Worte in den Sinn. Nicht zu dem Essen zu gehen. Wäre das wirklich die Lösung gewesen? Er hat es einfach so gesagt. Er klang dabei so überzeugt. Woher kommt dieser plötzliche Mut? Ich muss mir eingestehen, dass ich bei den ganzen sehnsüchtigen Überlegungen, Raphael an meiner Seite zu wissen, nie wirklich weitergedacht habe. Vielleicht, weil ich nie damit gerechnet habe? Meine Gedanken drehen sich einen Moment im Kreis. Mein heimliches Irgendwas mit Jake ist wesentlich einfacher zu verheimlichen gewesen. Allerdings ist Raphael meinen Eltern bereits bekannt und er wird von ihnen gemocht. Aber in erster Linie als Freund meiner Schwester und nicht als mein Freund. Mein Freund. Es fühlt sich weiterhin komisch an. Doch das seltsame Gefühl ist auch immer begleitet von prickelnder Freude. Außerdem mag er meine Eltern. Mal sehen, wie lange noch. Ich verdränge, dass ich meine Homosexualität nicht ewig geheim halten kann. Verdrängung. Ist das nicht ein psychologischer Begriff? Egal, darin bin ich jedenfalls gut. Das Schlimme ist, dass ich es eigentlich nicht verschweigen will. Schon lange regt sich in mir der Wunsch, es endlich heraus zu brüllen, aber ich finde einfach nicht den Mut dazu. Ich will niemanden enttäuschen. Doch egal, was ich tue, ich enttäusche durch meine Handlungen immer jemanden. Die Tatsache, dass ich gerade genau das mache, was ich vor ein paar Tagen noch so bösartig Raphael an den Kopf geworfen habe, lähmt meine Knochen. Ich bin ein mit Dummheit gefüllter Idiot. Das wird sicher kein Verkaufsschlager an der Bäckereitheke. Es ist ja nicht nur mein eigenes Outing, sondern auch die Offenlegung der Tatsache, dass ich die gesamte Zeit heiß auf den Freund meiner Schwester war. Was werden meine Eltern darüber denken? Sie werden denken, dass ich deshalb die ganze Zeit gemein gegenüber Maya war, aber das bin ich aus Prinzip und die Eifersucht machte meine Angriffslust nur noch schlimmer. Wie kann Raphael glauben, dass ich es ihnen so einfach erklären kann? Was hat er für Vorstellungen? Ich habe es schließlich seit Jahren nicht geschafft in dieser Angelegenheit den Mund auf zu machen. Raphael ist bisher auch nicht der Wagemutige gewesen. Vielleicht will er nur den Umstand beenden, weiter lügen zu müssen. Raphael gefällt es nicht zu lügen, das habe ich schon damals in der Schule gemerkt. Er hat das eine Mal sogar zugegeben einen Spickzettel benutzt zu haben und das obwohl der Lehrer keine Beweise hatte. Nur eine winzige Ahnung. Ich habe das Gespräch durch Zufall im Flur mitbekommen. Ich hätte mich aus dieser Situation herauslaviert ohne rot zu werden, aber Raphael gestand. Einfach so. Das macht ihn noch liebenswerter. Ich lasse meinen Kopf nach hinten auf die Couchlehne fallen und sehe an die Decke. Hätten wir es doch so machen sollen? Hätten wir einfach zu Hause bleiben sollen? Unsicherheit breitet sich in mir aus. Nein. Doch. Nein. Oh man. Kapitel 15: Eine Leiche zum Dessert ----------------------------------- Kapitel 15 Eine Leiche zum Dessert Als ich erneut auf die Uhr sehe, ist es höchste Zeit loszugehen. Ich raffe mich nur schwer auf, gehe zum Schreibtisch und greife gerade nach meinen Heftern als mir ein Zettel auffällt. Es stehen eine Telefonnummer darauf und die Bitte ihm zwischendurch zu schreiben. Daneben ein grinsender Smiley mit einem kleinen Herzen. Raphaels Nummer. Es zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Wahrscheinlich hat er die Stimme meines Vaters vorhin erkannt und gewusst, dass wir es wieder bravourös vergessen würden. Danach nehme ich meinen Unikram und den Zettel, stopfe alles außer die Nachricht in den Rucksack und wandere in die Küche um den letzten Rest Tee mit einem Zug zu leeren. Mein Handy blinkt noch immer lustig und als ich es zur Hand nehme, sehe ich 6 verpasste Anrufe. Alle von meinen Erzeugern. Mama und auch Papa. 3 Nachrichten. Keine ist von Shari. Ich tippe, obwohl es mir widerstrebt zu nerven, eine weitere Nachricht mit hoffnungslos vielen Smileys. Ich bitte sie zum gefühlten hundertsten Mal um Verzeihung und wünsche ihr einen schönen und aufregenden Tag. Shari bräuchte ich jetzt am Dringendsten. Ich werde sie nicht einmal in der Universität treffen, denn heute hat sie eine Exkursion. Ich weiß nur wieder nicht wohin. Weil wir uns nicht sehen, wollten wir uns am Abend treffen. Doch meine heutige Shari-Zeit habe ich an Andrew abgetreten. Bevor ich gehe, speichere ich noch die Nummer von Raphael ein und verspüre sofort den Drang ihm zu schreiben, doch ich lasse es, schließlich könnte er bereits jetzt bei Maya stehen. Vielleicht sollte ich es gerade tun. Mein Daumen zuckt verräterisch. Meine Libido schwenkt das rosabestoffte Unterhöschen, doch die Mutlosigkeit schreit Nein und hisst die weiße Flagge. Zum Kotzen. Intensiv einatmend, stecke ich es in die Hosentasche. Ich falte den kleinen Zettel sorgsam zusammen und stecke ihn in mein Portemonnaie. Ihn werde ich behalten. Immerhin hat mir hier Raphael das erste Herzchen geschenkt. Ich sehe erneut den rötlichen Schnitt auf meiner Handfläche. Mit dem Daumen drücke ich die Ränder entlang. Es schmerzt und sonderlich gut sieht es auch nicht aus. Missmutig knalle ich mir im Badezimmer eine Ladung Desinfektionsmittel drüber und bastele mir einen neuen Verband um die Hand. Ich wäre kein guter Sanitäter geworden und eine Krankenschwester auch nicht. Erst danach gehe ich endlich los. Zur Vorlesung komme ich zu spät. Es interessiert niemanden. Ich kann mich nicht konzentrieren und verlasse nach 4 Stunden und einer halben Seite Geschriebenes die Uni. Ich fahre zu mir, ziehe mir etwas Annehmbares an und verwüste dabei meinen Kleiderschrank und das halbe Zimmer. Grandios. Vor dem Haus meiner Eltern steht Raphaels Auto. Sie müssen als vorher noch bei ihm gewesen sein. Im Flur bleibe ich stehe und lausche dem unruhigen Gewusel im oberen Stockwerk. Soweit ich erkennen kann, ist niemand unten. Keiner hat mich gehört. Ich atme aus und ziehe mir nur die Schuhe aus. Die Jacke lasse ich an. Ich schleiche mich in die Küche und schaue, wie ich es gewohnt bin in den Kühlschrank. Ich stehe vor den Resten von Kaffee und Kuchen. Die Stimmen im oberen Stockwerk werden lauter. Mein Blick fällt auf die Torte zu Mayas Ehrentag. Es ist nur noch die Zahl 8 und ‚tstag‘ zu erkennen. Nun ist sie erwachsen. Die Stimme in meinem Kopf verzerrt die Zahl zu meinem Absurdum. Erwachsen. In unserer Familie bedeutete es mehr Freiheiten. Verlängerte Ausgehzeiten und die ungehinderte Möglichkeit bei Freunden zu nächtigen, vorausgesetzt man meldete sich regelmäßig. Nun dürfte sie ohne zu fragen bei Raphael übernachten. Die Eifersucht in mir schreit, dass sie das nie wieder tun wird. Mir vergeht bei diesen ganzen Gedanken trotzdem der letzte Rest des Appetits. Ich nehme mir ein Glas Wasser und lehne mich an die Spüle. Meine Eltern diskutieren oben immer noch. Ich horche auf als ich Schritte auf der Treppe vernehme. Als ich mich zur Tür beuge, sehe ich meine Mutter im Flur, die sich gerade ein paar Ohrringe einfädelt. Sie trägt ein dunkelblaues Wickelkleid, welches sich perfekt um ihren schlanken Körper schmiegt. Es betont die richtigen Stellen. Sie sieht wunderschön aus. Sie bemerkt mich nicht, denn ich stehe im Dunkeln. Ich rege mich nicht und nippe an meinem Wasser. Meine Mutter ruft nach meinem Vater. Sie fragt, ob er weiß, wo ich bin. Er versichert ihr, dass er mir Bescheid gegeben hat. Meine Mutter scheint nicht überzeugt, denn sie greift nach dem Telefon. Ich höre, wie sie aus dem Kopf meine Nummer eintippt. Das verursacht ein Lächeln auf meinen Lippen. Mein Handy vibriert nur. Schmunzelnd gehe ich ran. „Mark, wo bist du?" Ohne Umschweife. Sie klingt leicht gestresst. „Küche", sage ich knapp, aber schmunzelnd. Nach wenigen Augenblicken sehe ich, wie sie durch die Tür lugt als wurde ich spinnen. Ihr Gesichtsausdruck, als sie merkt, dass es der Wahrheit entspricht, ist zum Schießen. „Oh, Schatz, wann bist du gekommen?" Sie kommt auf mich zu und nimmt mich liebevoll in den Arm. Sie trägt diesen wunderbaren blumigen Duft, der sofort Erinnerungen an meine Kindheit weckt und mich selig wiegt. Ich genieße diesen Moment. Durch meinen Auszug sind sie natürlich viel weniger geworden und ich muss gestehen, dass ich es vermisse. „Ich glaube zwischen 'Wo ist mein Hemd?' und 'Im Schrank, wo es immer ist'." „Mir ist mittlerweile eingefallen, dass es am Bügelbrett hängt, aber er wird es schon finden." Meine Mutter, der Scherzkeks. Sie lacht sanft und auch ich schmunzele als sie mädchenhaft kichert. „Möchtest du noch etwas von der Torte?", fragt sie fürsorglich. Ich verneine dankend. „Gut, gut. Wir sind sowieso etwas im Verzug. Deine Schwester eiert sich nicht aus." Ich zucke nur gelangweilt mit den Schultern und gebe keinen verdächtigen Kommentar von mir. Meine Mutter stutzt. Sie kommt noch einmal auf mich zu und legt mir sanft ihre Hand gegen die Stirn. Ich sehe sie verdutzt an. „Kein Fieber. Krank bist du nicht. Also was, mein sonst-um-kein-spaßigen-Spruch-verlegener Sohn, ist los?" Bei ihr meint spaßig eigentlich dämlich. Toll, wie sie es beschönigt. „Dein Sohn ist einfach nicht gut drauf", sage ich und spreche damit sogar irgendwie die Wahrheit aus. Sie mustert mich argwöhnisch, dann lehnt sie sich neben mich an die Küchenzeile. „Hast du Stress?" „Geht so!" „Hast du mit irgendjemanden Ärger?" „Nur das Übliche" Ich blicke auf meine Hände. „Und mit dir und Raphael ist alles gut?", fragt sie unvermittelt und ich sehe verwundert auf. „Alles bestens", sage ich, nachdem ich ihr Gesicht ausführlich gemustert habe und keinerlei Indiz finde, wieso genau sie nach ihm fragt. „Dein Vater hat mir erzählt, dass du und Raphael... Na ja, dass ihr wohl in der letzten Zeit viel miteinander in Kontakt steht." Sie nutzt eine wirklich seltsame Formulierung. Vermutlich hat mein Vater ihr von ungewöhnlichen Zusammentreffen berichtet. Ich bei ihm. Er bei mir. Ich nippe unauffällig an meinem Wasserglas. „Ja. Ich habe ihm bei der Korrektur einer Arbeit geholfen." Meine Stimme klingt seltsam als ich Raphaels Ausrede vom morgen aufwärme. Ich fühle mich, wie in einem Verhör und weiche ihrem Blick aus. In diesem Moment betritt mein Vater die Küche. Er richtet sich seine Krawatte. Sie nimmt die Farbe des Kleides meiner Mutter auf. Es passt perfekt zusammen. In gewisser Weise Partnerlook. „Oh, du bist ja schon da! Gut. Jetzt muss nur noch Maya fertig werden und dann können wir endlich los." Er zerrt an dem Knoten rum und zerknittert dabei die halbe Krawatte. Sie sitzt dazu auch noch schief. Wieder zerrt er daran rum. Ich kann es nicht mit ansehen, gehe zu ihm und schiebe seine Hände zur Seite. Ich löse die Krawatte noch einmal ganz und binde sie ihm richtig. Mein Vater sieht mir perplex dabei zu. Genauso, wie meine Mama. „Woher kannst du das?", fragt er mich und ich lasse seinen Schlips los. Die Verwunderung meiner Eltern ist verständlich. Hätte man mir vor einem halben Jahr eine Krawatte in die Hand gedrückt, dann hätte ich sie wahrscheinlich zerknüllt oder als Strick missbraucht, aber garantiert nicht binden können. Das kann ich erst Dank Jake. Ich selbst besitze keine Einzige und das wissen auch meine Eltern. Er trägt täglich welche auf Arbeit und irgendwann zeigte er mir, wie man sie richtig handhabt. Für jeden erklärten Schritt bekam ich einen Kuss. Jeder Fehler beim Wiederholen kostete mich den baldigen Orgasmus. Wohlige Qualen. Ich habe mir noch nie etwas besser eingeprägt. Die Erinnerung daran lässt mich schmunzeln und etwas erzittern. Ich sehe auf und schaue in die fragenden Gesichter meiner Eltern. „Ich stecke nun mal voller Überraschungen", kommentiere ich, trinke den letzten Schluck Wasser und stelle das Glas in die Spüle. „Scheint so", sagt meine Mutter und es ertönen Stimmen auf der Treppe. Damit ist mein Verhör endlich beendet. Raphaels ruhiger Bariton dringt zu uns runter. Mayas Stimme hingegen hört sich aufgebracht an. Sie klingt wie immer. Zickig, laut und nervig. Ich folge meinen Eltern nun langsam in den Flur. Mit jedem Schritt schlägt mein Herz schneller. Vor allem als ich Raphael am oberen Rand der Treppe erblicke. Er sieht geschafft aus und streicht sich durch die dunklen Haare. Als Maya die Treppe runterschwebt, straffen sich meine Schultern. Sie trägt ein zartrosafarbenes Kleid und es sieht zugegebenermaßen fantastisch an ihr aus. Es geht ihr bis zu den Knien, umschmeichelt sie sanft beim Laufen. Eine weiße Strickjacke verdeckt ihre schmalen Schultern. Für meinen Geschmack ist sie wieder zu stark geschminkt. Sie wirkt, wie aus einem dieser fluffigen, pinken Kitschromane. Raphael folgt ihr mit Abstand. Unsere Blicke treffen sich erst als sie beide unten ankommen. Das Grün seiner Augen schreit förmlich nach Unwohlsein und bittet unaufhörlich um Entschuldigung. So eine Farce. Und ich bin schuld, dass wir sie durchleben müssen. In mir beginnt es zu brodeln. Jetzt schon. Ich gratuliere Maya nur kurz und bündig. Sie legt sowieso kaum Wert auf meine Aufmerksamkeit. Sie würdigt mich kaum eines Blickes. Ich überreiche ihr den Gutschein, den ich für eine ihre Lieblingsboutiquen besorgt habe. Ich habe von diesen einige auf Lager und umgehe damit den Umstand mir in irgendeiner Weise Gedanken machen zu müssen. Maya bedankt sich. Es sind reine Höflichkeitsfloskeln, denn unsere Eltern stehen ja direkt neben uns. Danach bin ich wieder abgeschrieben. Sie dreht sich zu Raphael. Sie sei aufgeregt, quietscht sie ihm entgegen und ich möchte sie erwürgen. Raphael lächelt zurückhaltend und sieht nicht aus als würde er sich sehr darüber freuen seine Eltern zu sehen. Er hilft ihr ganz Gentleman-like in die Jacke. Ihr zufriedenes Lächeln überstrahlt alles. Mit jeder weiteren Berührung zwischen den Beiden merke ich, wie ich gedanklich immer weiter aus dem Geschehen entschwinde. Ich hasse sie dafür, dass sie ihn an sich gerissen hat und ihn für sein narrensicheres Schauspiel, dem selbst ich einen Moment lang Glauben schenke. Zu sehr sogar. Ich hasse sie dafür, dass sie uns das antut und mich selbst, weil ich es zugelassen habe. Mein Herz rast, weil ich genau weiß, dass wir auf Raphael hätten hören sollen. Wenn ich doch nur den Mund aufgemacht hätte, dann wäre uns das alles erspart geblieben. Als wir endlich zu den Autos gehen, bin ich mir nicht mehr sicher, dass ich es wirklich überstehen kann. Dennoch ist es das erste Mal, das mir auffällt, wie sich seine Berührungen ihr gegenüber geändert haben. Es sind keine sanften Gesten mehr, sondern eine einfache an der Schulter oder ihrem Oberarm. Sie sind nichtsbedeutend. Neutral. Maya steigt zu Raphael ins Auto und ich muss mich entscheiden. Ich blicke zu Maya, die mir von der Beifahrerseite aus entgegenblickt, während Raphael noch immer vor geöffneter Fahrertür steht und darauf wartet, ob ich bei ihm einsteige. Meine Fingerspitzen kribbeln und kurzentschlossen gehe auf Raphaels Auto zu. Ich lasse mich auf die Rückbank fallen, höre das genervte Seufzen meiner kleinen Schwester und empfinde dabei schon Genugtuung. Eine halbe Minute lang herrscht Stille. „Warum fährst du nicht bei Mama und Papa mit, Mark?" „Warum schämst du dich nicht, Maya?", knallen wir uns synchron an den Kopf, gefolgt von einem gleichzeitigen Knurren. „Schämen, warum?", fragt sie echauffiert hinterher und macht den Eindruck, als würde sie wirklich nicht verstehen, worin das Problem liegt. Ich starre fassungslos auf ihren blonden Hinterkopf. Ich würde ihn gern durchlöchern. Nur mit meinem Blick. „Wie kannst du es wagen, einfach seine Eltern einzuladen?" „Woher weißt du das?", fragt sie zickig zurück. Sie blickt zum fahrenden Raphael. „Ich weiß mehr, als du denkst, Schwester." Die Verwandtschaftszugehörigkeit betone ich dabei besonders. Anscheinend hat er ihr wirklich nicht gesagt, warum er die Trennung will. „Du hast keine Ahnung, Bruder. Und du hast dich gefälligst nicht einzumischen oder den Mund aufzureißen." „Hast du keinerlei Bedenken, dass dir das auf die Füße fällt? Mama und Papa wären entsetzt, wenn sie das erfahren." „Ach halt doch die Klappe, sonst garantiere ich dir, dass du am Ende des Abends nicht mehr das Lieblingskind unserer Familie bist." Meine Augenbraue zuckt nach oben. Lieblingskind? „Maya hör auf Drohung auszusprechen. Er hat vollkommen Recht. Du hättest sie ohne meine Zustimmung nicht einfach einladen dürfen. Wie bist du überhaupt an die Nummer gekommen?", mischt sich nun auch unser Fahrer ein. Ich sehe, wie sich seine Hände fester um das Lenkrad legen, bis seine Fingerknöchel hervortreten. Maya muss in seinem Handy rumgeschnüffelt haben. Vielleicht schon lange vorher. „Ich wollte dir eine Freude machen. Mehr nicht. Du meintest doch letztens, dass du sie schon so lange nicht mehr gesehen hast und da dachte ich, dass es die Gelegenheit ist." Mayas Stimme ist zuckersüß. Sie macht auf kleines, unschuldiges Mädchen. Ich möchte mich übergeben. „Ach, erzähl nicht. Du hast es aus reinem Kalkül gemacht, weil du sonst in Erklärungsnöte geraten wärst. Also, was versprichst du dir davon?", knurre ich ihr entgegen und lehne mich nach vorn, sodass ich mehr Einblick in die Gesichter der beiden habe. „Ich habe ein Recht darauf, die Eltern meines Freundes kennenzulernen." „Ex-Freund, Maya und du hast kein Recht dazu. Schon gar nicht hinter seinem Rücken", spreche ich säuerlich aus. Raphael schielt kurz zu mir nach hinten. „Hat er dir erklärt, dass er sich explizit von mir getrennt hat? Glaub mir, so war es definitiv nicht." Die Boshaftigkeit in diesen Worten ist kaum zu überhören, aber dennoch spüre ich, wie sie mich verunsichern. Unbewusst sehe ich zu Raphael, der sich krampfhaft versucht darauf zu konzentrieren kein anderes Auto anzufahren. Raphael ist nicht der Typ für direkte und deutliche Worte. Ich kann mir gut vorstellen, dass er rumgedruckst hat und ausgewichen ist. Die Vorstellung bereitet mir gerade Magenschmerzen Deluxe. Wir erreichen das Restaurant. Raphael parkt ein und wir bleiben alle im Auto sitzen. „Maya, hör auf damit! Ich habe dir erklärt..." Ein Klopfen an der Scheibe zur Fahrerseite lässt ihn verstummen. Raphael fährt zusammen. Ich kann deutlich sehen, wie sein Herzschlag zu explodieren scheint, weil sich die Vene an seinem Hals deutlich abzeichnet. An der Scheibe das Gesicht eines Mannes. Raphaels Vater. Ich erkenne das Gesicht vom Foto. Dahinter steht seine Frau. Familie Cohen. „Glaub mir, Mark, es ist noch nicht vorbei", flüstert mir Maya nach hinten und diesmal klingt es nach einer eindeutigen Drohung. Raphael steigt aus und Maya folgt ihm prompt. Ich brauche einen Moment. Als ich endlich aussteige, treffen auch meine Eltern ein. Ich atme tief durch, während die lustige Familienkennenlernrunde beginnt. Es startet mit förmlichem Händeschütteln und Vorstellen. Maya schmettert ihnen ein kindliches Hallo entgegen und sorgt bei mir und meinen Eltern für Kopfschütteln. Raphaels Lächeln als er seine Mutter begrüßt, hat etwas Bezauberndes und trotzdem spüre ich eine gewisse Distanz zwischen den beiden. Insgesamt sind seine Reaktionen recht verhalten. Raphaels Vater ist ein ganzes Stück kleiner als er. Doch das markante Gesicht und die gerade, aufrechte Haltung hat er eindeutig von ihm. Am Bemerkenswerten ist jedoch seine Stimme. Sie ist weich und ruhig, aber auch streng und bestimmend. Sie hat irgendetwas Einlullendes. Es ist faszinierend. Als er mir die Hand reicht, spüre ich, dass sie kalt ist, ebenso wie meine. „Mark, nicht wahr? Freut mich." Seine Stimme verursacht mir Gänsehaut und ich schaffe es nur zu nicken. Danach greift schon seine Mutter nach meiner Hand. Sie muss das gleiche Alter, wie meine haben. Sie hat ein schönes, aber unaufgeregtes Gesicht. Kleine Falten um ihre Lider zeichnen das Leben. Sie verleihen ihr auch etwas Strenges. Ebenso, wie ihre nach hinten gebundenen Haare. Beide machen mir keinen unkomplizierten Eindruck. Sie lächeln nichts einfach weg. „Mark, ja?", wiederholt sie meinen Namen und lächelt. „Ja, freut mich Sie kennenzulernen", erwidere ich höflich und nicke die Richtigkeit meines Namens ab. Die Augen seiner Mutter sind fast so grün, wie die von Raphael, obwohl ihnen dieser ganz bestimme Ausdruck fehlt. Sie sind dunkler, brauner und es fehlt, was sie bei Raphael so unglaublich anziehend für mich machen. Ich blicke verstohlen zu dem Mann meines Herzens. Mein Vater bläst zum Abmarsch und wir setzen uns in Bewegung um endlich ins Warme zu kommen. Raphael hält allen die Tür auf bis ich als Letztes hindurchtrete. Wir bleiben kurz stehen. „Alles okay?", fragt er mich und greift ganz sachte an meine Hand. Eigentlich berühren sich nur unsere Fingerspitzen. Ich sehe die deutliche Nervosität in seinem Blick. Meine ist verflogen und hat der Wut Platz gemacht, die Mayas dummes Gerede im Auto verursacht hat. „Was meinte sie vorhin?", flüstere ich. Raphael antwortet nicht, sondern schüttelt nur minimal den Kopf, um mir zu verdeutlichen, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist um darüber zu reden. „Lass es uns einfach schnell hinter uns bringen, ja?" Dass er nicht richtig antwortet, gefällt mir nicht. Als wir das Restaurant betreten, stehen unsere Familienmitglieder noch immer um den reservierten Tisch herum. Die Stimmung ist, wie erwartet seltsam. Vorsichtiges Herantasten und oberflächliches Kennenlernen. Ich nehme unseren Müttern die Jacken ab und bringe sie an den nächsten gelegenen Garderobenständer. Maya und Raphael setzen sich nebeneinander. Mein Vater setzt sich neben meine Schwester. Ich warte und überlasse Raphaels Eltern die Entscheidung über ihren Sitzplatz. Bereitwillig nehme ich den, der übrig bleibt. Sie entscheiden sich für die Plätze gegenüber Maya und meinem Vater, sodass ich gegenüber Raphael Platz nehmen kann. Meine Mutter sitzt an der Frontseite des Tisches. Das sagt Einiges über unsere Familienstruktur aus, wie ich finde. Direkt neben Raphaels Vater zu sitzen, macht mich nervöser als ich es für möglich gehalten habe. Unbewusst schlage ich die Beine übereinander und tue es damit Raphael gleich, der den Anschein erweckt, ruhig und gefasst zu sein. Doch das schnelle, unstetige Wippen seines Fußes spricht eine andere Sprache. Hin und wieder berührt er meinen. Unabsichtlich. Es ist nur ein hauchzartes Streifen. Ich sehe ihn an. Wir bestellen Getränke und Essen, verfallen in informationssammelnden Small Talk und ich versuch herauszubekommen, wer welche Rolle in dieser Dramödie spielt. Oberflächlich hat das Ganze den Charakter einer reinen Komödie. Meine Mutter gibt den diplomatischen Vermittler. Mein Vater fungiert als Gesprächsanstupser und Themenbringer. Während Familie Cohen sich ebenso aufmerksam einfügt und versucht abzuschätzen auf welche Art von Familie sie hier gestoßen sind. Maya macht einen auf zuckersüße Schwiegertochter in Spe. Sie lächelt und hakt interessiert nach. Ich verhalte mich eher ruhig und versuche nach besten Kräften meinen Puls zu kontrollieren und mich nicht schwallartig zu übergeben. Ich denke ständig an Mayas Worte im Auto und Raphaels Blick. „Und Maya, was hast du neben der Schule noch für Interessen?", fragt Herr Cohen, während die anderen ihren Nachtisch vor die Nase gestellt bekommen. Warmer Apfelstrudel mit Eis und Zimtcracker. Die ruhige, weiche Stimme Raphaels Vaters lullte mich fast ein. Das macht sie schon den gesamten Abend über. Im richtigen Moment würde man ihm einfach Alles abkaufen. Die Ruhe, die er ausstrahlt, ist beeindruckend und nun weiß ich auch, von wem Raphael sein Wesen hat. Sein Vater arbeitet als Chasan und leitet den Gottesdienst in einer Synagoge. Raphael hat mir bisher keinen sehr religiösen Eindruck gemacht und doch sorgt der Gedanke daran, dafür, dass meine innere Panik sprunghaft steigt. Seine Mutter ist Lehrerin. Also tritt er mehr oder weniger in ihre Fußstapfen. Mein Blick wandert über die Gesichter der anderen Essensteilnehmer und bleibt bei meiner Schwester hängen. Sie schaut zu Raphaels Vater, dann kurz zu der Mutter und letztendlich zu Raphael. Als würde die Antwort dieser extrem komplexen Frage in seinem Gesicht stehen. Mich wundert es, dass sie nicht auch noch hilfesuchend zu unseren Eltern blickt. Mama und Papa würden es sicher richten. „Oh, ich interessiere mich für vieles", bringt sie nach einem Augenblick wenig inhaltsreich heraus. Ein erneuter Blick zu Raphael. Für einen winzigen Moment zucken seine Schultern nach oben. Er kann und wird ihr dabei nicht helfen. Wahrscheinlich habe nur ich das bemerkt. „Für Kunst zum Beispiel", greife ich Maya unter die Arme und ernte einen fragenden Blick von allen Parteien. „Ja, vor allem die Aktmalerei hat es ihr angetan, nicht wahr, Schwesterchen?" Ich betone es mit übertriebener Begeisterung. Ein überraschter Blick von Raphaels Eltern. Ein verstehender von Maya und Raphael. Die Gesichtsausdrücke meiner Erzeuger sind eine Mischung aus Entsetzen, Scham und Unglauben. Wahrscheinlich unterlagen sie bis eben der winzigen Hoffnung, dass ich weiterhin schweigsam bleibe. Sie malen sich bereits aus, wo es enden wird, wenn ich mich einmische. Ich habe es ja versucht, aber diese schwiegertöchterliche Farce, die Maya hier abzieht, bereitet mir Übelkeit. Mit einem Mal spüre ich Raphaels Fuß an meinem. Ein Stupsen. Es soll mir eine blumige Warnung sein. Ich bin, wie jeder Mann schlecht im Erkennen von Andeutungen. „Einen Sinn für Ästhetik zu besitzen ist nichts Schlechtes", kommt es unerwarteter Weise von Raphaels Mutter und sie lächelt mir zu. Dieses Lächeln kann ich nicht deuten, doch es nimmt mir für einen Moment jeglichen Wind aus den Segeln. „Obwohl ein solches Interesse für ihr Alter schon etwas Eigenes ist." Herr Cohen sieht zu seiner Frau, während sich Raphael verhalten über den Mund streicht. „Mein Bruder übertreibt gern. Mein Interesse für Kunst umfasst einen durch und durch normalen Rahmen. Im Gegensatz zu seinem unnormalen und zwanghaften Interesse nackte Menschen zu zeichnen. Er ist ein Spanner." Das Normal betont sie besonders. „Maya, bitte!", kommt es warnend von meiner Mutter. Selbst Raphael entfährt ein leises, aber deutliches Maya. Mein Wind ist wieder da und er bläst. „Ich bevorzuge Beobachter und ja, es ist so normal, wie dein übertriebenes Interesse an der Maskenbildnerei. Ich wurde erst vor kurzem von Oleg Popow gefragt, wo sein Bühnenmakeup abgeblieben ist. Ohne fanden ihn die Zuschauer gar nicht mehr witzig. Aber ich wette, du hattest seither sicher viele Lacher." Mayas Mund öffnet sich getroffen, weil ein Kommentar gegen ihr Äußeres auf extremes Unverständnis trifft. Der feuchte Glanz auf ihren Lippen lässt sie in diesen Moment, wie einen japsenden Goldfisch aussehen. In ihren eigenen Augen ist sie äußerlich perfekt. Wahrscheinlich sehen das auch viele andere so. Ich nicht. Für mich ist es nicht mehr, als eine Maske aus Lüge und Schein. „Daran sieht man, dass du definitiv keinen Geschmack hast und dein viel gelobtes ästhetisches Empfinden für den Arsch ist." „Du weißt doch nicht einmal, wie man Ästhetik schreibt, geschweige denn, was es wirklich bedeutet." „Ich verkörpere mehr Schönheit als du dir jemals zusammen fantasieren kannst." Meine Schwester ist kein bisschen eingebildet. Sie erntet von mir einen fassungslosen Blick voller Unverständnis und Abneigung. „Ach, und weil das so ist, beraubst du mich meines Eigentums? Du bist nichts weiter als eine schlechte und inhaltslose Kopie trivialer Modismen." Die Gesichter am Tisch werden immer verwunderter. Selbst Raphael sieht nicht mehr durch, da er nicht weiß, dass sie die Bilder von ihm von mir gestohlen hat. Maya und ich funkeln uns gegenseitig an. „Du bist ätzend, Mark!" „Du bist langweilig. Fällt dir auch mal, was Neues ein?", kommentiere ich ihren ewigen Satz und verdrehe die Augen. „Kannst du gernhaben. Mark ist schw..." Kapitel 16: Der seltsame Fall des Dr. Klischee und Mr. Euphemismus ------------------------------------------------------------------ Kapitel 16 Der seltsame Fall des Dr. Klischee und Mr. Euphemismus „Schluss damit!" Meine Mutter umfasst mit beiden Händen die Tischkante und unterbricht Maya im letzten Moment. Sie richtet sich auf, so dass ihr Ausruf noch mehr Nachdruck erhält. Ihre Stimme schneidet Glas. Ich halte unwillkürlich die Luft an, während ich sehen kann, wie Mayas Lippen das Wort still beenden. Ihre Arme verschränken sich vor ihrer Brust und sie wirkt augenblicklich, wie ein kleines, zickiges Kind, dem man etwas verboten hat. Ich starre sie an und sie blickt direkt zurück. Ihre blauen Augen blitzen mir aus schmalen Schlitzen entgegen. Als sich meine Mutter wieder hinsetzt, atme ich leise aus. Auch Raphael sieht erschrocken zu mir und ich kann mir ein schweres Schlucken nicht verkneifen. „Bitte, entschuldigen Sie diese geschwisterlichen Dispute. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die beiden nur größer und nicht erwachsener werden", ergänzt meine Mutter scharf, aber mit ihrem gewohnt ruhigen Tonfall. Ein strenges Lächeln bildet sich auf ihren Lippen, welches sich definitiv an Maya und mich richtet. Es ist wirklich lange her, dass meine Eltern derartig aus der Haut fahren mussten. Allerdings waren unsere letzten Zusammentreffen immer durch Provokation und Missgunst geprägt gewesen und das zum Leidwesen unserer beider Eltern. Mein Herz prallt temporeich gegen meinen Brustkorb und scheint ihn fast zu sprengen. Nach diesem Abend bin ich sicher 10 Jahre gealtert. Ich will etwas trinken. Als meine Hand zu meinem Glas greift, sehe ich, wie stark sie zittert. Auch Raphael greift fahrig zu seinem Bier. Er nippt nur kurz daran und etwas des Schaumes bleibt auf seiner Lippe zurück. Ich sehe dabei zu, wie er ihn davon leckt und wünschte, dass ich das übernehmen könnte. Wir hätten definitiv zu Hause bleiben sollen. „Die Dynamiken zwischen Geschwistern sind etwas sehr eigenes", kommentiert Herr Cohen und klingt dabei eigenartig diplomatisch. Er ist zu höflich, um deutlich zu sagen, dass Maya und ich eine totale Blamage sind. In dem Gesicht meiner Mutter ist es hingegen deutlich zu lesen, wie sehr sie sich gerade für uns schämt. Raphael bejubelt sicher sein Einzelkinduniversium und fragt sich, wie er jemals in Betracht ziehen konnte, sich für einen von uns beiden zu entscheiden. Mein Blick schweift zu Maya, die weiterhin zähneknirschend in ihrem Essen rumstochert. Ich denke an die 4 Buchstaben, die sie noch hat sagen können. Damit beginnen viele Worte. Schwachsinnig. Schwierig. Schwermütig. Irgendwie würde das alles in irgendeiner Weise mich beschreiben. Eine Fülle an Möglichkeiten existiert. Ich bin ganz groß darin, mir selbst etwas vor zu machen. Es könnte, aber auch so was, wie schwäbisch, schweinisch oder schwammig heißen. Das Wort Schwanger streiche ich genauso aus meinem Kopf, wie das eigentlich von Maya gewollte. Ich bete innerlich, dass sich niemand das Naheliegende herleitet. „Wir hatten, ja nach Marks Auszug die Hoffnung, dass sich diese ständigen Kontroversen und Reibereien minimieren. Scheinbar haben wir uns getäuscht", steuert nun auch mein Vater bei. Er sieht ernst zu Maya und dann zu mir. Nun reicht es mir aber. Wir sind im Grunde eine gut funktionierende Familie, aber das Idyll, was meine Eltern verkaufen wollten, sind wir nie gewesen. „Nun ja, unsere geschwisterliche Dynamik ist, wie ein Haufen tollwütiger Meerschweinchen. Bissig, penetrant und auf ihrer Seite einfältig. Aber, wie sagt man so schön, die Hoffnung stirbt zu Letzt", kommentiere ich angefressen. Kontroversen und Dispute statt nerviger Streitereien. Wir sind schlicht weg streitsüchtig. Niemand spricht es aus. Ein Hoch auf das herrliche Familienidyll. Ich sehe zu meinem Vater und er erwidert meinen Blick. Ich sehe Verärgerung und dann ein Ausdruck, den ich nicht lesen kann. Es ist nicht das erste Mal, dass mich in der letzten Zeit so ansieht. Ahnt er was? Mein Vater ist aufmerksamer, als es scheint und da war er schon immer gewesen. Maya schaut verwundert und versucht gleichzeitig verärgert zu meiner Mutter zu sehen. Wahrscheinlich hat sie nur eine der drei Eigenschaften verstanden, mit der ich unsere Beziehung charakterisiert habe. Mein Puls beruhigt sich nicht. Auch der Blick von Raphaels Mutter ruht auf mir. Dass sie Lehrerin ist, macht das Ganze noch schlimmer. Als ich ihn erwidere, lächelt sie und widmet sich dann wieder ihrem Nachtisch. Genauso, wie die anderen auch. Ich freue mich schon jetzt auf den Aperitif. In meinem Hals beginnt es, sehnsüchtig zu kribbeln. Zu meinem Glück dauert es nicht lange und wir bekommen jeder einen Abschiedsschnaps vor die Nase gestellt. Ich warte nicht auf die anderen und kippe mir den Kräuterschnaps augenblicklich in den Rachen. Das Brennen ist fantastisch und ich ignoriere die Blicke der anwesenden Parteien. Den habe ich mir verdient und alle anderen können mich mal. „Raphael, was hältst du davon, wenn wir deinen Eltern noch ein bisschen die Stadt zeigen? Und heute ist doch das Weinfest im französischen Viertel", sagt Maya unvermittelt und greift nach Raphaels Hand. Das Lächeln in ihrem Gesicht ist besorgniserregend. Sein erster Blick geht zu mir, wandert dann zu seinen Eltern, die neben mir sitzen und dann zu meinen. Raphael erwidert Mayas Berührung nicht, sondern schließt seine Hand fester um sein Schnapsglas. Meine Eltern sehen sich an und auch Raphael kämpft sichtlich mit einer Entscheidung. Nun wandert auch Mayas Blick zu mir. Ein böses Blitzen in ihren Augen. Ich möchte einfach nur meine Hände um ihren schmalen Hals legen. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Es ist schon sehr spät und ihr wollt doch sicher wieder zurück", merkt Raphael an und auch mein Blick wandert zu seinen Erzeugern. Unwillkürlich halte ich den Atem an. Wieso kann der Abend nicht einfach enden. Ich nehme Raphael mit in mein Bett und lasse ihn nie wieder los. Meine kitschigen Rosawölkchengedanken werden je unterbrochen als sich Raphaels Mutter zu Wort meldet. „Morgen ist Wochenende und wenn wir schon mal hier sind, dann können wir auch etwas Zeit mit unserem Sohn verbringen, findest du nicht?" Frau Cohen sieht ihren Mann begeistert an. Ein erneutes Lächeln legt sich auf ihre Lippen als sie zu Raphael sieht. Sein Gesichtsausdruck wirkt nur halb so glücklich, wie es gegenüber seinen Eltern sein müsste. Dennoch erwidert er das Lächeln ehrlich. „Ich denke auch, dass Sie die Gelegenheit nutzen sollten sich gemeinsam die Stadt anzusehen.", gibt auch meine Mutter zu besten. Sie denkt dabei ganz, wie eine Mama, die ihren Sohn eine Weile nicht gesehen hat. Seit Raphael zurück ist, war er schließlich nicht bei ihnen. „Im Moment ist vor allem die Skyline ein absoluter Hingucker", hängt sie noch mit ran. Alles eine klare Verschwörung. Ich stütze frustriert das Gesicht in meiner Hand ab. „Wenn man in Phantásien lebt, vielleicht", murmele ich leise in meine Hand hinein, denn meine Mutter übertreibt. Andere Städte bei Nacht sind vielleicht schön, aber unsere ist eher na ja. „Oh ja, die Stadt bei Nacht, wie romantisch!", greift Maya quietschend auf. Ihr gnadenloser, sinnfreier Kommentar dazu. Ich sehe, wie sie zufrieden klatscht. Das alles spielt ihr perfekt in die Hände. „Mark, du weißt doch, wo der Aussichtspunkt ist, nicht wahr?", fragt meine Mutter. Ja, weiß ich. Ich zucke mit den Schultern. Ich werde den Teufel tun ihnen auch noch zu helfen einen schönen Abend zu haben. „Ist der nicht hier in der Nähe? Du warst doch letztens da, oder?", hakte meine Mutter nach und befeuert damit Mayas Vorschlag ebenfalls und ich beginne innerlich zu kochen. Ich werfe einen unwirschen Blick in Raphaels Richtung. Die Welt hat sich gegen mich verschworen und ich selbst bin schuld daran. Meine elendige Feigheit kotzt mich gerade extrem an. Auch Raphael sagt kein Wort mehr. „Marienpark", sage ich knapp. Er ist wirklich um die Ecke, aber das erwähne ich nicht. Ich bin ja nicht ihr idiotischer Stadtführer. Ich spiele mit dem Glas in meinen Händen, lasse es leicht schwingen und drehen. Der letzte Tropfen brauner Flüssigkeit bewegt sich am Grund. „Mark, sie können uns begleiten, dann verlaufen wir uns nicht", schlägt Frau Cohens vor. Ihre Worte lassen mich aufblicken. Auch Raphael sieht verwundert zu seiner Mutter. Ich kann sehen, wie er kurz zu Maya schielt. Bevor ich etwas sagen kann, schreitet Maya ein. „Nicht nötig. Ich kenne mich genauso gut aus", erklärt sie leicht panisch und bedenkt mich mit einem Blick, der bei jedem anderen furchtvolle Schauer ausgelöst hätte. Bei ist spüre ich nur ein belustigtes Kitzeln. „Du hast einen Orientierungssinn, wie ein Teeei. Da können wir unsere Gäste auch gleich in einer Gasse abstellen und 10-mal im Kreis drehen", kommentiere ich ihren wahnwitzigen Ausspruch, drehe das Schnapsglas in meiner Hand ein paar Mal im Kreis. Leises Gelächter. „Nun, dann begleiten Sie uns, Mark." Wieder Raphaels Mutter. Ich weiß gar nicht, warum sie mich siezt. „Nein, ich denke, dass das keine gute Idee ist!", antwortet Raphael energisch, bevor ich irgendetwas erwidern kann. Ich sehe ihn leicht entgeistert an. Er erstarrt sichtbar, neigt sich dann nach vorn und versucht augenblicklich seine Worte zu relativieren. „Mit den Beiden zusammen ist, es wie..." „Wie ein Rudel tollwütiger Meerschweinchen zu hüten", ergänzt Herr Cohen und verwendet meinen vorigen Wortlaut. Raphael hätte wahrscheinlich andere Worte benutzt. Vielleicht etwas Direktes. Meine Eltern sind seltsam still. Auch ich bin so niedergeschmettert von Raphaels Ablehnung, dass ich tatsächlich einen Moment nicht weiß, was ich sagen soll. Eine Seltenheit. „Nun dann, wir werden uns sicherlich zu Recht finden." Wieder hoch diplomatisch. Damit ist mein Beisein auch von seinem Vater abgelehnt. Warum auch nicht, schließlich wollte mich nicht einmal Raphael dabeihaben. Ich starre auf das Glas in meiner Hand. Wieder lasse ich es kreisen, dann führe ich es zu meinen Lippen. Ich lecke den letzten Tropfen Aperitif davon und beuge mich über den Tisch. Ich greife an Mayas und Raphaels Händen vorbei und nehme ihm das Schnapsglas aus den Fingern. Augenblicklich setze ich es an meine Lippen. Auch dieses trinke ich mit einem Zug. „Mark, wo sind deine Manieren? Bitte, reiß dich zusammen", sagt meine Mutter säuerlich. „Was denn? Schließlich muss Raphael heute noch fahren", kommentiere ich seltsam verärgert. Meine Eltern sehen mich verständnislos an. Ich zucke nur mit den Schultern. „Entschuldigt mich, ich brauche frische Luft", murmele ich im Aufstehen. Ohne auf eine Erwiderung zu warten, gehe ich raus und stelle mich vor die Tür. Die kühle Luft verpufft auf meiner Haut. Im Trickfilm würde ich jetzt garantiert leise zischen und danach lustig dampfen. Ich seufze leicht auf, streiche mir sachte und dann heftig durch die Haare, sodass meine Haare vollkommen durcheinandergeraten. Die Eifersucht, die sich durch meinen Körper arbeitet, brennt. Sie lässt meine Knochen kalzinieren und ich habe das Gefühl, dass sie gleich nachgeben. Diese blöde Kuh. Diese hirnlose Dummtorte. Ja, ich stehe auf Hermine in Harry Potter. Maya, dieses intrigante Miststück. Ich bin kein Freund von Kraftausdrucken, aber Maya bringt schon seit Jahren nur noch das Schlechteste in mir zum Vorschein. Und dann noch Raphael. Ich weiß, dass er es nicht so gemeint hat, aber es hat mich verletzt. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie er im Schmutzfang des Eingangs auftaucht, stehen bleibt und Richtung Toilette deutet als ich ihm meine Aufmerksamkeit schenke. Ich folge ihm, nachdem ich ein weiteres Mal kühlende Luft in meine Lunge sauge und damit meinen inneren Brand zu verringern versuche. Als ich die Tür zur Toilette öffne, sehe ich ihn am Waschbecken stehen. Seine Hände sind feucht. Er sieht auf. Ich gebe ihm nicht die Möglichkeit etwas zu sagen, sondern greife nach seiner Hand und ziehe ihn in eine der Toilettenkabinen. Ich drücke ihn gegen die Wand und einen Kuss auf seinen Mund. Meine Hände greifen fest in sein Hemd und seine Finger umschließen meine Handgelenke. Seine anfängliche Gegenwehr verfliegt schnell. Der Geschmack seiner Lippen ist gepaart mit dem Aroma des Bieres. Karamelliges Malz kostet meine Zunge. Mit jeder Sekunde unserer Berührung spüre ich, wie sein Herz vor Aufregung zu rasen beginnt. Mir geht es ebenso, aber meins schlägt vor Eifersucht und Aufregung. Nur langsam erbebt es vor Erregung. Raphael intensiviert den Kuss, lockt meine Zunge in seinen Mund und ich zergehe in der süßen Herbe seines Geschmacks. Mein aggressives Gebärden wird abgeschwächt und das merkt auch Raphael. Er dreht den Spieß um und drückt mich nun gegen die Wand. Ich ziehe ihn dichter an mich, bis er sich mit der Hand an der Kabinenwand abstützen muss. Meine Hände gleiten über seinen stoffbedeckten Oberkörper. Ich merke, wie sich die Härte seiner Muskeln deutlich darunter anspannt. Ihm ist das Ganze nicht geheuer, aber das interessiert mich gerade nicht. Ich will ihn an meiner Seite wissen, will spüren, dass er mich will und nicht meine Schwester. Ich weiß, dass er der Fantasterei Mayas nicht zu gestimmt hat, aber in meinem Kopf ist in diesem Moment kein Platz für Rationalität und Logik. In meinem Körper brennt das Verlangen und tobt die Eifersucht, die ihn hier und jetzt zu Boden drücken will. Unsere leidenschaftlichen Küsse lassen meinen ganzen Körper beben. Ich fordere und necke. Ich will alles an ihm schmecken. Raphael genießt unsere Knutscherei. Ich merke deutlich, wie er danach giert, meine Zunge lockt und meine Lippen auf seinen wissen will. Er wird mit jedem Mal forscher und frecher. Ich liebe es. Seine Hand legt sich in meinem Nacken und ich nutze den Moment um mit meinen Fingern in seine Hose hinein zu schlüpfen. Ich spüre den rauen Jeansstoffes und die Sanftheit seiner warmen Haut. Erregend und atemberaubend. Raphael zieht scharf die Luft ein und gibt mir damit noch mehr Raum. Mit der freien Hand greife ich nach der Gürtelschnalle und öffne sie schnell. Auch Raphael keucht wiederholt erschrocken auf. Ich öffne seine Hose. Hitze schlägt mir entgegen. Er ist erregt. Ich merke es deutlich und genauso klar ist es zu sehen. „Mark," Ein erster Versuch mich zu stoppen. Ich ziehe seine Lippen neckisch zurück auf meine. „Mark, stopp", versucht er es erneut und ich denke gar nicht daran. Die Wärme seiner Haut lässt meine Finger ekstatisch kribbeln. Ich gleite seine stoffbedeckte Härte entlang. Die Erinnerung daran, wie er schmeckt und wie es sich anfühlt ihn mit meinem Mund ertasten zu können, ist mehr als erregend. Ich beiße mir sachte auf die Unterlippe. In mir lodert die pure Lust. Ich ziehe den Reißverschluss seiner Hose nach unten und gehe dabei auf die Knie. Raphael greift an meine Schultern und hält mich zurück. „Mark nicht! Hier kann jeder Zeit jemand reinkommen." „Dann sei leise...", raune ich nur und schiebe seinen Hosenstall auseinander. Ich sehe nicht auf, sondern starre auf die deutliche Ausbeulung seiner Unterhose. Sie blitzt zwischen den gespreizten Verschlusshälften seiner Jeans hervor. Das satte Blau seiner Shorts versteckt nichts. Ich stelle mir vor, wie er pulsiert und das sanfte Pochen meine Zunge kitzelt. Meine Zungenspitze tippt gegen meine Oberlippe und so sehe ich auf. Raphael schluckt. Meine Lippen senken sich auf die bedeckte Spitze. Mein heißer Atem lässt ihn schaudern. Ich merke das Zittern seiner Hände an meinen Schultern. Seine Fingerkuppen krallen sich in meine Haare. Meine feuchte Zunge streicht spitz und unnachgiebig über den Stoff. Mir ist egal, dass ich Spuren hinterlasse. Ich umfasse seine Länge mit den Lippen, spüre so die gesamte Breite seiner Erregung in meinem Mund. Die Vorstellung, dass er den Rest des Abends mit meiner Schwester verbringt, macht mich schier rasend. Auch, dass seine Eltern dabei sind, verharmlost für mich den Gedanken nicht. Im Gegenteil. Ich lasse ihn sachte meine Zähne spüren, wissend, dass der Stoff die Schärfe dämpft. Ich beiße mich die gesamte Länge entlang, während meine Hand leicht an der lockeren Hose zupft und sie Stückchenweise tiefer zieht. Als die Hose nach unten rutscht, schreckt er auf. „Mark, nicht..." Sein Atem geht schwer und seine Stimme ist nur ein heiseres Flüstern. Die Hitze vor mir verdeutlicht, dass er das nicht so meinen kann. Doch er drückt mich an die Kabinenwand, macht einen Schritt zurück und zieht die Hose hoch. Ich richte mich unzufrieden auf. „Mark, verdammt...", setzt er an und keucht. Er braucht einen Moment um sich zu sammeln. Ich mache den Schritt wieder auf ihn zu und bleibe dicht vor ihm stehen. „Was soll das? Was ist los? Ich... ich wusste nichts von ihren Plänen und herrje, ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass meine Eltern darauf eingehen", beteuert er mir. Ich greife nach seinem Kragen, richte ihm diesen um dann wieder fest danach zu fassen und ihn zu mir zu mir ran zuziehen. „Fick mich", flüstere ich ihm heiß ins Ohr. Ich meine es vollkommen ernst. Raphael erstarrt augenblicklich. „Was?" In seinem Blick und in seiner Stimme schwingt Unsicherheit. „Soll ich es dir noch mal buchstabieren?", frage ich ungeduldig und sehe, wie er mein Gesicht mustert, um zu verstehen, wie ernst es mir ist. Mein Irrrationalität bricht gerade alle Rekorde. Als er den Ernst der Lage erkennt, sehe ich plötzlich Panik in seinen Augen. Ich weiß nicht, was sie bedeutet, doch sie ernüchtert mich derartig, dass ich meinen Blick abwende. Meine Hände fahren von seinem Kragen zu seiner Brust. Ich spüre seinen heftigen Herzschlag, der sowohl von Erregung, als auch von Anspannung zeugt. Kurz verkrampfen sich meine Finger in den dünnen Stoff und dann öffne ich die Tür. Ich atme kurz durch. „Viel Spaß bei eurer Stadtrundfahrt", flüstere ich in die Kabine hinein und verlasse die Toilette. Ich höre, wie er meinen Namen ruft. Wieder mit diesem gewissen Ton, der mir Gänsehaut verursacht. Ich gehe nicht zurück zum Tisch, sondern direkt raus. Die frische Luft empfängt mich mit kalter Zuneigung und ich gehe ein paar Meter, bevor ich stehen bleibe. Hauptsache weg. „Argghn...", brülle ich in die Nacht hinein und ignoriere den Fahrradfahrer, der an mir vorbei radelt. Die chaotischen Gefühle in meiner Brust sind mir einfach zu viel. Verzweiflung beißt sich durch mein Fleisch. Hoffnungslosigkeit und Eifersucht nagen an meinen Knochen. Angst und Unsicherheit lähmen meine Glieder. Ich starre auf den feuchten Bürgersteig. Ich weiß nicht einmal, was ich mit dem Überfall gerade bezwecken wollte. Natürlich kommt er meiner Aufforderung nicht nach. Was habe ich mir dabei gedacht? Wir haben es noch nicht einmal unter normalen Bedingungen geschafft, miteinander zu schlafen, da wird er sich in einer Restauranttoilette auch nicht entspannen. Zudem warten unsere Familien darauf, dass wir wiederkommen. Nichts, aber auch gar nichts gibt einen vernünftigen Grund her, weshalb er hätte nicht so reagieren sollen. Warum verletzt es mich dann so? Wahrscheinlich bin ich mir Raphaels Gefühle erst sicher, wenn wir diesen Schritt gewagt haben. Das spricht nicht gerade für meine Verfassung, vor allem, weil ich damit auch Raphael dauernd vor den Kopf stoße. Es ist zum verrückt werden. Ich fühle mich derartig von der Welt verarscht, dass ich keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen kann. Das passt überhaupt nicht zu mir. Ich bin lautstark, frech und nehme kein Blatt vor den Mund. Und für gewöhnlich belächele ich die Ungerechtigkeit. Normalerweise. Mein Herz verkrampft sich. Die Unsicherheit durchfährt mich wie die Spitze eines Speers, der mir die Gedärme herausreißt. Was, wenn sie sich ihm derartig an den Hals wirft, wie ich es gerade getan habe? Wird er Maya auch abweisen, wenn sie sich dazu entscheidet mit diesen Mitteln ihre Beziehung zu retten? Mir wird angst und bange. Sie hat ihn bisher nicht rangelassen, warum sollte sie es jetzt? Andererseits, warum nicht? Ihr traue ich mittlerweile alles zu. Ich fahre mir unwirsch durch die Haare. Gott sei Dank ist sie nicht verrückt genug, um ihm ein Kind anzudrehen. Für einen Moment wird mir trotzdem speiübel. Meine Gedanken machen mich noch verrückt. Ich mache drei Schritte nach vorn und drehe mich um. Ich bleibe stehen und schaue gen Himmel. Einatmen. Kurz halte ich die Luft an und atme aus. Von der Ungewissheit geplagt, drehe ich mich wieder um und fahre mir erneut durch die Haare. Mittlerweile müssen sie mir wild um den Kopf herumstehen. Mit der Hand streiche ich mir über den Mund, lasse sie auf meinen Lippen liegen und beginne dann, an der feinen Hautfalte zwischen Zeigefinger und Daumen zu nagen. Meine Zähne bohren sich in das empfindliche Fleisch. Nur die Kühle meiner Hand zeigt mir, wie kalt es eigentlich draußen sein muss und ich stehe ohne Jacke hier. Nichts. Ich spüre in diesem Augenblick nichts. Ich wende mich kurz zum Restaurant, aber eine innere Sperre verhindert, dass ich zurückgehen kann. Meine Füße bewegen sich keinen Millimeter. Ich kann Raphael nicht unter die Augen treten. Was denkt er wohl gerade von mir? Zu meiner Unsicherheit kommt nur ebenfalls Angst. Wieder drehe ich mich weg. Was passiert hier nur mit mir? Wieso verhalte ich mich so? Bin ich wirklich so eifersüchtig, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann? Bisher habe ich nie Beziehungen geführt. Ich weiß nicht, was es heißt, einem Partner bedingungslos zu vertrauen. Ich weiß nicht, wie man eine Beziehung führt. Ich weiß nicht, wie man es richtig macht. Für einen Moment frage ich mich, wie beziehungstauglich ich wirklich bin und wie mein Rumgerenne auf Außenstehende wirken muss. Sicher verrückt. Ich verhalte mich auch gerade total verrückt und absurd. Ich denke an den entsetzt schauenden Radfahrer von eben. „Was machst du nur mit mir, Raphael", flüstere ich mir verzweifelt selbst zu und trete abwesend gegen die Laterne, unter der ich stehe. Ich bereue es sofort, als sich ein heftiger Schmerz durch meine Zehen arbeitet. „Mark?" Die Stimme meines Vaters lässt mich zusammenfahren. Ich drehe mich um und stelle mit Erleichterung fest, dass er noch ein paar Meter von mir entfernt steht. Er hat meinen letzten Ausspruch nicht gehört, aber garantiert meinen Angriff gegen die übermächtige Straßenlampe gesehen. „Ja?", rufe ich zurück und setze mich in seine Richtung in Bewegung. Er hält meine Jacke in seinen Händen. Mein Vater reicht sie mir und mustert mich einen Moment. „Wir wollen zurückfahren, kommst du?", sagt er und deutet in die Richtung des Restaurants. Mittlerweile kann ich auch die anderen am Eingang erkennen. Ich antworte nicht sofort, sondern blicke kurz die Straße entlang bevor ich wieder zu ihm schaue. Mein Gegenüber hebt eine Augenbraue. Ich frage mich, ob ich auch so aussehe, wenn ich das mache. Seltsam. „Alles okay? Du verhältst dich in der letzten Zeit wirklich eigenartig. Wir machen uns ein wenig Sorgen." Kein Wunder, dass es für ihn so wirkt, denn die letzten Male hat er mich leider immer im genau falschen Moment erwischt. Ich höre, wie Maya Raphaels Namen ruft und dann kann ich sehen, wie sie ihn zurückhält, bevor er auf mich und meinen Vater zu laufen kann. Sie diskutieren. „Mark..." Die Stimme meines Vaters ist liebevoll und besorgt. „Es ist alles bestens. Ihr braucht euch keine Sorgen machen. Wirklich nicht. Fahrt ruhig schon. Ich will mich noch mit Freunden treffen." Alles bestens. Eine glatte Lüge. „Oh, wir sind davon ausgegangen, dass du noch mit nach Hause kommst", sagt mein Vater verwundert. Ich schüttele verneinend den Kopf, weil mich das plötzliche Bedürfnis überfällt einfach abzuhauen. „Nein, ich..ähm...Ich kann von der Hauptstraße direkt den Bus nehmen", sage ich, ohne auf den vorigen Ausspruch einzugehen. Ich deute stattdessen ein weiteres Mal fahrig hinter mich und bin froh, dass meine ungenaue Richtungsangabe hinhaut. Der Ausdruck im Gesicht meines Vaters trägt eine Mischung aus Verwunderung und etwas, was nach Unverständnis aussieht. Der Gedanke daran, allein mit meinen Eltern zu sein und mich deren Fragen auszusetzen, ist mir derartig unangenehm, dass ich am liebsten schnell weglaufen würde. Weglaufen. Nichts, was ich sonst mache. Meine Gefühle überfordern mich. Ich habe vor ein paar Monaten Raphael dafür gerügt einfach jedes Mal davonzurennen. Doch jetzt empfinde ich die Einfachheit dahinter selbst ungemein attraktiv. Unbewusst haftet sich mein Blick an den anderen Mann, vorbei an der Schulter des Mannes, der in diesem Moment vor mir steht und sicher an meinen Verstand zweifelt. Ich verstehe mich ja selbst kaum. Raphael diskutiert leise mit Maya. Ihre verschränkten Arme sprechen von Unzufriedenheit. Abgerundet wird diese seltsame Szene von meiner Mutter, die nach besten Kräften und mit Händen und Füßen die Cohens zu unterhalten versucht. Wieder ist es der Dramödienbegriff, der sich durch meine Gehirnwindungen arbeitet. Wenn es doch alles nur ein schlechter Film wäre, aber dieses grässliche Chaos schimpft sich mein Leben. Es ist zum Verrücktwerden. In meiner Fantasie war eine Beziehung mit Raphael immer der Himmel auf Erden. Die Realität straft meine Fantasien bittere Lügen, was aber einzig an der Tatsache liegt, dass mein Monster von Schwester noch immer ihre Finger im Spiel hat. Ich blicke auf, als ich die Hand meines Vaters an meiner Schulter spüre. Ich bin mir sicher, dass er in diesem kurzen Moment den gesamten Schmerz sehen muss, der durch meine Blutbahnen zieht. Verbrennend und heiß. Er zieht seine Hand zurück. Ich muss hier weg. „Mark?" „Ich melde mich bei euch", flüstere ich leise und mache einen Schritt zurück. Seltsamerweise sieht meine Mutter genau in diesen Augenblick auf und dann auch Raphael. Die Enttäuschung in seinem Blick scheint mein Herz förmlich zu zerreißen. „Entschuldigt", sage ich leise, hebe meine Hand oberflächlich zum Gruß und wende mich dann vollständig ab. Mein Gang ist schnell. Erst als ich garantiert aus der Sichtweite bin, werde ich wieder langsam und versuche nun auch, meinen heftig pulsierenden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Noch immer habe ich meine Jacke nur in der Hand statt an. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und tippe eine Nachricht an Raphael. -Es tut mir leid- Vier einfache Worte, die nichts besser machen. Und das Schlimmste daran ist, dass sie für ewig, die ersten bleiben, die ich ihm schreibe. Ich weiß nicht einmal, wie schnell er sie lesen wird. Ich brauche fast eine Stunde um bei Marikas Party anzukommen. Wahrscheinlich wäre ich schneller gewesen, wenn ich mit meinen Eltern nach Hause und von dort dann mit dem Bus weitergefahren wäre. Sie feiert im Te-Club. Eine der vielen beliebten Feierstätten der Stadt. Im Club angekommen bezahle ich den Eintritt und gebe meine Jacke an der Garderobe ab. Laute Musik dröhnt mir entgegen. Ein Stilmix aus Techno und House. Nicht mein Fall, aber ich bin auch nicht wegen der Musik hier. Ich schiebe mich zwischen den tanzenden Massen hindurch und entdecke in einer der hinteren Ecke ein paar bekannte Gesichter. Als ich diesen näher komme, erkenne ich auch Marika. Ihre roten Haare leuchten im Licht der Scheinwerfer. Sie trägt gigantische Kreolen an ihren Ohren. Sie streifen bei jeder Bewegung über ihre Schultern. Sie müssen schwer sein. Mein Name ertönt. Ich bin so sehr auf ihre Ohren fixiert, dass ich kaum bemerke, wie sie sich zu mir umdreht. „Mark! Hey, schön. Ich dachte, du hast familiäre Verpflichtungen?" Erst als sie direkt vor mir steht, höre ich sie deutlich. Sie lächelt und ich strecke meine Arme aus um sie zu umarmen. „Ich konnte gerade so entkommen", kommentiere ich meine privaten Verbindlichkeiten und grinse. Das freut sie noch mehr. Ich wünsche ihr beim Umarmen erneut alles erdenklich Gute zu ihrem Ehrentag und erhalte dann die Anweisung, mir etwas zu trinken zu holen. Egal was. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen. Ich sehe aus dem Augenwinkel heraus, wie sich eine große, muskulöse Gestalt zur Gruppe schiebt. Ein kurzer Blick genügt und ich erkenne, wer es ist. Danny DiMarco. Ein weiterer Teil des Rudels tollwütiger Fellbälle. Ich beiße die Zähne zusammen und versuche schnell in einer Gruppe von Menschen unterzutauchen, doch er hat mich bereits gesehen. Bevor ich an der Bar ankomme, packt er mich am Arm und hält mich zurück. „Dima, warte." „DiMarco", sage ich knapp und versuche mich aus seinem Griff zu lösen. „Mark, komm schon. Du musst dich vor mir nicht verstecken." Mein Vorname. Fast eine Seltenheit bei Danny. Ich sehe in die blauen Augen meines Gegenübers. Das sonst so witzgezeichnetes Angesicht ist ernst. Ich habe für heute genug von diesen Gesichtern gesehen. Ich seufze leise und deute mit einem Nicken hinter mich zur Bar. „Gute Idee", sagt er, dreht mich um und schiebt mich die letzten Meter zur Bar ohne mich loszulassen. Wahrscheinlich, weil er befürchtet, dass ich doch plötzlich verschwinde. Danny bestellt zwei Wodka und kippt seinen sofort runter. Ich sehe auf die klare Flüssigkeit und folge. Ich genieße die Schärfe, die meinen Hals zusammenzieht und auf meiner Zunge brennt. Er bestellt sofort zwei neue Shots. „Du bist also schwul, ja?", gibt er nun ohne weitere Umschweife von sich und sieht mich eindringlich an. Unkommentiert lasse ich seinen Ausspruch im Raum stehen. „Wie lange weißt du es schon?", fragt er weiter. Diese unbeholfene Frage lässt mich fast schmunzeln. „Nicht erst seit gestern", sage ich nun schnippisch, sehe, wie mich Danny einmal komplett mustert „Alter!" Danny lässt sich auf einen der leeren Barhocker fallen und atmet schwer aus. „Das hat mich echt überrascht. Du bist so schrecklich normal", fährt er fort, schüttelt seinen Kopf und klingt in keiner Weise wütend oder verärgert, sondern einfach nur erstaunt. Ich muss meinen Part verdammt gut gespielt haben. Ich sollte vielleicht doch Schauspieler werden. Mich ärgert nur diese Aussage mit dem normal. Natürlich bin ich normal. An meiner Neigung ist nichts anormal. „Wundert es dich deshalb, weil ich nicht näsele, tuntige Bewegungen mache, alle Männer besteige oder auffälliges Interesse an Weiberkram habe? Das nächste Mal lasse ich meine Nägel lackiert und trage mein Ausgeh-Makeup." Ich ziehe das gesamte Register der gängigsten Schwulenstereotypen vor und ernte einen ertappten Blick des Sportlers. Für einen kurzen Moment blitzt Scham auf. In Dannys Kopf herrscht wohl wirklich eine gewisse Klischeevorstellung. Im Grunde bin ich ja nicht besser. Auch in meinem Kopf fliegen die gängigen Sportlervorurteile umher und nur langsam baue ich sie Danny gegenüber ab. „Entschuldige. So habe ich es nicht gemeint. Ich habe nichts gegen Schwule. Echt Mann." Er klingt aufrichtig. Ich spüre, wie die Anspannung langsam von mir abfällt. Auch ich setze mich auf einen der Barhocker und streiche mir ein paar zu lang gewordene Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wir beide greifen zu unserem zweiten Schnapsglas und kippen es synchron in unsere Münder. Wir beide verziehen das Gesicht und seufzen. Wir beide sind auch ein seltsames Paar. „Deine Kommentare zu den Mädels unserer Schule waren echt nicht ohne." „Ich quatsche viel, wenn der Tag lang ist und auch ich weiß, wie man im Internet nach Pornos sucht." Danny lacht. Ich bin ein Dummschwätzer erster Güte. Also war es für mich ein Leichtes. Ich spreche es nicht aus. „Alter, ich habe mich vor dir ausgezogen." Mehrmals. Ich bestätige es nickend. Anscheinend fällt ihm das jetzt wieder ein. Sein Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus gespieltem Entsetzen, Scham und Verwunderung. Er sieht ein klein wenig aus wie ein Maki, dass die Augen aufreißen. Irgendwie putzig. Dennoch entspricht dieser Kommentar schon wieder einem der gängigen Vorurteile. „Ja, hast du. Du hast nicht, was ich nicht schon bei anderen gesehen habe und nein, du bist nicht mein Typ." Verwundert sieht er mich an. „Hey, ich wollte dir nur helfen die Klischeeliste schneller abzuarbeiten! Und ich bin jedermanns Typ!" Ein typisches Grinsen schleicht sich in Dannys Gesicht. „Wer weiß es alles?", fragt er mich nach einem Moment stillem Beieinandersitzen. „Ein paar Wenige. Shari. Du. Raphael." Maya. Ich brauche nicht zu erklären, dass es meine Eltern nicht wissen. Wahrscheinlich kann es sich Danny gut herleiten. Mein Blick schweift durch den Laden zu Marika. Ich denke direkt wieder an Jake. Mir wird ganz anders. „Du bist echt verschwiegen. Wahnsinn." Danny kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Als Smiley wäre er Doppelpunkt und großes O. Für einen kurzen Moment stelle ich mir eine Chat-Konversation damit vor. Dannys Reaktion beruhigt mich. Abgesehen davon, dass mich seine andauernde Verwunderung gerade etwas nervt. Ich bestelle beim Barkeeper ein Bier. „Und, was ist das nun mit dir und Raphael?", fragt Danny und aus ihm spricht die reine Neugier. Ich kann es ihm nicht verübeln. Schließlich ist deshalb unser letzter Abend unschön geendet. Ich weiß nicht genau, was ich ihm dazu sagen soll. Es ist nichts Ganzes und nichts Halbes. Dennoch flattert mein Herz vor Aufregung, wenn ich an den Mann mit den schönen Augen denke. „Es ist kom..." „Wehe du sagst kompliziert, das will ich nicht hören, Dima." „...plex.", ergänze ich den Anfang meines Wortes und ernte von dem großen Sportler einen Schlag gegen die Schulter. Ich gebe ein lautes 'Autsch' von mir und reibe mir die Stelle. „Es ist zum Heulen und zum Lachen zu gleich, kurz gesagt." Ich sehe zu Danny. Sein Gesicht sieht fragend aus. Ich verdeutliche ihm kurz den Sachverhalt und als ich ende, hat sich sein Gesichtsausdruck kaum verändert. Vielleicht sieht er noch etwas dümmer aus als vorher. Schwer zu sagen. Danny bestellt bevor er antwortet zwei neue Wodkashots. „Okay, das ist wirklich kompliziert." Ich mache eine Ich-habe-es-dir-ja-gesagt-Geste und nehme das nächste Wodkaglas zur Hand. Erneut kippe ich es mit einem Mal runter. Mein Magen beginnt zu kribbeln. Nach dem Essen zwei Kräuter. Jetzt Wodkas. Der Abend wird lustig. Ich muss unbedingt aufpassen. Das ganze Desaster in Worte zu fassen, erleichtert und deprimiert mich zu gleich. Ich lecke mit der Zunge den letzten Tropfen Wodka aus dem Glas, so wie ich es im Restaurant auch mit dem Kräuterschnaps getan habe. Mit einem Mal spüre ich eine warme Hand im Nacken. Danny. Er sieht mich an. „Du magst ihn wirklich, oder?", fragt er leise. Die Frage überrascht mich. Ich antworte nicht gleich, auch wenn mein Herz augenblicklich Pein erfüllt Ja schreit, sondern sammele mich erst. „Ja, sehr", entgegne ich wahrheitsgemäß. Dannys Daumen streicht über meinen Nacken. Fast liebevoll. Der große, grobe Typ ist sicher sanfter und aufmerksamer als man denkt. Harte Muskeln. Weiches Gemüt. Damit sind wir wieder bei den Klischees. „Na komm, wir lenken dich etwas ab." Er schiebt sich vom Stuhl. „Oh, bevor ich es vergesse!!" Er hält mich an der Schulter zurück, obwohl ich nicht einmal aufstehen wollte. „Mein Bruder studiert bei dir an der Uni. Er arbeitet für eure Campuszeitung. Ich rate dir eindringlich dich von ihm fern zu halten. Solche wie dich frisst er bei lebendigem Leib." Fressen? Lebendig? In meinem Kopf bilden sich ein paar seltsamen Szenerien. Welch komische Aussage. „Du hast einen Bruder?", frage ich ein wenig dümmlich. Ich habe nicht gewusst, dass Danny noch Geschwister hat. „Oh ja, Luka. Er ist einige Jahre älter, schwul und ein schlimmer Finger. Halte dich lieber von ihm fern." Da ich nicht weiß, von wem er spricht, nehme ich das Fernbleiben ganz locker hin. Für Danny scheint die Sache damit gegessen. Er bestellt sich ebenfalls noch ein Bier und wir schlängeln uns durch die tanzenden Massen zurück zum Geburtstagskind. Dort angekommen sehe ich nun auch meine ehemalige Projektpartnerin Maria bei Marika stehen. Nach unserem desaströsen Abschlussvortrag hat sie nicht mehr mit mir gesprochen, doch mit Sharis Hilfe und einer vernünftigen Note in unserem schriftlichen Aufsatz hat sich das Ganze wieder etwas gelegt. Wir begrüßen uns freundschaftlich. Das erste Bier leere ich ohne Aufregung. Auch das zweite verschwindet bei heiteren Gesprächen mit Danny. Er berichtet von seinen Trainern und deren Methoden, die ihnen gehörig den Tag vermiesen. Anekdoten und Lacher. Danny redet wie immer mit dem gesamten Körper. Er scheut den Kontakt zu mir nicht. Ich bin schrecklich erleichtert. Als ich mit dem dritten Bier zurück zur Runde komme, beginnt mein Telefon zu vibrieren. Ein Blick auf das Display zeigt mir Jakes Namen. Bereits in diesem Augenblick sehe ich ihn ein paar Meter von mir entfernt stehen. Kapitel 17: Schachmatt! Uno! Nein…Bingo! ---------------------------------------- Kapitel 17 Schachmatt! Uno! Nein…Bingo! Ich bleibe unschlüssig stehen. Noch hat er mich nicht bemerkt, doch dann ruft Danny nach mir und lenkt somit die volle Aufmerksamkeit direkt auf mich. Jakes braune Augen erfassen mich. Diesmal ist es kein fürsorglicher und liebevoller Ausdruck, sondern er ist gespickt mit Verärgerung und Enttäuschung. Heute bleibt mir auch nichts erspart. Ich schellte mich innerlich, weil ich hätte wissen müssen, dass Jake auf Marikas Feier sein wird. Auch wenn er nichts davon gesagt hat. Jake mustert mich eingehend. Ich spüre förmlich, wie sein Blick über meinen Körper wandert und bekomme unweigerlich Erpelpelle von hier bis zum Mond. Ich verdränge die Erinnerungen, die durch seine Blicke hochkommen und auch das seltsame Ziehen in meiner Lendengegend. Eine richtige Erklärung für Raphaels Auftauchen hatte er von mir nicht bekommen, also bin ich ihm diese noch schuldig. Vielleicht wäre der Flug zum Pluto doch die bessere Wahl gewesen. Gut, Planet hin oder her. Hauptsache weit weg. Plötzlich sehe ich Rot. Im wahrsten Sinne des Wortes. Marikas üppige Locken wippen rhythmisch hin und her und ich sehe ihr breites Lächeln. Wo sie gerade hergekommen ist, ist mir ein Rätsel. Sie nimmt mich an die Hand und zieht mich zurück zur Gruppe. Unterwegs sammelt sie Jake ein, nimmt diesen an die andere Hand und zieht uns gemeinsam hinter sich her. Ich starre wie gebannt auf ihren Rücken. Nur um Jake nicht ansehen zu müssen. „Ihr kennt euch noch?", übernimmt Marika sofort die Konversation. Ihre Frage finde ich irgendwie eigenartig. Obwohl ich es nicht genau weiß, bin ich immer davon ausgegangen, dass Marika über unsere mehr oder weniger Beziehung Bescheid weiß. Anscheinend ist dem nicht so. Ich sehe verwundert zu Jake, der einen Moment lang sogar mit den Schultern zuckt. „Sicher kennt er mich noch, nicht wahr, Mark?", sagt er übertrieben freundlich. „Wie könnte ich dieses Gesicht vergessen", kontere ich ebenso überspitzt. Ich nehme demonstrativ einen Schluck aus der Bierflasche und versuche mich von Jake nicht provozieren zu lasse. Allerdings schafft er scheinbar trotzdem mühelos. „Wo hast du denn Raphael gelassen?", stichelt er mich leise weiter und ich habe mit einem Mal Schwierigkeiten den Schluck Bier runter zu würgen. „Bespaßt meine Schwester", presse ich hervor und merke, wie mir langsam aber sicher heiß wird. Es ist Danny, der sich neben mir räuspert und anscheinend versteht, was diese seltsame, bruchstückhafte Konversation zu bedeuten hat. Jeder halbwegs vernünftig denkende Mensch nimmt uns nicht mehr ab, dass wir uns fast gar nicht kennen. „Ach, wirklich? Das ist ja schade.", spottet er fast schon böse. Obwohl ich seine Verärgerung verstehe, verletzen mich seine Worte extrem. Ich empfinde seine Reaktion als unfair und unangebracht. Das zwischen mir und Jake war nie wirklich offiziell. Weder er noch ich haben jemals davon gesprochen ein Paar zu sein. Wir haben uns getroffen, hatte Sex und mochte uns. Nicht mehr und auch nicht weniger. Auch Jake hat keine Anstalten gemacht, das zu ändern. Marika sieht auf, schaut zuerst zu Jake und dann zu mir. „Toll, dass ihr es beide geschafft habt. Ich freue mich." Ihr Ausruf passt nicht zu der angespannten Stimmung, aber dennoch klatscht sie in die Hände. Sie schnappt sich selbst eine der Bierflasche, welche ein anderer Freund hält und hebt es in die Höhe. Ein paar Worte werden gesprochen. Ich vernehme sie nur dumpf, weil ich damit beschäftigt bin, Jake säuerlich anzublicken. Marika dankt allen und lobt. Sie spricht von weiteren guten Feten und freudigem Kennenlernen. Sie ist eine gute Rednerin. Animierend und einnehmend. Dann schreit sie Laut Party und schafft es sogar die Musik zu übertönen. Das ist eine echte Leistung. Wir trinken einen Schluck zu ihren Ehren und mit einem Mal steht Jake dicht neben mir. „Und, wie gut hast du Raphael schon kennen gelernt?", raunt er mir entgegen. Ich spüre seine Lippen an meinem Ohr und ein erschrockenes Kribbeln in meinen Fingerspitzen. Die eindeutige Zweideutigkeit erschreckt mich. Ich greife Jake sauer am Hemdkragen und ziehe ihn vor versammelter Mannschaft und demonstrativ mit mir mit. „Mark? Jake? Hey, wir wollen doch noch, ...", ruft uns Marika hinterher. „Entschuldige Rotschopf, aber Jake und ich gehe uns jetzt besser kennenlernen", brülle ich nur kurz, aber definitiv wütend in die Menge und schleife Jake aus dem lauten Getümmel heraus. Er wehrt sich nicht, wirklich willig ist er trotzdem nicht. „Verdammt Jake, muss das sein?", zische ich ihm entgegen, nachdem ich eine ruhige Ecke gefunden habe und blicke den älteren Mann verärgert an. „Ja, also was verdammt noch mal soll das mit Raphael?", fragt er retour und ich seufze genervt. Ich wusste, dass eine Aussprache unausweichlich ist und doch schwanke ich zwischen einer ehrlichen Antwort und sinnfreien Herausreden. Aber was würde eine Ausrede bringen? Wahrscheinlich nur eine weitere Runde chaotisches Schisshasen-Punshing auf Kosten von Menschen, die mir viel bedeuten. In diesem Moment flammt der Wunsch nach einem Gespräch mit Shari in mir auf. Meine liebste und beste Freundin. Der stille Halt, den sie mir gibt, auch wenn wir nicht in allem konform gehen. Ihre Meinung wäre mir in diesem Moment so wichtig. „Rede mit mir, Mark!" Eine deutliche Aufforderung, weil ich abwesend auf meine Hände starre. „Was, bitte willst du von mir hören?", frage ich. Mir graut es jedes Mal wieder vor derartigen Gesprächen. „Zur Abwechslung wäre die Wahrheit mal ganz schön!" „Ich habe dich nicht belogen", knalle ich ihm sofort verteidigend entgegen. Ich habe ihm nicht alle meine Beweggründe genannt, aber ich habe ihn nie belogen. „Du hast mir nur nicht erzählt, dass du den Freund deiner Schwester fickst." Ich zucke bei seinen deutlichen Worten zusammen. Seine Wortwahl ist aggressiv und obwohl ich nicht zimperlich bin, erschreckt es mich, weil es mir unangenehm ist. Trotzdem hat Jake Unrecht. „Weil es auch nicht stimmt!" „Hör auf, Mark. Ich bin nicht so blind und begriffsstutzig, wie du denkst. Zwischen euch beiden läuft etwas. Wie lange keine Ahnung, aber ich bin mir sicher, dass das der Grund ist, wieso du mich nie vollkommen an dich rangelassen hast. Also lass diesen haarspaltenden Scheiß." Jake ist wirklich aufgebracht. „Ich hatte keinen Sex mit ihm." Die Tatsache, dass ich ihn mehrere Mal oral befriedigt habe, fällt gerade gekonnt über die Klippe meiner Unzulänglichkeiten. Jakes mustert mich und mit einem Mal wandelt sich sein wütender Gesichtsausdruck. „Klar..." Jake verschränkt seine Arme vor der Brust. „Was bin ich dein verdammter Lückenbüßer?" Das Wort, welches ich jedes Mal denke, wenn ich ihn treffe. Es erwischt mich eiskalt. Nein, Jake ist nicht nur ein Lückenbüßer. Ich mag ihn wirklich, aber dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass ich ihn ausgenutzt habe, weil der, den ich wirklich wollte, lange nicht in meiner Reichweite war. „Wow,...", entflieht ihm bestürzt, weil ich nicht sofort antworte. „Ich war nichts weiter als dein Behelf zum Abreagieren." „Nein, Jake, so ist es nicht..." Er unterbricht mich und macht einen Schritt auf mich zu. Unbewusst weiche ich seinem Blick aus. Ein leises Knurren perlt von meinen Lippen, welches Jake garantiert gehört hat. „Ihn kannst du nicht ficken, also suchst du dir einen anderen Doofen. Da hast du mit mir ja auch den vollen Glücksgriff gemacht, weil ich nichts mitbekomme, wenn ich unterwegs bin." Nun, sehe ich ihn verärgert an. „So ist das nicht!", sage ich und klinge erbärmlich unglaubwürdig. Jake hat Recht. Ich bin ein schrecklicher Mensch. Egal, wie sehr ich ihn insgeheim mag, es ist keine Entschuldigung dafür, dass ich nicht ehrlich zu ihm gewesen bin. Ich streiche mir fahrig über einen kleinen Knoten im Stoff meiner Jeans. Mein Fingernagel kratzt darüber. Mehrere Male. Daneben ist ein kleiner Fleck, der wahrscheinlich während des Essens entstanden. Der Stoff an dieser Stelle ist steif. Auch darüber kratzt mein Finger. „Wie dann, Mark?", hakt Jake nach. Seine energische Stimme reißt mich aus den Gedanken. Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht und dann durch die Haare „Was willst du von mir hören? Es tut mir leid, okay? Ich... ich bin seit der Schulzeit in ihn verknallt und ich habe nicht geglaubt, dass das je irgendwas werden würde. Wie den auch", sage ich ehrlich und muss nicht wiederkäuen, warum es so unwahrscheinlich gewesen ist. Meine Fingerkuppen streichen ein letztes Mal über den Schmutzfleck auf meiner Hose. Jake macht einen Schritt zurück, dreht sich kurz um und streicht sich durch die Haare. Er seufzt. „Ich bin also wirklich der Volldepp in dieser Geschichte", kommentiert Jake. Nicht wütend. Nicht sauer. Sondern enttäuscht. Obwohl ich mir eine solche Reaktion immer vorgestellt habe, ernüchtert sie mich mehr als ich dachte. Seine Finger gleiten erneut durch seine Haare und zerstören damit die vorher so gut gelegte Frisur. „Ich fasse es nicht!" „Jake, ich haben wirklich gehofft, dass das mit uns vielleicht etwas werden kann, aber..." „Aber plötzlich kam Raphael?", stößt er sarkastisch aus. Ich seufze, denn es klingt wie der Titel eines schlechten Films. Ich fühle mich ja auch so. Wie in einem schlechten Film. Halt, eigentlich ist es eine schlechte Seifenoper. „Wie aus Zauberhand entdeckt er seine homosexuelle Neigung, oder was?" Für Jake muss es wirklich verdammt seltsam wirken, aber im Grunde war es so gewesen. Ich kann es bisher auch nicht verstehen. Ich habe selbst nie damit gerechnet, dass Raphael in irgendeiner Form meine Gefühle erwidern könnte. Hätte er Jake und mich nicht vor dem Haus meiner Eltern gesehen, dann wären seine Gefühle vielleicht nie herausgekommen und er würde weiterhin munter meine Schwester bespaßen. So, wie er es gerade sowieso macht. Ein Brennen in meiner Brust. „Ja, irgendwie schon", flüstere ich leise. Jakes wohlgeformte Augenbraue wandert nach oben. „Ach komm schon, verarschen kann ich mich allein." „Er hat uns zusammen gesehen!", erkläre ich und bin mir sicher, dass Jake weiß, von welchem Moment ich spreche. Jake schüttelt seinen Kopf. Ich breche jeglichen weiteren Erklärungsversuch zu Raphaels plötzlichem Sinneswandel ab. Selbst in meinem Kopf klingt es eigenartig. Ich kann Jake seine Reaktion nicht verübeln. Er hat mich schier mattgesetzt. „Du hast ein Talent zum Geschichtenerzählen, Mark!" Ja, ich bin der Dritte der Gebrüder Grimm. „Jake, verdammt! Raphael schien ganz weit weg zu sein und ich wollte das mit uns wirklich versuchen. Ich meine es ernst", sage ich aufgebracht und habe keine Lust, mich weiter dieser Scharade auszusetzen. Er kann mir glauben oder er lässt es sein. „Ja, wie ernst es dir war, habe ich seit unserer ersten gemeinsamen Nacht gemerkt. Du bist die ganze Zeit in ihn verliebt gewesen. Trotzdem bist du Monate lang mit mir ins Bett gegangen und hast mir etwas vorgemacht." „Ich bitte dich. Jake, es tut mir leid. Wirklich. Ich habe immer wieder versucht mich dir anzuvertrauen, aber ich habe es einfach nicht mit solchen Gesprächen und es war in dem Moment auch nicht von belangen." War es wirklich nicht. Erst seit kurzem. Schließlich war Raphael der Freund meiner Schwester und hatte sich von seinem Auslandsaufenthalt gegen mich entschieden. Auch nach unserer ersten gemeinsamen Nacht musste er miterleben, dass ich mich mit derartigen Gesprächen schwertue. Die Krawatte, die ich ihm bei unserem Gespräch vom Hals gezogen habe, liegt noch immer in meinem Schrank. Die Knitter meines Krawattenstresstests inbegriffen. Ich besitze so gesehen doch einen Schlips. „Jetzt weiß ich, warum du dich nicht festlegen wolltest und warum du mich auf Abstand gehalten hast. Wegen dem Freund deiner Schwester! Mark, verdammt noch mal..." „Ich, dich auf Abstand gehalten?" „Ja. Sag jetzt nicht, dass es nicht wahr ist." Ich beiße die Zähne zusammen. Ich habe Jake gebraucht. Das ist die Wahrheit. Allerdings habe ich ihn auch dafür missbraucht, mich begehrenswert und gewollt zu fühlen. Unbewusst wandern meine Finger zu meiner Brust. Ich spüre die feingliedrige Kette um meinen Hals. Jake folgt meinen Bewegungen und senkt sein Haupt. "Nicht von Belangen. Von wegen", sagt er bedrückt. „Hör zu, ich..." „Warum?", unterbricht er mich und ich sehe auf, weil sich seine Hand nach meiner greift. Seine Stimme ist kühl, aber die Berührung seltsam sanft und liebevoll. In meiner Brust beginnt es heftig zu brennen. Der seit Monaten andauernde Zwiespalt lodert förmlich in mir. Jake hat es verdient, dass man ihn aufrichtig und mit voller Kraft liebt. Mein Gewissen schreit mir entgegen, dass es von vornherein gesagt hat, dass ich das nicht schaffe werde. Egal, wie sehr ich es versuche und ich habe es versucht. Doch Raphael ist einfach immer präsent. Die Tür zu ihm stand immer eine Handbreit offen. Im Moment sogar sperrangelweit und so lange das der Fall ist, wird nie jemand anderes mein Herz ganz ausfüllen können. Unsere beiden Namen dringen leise zu uns durch. Marika schiebt ihren Feuerkopf durch den Türrahmen und scheint explizit nach uns zu suchen. Ich sehe sie nur durch Zufall und ziehe meine Hand zurück. Ich verschränke meine Arme vor meinem Bauch. Ihr Blick ändert sich trotzdem von suchend in verwundert. Ihren blauen Augen blitzen. „Kommt ihr zwei wieder zurück?", fragt sie vorsichtig. „Gleich", bellt Jake ihr entgegen, der seinen Blick nur kurz von mir gelöst hat um sie anzusehen. Marika macht keine Anstalten zu gehen. Nein, im Gegenteil. Sie scheint uns zu mustern, liest unsere Körpersprache und Mimik, wie einem offenen Buch. „Nein!", entfährt es ihr dann erschrocken, „Ihr habt miteinander geschlafen!" Der Klang dieser Feststellung macht deutlich, dass sie keine andere Möglichkeit duldet. Mir fallen die Augen zu und ich schirme mir mit der Hand das Gesicht ab. Dann seufze ich schwer. Großartig. Noch ein Outing. Noch eins und dann habe ich ein Bingo zusammen. Sie schreitet langen Schrittes auf uns zu, während sich Jake genervt auf der Lippe herumkaut. Als sie bei uns ist, beginnt sie mit der flachen Hand gegen Jakes Arm zu hauen. „Du hast mich angelogen!" Nach jedem Wort schlägt sie einmal zu. Es dauert einen Moment, bis er sie stoppen kann. Auch ich möchte sie davon abhalten, doch sie funkelt mich nur einmal an und ich weiche zurück. Ich wage es nicht mehr dazwischen zu gehen. Falls ich ein Eingreifen überleben würde, dann hätte ich ein paar Gliedmaßen weniger. Also lieber nicht. Ich lasse sie diskutieren und stehle mich davon. Als ich zur Gruppe zurückkomme, scheinen es noch mehr Leute geworden zu sein. Viele bekannte Gesichter aus meiner alten Klassenstufe. Maria. Marnie und Steffen. Sie sind Geschwister und sehen sich erschreckend ähnlich. Außerdem ist Marnie eine Freundin von Shari und Steffen ein ehemaliges Mitglied des Leichtathletikteams, welches von Raphael trainiert wurde. Sie beginnt zu lächeln, als sie mich sieht. Ich erwidere es und sehe, wie sie direkt auf mich zukommt. „Hi Mark, tanzt du mit mir? Die andere weigern sich." Bereits beim Sprechen greift sie nach meiner Hand. Ihre Stimme ist liebreizend und die großen braunen Kulleraugen, die mir entgegenblicken, dulden im Grunde keine Widerrede. Ich nicke perplex und merke, wie sie mich direkt zur Tanzfläche zieht. Vorbei an Jake und Marika. Jakes Hand stoppt mich kurz an der Schulter. „Unser Gespräch ist noch nicht vorbei" Ich spüre seine Lippen an meinem Ohr, während sich Marnie verwundert zu mir umdreht, weil es auch sie am Weitergehen hindert. Ein kleiner Schauer jagt durch meinen Körper. Jake geht weiter und Marnie zieht mich endlich unter die bunten Scheinwerfer. Ich brauche eine Weile um mich auf das Tanzen konzentrieren zu können. Ich bin sowieso nicht der großartige Tänzer. Eher ein verhältnismäßig passabler Zappler. In meinem Kopf gleichen meine Bewegungen denen eines hüpfenden Affen. Marnie scheint es nicht zu stören. Sie strahlt. Immer wieder greift sie nach meiner Hand und kommt mir näher. Garantiert hat sie getrunken und ist nicht Herrin ihrer Sinne, denn normalerweise gehört sie eher zu der schüchternen Sorte. Irgendwann tanzt sich Danny zu uns durch. Ich stelle mit erschrecken fest, dass seine Bewegungen von außergewöhnlich ästhetischer Substanz sind. Er packt mich kurz an der Hüfte und zieht mich an sich heran. Noch immer hält Marnie meine Hand fest und scheint nichts von Danny zu bemerken. Sie tanzt selig vor sich hin. „Hast du mit deinen Kerlen noch nicht genug zu tun?", fragt mich Danny und ich sehe ihn perplex an. Ich verstehe die Bemerkung nicht. „Wie bitte?", entfährt es mir wenig inhaltlich. „Betrunkenen Frauen derartig Hoffnungen machen, ist nicht die feine englische Art! Sagte man mir jedenfalls", merkt der Blonde an. Schon wieder eine mehr als kryptische Aussage. Danny grinst. Hoffnungen? Ich sehe zu Marnie. „Was?" Diesmal quietsche ich dieses inhaltslose Wort fast. Die Palette meiner Vokabel scheint heute sowieso seltsam begrenzt. Danny neigt mich an der Schulter zurück. „Alter, Mark! Hat dir Shari nie gesagt, das Marnie in dich verknallt ist?" Ich schüttele energisch meinen Kopf. Mein Blick wandert zu der sonst stillen, kleinen Frau, die sich aufreizend im Takt der Musik bewegt und wieder zurück zu Danny. „Ich bin mal verkehrter Gentleman und nehme sie dir ab." Danny löst ihre Hand von meiner und schmiegt sich augenblicklich an den tanzenden Leib, der eigentlich sehr hübschen, jungen Frau. Ihre Körper harmonieren sofort. Beeindruckend. Ich habe nur nicht gedacht, dass sie Dannys Typ ist. Sie ist nicht blond und nicht dumm. Ich nutze die Gelegenheit und stehle mich davon. Sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Shari hat mir zwar gesagt, dass ich bei einigen ganz beliebt gewesen bin, aber sie hat mir nie verraten, wer damit gemeint war. Marnie, also. Es überrascht mich. Seltsamer Weise komme ich in diesem Moment an ihrem Bruder vorbei. Steffen lächelt mir zu und nimmt einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. Ein weiteres Mal blicke ich zurück. Ob ich sie wirklich einfach so bei Danny lassen sollte? Seine Geschichten sind nicht ohne. Shari filetiert mich, wenn sie rausbekommt, dass ich daran schuld bin, wenn Marnie mit Danny ins Bett geht. Andererseits sind beide erwachsene Leute. Ich blicke zu Steffen. Er scheint genau zu beobachten, was auf der Tanzfläche geschieht. Meine Unruhe schrumpft. Er passt sicher auf. So verhält sich ein guter großer Bruder. Bin ich nie gewesen. Der Gedanke an meine eigene kleine Schwester verursacht mir ein schweres Unwohlsein. Ich biege zur Toilette ab. Ich benetze meine Lippen mit Wasser und blicke dann meinem Spiegelbild entgegen. Meine braunen Augen blicken mir müde entgegen. Ich habe schon wieder zu viel getrunken. Zwar spüre ich noch keinen deutlichen Schwindel, aber so langsam schaffe ich es nicht mehr, etwas zu fixieren. Vielleicht sollte ich einfach gehen. Es war keine gute Entscheidung herzukommen. Ich versprach mir Ablenkung und ein wenig Spaß, doch das Ganze artet in Stress und schlechten Gefühlen aus. Mit Jake habe ich es mir so oder so verbockt. Egal, wie sehr ich versuche ihm zu erklären, was meine Beweggründe für das Verschweigen meiner Raphaelphilie sind, wird er mir niemals verzeihen. Es ist zum Verrücktwerden. Ein weiteres Mal beuge ich mich über das Waschbecken. Mit kühlem Wasser benetze ich meine Lippen und lecke danach die Flüssigkeit davon. Ich höre, wie die Tür aufgeht. Zweimal. Nur einmal, wie eine Kabinentür aufschwingt. Ich schließe meine Augen. Als ich mich aufrichte, steht Jake an der Wand gelehnt hinter mir. Seine intensiven Augen beobachten mich. Ich kann mir ein feines Seufzen nicht verkneifen, welches er definitiv mitbekommt. Ich streiche mir mit der Hand die Feuchtigkeit von den Lippen und verlasse das Klo. Jake folgt mir und ich warte vor der Tür auf ihn. „Wie ernst war es dir? Wahrscheinlich nicht mal annährend so ernst, wie mir." „Ach höre doch auf! Du hast genauso wenig Nägel mit Köpfen gemacht, wie ich", knalle ich ihm an den Kopf. „Du hast ganz am Anfang davon gesprochen, aber auch nur in einem Nebensatz. Du bist zu mir gekommen und wieder gegangen. Nichts anderes. So ernst konnte es dir mit mir, also nicht gewesen sein. Dir war es doch auch ganz Recht, einfach jemand zum Ficken zu haben ohne weitere Verpflichtungen", lege ich nach. Ich sehe, wie sich Jakes Haltung leicht versteift und wie er dann ein fassungsloses Geräusch macht. „Also war das für dich auch nur Sex zwischen uns beiden?", fasst er zusammen. Ich würde lügen, wenn ich dem beipflichte. Jake hat mir Halt gegeben und ich habe mich mit ihm gut gefühlt. Aber es ist nicht dasselbe, wie mit Raphael, ungeachtet der Schwierigkeiten und der Ungewissheiten. Allein der Gedanke an ihn lässt meine Glieder pulsieren. Meine Fingerspitzen kribbeln. Meine Zehen sind elektrisiert. Jede noch so winzige Zelle meines Körpers bebt, wenn ich an die wunderschönen grünen Augen des anderen Mannes denke. Ich gestehe mir selbst ein, dass das nicht mehr normal sein kann. Doch, was soll ich tun? Ich bin ein hoffnungsloser Fall und wahrscheinlich werde ich auf ewig für meine absurde Verliebtheit bestraft sein. „Mark, alles in Ordnung?" Dannys Stimme durchbricht die angespannte Atmosphäre und lässt mich aufschauen. Er steht im Türbogen. Die Hälfte seines Gesichts wird durch die verschiedenfarbigen Lichter des Innenraumes des Clubs beleuchtet. Rot. Orange. Blau. Er wirkt wie ein plastisches Gemälde. Anscheinend werden wir heute kein zusammenhängendes Gespräch mehr führen können. Es ist zum Verrücktwerden, auch wenn ich mich durch die Unterbrechungen einen Moment des Nachdenkens habe. Ich schiele kurz zu Jake, der mich noch immer abwartend ansieht und den Störenfried gnadenlos ignoriert. Er will eine Antwort. „Ja, Danny. Es ist alles gut." Der Sportler verschwindet nur widerwillig. Wenn ich Jake sage, dass es für mich nur Sex gewesen ist, dann wäre er enttäuscht und wahrscheinlich werden wir uns nie wiedersehen. Ich würde lügen. Wenn ich es jedoch verneine... Ein unschönes Gefühl in meiner Brust, weil ich nicht einschätzen kann, was dann passieren wird. Wird er sich Hoffnung machen, obwohl ich ihn derartig enttäuscht habe? Jake ist kein dummer Junge. Ich habe ihn zu Beginn aus ganz bestimmten Gründen abgewiesen und das waren die Angst vor dem Outing und Raphael. Beides gilt auch jetzt noch. Auch wenn der eine Grund reichlich dumm ist. „Ja", sage ich letztendlich. Im Grunde eine stille Entscheidung für Raphael und gegen Jake. Er weiß es. Er versteht es. Ich möchte das mit Raphael in die richtigen Bahnen lenken und das wird nur passieren, wenn Jake kein weiterer Faktor ist. „Du willst also ihn", kommentiert Jake. Das will ich schon seit 5 verdammt langen Jahren und ich werde jetzt nicht mehr so schnell aufgeben. Jake greift zu der Kette um meinen Hals. Er dreht den Anhänger, so dass er die Gravur lesen kann. Ich sehe deutlich, wie sein Kiefer arbeitet und wie seine Hand den Anhänger gegen meine Brust drückt. Ich spüre es nur leicht durch den Pullover hin durch und doch fühle ich, wie die Stelle heiß wird. Danach wendet er sich von mir ab und verschwindet zurück in den Tanzbereich. Ich lehne mich ermattet gegen die Wand. Mein Puls rast und trotz meiner augenscheinlichen Sicherheit schmerzt mein Herz. Mir geht es nicht gut. In diesem Moment ziehe ich meine Wochenbilanz. Ich habe Shari enttäuscht, bei meinen und auch Raphaels Eltern einen grandios schlechten Eindruck hinterlassen und habe das wahre Gesicht meiner Schwester kennengelernt. Außerdem habe ich mehrere mehr oder weniger beabsichtigte Outings hinter mich gebracht, wobei das Schlimmste noch fehlt. Ich bekomme Magenschmerzen, wenn ich nur daran denke. Zum Abschluss der Woche habe ich Jake gekränkt und enttäuscht und zu dem noch einen bösen Streit zwischen ihm und seiner Cousine provoziert. Niemand kann behaupten, dass ich nicht produktiv war. Ich sollte verschwinden, bevor ich noch weiteren Leuten die Stimmung vermiese. Es sind immerhin noch ein paar Menschen übrig, die mich mögen und noch das ganze Wochenende. Ich blicke auf das Handy. Es ist bereits halb zwei Uhr. Mitten in der Nacht. Raphael hat noch immer nicht auf meine Nachricht geantwortet und ich spüre ein enttäuschtes Kribbeln in meiner Brust. Will er nicht! Kann er nicht! Ich seufze, weil ich weiß, dass ich mich damit nur verrückt mache. Wenn ich Glück habe, bekomme ich jetzt noch einen Bus und liege in knapp einer Stunde in meinem wohlig warmen Bett. Ich schiebe mich durch die wildtanzende Menschenmenge und suche nach dem auffälligen Rotschopf. Wenigstens verabschieden möchte ich mich. Statt auf Marika treffe ich auf Maria. Sie kichert lauthals, wie eine Verrückte. „Oh Mark, deine Schwester ist echt krass", kommt es plötzlich von ihr. Sie hat sich fast verschluckt, was mir die feuchte Spur an ihrem Kinn zeigt, die von dem vorbeigelaufenen Getränk zeugt. Ich kann nicht verhindern, dass ich etwas irritiert schaue. Ich verdränge regelmäßig, dass meine Schwester und Maria miteinander in Kontakt stehen. „Wenn du mit krass dumm und blond meinst, gehe ich mit deiner Aussage konform." Sie blickt auf ihr Handy. Ich kann sehen, wie sie ihren Daumen über das glatte Display streicht. Maria lacht leicht auf und schüttelt dann den Kopf. „Blond ja, aber zu dem Rest sage ich nichts. Nein, sie hat gerade im Netzwerk gepostet, dass sie endlich entjungfert wurde. Nettes Geburtstagsgeschenk." Ein seltsames Raunen verlässt ihre Lippen. Ich vergesse augenblicklich zu atmen. Die Gruppe um sie herum lacht und ich werde kreidebleich. Unbewusst ziehe ich mein Handy hervor. Ein Zittern durchfährt mich, als ich das Display betätige. Noch immer nichts von Raphael. Ich kann nicht verhindern, dass sich bestimmte Bilder in meinem Kopf bilden. „Das wurde, aber auch Zeit!", kommt es von Marika, die ebenfalls lacht. Raphael fährt seine Eltern nach Hause, sage ich mir. Das würde er nicht tun! Die Bilder tauchen wieder auf. Maya mit geöffneten langen Haaren über Raphael. Sie kitzeln über ihre schmalen Schultern, während seine Hände ihre Seite hinauf streichen. Ein Stich, der direkt durch meine Herzkammern fährt. „An Raphaels Stelle wäre ich längst auf die Barrikaden gegangen." Eine unbekannte männliche Stimme. Das Getuschel der anderen wird in meinen Ohren immer leiser. Ich blende es unbewusst aus. Ich lasse meine Bierflasche sinken, nachdem ich auf ex den Rest geleert habe und wende mich dann von der Gruppe ab. Eine warme Hand greift nach meinem Arm und ich schaue in Dannys blaue Augen. Ich weiß nicht, wie viel er von den Kommentaren mitbekommen hat. Einiges, denn sein Blick ist voller Mitleid. Ich kann nicht mehr atmen. Ich löse mich schweigend aus seinem Griff und verschwinde hinter einem tanzenden Mädchenpulk. An der Bar bestelle ich mir ein neues Bier und einen weiteren Shot. Ich leere den Wodka sofort und das Bier mit nur drei Zügen. Mein Brustkorb krampft sich immer weiter zusammen und ich habe das Gefühl innerlich zu vertrocknen. Ich bestelle gleich ein weiteres Bier, welches ich aber langsamer trinke. Es ist bereits das Fünfte an diesem Abend und mir wird immer schummriger. Habe ich eben noch festgestellt, dass es besser für mich wäre aufzuhören. Doch der Gedanke ist vollständig verschwunden und trotzdem scheint mein Kopf Achterbahn zu fahren. Das kann doch alles nicht wahr sein. Maya. Sie hat sich das bestimmt ausgedacht. Sicher ist es wieder eine ihrer Intrigen. Sie weiß, dass Maria auch hier ist. Doch woher weiß sie, dass ich hier bin? Der Zweifel bleibt. Nagt und bohrt. Ich ziehe erneut mein Telefon hervor und beginne eine Nachricht zu tippen. -Wo bist du?- 01:37 Uhr. Ich starre auf das Display. Wartend. Zitternd. 01:38 Uhr. Noch immer nichts. Wieder schleichen sich tausende Bilder in meinem Kopf, warum er nicht schnell antworten kann. Die vernünftigen Gründe, dass er fährt oder in diesem Moment seinen Eltern die Wohnungstür aufhält, werden von den quälenden überschattet. Er liegt mit ihr im Bett. In Leidenschaft weggeworfene Kleidungsstücke, die achtlos im Zimmer herumliegen. Die Vorstellung von Raphaels angenehmen Lauten hallt wie Hohn durch meine Gehörgänge. Ich tippe die Nachricht erneut. Dasselbe Spiel. 01:40 Uhr. Als die Uhr eine weitere vergangene Minute anzeigt, fasse ich das Telefon fester. Ein nächster Schluck. Das Bier schmeckt nur noch bitter. Ich trinke es dennoch weiter. In meinem Kopf beginnt es zu schwimmen. Ich schließe meine Augen und versuche die stärker werdenden Gefühle in meiner Brust zu unterdrücken. Der Alkohol macht es mir nicht leichter. Ich schiebe das Bier zur Seite und mit einem Mal tauchen zwei Tequila vor mir auf. Ich wende mich zur Seite und sehe direkt in Jakes vertraute braune Augen. Seinen Blick ist wieder sanft und fürsorglich, so wie immer. Seine Finger lösen das Handy aus meiner Hand. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie er das Telefon zur Seite schiebt. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Bar und nimmt eines der Gläser zur Hand. Mein Verstand warnt mich. Er warnt mich vor dieser Situation. Doch meine Brust schmerzt derartig, dass ich zögerlich nach dem Glas greife. Ich verspreche mir Betäubung. Der Inhalt des Glases schwankt aus kleinen Wellen, die gegen den Rand schwappen. Ich zittere. Jake nimmt meine andere Hand in seine. Ich lasse ihn gewähren. Er haucht einen Kuss auf meine Fingerknöchel. Jeden Finger einzeln und leckt dann kurz über die Stelle zwischen Zeigefinger und Daumen. Ein feuchter Kuss und er lässt etwas Salz darauf rieseln. Kapitel 18: Der unbändige Zorn des Brahma und die Güte der Kali --------------------------------------------------------------- Kapitel 18 Der unbändige Zorn des Brahma und die Güte der Kali Ich erwache von meinen Kopfschmerzen. Sie hämmern sich in meine Gehirnbahnen, wie tausende kleine Nadeln, die mich voller Begeisterung filetieren. Es ist schlimmer, als an dem Morgen bei Raphael. Ich öffne ein Auge und blinzele. Ich bin in meiner Wohnung. Das erkenne ich an dem geöffneten Kleiderschrank, aus dem wahllose Kleidungsstücke heraushängen und kein Stapel mehr geradesteht. Raphael. Ich liege auf den Bauch. Mein Rücken schmerzt. Bilder aus dem Restaurant blitzen auf. Die Toilettenkabine. Mayas wütendes Gesicht. Danach Danny an der Bar. Jake. Tequila. Schwärze. Was ist passiert? Ich fühle mich als wäre ich unter eine Walze geraten. Breit und platt. Ein weiteres Mal versuche ich mich daran zu erinnern, was nach dem Tequila passiert ist. Danny an der Bar. Jake. Tequila. Schwärze. Langsam ziehe ich meine Beine heran und drücke mich nach oben, bis ich auf allen Vieren hocke. Zwei Wirbel in meinem Rücken knacken und die Decke rutscht von meinen Schultern. Ich bin komplett nackt. Es dauert eine Weile bis ich stutze. „Endlich wach?" Ich fahre zusammen. Die Stimme verortet sich rechts neben mir. Nur langsam drehe ich meinen Kopf und sehe direkt in Jakes warme, braune Augen. Sofort sitze ich kerzengrade. Was mir mein Kopf mit einem weiteren Hammerschlag dankt. Jake steht nur in Shorts neben meinem Bett. In seiner Hand hält er eine Tasse Kaffee. Er lächelt, streicht sich über den flachen Bauch und danach die verwuschelten Haare zurück. Ich möchte schlucken, doch mein Hals ist so trocken, dass ich es kaum schaffe. Nein. Nein. Nein. Das darf einfach nicht wahr sein. Meine Gedanken überschlagen sich. „Scheiße, scheiße, scheiße.", entfährt es mir, während ich versuche aufzustehen. Ich falle vor lauter Panik fast aus dem Bett. Ich blicke auf meine Hand. Ein frischer Verband. Ich greife nach meinem Telefon auf dem Nachttisch und sehe mehrere Nachrichten. Sie sind von Raphael und auch einige von Danny. Jake steht noch immer seelenruhig auf der anderen Seite des Bettes und streicht sich erneut durch die dunklen Haare. Die Situation auf seinem Kopf wird dadurch nicht besser, sondern eher trauriger. „Beruhige dich, Mark." „Beruhigen? Verdammt Jake, ich habe einen totalen Filmriss und du stehst da und trinkst Kaffee. Was ist passiert verdammt noch mal?", frage ich aufgebracht und spüre, wie meine Finger zu zittern beginnen. Vor Aufregung. Durch den Kater und die vollkommene Dehydrierung. Keine gute Kombination. Ich krame mir eine Hose aus dem Schrank, lasse dabei einen weiteren Stapel zusammenbrechen und ziehe sie mir umständlich über. „Wir haben getrunken, geredet..." Er macht eine Pause und zuckt mit den Schultern. Daran das wir an der Bar gesessen und etwas getrunken haben, erinnere ich mich auch noch. Genauso, wie an Jakes intensiven braunen Augen und den Tequila. Ich schmecke das Salz auf meinen Lippen. Imaginäre Säure lässt die Seitenstränge meines Halses pulsieren. Gelächter. Maria erzählt mir von einer Nachricht. Maya. Sex. Ich setze mich auf das Bett zurück als mich ein leichter Schwindel erfasst. Ich erinnere mich wieder deutlich an die Nachricht über die verlorene Jungfräulichkeit meiner Schwester. Nein, das kann nicht sein. Raphael hat das nicht getan. Ich sehe zu Jake. Aber habe ich es getan? „Danach Jake, danach!", fordere ich ihn zu weiteren Erläuterungen auf. Unsicherheit durchströmt mich, wie glühend heiße Lava. Ich versuche mich auf bestimmte Regionen meines Körpers zu konzentrieren. Nichts. Normalerweise merke ich es, wenn ich mit Jake geschlafen habe. Trotz seiner immer fürsorglichen Vorbereitung. Die Tatsache, dass ich gestern extrem alkoholisiert gewesen bin, verunsichert mich. Ist nichts passiert oder spüre ich es nur nicht? Jake trägt immerhin Unterwäsche. Ein gutes Zeichen? Allerdings hat er einen Kaffee in der Hand und das heißt einfach nur, dass er schon aufgestanden ist. Mein Puls ist heftig und verursacht mir damit noch mehr Kopfschmerzen. Durstig bin ich auch, doch in diesem Moment kann ich nur an Raphael denken. Warum bin ich auch immer so unbeherrscht? Wieso muss ich ständig zu viel trinken? Wieso kann ich mich nicht einfach mal zusammenreißen. Des Satz formuliert sich in meinem Kopf nicht als Frage, sondern als Aufforderung. Ich hätte einfach nach Hause gehen sollen oder besser noch mit meinen Eltern mitfahren soll. Obwohl ich dann vermutlich irgendwo heulend in der Ecke zusammengebrochen wäre. Ich klaube mir einen Pullover vom Boden auf. Ich bin schrecklich zittrig. „Jake, bitte, sag mir, dass wir nicht miteinander geschlafen haben", entflieht mir bittend, als der Dunkelhaarige keine Anstalten macht mich aufzuklären. „Was wäre daran so schlimm? Wir haben es schon oft miteinander getan, Mark." Seine Worte verursachen in mir pure Panik. „Verdammt Jake, ich mache keinen Spaß." Ich versuche erneut mich auf meinen Körper zu konzentrieren, doch der Rest Alkohol in meinem Blut bringt mich noch immer durcheinander. Es bringt nichts. Was habe ich nur getan? Jake zieht sich seine Hose über die schlanken Beine und angelt ruhig und unaufgeregt nach seinem Oberteil. Ich möchte ihn erwürgen. Ich wende mich von ihm ab und trete aus meinem Mehrzweckzimmer. Im Flur fahre ich mir mit beiden Händen über das Gesicht. Jake folgt mir. „Komm runter. Es wäre doch nichts dabei, Mark." Oh, nein, ist das eine Bestätigung? Noch mehr Panik durchfließt mich, so dass ich langsam das Gefühl habe darin zu ertrinken. „Verdammt, Jake. Hast du wirklich meinen Zustand ausgenutzt und das obwohl ich dir gesagt haben, dass ich mit Raphael..." „Raphael. Raphael. Raphael. Ich kann es nicht mehr hören!", entgegnet er aufgeregt und schleudert mir seinen Pullover entgegen. Ich fange ihn, nachdem er gegen meine Brust prallt. „Zum Kotzen, weißt du das?", setzt er nach und in seinem Gesicht spiegelt sich die gesamte Wut, die er empfindet. Er kommt auf mich zu und reißt mir das Kleidungsstück wieder aus den Händen. „Dann hau endlich ab, wenn es dich so ankotzt.... Arghn, verdammt, wie konntest du mich so ausnutzen?" Ich stoße Jake heftig von mir weg und verzweifelt Richtung Tür. Ich bin sauer, enttäuscht und fühle mich hundeelend. Alles meine Schuld, aber ich kann einfach nicht fassen, dass Jake meinen Zustand wirklich ausgenutzt haben könnte. „Hey, beruhige dich, Mark!", kommt es nun beschwichtigend von Jake als er merkt, dass ich es wirklich ernst meine. „Nein, raus! Geh einfach", würge ich jegliche weitere Bemerkung ab. Ich gehe an ihm vorbei, schmeiße ihm die Jacke entgegen und reiße die Tür auf. „Mark, wir haben...", versucht er es trotzdem erneut, während er sich die Jacke überzieht. Doch Jake bricht ab und starrt an mir vorbei zur Tür. Ich wende meinen Blick um und sehe ebenfalls in den Treppenaufgang. Ich stocke und vergesse in diesem Moment, wie man atmet. Raphael. Ich bete augenblicklich zur Gottheit für gutes Timing und verspreche, dass ich fortan mein Leben nur noch für sie aufopfern werde. Das kann doch alles nicht wahr sein. „Morgen, ...", murmelt mir Raphael erschrocken zu. Sein Blick wandert von mir zu dem anderen Mann hinter mir. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Überall bündelt sich ein Füllhorn an gemischten Gefühlen, die augenblicklich in meinen Leib zu einem explodierenden Feuerwerk heranwachsen. Scham über mein eigenes Handeln. Verzweiflung, weil genau das gerade passiert. Wut über die Ungewissheit, ob Mayas Behauptungen stimmen. Angst, dass die Behauptung der Wahrheit entspricht. Dazu kommt eine seltsame Freude, weil Raphael hier ist. Doch im Grunde macht es alles noch viel schlimmer. „Was will er hier?", fragt Raphael berechtigter Weise und noch bevor ich meine ganzen Gefühle unter Kontrolle habe. Der nächste, der den Mund aufmacht, ist demzufolge Jake. „Du hast echt Nerven, Raphael. Fickst seine Schwester und tauchst dann hier auf. Hätte ich dir gar nicht zu getraut." Noch während des Sprechens beginnt Jake amüsiert zu grinsen. „Jake!", entfährt es mir fassungslos. „Wie, bitte? Mark, was...wovon redet er?", fragt Raphael schon fast verdattert und sieht zu mir. Wenn er lügt, dann lügt er perfekt. Ich sehe nur Chaos in den grünen Augen. „Oh, hast du geglaubt, dass es nicht so schnell rauskommt. Weit gefehlt! Deine junge Freundin ist eben ganz und gar multimedial." Aus Jake spricht blanker Hohn und damit verletzt er nicht nur Raphael, sondern auch mich. „Verdammt Jake, hättest du bitte die Güte dich in Luft auf zu lösen", sage ich zähneknirschend an den IT'ler gewandt. Ich drücke den älteren Dunkelhaarigen Richtung Tür. Er muss unbedingt gehen. Ich muss in Ruhe und allein mit Raphael sprechen und Jake ist definitiv keine Hilfe. „Mark, wovon spricht er und warum ist er hier?", fragt Raphael nun direkt an mich gerichtet. Er schiebt sich demonstrativ an Jake vorbei in die Wohnung und bleibt hinter mir stehen. Mein Herz brennt und weil ich nicht besser damit umzugehen weiß, schiebe ich immer noch an Jake rum, damit der sich durch die Tür hindurch nach draußen bewegt. Ich muss ihn nur über die Türschwelle kriegen, dann kann ich die Tür einfach zu machen. Nur noch ein halber Meter. Fast. Jake dreht sich ohne größeren Aufwand einfach wieder um, so dass meine Hände auf seiner Brust liegen bleiben. „Du warst noch nie ein guter Lügner. Es steht alles im Internet. Da hast du Maya ein schönes Geschenk gemacht." „Jake, halt den Mund und geh endlich", sage ich säuerlich. Jake hat mich heute schon genug Nerven gekostet und garantiert vermittelt er Raphael ein vollkommen falsches Bild. „Maya hat verlauten lassen, dass du dich heute Nacht um ihre Jungfräulichkeit gekümmert hast", setzt Jake trotz meiner Mahnung fort. „Was? Ihre Jungfräulichkeit? Das ist doch ein schlechter Scherz, oder? Mark, denkst du das auch?", fragt Raphael weiter verwirrt. „Nein!", beschwichtige Raphael sofort. Auch, wenn es nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich packe Jake am Kragen und drehe ich zurück zur Tür. Ich wiederhole meine Bitte der vorigen Male flüstern. Seine braunen Augen fixieren mich. „Was? Noch gestern Nacht hast du es auch geglaubt, Mark." Jake beugt sich nach vorn und für einen Sekundenbruchteil berühren sich unsere Lippen. Ich weiche zurück und lasse ihn erschrocken los. Jake wird ebenfalls nach hinten gezogen und diesmal ist es Raphael, der ihn packt und gegen die Wand drückt. „Er hat gesagt, dass du gehen sollst, Hoffmann." Raphael gehört normalerweise nicht zu der Sorte, die andere mit dem Nachnamen betitelt und schon gar nicht zu den Menschen, die Leute körperlich angehen. Ich spüre, wie sich mein Puls rekordverdächtig beschleunigt. Eine Eskalation wäre jetzt das Schlimmste. Jake beugt sich an ihn heran. „Was ist, Cohen. Du hast nicht den Mut ihn zu ficken, also entscheidest du dich für den einfachen Weg und bleibst bei deiner Scheinfreundin?", spottet Jake Raphael entgegen und ich kann sehen, wie dieser den Kiefer zusammenbeißt. Jakes Wortwahl bereitet selbst mir Unbehagen. „Du weißt überhaupt nicht, wovon du redest", knurrt Raphael und drückt Jake noch etwas fester gegen die Wand. „Raphael, nicht! Bitte, lass ihn los..." greife ich ein, lege meine Raphaels Schulter, doch er schiebt mich nur vorsichtig zur Seite. Jake wehrt sich nicht, sondern starrt ihn nur grimmig an. Nur kurz erfassen seine Augen mich. Absichtlich beugt er sich auf die mir abgewandte Gesichtshälfte von Raphael. Er flüstert. Das Leder von Jakes Jacke knirscht und kleiner Ruck geht durch seinen Körper. Das, was er gesagt hat, scheint Raphael nicht zu gefallen. „Im Gegensatz zu dir habe ich mit ihm meinen Spaß", sagt er nun so laut, dass auch ich es höre. Meine Brust schnürt sich zu. Ich kann einen Moment nicht atmen. Das hat er jetzt nicht gesagt? Dieser Schweinehund. Raphaels grüne Augen sehen mir unsicher entgegen. Jakes Worte, er schenkt ihnen glauben. Ich habe das Gefühl, dass meine Fingerspitzen vereisen. „Raphael, bitte..." Ich versuche seine Hände von Jake zu lösen, doch gegen die Kraft seines Körpers habe ich einfach keine Chance. Raphael drückt mich erneut weg und ich gehe vor lauter Energie zu Boden und wegen meiner weichen Knie. Ich bleibe ermattet sitzen, weil sich mir mein alkoholisierter Kreislauf verweigert. Mir ist speiübel. Raphael blickt erschrocken zu mir und löst sich von Jake um mir zu helfen. Doch er wird von Jakes ebenfalls zu mir geneigten Körper gestoppt. Sie prallen mit den Schultern aneinander, knurren sich an und greifen dann gleichzeitig nach einem meiner Arme. Gemeinsam ziehe sie mich hoch, doch sobald ich stehe funkeln sie sich wieder an. „Scheiße, hört endlich auf, Jake! Verschwinde", sage ich ermattet. Er hebt abwehrend die Hände in die Luft. Jakes Blick spricht von purer Enttäuschung. Aber auch noch immer von Wut. Ich bekomme lähmende Kopfschmerzen. Raphaels Augen schließen sich und ich sehe deutlich, wie sich sein Brustkorb hebt. Jake lässt uns allein zurück. Ich höre, wie sich die Tür schließt und es still wird. Mein Herz rast und das sorgt für eine stetige Zunahme meiner Kopfschmerzen. „Ist es wahr? Willst du lieber mit ihm zusammen sein?", schleudert mir Raphael unvermittelt entgegen. Seine Stimme ist kühl und distanziert. Er sieht mich nicht mal an. „Nein! Willst du denn lieber mit Maya zusammen sein?", frage ich retour und schaue in die grünen Augen meines Gegenübers. „Du weißt, dass es nicht so ist, Mark", sagt er. „Weiß ich das?", kommentiere ich mit zittriger Stimme und sehe augenblicklich die Enttäuschung in seinem Gesicht. „Mark, ich habe nicht mit ihr geschlafen. Wir haben meinen Eltern die Uni gezeigt und uns die beleuchtete Skyline der Stadt angesehen, die nicht mal ansatzweise so gut ist, wie man denkt. Und danach habe ich Maya bei Nina abgesetzt und habe meine Eltern allein nach Hause gefahren, damit sie nicht den Zug nehmen müssen. Ich bin dortgeblieben, weil es schon so spät war und ich mit ihnen noch einiges erklären wollte. Ich habe es dir übrigens sogar geschrieben, weil du meine Anrufe ignoriert hast." Meine Nachrichten hat er auch ignoriert, denke ich spottend und schelte mich innerlich sogleich dafür. „Mark, ich weiß, dass mein Verhalten in den letzten Monaten dir gegenüber nicht das Beste war und vieles besser hätte laufen können, aber dass du wirklich glaubst, dass ich dir das nach alledem antue. Mir war nicht klar, dass du so wenig Vertrauen zu mir hast." Der Schmerz in meiner Brust wird akut. Er zerfetzen meine Eingeweide mit Scham und Selbsthass. Vertrauen. Ein großes Wort. Ein intensives, was tiefe Stärke und bloße Schwäche ausdrucken kann. Wir sind im Moment schwach. Als ich wieder zu Raphael sehe, streicht er sich durch die dunklen Haare und seufzt. „Habt ihr miteinander geschlafen?", fragt er und seine Stimme ist leise. Er sieht mich nicht an. Mein Herz schreit ein deutliches Nein. Mein Körper winselt es ebenfalls, aber ich vertraue ihm nicht. Auch mein Gehirn ruft die Verneinung, doch dem in alkoholschwimmendem Weichgewebe traue ich erst recht nicht. Die Unsicherheit zerreißt mich. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, aber ich schüttle meinen Kopf. Diese Bewegung lenkt Raphaels Blick auf mich. „Nein", sage ich nun und erschrecke innerlich vor mir selbst zurück. Eine Lüge. Eine von vielen. Sein wunderschönes Grün wandert mein Gesicht ab. „Und warum siehst du dann aus als würdest du dir selbst nicht glauben?" Meine Finger greifen nach Raphaels Jacke. Ein einfacher Versuch um zu verhindern, dass er geht. Ich spüre den metallischen Reißverschluss, die Zähne, die sich in meine Fingerbeeren beißen. Ich schüttele meinen Kopf erneut. „Nein, Raphael, so ist es nicht. Hör zu, Jake hat das nur gesagt um dich zu ärgern, bitte, dass… dass weißt du, oder?" Mein Versuch ist kläglich. „Weiß ich das?" Die Retourkutsche für eben. Ich schließe meine Augen und lasse meinen Kopf sinken. Noch immer halte ich die Stelle seiner Jacke fest bis Raphael meine Finger löst. Seine Hand ist diesmal kalt, genauso wie meine. „Mark, ich kann...nein, ich brauche einen Moment für mich. Ich bin wirklich müde und ehrlich gesagt, weiß ich gerade nicht mehr, was ich glauben soll. Jake ist ein Arsch, aber du hast mit ihm geschlafen. Vielleicht nicht gestern...aber vielleicht doch... und... Ich fahre jetzt erstmal zu mir und wir reden morgen." Raphaels Hand hebt sich und er streicht mir mit einer sanften Geste eine verirrte Haarsträhne von der Stirn. Ich wimmere leise als die Berührung nachlässt und er zur Türklinke greift. „Es tut mir leid", flüstere ich ihm entgegen. „Ja, mir auch...", erwidert er und schiebt sich dann durch die Tür. Ich lasse ihn gehen und bleibe mit der Unsicherheit zurück. In meinem Schlafzimmer nehme ich mein Handy zur Hand und öffne nun endlich die Nachrichten. Drei Textnachrichten von Raphael. Er bleibt bei seinen Eltern und kommt morgen früh gleich zu mir. Es täte ihm leid. Der Absendezeitpunkt ist gegen 2 Uhr nachts. Im Grunde kurz nach meinen verzweifelten Kontaktversuchen. Ich bin der dämlichste, dumme Idiot von allen. Auch die Anrufe von denen Raphael gesprochen hat, waren um diese Zeit gewesen. Ich lasse meinen Kopf auf den Tisch sinken. Jake hat mir das Handy aus der Hand genommen und es dann weggeschoben. Deshalb habe ich es nicht mehr wahrgenommen. Nach einem ausgiebigen Bad im Selbstmitleid richte ich mich auf und lese auch die Nachrichten von Danny. Es täte ihm ebenso leid, weil er nicht geschafft hat, zu verhindern, dass mich Jake nach Hause bringt. Ich sei nicht mehr ansprechbar gewesen und er hätte meine Adresse nicht gewusst. Jake habe ihm dazu versichert, dass er auf mich aufpasst. Danny hofft das Beste. Im Grunde eine weitere, deutliche Klarstellung meiner akkuraten Dummheit. Unfassbar. Ich bin ein solcher Idiot. Wenn doch nur diese dumme Nachricht nicht gewesen wäre. Maya. Der Gedanke an meine Schwester lässt augenblicklich glühend heiße Wut durch meinen Körper schießen. Sie ist schuld. Sie verbreitet Lügen und spinnt Intrigen. Das Bild, welches ich von meiner Schwester im Kopf habe, ähnelt mittlerweile einer verzehrten, bösartigen Fratze. Ich zücke mein Handy und wähle ihre Nummer. Sie drückt mich augenblicklich weg. Ich versuche es drei weitere Male. Dasselbe Spiel. Nichts. Sie schaltet ihr Handy ab und ich habe sofort die Mailbox dran. Auch gut. Ich pfeffere ihr mehrere unfreundliche Nachrichten drauf. Ihre Dreistigkeit entfacht meinen Zorn und ernüchtert mich zu gleich derartig, da ich einfach nicht verstehe, was ich ihr getan habe. Ich bin ihr gegenüber nie sonderlich brüderlich gewesen, aber niemals habe ich sie dermaßen gekränkt, dass ich verdiene, was sie mir nun antut. Ich starre einen Moment auf mein neutrales Handydisplay. Noch immer nichts von meiner Blume. Der Gedanke an die reißt mich endgültig in den Keller. „Shari, ich brauche dich", murmele ich verzweifelt. Mein Blick wandert zu dem Bild, welche ich von ihr im Hochzeitssari gezeichnet habe. Ich ziehe es heran, zeichne mit meinen Fingern über die Konturen ihres Körpers. Sie ist die einzige gute Konstante in meinem Leben. Meine Blume. Meine Seele. Mein Entschluss steht fest und ich richte mich schlagartig auf. Ich bin, wie immer nervös, als ich meine Hand nach der Klingel ausstrecke. Unwillkürlich beginne ich zu fantasieren, wie mir Sharis Vater die Tür öffnet. Jedes Mal habe ich das Gefühl, dass sich der Türrahmen in den Himmel hebt und auch der Körper, des sowieso schon großen Mannes mit nach oben wächst. Sein strenger Blick lässt mich zu dem schrumpfen. Ich atme tief ein, halte die Luft an und versuche mich nicht weiter den destruktiven Fantasien hinzugeben. Dann drücke ich auf die Klingel. Ich schaffe es so lange die Luft anzuhalten bis Sharis Mutter in der Tür erscheint. Erst als sie lächelt, atme ich aus und kriege vor lauter Luftmangel zunächst kein Wort heraus. Ich verneige mich um abzulenken und sie winkt mich herein. „Namasté!", grüße ich atemlos als ich über die Türschwelle trete und sehe dann wie Sharis Vater im Hintergrund auftaucht. Was zur Folge hat, dass ich das E in Namaste besonders in die Länge ziehe. Augenblicklich schrumpfe ich noch weiter zusammen. Als würde sie es merken, beginnt Sharis Mutter zu kichern. „Mark, wie schön dich zusehen." Sie zieht mich weiter in den Flur und nimmt mich in den Arm. Ihr warmer, weicher Körper ist wunderbar. Ich fühle mich sofort wohlig. Ihr Haar duftet genauso wundervoll, wie Sharis. Ein Paradies aus Früchten und Blüten. Hunderte Blumen in voller Pracht. Sonnenstrahlen und kitzelnde Wärme, die meine Haut treffen. Das Zirpen von Grillen und das leise Zwitschern von Vögeln, die singend über die Blütenpracht tanzen. Ich bin immer wieder erstaunt, was Düfte auslösen können. Für einen kurzen Moment vergesse ich, dass Sharis Vater direkt hinter uns steht. „Namasté, Mister Ambani", sage ich höflich als mich seine Frau loslässt, aber ziemlich gleich in Richtung Küche zieht. Ich schaffe es gerade so mir die Schuhe auszuziehen und ein Loch in meinem Socken zu entdecken. Wie peinlich. Ich höre nur noch ein kurzes Brummen und atme aus als er uns nicht in die Küche folgt. „Shari ist noch im Badezimmer. Hast du Hunger?" Sie hält bereits einen Teller in ihren Händen. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen und mein Magen, genauso, wie mein malträtiertes Hirn schreien Glückseligkeit zum Himmel. Sharis Mama öffnet den riesigen Reiskocher. Der Duft von Jasminreis und Kardamomkapseln. Herrliches, süßes Aroma. Ich fange jeden Moment an zu sabbern. Dazu kommt der Geruch von Curry und schonend gegartem Lamm. Ich bin längst im siebten Fresshimmel angekommen. In meinen Augen glitzern sicher, solch imaginäre Herzchen, wie in einem Trinkfilm. Sie füllt mir einen Teller und stellt ihn vor mir ab. Es riecht unglaublich und ich weiß, dass es auch so schmeckt. Auf meiner Zunge entfaltet sich nach dem ersten Bissen ein Freudentanz der Sinne. Meine Geschmacksknospen erblühen, wie eine ungemähte Sommerwiese bei Sonnenschein. Vielfältig. Bunt. Intensiv. Es ist herrlich. Nach dem ganzen Tohuwabohu ist es nur noch schmackhafter, weil es so viel positiver ist. Außerdem ist es meine erste richtige Mahlzeit heute. In meiner Wohnung habe ich mir nur ein paar alte Butterkekse in den Mund geschoben und zum wiederholten Male festgestellt, dass ich sie gar nicht mag. Meine Portion ist schnell leer und Mrs. Ambani schenkt mir einen weiteren Teller Beseligung nach. Im Grunde bin ich sehr einfach glücklich zu machen. Liebt mich, füttert mich und lasst mich quatschen. Es ist der erste und der letzte Teil, der es für die meisten so sonderlich kompliziert macht. Ich höre Schritte auf der Treppe und spitze die Ohren. Es ist das leise Patschen von nackten Füßen auf Laminat. Es ist ein ganz bestimmter Takt, den ich überall wieder erkennen würde. Es ist seltsam, aber manchmal ist es möglich Menschen an ihrem Gang zu erkennen. Die Art und Weise, wie sich ihre Glieder bewegen. Der Rhythmus und der Takt des Auftreffens der Sohle des Fußes. Sharis lange Haare sind noch feucht und mit einer Bürste versucht sie hindurch zu kommen. „Mama kannst du mir..." Sie stockt als sie mich am Tisch sitzen sieht. Ich hebe meine Hand ganz nah an die Brust und winke schüchtern. „Mark." Die Haarbürste sinkt und in ihrem hübschen Gesicht spiegelt sich die Verwunderung. Immerhin keiner Verärgerung. „Selamt siang, Shari", begrüße ich sie wie gewohnt in einer fremdländischen Sprache. Diesmal Indonesisch. Etwas in ihrer Haltung verändert sich. Ich blicke auf die letzten Happen auf meinem Teller und habe mit einem Mal keinen Appetit mehr. Sharis Mutter lächelt, stellt keine Fragen und räumt meinen Teller weg als ich aufstehe und meiner besten Freundin nach oben folge. Ich schließe leise hinter mir die Tür als wir in ihrem Zimmer ankommen. Shari steht mit dem Rücken zu mir und schweigt. Ihre Hände stützen sich auf ihren Schreibtisch ab und ich rechne mit einer deutlichen Ansage. Sie seufzt. Was, wenn auch sie mir nicht mehr vertraut? Was, wenn ich sie nun verliere? Angst erfasst mich, umklammert meine Glieder und schnürt mir die Kehle zu. Kein Laut kommt über meine Lippen, dabei möchte ich ihr in jeder Sprache dieser Welt verdeutlichen, wie sehr es mir leid tut. Shari wendet sich um und ich spüre eine erste Träne, die meine Wange hinab kullert. „Mark, ich bin immer noch..." Sie stockt und die angedeutete Wut in ihrem Gesicht, weicht der völligen Überraschung. Ich spüre immer mehr der heißen Tränen auf meiner Wange. „Shari, es tut mir so leid. Ich baue nur noch Mist. Ich mache alles falsch. Bitte, ich will nie wieder mit dir streiten. Ich darf dich nicht verlieren. Bitte verzeih mir." Shari eilt auf mich zu. Ihre schmalen Finger berühren meinen Arm. Mit einem Mal herrscht ein unsagbares Chaos in meinem Kopf. Die Emotionen in meiner Brust bilden einen tonnenschweren Klumpen, der sich immer mehr verhärtet. Der Kern eines implodierenden Sterns. In mir entsteht ein alles verzerrendes schwarzes Loch. In diesem Moment könnte ich das liebste Studienobjekt für Steven Hawking sein. Der Gedanke lässt mich verzweifelt Schluchzen. „Mark beruhige dich. Du verlierst mich, doch nicht." Ihre Stimme ist ein erschrockenes Flüstern, welche mit jedem Wort zärtlicher wird. Meine Lippen zittern und bevor sie weiter fragt, nimmt sie mich in den Arm. Ihr Duft und ihre Wärme umnebeln mich wohlig. Die gewünschte und geliebte Fürsorge umfängt mich, wie ein in Watte gepacktes Osterei. Für einen Moment wird meine Heulattacke stärker, um dann langsam wieder abzuflachen. Ich beruhige mich auch dank ihrer sanften Streicheleinheiten, die meine Haare durchfahren und meinen Kopf liebkosen. „Wieder gut?" Ich schüttele meinen Kopf und Shari zwingt mich sie anzusehen. „Mark, du bist manchmal ein echter Idiot und ja, ich bin sauer auf dich, aber deshalb musst du doch nicht gleich glauben, dass ich dich nicht mehr mag. Verstanden?" Ihre sanften, braunen Augen sind voller Zuneigung. Sharis Daumen streicht über meine Wange und verwischt die Tränenspur. Aufmunternd. Aufbauend. Ich nicke. „Okay, wieso bist du so aufgewühlt? Ist etwas passiert?" Ein weiteres Nicken von meiner Seite. Ihr Kopf bewegt sich leicht mit als würde sie es so besser verstehen. „Raphael?" Ihr Blick ist durchdringend. Ich bestätige mit wackelndem Kopf und wende mein Gesicht ab. Sharis Hände umfassen meine Unterarme. „Du warst bei Marikas Geburtstag. Oh und auch Maya hatte Geburtstag. Jake!" Sie sieht mich überrascht an. Anscheinend malt sie sich aus, wie viel Dramenpotenzial diese Konstellation gehabt hat. Sie wird es sich nicht mal annähernd vorstellen können. Trotzdem hat Shari immerhin alle Protagonisten für mein kleines Drama zusammengezählt. Bis auf meine Eltern und Raphaels. Meine kopflastige Bestätigung wird wieder energischer. Ich rufe mir die Gespräche in Erinnerung und die Geschehnisse. Mein Tränenfluss wird wieder heftiger. Shari nimmt mich erneut in den Arm. Die wenigen Tage ohne Shari haben mein Leben in ein vollkommenes Chaos gestürzt. Shari, die Stimme meiner Vernunft. Ohne sie bin ich anscheinend vollkommen unfähig. Ich darf nie wieder so einen Mist machen. Meine Arme umschlingen sie fester. Ich drücke sie dicht an mich heran und will sie gar nicht mehr loslassen. Sharis Hände streichen über meinen Rücken. Was würde ich nur ohne sie machen? „Mark, du zerdrückst mich", sagt sie leicht flapsig und ich nicke nur. Statt sie loszulassen, drücke ich sie gleich noch etwas fester. Shari seufzt theatralisch und streicht mir dann sanft durch das sowieso schon schlechtsitzende Haar. „Wirst du jetzt jedes Mal, wenn wir streiten in Tränen ausbrechen?", fragt sie mich lächelnd und ich bestätige erneut wortlos. „Das ist ziemlich unfair und eigentlich machen das immer die Mädchen." Ich nicke erneut. Ich wusste schon immer, das Shari stärker ist als ich. Sie streicht mir über den Rücken und seufzt leicht. „Raphael...", sage ich kleinlaut und breche gleich wieder ab. Ich erwarte eine negative Reaktion, doch sie bleibt aus. Shari zieht mich zum Bett und wir setzen uns. Ich beginne ihr alles zu erklären oder wenigstens versuche ich es. Raphaels Geständnis und der erste glückliche Moment zwischen uns. Die Hoffnung und die Träumerei, die sich für ein paar Augenblicke als real und glaubhaft wähnte. Ich erzähle ihr von Maya und der Tatsache, dass sie von Anfang an gewusst haben muss, dass Raphael mehr für mich bedeutet. Sie hat meine Bilder gesehen und sie für sich behalten. Ihre Intrigen. Ihre verletzenden Worte, obwohl sie sie gar direkt an mich richten. Das pseudoharmonische Familienessen. Als Letztes beichte ich ihr meinem gestrigen Alkoholkonsum und meine Verunsicherung im Zusammenhang mit Jake. Der Streit am Morgen als Sahnehaube auf meinem chaotischen Lebensdessert. Raphaels enttäuschter Blick kommt mir in den Sinn und erneut möchte ich nur noch weinen, weil ich einfach nicht weiß, ob ich mit Jake ins Bett gegangen bin oder nicht. Das Vielleicht schnürt er mir die Brust zu. Shari schweigt die gesamte Zeit und hört mir aufmerksam zu. Als ich fertig bin, bemerke ich, dass ich begonnen habe die Fäden aus meinem kaputten Socken zuziehen. Das vorher kleine Loch ist mittlerweile so groß, dass mein großer Zeh hervorguckt. Auch Shari richtet ihren Blick darauf. Ich lasse ihn kurz wackeln. Sie lächelt. „Drei Tage und dein Leben steht auf dem Kopf, wie schaffst du das?" „Ich habe ungeahnte Talente", sage ich und klinge schrecklich zynisch. Ich zupfe an einem weiteren Faden und nun guckt auch mein zweiter Zeh heraus. „Und du kannst dich nicht mehr daran erinnern, ob du mit Jake geschlafen hast?" Ich schüttele meinen Kopf und seufze. „Merkt man das nicht?", fragt sie vorsichtig und ich sehe mit hochgezogener Augenbraue auf. „Je nachdem, ob man es gut macht oder nicht" Ich kann mir ein blödes Grinsen nicht verkneifen. Shari verzieht das Gesicht. Für gewöhnlich gehen, wir nicht so ins Detail. Ich lasse mich zur Seite fallen und komme mit dem Kopf auf ihrem Kissen zum Liegen. Ihr Kopfkissen riecht nach Hibiskus und Apfel. Herrlich. Frauendüfte sind schon etwas Schönes. Mein Blick schweift durch ihr Zimmer. Auf ihrem Schreibtisch steht eine schmale Glasvase, in der eine rote Rose steckt. Shari folgt meinem Blick. „Mark, darf ich dich mal, was fragen?" Sie wirkt seltsame nachdenklich. „Alles" „Warum Raphael?" Shari lässt sich ebenfalls aufs Bett fallen und liegt nun neben mir. Ihre braunen Augen mustern mich, fahren suchend und gleichzeitig fragend, die Konturen meines Gesichtes ab. Ja, warum Raphael. Ich drehe Shari mein Profil zu und schließe die Augen. Sofort sehe ich Raphaels Gesicht. Ich sehe es lächeln, sehe die Wärme und die liebevolle Wonne. Das sanfte Funkeln in seinen schönen Augen. Der Ausdruck, der in mir das Feuer entfacht. Jedes Mal aufs Neue. Ich habe Shari nie von dem ersten Aufeinandertreffen zwischen uns erzählt. Unser Tag im Herbst, der für uns beide Besonders gewesen ist. Allein diese Erinnerung lässt meinen Körper erzittern und erbeben. Eigentlich kann ich es nicht erklären und ich bin mir sicher, dass es für jeden anderen komplett unverständlich ist. Die Liebe zu diesem Mann belebt mich, erfüllt mich mit glückseligen Wellen und zerstört mich zu gleich. „Mark, du musst verrückt sein, wenn du ihn wirklich so sehr liebst", flüstert sie mir entgegen, drückt ihren Finger sanft gegen meinen gänsehautbedeckten Hals und braucht keine gesprochene Antwort. „Sie haben mir bereits einem Platz in der Irrenanstalt reserviert", witzele ich lasch und spüre eine stille Träne, die mir die Schläfe hinab rinnt. Shari drückt mir einen Kuss auf genau diese Stelle und schmiegt sich dann an mich. Ihr Kopf gebettet auf meiner Schulter. Ihre feuchten Haare an meiner Haut füllen sich kühl an. „Seit fünf Jahren träume ich von diesem Mann und Raphael scheint endlich so nah, weißt du. Ich möchte einfach nur glücklich sei. Warum darf ich das nicht?", frage ich leise. „Warum macht Maya das? Was habe ich ihr getan? Ich bin so verunsichert, wie noch nie, Shari", setze ich fort ohne Shari die Möglichkeit zum Reagieren zu geben. „Ich weiß es nicht, aber ich glaube, dass du unbedingt reinen Tisch machen musst. Maya hat nur solche Macht über dich, weil du noch immer ein Geheimnis aus deiner Neigung machst." Shari richtet sich auf. Ich weiß, dass sie damit den Nagel auf den Kopf trifft. „Mark, du bist schwul. Na und? Du bist wunderbar und das Wissen deine Eltern. Ich verstehe nicht, was dir solche Angst macht." Auch das kann ich nicht wirklich erklären. Ich weiß, dass mich meine Eltern lieben und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie nichts dagegen haben. Aber auch nur fast. Es ist nur eine winzige Spur des Zweifelns und doch reicht es aus um mich so sehr zu verunsichern. Auch ich richte mich wieder auf. Mein Herz wird schwer. „Vor 4 Jahren habe ich mit meiner Mama zusammen auf der Couch gesessen. Sie hat für Mayas Jugendweihe unsere Fotobände durchforsten. Sie suchte für jedes ihrer Lebensjahre ein Bild heraus. Das hatte sie damals für mich gemacht. Sie hat die Bilder mit unseren Gesichtern zusammen mit Blumengestecke auf dem Tisch arrangiert und während sie die Bücher durchblätterte, fielen ihr meine Fotos entgegen. Sie hat gelächelt und konnte mir zu jedem Bild mein Alter nennen." Meine Stimme bricht. Ich konnte mich an so viele Situationen nicht mehr erinnern. Dafür aber meine Mutter bis ins kleinste Detail. „Meine Babyfotos betrachtete sie am Längsten und dann sagte sie, dass sie sich schon darauf freue meine Kinder im Arm zuhalten. Sie werden bestimmt genauso hübsch sein, wie ich es damals war", wiederhole ich flüsternd die Worte meiner Mutter. Schon damals war mir klar, dass ich höchstwahrscheinlich niemals eigene Kinder haben werde und da wusste ich sie enttäusche. „Oh, Mark." „Ich habe solche Angst davor sie zu enttäuschen, Shari." Ich wische mir über meine feuchten Wangen. Shari greift nach meinen Händen. Auch ihr perlt eine Träne übers Gesicht. Sie wischt sie schnell davon und greift dann wieder meine Hände. Ich weiß, dass das Ausmaß meiner Angst in gewisser Weise irrational ist. Denn meine Homosexualität schließt nichts der Gleichen aus. Kinder sind möglich. Hochzeit. Alles. „Ich verstehe das, aber du musst ehrlich zu ihnen sein. Schon allein um Maya endlich an die frische Luft zu setzen." Freundlich ausgedrückt. Ich weiß das, aber es macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil. Es setzt mich unter Druck, weil ich langsam aber sicher unsere familiäre Stabilität flöten gehen sehe. Sharis fasst meine Hand fester. Ein aufmunternder Druck. „Auch mit Raphael musst du reden. Ganz in Ruhe und bedacht." „Ich weiß." Ich schniefe die letzten Tränen davon. „Mark, ich garantiere dir, wenn dich Raphael jetzt, wegen dieser Sache absägt oder wieder den Schwanz einzieht, dann werde ich ihn eigenhändig umboxen." So harte Worte aus ihrem Mund erstaunen mich und ich grinse schief. Ein wirklicher Raphael-Fan war sie ja noch nie. „Das würde ich gern erleben!" „Ich mach das! Wirklich!" „Yeah, meine eigene Kali als Bodyguard. Ein Gottiguard." Meine schöne indische Freundin schaut mich zweifelnd an. „Du erzählst schon wieder Quatsch. Es muss dir besser gehen." Auf den Punkt gebracht. Es geht mir wirklich etwas besser, auch wenn sich noch immer nichts geklärt hat. Shari steht auf und angelt nach einer Flasche Wasser. Während sie trinkt, lasse ich meinen Blick erneut in ihrem Zimmer umherwandern. Ich sehe auf die Rose. „Und, wie lief es mit Andrew?", frage ich neugierig. Bisher haben wir schließlich darüber noch kein Wort verloren. Shari unterbricht kurz ihren Trinkvorgang. Bevor sie mir antwortet nimmt sie einen großen Schluck und reicht die Flasche mir. Ich sehe sie nur abwartend an. „Gut!", sagt sie knapp und weicht meinem Blick aus. „Gut und???", frage ich weiter. „Sehr gut!", hängt sie genauso knapp ran und dann zucken ihre Mundwinkel schon leicht nach oben. Mir fällt ein Stein vom Herzen, weil es anscheinend positiv gelaufen ist. Auch Sharis Blick wandert kurz zu der roten Rose und dann lässt sie sich sanft kichernd aufs Bett fallen. „Nun, erzähl schon", fordere ich sie energischer auf und komme nicht umher ihre Position etwas auszunutzen, in dem ich beginne sie zu kitzeln. Ihr Kichern wird zu einem Lachen und dann fängt sie an sich etwas zu winden. „Ist ja gut, ich erzähl es dir...ich erzähl es dir. Hihihi!" Ich lasse von ihr ab. „Es war wirklich sehr schön. Andrew war wie immer sehr zu vorkommen und höflich. Er hat mir gleich versichert, dass du an allem Schuld bist und das er mich auf keinen Fall zwingt, dass mit ihm hier zu tun." Shari kichert und ich sacke theatralisch in mich zusammen. Ich habe ja eigentlich damit gerechnet, dass ich die Verantwortung dafür aufgedrückt bekomme. „Er hat mir die Rose geschenkt und wir hatten ein wundervolles Essen. Ein bezaubernder Abend, wirklich." Sie blickt verträumt auf ihre Hände. Ich freue mich, für sie. Für meine kleine Blume. Sie hat es verdient glücklich zu sein und solche schönen Abende zu verbringen. Ich bin sehr erleichtert. Sharis Lippen formen ein zartes, fast schüchternes Lächeln. Es ist bezaubernd. Ich sehe, wie ihre Zähne leicht über die linke Seite ihrer Unterlippe streichen. Ein sanfter Biss. Ihr Blick spricht von einem angenehmen, gar verräterisch erotischen Gedanken. Dieses Gesicht kenne ich bei meiner besten Freundin noch nicht. Ihre schönen braunen Augen sehen mich stolz an. „Ich habe es ihnen gesagt." „Wem hast du, was gesagt?", frage ich irritiert. „Ich habe meinen Eltern von Andrew erzählt und das ich gern mit ihm zusammen sein möchte." Nun ist der Stolz deutlich zu hören und ihre Körperhaltung ist aufrecht. Sie sackt wieder etwas zusammen und beginnt dann zu kichern. „Mein Papa fand es gar nicht toll. Kannst du dir sicher denken." Nun sehe ich ihre Finger über ihr Knie streichen. Fahrig und doch eine Spur nervös. Ich weiß, dass sie für dieses Gespräch jegliche Kraft, die sie im Stande war zu entwickeln, aufbringen musste. Etwas, wozu ich noch immer nicht den Mut gefunden habe oder in diesem Fall die Stärke. „Deswegen war er eben so grizzelig. Gut, dass ich diesmal nicht der Grund bin.", sage ich scherzhaft und sehe dabei zu, wie Shari mit dem Kopf wackelt. „Oh doch. Er gibt dir die Schuld und ein kleinen wenig hat er damit Recht." Ich sehe sie verdattert an. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. „Dank unseres Streits ist mir klar geworden, dass ich meinen Eltern nicht ständig ausweichen kann. Sie müssen akzeptieren, dass ich nicht das kleine, brave indische Töchterchen bin, welche sich besonders mein Vater wünscht. Wir leben nicht in Indien und selbst, wenn es so wäre... Ich möchte meinen eigenen Weg gehen und im Moment gehört der Wunsch nach einer ersten Liebe einfach dazu. Andrew behandelt mich gut und das werden meine Eltern auch merken." Erneut formt sich dieses süße Lächeln auf ihren Lippen und ich bin unsagbar stolz auf mein kleines Blümchen, welches ich ab heute nicht mehr klein nennen werde. „Du bist der Wahnsinn, weißt du das?", sage ich und spüre mit einem Mal das gesamte Ausmaß meiner Unzulänglichkeiten. Ich wirke stark, aber bin es nicht. „Mark, wenn ich das schaffe, schaffst du es erst recht." Als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ihre Hand greift aufmunternd meine. Ich gebe ein seltsames Geräusch von mir. Eine Mischung aus unterdrückten Lachen und verzweifelten Seufzer. Ihr Daumen streichelt meinen Handrücken und ich denke an das Bild, was ich für Shari gezeichnet habe. „Oh, ich habe was für dich, warte kurz." Ich stehe auf und laufe die Treppe hinunter zu meinem Rucksack, der neben meinen Schuhen steht. Ich nehme ihn mit nach oben und ziehe im Laufen die Rolle heraus. „Hier!" Shari nimmt das Bild entgegen, sieht mich einen Moment verwundert an und rollt es dann auf. Mit jedem Millimeter den sie freilegt, werden ihre Augen größer und ihre Lippen öffnen sich. Es gefällt ihr. Ihre schlanken Finger legen sich an ihren Mund. „Oh, Mark, es ist wunderschön." Sie legt es vor sich ab und streicht mit ihrem Finger sanft die Konturen ihres Körpers ab. So wie auch ich es getan habe. Ihr Lächeln bezaubert mich. Ich setze mich zu ihr und sie schlingt augenblicklich ihre Arme um mich. „Danke!", flüstert sie mir entgegen. Ich bin zufrieden. „Aber an der Hüfte hast du mich ein bisschen kaschiert, gib es zu!", setzt sie gleich nach und kichert. „Erzähl kein Quatsch. Ich male nur die reine Natur!" Shari drückt mich erneut. Eine Weile bleiben wir noch zusammensitzen. Sie erzählt mir von ihren Exkursionen und verschiedenen anderen Dingen, die während unseren Schweigetagen angefallen sind. Die Normalität beruhigt mich. Sie nebelt mich sogar etwas ein, aber in meinem Hinterkopf schwelen mahnend die Entscheidungen, die ich noch treffen muss. Jede Sekunde dieser wunderbaren Normalität und dieser Geborgenheit mit Shari weckt das Bedürfnis nach kompromissloser Aufklärung. Ich bin müde und möchte langsam zur Ruhe kommen. Keine Lügen mehr. Keine Ausflüchte. Glücklich sein. Das möchte ich. Das brauche ich. Am späten Nachmittag verabschiede ich mich von meiner Blume und ihren Eltern. Mrs Ambanis Umarmung ist fest und wunderbar. Ich danke ihr für das vorzügliche Essen und sie schlägt uns einen gemeinsamen Kochabend vor. Garantiert bekomme ich danach direkt eine Einladung zum Renovieren. Ich nehme es gern an. Niemand macht mir beim Malern etwas vor. Irgendwas muss ich ja schließlich auch können. Sharis Vater widmet mir ein leises Brummen und mit viel Einbildung könnte es ein Freundliches sein. Shari legt mir ein Tuch um den Hals und zieht mich dann in ihre Arme. „Sampai jumpa!", verabschiede ich mich brav in der Sprache, mit der ich sie auch begrüßt habe. Shari lächelt. „Alavidā mērē dōsta." Sie stopft mir die Enden des Tuches in die Jacke und ich verschwinde zur Bushaltestelle. Erst als ich dort angekommen und den Zeiten schaue, überkommt mich wieder diese seltsame Schwere. Es behagt mir nicht einfach zurück in meine Wohnung zu fahren. Dort ist es still und ich wäre mit meinen Gedanken allein. Das ertrage ich jetzt einfach nicht. Meine Gedanken wandern zu Raphael und ich empfinde Unsicherheit und große Sehnsucht. Ich möchte ihn sehen und ich möchte ihm alles klären. Mir ist bewusst, dass ich ohne eine Klärung die gesamte Nacht nicht schlafen werde. Ich verlasse die Bushaltestelle und gehe zur Hauptstraße um dort in einen anderen Bus zu steigen. Es zieht mich zu Raphael. Ich weiß, dass er mich heute nicht mehr sehen wollte, aber ich habe das dringende Bedürfnis mit ihm zu reden. Ich will mich erklären. Ich stehe vor seiner Tür und mit einem Mal vibriert mein Telefon. Nur zögernd ziehe ich es heraus. Eine Nachricht. Sie ist von Jake und sie ist sehr lang. -Wir haben nicht miteinander geschlafen!!! Ich habe dich nur nach Hause gebracht. Du warst so betrunken, dass ich Angst hatte, dass du dich irgendwie verletzt und deshalb bin ich dageblieben. Es tut mir wirklich leid. Als Raphael aufgetaucht ist, ist es mit mir durchgegangen. Ich hätte das nicht tun dürfen. Ich habe auch Raphael alles erklärt. Verzeih mir.- Augenblicklich spüre ich, wie ein Teil der Anspannung von mir abfällt. Die Schuld bleibt. Meine Finger beginnen zu zittern und ich starre auf eine Stelle an der Tür, die aussieht wie ein Schaf, welches grast. Der Lack dort ist abgeplatzt. Dunkles, leicht fauliges Holz ist zu erkennen, welches scheinbar mehr und mehr abzusplittern scheint. Im Grunde das schwarze Schaf der Tür, denn die Lackierung ist in weißer Farbe. Diesmal zögere ich nicht weiter, doch bevor ich die Klingel betätigen kann, geht die Tür auf. Raphael. In seinen Händen hält er Autoschlüssel und Handy. Unwillkürlich drückt mein Finger die Klingel. Das Geräusch im Hintergrund ist laut und durchdringend. „Mark,..." Mein Name geflüstert. Der Schlüssel in seiner Hand fällt zu Boden. Ich spüre, wie die Hand im selben Moment in meinen Nacken gleitet und dann schmecke ich seine süßen Lippen. Kapitel 19: Der schmale Pfad ins Glück -------------------------------------- Kapitel 19 Der schmale Pfad ins Glück Freude. Spannung. Erregung. Lust und Liebe. Das alles durchströmt mich mit hunderten ekstatischen Blitzen, die meine Lippen noch empfindlicher werden lassen. Ausgelöst durch diesen zärtlichen Kuss. Er macht mich glücklich. Süße und wohlige Schauer durchströmen meinen Leib. Raphaels Hand in meinem Nacken ist warm und scheint mich mit jeder Sekunde unseres Kusses dichter an sich heranzuziehen. Meine Hände schiebt sich in die Öffnung seine Jacke und die Hitze seines Körpers umfängt mich mit wohltuender Befriedigung. Ich genieße das wunderbare Gefühl seiner Nähe. Der Geruch seiner Haut elektrisiert mich. Ich will nicht, dass der Kuss jemals endet. Doch Raphael löst seinen süßen Lippen von meinen und ich kann nicht verhindern, dass ich einen leisen Beschwerdeton von mir gebe. Eigentlich ist es nur ein kleines sehnsüchtiges Schnurren. Es wirkt, denn direkt danach legt er noch einmal kurz und hauchzart seine Lippen auf meine, als ein genüssliches Ertasten. Seine Reaktion erleichtert und beglückt mich derartig, dass ich auch nach der Beendigung des Kusses, nicht von ihm ablasse, sondern mich fest an den starken Körper des anderen schmiege. Raphael schließt seine starken Armen um mich und ich lasse mich noch etwas mehr in die wohltuende Umarmung fallen. Mein Gesicht gräbt sich tief in seine Halsbeuge. Seine Finger gleiten über meinem Hals, verweben sich in meinen Haaren. Ich spüre den feinen Seufzer, der von Raphaels Lippen perlt mit dem ganzen Körper. Eine Geste der Erleichterung, die mich im gleichen Maß beruhigt, wie erregt. Seine Nase schnuffelt sich liebevoll durch meine Haare und ich schäme mich kurz, weil ich noch immer rieche, wie ein Aschenbecher nach einem Date mit schalem Bier und zu stark frittierten Zwiebelringen. Was wohl Sharis Mutter gedacht haben muss? Raphaels Lippen drücken sich gegen meine Schläfe. Ich lasse meine Augen geschlossen und sauge jede noch so kleine Berührung in mich ein. „Du brauchst eine Dusche", flüstert er mir liebgemeint zu. „Ich weiß, tut mir leid und alles anderen tut mir auch leid", flüstere ich leise und grinse schief gegen seine Brust. „Mir auch. So sehr. Ich hätte dir..." Raphael bricht ab als das Telefon in seiner Hand zu klingeln beginnt. Bereits am Klingelton erkenne ich, dass es Maya ist. Allein dieses Geräusch löst in mir eine Kettenreaktion der Gefühle aus. Wut. Verärgerung. Enttäuschung. Ich sehe auf. Mein Gegenüber seufzt und verdreht die Augen. Seine Reaktion lässt mich schmunzeln. Als er mein Lächelt sieht, erwidert er es und bettet seine Stirn sanft gegen meine. Raphael führt mich in seine Wohnung. Doch ich löse mich von ihm bevor ich ihm folge und angele den hinab gefallenen Schlüssel vom Boden auf. Als ich die Tür schließe, spüre ich Raphael direkt hinter mir und wie er erneut seine Arme um mich legt. Seine Lippen kosten die Haut an meiner Halsbeuge. Das Telefon klingelt noch immer, doch das Geräusch ist nur noch dumpf und leise. „Maya nervt mich schon den ganzen Tag", flüstert er seufzend, weil er merkt, dass ich mich noch immer ein wenig versteife. Ich nicke zaghaft und lausche dem Rumoren in meiner Magengegend. Gemeinsam drehen wir uns um und langsam führt mich Raphael Richtung Wohnzimmer. Ich genieße seine Nähe, die Wärme und das sanfte Gefühl vorn beginnender Geborgenheit, während wir im einträchtigen Gleichschritt durch den Flur schreiten. „Ich habe ihr heute Mittag eine ziemlich böse SMS geschrieben", ergänzt er. Sein warmer Atem streicht durch meine Haare. Das Grummeln versiegt und macht einem erleichterten Gefühl Platz. Ich schließe die Augen und kann nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf meine Lippen schleicht. Im Grunde nur ein hämisches Zucken. „Ich habe ihr heute Morgen auch ein paar nette Worte auf ihre Mailbox gepfeffert", gebe ich zu. Raphael gibt ein seltsames Geräusch von sich, welches mir sagt, dass er sich genau vorstellen kann, was ich mit nett meine. Garantiert waren meine Worte die deutlicheren. Wir bleiben im Wohnzimmer stehen. „Vielleicht sollten wir ein ruhiges Gespräch mit ihr suchen. Gemeinsam und unter 6 Augen. Dieses ständige Angreifen und Gestreite führt doch zu nichts", schlägt er vor. In Ruhe. Gemeinsam. Wieder zeigt er mir damit seinen Hang zum Diplomatischen. Wieso ist der Kerl so schrecklich vernünftig? Raphaels Worte hallen durch meinen Kopf, wie winzig kleine Schuldzuweisungen. „Ich bin mir keiner..." Bevor ich die Schuld von mir weisen kann, unterbricht mich Raphael, in dem er mir den Mund zu hält. „Wage es nicht. Du weißt ganz genau, dass du ein Meisterprovokateur bist. Besonders Maya gegenüber. Aber so kann es nicht weitergehen." Weder Maya noch ich sind dazu im Stande bedacht miteinander zu reden. Die Tatsache, dass er Recht hat wurmt mich. Extrem sogar. Ich erwidere nichts weiter. Raphael drückt mich an sich. Seine Hüfte bewegt sich leicht nach vorn, trifft gegen meinen Hintern und ich kann nicht verhindern, dass meine Gedanken, wie von selbst zu einem anderen Thema wandern. Hochgradig unangebracht, wenn man bedenkt, dass das Thema Sex zu dem Twist der letzten Stunden geführt hat. Ich bekomme noch immer Bauchschmerzen bei der Vorstellung, dass Maya es tatsächlich geschafft hat, dass ich für ein paar Augenblicke an Raphael zweifele. Es tut mir wahnsinnig leid und das habe ich ihm noch nicht genügend verdeutlicht. Raphaels Hände wandern meinen Bauch hinauf und ziehen den Reißverschluss meiner Jacke auf. Er streift sie mir ab und ich wende mich zu ihm um. Meine Hand legt sich an seine Wange, streicht über sein Ohr in seine Haare. „Raphael, es tut mir wirklich leid, dass ich so ein Idiot bin...Wieso sind deine Haare nass?", frage ich als meine Finger tiefer in sein Haar gleiten. „Na ja, ich kam gerade aus der Dusche als mich Jakes Nachricht erreicht hat und bin sofort los..." Er deutet in die Richtung, in der sich sein Bad befindet. Ich sehe ihn verwundert an und begreife, dass er anscheinend Alles stehen und liegen gelassen hat um zu mir zu kommen. Mein Herz macht einen Satz und pocht in einem tanzenden Rhythmus weiter. „Verrückter Kerl", murmele ich und streiche ihm eine feuchte Strähne davon. „Apropos verrückt. Wie kommt es, dass du neben dem Bargeruch auch stellenweise, wie eine fruchtige, frische Wiese riechst?", fragt Raphael neugierig, lässt seine Nase über meinen Hals wandern und schnuppert an dem grünen Tuch um meinem Hals. „Ich war bei meiner Blume", kommentiere ich im Sinne des Grünzeugs. Ich bin mir sicher, dass ihm sofort klar ist, dass ich von Shari spreche. Unbewusst greife ich nach dem Tuch, welches noch immer um meinen Hals liegt und ziehe es ab. Der weiche Stoff gleitet durch meine Finger. Ich denke an Sharis Worte, dass sie ihn verhauen wird, wenn er mich abweist. Ein lachendes und ein tränendes Auge. Ich hätte gern gesehen, wie sie es versucht, bin aber wesentlich glücklicher darüber, dass es nicht nötig ist. Ich komme nicht umher etwas feixen und merke erst, dass mich Raphael beobachtet als er mir das Tuch aus der Hand nimmt und mich zur Couch zieht. Er lässt das grüne Stoffteil auf den Sitz fallen. Bevor er mich mitzieht, stoppe ich ihn. „Ich sollte schnell unter die Dusche hüpfen." Ich deute den Gestank meine Haare an und sehe Raphael nicken. „Ja, sicher. Beeil dich" Er entlässt meine Hand und in diesem Moment vermisse ich schon seine Wärme. Ich verschwinde schnellen Schrittes ins Badezimmer, nehme mir ein sauberes Handtuch aus dem Schrank und ziehe mir den Pullover über den Kopf. Ich schrecke zusammen als mit einem Mal Raphaels Handy neben mir zu klingeln beginnt. Er hat es in aller Eile nur abgelegt. Ich sehe dabei zu, wie es auf der Waschmaschine tanzt und energisch blinkt. Mayas Name ist in großen Buchstaben auf dem Display zu erkennen. Kein Foto. Kein Kosename ist zu erkennen. Nur diese nervenden 4 Buchstaben. Leider sind 2 davon auch in meinem Namen vorhanden, sonst würde ich sie aus meinem Vokabular streichen. In dem kleinen Raum wirkt das laute Geräusch besonders dröhnend und vor allem störend. Unwillkürlich greife ich nach dem Handy. Ich widerstehe dem Drang das Gespräch anzunehmen und meiner Schwester all die Dinge an den Kopf zu knallen, die ich ihr schon auf der Mailbox angedeutet habe. Meine Fingerspitzen zucken, so sehr muss ich mich zusammenreißen. Die Wut brodelt heiß und stark in mir, so dass mein Daumen nur wenige Millimeter über dem grünen Annahmebereich zum Stehen kommt. Ich bin so sauer und enttäuscht, dass es mich selbst erschreckt. Die Furcht, dass sich Raphael durch meine unbedachten Aktionen wieder von mir entfernt ist allerdings größer. Ich drücke den Anruf einfach nur weg. Raphael hat Recht. Laute Beschimpfungen und aggressive Beschuldigungen bieten nur noch mehr Potential für weiteren Ärger. Ein ruhiges, gemeinsames Gespräch, das ist es, was wir brauchen. Meine Augen verdrehen sich dabei meisterlich um 360 Grad. Warum ist dieser Mann so vernünftig? Dennoch meldet sich in mir bereits dieses Stimmen, welches höhnend zu lachen beginnt, weil das niemals klappen wird. Ich schüttele zweifelnd den Kopf, entledige mich der restlichen Sache und springe unter die Dusche. Entgegen meiner vorigen Ansage lasse ich mir doch ein wenig mehr Zeit und reinige meinen Körper gründlich. Als ich danach in den Spiegel blicke, sehe ich wieder aus, wie ein Mensch und nicht, wie der Putzlappen des Barmanns. Ich streiche mir über die leicht stoppeligen Wangen und unweigerlich wandert mein Blick auch weiter runter. Meine Gedanken schweifen zu dem Mann im Nebenraum. Was wird nun passieren? Eigentlich sollten wir dringend über das Geschehene reden, aber mir ist ganz und gar nicht danach. Im Grunde kann ich mich noch immer nicht an alles der vergangenen Nacht erinnern. Raphael hat mir bereits mitgeteilt, was er in der Nacht getan hat und dass er es nicht mit Maya getan hat. Er scheint keine Zweifel mehr daran zu haben, dass nichts zwischen mir und Jake passiert ist. Er scheint Jake Worten Glauben zu schenken. Hoffentlich. Seine Küsse jedenfalls sind mir ein klares Indiz dafür. Warum also kann ich mich nicht, so über die offenkundige Zuneigung des anderen Mannes freuen, wie ich es sollte? Weil ich noch immer verunsichert bin, tönt es laut in meinem Kopf. Meine sonst so selbstbewusste Art ist angeknackst und das nur wegen diesem blonden, zickigen Monster, was sich meine Schwester nennt. Nein, nicht allein durch sie, sondern auch durch die Tatsache, dass Raphael und ich in unserer Beziehung einen bestimmten Schritt nicht gemacht und auch noch nicht geklärt haben. Und ohne den ich auch weiterhin zweifeln werde. Ich will ihn so sehr. Will ihn damit noch mehr an mich bin, aber ich will ihm auch die Zeit geben, die er braucht. Wieder ein Dilemma. Ich binde mir das Handtuch um und öffne danach das Spiegelschränkchen. Es sind nur die Dinge darin, die man bei einem Mann vermutet. Rasierer. Rasierwasser. Ein Parfüm. Ich nehme es heraus. James Bond. Ich ziehe den Deckel ab und schnuppere an der Düsenöffnung. In meinem Körper löst es ein angeregtes Kribbeln aus, weil ich mir sofort Raphaels gestählten Körper vorstelle. Es ist reine und pure Erregung, die mich durchfährt und meinen Leib erhitzt. Ich stelle das Parfüm fast beschämt zurück und spüre bereits jetzt, dass ich die Erregung nicht so schnell vergehen wird. Mein Blick fällt auf eine Flasche am rechten Rand. Ein Massageöl. Ich nehme es heraus und schnuppere auch daran. Ein paar Tropfen zerreibe ich zwischen meinen Fingern. Ich denke an seinen glänzenden sexy Körper und, wie ich Raphael einreibe und jeden noch so kleinen Muskel besonders ausgiebig streichele. Okay, stopp. Schon wieder ist nur noch Sex in meinem Kopf. Mir wird immer bewusster, wie einfach ich gestrickt bin. In meinem Kopf ein hämisches Lachen, weil ich es schon länger weiß. Ich besitze eine ellenlange Liste mit Links für Pornoseiten und ein Füllhorn an versauten Bildern, die nicht nur in meinem Kopf sind. Seit 5 Jahren ist der Kerl im Nebenzimmer ein fester Bestandteil dieser Fantasien. Auch jetzt. Irgendwie erschreckend, aber im Moment erfüllt es mich mit Scham. Ich stelle das Öl zur Seite, greife mir meine Hose und ziehe sie über. Den Pullover lasse ich liegen. Genauso, wie Raphaels Handy. Ich schließe den Spiegelschrank, nehme die Flasche mit dem Öl und gehen zurück ins Wohnzimmer. Raphael sitzt völlig entspannt, aber sichtlich geschafft in der gleichen Position, wie ich ihn verlassen habe, auf der Couch. Sein linker Arm ruht auf der Rückenlehne. Genauso, wie sein Kopf. Seine Finger tippen einen langsamen Takt auf den bläulichen Stoff. Leise gehe ich auf das Sofa zu. Seine Augen sind geschlossen und sie bleiben es auch, selbst als er merkt, dass ich näherkomme. Sein Gesicht wirkt vollkommen ruhig. Er streckt seine Hand nach mir aus und ich ergreife sie. Das Öl gleitet unauffällig in das Tuch, welches neben ihm liegt und ich lasse mich auf seinem Schoss nieder. Fast sofort öffnen sich seine Augen und er richtet sich ein wenig auf. Seine Hände greifen etwas verkrampft an meine Hüfte und sein Blick wandert über die nackte Haut, die ich ihm präsentiere. Die Verunsicherung in mir wächst und ich beobachte jede seiner Reaktionen genau. Doch meine Verunsicherung reicht noch lange nicht an die heran, die ich in den grünen Augen erkennen kann. Ich spüre deutlich, wie der Schlag seines Herzens immer heftiger wird. Das Pochen gleitet durch seinen Körper und ich bin mir sicher, dass es sich auch auf mich überträgt. Er sieht mich an und lächelt. Trotz alledem. In mir ist vor allem tiefe Aufregung, die mit jeder unserer Berührung aufflammt. Sie versetzt meinen Körper in einen Ausnahmezustand mit rasendem Puls, durchdringendem Pochen in den Gliedern und Kitzeln in den Fingerspitzen. Doch maßgeblich ist es Glück, welches in meinen Adern tanzt. Walzer. Cha-Cha-Cha. Tango. Ich will, dass er genauso fühlt. Dass es ihn ebenso glücklich macht. Seine Augen wandern mein Gesicht entlang. Dieses wunderschöne Grün entfacht mein Verlangen nur noch mehr. Diese Unschuld in seinem Blick ist atemberaubend. Das zunächst feine Kitzeln in meinen Fingerspitzen scheint zu explodieren. Wellen voller erregender Schauer arbeiten sich über meine Glieder. Sie bündeln sich in meiner Brust, wie ein Paukenschlag, der dafür sorgt, dass mein Herz an Fahrt aufnimmt. Ich höre, wie es in meinen Ohren zu rauschen beginnt. Heißes Blut pumpt sich durch meine Adern, verteilt sich glühend in meinem Körper. Ich kann nicht mehr abstreiten, dass sich in meinem Kopf manifestiert hat, dass ich erst vollkommen überzeugt bin, wenn Raphael alle Aspekte kennengelernt hat. Küssen und Anfassen ist gut, aber wird er wirklich weitergehen können? Nervosität begleitet mich und vermischt sich mit dem heftigen Verlangen. Meine Blutbahnen und Nerven tanzen weiter und lassen mich erschaudern. „Hey,...", haucht er mir entgegen. Statt ihm zu antworten, ziehe ich ihn in einen Kuss. Der Geschmack seiner Lippen umfängt mich, wie eine lang ersehnte Süßigkeit, die auf meiner Zunge schmilzt. Das Aroma des Glücks. Das Bukett von Leidenschaft. Belebend und prickelnd. Ich schmiege mich noch dichter an seinen Körper, spüre die Wärme und genieße das Gefühl seiner sanften Hände auf meiner nackten Haut. Raphaels Finger streicheln meine Seite hinauf und er löst den Kuss. „Du wirst noch kalt." „Geht schon." „Kann ich dir etwas anbieten? Etwas zu trinken, zu essen?", erkundigt er sich weiter, murmelt gegen meine Lippen und wirkt wenig gewillt aufzustehen. Gastgeberplattitüden vom Feinsten. „Ich nasche doch schon...", entgegne ich und stehle mir einen weiteren Kuss von den wohltuenden Lippen. Raphael erwidert ihn schmunzelnd und lässt geschehen, dass ich mich seinen Kiefer entlang küsse. „Darf ich noch mehr kosten?", frage ich säuselnd, lasse meine Zungenspitze sanft gegen seine Oberlippe tippen. Ein kurzes Lecken und er schenkt mir ein Beben seiner Unterlippe. Ich wiederhole es genüsslich bis Raphael meine Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss verschließt. Seine Zunge neckt, fordert und spielt. Ich genieße die Dominanz, die er mir zeigt und erzittere unter den liebevollen Forderungen. In meinem Kopf herrscht nur noch dieser eine Gedanke. Ich will ihn. Ich greife blind nach dem Tuch und lege meine Arme in seinen Nacken. Sharis Tuch behalte ich in der Hand. Kurz sehen wir uns an bevor wir unsere Lippen wieder vereinen. Raphaels Hände gleiten von meiner Seite über meinen Rücken, tiefer bis zum Rand meiner Short. Ich drücke mich ihm daraufhin ein wenig entgegen, lasse mein Becken über ihm kreisen und merke, wie er sich mir entgegen lehnt. Seine Finger nippen über den festen Bund der Hose. Ich nehme es als Anlass meinen Jeansknopf zu öffnen. Raphael stoppt und löst den Kuss. "Bitte vertrau mir", flüstere ich als mich sein fragender Blick erfasst. Ich greife beide Enden des Tuches fester und ziehe es zwischen meinen Fingern lang. Er sieht mir dabei zu. Ich deute ihm an, was ich möchte, in dem das weiche Tuch einmal kurz über sein Gesicht ziehe. Raphaels Hände legen sich an meine Brust. Ein Hauch von Kitzeln erfasst mich. Ich zupfe neckend an seinem Oberteil und lege dabei große Teile seines flachen, trainierten Bauches frei. Zärtlich lasse ich meine Fingerspitzen über die weiche Haut streicheln, folge der Berührung sehnsüchtig mit meinen Augen. Ein zartes Nicken von ihm folgt und lege ihm das Tuch über die Augen. Er murmelt meinen Namen. Mehr fragend als ablehnend, dennoch wird sofort die Unsicherheit deutlich, die sich durch seinen Körper arbeitet und in dem sanften Zittern seiner Stimme ihren Ausdruck findet. „Ich bin auch ganz lieb...", versichere ich ihm zu, während ich das Tuch über seinen Augen festbinde. Raphaels Hand liegt an meinem Handgelenk. Stille Unsicherheit, doch er lässt es geschehen. Seine leicht geöffneten Lippen scheinen nach mir zu rufen und ich werde sie nicht enttäuschen. Ich ziehe ihm langsam den Pullover über den Kopf und richte mich weiter auf. Ich nehme den Anblick in mir auf, der sich mir nun bietet. Sein definierter Bauch bebt, bewegt sich gegen meine ertastenden Finger. Ich streiche die Linie von Bauchnabel zur Mitte seiner Brust hinauf. Liebkose seine kleine leicht erhärtet Brustwarzen, die sich durch dunklere Haut von dem perfekten geformten Brustbereich abheben. Mein Zeigefinger tippt hauchzart gegen die sanfte Rundung. Raphael zuckt und ein wohliges Keuchen perlt von seinen Lippen. Der Vorhof zieht sich weiter zusammen und lässt seinen Nippel vollkommen erhärten. Ich raune genießerisch als ich mir vorstelle, wie es sich anfühlt, wenn meine feuchte Zunge darüber streichelt. Bevor ich meine Pläne umsetzen kann, sehe ich, wie sich Raphaels Hand nach mir ausstreckt. Seine Finger streifen meine Schultern, gleiten von dort in meinen Nacken und führen mich wieder höher. Er zieht mich in einen weiteren intensiven Kuss. Ich will mehr, zeige es ihm, in dem ich von seinen Lippen ablasse und mich langsam seinen Hals entlang küsse. An dem sanften Übergang von Hals zum Nacken lasse ich ihn meine Zähne spüren. Deutlich, aber dennoch vorsichtig. Alles als eine erste richtige Testfahrt. Trotzdem sehe ich die perfekte Reaktion auf seiner Haut. Ein leises Keuchen perlt von seinen Lippen, gefolgt von einem tiefen Stöhnen als ich meinen Mund um seine linke Brustwarze schließe. Küsse. Knabbern. Lecken. Ich küsse die Stelle erneut und genieße das feine Prickeln. Ich sauge es in mich ein. Jede noch so kleine Stelle, die eine Reaktion in ihm hervorruft, speichere ich ab, bediene sie erneut um Raphael diese wunderbaren Laute zu entlocken. Ich begnüge mich nicht mit seinem Oberkörper, sondern löse mich von ihm, gleite zwischen seine Beine zu Boden. Seine Hände wandern erschrocken an meine Schultern, während meine bewusst auf seinen Innenschenkel zum Liegen kommen. Er spreizt seine Beine dadurch noch weiter. Raphaels Finger tasten über meinen Hals, streichen meinen nackten Oberkörper entlang. Ich bekomme Gänsehaut, spüre wie sich mein Blut heiß durch meine Adern bewegt. Mein Herz rast und lässt die Erregung in meinem Körper immer höher brennen. Ich neige mich nach vorn, lege meine Lippen auf seinen bebenden Bauch. Der Geschmack seiner straffen, festen Haut tanzt auf meinen Lippen und ich nehme ihn in mir auf mit tausende zarte Küssen. Ich pausiere über seinem Herzen, spüre das Pochen auf meinen Lippen und zergehe bei dem Gedanken, dass es wegen mir so schnell und aufgeregt schlägt. Seine Finger streicheln durch meine Haare und ich merke, wie sie mich sachte weiter nach unten schiebt. Er hofft auf einen Blowjob. Das Bekannte. Das als Gutbefundene. In der Hinsicht ist er sehr berechenbar. Es lässt mich lächeln. Ich will mehr, doch das weiß er noch nicht. Dennoch möchte ich ihm gern seinen Wunsch erfüllen. Sein flacher Unterbauch bebt vor Vorfreude. Schnell öffne ich den Knopf seiner Hose, schiebe mit Raphaels Hilfe die Jeans von den schlanken Beinen und stelle mit Freude und leichter Verwunderung fest, dass er keine Unterwäsche trägt. So schnell hat er also zu mir gewollt. Mein Herz flattert bei dem Gedanken. Der Anblick seiner deutlichen Erregung lässt meine Lenden zucken. Aufregung und Glück durchströmen mich, wie eine berauschende Droge. Ich hauche einen Kuss über seinen Bauchnabel. Danach einen links und rechts. Ein Kuss unterhalb, direkt auf den präzisen geschnittenen Verlauf von feinen festen Härchen. Ich folge dem schmalen Pfad des Glücks tiefer hinab. Meine Hände gleiten über seinen Innenschenkel, wandern hin und wieder über den straffen, trainierten Bauch. Seine Erregung streift meinen Hals. Heiße Haut trifft auf willige. Ein Keuchen perlt von meinen Lippen, während meine Wange das glatte, warme Fleisch streift. Das Gefühl der deutlichen Härte ist verlockend. Ich neige meinen Kopf zur Seite, berühre mit meinen Lippen hauchzart die verlockende Erregung. Ein Kuss am unteren Ende. Es folgen Weitere, durch die ich, die gesamte Länge nach oben wandere. Meine Zunge streicht über die glatte Spitze. Ein freudiges Keuchen haucht sich mit entgegen. Sein Becken geht nach oben und er stupst gegen meine Lippen. Ich lecke noch einmal über die pulsierende Eichel des schönen Mannes. Mit kreisenden Bewegungen umspiele ich ihn bis ich meine Lippen fest um seine Erregung schließe. Ein tiefes Keuchen erfüllt den Raum und hüllt uns beide in eine Atmosphäre der puren Erregung. Ich nehme ihn tiefer auf. Stück für Stück. Lasse mich von seinem Stöhnen animieren und beginne mich auf und ab zu bewegen. Ich belasse es bei meinem Mund und nehme meine Hand nicht dazu. Herbe Süße tanzt auf meiner Zunge. Ich lecke jeden Tropfen davon. Ich genieße das Gefühl der Hitze auf meinen Lippen. Es ist atemberaubend. Heiß und prickelnd. Ich bewege mich schneller und lasse dann unvermittelt von ihm ab. Raphael richtet sich auf. Seine Hand wandert zum Tuch, doch bevor er es entfernen kann, stoppe ich ihn. Ich richte mich vollständig auf, ziehe mir die Hose aus und öffne die Flasche mit dem Öl. „Wehe", mahne ich ihn an und er lässt seine Hand sinken. Ich spüre seine Finger, die meine Hals entlang streichen. Ich will nicht mehr länger warten und gieße etwas des Öls in die Hand. Kühle, wohlriechende Flüssigkeit benetzt meine Finger. „Ich kann dich weder sehen, noch komme ich gut an dich ran. Ein bisschen unfair oder?" Raphaels Stimme ist rau und tief. Ich blicke auf, während mir Öl über das Handgelenk läuft. Seine Worte berauschen mich. Er will mich berühren. „Aber das, was du fühlst, ist gut oder?", frage ich darauf hin, senke meine Lippen erneut auf die feuchtglänzende Spitze. Meine Zunge gleitet zwischen den schmalen Spalt in der Mitte. „Fantastisch", stöhnt er genüsslich. Sein Kopf legt sich zurück auf die Rückenlehne der Couch. Ich nehme ihn noch mal zwischen die Lippen, lutsche genüsslich über seine Härte. Er gleitet tief in meinen Mund und ich spüre tiefe Genugtuung. Ich beginne mich selbst vorzubereiten. Raphael bekommt davon nichts mit, sondern zergeht bei der wohltuenden Behandlung seiner harten Körpermitte. Ich löse mich von ihm, gönne mir eine weitere Ladung fruchtig duftendes Öl. Mich packt schon jetzt die Ungeduld. Mein Blick wandert zu seiner Körpermitte. Ein weiteres Mal beuge ich mich über seine Erregung. Meine Lippen umfassen ihn fest, aber spielerisch. Raphael keucht auf, zieht scharf die Luft ein als ich ihn tief in meinen Mund gleiten lasse und dann schlucke. Die Hitze ist unendlich. Die Größe. Genug der Vorbereitung. Ich will ihn spüren. „Bitte vertrau mir", raune ich, küsse seinen Innenschenkel entlang höher und verweile dort. „Tue ich.", keucht er. Raphaels Hände tasten sich zu meinem Kopf und vergraben sich in meinen Haaren. Ich hauche schmetterlingsgleiche Küsse auf seinen Beckenknochen und stoppe. Dann lasse ich von ihm ab und richte mich auf. Ich knie mich über ihn, merke, wie mir etwas Öl über den Oberschenkel läuft. Raphaels Hände strecken sich nach mir aus und legen sich an meine nackte Hüfte. Ich halte den Atem an als ich sehe, wie seine Berührung stockt und er sich unwillkürlich etwas aufrichtet. Es ist, der Moment, in dem er begreift, dass ich ebenfalls nackt bin. Dass ich nackt auf seinem Schoss sitze. Ich lege meine Lippen auf seine. Willig folgt er mir. Sie sind wohltuend. Süß und befriedigend. Seine lockende Zunge fordert mich sofort. Meine ölbenetzte Hand umfasst seine Erregung gierig. Kein langes Abwarten. Kein Abwägen. Als Raphael spürt, was gerade passiert, setzt er sich doch ruckartig auf. „Mark", entfährt es ihm. Er atmet heftig aus, doch er kann nichts mehr ändern. Ich spüre, wie problemlos in mich gleitet. Er ist heiß. Hart. Er fühlt sich fantastisch an. Ich verdrehe genießerisch die Augen und beiße mir auf die Unterlippe. Auch ich atme schwer auf, aber deutlich erregt. Raphael lehnt seinen Kopf gegen meine Brust. Ich bleibe ruhig sitzen, schaue auf den dunklen Haarschopf. Abwartend. Ein Hauch von Unsicherheit arbeitet sich durch meine Glieder. Wir bewegen uns nicht. Eine Gewöhnung an das unglaubliche Gefühl. Raphael Stirn schmiegt sich direkt gegen die Mitte meines Brustkorbs. Sicher hört er, wie schnell mein Herz schlägt. Es schlägt nur für ihn. Doch das reicht mir nicht. Ich fange an mich sachte zu bewegen und lasse mein Becken rotieren. Raphael stöhnt laut und heiß gegen meine Brust. Er hindert mich nicht. Mein Körper schreit nach mehr. Meine Bewegungen werden schneller und Raphaels Hände beginnen fahrig über meinen Rücken zu streichen bis sie plötzlich an meinem Hintern stehen bleiben. Er beginnt mein Becken in seiner Bewegung zu dominieren, zieht mich tiefer in seinen Schoß. Ich genieße das Gefühl ihn so zu spüren, zu fühlen, dass es ihm gefällt. Denn er genießt es. Sein Stöhnen wird mit jedem Stoß lauter und tiefer. Mein Körper bebt. Meine bandagierte Hand krallt sich in seine Schulter und mit dem anderen beginne ich mich selbst zu befriedigen. Er drückt seine Lippen gegen meine Brust, wandert weiter nach oben zu meinem Hals. Ein Biss. Fast dieselbe Stelle, wie beim letzten Mal. Das ältere Mal muss noch immer deutlich zu erkennen sein. Seine Stöße werden heftiger. Doch die Position ist nicht die Richtige für schnelle Bewegungen. Ich brauche nicht mehr lange, denn durch das Öl auf meiner Hand ist das Gleiten besonders intensiv und es hat sich zu viel bei mir angestaut. Doch mit einem Mal verlangsamt er seine Bewegungen, packt mein Handgelenk und unterbricht somit meine zielstrebigen Bewegungen. Er richtet sich auf, zieht meinen Kopf im Nacken nach unten. „Nicht so schnell." keucht er mir gegen die Lippen. Ein Kuss und ich sterbe gleich vor Verlangen. Raphael entfernt sich das Tuch von seinen Augen und einen Moment lang befürchte ich, dass er sich nun wieder zurückzieht. Doch mir blickt glänzendes Grün entgegen. Ich sehe pure Erregung. Inbrünstiges Verlangen. Er hat Blut geleckt. Ich kann es deutlich sehen. Ich bewege meine Becken, presse mich ihm entgegen. Er keucht. Ich will nicht länger warten, doch Raphael löst unsere Verbindung und augenblicklich erfasst mich Enttäuschung. Bin ich zu weit gegangen? Ich keuche bewusst betrübt auf. Ich senke meinen Blick bis mich Raphael an den Armen packt und rücklings auf die Couch drückt. Er lehnt sich über mich. Auf allen Vieren kniet er über mir, beobachtet meinen bebenden, nackten Körper. Es ist das erste Mal, dass er mich so eindeutig betrachtet. Ich werde unwillkürlich rot. Er beugt sich zu einem kurzen Kuss herab. „Das nennst du also lieb sein", raunt er gegen meine Lippen. Ich keuche auf als er erneut in meinen Hals beißt. Diesmal ist es die andere Seite. Seine Lippen in meiner Halsbeuge necken sich über meine Haut. Mein gesamter Körper bäumt sich ihm entgegen und nicht nur im wörtlichen Sinne. „Aber ich bin lieb", keuche ich willig. "Und ich bin extrem heiß auf dich...", gebe ich ungewöhnlich barsch von mir. Ich bin etwas frustriert. Ich will, dass er mich wieder nimmt. Ich will seine Härte spüre, doch das spreche ich nicht aus. Es fühlte sich so unglaublich gut an. Raphael hebt bei meinen Worten seine wohlgeformte Augenbraue. Er beobachtet mein Gesicht und richtet sich auf. "Bitte mehr", bettele ich. Ich befürchte, dass er sich zurückzieht, doch er packt mich an der Hüfte und zieht mich dichter an sich heran. Ein kurzer Moment des Zögerns, dann spüre ich, wie er sich tief in mir versenkt und ziehe heftig die Luft ein, weil er schnell verdammt tief ist. Raphael befürchtet Schmerzen und hält innen. Bevor er etwas Fragen kann, hebe mein Becken und drücke ihn noch tiefer. Raphael stöhnt. Er positioniert sich auf der Couch, stellt sein Bein auf den Boden ab und ich ziehe meine Beine hoch. Seine Hände umfassen meine Hüfte und ich spüre, wie er zu stößt. Erst vorsichtig, dann immer intensiver und schneller. Ich genieße das unglaublich erregende Gefühl, welches es in mir auslöst. Die Hitze, die sich in mir ausbreitet, weil es sich noch besser anfühlt als ich mir erträumt habe. Seine Hände berühren meinem Körper. Sie sind gierig und willig. Sie hinterlassen pures Prickeln auf meiner Haut. Überall dort, wo er mich erkundet. Seine Erregung tief in mir entfacht ein stürmisches Feuer. Seine Stöße werden heftiger und immer befriedigender. So brauchen wir es beide. Raphaels Augen sind genießerisch geschlossen. Die Unsicherheit ist vollkommen verschwunden. Bei uns beiden, während wir uns ekstatisch aneinander reiben. Der Druck in meiner Lendengegend wird stärker. Seine Bewegungen werden etwas langsamer, hinauszögernder. Er beugt sich zu mir herab und ich ziehe ihn in einen langen intensiven Kuss. Ich befriedige mich selbst und komme heiß und heftig gegen seinen Unterbauch. Raphael spürt es und wenig später kommt auch er. Ich merke die Wärme und die Feuchte auf meinem Körper. Er bricht über mir zusammen, aber nicht ohne mir vorher einen langen, aber fahrigen Kuss zu geben. Ein befriedigendes Gefühl durchfließt meine Glieder und explodiert kribbelnd. Der Geruch seines Körpers beruhigt mich. Die Wärme seiner Haut scheint mich zu durchströmen und lullt mich in eine wunderbare Blase des absoluten Wohlbefindens. Sein Herz schlägt noch immer so schnell, dass ich es auf meinem eigenen Brustkorb spüre. Ein wundervolles und unglaubliches Gefühl. „Mark?" Mein Name ist nur ein Flüstern. Ich weiß nicht, wie lange wir bereits auf der Couch liegen und vor uns hindösen. Mittlerweile habe ich kühle Füße, aber der Rest wird noch immer von Raphaels warmen, starken Körper bedeckt. „Hm?", brumme ich ihm entgegen, merke, wie sich seine Hand von meiner Schulter zu meinem Kopf bewegt. Seine Finger gleiten durch meine Haare, streicheln mir eine paar Haarsträhnen auf die Stirn, die mich kitzeln. Unbewusst puste ich etwas nach oben um die Strähnen von meinen Augen wegzubekommen. Raphael wiederholt das Ganze und kichert. „Kein Alkohol mehr, hörst du?", sagt er nach einer Weile und streicht mir die Haare komplett zurück. „Nie mehr?", entgegne ich und verabschiede mich gedanklich schon von dem süßen Wein, den ich so gern trinke. Für Raphael werde ich es ohne nachzudenken tun. „Vielleicht nicht nie, aber wenn nur noch mit Betreuung", ergänzt er und ich fühle mich einen Moment, wie ein Kleinkind, was man unter Beobachtung stellen muss, damit es keinen Unsinn baut. Dann denke ich an die letzten Tage und gestehe mir ein, dass er womöglich Recht hat. Das Kind in meinem Kopf steckt mir die Zunge raus und ich schubse es davon. Irgendwann spüre ich Raphaels ruhigen Atem, der über meine Brust streicht. Es fühlt sich als wäre er noch etwas schwer geworden und ich bin mir sicher, dass er eingeschlafen ist. Ich bringe es nicht übers Herz ihn zu wecken, doch irgendwann sind meine Füße eiskalt und mir bleibt nichts anderes übrig. Ich verschwinde kurz unter die Dusche, entferne die Spuren auf meinem Körper. Als ich fertig bin, gehe ich ins Schlafzimmer, wo Raphael bereits schlafend im Bett liegt. Ich bleibe im Türrahmen stehen und blicke auf den ruhig atmenden Mann. Ist es wirklich alles wahr? Raphaels Brustkorb hebt und senkt sich. Es hat etwas Hypnotisches, weil es gleichmäßig und sanft ist. Die Liebe für ihn erfasst mich mit einem Mal so stark, dass sie mich schier zu Boden drückt. „Mark..." Mein Name lässt mich wieder aufblicken. Raphael liegt mit geschlossenen Augen auf der Seite und streckt mir seine Hand entgegen. „Komm endlich her..." Ein Flüstern und es schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich lege mich hinter ihn, schmiege mich an seinen Rücken und schließe die Augen. Raphael zieht meinen Arm an seine Brust und lässt ihn die gesamte Nacht nicht mehr los. Am Morgen bin ich, wie schon die letzten Male als erstes wach. Als ich mich rege, spüre ich etwas Warmes in meinem Rücken und Raphaels Geruch benebelt mich augenblicklich. Ich verspüre nicht das geringste Bedürfnis aufzustehen. Ich würde am liebsten ewig so liegen bleiben und seine Nähe genießen. Doch erst als er sich auf den Rücken dreht, setze ich mich auf. Das Bett quietscht bei den vielen Bewegungen und ich denke unwillkürlich an etwas anderes mit noch schnelleren Aktivitäten. Das wird ein quietschendes Drama. Nicht gut. Ich fahre mir mit den Händen über das Gesicht und streiche mir die verwuschelten Haare zurück. Die Bewegungen neben mir werden deutlicher. Genauso, wie das Quietschen. Ein Rascheln ist zu hören und auch Raphael richtet sich auf. Sein Kopf legt sich auf meine Schulter und seine Haare kitzeln über meine Wange als ich meinen Kopf zu ihm wende. „Guten Morgen", murmelt er verschlafen und ich schiebe meine Nase in das weiche, duftende Haar des anderen Mannes. „Buongiorno,...", grüße ich, in meiner klassischen Fremdsprachenmanier und schmiege mich dichter an ihn. Raphael schmunzelt gegen meine Schultern und haucht mir dann einen Kuss auf die Haut. Lächelnd schließe ich meine Augen und genieße diesen wunderschönen Moment. „Es war sehr schön gestern", flüstert Raphael mir ins Ohr und nippt sanft an meinem Ohrläppchen. Der zarte Kitzel durchfährt mich und ich öffne überrascht meine Lider. Seine grünen Augen blicken mir entgegen. Der Glanz in ihnen ist magisch und aufregend. Mein Herz flattert. Ich versuche nicht allzu verblüfft auszusehen, doch in Raphaels Gesicht bildet sich ein wissendes Grinsen und dann zieht er mich in einen leidenschaftlichen Kuss. Wir sinken zurück in die Kissen. Das Bett quietscht entsetzlich. Noch während ich mir im Sitzen die Socken anziehe, höre ich es und trotzdem bekomme ich das dümmliche Grinsen nicht aus dem Gesicht. Raphael duscht und ich habe den Auftrag bekommen Frühstück zu machen. Leichter gesagt als getan. Das Höchste meiner Frühstücksgefühle sind Cornflakes oder Toast mit Nutella. Drei Dinge, die ich in diesem Haushalt garantiert nicht finde. Ich gehe also auf Mission: Impossible. Ich mache ein Tom-Cruise Gesicht und die passende Am-Boden-schwebe-Bewegung. Gut, dass mich gerade keiner sieht. In meinem Kopf ertönt die Titelmelodie. Bammbamm baba bammbamm Baba bammbamm. Ein Ohrwurm vom Feinsten. Den habe ich heute garantiert den ganzen Tag. Dadadaaaa dadadaaaa. Bammbamm baba bammbamm. Ich spähe in den Kühlschrank und entdecke wieder nur lauter gesundes Zeug. Quark. Naturjoghurt. Obst. Gemüse. Hähnchenbrust. Frischkäse. Was spricht gegen Pudding und Kekse? Süßer, cremiger Schokopudding oder sanfter, vollmundiger Vanillepudding. Ich spüre, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft und schiebe dann missmutig den Magerquark von der linken zur rechten Ecke. Im Gemüsefach entdecke ich ein paar Äpfel, Pflaumen und etwas birnenförmiges Grünes mit schrumpeliger Haut. Ich drehe es in meinen Händen umher und lege es dann verunsichert zurück. Alieneier im Kühlschrank? Das Klingeln meines Handys lässt mich hochschrecken. Prompt stoße ich mir den Kopf, werfe ein paar Lebensmittel um und richte mich Kopf reibend auf. Mein Anrufer ist verdammt hartnäckig. Ich hole mir das Telefon aus dem Flur und gehe ohne auf das Display zuschauen ran. Noch bevor eine Stimme aus dem Hörer dringt, merke ich, wie mein Herz aussetzt. Was, wenn es Jake ist? Was, wenn es Maya ist? Was, wenn es meine Eltern sind? Mit keinem der Genannten möchte ich jetzt reden. Das spontane Rangehen muss ich mir unbedingt abgewöhnen. Nun ist es zu spät. „Mark, Albtraum meiner verschlafenen Nächte, wie geht's?" Meine plötzlich auftretende Aufregung verebbt als ich die Stimme meines Kommilitonen erkenne. „Paul, Grund meiner betrunkenen Fehltritte. Ich lebe. Was kann ich für dich tun?" „Zwei Dinge." Eine dramaturgisch perfekt gesetzte Pause. Ich widerstehe dem Drang zu fragen, welche zwei Punkte er meint und schweige. Vom anderen Ende des Hörers dringt ein definitives Seufzen an mein Ohr. Ich stelle mir vor, wie Pauls wuscheliger Blondschopf nach vorn kippt. Wie die Locken durch die Bewegung hin und her wippen. Ich wäre mit seiner Frisur schon verzweifelt, aber das hat nicht viel zusagen, denn ich ringe schon immer mit meiner und die ist verhältnismäßig pflegeleicht. Paul seufzt wiederholt und ich reagiere noch immer nicht. „Okay, hast du mit Shari gesprochen?", fragt Paul nun. Gewonnen. Ich freue mich nachher laut. „Ja, habe ich", antworte ich knapp und warte darauf, dass er sofort weiter fragt, doch nichts passiert. „Gut." „Wie jetzt? Willst du gar nicht wissen, was sie gesagt hat?", frage ich verdattert. „Nö! Du hast mit ihr geredet und ich kann in diesem Moment mit dir telefonieren, also hat sie dich nicht umgebracht. Das ist weitestgehend positiv" Wo er recht hat, hat er Recht. Irritiert bin ich dennoch. „Kommen wir zum Zweiten und diesmal will ich mehr nervenzerreißende Aufregung hören!" Wieder eine dramatische Pause. Diesmal seufze ich. „Oh, ich vergehe vor Spannung...Sie zerreißt mich förmlich...Oh, bitte, sag es mir endlich", kommentiere ich trocken und mit monotoner, langsamer Stimme. Ein feines Kichern von Pauls Seite. „Du hast schon besser geschauspielert! Ich habe ein Angebot für dich." Angebot? Ich ahne Böses und richte mich auf. „Paul, ich setze schon Spinnweben an. Würdest du bitte auf den Punkt kommen?" Obwohl er es unmöglich sehen kann, wische ich mir imaginären Staub von der Schulter. „Okay, okay, du Spielverderber. Was hältst du davon für die Unizeitung zu arbeiten?" „Für die, von der ich noch kein Exemplar gelesen habe?" „Ich wusste doch, dass dir die Idee gefällt!", kommentiert er vergnügt und ich fasse mir kurz an den Kopf. Unfassbar. „Ich kenne da so eine rothaarige Schnecke, die arbeitet für die Zeitung. Sie hat mir bei einem Kaffee gesteckt, dass sie zurzeit jemand für die Witz- und Comicseite suchen und da musste ich gleich an dich denken. Was sagst du?" Ich erinnere mich dunkel daran, dass er etwas Rothaariges erwähnt hat. War es die mit den schönen Händen oder die mit dem großen Vorbau. Ich glaube, dass die mit den Brüsten blond gewesen war. Sicher bin ich mir nicht. Bei Pauls fantastischen Frauengeschichten sehe ich auch schon lange nicht mehr durch. „Ich überlege gerade, ob ich mich geschmeichelt oder verarscht fühlen soll." Ich höre die Tür vom Badezimmer aufgehen und sehe, wie Raphael an mir vorbei zum Schlafzimmer tapst. An der Tür bleibt er kurz stehen und sieht zu mir in die Küche. Ein fragender Blick, doch ich weiß nicht mal, ob er Paul kennt, deshalb sage ich nichts. „Vielleicht beides. Mark, überleg es dir und lass uns Montag noch mal quatschen." Ich gebe es nur ungern zu, aber es reizt mich. Mit Comicszeichnen habe ich mich durch den Mathematikunterricht gerettet. Nicht zu vergessen der Riesenbildband in der Herrentoilette der Sporträume. Ich mag es solches Zeug zu zeichnen. „Sierra Leone, mein Bester. Bis Montag." „Sierra Nevada, bleib sauber", erwidere ich seine Verabschiedung ohne ulkige Fragen zu stellen und blicke als ich mich umdrehe in grüne Augen. „Sierra Nevada?" „Das höchste Gebirge Spaniens", sage ich lapidar als wäre Raphaels Frage wirklich total unsinnig und grinse. „Schon klar", erwidert und grinst zurück, „Was möchtest du essen?". Raphael schiebt sich an mir vorbei zum Kühlschrank und lächelt. Wie nett von ihm, dass er mich nicht darauf hinweist, dass ich meine Aufgabe nicht mal im Ansatz erledigt habe. „Was von den Dingen in deinem Kühlschrank kann ich denn essen, ohne wegen zu vielen Vitaminen zu implodieren?" Raphael richtet sich wieder auf und wirft mir einen Blick zu, der selbst mich für einen Moment an meinem Verstand zweifeln lässt. „Schau mich nicht so an. Mein Körper ist so gesundes Zeug nicht gewöhnt. Wer weiß, wie er reagiert", sage ich im vollen Ernst, sehe, dass Raphael ein weiteres Mal verwundert schaut und dann einen Schritt auf mich zu macht. Ich hebe gespielt fragend meine Augenbraue, während er immer näherkommt. Ich spüre, wie er mich gegen die Arbeitsplatte drückt und seine Hände direkt neben meiner Hüfte abstützt. Sein Kopf neigt sich zu mir runter, soweit bis seine Lippen nur noch Millimeter von meinen entfernt sind. Schon jetzt beginnt, die noch nicht berührte Haut zu kribbeln. Ein intensives Prickeln, welches sich über meinen Kiefer arbeitet und mir Schauer über die Brust jagt. Meine Augen haften an diesen wohlschmeckenden Lippen, doch Raphael kommt nicht näher. Mein Herz schlägt mir heiß gegen die Brust und mein Verstand hat längst den Faden verloren. Nur aus dem Augenwinkel heraus, sehe ich, wie sich neben mir die Schranktür öffnet, wie Raphael hineingreift und etwas herausnimmt. Ich wende meinen Blick nicht ab bis sich die verheißungsvollen Lippen bewegen. „Da ich ungern möchte, dass du als Vitaminbombe explodierst, verrate ich dir ein kleines Geheimnis." Er hebt das, was er aus dem Schrank geholt an. Ich sehe direkt auf ein gigantisches Nutellaglas und grinse. „Du, Heuchler...", flüstere ich. „Auch ich habe meine Schwächen", gesteht er, „Ich bin nur halb so willensstark und sittsam, wie alle denken." Auch auf Raphaels Lippen bildet sich ein jungenhaftes, neckisches Lächeln und ich will sie einfach nur küssen. Also schnappe ich sanft nach ihnen, kriege seine Unterlippen zu fassen und streiche über das heiße Fleisch. Ich wiederhole es mit der oberen und küsse ihn dann ganz. Ich genieße den Kuss und intensiviere ihn als Raphael genüsslich seufzt. Er schmeckt fantastisch und spiele mit dem Gedanken ihn einfach wieder ins Schlafzimmer zu ziehen. Als Raphael ihn löst, bin ich fast etwas enttäuscht „Besser als Magerquark und Früchte, oder?", fragt er neckend, beginnt Wasser aufzusetzen und Geschirr aus dem Schrank zu nehmen. „Auf jeden Fall, aber du darfst mich gern irgendwann mal vom Gegenteil überzeugen." Shari hat mir klar gemacht, dass es sich gerade bei Essen lohnt auch mal etwas auszuprobieren. Dank ihr weiß ich, wie viele verschiedene Gemüsesorten schmecken. Nur leider weiß ich immer nicht, wie die seltsamen Dinge heißen, die wir essen. Bei Obst ist es fast ähnlich. „Was ist dieses grüne, schrumpelige Ding in deinem Kühlschrank?" „Meinst du die Avocado?" Ich rümpfe die Nase und ziehe meine Schultern hoch um ihm zu verdeutlichen, dass ich selbst mit dem Namen nicht weiß, ob wir dasselbe Ding meinen. „Gesund und reich an guten Fetten", erläutert er und geht nicht weiter auf meine seltsamen Körperspasmen ein. „Ich sehe schon. Shari ist mit der Lebensmittelkunde bei dir noch nicht weit gekommen", sagt Raphael trocken, grinst und schnappt sich das Kaffeepulver. „Das geht bei mir in einem Ohr rein und im anderen wieder raus. Außerdem hatte ich bis jetzt immer andere, die für mich kochen. Mama. Shari. Jake..." Ich unterbreche meine Aufzählung als mir klar wird, was ich gerade gesagt habe. Raphael hält in seiner Bewegung inne. Ich beiße mir auf die Unterlippe bis es schmerzt. Ich muss mir dringend angewöhnen nachzudenken bevor ich den Mund aufmache. Raphaels Daumen berührt die gebissene Stelle und ich höre auf. „Hey, pass auf!" „Tut mir leid." Raphael streichelt mir über die Wange und wendet sich wieder dem Kaffee zu. Ich lege meine Hand an seinen Arm, hauche einen Kuss gegen seine stoffbedeckte Schulter und beginne den Tisch zudecken. Raphael lässt das Kaffeepulver in die Tasse fallen und zieht dann ein Toastbrot aus dem Schrank. Zwei Scheiben verschwinden im Toaster. „Schon gut. Ich bin zu empfindlich, aber ich kriege bei dem Typen echt...", knurrt er leise. Seine Hände ballen sich zu Fäusten und er bricht ab. Die Reaktion sagt genug aus. „Sagst du mir, was ihr für ein Problem miteinander habt?" Ich sehe, wie sich seine Körperhaltung anspannt. Raphael schließt seine Augen. Anscheinend ist es nicht das beste Thema für diesen Moment, doch ich möchte es unbedingt wissen. Beide Männer reagieren übertrieben negativ aufeinander und das kommt nicht von irgendwoher. „Können wir das Thema verschieben?", weicht er aus, gießt sich die Tasse Kaffee auf. „Warum?" „Warum nicht? Mark, bitte." Erst laut und dann ruhig. Raphael zieht mich zu sich heran, haucht mir einen Kuss gegen die Stirn. „Wir mögen uns einfach nicht, weil wir in der Vergangenheit öfter aneinandergeraten sind. Aus verschiedenen Gründen. In unterschiedlichen Situationen. Reicht das erstmal?" Ein weiterer Kuss. Ich bin mir sicher, ob es mir wirklich reicht, weil ich vermute, dass noch etwas mehr dahintersteckt. Doch ich gebe vorerst Ruhe. „Okay", gebe ich zögerlich von mir. Raphael drückt mir das Schokoglas in die Hand und lächelt. Ich setze mich und sehe dabei zu, wie Raphael die Toasts aus dem Röster holt, mir reicht und wie er zwei Neue vorbereitet. „Übrigens hat mich dein Vater gestern noch zum Kaffee geordert. Für heute Nachtmittag." Ich lasse mein Messer sinken und lehne mich zurück. „Er hat mich gebeten dich mitzubringen." Raphael nippt an seinem Kaffee. Ich sehe dabei zu, wie er die Tasse zurück auf den Tisch stellt, seine Hand jedoch nicht von dem Henkel löst. „Können wir nach dem Frühstück zu mir fahren. Ich würde mir gern, etwas anderes anziehen", sage ich bewusst ausweichend, nehme mir das Nutellaglas und schmiere mir lustlos den Toast. „Sicher." Er spricht das Thema nicht noch mal an. Wie gewünscht, fahren wir nach dem Frühstück zu mir. Noch immer liegt eine Unmenge an heraus gefallenen Klamotten vor meinem Kleiderschrank. Ich seufze leise, schiebe mit den Zehenspitzen ein paar Shirts zur Seite und angele mir dann eine Hose heraus. Erst als ich mich aufs Bett setzen will, mich ausziehe, merke ich, dass mir Raphael ins Zimmer gefolgt ist. „Mark, ich möchte zusammen mit dir zu deinen Eltern fahren." Ich halte in meiner Bewegung innen. „Können wir das Thema verschieben?", wiederhole ich Raphaels Satz vom Frühstück und sehe wie er seufzt. Ich ziehe mir eine frische Shorts über die schlanken Beine und greife nach der Jeans. „Touché, aber es zu verschieben bringt nichts und es ist mir wichtig." Ich lifte meine Augenbraue. Wichtig? Raphael sieht mir dabei zu, wie ich die Jeans hochziehe. „Warum?" Ich knöpfe die Hose zu und laufe in den Flur. „Weil ich der Überzeugung bin, dass das mit uns nur etwas werden kann, wenn wir absolut ehrlich sind. Zueinander und zu den Menschen in unserer Umgebung", erklärt Raphael. Sein Blick ist ernst. Ich möchte ihm an den Kopf werfen, dass er mir dann auch die Sache mit Jake erzählen muss, doch ich verkneife es mir. Ich schiebe mich seufzend an ihm vorbei in den Flur. „Ich habe es meinen erzählt", ergänzt er. Ich sehe ihn ungläubig an. „Was hast du ihnen erzählt?", frage ich skeptisch. „Das mit uns! Und dass es mit Maya vorbei ist. Dass sie die Einladung nur ausgesprochen hat um dich und mich zu diffamieren." Er hat es ihnen gesagt. Er hat ihnen einfach so gesagt, dass er mit einem Kerl zusammen ist? Ich kann es nicht glauben. Doch ich sehe nichts anders als Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in seinen schönen grünen Augen. In meinem Magen beginnt ruhelos zu flattern und schwingen. „Du hast es ihnen erzählt? Einfach so?", erkundige ich mich noch immer irgendwie baff. Reden ist normalerweise nicht Raphaels Stärke. „Ja, ich war noch nie der Vorzeigesohn, den sie sich gewünscht haben. Also", antwortet er lapidar, zuckt mit den Schultern. Anscheinend muss für mich damit klar sein, warum es für ihn kein Problem war. Das ist es, aber nicht. Es ändert auch nichts. Raphaels Eltern sind nicht das Problem für mich. Sondern meine eigenen. Schließlich sind sie es, die wir öfter sehen. Sie sind die Personen, denen wir erklären müssen, was es mit diesen dramödischen Auftritten auf sich hat. „Mark, es wäre das Beste, wenn wir..." „Ich kann nicht...", wispere ich ihm ins Wort fallend zu und wende mich ab. Meine Hand liegt bereits auf der Klinke der Wohnungstür um zu gehen. „Dir ist, aber klar, dass du mit dieser Reaktion Maya in die Karten spielst. Sie kann diesen Scheiß nur mit uns machen, weil sie um deine Angst weiß. Sie nutzt es aus!" Raphael hält mich am Arm zurück und zieht mich sanft zurück. Sein Gesichtsausdruck ist ernst und das enttäuschte Blitzen in seinen Augen gräbt sich tief in meinen Körper. „Das weiß ich selbst...", fahre ich ihn an und blicke ihm dann sofort entschuldigend entgegen. Raphael hat selbst genügend Ärger deswegen. Da muss ich nicht auch noch draufhauen. Ich fahre mir ermattet durch die Haare. „Warum hast du kein Vertrauen zu deinen Eltern? Mark, sie lieben dich und das wird sich dadurch nicht ändern..." „Und, wenn doch?", kontere ich meine Angst preisgebend und weiß selbst, dass sie wahrscheinlich übertrieben ist. Ich öffne die Tür und starte einen weiten Versuch zu gehen. „Ist dir eigentlich bewusst, was für ein Glück du mit deiner Familie hast?" Raphael greift nach meiner Hand. Zunächst sind es nur seine Finger, die meine Spitzen berühren. Dann ist es die ganze Hand, die meine Kalte umfasst. „Sie sind aufgeschlossen, tolerant und liebevoll. Deine Mutter ist so stark, selbstständig und modern. So habe ich mir meine immer gewünscht und dein Dad kann mich zwar nicht leiden, aber auch er ist wunderbar", fährt er fort. Ich sehe ihn betreten an. Beim Familienessen konnte ich nur einen kurzen Blick auf seine Eltern werfen. Sie waren mir nicht allzu konservativ vorgekommen, aber das kann sicher täuschen. Wieder wird mir bewusst, wie wenig ich über Raphaels Familie weiß. „Meine Eltern sind beide gläubig. Familie geht über alles, aber auch nur so lange, wie man sich unterordnet." Obwohl er gefasst und stark klingt, sehe ich die Trauer in seinem Blick. Sie ist nicht stark, sondern eher ein resignierter Hauch, der über Allem schwebt. Nur ab und an sichtbar und trotzdem unendlich präsent. „Hör zu, ich sagte meinen Eltern, ich wolle mein Abitur machen. Sportpädagogik studieren und nicht bei meinem Vater in die Lehre gehen. Daraufhin stellten sie mich vor die Wahl: Gehen oder unterordnen. Einen Mittelweg gab es nicht." Raphael musste nicht erklären, was passiert ist. Er lebt allein und das schon eine ganze Weile, wie sich beim letzten Mal herausgestellt hat. „Ich habe nie damit gerechnet, dass meine Eltern das verstehen, aber ich wollte so leben, wie ich es mir vorstelle. So ist es auch jetzt mit dir. Ich habe es ihnen gesagt, weil ich mich dafür entschieden habe. Für dich!" Seine Worte lassen mich schlucken. Alle sind stärker als ich. Shari, die ihren Eltern ebenso deutlich mitgeteilt hat, dass sie den familiären Konventionen entgegentritt, weil sie nun mal eine andere Vorstellung hat. Nun auch Raphael. Und ich, ich zögere derartig, dass es schon fast albern ist. „Deine Eltern sind klasse, Mark und es tut mir weh zu sehen, dass du sie wegen mir meidest." „Ich meide sie nicht wegen dir. Ich kann nur einfach nicht...Ich weiß nicht, wie ich ihnen alles erklären soll", patze ich zurück. Ich kann nicht einmal Raphael verdeutlichen, was mein Problem ist. Problem ist vielleicht übertrieben. Schließlich ist es grob gesagt einfach nur Feigheit und panische Angst vor Ablehnung. Raphael zieht mich in seine Arme. Sie drücken mich fest an den starken Körper des anderen Mannes. Die körperliche Nähe hilft mir gerade herzlich wenig. Ich lasse meinen Kopf trotzdem auf seine Schulter sinken und schmiege mich nach kurzem Widerstand in die sanfte Umarmung. Allerdings mit dem Resultat, dass ich leise zu schniefen beginnen. Das Alles überfordert mich schrecklich. „Du hast tolle Eltern und sie werden es garantiert verstehen, wenn du ehrlich bist. Aber du stößt ihnen lieber andauernd vor den Kopf. Wovor hast du denn Angst? Du bist schwul. Na und?" Die Seitenstränge meines Halses beginnen zu kitzeln und mein Schniefen wird lauter. „Du bist lustig, wie soll ich meinen Eltern erklären, dass sie keine eigenen Enkelkinder von mir bekommen? Das sie niemals einer stinknormalen Hochzeit bewohnen. Das meine Mutter niemals eine Schwiegertochter zum Schikanieren bekommt. Wie soll ich ihnen klar machen, dass ich sie schon seit Jahren belüge? Wie soll ich je ausdrücken können, wie sehr mir das Alles leidtut?" Mittlerweile habe ich angefangen zu weinen und meine Stimme ist tränenerstickt. „Vielleicht genauso so" Ich löse mich erschrocken von Raphael und sehe direkt in das Gesicht meines Vaters in der Tür aufgetaucht ist. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Ich werde kreidebleich und fange augenblicklich an noch heftiger zu weinen. Kapitel 20: Spiel mir das Lied vom Brot --------------------------------------- Kapitel 20 Spiel mir das Lied vom Brot Mein Vater ist zum Teil noch von der Tür verdeckt. Doch er schiebt sie weiter auf und tritt in den Flur. Für einen kurzen Moment wähnt sich die böse Vorahnung, dass hinter ihm meine Mutter auftaucht, aber er ist allein. Sein Blick huscht von mir, kurz zu Raphael und in meiner Brust bildet sich ein tonnenschwerer Stein. Ich spüre die Tränen, die heiß über meine Wange laufen und dann meinen Blick verschleiern. „Ach Mark,...", seufzt mein Vater leise. Seine Hand greift in meinen Nacken und er zieht mich fest an seine Schulter, während seine Finger über meinen Hinterkopf streicheln. Bei dieser Geste flammen meine Tränen nur noch mehr auf, denn sie weckt die Erinnerungen an meine Kindheitstage. Nie hatte mein Vater gesagt, dass ich nicht weinen dürfe. Nie verhindert, dass ich meinen Gefühlen Ausdruck verlieh. Stattdessen hat er mich jedes Mal so gegriffen und mir beruhigend den Kopf getätschelt, während er mir in manchem Fall klar machte, dass es keinen Grund für Tränen gab. Das Gefühl dieser tröstenden vertrauten Nähe umfängt mich auch jetzt. Sie beruhigt und beängstigt mich zu gleich. Mein Herz rast und der Schreck pulsiert in meinen Gliedern, wie ein höhnendes Donnerwetter. Was habe ich erwartet? Dass ich es ewig geheim halten kann? Dass nie jemand Fragen stellt? Sehr töricht. Das Pulsieren wächst in meinem Kopf zu einem lautstarken Lachen heran. Doch ich lache nicht, sondern fange stattdessen noch einmal stärker an zu weinen. „So habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt", flüstert mein Vater und ich merke, wie sich sein Kinn auf meinen Kopf schiebt und wie seine Hand weiterhin beruhigend über meinen lebenden Rücken streicht. Mit seinen Worten spricht er Raphael an, der wahrscheinlich hilflos hinter uns steht. Sinnfreies Rumgeheule nach Aufmerksamkeit gewöhnte ich mir damals recht zügig ab und glänzte stattdessen mit eisernem Willen und Selbstständigkeit. Es gibt genügend andere Mitglieder in meiner Familie, bei denen es nicht so war. Mein Vater drückt mich etwas fester, streichelt mir sanft über den Kopf und gibt mir dann eine ebenso liebevoll gemeinte und ausgeführte Kopfnuss. „Komm, beruhige dich. Es gibt gar keinen Grund dafür..." Er wiederholt die neckische Geste an meinen Hinterkopf. „Raphael, ich könnte einen Kaffee vertragen und ihr sicher auch. Wärst du so gut?" Raphael bestätigt und ich vernehme leise Schritte, die sich von uns entfernen. Das Öffnen von Schranktüren. Wasserrauschen. Ich brauche zwei Anläufe, bis ich das Schniefen soweit eingestellt habe, dass ich zu sprechen anfangen kann. Okay, sprechen ist total übertrieben. Ich nuschele unverständliches Zeug und das auch noch quer durcheinander. „Papa...Es...wollte... Ich... Es tut... Leid." Okay, langsam wird es erbärmlich. Ich ziehe reichlich unästhetisch die Nase hoch und taste blind nach der Packung Taschentücher, die theoretisch auf meiner Kommode im Flur liegt. Nur finde ich nichts außer Staub und Kekskrümel auf dem glatten Furnier. Ich merke, wie sich der Kopf meines Vaters neigt und dann spüre ich das feine Lachen mehr durch die Nähe seines Körpers, als dass ich es höre. Mein Vater kramt in seinen Hosentaschen herum und drückt mir dann eines dieser alten Stofftaschentücher in die Hand. Ich blinzele dem Stoffteil entgegen. Die Dinger habe ich schon als Kind nicht gemocht, denn sie fühlten sich immer nass und schlabberig an. Außerdem zählt die Vorstellung, dass mein Erzeuger die Dinger wochenlang in seiner Hosentasche herumträgt, nicht zu meinen Favoriten. Nur mit dem linken Auge schaue ich misstrauisch auf das Taschentuch, bis mir mein Vater mit der flachen Hand gegen die Stirn patscht. „Das ist sauber, du Spinner. Frisch von deiner Mutter gewaschen", interpretiert er meinen Blick richtig und ich kann mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, während er mich an den Schultern an sich herandrückt. Diese kumpelhafte Geste, die auch mein Onkel immer macht. Mein Herz schlägt noch immer unruhig. Der Wasserkocher ertönt im Hintergrund und dann höre ich, wie Raphael die zwei Tassen, die ich noch besitze auf das Metall der Spüle stellt. Ich wische mir die Flüssigkeiten aus dem Gesicht und beginne dann unbewusst und automatisch das Taschentuch zu kneten. Ich malträtiere es förmlich so, wie ich es auch mit den Papiervarianten mache. Shari beschwerte sich heute Morgen per SMS, dass sie noch immer Papierkrümel aus ihrer Bettwäsche sammelt. Ich habe ihr noch nicht geantwortet. Ich höre, wie mein Vater hinter sich die Tür schließt und dann seine Jacke auf einen der Garderobenhaken hängt. Auch er macht seine typische Geste, die von Nervosität und Unwohlsein herrührt. Er nimmt seine Brille ab und streicht sich zweimal über den Nasenrücken. Mein Vater wäre ein schlechter Pokerspieler. Genauso, wie ich. Er macht es auch immer, wenn er etwas Unschönes mit der Familie besprechen muss. Damals beim Tod unseres Onkels Ralf hat er sich unentwegt die Nase gerieben, bis sie knallrot leuchtete. Genauso, wie es die Nase des Onkels Olaf immer durch den extremen Alkoholkonsum getan hat. Ich erinnere mich an Familienfeiern, die des Öfteren in phänomenalen Katastrophen endeten. Tatsächlich noch ein Grund mehr Raphaels Bitte nach eingeschränktem Alkoholgenuss nachzukommen. Ich sehe, wie mein Vater zu sprechen ansetzt, abbricht und noch einmal sein Ritual wiederholt. Unangenehme Gespräche sind auch meine Schwachstelle. Es ist seltsam, wenn man erkennt wie viele Eigenarten man wirklich von seinen Erzeugern mitbekommen hat. Wie viele Dinge und Reaktionen man bei sich selbst erkennt. Wie muss es wohl für meinen Vater sein, sie dauernd bei mir zu sehen? „Wieso hast du nicht mit uns geredet?", fragt er mich, nachdem er seine Brille wieder in seinem Gesicht positioniert. Ich spüre, wie meine Schultern als allererstes nach oben zucken als Verdeutlichung meiner fehlenden Antwort. Ich weiß, was er sagen wird, wenn ich ihm erkläre, dass ich mich einfach nicht getraut habe, dass ich nicht den Mut hatte. Jahre lang nicht. Er wird es nicht verstehen können. Ich tue es ja selbst nicht. Meine Eltern sind stets aufgeschlossen und nur in einem verständnisvollen Maß streng gewesen. Sie haben mich immer unterstützt. Selbst bei den verrücktesten Verrücktheiten. „Mark, seit wann hast du Probleme damit, mit uns zu reden? Hast du das Gefühl mir und deiner Mutter nicht vertrauen zu können?", setzt er fort. Ich möchte ein deutliches Nein aussprechen, aber ich tue es nicht. Es wäre nicht ganz ehrlich. Ich vertraue meinen Eltern. Mehr als es andere Kinder je tun würden. Aber das Thema ist mein blinder Fleck, der anscheinend jegliche vertrauensvolle Beziehung bröckeln lässt. Ich höre ein Klappern und wir schauen beide zur Küche. Raphaels Schatten erscheint im Türrahmen und dann höre ich, wie sein Handy zu klingeln beginnt. Bei dem Klingelton bekomme ich sofort Magenschmerzen. Sie packen mich, reißen meine Gedärme hin und her und hinterlassen das Gefühl als würde man mich durch einen Fleischwolf drehen. Auch mein Vater erkennt den Song. Maya hört ihn zu Hause andauernd. Dem schmerzvollen Unwohlsein folgt schleichend die Wut. Sie darf ihre Macht über uns nicht weiter ausbauen. „So ist es nicht. Ich... Ich vertraue euch, aber...ich wusste einfach nicht, wie ich es euch sagen soll...", gestehe ich und lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand. Wir stehen mitten im Flur und führen so ein Gespräch. Aberwitzig. Mein Vater streicht sich durch die kurzen Haare. Seine Finger zucken erneut zu seiner Brille, doch diesmal lässt er sie wieder sinken. Für ihn ist das keine Erklärung. Wahrscheinlich für niemand. „Wolltest du es uns überhaupt irgendwann sagen?" Gute Frage. Nächste Frage. „Meinst du nicht, dass wir irgendwann mal nachgehakt hätten, warum unser Sohn keine Beziehung führt oder warum er uns niemanden vorstellt? Nicht, dass wir uns nicht schon, die ganze Zeit darüber wundern." Guter Einwand. Zudem hat er Recht. Sie hätten jederzeit jemanden an meiner Seite willkommen geheißen. Ein hübsches, höfliches Mädchen. Das ohne Probleme. Auch Raphael haben sie sehr gut aufgenommen. Offen und interessiert. Aber hätten sie das auch als Freund ihres Sohnes getan? Daran zweifele ich. „Ich wusste doch nicht, wie ihr reagieren würdet. Weißt du, du stehst hier, so ruhig und gefasst, und ich kann nicht einschätzen, ob du zutiefst enttäuschst, wütend oder beschämt bist." Positive Gefühlsregungen kamen in den Szenarien sowieso nicht vor, deshalb lasse ich sie auch jetzt beiseite. „Um Himmelswillen, Mark, du bist mein Sohn und ich liebe dich, egal ob du hetero- oder homosexuell bist. Mir wäre es sogar egal, wenn du objektophil wärst", stößt er energisch aus. Über den Scherz lachen wir beide nicht, obwohl es mich ungemein beruhigt. Ich hätte Interesse an der Chinesischen Mauer, aber meinem Wissen nach ist sie schon vergeben. In meinem Kopf entstehen seltsame Bilder von Menschen, die irgendwelche Dinge umarmen. Ich könnte ab und zu meinen PC umarmen. Aber auch nur manchmal. Shari würde wahrscheinlich zu den Baumumarmern gehören. Ich zwinge mich zurück in die Realität. „Mich enttäuscht nur, dass du nicht ehrlich warst und von der Sache mit Raphael will ich gar nicht anfangen", setzt mein Vater fort und lässt seinen Blick über mein Gesicht wandern. Meine Gedanken wandern zurück zu den Bäumen. Unbewusst neige ich meinen Kopf zur Seite. „Er ist der Freund deiner Schwester, Mark." Als ob mir das nicht bewusst genug ist. „Was denkt ihr euch..." Er bricht ab als Raphael aus der Küche tritt. Die Stimmung ist unterirdisch, als wir zu dritt in der Küche Platz nehmen. Raphael stellt sich und meinem Vater eine Tasse Kaffee vor die Nase. Mir ein Glas Wasser. Ich greife fahrig danach, trinke aber nicht. Es dürstet mich nach einem warmen Tee, aber aus Ermangelung an genügend Geschirr muss ich darauf verzichten. Ich beschwere mich nicht. „Meine momentane Ruhe begründet sich darauf, dass ich es schon länger weiß", sagt er, nachdem er einen Schluck des Kaffees genommen hat. Seine Lippen berühren noch immer den Rand der weißen Keramik. Erst als er sie absetzt, blickt er auf. Erneut erfasst mich eine eiskalte Welle der Ungläubigkeit. Wie kann das sein? Unbewusst sehe ich kurz zu Raphael, doch auch er schaut überrascht zu meinem Erzeuger und lässt wie in Zeitlupe die angesetzte Tasse zurück auf den Tisch sinken. Er war es also nicht. In meinem Kopf beginnt es heftig zu rotieren, Wann könnte er es erfahren haben? Ich kann es mir nicht erklären. Bis auf die wenigen verdächtigen Male mit Raphael habe ich meine Neigung stets weit von meinem Elternhaus entfernt ausgelebt. Selbst außerhalb der Schule. Na gut, dass eine Mal mit Jake. Ist es doch Maya gewesen, die sich gegenüber meinem Vater verplappert hat? Ob es meine Mutter auch schon weiß? Panik. Sie scheint meine Brust in diesem Moment auseinanderzureißen. Ich habe das Gefühl, das mir mit einem Mal sämtliches Blut in die Füße sackt. Ich taste nach dem Tischbein und umklammere es. Nein, sie kann es nicht wissen. Meine Mutter ist nicht gut darin Geheimnisse zu bewahren. Sie will immer und ständig über alles reden. Sie weiß es nicht und dann besteht mir noch immer ein Outing bevor. Der Schmerz in meine Brust nimmt weiter zu. „Woher?", kommt es wenig inhaltlich von mir, nachdem ich mich wieder gefangen habe „Ich habe versehentlich einen Brief von Raphael an dich geöffnet. Ich habe es zunächst nicht richtig verstanden und war ehrlich schockiert." Meine Finger werden mit jedem seiner Worte klammer. Ich lasse das Tischbein los, reibe meine Hände nervös gegeneinander, dann an der Hose und danach über meine nackten Unterarme. Meine Fingerspitzen sind eiskalt. Er hat die Briefe genommen. Ich kann es nicht fassen. In meinem Kopf ist es Maya gewesen, die Raphaels Handschrift erkannt und die Briefe abgefangen hat. Nicht mein Vater. Er hat es die ganze Zeit gewusst. Selbst zu dem Zeitpunkt, als ich noch zu Hause gewohnt habe, war es ihm bereits bekannt. Die Fassungslosigkeit packt mich mit jeder Sekunde mehr. „Ich war mir nicht sicher, wie ich damit umgehen soll, aber irgendwann habe ich nur noch darauf gewartet, dass du ehrlich bist", setzt mein Vater ehrlich fort. Ich stehe ruckartig auf. „Du hast die Briefe? Wie konntest du...", breche ich mitten im Vorwurf ab, weil Raphael nach meiner Hand greift. Er zwingt mich damit, mich wieder hinzusetzen. „Briefe? Mark, ich habe nur diesen einen versehentlich geöffnet. Ja, es tut mir sehr leid, aber ich wusste selbst nicht, wie ich am besten mit der Situation umgehen soll. Es ist ja nicht nur die Tatsache, dass ich plötzlich mit deiner Homosexualität konfrontiert wurde, sondern auch..." Sein Finger wandert zwischen mir und Raphael hin und her. Raphael lässt meinen Arm wieder los. Mein Vater legt seine Brille zur Seite und fährt sich einmal mit der Hand über das komplette Gesicht. "Mark, er ist der Freund deiner Schwester. Raphael... Was denkt ihr euch eigentlich?" Gut, dass er es noch mal sagt, ich hätte es fast vergessen. Der Freund meiner Schwester. Die Titelmelodie meine ganz eigenen Dramödie. Ich kann es nicht mehr hören. „Maya hat…", setze ich an, doch mein Vater unterbricht mich schnell. Seine Hand signalisiert einem eindeutigen Stopp. „Nein, ich will nicht hören, was Maya deiner Meinung nach getan hat. Ich will auch nicht von dir hören, dass sie angefangen. Du...Nein, ihr beide seid alt genug, um anders mit solchen Dingen umzugehen." „Und Maya nicht oder was? Warum soll ich eigentlich immer einstecken, nur weil sie die Jüngere ist?", pampe ich zurück. Wenig erwachsen, aber ich bin es so leid. „Mark, ausgerechnet er! Dostatochno!", wiederholt er, deutet dabei auf den Mann, denn ich seit 5 Jahren begehre und weiß gar nicht, wovon er spricht. Genug, schallt es in meinem Kopf. Die Tatsache, dass er zum Schluss ins Russische verfällt, zeigt mir deutlich, wie ernst es ihm ist. Dennoch müsste eigentlich ich das 'Ausgerechnet er' ansprechen. Mein Vater spricht selten in die Sprache seiner Kindheit und das verletzt mich. Er weiß nicht, was alles dahintersteckt. Er kann nicht ahnen, wie lange ich mich schon hin und hergerissen fühle, wie schwierig und nervenaufreibend die letzten Monate gewesen sind. Nicht nur für mich. Für uns alle. Doch anscheinend sieht er nur das Eine. Raphael ist bei mir, also muss ich ihn meiner armen kleinen Schwester abspenstig gemacht haben. Prima! Sdorowo! Zum Kotzen. Auch, wenn es grob gesagt wirklich so ist. Diesmal ist es Raphael, der die Stimme erhebt. „War!" „Wie bitte?", kommt fragend von meinem Vater. „Ich war ihr Freund. Ich habe mich kurz nach meiner Rückkehr aus den USA von ihr getrennt, aber Maya wollte es nicht verstehen. Aber vor allem akzeptiert sie nicht, dass Mark nicht der Grund dafür ist. Ich weiß, dass es wahrscheinlich seltsam aussieht, aber es ist einzig eine Sache zwischen Maya, Mark und mir." „Raphael, ich bitte dich! Du kannst nicht nach Belieben zwischen meinen Kindern hin und her tanzen und denken, dass ich das einfach so billige. Das erlaube ich einfach nicht!" Die mit Nachdruck gesprochenen Worte meines Vaters lassen mich schlucken. Er weiß, womöglich durch den Brief, wie lange dieses Hin und Her zwischen uns bereits schwelt. „Papa, Raphael trifft keine ...", setze ich an, doch Raphael greift erneut meine Hand, verschränkt unsere Finger sanft miteinander. Diesmal deutlich auf dem Tisch. Die Augen meines Vaters haften sich auf diese Geste. „Doch, Mark, das tut es und mir ist sehr wohl bewusst, dass ich damit Kummer und Ärger in eure Familie bringe, aber ich finde nicht, dass wir uns rechtfertigen müssen. Zumal, das Ganze hier zu einer einseitigen Beschuldigung wird." Raphaels Worte beeindrucken mich, aber im gleichen Maß fördern sie mein Unwohlsein. „Hör bitte auf. Papa, Raphael hat Recht, auch wenn du es nicht hören willst. Maya trägt ihren Teil dazu bei und das müssen wir unter uns klären. Ich habe nicht gewollt, dass es so eskaliert, aber es lässt sich nicht mehr ändern." Ein Appell und eine Bitte. Mein Vater blickt weiterhin auf unsere ineinander verschränkten Hände. „Eure Beziehung, ihr meint es ernst?" Mein Vater schaut auf. Sieht zuerst zu mir und dann zu Raphael. „Ja", antworte ich leise, aber bestimmt, sehe zu ihm, während Raphael meine Hand drückt. „Ich werde so lange an Marks Seite bleiben, wie er es möchte.", sagt der Mann an meiner Seite. Seine grünen Augen drücken eine Ernsthaftigkeit aus, die mich voller Hoffnung erschaudern lässt. Die Brille schiebt sich zurück auf die Nase meines älteren Ebenbilds. Dann blickt er auf. Nur zu dem Mann, der mir seit 5 Jahren schlaflose Nächte bereitet. „Ich kann es nicht gutheißen, wie es passiert ist", kommt es dann von meinem Vater. Er schiebt die halbleere Tasse mit Kaffee von sich und steht sich auf. „Das verstehe ich", antwortet Raphael. Zwischen den Beiden scheint damit alles geklärt, aber für mich hat sich nur ein weiterer Abgrund geöffnet. Im Grunde nimmt er es nur hin, dass Raphael an meiner Seite ist. Obwohl das eine, der im Schatten schwelenden Möglichkeiten gewesen ist, trifft sie mich hart. In den Augen meiner Eltern wird Raphael immer der sein, der zuvor mit ihrer Tochter liiert gewesen ist. Ein höhnisches Lachen in meinem Kopf als mir der neuste dramödientaugliche Eklat deutlich wird. Ein weiteres dunkles Kapitel unserer Familiengeschichte. Wie erklärt man den entfernten Verwandten, dass der Freund der Tochter nun der Partner des Sohnes ist? Mein Vater nickt hinnehmend und verlässt die Küche. Ich folge ihm in den Flur. „Und Mama...weiß sie...es?", frage ich aufgeregt und atme erst wieder ein, als mein Vater verneint. „Nein." Erleichterung, der fast sofort schwere Ernüchterung folgt. Ich fühle mich wieder, wie der kleine Junge, der genau weiß, dass er etwas falsch gemacht hat und trotzdem nicht den Mut hat es zugestehen, obwohl das vernünftiger und im Endeffekt und glimpflicher wäre. „Ich denke, es wäre das Beste, wenn du es ihr selbst sagst." Ich spüre, wie er mich ansieht und ich weiß, was er mit diesem intensiven Blick bezwecken will. Ein baldiges Geständnis. Doch nur der Gedanke daran lässt das Blut in meinen Adern gefrieren. Diese andauernde Mutlosigkeit irritiert und verärgert mich ungemein, aber ich schaffe es einfach nicht, gegen dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust vorzugehen. Bevor er die Wohnung verlässt, dreht er sich noch einmal um. „Du hast die Briefe nicht bekommen?", fragt er und ich sehe, wie sich seine Stirn kräuselt, als ich es verneine. Alles spricht dafür, dass Maya sie hat. Mein Vater nickt, so als würde er auch plötzlich verstehen, was passiert sein muss. „Es hätte alles definitiv besser laufen können...", sagt mein Vater. Der stille Vorwurf trifft mich hart, auch wenn er ihn nicht nur gegen mich richtet. Er tätschelt mir im nächsten Moment den Kopf, aber das mindert die Schwere nicht. „Lasst uns heute Abend noch mal in Ruhe miteinander reden. Auch mit deiner Mutter. Ich werde ihr sagen, dass ihr es erst zum Abendbrot schafft." Noch während er spricht öffnet er die Wohnungstür. Im Hausflur brennt Licht. Der Geruch von Zigaretten hängt in der Luft. „Wir essen zu sieben Uhr." Damit schließt er die Tür und lässt mich und Raphael im Flur zurück. Erst jetzt atme ich richtig aus und spüre nur noch ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Raphael kommt auf mich zu und ich sehe auf. „Es tut mir leid. Alles. Das ganze Chaos und... und...", flüstere ich und breche ab, weil ich gar nicht auszudrücken vermag, wie leid es mir tut. Durch meine Feigheit ist Raphael zum Bösewicht geworden. Das habe ich nicht gewollt. Raphael Hände legen sich an meine Hüfte und er zieht mich in seine Arme, während sich seine Lippen gegen meine Schläfe drücken. Er gibt mir nicht die Schuld, das weiß ich. Dennoch fühle ich mich so. Ein weiterer sanfter Kuss und ich schließe meine Augen. Ich sehe, wie er in der Küche verschwindet und höre dann das Klirren und Klappern von Geschirr. Ich lasse mich kraftlos auf die Couch fallen und starre an die Decke. Mein Vater hat einen der Briefe gelesen. Auch, wenn ich nicht weiß, was Raphael darin geschrieben hat, kann ich mir lebhaft vorstellen, wie verwirrt für meinen Vater gewesen sein muss. Ich bin sofort peinlich berührt. Wie muss es erst für Raphael sein? Ich lasse mich seitlich auf die Couch fallen, bette meinen Kopf in die Hand und lehne mich gegen die Rückenlehne. Ich ziehe die Beine hoch und bleibe halb zusammengerollt sitzen. Raphael lässt sich neben mir nieder. Ich spüre, wie das Kissen unter meinem Hintern nachgibt. Raphaels Duft, der langsam den Raum erfüllt. Ich schließe meine Augen. Ich merke, wie sich Raphael sachte an mich heranlehnt. Ein sanftes Stupsen seiner Schulter in meinem Rücken. Mein Kinn drückt sich stärker in meine Handfläche. Kribbelnder Schmerz, der meine Hand durchzieht. Ich ignoriere ihn. Ich bin mit meinen Gedanken immer noch bei den Briefen und meinem Vater. Dass er ihn überhaupt öffnen würde. Ein Versehen, wiederholt sich in meinem Kopf. Ich seufze schwer. Ein verdammtes Versehen. „Sieh mich mal an...", bittet Raphael, streicht mit dem Zeigefinger sachte meine Wange entlang, doch ich rühre mich nicht. „Mark...", flüstert er. Mein Name ist so gesprochen, dass er mir jedes Mal aufs Neue Gänsehaut verursacht. Sein Arm bleibt auf meiner Schulter liegen und ich sehe, wie seine Finger sanft hin und her wippen. Ich seufze fahrig. „Nein, ich sehe gerade furchtbar dämlich aus...", brumme ich in meine bandagierte Handfläche und schließe geschafft meine Augen. „So, wie du beim Volleyball immer ausgesehen hast?", witzelt er mir entgegen und schafft es, dass ich ihn nun doch verärgert anschaue. Schnell wende ich mich wieder ab, bleibe aber mehr zu ihm geneigt sitzen. Ich seufze ermattet und streiche mir fahrig über die Lippen. Ich fühle mich schrecklich ausgelaugt und zu gleich merke ich, wie mit jedem Gedanken an das bevorstehende Treffen mit meiner Mutter, mein Herz heftiger schlägt. Ich habe das Gefühl um etliche Jahre gealtert zu sein und das nur in den letzten paar Monaten. Kein guter Schnitt für mein biologisches Alter. Ich zupfe mir ein imaginäres graues Haar aus dem vorderen Haarbereich und seufze schwer. Raphaels streckt ein weiteres Mal seine Hand nach mir aus. Sein Daumen streicht sanft über meinen Kiefer, über mein Kinn und tippt gegen meine Lippen. Seine Hand verweilt dort, zieht mich in eine ihn zu sich sehende Position. Raphaels lächelndes Gesicht, seine zärtliche Berührung und das herrlich warme Gefühl, welches er in mir auslöst, wischen für einen Moment alles Negative davon. Sanftes Kribbeln erfasst mich, lässt meine Haut pulsieren und wärmt mich von innen. Ich schließe meine Augen und versuche mir diese wunderbaren Empfindungen zu erhalten, doch das ganze Drumherum holt mich zu schnell wieder ein. Ein Seufzen entflieht meinen Lippen und Raphaels Hand gleitet tiefer. Sein Daumen ruht über der Vene meines Halses. Ich spüre deutlich, wie sie gegen seine Haut pulsiert und sich der heftige Rhythmus auf seinen Körper überträgt. Er beugt sich vor und legt seine Lippen sanft auf meine. Ich genieße das erfüllende Gefühl. Den sanften und doch so intensiven Rausch, den diese wunderbare Berührung in mir auslöst. Ein leichtes Schnurren entrinnt meiner Kehle und Raphael löst schmunzelnd den Kuss. „Ich werde fahren...aber allein...", flüstere ich, klinge dabei gefasster, als ich es wirklich bin. Raphaels beruhigendes Streicheln stoppt. „Bist du sicher?", fragt er mich und ich nicke. Vorsichtig. Im Grunde bekomme ich nur ein angedeutetes Kopfwippen zustande. Ich bin mir ganz und gar nicht sicher. Ich bin mir, aber darüber im Klaren, dass mir Raphael nicht helfen kann und ich ihm diesem Drama nicht aussetzen will. Es ist der Geruch von frischgebackenem Brot, der mir entgegen strömt, als ich mein Elternhaus betrete. Das Auto meines Vaters stand nicht in der Einfahrt, also wird er noch unterwegs sein. Ich lege leise meinen Schlüssel auf die Kommode im Flur, ziehe den Geruch der frischen Teigware in mich ein. In meinem Mund bildet sich der Geschmack des saftigen Teiges. Das Aroma süßer Hefe, welche durch Wärme und Zucker diese einmalige Lockerheit zaubert. Ein Hauch Olivenöl. Feinherb und aromatisch. Das fein saure und würzige Bukett von Sauerteig. Brot ist etwas Herrliches. Ich lege meine Jacke über das Treppengeländer, wische mir symbolisch den Speichel von den Lippen und schleiche in die Küche. Ein vertrautes Bild bietet sich mir. Meine Mutter samt Schürze und Pantoffeln steht an der Spüle. Ihre schlanken Hände sind tief in warmem Wasser versunken. Unwillkürlich bildet sich ein leichter Schmerz in meiner noch immer malträtierten Handfläche. Ich vermeide einen Blick unter den Verband, weil mir nicht gefällt, was ich dort sehe. Mein Gefühl sagt mir, dass sich die Wunde leicht entzündet hat, aber mein Kopf schimpft es eine Einbildung. So oder so, kann ich nicht abstreiten, dass ich sehr unachtsam damit umgegangen bin. Zu selten habe ich den Verband gewechselt und wahrscheinlich hätte ich die Wunde auch öfter desinfizieren sollen. Es geschieht mir also ganz recht. Vielleicht sollte ich bei dieser Gelegenheit nach meinem Impfpass fragen. Das Wort Tetanus geistert seit einiger Zeit durch meinen Kopf, gefolgt von Blutvergiftung. Ein gutes Wort für das Galgenmännchen-Spiel. Obwohl Polymerasekettenreaktion noch immer der unschlagbare Sieger ist. Natürlich hat mich die Neubiologin Shari damit fertiggemacht. Sie ist knallhart, was solche Spiele angeht und ein ganz schlechter Verlierer. Ich taste nach meinem Handy, weil mir einfällt, dass ich ihr noch immer nicht geantwortet habe. Sanftes Licht dringt aus der Ofentür. Es taucht die langen, offenen Haare meiner Mutter in einen feinen Honigton. Fast, wie Gold. Wunderschön. Das Brot steht kurz vor der Vollendung. Ich rege mich erst, als meine Mutter aufschaut und ihr dabei mein Name von den Lippen perlt. Fast sofort lässt sie den gespülten Teller zurück in das Becken gleitet und angelt nach einem Handtuch. „Hey Mama", begrüße ich sie und klinge dabei seltsam bedrückt. Sie scheint es nicht zu bemerken oder sie überspielt es. Denn sie streckt wie gewohnt ihre Hände nach mir aus und nimmt mich in den Arm. Mein Herz wird schwer. Angst und Mutlosigkeit erfüllen mich, scheinen sich wie tonnenschwere Steine durch meine Adern zu arbeiten und ziehen mich fast zu Boden. Ich sauge das warme Gefühl ihrer Umarmung in mich auf und ich wünschte ich hätte eine Vorratsspeicherungsfunktion. Ihre Hände tasten sich über meinen Rücken. Eine stille und wiederkehrende Geste, um zu überprüfen, wie es um mein körperliches Befinden steht. Wahrscheinlich unterliegt sie noch immer der Vorstellung, ich würde elendig verhungern, wenn sie nicht ab und an ein Stück Speck nach mir wirft. Diesmal verkneift sie sich ein Kommentar und ich bin ihr dankbar. Sie drückt mir einen Kuss gegen die Schläfe und reckt dann ihren Hals. „Kommt Raphael mit Maya her?" „Nein...Er kommt nicht..." Ein Hauch Enttäuschung flackert auf. Sie mag ihn wirklich. Sie mag ihn als Freund ihrer Tochter. Wird sie ihn auch noch als Freund ihres Sohnes mögen? Der Gedanke ernüchtert mich. Was, wenn sie genauso reagiert, wie Papa? „Oh, wie schade. Ich habe ihn fest für das Abendbrot mit eingeplant. Nun gut, dann nimmst auf jeden Fall etwas mit. Ich hatte große Lust zu backen, aber da ihr es nicht zum Kaffee geschafft habt, habe ich nun Brot gebacken. Das Sauerteigbrot, was du so magst und ein Ciabatta für deine Schwester." Ihr Enthusiasmus lässt mich schmunzeln. „Es riecht schon fantastisch", gebe ich lobend von mir und lächele. Meine Mutter streicht mir eine verirrte Haarsträhne von der Stirn und sieht mich dann forschend an. Intensiv. Lesend. Das hat sie auch früher gern getan, weil ich selten sofort mit der Sprache herausrücke. Wie bereits erwähnt, waren derlei Gespräche noch nie meine Stärke. Nicht einmal, wenn es nur darum ging, dass ich Kaugummi gekaut habe, obwohl ich es nicht durfte. Bevor ich etwas antworten muss, höre ich den Schlüssel in der Tür und Mayas sonore Stimme. Lachend. Amüsiert. Der letzte Rest guter Stimmung verschwindet gen Jordan. Ich wende mich von meiner Mutter ab und lehne mich gegen die Arbeitsplatte. Unbewusst verschränke ich die Arme vor der Brust als Maya noch immer lachend die Küche betritt. Sie widmet mir nur einen kurzen Blick, schnuppert und macht einen Laut des Wohlgefallens als sie das Brot im Ofen entdeckt. „Hier riecht es wunderbar! Und Mama, du siehst fantastisch aus. Hast du etwas mit deinen Haaren gemacht?", trällert sie fröhlich in den Raum. „Vielen Dank, aber nein. Haben du und Nina noch schön gefeiert?", fragt meine Mutter mit geschmeichelter Röte auf ihren Wangen. Sie wandert über den Nasenrücken bis zur Spitze. Maya geht an mir vorbei, drückt unserer Mutter einen Kuss auf die Wange. „Ausgiebig." Die blauen Augen meiner Schwester wandern direkt zu mir. Ihren Blick kann ich nicht deuten, also ich ignoriere ich ihn. „Ach, welch Seltenheit. Beide Kinder allein und gemeinsam im Haus." Sie lächelt dieses mütterliche Lächeln, welches deutlich zeigt, wie oft sie an die früheren Zeiten denkt. Wie sie uns im Arm hielt, tröstete, wenn wir weinten und wie oft sie uns daran erinnern musste, unsere Zimmer aufzuräumen. Oft vergeblich. „Kinder werden nun mal erwachsen und werden flügge, mein Schatz, wenn auch manchmal in Etappen und mit Fehlentscheidungen." Der Glückskeksspruch des Tages. Ich sehe zu meinem Vater, der, während er an mir vorüber geht, seine Hand über meinen Kopf streichen lässt und dann seiner Frau einen Kuss gibt. Maya kichert als würde sie seinen Kommentar verstehen, aber ich bezweifele es. „Und wie heißt es so schön? Aus Fehlern lernt man? Nun gut, das Essen ist in ein paar Minuten fertig, also wascht euch die Hände", gibt meine Mutter zum Besten und ich fühle mich prompt wieder, wie ein Kind. „Ja, aber auch nicht alle", kichert Maya überheblich. „Musst du ja wissen, schließlich bist du da vom Fach", kommentiere ich und stoße mich von der Arbeitsplatte ab, um dem Wunsch meiner Mutter nach zu kommen. Maya folgt mir. „Und, hast du meinen Geburtstag noch schön gefeiert?" Ihre Stimme ein einziges, zynisches Quietschen. Ich hätte gern die Fähigkeit sie einfach auszublenden. Sie folgt mir bis in das kleine Badezimmer. Im Türrahmen gelehnt, bleibt sie stehen, während ich mir die Hände einseife. Ihr Abbild beobachtet mich im Spiegel. In ihrem perfekt geschminkten Gesicht zeichnet sich die Oberflächlichkeit in Form eines höhnischen Grinsens der Arroganz. Ich antworte nicht, weil ich nicht vor dem Essen schon schmutzige Wäsche waschen will. „Wie ich gehört habe, warst du vorgestern so derbe betrunken, dass man dich nach Hause bringen musste. Mein, sonst so beherrschter Bruder. Völlig besinnungslos. Ich hätte es gerne gesehen..." Ihre Mundwinkel zucken nach oben. „Bist du fertig?", frage ich lieblos, spüle mir die Hände mit kaltem Wasser und wende meinen Blick ab. Maya kichert siegessicher. „Du hast es geglaubt, oder? Ich und Raphael. Du hast es gehört und dann hast du gezweifelt. Deshalb bist du so abgestürzt, nicht wahr?" Ihre helle Stimme schneidet sich in meinen Körper mit messerscharfen Klingen. „Wenn du glaubst, dass ich mich von dir beeinflussen lasse, dann sind dir die Acetondämpfe deines Nagellackentferners zu sehr in den Kopf gestiegen." Ich versuche weiterhin ungerührt zu klingen, weil ich ihr auf keinen Fall zeigen will, dass mich ihr perfides Verhalten wirklich verletzt. Ich schließe den Wasserhahn und greife nach einem der weichen Frottierhandtücher, die wunderbar aussehen, aber im Grunde keinen Tropfen Wasser einsaugen. Mit noch immer feuchten Fingern wende ich mich zum Gehen. Maya steht ungerührt im Türrahmen und versperrt mir den Weg. Ihre überhebliche Art macht mich so wütend. „Ist er deshalb nicht hier?", fragt sie grinsend. Mit der Faust schlage ich kurz über ihrem Kopf gegen den Türrahmen. Das erschrockene Zucken ist eine geringe Genugtuung. Ihre blauen Augen weiten sich. Ich kann dabei zusehen, wie sich ihr Atem beschleunigt, wie die feine Ader an ihrem Hals deutlicher hervortritt. Sie verspürt Angst und weicht vor mir zurück. An der Treppe zum Obergeschoss hole ich sie ein. „Bist du noch ganz bei Trost, Maya? Ist das alles nur ein Spiel für dich?" Ich halte sie zurück, aber so fest, dass sie mit ihren schuhlosen Füßen zwei Stufen nach unten rutscht. Ihre Finger krallen sich in das Treppengeländer. Es hat bestimmt wehgetan, aber das ist mir in diesem Moment völlig egal. „Bist du dir eigentlich darüber im Klaren, was deine beschränkten Aktionen anrichten?" Ich bin mir sicher, dass sie nie weiter als bis zu dem Moment gedacht hat, in dem sie mir schadet. Oder Raphael. Sie versteht nicht, was alles daran hängt. Unser Familienfrieden. Unsere Beziehungen zueinander. Unser gegenseitiges Vertrauen. „Verdammt, Maya, was versprichst du dir hiervon? Ich bin nicht der alleinige Grund für eure Trennung. Es hat schon vorher nicht gestimmt...und das weißt du.", zische ich leise. „Doch, du bist schuld. Du hast ihn ...infiziert... mit dieser widerlichen Verirrung. Und dann sahen wir dich mit diesem Kerl und Raphael flehte mich fast an, es nicht zu verraten. Dabei hatte ich es so gern ausgeplaudert und dich als perfekten Sohn diskreditiert. Ich dachte er wurde zur Besinnung kommen. Immerhin hatte er sich für mich entschieden... Pff. So lächerlich." Während sie spricht, steigt sie die zwei Stufen wieder hoch, so dass sie von oben auf mich herabblicken kann. Ihre Wortesorgen bei mir für Fassungslosigkeit, die sich in mir ausbreitet, wie eine tosende Welle, die mit voller Kraft gegen meine Selbstbeherrschung kracht. „Maya. Mark, kommt ihr dann bitte essen." Nur kurz steckt unsere Mutter ihren Kopf durch die Tür zum Flur. Ihre langen blonden Haare fallen dabei über ihre Schultern. Maya schaut zu ihr, lächelt und schiebt sich an mir vorbei. „Weißt du, das Einzige, womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass Raphael so viel Mut hat. Er hat es seinen Eltern gesagt... Einfach so", flüstert sie. Sie hat seine Eltern nur dazu geladen, damit eine weitere unangenehme Situation entsteht. Anscheinend hat sie gehofft, damit Raphaels Entscheidungskraft zu brechen, aber das hat nicht funktioniert. „Hat er dir je etwas bedeutet?", frage ich, packe sie am Arm und halte sie zurück. Das erste Mal erkenne ich ein verunsichertes Flackern in ihrer überheblichen Mimik. Ein Zögern. Sie löst ihren Arm aus meinem Griff, während ihre Augen auffällig nach unten gehen. Sie weicht mir aus. „Mark, Maya..." Die Stimme meines Vaters. Maya folgt der Aufforderung sofort. Ich nicht. „Mark, komm..." Ich höre es nur noch dumpf und lausche eine Weile meinem brausenden Herzschlag bevor ich ihnen ins Esszimmer folge. Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich schweige, während Maya ihre lächerlichen Schulmädchenanekdoten über ihre total überraschende Geburtstagsfeier bei ihrer Freundin zum Besten gibt. Mega. Großartig. Hammer. Fabulös. Ob sie das wirklich schreiben kann? Deluxe. Aha. Phat. Was? Ich bin ehrlich erstaunt über die Vielfältigkeit ihrer sinnlosen Gut- Beschreibungen. Wahrscheinlich steht sie oft vor dem Spiegel und wirft sich diese grandiosen Wortartouvertüren selbst zu. Ich kann nicht verhindern, dass ab und an eine meiner Augenbrauen nach oben zuckt. Mein Vater nickt hin und wieder, ist wahrscheinlich froh darüber, dass seine Frau die inhaltliche Fragerei übernimmt. Ich kann nicht einmal einschätzen, wie viel von ihrem Gesagten wirklich der Wahrheit entspricht. Tanzen und spaßige Gespräche unter Frauen? Aha. Gutes Essen und witzige Showeinlagen? Interessant, seit wann isst Maya? Als sie dann aber beginnt über den nachhaltigen und verantwortungsbewussten Alkoholkonsum auf ihrer Party zu sprechen, reicht es mir. „Reichst du mir, bitte das Brot?", quatsche ich dazwischen und muss mich noch immer extrem zusammenreißen. Meine Schwester bedenkt mich mit einem undefinierbaren Blick, greift, ohne ihre Augen von mir zu entfernen zum Brotkorb. Sie zuckt zurück, kurz bevor sie mir die Teigwaren wirklich aushändigt. Ich möchte sie erwürgen. So etwas Kindisches. Ich schmiere etwas Butter auf das frische Sauerteigbrot. Ein Biss. Normalerweise könnte ich ein halbes Brot allein vertilgen. Die saftige und zu gleich fluffige Konsistenz des Teiges verströmt einen atemberaubenden Geruch, denn nur ein Frischgebackenes hat. Doch heute kaue ich elendig lange darauf rum. Alles in meinem Mund wird überdeckt von diesem faden Geschmack der Fassungslosigkeit. Mir ist der Appetit schon vor Beginn des Abendbrots abhandengekommen, doch nun schlägt mir jeder Happen mehr und mehr auf den Magen. „Das Brot ist vorzüglich, Mama", schmeichelt Maya großmütig und ich unterdrücke meinen Würgereiz. „Es fühlt sich so wunderbar luftig und leicht an", schwärmt sie weiter und ich bete drum, dass sie alsbald in ihrer glitschigen Schleimspur ersäuft. „Du musst es ja wissen, Schwester. In deinem Kopf sieht es ja nicht anders aus", kommentiere ich mit übertrieben fröhlicher Stimme ihre platten Schleimereien. Mayas blaue Augen blicken mir sofort verwirrt entgegen. Meine Schwester war noch nie die Schnellste. Die Augen meiner Mutter bedenken mich mit einem Hauch Warnung. Mein Vater ist erstaunlich ungerührt. „Ich finde, wir sollten Mama für ihre tollen Kochkünste öfter loben. Das machen wir viel zu wenig. Mama, du kochst mega." Sie lächelt der Angesprochenen entgegen. So ein Miststück. „Gut, Mama, ich finde auch, dass du in ausreichenden Mengen kochst", kommentiere ich diese wahnwitzige Tollbeschreibung meiner Schwester mit der eigentlichen Wortbedeutung und bringe meine Mutter zum Kichern. Maya blickt uns verwirrt entgegen. Wieder dauert es einen Moment bis sie es versteht, wenn überhaupt. „Das sagt man, heute so. Vielleicht solltest du öfter mal vor die Tür gehen." Maya greift sich ein neues Stück Brot. „Damit ich auch sagen kann das Mamas Essen phat ist? Nein, danke und ich glaube, dass sie das auch nicht als Kompliment ansieht." „Phat bedeutet toll!" „Vielleicht solltest du dir angewöhnen zu hinterfragen. Phat ist ursprünglich die Abkürzung für 'pretty hot and tempting' und bezeichnet attraktive Frauen. Was so oder so nicht auf Essen und auch nicht auf dich zu trifft." Dass das Wort tatsächlich auch im Zusammenhang mit Speisen verwendet werden kann, sage ich ihr nicht, weil sie es sowieso nicht gewusst hat. Maya schweigt „Was soll man da noch sagen? Dumm wie Stulle und frisst trotzdem Brot", komplettiere ich meine Ansicht von Mayas geistigen Zustand und kaue auf einem weiteren Bissen besagter Teigware rum. „Mark!" Beide Erzeuger gleichzeitig. Synchronisation in Reinform. Wahrscheinlich haben meine Eltern unsere Namen absichtlich so kurzgehalten, weil man sie dadurch so perfekt mahnend auswerfen kann. Sie können es nach 20 Jahren auch meisterlich. „Was?", frage ich, spüre die immer stärker brodelnde Wut. Meine Fassungslosigkeit hatte mich vorhin gelähmt und nun spüre ich den Zorn und die Angriffslust umso mehr. „Reiß dich, bitte etwas zusammen", mahnt meine Mutter weiter. Ungerührt steckt sich Maya den letzten Happen ihres Brotes in den Mund. „Schon gut, Mama. Mark steckt momentan in einer Krise, nicht wahr, Bruderherz? Mich verwundert auch, wie du auf die Idee kommst, Attraktivität bei einer Frau erkennen zu können?" „Mich wundert, dass du das Wort aussprechen kannst", gifte ich zurück und störe mich nicht daran, wie plump es war. „Du weißt doch gar nicht, was Schönheit und Attraktivität bei einer Frau ist." Ich erinnere mich daran, dass wir so ein ähnliches Gespräch bereits bei dem Essen mit Raphaels Eltern hatten. Es langweilt mich. „Du doch auch nicht. Warum sonst kleisterst du dir jeden Tag dein Gesicht mit diesem Kram zu. Mehr Schein und Künstlichkeit geht ja gar nicht." Mein Zeigefinger umkreist aus der Entfernung ihr überzogen puppenhaftes Gesicht. Sie trägt sogar falsche Wimpern. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich meine Schwester mal ohne Make-up gesehen habe. Leider muss ich mir auch eingestehen, dass sie es im Grunde nicht nötig hat. Sie kommt nach unserer Mutter und ist wirklich hübsch. Ich weiß, dass auch sie nicht sehr glücklich mit Mayas übertriebener zur Schau gestellter Weiblichkeit ist. „Du könntest wirklich weniger geschminkt sein, mein Schatz. Das ist auch nicht gut für deine Haut", sagt meine Mutter lächelnd und ruhig. Ihre Hand streicht durch Mayas blondes Haar. „Ich mag es aber so und ich höre garantiert viel mehr Komplimente als du." Den letzten Teil widmet sie eindeutig wieder mir. Damit könnte sie Recht haben, aber ich möchte nicht wissen, mit welcher Intention sie diese Höflichkeiten bekommt. „Jeder pubertierende Möchtegern zwingt sich ein Kompliment heraus, wenn er vor Mädchen, wie dir steht. Du siehst aus als wärst du dadurch noch leichter zu haben." „Nun, ist aber gut", mischt sich mein Vater ein. „Du bist ätzend, Mark." Tadamm. Darauf habe ich nur gewartet. „Du bist falsch und hinterhältig." „Du hast meinen Freund verführt und ich bin hinterhältig?", brüllt sie mir aufgebracht entgegen. Ich zucke unwillkürlich zusammen. Diese Worte aus ihrem Mund zu hören, erschreckt mich. Ich starre sie perplex an, vernehme nur, wie meine Eltern beide ihr Besteck an den Teller lehnen. „Ach Mama, weißt du schon das Neuste? Mark vögelt meinen Freund", schmettert meine Schwester gnadenlos in den Raum. „Maya,...", entfährt es meinem Vater, denn auch er hätte ein ruhiges Gespräch dieser Katastrophe vorgezogen. Mamas schlanke Hand berührt ihren Hals, so als würde sie dadurch verhindern können, dass sich ihr weiter die Luft abschnürt. „Mama,...", setze ich an, doch sie stoppt mich, in dem sie ihre Hand hebt. „Mark und Raphael haben mich betrogen...", kommt es derweil schluchzend von Maya. „Sie haben..." Unsere Mutter steht abrupt auf, bringt Maya damit zum Schweigen und streicht ihren Rock glatt. Nur minimal sieht sie auf und blickt zu mir. Kapitel 21: Blut ist dicker, als Wasser,… aber kein besserer Kleister --------------------------------------------------------------------- Kapitel 21 Blut ist dicker, als Wasser,… aber kein besserer Kleister Auf Mayas Wange zeigt sich eine heraus gezwungene Träne und sie glänzt vor Scheinheiligkeit. Es ist eine Farce. Die Träne stoppt an ihrem Wangenknochen, während sich ihre Lippen für einen Moment verräterisch aufeinanderpressen. Mein Vater blickt zwischen mir und meiner Schwester hin und her und nimmt dann die Brille ab. Ein Seufzen. So laut und so schwer, dass es fast den Sauerstoff verdrängt. Erneut vollführt er diese verräterische Geste der Nervosität, doch diesmal kommt auch das leichte Zwicken an seiner Nasenwurzel dazu. Kein gutes Zeichen. Auch er verliert langsam die Geduld. Ich kann es verstehen. Ich sehe, wie meine Mutter das Besteck auf ihrem Teller hin und her schiebt. Sie platziert es fein säuberlich in der 20 nach 8-Stellung. Sie braucht eine Pause. Der stille Versuch Ordnung ins Chaos zu bringen. Mein Onkel Tom hat mir vor Jahren die wichtigsten gastronomischen Etiketten beigebracht. Er leitete jahrelang ein gutgehendes Restaurant und machte aus mir einen geheimen Meister im Tischdecken, was allzu gern von meiner Mutter genutzt wird. Nun sehe ich auf ihre schlanken Finger, die leicht zittern. Der Blick meiner Mutter wandert zu ihrem Mann. Sie scheint genau zu erlesen, dass er mit dieser Situation vertrauter ist als sie. Sie überlässt ihm die ersten Worte. „Ihr zwei seid unfassbar. Was bitte geht in euren Köpfen vor?", entfährt es meinem Vater, nachdem er seiner Frau einen entschuldigenden, aber wenig erklärenden Blick zugeworfen hat. Auch zwischen den beiden wird es zu weitreichenden Diskussionen kommen, dessen bin ich mir sicher. Und das ist das Letzte, was ich je wollte. Mein Vater schließt seine Augen, streicht sich mit den Fingern über den Nasenrücken und es entflieht ihm ein schweres, ermattetes Raunen. „Maya, dein Verhalten ist unter aller Sau und deine ständigen Provokationen, Mark, sind im höchsten Maß unangebracht..." Er hat seine Brille vor sich auf den Tisch gelegt und blickt uns mit wütenden Augen entgegen. „Mark hat mir hinterrücks den Freund ausgespannt", platzt es aus ihr heraus. Ich schlucke schwer. Diese Worte klingen tatsächlich schrecklich, aber entfachen meine Wut. „Weil du, nur mit Raphael zusammengekommen bist, weil du wusstest, dass ich ihn mag", belle ich zurück. „Entschuldigt mich...", sagt meine Mutter leise. Sie rückt ihr Besteck auf dem Teller zu Recht. Fein säuberlich auf 20 nach 4. Sie ist fertig. Ein kurzes Zögern, doch dann verlässt sie den Raum. Wir anderen Drei bleiben mit gemischten Gefühlen zurück. Bei mir ist es vor allem der Schmerz und er nimmt stetig zu. Maya scheint noch immer nicht zu begreifen, was sie anrichtet. „Warum seid ihr auf mich sauer? Mark belügt und täuscht euch schon seit Jahren", zickt Maya los und deutet mit ihrem manikürter Finger auf mich. Die quietschpinkfarbene Lackierung lässt massig Klischees in meinem Kopf aufploppen. Barbie gegen Goliath. Mister Fantastic gegen Lillifee. Hulk gegen Schlumpfine. Das wären die Comicbattle schlechthin. „Und du kannst natürlich kein Wässerchen trüben", kommentiere ich diese Lächerlichkeit. Sie macht mich so wütend. Mayas Lippen kräuseln sich, als sie ihren Mund zu einem seltsamen Gebilde verzieht. „Seiner eigenen Schwester den Freund klauen... Blut sollte dicker sein, als..." „Als, was... Maya? Du spielst hier die Unschuldige und bist nichts weiter, als eine intrigante Furie. Du hast ihn dir absichtlich ausgesucht, um mir eins auszuwischen", unterbreche ich sie aufgebracht, merke erst jetzt, dass ich aufgestanden bin und meine Hände zu Fäusten balle. Dieses miese Stück. Sie zog seit Wochen ihre Spielchen durch, ergötzte sich an meinem Leid und keine Lüge war ihr zu dreckig. Wie kann sie es wagen, sich jetzt auf den Zusammenhalt einer Familie zu beziehen? „Es reicht!" Mit einem heftigen Knall schlägt die flache Hand meines Vaters auf die Tischplatte. Die Erschütterung spüre ich deutlich an meinen Knöcheln, die sich gegen das harte Holz drücken. Leises Klirren der Gläser ist zu hören und auch das Besteck ergibt sich den Vibrationen. Ein Brotkrümel hüpft von meinem Tellerrand und kommt neben meiner geballten Hand zum Liegen. Ansonsten herrscht augenblicklich Stille. Ich spüre, wie mein Puls nach oben klettert. Unaufhörlich. Laut. „Mark, setzen", bellt er. Ich gehorche. „Was denkt ihr euch eigentlich? Ihr seid zwei erwachsene Menschen. Habt ihr eigentlich in den letzten Monaten irgendwann mal über eure Aktionen nachgedacht?", schmettert er uns entgegen. Ich habe im Grunde nichts anderes getan, als darüber nachzudenken. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Ich schweige. Maya ist nicht so schlau. „Aber Mark hat...", setzt sie an und unser Vater würgt sie sofort ab. „Maya, spar dir das. Ich will nicht wissen, was Mark möglicherweise getan hat oder wer von euch beiden, sich zuerst auf den Schlips getreten gefühlt hat. Ich will, dass ihr beide einfach mal eure Köpfe einschaltet." Ich verkneife mir einen Fingerzeig auf die überempfindliche Zicke neben mir. Maya fühlt sich jedes Mal angegriffen und das sogar dann, wenn es gar nicht direkt um ihre Person geht. Für mich ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass ihr gigantisches Ego, doch nicht so gefestigt ist, wie sie es allen vormachen will. Mayas Lippen formen sich zu einem unverstandenen Gebilde und sie verschränkt genervt die Arme vor der Brust. Sie versteht den Ernst der Lage nicht. „Aber es ist und bleibt Betrug", schimpft Maya erneut. „Ich weiß", entfährt es mir zu meinem eigenen Entsetzen bitterlich. Raphael ging mit mir fremd. Ich kann es drehen und wenden bis ich schwarz werde, aber de facto haben Raphael und ich sie hintergangen. Mehrmals. Auch mein Vater greift sich seufzend an die Stirn und Maya lässt sich bestätigt zurück in den Stuhl fallen. Ich sehe in die Richtung in die eben meine Mutter verschwunden ist. Das heftige Bedürfnis ihr nach zu gehen und zu erklären, vermehrt sich mit jeder weiteren Sekunde. Also stehe ich auf. „Wo willst du hin, Mark. Wir sind noch nicht fertig". Mein Vater hält mich zurück, als ich mich Richtung Tür wende. Ich hatte heute meine Ansprache schon. Ich brauche keine Weitere. „Ich möchte mit ihr reden", erkläre ich. Der wütende Gesichtsausdruck weicht. Er nickt und fixiert dann meine Schwester. Mit ihr ist er noch nicht fertig. Ich verspüre nicht einmal den Hauch von Genugtuung. Nur unendliche Schwere. Auf der Treppe werfe ich einen Blick auf mein Handy. Drei neue Nachrichten. Shari. Sie würde gern von mir hören. Raphael. Auch er möchte, dass ich mich bald möglich melde. Jake. Als ich den Namen des Schwarzhaarigen sehe, schiebe ich das Telefon augenblicklich zurück in meine Hosentasche. Ich habe mich nicht noch mal bei ihm gemeldet und habe es auch erstmal nicht vor. Vor dem Schlafzimmer meiner Eltern bleibe ich stehen. Die Tür ist einen Spalt breit geöffnet und ich schöpfe ein wenig Hoffnung. Vielleicht wird sie mit mir reden und ich kann ihr alles erklären. Ich kann dennoch kaum atmen. Meine Fingerknöchel stoßen gegen den Türrahmen. Ein Klopfen. Es ist zu leise, um wirklich hörbar zu sein. Ich halte die Luft bewusst an. Keine Reaktion. Ich atme aus. Meine Fingerspitzen tippen gegen das kühle Holz der Tür. Nur minimal öffnet sie sich weiter, doch es reicht um zu erkennen, dass meine Mutter mit dem Rücken zu mir auf dem Bett sitzt. Auf der Schlafseite meines Vaters. Es ist nur ein feines Zucken, was durch ihren Körper geht, als sie merkt, dass ich eintrete. Sie regt sich erst richtig, nachdem ich mich neben sie auf das Bett setze und auf das gerahmte Foto in ihrer Hand blicke. Eine Momentaufnahme von Maya und mir. Wir müssen 4 und 6 Jahre alt sein. Das kleine, blonde Mädchen hängt an meinem Hals. Ein Grinsen auf unseren Lippen. Ich weiß, dass es während eines Urlaubs entstand. Wir besuchten die Großeltern von Papa in Russland. Es war das erste und letzte Mal, dass wir dort gewesen sind. Ich kann mich kaum daran erinnern. Außer an zwei Dinge. Den säuerlichen Gewürzgurkengeruch, der überall an meinen Großeltern klebte. Vor allen an ihren rauen, schmalen Händen, die mir andauernd durch die Haare strichen und dabei den Geruch auf mir verteilten. Und ich erinnere mich an Mayas bereits damals langes, blondes Haar, das mir beim Schlafen andauernd im Gesicht herum gekrabbelte. Ich schwöre, dass ich das eine Mal das Gefühl hatte ein Haarknäuel auszuwürgen. Damals teilten wir uns ein Bett und irgendwann versuchte ich, mit einer komplett stumpfen Bastelschere ihre Haare zu kürzen. Es ging schief, sorgte aber verständlicherweise für wenig Begeisterung und viel Ärger. „Ist es wahr?" Die Stimme meine Mutter ist nur ein Flüstern. Ihr Daumen streicht über unsere beiden Gesichter. Ich würde am liebsten erfragen, was genau sie meint, denn ihre Frage kann auf einiges abzielen. „Ja", sage ich knapp. Leugnen wäre sinnlos, egal, was sie auch meint. Sie stellt das Foto wieder zurück ins Regal und legt ihre schlanken Hände in den Schoss. Sie schweigt und ich spüre die stillen Schläge, die sich durch meinen Körper peitschen, wie ein mahnender Schatten. Sie soll schreien. Sie soll schimpfen. Sie soll bitte etwas sagen. „Ich habe nicht gewollt, dass du es so erfährst.", flüstere ich. Sie greift nach einer Strähne ihres offenen Haares. Sanftes Hellblond umschmeichelt die zarte Haut ihrer Hände. Meine Mutter hat schöne und sehr junge Hände, trotz ihres Alters. „Du vertraust mir und deinem Vater nicht", stellt sie leise fest, entlässt die Strähne zurück in die sanfte Welle ihres Haarschopfes. Kein Vertrauen, das wiegt wohl am Schlimmsten. Auch mein Vater hat heute Morgen ähnliches angemerkt, als er in meiner Wohnung aufgetaucht ist. Die Erschütterung in seiner Stimme, als er begriff, dass ich es aus Verunsicherung über ihre Reaktion verschwiegen habe, war vernichtend. „So ist es nicht...", beginne ich und merke selbst, wie inhaltlos es in ihren Ohren klingen muss. Sie schaut mich an und ich senke unwillkürlich meinen Blick, spreche aber weiter. „Bitte, sei nicht sauer. Ich wusste einfach nicht, wie ich es euch sagen soll." „Mark, nicht nur, dass du uns verheimlichst, dass du schwul bist, sondern du bandelst auch noch mit Raphael an?", erfragt sie vorwurfsvoll und bringt damit noch mal alles auf den Punkt. Sie klingt, als würde sie es noch immer nicht richtig verstehen. So, als ergeben diese Worte keinen wirklichen Sinn für sie. Und das, obwohl sie so klar und deutlich sind. „Es ist nicht so, wie es klingt... Ich..." Ich breche ab. Auch, wenn meine Gründe für die Fixierung auf Raphael stichhaltig sind, sind sie dennoch keine ausreichende Erklärung für viele Geschehnisse. Ich war Raphaels und Mayas Beziehung gegenüber rücksichtslos. Ohne Frage. Ich bin ein schlechter Bruder, aber Maya eine ebenso schlimme Schwester. Allerdings habe ich mich trotz der Tatsache, dass Raphael mit meiner Schwester liiert war, an ihn heran geschmissen und das ohne große Skrupel. Doch sehe ich nicht ein der alleinige Böse in ihren Augen zu sein. „Du hattest es immer etwas leichter, als deine Schwester. Du konntest dich schon immer besser durchsetzen und verteidigen. Dich hält nichts auf, aber Maya...Sie..." Ihr Blick wandert zurück zu dem Foto. Wir waren beide als Kinder sehr zierlich und relativ klein. Maya, wie auch ich. Im Grunde sind wir es auch heute noch, obwohl ich glücklicher Weise eine ordentliche Größe und einen halbwegs vernünftigen Körperbau erreicht habe. Neben Raphael wirke ich wahrscheinlich immer noch schrecklich zierlich. Mein Blick fällt auf das Foto. Im Herbst nach dieser Aufnahme kam ich in die Schule und seitdem hat sich unser geschwisterliches Verhältnis nur weiter verschlechtert. Es gab viele Diskussionen, ob ich wirklich schon eingeschult werden sollte. Seltsamer Weise erinnere ich mich noch genau an die Worte des Arztes, der mich damals untersuchte. Ich würde es durch meine Statur schwer haben, aber als ich ihm sagte, dass ich schon jemand finde, der mir den Ranzen trägt, hat er nur noch gelacht und meine Einschulung genehmigt. Wirklich keine Glanzleistung, aber bei Familienfeiern wird noch heute darüber gelacht. Im Gegensatz zu mir hatte Maya viele schulische Probleme. Eine verspätete Einschulung. Sie blieb einmal sitzen und so macht sie erst dieses Jahr ihren 10. Klasseabschluss. Maya ist nicht die Hellste, aber sie hat auch nie etwas daran ändern wollen. Sie lebt mit der Rolle des kleinen, unschuldigen Mädchens wirklich gut und sie spielt sie perfekt. Dass auch meine Mutter nach all den Jahren Farce noch immer darauf anspringt, ärgert mich zutiefst. Erneut gleiten ihre Fingerkuppen über blonde Haarspitzen. „Wieso ausgerechnet Raphael? Er ist der Freund deiner Schwester. Wo bleibt dein Anstand, Mark" Unwillkürlich seufze ich schwer bei der Betitelung. Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Sofort setze ich mir ein lebenslanges Verbot diese drei Worte in diese Kombination je wieder in den Mund zu nehmen. Ich richte mich auf und sorge zum ersten Mal dafür, dass sie aufblickt. „Mein Anstand? Mich trifft nicht die alleinige Schuld. Raphael hat sich von ihr getrennt. Und durch deine und Maya Aktionen war er gezwungen weiterhin auf heile Welt zu machen", sage ich verteidigend, „Ich werde mich nicht mehr dafür entschuldigen, dass ich Gefühle und Bedürfnisse habe. Ich war nicht derjenige, der Raphael ins Spiel brachte. Genauso wenig habe ich gewollt, dass das alles so geschieht. Ich möchte nicht mehr von dir hören, dass ich der Ältere bin und dass ich auf Maya Rücksicht nehmen muss. Das muss ich nicht und ich will es nicht. Maya hat mir wehgetan. Nicht aus Versehen, sondern ganz bewusst", gebe ich wütend von mir. „Mark,..." „Nein, Mama, lass mich ausreden. Maya ist nicht mehr das kleine, hilfsbedürftige Mädchen von früher, aber du und auch Papa seid anscheinend zu blind um, das zu sehen...", setze mich auf und gehe zur Tür. Davor bleibe ich stehen. Unbewusst greife ich an meinen Hals, spüre das schmale Silberkettchen und denke an Raphael. So lange habe ich mich danach gesehnt, ihm nahe zu sein. Seine Haut unter meinen Fingern spüren und den Geschmack seiner Lippen zu kosten, zu genießen. Auch jetzt, wo sich all diese Vorstellungen bereits erfüllt haben, spüre ich dieses wundervolle Kribbeln in meinen Gliedern, welches sich von meinem Inneren in die kleinsten Winkel meines Körpers ausbreitet. Aufgeregtes Kitzeln und unglaubliches Verlangen. Die Neugier und die Vorfreude. Sie erfassen mich nur, weil ich mir für einen kurzen Augenblick in Gedanken rufe, dass er an meiner Seite ist und dass es kein Wunsch ist, sondern Realität. Ich ziehe die Kette von meinem Hals, blicke auf das eingravierte Datum und lächele, als mir die Erinnerung den lauen Windhauch durch die Haare kitzeln lässt. Der Geruch von Laub. Der satte Rotton der 5-fingrigen Ahornblätter. Raphaels wunderschönes Grün, was sich an diesem Tag in meinen Kopf brannte und welches ich seither nicht mehr vergesse. Mein Blick haftet an dem kleinen Silberanhänger, ich wende mich zu meiner Mutter um und sehe auf. Sie kämpft mit ihren Gefühlen, denn sie schaut noch immer in die andere Richtung. Sie bettet den Arm gegen ihren Bauch, den anderen sachte darauf abstützt, spielt sie mit dem Anhänger ihrer Kette. Ihr nervöser Tick. Wir haben alle einen. Ich gehe zu ihr zurück und halte meiner Mutter die Kette. Nach kurzem Zögern streckt sie ihre Hand danach aus. Das feine Silber gleitet in ihre Handfläche und sie sieht mich verwundert an. „Was ist das?" Ein Flüstern. Die Kühle ist aus ihrer Stimme verschwunden und hat einer ermatteten Ruhe Platz gemacht. „Sie war in dem Umschlag, den du mir am Morgen von Raphaels Abreise gegeben hast." Ich weiß, dass sie sich daran erinnert. Sie wird daran denken, wie sie mir beruhigend über den Arm streichelte und ich bin mir sicher, dass sie damals ahnte, dass ich ihr etwas Wichtiges verschwieg. Ihr Blick wandert über mein Gesicht und dann zurück auf die Kette. Sie breitet sie aus, sodass sie an ihrer Hand hinabfällt und der Anhänger mit dem eingravierten Datum zu ihr gewandt liegen bleibt. „An dem Tag sind Raphael und ich uns das erste Mal begegnet", ergänze ich, ohne dass sie es erfragen muss. Lange sieht sie auf den kleinen Anhänger. Sie versteht seine Bedeutung und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Fehler geschehen sind. Das es, so wie es mein Vater meinte, besser hätte laufen können. Aber einer Sache bin ich mir nun noch sicherer. Raphael und ich gehören zusammen und der Gedanke stärkt mich. „Papa hat vorhin gesagt, dass es hätte besser laufen können und er hat Recht. Ich hätte viel früher ehrlich sein sollen, aber es hätte im Grunde nichts an der Situation geändert. Du hast mich eben gefragt, wieso ausgerechnet Raphael. Die Gefühle für ihn schleppe ich schon so lange mit mir umher, dass ich manchmal das Gefühl hatte, daran zu zerbrechen. Als Maya ihn dann mit nach Hause brachte, da sah ich mich meinem schlimmsten Albtraum gegenüberstehen." Ich schlucke den Klos in meinem Hals runter, bevor ich weitersprechen kann. „Ich habe versucht, mich für sie zu freuen. Ich habe versucht, es zu vergessen und irgendwann wollte ich es nur noch verdrängen...glaubt mir, ich habe so vieles versucht." Ich denke an Jake und an den Schmerz, den ich ihm verursacht habe, weil ich es nicht schaffte, loszulassen. Ich denke an die Schuld, die ich empfinde, weil ich recht daran getan habe, diesen winzigen Funken Hoffnung für mich zu behalten. Meine Gefühle werden erwidert. „Und dann gab er mir die! Ich hoffe, du weißt, dass es weder mein, noch Raphaels Anliegen war, euch vor den Kopf zu stoßen. Wir haben mit unseren eigenen Gefühlen zu kämpfen und wir..." Ich breche ab, suche nach den richtigen Worten. „Wir wollen einfach nur glücklich sein. Zusammen." Ich warte keine Erwiderung ab und verlasse das Schlafzimmer meiner Eltern. Ich ziehe mich für einen Moment ins Badezimmer zurück, stütze meine Arme auf den Waschbecken ab und starre auf das klinische Weiß. Dreimal atme ich tief durch und stelle dann das Wasser an. Erst kalt, dann lauwarm, heiß und am Ende noch einmal eiskalt. Mit jeder dieser Temperaturen spritze ich mir Wasser ins Gesicht. Es wird nur minimal besser. Als ich die Treppe runtergehe, kommt mir das Böseste aller Übel entgegen. Mayas blonde Mähne scheint mich schier zu blenden und entfacht das schwelende Feuer in meinem Inneren erneut. Ich stoppe sie auf dem Treppenmittelstück. Für einen Moment weiten sich erschrocken ihre blauen Augen. „Bist du jetzt glücklich? Hat es dir die Freude bereitet, die du dir erhofft hast?" Das Gesicht meiner Schwester bleibt regungslos. Ich interpretiere die Reaktion als Gleichgültigkeit. Zu dem macht sie Anstalten, einfach an mir vorbeizugehen, doch ich halte sie am Arm zurück. Mein Griff ist fest und sicherlich auch schmerzhaft. „Was hast du dir hiervon versprochen, Maya?", bohre ich weiter, nachdem sie auf meine vorangegangenen Fragen nicht antwortet. Ich will eine klare Antwort. „Mach den Mund auf, verdammt! Eben konntest du nicht genug dumme Dinge von dir geben!", provoziere ich weiter. „Du tust mir weh!", kommt es lapidar von ihr und das erzürnt mich nur noch mehr. Mein Griff wird noch etwas fester. Sie zieht scharf die Luft ein. Ihr Gesicht zeigt deutliche Schmerzen und ich lasse sie los. „Ich will wissen, warum du mir das antust, verdammt!", sage ich ungehalten. „Weil du es nicht anders verdient hast!", entfährt es ihr und ich zucke zurück. „Egal, was du machst. Es ist immer richtig und gut. Grade zu perfekt und das kotzt mich schon immer so an", murmelt sie vor sich hin, sieht einen Moment auf ihre schlanken Finger, die sich streichelnd gegen die malträtierte Stelle an ihrem Arm legen. „Wie bitte?", frage ich ungläubig und kann nicht verhindern, dass ich klinge, als wäre das, was sie sagt, einfach nur lächerlich. Wie soll ich es auch ernstnehmen? „Du hast einfach nie Probleme. Alles scheint dir zu gelingen, obwohl du nie einen Finger dafür krumm machst." Ein Leben ohne Probleme wäre mal eine willkommene Abwechslung für mich, denn davon bin ich seit Jahren meilenweit entfernt. Anscheinend lebt meine Schwester in einem Paralleluniversum. Es würde einiges erklären, wie ihren abnormen Schminkwahn. „Erzähl doch keinen Unsinn. Anscheinend hat dir der jahrlange Make-up-Missbrauch wirklich das Gehirn verklebt." Ich lasse meine Hand fassungslos über mein Gesicht gleiten. „Siehst du! Immer hast du nichts anderes, als Beleidigungen für mich übrig." „Natürlich, schließlich willst du mir gerade weiß machen, dass dein sorgenloses, behütetes, kleines Mädchenleben voller Stolpersteine ist. Maya, dir werden doch immer alle Probleme abgenommen." Unwillkürlich greift der Gedanke von vorhin. Sie müsste noch nie für irgendetwas die Verantwortung übernehmen. Sie weiß nicht, wie es ist. „Das ist nicht wahr! Ich habe doch nie eine Chance bekommen. Seit Jahren höre ich immer nur dasselbe. Nimm dir ein Beispiel an Mark. Mark hat es geschafft. Mark hat es richtig gemacht. Schon als Kinder hieß es immer Mark, Mark, Mark. Ich kann es nicht mehr hören", schmettert sie mir entgegen. „Um Himmelswillen Maya, du brauchst eine Therapie, wenn du nur wegen diesem Schwachsinn soweit gehst", donnere ich ihr fassungslos entgegen. Sie fühlt sich unverstanden. Verletzter Stolz und nichts als billige Eifersucht sind die Gründe für all diesen Ärger? Ich kann es nicht fassen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein? Was geht nur in deinem Kopf vor?", lege ich noch immer etwas ungläubig nach und nutze dabei unwissentlich dieselben Formulierungen, wie mein Vater. „Aber so ist es doch! Alle. Sie alle wollen immer dich und du musst nicht mal etwas dafür tun! Die Schule. Unsere Verwandten. Mama und Papa! Raphael", schleudert sie mir mit fester Stimme entgegen! Das kann doch nicht wahr sein. So hat sie es all die Jahre gesehen? „Das mit Raphael war perfekt. Er war so perfekt und mit ihm an meiner Seite hatte ich endlich einmal etwas, was du nicht hattest, was, indem du nicht besser warst." Nun bricht ihre Stimme doch. „Und dann hast du angefangen ihn mir wegzunehmen." Diese Worte sind voller Zorn und zeigen das Ausmaß ihrer negativen Gefühle für mich. „Ich habe gesehen, wie Papa den Brief von Raphael an dich geöffnet hat. So einen Gesichtsausdruck habe ich noch nie bei ihm gesehen und da wusste ich es. Als er ihn geschockt mit den anderen Briefen liegen ließ, habe ich ihn gelesen." Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie hat die Briefe. Sie hat sie ebenfalls gelesen. „Raphael war immer gut zu mir, aber ich habe die ganze Zeit über gemerkt, dass irgendwas nicht so war, wie es sein sollte. In den Briefen hat er dir all das geschrieben, was ich immer von ihm hören wollte. Er hat mich nicht so gewollt und du bist schuld daran", schreit sie mich nun direkt an. Ihre flache Hand schlägt gegen meine Brust. Als sie es ein zweites Mal versucht, halte ich sie zurück. Das Wissen darum, dass sie anscheinend wirklich in Raphael verliebt gewesen ist, verursacht mir ein reißendes Gefühl in der Brust. „Du hast die Briefe...gib sie mir. Bitte." „Wieso kriegst du immer alles?", brüllt sie mich an, ohne auf meine Bitte einzugehen. „Maya, die Briefe…" „Ich habe die dämlichen Briefe nicht mehr. Ich habe sie zerrissen! Wieso wirst du immer mehr geliebt, als ich?" „Maya, das ist doch Blödsinn." „Nein, das ist es nicht! Als ich herausfand, dass du diese seltsame Neigung hast, da dachte ich zum ersten Mal, dass es endlich etwas gibt, was dein perfektes Bild bröckeln lässt. Mama und Papa würden endlich verstehen, wie verkorkst du bist und sie würden endlich begreifen, was du für eine Enttäuschung du hinter deiner gut funktionierenden Fassade bist", setzt sie zickig fort. In meinem Kopf wiederholen sich ihre letzten Worte. Meine Fassade. Meine Feigheit. Es ist alles so unglaublich absurd. Aber so oder so, sie hat einen Fehler in ihrer Rechnung. Denn erst durch ihr blindes, egoistisches Handeln hat sie mich und Raphael letztendlich zusammengebracht. „Ich wollte, dass du mich und Raphael siehst und leidest. Ich hatte endlich mal die Oberhand! Und Raphael... Ich hätte lieber gleich mit ihm schlafen sollen, dann wäre er dir vielleicht niemals nähergekommen! Ich wollte so gern, dass er dich nicht mehr ausstehen kann, aber... Es konnte doch keiner ahnen, dass Raphael tatsächlich Gefühle für dich hat. Es ist so lächerlich", schmettert sie mir all ihrem verdrehten Hass entgegen. Bei den letzten Sätzen ist ihre Stimme eiskalt. „Schluss jetzt!" Mayas Augen weiten sich, als mit einem Mal die Stimme unserer Mutter unseren Streit unterbricht. Ich schaffe es nicht, zu ihr aufzusehen. Ich bin viel zu geschockt von Mayas Worten. Sie hasst mich. Es schmerzt. Auch, wenn ich nie einen Hehl daraus gemacht habe, dass Maya und ich nicht die besten Freunde sind, habe ich niemals gewollt, dass ihr etwas passiert oder dass sie von jemand verletzt wird. Auch von mir nicht. „Mama,..." setzt Maya an, doch sie wird unterbrochen. Als ich endlich zu meiner Mutter schaue, sehe ich, dass sie Maya mit einer einfachen Handbewegung zum Schweigen gebracht hat. Ihre Schritte sind ruhig und bedacht, als die Stufen zu uns hinab kommt und vor uns stehen bleibt. Sie hat es alles gehört. Ein ersticktes Schluchzen und Maya beginnt zu weinen. Wie typisch. Auch meiner Mutter rinnen Tränen über die Wangen. Sie sind nur ein feines Glänzen auf ihrem ebenmäßigen Gesicht, gefüllt von Schmerz und Niedergeschlagenheit, die sich in der Feuchtigkeit spiegeln. Das Schluchzen neben mir wird immer stärker. Maya weint bitterlich. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie sie sich die Treppe hinaufschiebt. Weglaufen konnte sie schon immer gut. Niemand hält sie zurück. Laute, dumpfe Schritte und dann fällt ihre Tür ins Schloss. Meine Mutter kommt auf mich zu. Ihre schlanke Hand streckt sich nach mir aus. Fingerspitzen streichen durch mein braunes Haar. Sie zieht mich näher und haucht mir einen Kuss auf die Stirn. Die liebevolle Geste ist so durchtränkt von Enttäuschung, dass sie mich erzittern lässt. „Dein Vater und ich reden mit ihr", flüstert sie mir beschwichtigend zu, während sie meinen Kopf sanft in ihre Halsbeuge bettet. Ich rieche die Reste ihres blumigen Parfüms und schließe meine Augen, verdränge im selben Moment die aufblitzenden Erinnerungen an Kindheit und Zufriedenheit. „Ich denke, es ist besser, wenn du erstmal gehst, Mark. Wir brauchen alle etwas Abstand", sagt sie ruhig. Erneut ein Kuss, den sie sanft auf mein Haar setzt. Ich nicke, auch wenn ich sofort das Bedürfnis verspüre, mich weiter vor ihr zu erklären. Doch ich finde so schnell nicht die richtigen Worte. Ich nicke nur und greife nach meiner Jacke, die immer noch auf dem Treppengeländer liegt. Ich höre, wie auf der Straße eine Autotür zuschlägt und dann sehe ich zu meinem Vater, der etwas entfernt im Türrahmen zur Küche lehnt. In seinen Händen hält er das Telefon. Auch sein Blick ist getrübt. „Ich habe Mist gebaut. Das weiß ich. Aber ich will mich nicht mehr rechtfertigen müssen", sage ich leise. Ich weiß nicht, an wen genau ich meine Aussagen richte. Nur der Gedanke daran, dass ich endlich eine Chance bekomme, mit Raphael zusammen zu sein, stärkt mich. Ich will das Glück genießen und mein Leben so leben, wie es mir vorstelle. Die Bindung zu meinen Eltern ist tief und ich glaube fest daran, dass wir auch das schaffen. Auch, wenn es möglicherweise etwas dauert. Ich wende mich zur Tür. Es ist mein Vater, der mich noch einmal zurückhält. „Es tut mir leid, Mark... Wir klären das mit ihr. Gib uns allen etwas Zeit." Auch er zieht meinen Kopf in seine Halsbeuge, streicht mir bei jeder seiner Versicherungen durch die schlecht frisierten Haare und lächelt mit entgegen. Ich habe ja keine andere Wahl. Die kühle Luft umfängt mich, als ich aus der Tür trete. Ich schließe sofort meine Augen, spüre, wie sich ein seltsames Gefühl in meiner Brust ausbreitet. Ich weiß einen Moment lang nicht, ob es mich zerreißt oder zerdrückt. Der kuriose Mix aus Zuversicht, Linderung und Trauer breitet sich unaufhörlich in mir aus, wie ein Flächenbrand. Ein ziehendes Kribbeln in meinem Kiefer kündigt eine Heulattacke an. Nicht jetzt. Nicht hier. Ich bin zu müde und geschafft. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und sehe auf die Uhr. Es fahren nur noch wenige Busse und den Aktuellen habe ich um 2 Minuten verpasst. „Mark,..." Nun blicke ich auf. Raphael kommt langsam auf mich zu. Mein Vater muss ihn angerufen haben und das Reißen in meiner Brust lässt mich für einen kurzen Moment aufatmen. Ich setze mich in Bewegung. Mit jedem Schritt, den ich auf den anderen Mann zu mache, bilden sich mehr Tränen in meinen Augen. Doch erst als er mir seine Hand hinhält und mich mit einer Bewegung in seine Arme zieht, brechen die Dämme endgültig. Raphael fragt nicht, sondern lässt mich einfach nur weinen. Seine Hand streicht mir beruhigend über den Rücken und mit der andere schiebt er wieder und wieder eine unbändige Haarsträhne hinter mein Ohr. Meine Haare haben ihren eigenen Willen. Er beginnt mir zärtliche Worte zu zuflüstern, die ich zunächst nicht einmal verstehe, aber seine angenehme Stimme reicht vollkommen aus, um mich langsam zu beruhigen. Sein sanftes Brummen, welche sich durch meine Gehörgänge arbeitet und irgendwann auf meinem gesamten Hals Gänsehaut hinterlässt. Baritoner Wohlklang in Reinform. Erst als mir langsam kalt wird, höre ich wieder aufmerksamer hin. „...Anthropogenese, die...", murmelt Raphael leise. Ich spüre, wie sein warmer Atem dabei durch meine Haare streicht und meine Kopfhaut kitzelt. „Was?", frage ich etwas verwundert, während Raphael seinen Kopf hebt und das Streicheln seiner Hand stoppt. „Wieder aufnahmefähig?", fragt er, ohne mir den Begriff zu erläutern. Nur mit einem sanften Lächeln auf seinen Lippen schaut er mich an. Anscheinend muss er schon die Hälfte der Zeit studiumsbezogene Begriffe vor sich hingemurmelt haben und ich habe es nicht mitbekommen, weil mich allein schon seine schöne Stimme beruhigt hat. Ich schniefe leicht, ziehe einen Flunsch und zucke kurz mit den Schultern. „Na komm, lass uns fahren. Du bist schon ganz kalt." Er nimmt meine Hand in seine und haucht einen Kuss auf meine klammen Finger. „Zu mir oder zu dir?", frage ich leise, benutze bewusst dieses provozierende Klischee um zu zeigen, dass es mir besser geht. Auch, wenn es nicht so ist. „Dann zu mir. Ich habe wenigstens etwas zu Essen im Kühlschrank." Wir müssen auf jeden Fall unsere Definitionen von Essen klären. Ich denke an das viele gesunde Grünzeuge und verforme mein Gesicht unbewusst zu einer Grimasse. Raphaels Augenbraue zieht sich nach oben, denn er weiß genau, woran ich denke. „Ich habe auch ein Stück Schokolade für dich", beschwichtigt er mich. Mir ist nicht nach etwas Süßem und dennoch nicke ich es dankend ab. „Lass uns vorher kurz bei mir vorbeifahren. Ich brauche Kleidung zum Wechseln." Ich sehe noch einmal zum Haus meiner Eltern und spüre sofort diese unangenehme Schwere in meiner Brust. Es wird seine Zeit brauchen bis wieder Normalität im Hause Dima einkehren wird. So sehr man sich ein redet, dass man auf alles gefasst ist, so sehr irrt man auch. Als ich mich setze, streicht mir Raphael kurz über die Wange. Eine aufmunternde Geste, die ihren Auftrag nicht verfehlt, aber einfach nicht vollständig erfüllt, weil sie es in diesem Moment nicht kann. „Was ist Anthropogenese?", frage ich leise, greife den Begriff wieder auf, den Raphael mir zu geflüstert hat. Ich will eigentlich nur, dass er redet. Seine Stimme beruhigt mich sehr. Auch seine Nähe. Sein Blick ist verwundert. „Bitte, erzähl es mir." Ein Funken des Verstehens und dann beginnt er zu erklären. „Sie ist ein Ausschnitt der Phylogenese, die die Entstehung und Veränderung der Arten in Form der biologischen Evolution beschreibt. Beides sind Begriff aus dem Bereich der Sportmotorik." Während der Fahrt erläutert er mir sachlich und leise alle Grundbegriffe der Sportmotorik. Ontogenese und deren endogene und exogene Einflussfaktoren. Ich schließe meine Augen, schlafe, aber nicht ein. An fast jeder Ampel spüre ich Raphaels Hand, die sich auf meinen Oberschenkel legt. Wohlige Wärme. Angenehmes Kribbeln. Beruhigende Nähe. Ich bin jedes Mal enttäuscht, wenn sie wieder verschwindet. Dass wir bei meiner Wohnung ankommen, merke ich nicht. Erst als Raphael meine Tür öffnet, blicke ich ihm verschlafen entgegen. Ich bin wohl doch eingeknickt. „Wir können auch hierbleiben, wenn du zu müde bist." Ich verneine das Angebot und steige aus. Mein Blick wandert zu dem parkenden grauen Auto vor uns. Unbewusst fahre ich das Kennzeichen ab. Es ist ein Außerstädtisches. Ich kenne es, aber mein Kopf ist zu schwer um ernsthaft darüber nachzudenken, zu wem es gehört. Ich starre trotzdem einen Moment auf das Fahrzeug, so lange bis ich Raphaels warme Hand an meinem kühlen Gesicht spüre. Ein letzter Blick und dann schiebt mich Raphael fast die Treppe hinauf. Wahrscheinlich würde er mich auch über die Schulter werfen und hochtragen. Es würde kaum einen Unterschied machen, denn ich fühle mich gerade, wie ein träger Sack ranziger Kartoffeln. Ich denke an das Kennzeichen des Autos. JH. Mein Handy beginnt in dem Moment zu klingeln, als uns Jake auf der Treppe entgegenkommt. Als er uns sieht, lässt er das Telefon sinken. „Buonasera,...", begrüßt er uns auf Italienisch und ich habe das Gefühl, als hätte man mir den Sack Kartoffeln gerade über den Kopf geschüttelt. Kapitel 22: Wolke 7 trotz Akrophobie und Turbulenzen ---------------------------------------------------- Kapitel 22 Wolke 7 trotz Akrophobie und Turbulenzen Jake lehnt sich lässig ans Geländer und vermeidet strikt den Blick hinter mich. Erst als Raphael deutlich neben mir zum Stehen kommt, ändert sich Jakes Haltung. Seine Schultern straffen sich und die Lässigkeit ist nur noch Makulatur. Das unheilvolle Knistern, welches sich im Treppenflur ausbreitet, wird von Sekunde zu Sekunde intensiver. Bitte nicht oder sollte ich sagen, nicht schon wieder? Neue Konfrontationen kann ich nicht gebrauchen. „Cohen." Jakes Stimme ist eisig. „Hoffmann", erwidert Raphael ungerührt, aber ich spüre, wie er versucht, sich vor mich zu stellen. Ich bin im falschen Film. Schon wieder. Ich stoppe Raphael in seinem Besitzanspruchshandeln und schiebe ihn demonstrativ zur Seite. „Herzallerliebst. Ihr habt Nachnamen, so wie circa 6 Milliarden Menschen auch. Also wärt ihr so freundlich und lasst diesen dummen, machohaften Scheiß. Das kauft euch kein Mensch ab...und ich ertrage das heute nicht", knalle ich den beiden vor den Latz bevor es, wie beim letzten Mal zum Streit kommen kann und seufze schwer. Ein weiteres Streitmenü vertrage ich nicht. Schon gar nicht auf leeren Magen. Meine Magenkrämpfe werden trotzdem kontinuierlich schlimmer, allein durch das Aufeinandertreffen dieser beiden Kindsköpfe. Zur Bestätigung machen meine Gedärme eine flaue Geste. Wütend sehe ich zu Jake und dann zu Raphael. „Kann ich dich, bitte unter 4 Augen sprechen?", fragt Jake und sein Blick wandert unmissverständlich zu dem anderen Part unserer Dreieckskonstellation. Die angespannte Stimmung schlägt Funken. Raphael wird sich freiwillig keinen Millimeter von der Treppe wegbewegen. Ich fasse nach seinem Arm, zwinge ihn so mich anzusehen. Das Gespräch mit meiner Familie steckt tief und schmerzend in meinen Knochen und ich will so schnell, wie möglich meine Ruhe und mich nur noch in Raphaels Armen vergraben. „Hey, kannst du mir, bitte ein paar Sachen einpacken? Irgendwas?" Ich ziehe meinen Hausschlüssel aus der Tasche und drücke sie Raphael mit einem bittenden Blick in die Hand. Der Unwillen spiegelt sich so stark in seinen Augen, dass ich das Gefühl habe, mein Leben lang dafür Abbitte leisten zu müssen. Das nenne ich den perfekten Start in eine neue Beziehung. In meinem Kopf tanzt der Sarkasmus Tango. Vielleicht ist es auch Cha-Cha-Cha. Ich kenne den Unterschied nicht. Jakes Blick folgt dem anderen Mann und erst als dieser in meiner Wohnung verschwunden ist, wendet er sich mir zu. „Was willst du hier, Jake?", frage ich ruhig. Ich bin einfach nur erschöpft und möchte keine weiteren Diskussionen. „Du hast dich nicht gemeldet, da wollte ich sehen, ob alles in Ordnung ist. Aber wie es scheint...bist du in guten Händen." Die Pause zwischen seinen Worten zeigt mir deutlich, wie schwer es ihm fällt. „Bin ich. Jake, ich...es tut mir leid, aber meine Entscheidung ist getroffen und ich..." „Ich weiß! Und du musst nichts mehr erklären. Ich habe es verstanden.", fällt er mir sanft ins Wort. „Ich bin noch aus einem anderen Grund hier. Und zwar sollte ich dir erzählen, dass ich schon vor einer Weile um eine Versetzung gebeten habe. Die wurde nun bewilligt und ich habe erstmal keine Chance, es wieder abzulehnen." Er pausiert, atmet kurz tief ein und fährt sich durch die dunklen Haare. Versetzung? Ich versuche mich daran zu erinnern, ob er etwas Derartiges erwähnt hat. Ich bin mir nicht. „Wohin lässt du dich versetzen?", frage ich. „Das ist das Problem. Wir werden uns womöglich noch ab und an über den Weg laufen", ergänzt er und sieht auf. „Was meinst du damit?", kommt es barsch von Raphael, der mit meinem Rucksack hinter Jake auftaucht. Der ITler blickt ihm missmutig entgegen, atmet erneut schwer ein und versucht deutlich sich einen ärgerbringenden Kommentar zu verkneifen. Die beiden werden nie Freunde werden, dessen bin ich mir mittlerweile sicher. Raphael bleibt auf der Etage stehen und blickt auf uns runter. Jake sieht weiterhin mich an. Ich fühle mich hin und her gerissen. Raphael fordert meine Aufmerksamkeit, aber ich bin sie in diesem Moment Jake schuldig. „Die Universität gehört zum Kundenkreis der Firma für die ich arbeite. Und ich bin jetzt als stellvertretender Bereichsleiter der IT-Abteilung eurer Uni eingesetzt", gibt er erklärend von sich und ich spüre deutlich, wie sich ein zwiespältiges Gefühl in meiner Brust regt. Freude und Unwohlsein. Ich verdränge das Zweite. „Das ist eine Beförderung, nicht wahr? Das ist wunder...bar", kommentiere ich stockend, weil ich eine zu starke Freude gegenüber Raphael unangemessen finde. Nur würde er nicht mehr so viel hin und her fahren müssen. Weniger Stress. Mehr Ruhe. Mehr Zeit. Ich freue mich wirklich für Jake. Auch wenn mir allzu bewusst ist, dass er es auch für mich getan hat und das sorgt für ein eher seltsames Gefühl in meiner Brust. „Ja, die Reiserei war schon belastend und ich kann etwas Kontinuität gebrauchen." Ich nicke verstehend. Jake lächelt ein seltsames Lächeln. Ein Ausdruck der Resignation. Auch etwas Reue. Die Vorstellung, dass er unsere gemeinsame Zeit und die schönen Stunden bereuen könnte, verursacht mir Schmerz. Ich nehme sie als Bestrafung, denn ich habe es nicht anders verdient. Shari meinte einmal zu mir, ich sei einer dieser netten Kerle, aber das stimmt nicht. Ich bin manchmal ein genauso gedankenloser Arsch, wie viele anderen auch. Ich habe Jake verletzt und mir selbst mit vielen Sachen keinen Gefallen getan. Unwillkürlich denke ich wieder daran, wie es mit unserer Beziehung stehen würde, wenn Raphael nicht früher aus den Staaten zurückgekommen wäre und erneut verunsichert es mich. „Ich habe deine Krawatte noch...", sage ich, nehme bereits eine Stufe nach oben um sie zu holen, als mich Jake abhält und nach meiner Hand greift. Ich weiß nicht einmal, warum ich das gerade gesagt habe. „Ich wünsche dir das Beste. Das weißt du, oder?", flüstert er mir entgegen. Der Blick des größeren Mannes ruht auf mir. Er lächelt und löst dann seine Hand von meinem Arm. Seine Finger drücken kurz meine Hand. Ich wünsche ihm nichts anderes und ich bin mir sicher, dass er jemanden findet, der seine Liebe verdient. „Addio." Ein Lebwohl. Jake verschwindet die Treppe runter. In meinem Kopf formulieren sich die Pardons in verschiedenen Sprachen. Saraba. Farvel. Adiós. Farewell. Adieu. Ich spreche sie nicht aus. Schon gar nicht das 'Leb wohl'. Mit einem seltsamen Gefühl in der Brust verstaue ich meinen Rucksack im Kofferraum und wir steigen ins Auto. Raphael betätigt die Zündung und das Radio geht an. Es dudeln die gesamte Fahrt über fröhliche Popsongs. Rihanna. Katy Perry. Sie deprimieren mich. Wir finden bei Raphaels Wohnung einen Parkplatz auf der Straße. Der Motor geht aus, aber das Radio bleibt an. Wir machen beide keine Anstalten aufzustehen, denn Jake Besuch schwelt zwischen uns. Ich spüre es. „War es dir ernst mit ihm? Wolltest du wirklich mit ihm zusammen sein? Denn er wollte es definitiv." Raphael klingt, als wäre ihm erst jetzt klar geworden, wie ernst es zwischen mir und Jake gewesen war. „Müssen wir wirklich jetzt darüber reden?", frage ich ermattet, schnalle mich ab und sehe in das Profil des anderen Mannes. So vertraut es mir auch ist, ist es in manchen Momenten noch immer unheimlich fremd. So wie jetzt. Die tiefen Schatten zeigen deutlich, wie stark er den Kiefer zusammenpresst. „Bitte gib mir eine Antwort.", ersucht er mich. Ich hadere. Was soll ich ihm darauf antworten? Die Wahrheit? Soll ich ausweichen? Mein Schweigen macht es nicht besser. Ich seufze bevor ich versuche die passenden Worte zu finden. „Ja. Ja, ich hätte es versucht.", sage ich, denke an den Moment zurück, in dem die beiden in meiner Wohnung aufeinandergetroffen sind und, was ich kurz davor beschlossen hatte. Ich sehe, wie Raphaels Hand zu seinem Mund zuckt. Er fährt sich über die Lippen und seufzt schwermütig, so als hätte er wirklich gehofft, dass ich es verneine. Ich fühle mich dazu genötigt, es zu erklären. „Mit Jake konnte ich ein wenig vergessen und wie du schon mal bemerkt hast, bin ich kein Heiliger... Es war einfach unkompliziert..." Wir haben viel Spaß miteinander gehabt und mit ihm konnte ich meine stetig kreisenden Gedanken für ein paar Augenblicke stoppen. „Es ging nur um Sex?" Ich nicke unbewusst, doch Raphael blickt mich nicht an. „Anfangs...", gebe ich daraufhin als Antwort und sehe erneut dabei zu, wie er sich die dunklen Haare zurückstreicht und sie dann leicht zerzaust. Anscheinend war das nicht die Antwort, die er hören wollte. Ein Seufzer perlt von seinen Lippen, der sich in ein eindeutiges Knurren wandelt. „Okay, erklär mir, was euer Problem miteinander ist? Habt ihr euch gegenseitig mal das Mittagessen geklaut? Ist der eine, dem anderen Mal auf den Fuß getreten?" Raphael ist plötzlich wieder überaus schweigsam. Ich setze noch einen drauf, missachte die Tatsache, dass zwischen den beiden Männern einige Jahre liegen. „Wolltet ihr im Kindergarten die gleiche Person heiraten? Oh, er hat dein Haustier gestreichelt, obwohl er es nicht durfte. Nein, warte, ihr wart in das gleiche Mädchen verliebt", sage ich eher belustigt, als ernst, doch Raphael zuckt. Ungläubig sehe ich ihm entgegen. „Nicht dein Ernst, oder?" Raphael sieht mich an, als hätte ich ihn gerade für bekloppt erklärt. In gewisser Weise habe ich das auch. Ich streiche mir die Haare zurück und beuge mich nach vorn. Meine Stirn tippt gegen die Plastikverschalung des Handschuhfaches. „Herrje, ich weiß, dass es total dumm ist, aber was willst du von mir hören? Es ist auch nicht nur das, sondern viele Kleinigkeiten und eine Menge verletzter Stolz." Immerhin eine ehrliche Einschätzung der obskuren Kinderei. Ein weiteres Mal drückt sich mein Kopf gegen das Plastik, dann sehe ich auf. Das kann nicht sein Ernst sein. „Bitte, klär mich trotzdem auf", sage ich verzweifelt, denn ich sehe mittlerweile nicht mehr durch. Wie kann das sein, das zwei erwachsene Männer derartig dumme Provokationgründe mit sich herumschleppen. „Jake ist ein Angeber und ja, wir hatten vor etlichen Jahren wirklich am selben Mädchen Interesse." Das Wort Interesse setzt er in imaginäre Gänsefüßchen. "Jake hatte bei ihr mehr Glück. Er war älter. Er hatte Geld. So was wirkt auf junge Frauen wie ein Beziehungskatalysator. Ich habe ihr daraufhin erzählt, dass Jake auch mit Männern ins Bett geht, weil ich das bei einer Feier mal mitbekommen habe. Da wollte sie nichts mehr von ihm wissen. Jake war sauer und behauptet, er hätte mich mal rumgekriegt und ich, dass er impotent ist... und so weiter." Wow. Tatsächlich Kindergarten. Ich bin bestürzt. Sowas lächerliches. Zudem war mir gar nicht bewusst, dass Jake auch mit Frauen anbandelt. „Dass er eigentlich schwul ist, hat mich im Endeffekt nur wütender gemacht, weil es für ihn nicht mal ernst war." „Klasse, ich muss jetzt darunter leiden, dass ihr störrische Kindsköpfe seid." Mein Kopf kippt nun zur Seite, trifft auf die kühle Scheibe. Raphaels Erzählungen über den Kampf um ein Mädchen zu hören, verbessert meine Laune nicht gerade. "Wegen eines Mädchens...", entflieht mir bedrückt. "Es ist lange her...aber warum musste es ausgerechnet er sein...", knurrt er unzufrieden. Ich reagiere mit einem filmreifen Mundaufklappen. 100%ige Dramödienwahrscheinlichkeit und ich bin mir nicht sicher, ob ich hysterisch lachen oder heftig zu weinen beginnen soll. Woher hätte ich von dieser dummen Fehde wissen sollen? „Jake ist ein Guter, egal, was du von ihm hältst oder was zwischen euch vorgefallen ist", belle ich ihm entgegen. Ich entscheide mich für den dritten Weg. Wütende Konfrontation. „Und was willst du von mir hören? Ich habe versucht weiter zu machen... und Jake war immer gut zu mir. Er war offen interessiert an mir. Im Gegensatz zu dir", knalle ich ihm vorwurfsvoll vor dem Latz. Es klingt, wie eines dieser typischen Klischees, aber Jake war nicht nur mein Lückenbüßer. Nein, er war mein Rettungsanker. Er hat dafür gesorgt, dass ich nicht komplett verzweifele. Raphael fährt sich mit beiden Händen über die Wangen. „Ja, es ist so klar. Jake ist der Gute und ich bin der Arsch...", murmelt er in seine Hände und ich verstehe nur Bruchteile. Wie bitte? „Du hast mich weggestoßen und wolltest ein normales Leben. Was auch immer das heißen soll." „Scheiße, warum hast du Jake nicht einfach nachgegeben? Wieso hast du dir meine dummen Aktionen gefallen lassen, obwohl du jemand hattest, der dir die Welt ohne einfältiges und dämliches Handeln zu Füßen gelegt hätte? Er hat sogar um eine Versetzung für dich gebeten. Verflucht, das Einzige, was ich bisher geschafft habe, ist, dich unglücklich zu machen und deine Familie zu entzweien. Warum hast du dir das nicht alles erspart, Mark?", feuert er mir entgegen. Aus ihm spricht pures Schuldempfinden. Raphael klingt verzweifelt und ich werde mit jedem seiner Worte wütender. Doch die Wut bricht mich. "Weil ich immer nur bei dir sein wollte...", brülle ich zurück. Mein Kiefer bebt. Erst jetzt wird ein Teil des Ausmaßes unseres chaotischen Liebescrashs deutlich. Mir wurde es bereits bei meinen Eltern bewusst und jetzt auch bei Raphael. Er merkt, wie viel Kraft und Glück mich seine Unentschlossenheit wirklich gekostet hat. Das leise Dudeln von poppiger Musik aus dem Radio macht diese Situation noch unerträglicher. Ich greife entkräftet nach dem Türöffner und steige aus. Die kühle Luft umfängt mich mahnend, fast strafend. Ich wende mich vom Auto ab und starre einen Moment die Straße entlang. Mein Brustkorb fühlt sich an, als würden sich mehrere Tonnen Gestein darauf stapeln. Die Wut und die Panik, die sich in mir ausbreiten, sorgen nur noch mehr dafür, dass sich mein Körper vollkommen eingeschnürt anfühlt. Was, wenn Raphael einen Rückzieher macht? Wenn er wieder davonläuft? In den letzten Monaten hat er eindeutig bewiesen, dass er ein enormes Talent dafür hatte wegzurennen. Nicht gerade beziehungstauglich. Dramödientauglich höchstens. Ich bin nicht wirklich besser. Mein Herz flattert und meine Fingerspitzen werden zu blutleeren Eiszapfen. Das Geräusch der aufgehenden Tür ist nur leise. Ein Klackern. Das Klimpern von Schlüsseln. Raphaels warme Hand umfasst mein Handgelenk und er zieht mich zu sich heran. „Es tut mir leid, so leid", wiederholt er mehrere Male, lässt nach jeder Entschuldigung einen Kuss folgen und drückt mich dann noch fester an sich. Ich spüre, wie sich seine Nase in meinen Haaren vergräbt und wie sein Daumen über meinen Hals streicht. „Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich verhalte mich, wie der letzte Idiot und ich fühle mich so schuldig, weil ich dein Leben durcheinanderbringe und weil ich dich andauernd enttäusche. Auch deine Eltern und ich will eigentlich nur, dass du glücklich bist und dass ich ein Teil davon bin." „Dann sag nie wieder, dass ich mich hätte für Jake entscheiden sollen", flüstere ich ihm entgegen, meine es bitter ernst und spüre, wie seine Umarmung noch fester wird. Er küsst meine Schläfe. Meine Wange und findet meine Lippen. Der erste Kuss ist sanft und leicht. Fast nur ein Hauch, der das zarte Kribbeln in flatternde Schwingungen versetzt. Mit jedem weiteren Kuss beginnen die Wellen durch meinen gesamten Körper zu tosen. Dieses Gefühl löst nur er in mir aus. Niemand anderes. Wie lange wir so vertieft beieinanderstehen, weiß ich nicht. Irgendwann merke ich, wie die Kälte durch meine Jacke dringt. Sie schleicht sich über meinen Körper und lässt mich leicht Erschaudern, was auch Raphael spürt. „Komm bevor wir hier draußen erfrieren." Seine Lippen drücken sich ein letztes Mal gegen meine Schläfe und dann schiebt er mich zur Wohnung. Dort angekommen ist es Müdigkeit, die mich erfasst. Doch ich weiß nicht, ob ich wirklich einschlafen kann. Raphael murmelt etwas von warmem Tee und Essen. Ich nicke es ab. Ein Blick auf das Handy zeigt mir, dass es noch nicht allzu spät ist. Ich lasse meinen Rucksack im Flur stehen und gehe ins Wohnzimmer während Raphael in die Küche verschwindet. Das Handy in meiner Hand vibriert. Ich sehe eine Weile dabei zu, wie das rote Lämpchen am oberen rechten Rand lustig blinkt und lausche den leisen Bewegungen des anderen Mannes. Ich öffne die Nachricht. Shari. Sie erkundet sich nach meinem Befinden. Hm. Selbst in meinem Kopf lässt sich diese einfache Frage nicht wirklich beantworten. Ich fühle mich leer und im selben Moment unglaublich schwer. Gibt es dafür ein Wort? Mir fällt es nicht ein. Schwersam vielleicht? Ich lasse mich seitlich auf die Couch nieder und stütze meinen Arm auf der Rückenlehne ab. Dann tippe ich meiner Lotusblüte eine Antwort. -Bombe ist geplatzt. Maya hasst mich.- Ich muss nicht lange auf eine Reaktion warten. -Bitte, sag, dass du nicht allein bist- Ihre Sorge lässt mich lächeln. Bevor ich ihr eine erläuternde Antwort verfassen kann, klingelt es. Sofort spulen sich ein paar der anderssprachigen Begrüßungen in meinen Kopf ab. Mein Vorrat an Neuerungen ist bald aufgebraucht. Ich denke an Jakes italienische und entscheide mich für Lettisch. „Sveika, my little Pony! Ich tippe schnell, aber so schnell nun auch nicht...", flöte ich ihr begrüßend entgegen und klinge weniger fröhlich, als gehofft. Vielleicht merkt es Shari nicht, doch darauf sollte ich besser nicht hoffen. „Namasté,...Pony?" Die Begrüßung klingt nach Heiterkeit und Frohsinn. Auch sie ist aufgesetzt. „Sind kleine Pferde, die nicht größer als ein 1,50m sein dürfen... glaub ich...", erläutere ich. Bei der Höhe bin ich mir nicht mehr sicher. Unweigerlich denke ich an die typisch mädchenfarbenen Plastikspielzeuge und verdränge die Erinnerung an mein letztes, reelles Aufeinandertreffen mit den Unpaarhufern. Das Minipferd war kleiner als ich und es hat mich gejagt. Shari seufzt theatralisch und ich versuche die Erinnerungen zu verdrängen. „Ich stehe auf Shetlandponys. Die sind putzig. Wie fühlst du dich?", erkundigt sie sich direkt. Ich bin gedanklich noch bei den Ponys. Putzig. Wohl eher gemeingefährlich. Mit der Frage nach meinem Befinden wird ihre Stimme tropfend vor Sorge und ich widerstehe dem Bedürfnis laut zu seufzen. Im Grunde hätte sie sich diese Fragen sparen können. Ich hüpfe garantiert nicht fröhlich durch das Zimmer. Zudem ist ihr meine leidige Wesensart ernste Dinge herunterzuspielen und zu veralbern durchaus bekannt. „Müde...geschafft, ausgelaugt", sage ich nur, ernte von ihrer Seite ein Seufzen, welches bedenklich nach Verzweiflung klingt und versuche es einfach noch mal. „Glaubst du mir, wenn ich 'gut' sage?", frage ich vorsichtig und Shari schweigt. Wäre auch zu schön um wahr zu sein. „Oder den Umständen entsprechend?". Ich schwinge den vollen Klischeehammer. Auch symbolisch mit den Armen und mache es nicht besser. „Mark, ...", kommt es nun warnend von der schönen Inderin und ich gebe es auf. „Was ist passiert?" Ich versuche den Ablauf des Abends in meinem Kopf zu ordnen. Es will nicht wirklich gelingen. Ich bin mir, aber nicht sicher, ob sich das in ein paar Tagen und mit ausreichend Schlaf wirklich bessern wird. Im Grunde kann ich es einfach noch nicht richtig verstehen. Fassungslosigkeit. Unglaube. Es schmerzt. Ich erzähle Shari davon, wie uns mein Vater erwischt hat und dann, wie Maya beim Abendbrot unserer Mutter einen mehr als unpassenden Brotaufstrich servierte. Die Enttäuschung. Sie trifft mich auch jetzt noch. „Ich hätte vielleicht netter zu ihr sein sollen...", flüstere ich. „Mark, hör auf. Geschwister streiten und glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich meine Brüder manchmal lynchen möchte, würde ich ihnen aber niemals absichtlich so wehtun. Sie wollte dich verletzen und das ist unverzeihlich. Egal, welche alten Kamellen sie als Begründung wähnt." „Die Kamelle ist ihr versautes Leben, dank dummen, fiesen und alles besserkönnenden Bruders...", sage ich zynisch und lasse meinen Kopf durch meine eigenen Worte getroffen auf die Lehne der Couch fallen. „Du weiß, dass das nicht stimmt..." Wirklich? Ich brumme nur. „Mark, du bist nicht allein, oder?" „Nein..." Mein Blick wandert zur Tür. Ein wenig Licht dringt über den Flur zum Wohnzimmer. „Kommst du zurecht?" Wieder ist es Sorge, die von ihren Lippen perlt, wie bitterer Honig. Ich möchte sie beruhigen und ihr verkaufen, dass ich es schaffe, nur damit sie sich keine weiteren Sorgen machen muss. „Ich bin robust...hart im Nehmen...ein ganzer Kerl, dank Chappi..." Das lässt mich selbst schmunzeln und Shari leise kichern. Ich höre das Klappern von Geschirr in der Küche. „Ich mach dann Schluss... Uz redzēšanos, chisai Hana!" Die lettische Verabschiedung klingt, trotz japanischer Verschönerung, wie ein russischer Todesfluch. Könnte aber auch eine absonderliche Liebeserklärung sein. Bei diesen Sprachen weiß man das nie. Ich höre dabei zu, wie die schöne Inderin noch ein paar beruhigende Floskeln durchs Telefon schickt. Ich nicke sie lächelnd ab, danke ihr ein weiteres Mal, weil ich weiß, wie die Plattitüden gemeint sind. Shari auf meiner Seite zu wissen, ist das, was ich brauche. Raphael kommt mit zwei Tassen und einem Teller samt Sandwich durch die Tür. Ich bette meinen Kopf auf die Rückenlehne der Couch und sehe dabei zu, wie er alles auf den Couchtisch zirkelt. Danach nimmt er hinter mir Platz. Ich wende mich dem Größeren nicht zu, sondern spüre mit Genugtuung, wie dieser seinen Kopf in meinen Nacken legt. Raphaels Arme schlingt sich um meine Hüfte. Seine Wärme durchringt augenblicklich jegliche Schicht meiner Kleidung, legt sich auf meine Haut, wie ein wohltuender Schutzmantel. Mein Puls klettert nach oben, entfacht sich aufgeregt, allein durch seine Anwesenheit und Nähe. „Möchtest du noch etwas essen?", fragt er mich leise. Mein Magen antwortet stillschweigend mit einem rumorenden Looping. Ich schüttle meinen Kopf und schließe die Augen. „Erzähl mir, was zu Hause passiert ist..." Seine Worte sind nur ein Flüstern. Sie gehen mir durch Mark und Bein. Raphael haucht einen Kuss auf meinen freigelegten Nacken, lässt seinen prickelnden Atem über meinen Hals streichen und zieht mich näher an sich heran. „Maya hasst mich so sehr, dass sie beim Abendbrot Mama vor den Latz geknallt hat, dass ich schwul bin und wir beide miteinander vögeln", sage ich erstaunlich zusammenfassend und nutze bewusst das drastische Wort, welches auch Maya verwendet hat. Ich merke, wie Raphael hinter mir merklich zusammenzuckt. Der Gesichtsausdruck meiner Mutter hat sich in meinen Kopf gebrannt. Das Bild voller Ungläubigkeit. Die Fassungslosigkeit im Moment des Verstehens. Auch jetzt noch zieht sich mein Brustkorb schmerzhaft zusammen. Vielleicht wird es irgendwann verblassen. „Hat sie das so gesagt?", hakt er nach und klingt deutlich erschrocken. „Genauso und es war schlimm." Hinter mir höre ich, wie Raphael zischend die Luft einzieht. Danach tippen seine Lippen hauchzart gegen meinen Hals, so, als würde er mich damit beruhigen wollen. Er schafft es. Ich lasse mich etwas mehr in seine Arme fallen, spüre die Wärme seines Körpers und wie sie mich langsam einlullt. Meine Gedanken sind klarer, als sie es vor wenigen Minuten noch bei Shari gewesen sind. Raphael ist direkt involviert und verdiente eine Erklärung. Ich erzähle ihm von Mayas Äußerungen. Ihrem Spiel. Ihre angeblichen Intentionen und die Schuld, die sie allein in meinem egoistischen und oberflächlichen Handeln sieht. Je mehr ich darüber nachdenke, je deutlicher wird mir, dass sie selbst nicht mit einer derartigen Eskalation gerechnet hat. Die Konsequenzen, die nicht nur für mich blühen, sondern auch für sie. Ich denke an ihre zurückhaltende Reaktion, als ich sie fragte, ob sie je etwas zu Raphael empfunden hat. Das verletzte Blitzen in ihren vorher so überheblich funkelnden blauen Augen. Es hat mir so viel offenbart. „Vielleicht hätte ich wirklich netter zu ihr sein sollen...", sage ich, spüre wie die Resignation, die mich schon den ganzen Abend lähmt, erneut über mich hereinbricht. „Manchmal vielleicht...", kommt es von Raphael, während er mir seine Lippen gegen die Schläfe drückt und sich seine Hand über meinen Bauch höher zur Brust schiebt. Dort, wo sie verweilt, wird es warm. Ich kann nicht verhindern, dass sich bei seinen Worten augenblicklich Trotz bildet, die sich geschickt mit dem Wissen um die Wahrheit verwebt. Vielleicht wäre in manchen Situationen mehr Brüderlichkeit gut gewesen, aber hätte es wirklich etwas verändert? Ich bin mir nicht sicher. Ich schließe meine Augen, denke an einige Momente zurück, in denen ich tatsächlich mehr oder wenig bösartig gewesen bin. Die Kommentare über ihre Schminkerei. Das Gezicke. Ihre Unfähigkeit Kritik einzustecken, die ich allerdings nur zu gern austeile. „Es konnte niemand damit rechnen, dass es so eskaliert, Mark." Mein Kopf kippt nach hinten und kommt auf Raphaels auf der Lehne abgelegten Arm zum Liegen. Das intensive Grün mustert mich. „Bereust du es? Das hier...", frage ich, löse mich aus seiner Umarmung und setze mich aufrecht vor ihn hin. Raphael schüttelt seinen Kopf. „Nein", ohne zu zögern, „Nur, dass ich nicht schon früher den Mut hatte. Es hätte uns einiges erspart." Er streckt seine Hand nach mir aus, trifft mit den Fingerspitzen eine wirre Strähne, die mir auf der Stirn liegt und streicht sie davon. „Tust du mir einen Gefallen?" „Jeden." „Nicht mehr davonlaufen...", flüstere ich ihm zu. Raphaels Haupt neigt sich zu einem hauchzarten Nicken. Ich stehe auf, bleibe vor dem Größeren stehen. Die kurze Verwunderung weicht merklicher Aufregung, als ich mich auf seinem Schoss niederlasse. „Keine Ausreden mehr", ergänze ich. Diesmal folgt ein Kopfschütteln. Seine Hand streicht mir eine weitere vorwitzige Haarsträhne hinter das Ohr, berührt dabei den oberen Teil meiner Helix. Ein tiefgehendes Kitzeln erfasst mich. Raphael schließt seine Augen, scheint alle meiner Berührungen wirklich zu genießen. Jede noch so kleine seiner Reaktionen sauge ich in mir auf. Seine Finger streicheln sich über meinen Hals in den Nacken. Auch dort verursachen sie mir ein heftiges Prickeln, welches sich nicht nur an den berührten Stellen äußert, sondern vor allem in meinem Bauch. Es breitet sich aus, dringt tiefer in meinen Körper ein. Meine Augen wandern über seine feuchtschimmernden Lippen, während ich mehr und mehr danach lechze, sie zu schmecken. Raphaels Lippen versprechen Liebe, Zufriedenheit und Wohlbefinden. Sex. „Keine Zurückhaltung", wispere ich. Raphaels Augen öffnen sich. Das Grün seiner Iriden funkelt mir entgegen und setzt meinen Körper in Flammen. Ein Knistern, welches sich lautstark durch meine Gehörgänge arbeitet. Es explodiert in meinem Kopf mit heftiger Erregung. Seine Hand in meinem Nacken greift mich etwas fester. Ich spüre deutlich den Zug nach vorn. Er stoppt kurz bevor sich unsere Lippen wirklich berühren. Mein Körper bebt elektrisiert, als ich wie gebannt auf die verlockende Süße starre. Allein dieser Moment erfüllt mich so sehr mit Glück, dass ich mit lächelndem Gesicht jeglichem Ende entgegentreten könnte. „Ich habe da so eine gewisse Vermeidungsstrategie...", raune ich verführerisch. Ich schließe meine Augen, als ich das zärtliche Streicheln seines Daumens in meinem Nacken spüre. Direkt über den Haaransatz in meinem Nacken. Es kitzelt. Es kribbelt. Es erfüllt mich mit tiefgreifender Zufriedenheit. Mit erregendem Kribbeln sehe ich, wie Raphael sich sachte auf die linke Seite der Unterlippen beißt und mir seine schönen grünen Iriden entgegenschaut. „Hm, wie wäre es mit einer intensiven Erläuterung und konkretem Anschauungsmaterial?", erwidert er neckend. Seine Worte lassen mich schmunzeln. Er zieht mich in einen intensiven Kuss. Meine Lippen erbeben, pressen sich gierig gegen die des anderen Mannes. Mit jedem Kuss flammt die Sehnsucht in mir auf, die sich all die Jahre in mir angesammelt hat. Sie entlädt sich wellenartig und verzückt meine Synapsen. Das damit einhergehende Verlangen durchfährt mich heiß und brennend. Raphaels große Hände gleiten über meinen Rücken, stoppen am Rand meines T-Shirts und scheinen plötzlich zu ruhen. Das neckische Verweilen treibt meinen Puls nach oben. Ich sehne mich nach dem Gefühl seiner Wärme, dem sanften Kitzeln, welches seine Finger auf meiner Haut hinterlassen. Es ist zuerst sein Daumen, der eine streichelnde Bewegung vollführt. Federleicht über meinem Shirt. Ich merke, wie sich der Stoff leicht nach oben schiebt und wie seine Daumenspitze bei der Rückbewegung für einen winzigen Moment meine Haut streift. Es erfüllt mich mit intensivem Kribbeln. In Sekundenschnelle überziehen Schauer meinen Rücken, wächst bis zur Brust und perlt meine Brustwarzen hervor. Erneut streicht sein Daumen nach oben. Diesmal direkt auf erregter Haut. Unser Kuss stoppt und Raphael gleitet mit der gesamten Hand unter mein Shirt. Seine Linke folgt, nimmt den Weg über meine rechte Seite. Jede seiner Berührungen pulsiert. Es ist süß und süchtig machend. Er streicht mir den Stoff über den Kopf, schiebt ihn nach hinten, sodass er unbeachtet zu Boden segelt. Raphaels Augen fahren fast streichelnd meinen Körper ab, über meine deutlich hervortretenden Brustwarzen. Über die Stelle meiner Brust, unter der sich mein Herz fest gegen den Brustkorb presst. Ob er wirklich versteht, dass mein Herz nur für ihn so heftig schlägt? Er haucht genau in diesen Moment seine Lippen darauf, saugt den bebenden Schlag in sich ein und sieht mich an. In seinen schönen Augen spiegeln sich so viele Emotionen, dass ich zunächst keine Bedeutung erfassen kann. Schuld. Angst. Liebe. Auch ich empfinde diese Mischung. Ich hauche einen Kuss auf seine bittenden Lippen, sehe, als ich ihn wieder löse, wie sich seine Augen genießerisch geschlossen haben. Sie öffnen sich erst wieder, als ich meine Finger durch seine weichen Haare streichen lasse. Es ist Glück, welches mich anblickt. Mein Herz macht einen Satz und schlägt dann noch schneller weiter. Wir werden es schaffen, dessen bin ich mir sicher. Raphael zieht meinen Mund zurück auf seinen. Fast gierig bewegen sich seine Lippen, machen mir deutlich, dass nicht nur ich die Erregung spüre. Seine Zungenspitze streicht über meine Unterlippe. Neckend und bittend. Ich lasse ihn noch nicht gewähren, sondern umschließe seine Unterlippen mit meinem Mund. Ein leichtes Saugen. Raphael erwidert das Necken. Streichelt. Stupst. Liebkost. Ich genieße die sanfte Spielerei, sauge den Geschmack seiner Lippen in mich ein, wie eine seltene Köstlichkeit. Ich schnappe sanft nach seiner Oberlippe, genieße das zärtliche Spiel seiner Zunge, die meine herausfordernd neckt. Ich lecke selbst kurz gegen die Innenseite seiner Oberlippe, höre mit Genugtuung das feine Keuchen, welches vor intensiver Überraschung über seine Lippen perlt. Raphael wiederholt die Bewegung bei meiner. Seine Zunge gleitet über zartes Fleisch. Heftiges Kitzeln erfasst mich durch die sanfte Berührung und ich keuche auf. Mein Mund ist geöffnet und er nutzt es willig. Seine Küsse sind intensiv und erregend. Seine Zunge fordert und streichelt. Die perfekte Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Unendliche Süße gepaart mit schneidendem Verlangen. Seine Liebkosungen lassen mich dahinschmelzen. Ich will mehr. Ich will ihn spüren. Ich beginne sein Hemd zu öffnen. Knopf für Knopf legt sich die feste, perfekte Haut frei. Sie zeichnet sich aus meiner Erinnerung in die Realität und ist so viel besser. Die vollendende Linienführung jeder einzelnen Partie seines Körpers. Ich lasse meine Finger über die definierten Muskeln seiner Brust streicheln, tiefer zu seinem Bauch. Ich mache keinen Halt, sondern öffne sofort den Knopf seiner Hose. Raphael löst den Kuss, folgt mit verklärtem Blick dem Weg meiner Hände. Ich mache damit weiter, dass ich neckisch den Reißverschluss nach unten zippe. Seine Erregung drückt sich deutlich hervor als ich langsam den Reisverschluss auffächere. Unbewusst lecke ich mir über die Lippen, spüre das Bedürfnis, meinen Mund fest um das harte, heiße Fleisch zu legen. Nur der Gedanke an Raphaels Gesichtsausdruck, wenn ich meine Zunge über die feucht glänzende Spitze gleiten lasse, versetzt meinen Körper in Aufregung. Das Wissen darum, dass ich der Erste bin, der das je bei ihm gemacht hat, beflügelt mich. Ich genieße ein weiteres Mal seine Lippen bevor ich von seinem Schoss steige. Doch zu meiner Überraschung beugt sich Raphael direkt nach vorn, küsst meinen Bauch und öffnet mit geschickten Handgriffen meine Hose. Seine warmen Finger gleiten über meinen Beckenknochen, schieben sich unter den Stoff meine Unterhose. Ich versenke meine Hände in seinen Haaren, während er Kuss für Kuss auf meinen flachen Bauch setzt. Je tiefer er geht, umso heftiger regt sich meine Körpermitte. Meine Jeans fällt. Raphaels Hände beginnen zu wandern. Jeden Zentimeter meiner Haut beginnen sie zu erkunden. Sie gleiten meine Seite entlang, machen einen Umweg über meine Brust, wo sie sich zärtlich kreisend meine Brustwarzen annehmen. Raphaels Augen sind geschlossen, während er meinen Körper erkundet. Ich genieße die kleinen Zärtlichkeiten sehr, lasse ihm diesmal sein Tempo. Seine linke Hand gleitet über meinen Bauch. Die Rechte wandert von Wirbel zu Wirbel bis sie an meinem Steißbein angelangt und dort nur ein Finger den beginnenden Ansatz meines kleinen Hinterns lang streicht. Ich erschaudere unter seinen Berührungen, zergehe bei dem Gefühl, dass er ebenso genießt. Die Angst davor, dass es ihm zu fremd und ungewohnt ist, ist noch immer groß. Raphaels warme Hände gleiten über meine Hüfte. Seine Lippen hauchen einen Kuss direkt auf meinen kleinen, etwas knubbeligen Bauchnabel. Er blickt auf und ich weiß, wenn ich das Bild jetzt betrachte, dass ich vor Erregung zusammenbreche. So ist es. Der verklärte Blick. Die verwuschelten Haare und meine harte Erregung, die sich nur wenige Zentimeter von Raphaels wohlversprechenden, aber unerfahrenen Lippen unter dem dünnen Stoff regt. Ob ihn bewusst ist, wie verführerisch dieser Anblick für mich ist. Ich schlucke, sauge das Bild gierig in mich hinein und drücke ihn fix zurück in die Kissen. Ich suche seine Lippen, berausche mich an der betörenden Süße und schaffe es mit seiner Hilfe, dass auch seine Hose samt Shorts gen Boden segelt. Die Wärme seiner Haut trifft auf meine als ich mich ebenso nach auf seinem Schoss niederlasse. Ich keuche genüsslich auf, während mein Körper sofort reagiert. Gänsehaut breitet sich, sorgt dafür, dass ich noch intensiver auf seine Berührungen reagiere. Das gefällt auch Raphael. Neckend tippen seine Finger gegen meine harten Brustwarzen. Das lauter werdende Keuchen, welches dabei den Raum erfüllt, erregt uns beide gleichermaßen. Ich will ihn spüren. Jetzt. Sofort. Ich umschließe seine Härte mit der Hand, spüre die wohltuende Hitze und unterbreche Raphaels überraschtes Stöhnen durch einen Kuss. Er zieht scharf die Luft ein, als ich ihn noch fester umschließe und dann eine pumpende Bewegung beginne. Vorsichtig, aber deutlich. Ich löse den Kuss. „Hast du das Öl noch hier?", erkundige mich, raune die Worte heiß in sein Ohr. Mit geschlossenen Augen wandert Raphaels Hand unter einen der Kissenhaufen. Er findet das Fläschchen nicht sofort. Doch als er es endlich hat, ziert sein Gesicht ein freches und zu gleich atemberaubendes Lächeln. Ich kippe mir etwas Öl auf meine Hand und lasse es von dort auf die Spitze von Raphaels Härte laufen. Ich sehe dabei zu, wie die Tropfen über die zarte Haut fließen. Streichelnd. Liebkosend. Ich strecke meine Hand danach aus, gleite mit meiner Fingerkuppe den feuchtenglänzenden Pfad nach. Das Zucken des heißen Fleisches erregt mich. Raphael keucht leise, aber intensiv auf. Ich folge einem weiteren Tropfen über die feingeäderte Haut. Die hauchzarte Berührung weckt Raphaels Neugier. Er sieht dabei zu, wie meine Finger seine Erregung erkunden, wie sie zärtlich seinen Hoden massieren. Ihn sanft liebkosen. So lange, bis mir das heftige Verlangen meines eigenen Körpers den letzten Rest Geduld raubt. Ich schiebe mein Becken dichter an seins. So, dass unsere Erregungen kurz gegeneinanderstoßen. Dann umfasse ich sie beide. Meine eingeölten Finger wandern flink über die erhitzten Körpermitten. Die Reibung. Seine Härte. Die Hitze, die von ihm ausgeht. Ich bin ihm Himmel. Es fühlt fantastisch an. Raphaels Blick ist ungebrochen. Wie gebahnt blickt er auf unsere Berührung und schaut dabei zu, wie meine Hand unsere Schwänze aneinanderdrückt und genüsslich auf und an gleitet. Ich kann sehen, wie sich sein Brustkorb schneller und schneller hebt und senkt. Dann blickt er auf, sieht mich direkt an. Meine Bewegung stoppt und ich halte unbewusst die Luft an. Pures Verlangen blickt mir entgegen. Das Grün seiner Augen ist tiefer, dunkler. Berauschend. Allein der Anblick lässt mich genüsslich aufstöhnen. Raphaels Hand wandert zu meiner. Sie ist größer und umfasst uns nur noch fester. Nur noch intensiver. Die Reibung nimmt wieder zu und ich Rolle genießend die Augen zurück. Mein Körper bebt und mein Verstand bettet sich in wohlige Wolken der Glückseligkeit. Ich zucke nur kurz, als ich merke, dass ich nahe vor dem Orgasmus bin. Raphael stoppt, zieht selbst scharf die Luft ein und beißt sich kurz auf die Lippe. Er zieht mich in einen Kuss, kostet mich ausgiebig. Noch immer spüre ich diese warme, wohltuende Hand um meine Erregung und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass er es ist, der mich zum Höhepunkt treibt. Sein Daumen und Zeigefinger reiben sich sanft kreisend über meine Eicheln. Ich zucke und zergehe unter dieser intensiven Berührung. Es raubt mir den Verstand. Ich keuche rau seinen Namen und Raphael stoppt. „Nicht aufhören", bettele ich. Er greift mir mit der Hand in den Nacken und zieht mich in einen Kuss. Heiß empfängt mich seine Zunge. Neckt und lockt. All die wunderbaren Empfindungen durchströmen mich mit Inbrunst und treiben meine Erregung in ungeahnte Höhen. „Können wir vielleicht...", keucht er mir mit geschlossenen Augen entgegen. „Alles, was du willst...", erwidere ich grinsend ohne genau zu wissen, was er sich vorgestellt hat. Raphael leckt sich über die Lippen. "Dann richtig..." Die Formulierung lässt mich schmunzeln. „Ja...", hauche ich ihm entgegen. Ich taste ein weiteres Mal nach dem Öl, kippe mir blind etwas in die Hand und ignoriere die Tatsache, dass sicher einiges auf die Couch getropft ist. Wozu gibt es Decken. Ich bereite mich ungeduldig vor, genieße währenddessen Raphaels streichelnden Hände. Sie tasten sich zu meinen Hintern, zeichnen die sanften Rundungen und den Übergang zu meinen Schenkeln nach. Necken und forschen. Alles nach und nach. Dennoch erfreut mich der Gedanken, dass der andere Mann jetzt schon mutiger wird. Es macht mich glücklich. Meiner Ungeduld ist es geschuldet, dass ich nicht lange mit der Vorbereitung verbringe und mein Becken erwartungsfroh über ihn kreisen lasse. Raphael legte seine Hände an meine Hüfte. Ich greife seine Härte, doch er hält mich zurück. „Kann ich?" Ich nicke, lege gehorchend meine Hände auf seine Schultern, streichele seinen Nacken und schule meine Geduld bei der zaghaften Führung des Mannes, den ich so sehr begehre. Ich stöhne genüsslich auf, als er zum größten Teil in mir eingedrungen ist, lasse ihn spüre, wie sehr es mir gefällt, ihn so intensiv zu fühlen. Das Glück, welches ich empfinde, lege ich in den Kuss, den ich ihm auf die Lippen drücke, als er sich komplett in mir versenkt. Raphael stöhnt tief und wohlig in meinen Mund. Ich beginne mein Becken zaghaft kreisen zu lassen, beobachte jede winzige Regung in dem Gesicht des anderen Mannes. Seine feuchtglänzenden Lippen. Sein Griff um meine Hüfte wird fester und er führt mich tiefer in seinen Schoß, stößt nach oben, wenn ich mein Becken senke. Das intensive Gefühl arbeitet sich durch meinen gesamten Körper. Ich möchte nichts anderes mehr spüren. Nur noch ihn. Es fühlt sich so unglaublich gut an ihn in mir zu spüren. Unsere Bewegungen nehmen an Tempo auf. Ich lehne mich weiter nach vorn, sodass Raphael mehr Bewegungsfreiraum hat. Er nutzt ihn, beginnt schneller und intensiv nach oben zu stoßen. Ich genieße die Reibung und das angenehme Gefühl, wenn er über einen bestimmten Punkt in meinem Körper reibt. Ich stöhne laut und freimütig, wenn er ihn trifft. Er soll wissen, dass er es ist, der mir diese Geräusche entlockt. Irgendwann wird es ihn noch bewusster stimulieren und die Vorfreude darauf lässt meinen Leib nur noch intensiver spüren. Ich beginne mich selbst zu befriedigen, merke, wie der Druck in meiner Lendengegend immer stärker wird bis er sich entlädt. Ich komme heiß und zuckend. Raphael presst mich gegen sich, zieht die Geschwindigkeit seiner Stöße an und dann kommt auch er. Ich spüre seine Hitze in mir und genieße das Gefühl vollkommen erfüllt zu sein. Als sich unsere Atmung etwas beruhigt hat, stehle ich mir einen zärtlichen Kuss. Genieße das sanfte Beben, welches noch immer durch den Körper des größeren Mannes zuckt. Raphaels Augen sind geschlossen. Er genießt tatsächlich jeden Moment. Jeden Kuss und jede Berührung. Das Wissen darum durchfährt mich mit Glück und tiefreichender Zufriedenheit. Als ich mich von ihm löse, sieht er auf. Ich deute ihm nur kurz an, dass ich ins Badezimmer verschwinde und finde ihn unverändert vor, als ich wieder zurückkomme. Ein paar Strähnen seines dunklen Haares kleben auf seiner Stirn, rahmen sein friedliches Gesicht wie akzentuierter Schatten. Ein Bild für die Götter. Ich muss hart dagegen ankämpfen nicht direkt nach einem Stift und Papier zu suchen. Dieser Körper ist mit Sicherheit der Himmel auf Erden. Alles an ihm. Mit nur einem geöffneten Auge sieht er mir entgegen und streckt dann beide Arme nach mir aus. Vor ihm bleibe ich stehen, berühre seine Hände, aber gebe seiner Geste nicht nach. „Du solltest auch ins Bad gehen...", sage ich mit einem Blick auf seine feuchtglänzende und noch immer halbsteife Körpermitte. Raphael spart sich den Blick in die unteren Regionen, lässt seine Arme ausgestreckt und seufzt. „Okay, dann helfe mir hoch..." Wieder blickt er mir mit nur einem Auge entgegen. Ich greife seine Hände fester und gebe mein Bestes. Er bewegt sich kein Stück. Wie sollte es auch. Raphael ist ein gutes Stück schwere als ich. „Das müssen wir nochmal üben...", gibt er lächelnd von sich. Ich greife seine Hände erneut und erschrecke, als er mit einem Mal auf mich zukommt. Raphael hält mich fest, als ich beinahe nach hinten falle. „Entschuldige..." Ein Kuss und dann schiebt er sich an mir vorbei. Ich widerstehe dem Drang ihm nach zu sehen keine Sekunde, beobachte die perfekten Rundungen seines Hinterns. Wie sie sich bei jedem Schritt leicht nach oben ziehen, wie die Muskeln sich definieren und die sanfte Kuhle im äußeren Bereich entsteht. Allein dieser Anblick lässt meine untere Körperregion trotz ausgiebiger Versorgung erneut erwartungsfroh zucken. Ich muss aufpassen, dass ich bei diesem Kerl nicht zum Nymphomanen werde. Ich brauche dringen auch in Raphaels Wohnung einige Malutensilien. Ich greife nach einer der Tassen auf dem Tisch. Der Tee ist mittlerweile kalt. Es ist mir egal. Nach dem leeren der Tasse mache ich mich auf die Suche nach meiner Unterhose, finde sie nahe dem Schreibtisch und trabe ins Schlafzimmer. Als ich meinen Kopf in das Kissen bette, umnebelt mich sofort Raphaels Geruch. Er ist prägnant und intensiv. Ich schließe meine Augen, lasse den Duft immer tiefer in mich eindringen bis ich das Gefühl habe, in einer sanften Wolke des Vergessens zu schweben. So viele Wolken. Heißt es deshalb Wolke 7? Ich ziehe auch die Decke an mich heran, umschlinge sie mit sämtlichen Gliedmaßen und bin eingeschlafen, bevor Raphael zu mir ins Bett kommt. Das durchringende Klingeln ist für mich zunächst nur Teil eines chaotischen Traumes. Ich sitze wieder in der Schule, kauere in meinem Versteck auf der Tribüne und warte darauf, dass Raphael die Leichtathletiktruppe trainiert. Ich warte und warte, doch der Kerl mit den tiefgrünen Augen taucht einfach nicht auf. Stattdessen ist es meine Schwester. Ihre blauen Iriden scheinen zu funkeln und stillschweigend deutet sie auf das Spielfeld. Als ich dort hinsehe, steht mit einem Mal einer der herbstgefärbten Ahornbäume mitten im künstlichen Grün und alle Blätter fallen ab. Die Bewegung neben mir reißt mich vollends aus den merkwürdigen Bildern. Raphael sitzt bereits aufrecht. Es klingelt erneut. Er tastet nach seinem Handy, doch als er es einfach nicht finden kann, steht er auf. Ich starte einen weiteren Versuch die Uhrzeit herauszubekommen und finde mein Handy nach dem zweiten Patschen. Es ist halb eins Uhr. „Mark,...", ruft mir Raphael mit rauer, verschlafener Stimme aus dem Flur entgegen und ich schiebe verwundert meine Beine aus dem Bett. Ich greife mir meinen Pullover und ziehe ihn mir im Gehen über. Trotzdem trifft mich der kühle Luftzug völlig unvorbereitet. Im Wohnungsflur sehe ich fragend zu dem muskulösen Mann und dann erst zu der Person, die neben ihm steht. Ihre langen blonden Haare wurden nur schnell in eine Haarklammer geschoben. Ihr ungeschminktes Gesicht wirkt müde. Sie wirkt ungewöhnlich alt. „Mama, was machst du so spät hier?", frage ich perplex. Kapitel 23: Wenn sich eine Tür schließt… ---------------------------------------- Kapitel 23 Wenn sich eine Tür schließt… Ich trete näher zur Tür. So, als würde ich nur durch die räumliche Nähe wirklich begreifen, dass ich nicht träume. Doch tatsächlich blickt mir meine Mutter mit müden Augen entgegen. „Ich war erst bei deiner Wohnung, aber ihr wart ja nicht dort" Ein fast beschämtes Lächeln huscht über ihre Lippen. Der hilflose Versuch einer Erklärung lässt mich schmunzeln. Ich schaue noch einen Moment irritiert zu ihr und sehe ohne etwas zu antworten zu Raphael. Er wirkt nicht weniger verunsichert als ich. „Komm doch erstmal rein... Es ist ganz schön kalt", sagt Raphael freundlich und schiebt mich sanft von der Tür weg, damit sie eintreten kann. Auch er trägt nicht mehr als ein T-Shirt und eine blaukarierte Haushose. Keine Schuhe. Keine Socken. Die kalte Luft, die in die Wohnung zieht, ist wirklich frostbeulenfördernd. Meine Mutter zieht sich das Tuch vom Hals und ich nehme ihr, mit vor Verunsicherung bibbernden Fingern die Jacke ab. Doch danach will es mir einfach nicht gelingen den Garderobenhaken zu treffen. Erst als der andere Mann nach meiner Hand greift, sie stabilisiert und sie zur Aufhängung führt, gelingt es mir das Kleidungsstück ordnungsgemäß zu verstauen. Dann gleitet seine Hand zu meiner Schulter. Ein Lächeln. Aufmunternd. Zärtlich. „Ich lasse euch allein", sagt Raphael, doch er wird von meiner Mutter zurückgehalten. „Nein, bleib bitte. Es betrifft dich genauso, wie Mark." Ihre schmale Hand legt sich auf seinen Unterarm und bildet einen ebensolchen Kontrast mit seiner Haut, wie auch meine es macht. „Ich möchte euch auch nicht lange vom Schlafen abhalten. Aber ich hatte einfach das Bedürfnis, noch einmal mit euch zu reden. Mit euch beiden. Mich auch zu entschuldigen und dabei ein paar Dinge klarzustellen." Obwohl ihre Stimme ruhig klingt, verursachen mir ihre Worte einen Anflug von Panik. Klarstellen? So ein hartes Wort. Unwillkürlich versteife ich mich, spüre, wie sich mein Pulsschlag beschleunigt und wie meine Hände wieder deutlicher zu zittern beginnen. Nach nur wenigen Sekunden rammt sich mein Herz vor Aufregung hart gegen meinen Brustkorb. „Möchtest du etwas trinken. Einen Tee vielleicht?", frage ich, bezwecke damit im Grunde nur eine kurze Unterbrechung, um mich zu sammeln. Ihr nächtliches Auftauchen hat mich durcheinandergebracht. Zu meiner Erleichterung geht sie darauf ein. Raphael führt sie in die Küche und ich frage mich, ob sie schon mal hier gewesen ist. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie intensiv die Beziehung zwischen Raphael und meinen Eltern gewesen ist. Sie haben sich von Anfang an gut verstanden. Wieso auch nicht. Raphael ist hilfsbereit, umgänglich und höflich. In der Hinsicht ist Raphael der perfekte Schwiegersohn. Dass ich nichts darüber weiß, liegt daran, dass ich jegliche Informationen im Zusammenhang mit ihm und Maya konsequent überhört habe. Und es auch genauso wollte. Raphael nennt meine Mutter beim Vornamen. Schon bei seiner Rückkehr und der scheinheiligen Tortenschlacht war es mir aufgefallen. Es ist für keinen von uns leicht. Ich sehe den Flur entlang zur erleuchteten Küche und versuche ihnen gefasst zu folgen. Es dauert einen Moment. Das Wasser beginnt sanft zu sieden und dabei leise zu brodeln und zu zischen. Meine Füße sind kalt. Der Versuch Raphael noch bei den letzten Teevorbereitungen zu helfen, misslingt, weil der Größere mich einfach zum zweiten Stuhl schiebt. Das Geräusch des kochenden Wassers erfüllt den Raum. Ich schaue zu meiner Mama. Sie lächelt. Mein Pulsschlag legt noch eine Schippe nach als sich ihre Hand auf meine legt. Wir warten ab bis sich der Geräuschpegel senkt und Raphael zwei Tassen vor uns auf den Tisch stellt. Er bleibt mit seiner eigenen an der Spüle gelehnt stehen. Ein Früchtetee für meine Mutter und ein Kräutertee für mich. Fenchel-Anis-Kümmel. Ich starre einen Moment auf den feinen Dampf, der sich tänzelnd von der warmen Flüssigkeit absondert. Mama zieht ihre Hand zurück und die Tasse näher an sich heran. „Dein Vater und ich haben miteinander gesprochen. Wir sind nicht ganz bei allem einer Meinung, aber wir sind nicht gegen eure Beziehung, wenn ihr es wirklich ernst meint. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass es zunächst den gegenteiligen Eindruck erweckt haben könnte." Sie blickt erst zu mir und dann zu Raphael. Sie sind nicht dagegen. Es echot eine Weile in meinem Kopf umher. Immerhin. Der Verweis nach der Ernsthaftigkeit unserer Beziehung verunsichert mich trotzdem. Meine Mutter klingt dazu schrecklich geschäftsmäßig. Fast diplomatisch. Es ist ein Schutzreflex. Ich schaue wieder auf meine dampfende Tasse und schaffe es nicht mich darüber zu freuen. „Bitte, versteht, dass wir noch ein bisschen Zeit benötigen um das alles hundertprozentig zu begreifen." Die schlanke Hand legt sich erneut auf meine. Ich schiele zu ihr. Die schlanken Finger sind warm und weich. Diesmal schaffen sie es mich zu beruhigen. „Ihr merkt sicherlich, dass das auch für uns eine äußerst seltsame und schwierige Situation ist, aber nicht, weil ihr entschieden habt zusammen zu sein. Sondern wegen des Drumherums." Seltsam? Bizarr trifft es eher. Ich halte mich zurück. Es fällt mir schwer. Raphael verschränkt die Arme vor der Brust und sieht zu mir. „Was ist mit Maya?", fragt er leise und irgendwie bedrückt. Dass er meine Schwester mit einer derartig besorgten Stimme erwähnt, lässt die negativen Gefühle in mir wieder aufflammen. Ich kämpfe dagegen an, indem ich mir erkläre, dass Raphael nicht der Typ dafür ist, jemanden abrupt zu verprellen. Die Gefühle werden noch intensiver, als ich mir sage, dass er jedes Recht dazu hat. Ich bin da radikaler. Vielleicht auch etwas zu nachtragend. Ich führe mir ablenkend die Tasse zum Mund. Zum Trinken ist es noch zu heiß, also ziehe ich nur den beruhigenden Hustenbonbonduft in mich ein. „Wir werden auch noch mit Maya reden und gemeinsam beraten, welche Schritte nötig sind und was passieren muss..." Maya sind diese unangenehmen Gespräche bisher erspart geblieben. Es ärgert mich. Wieder sind es die Samthandschuhe, mit denen sie angefasst wird. „Eine Therapie wäre gut...", murmele ich der heißen Flüssigkeit entgegen, verursache kleine Wellen auf der gelblichen Oberfläche und bin mir nach einem Moment eisiger Stille sicher, dass alle Anwesenden es gehört haben. Der Blick in das Gesicht meiner Mutter bestätigt es. Ich hätte ihn mir sparen sollen. Genauso wie den Kommentar. „Richtig und ich plädiere für Familiensitzungen..." Ich blicke ihr entgeistert entgegen. Sie kann doch nicht glauben, dass ich mich darauf einlasse. Niemals. Never. Nunca. Aldrig. Bei der schwedischen Version bin ich mir nicht ganz sicher, ob es nicht doch der Name einer Frischkäsefirma ist und hänge in Gedanken noch die niederländische Version mit ran. Nooit. Währenddessen schüttele ich durchgängig den Kopf. Mamas Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie es bitterernst meint. Ich lehne mich zurück. Sie macht dieselbe Bewegung. Nur nach vorn. Ihre schlanken Finger verschränken sich ineinander. „Auch wenn du im Moment nur zu Recht sauer auf sie bist, weiß ich, dass ich dir nicht sagen muss, dass auch du eine Teilschuld an den Geschehnissen trägst. Genauso, wie dein Vater und ich. Es ist nicht leicht. Für keinen von uns und auf Maya, das verspreche ich dir, wird dieses Mal keine grundsätzliche Rücksicht genommen." Ich bin trotzdem resigniert, „Schatz, ich habe immer bewundert, dass du nicht auf den Mund gefallen bist und dass du deinen Weg gehst. Maya konnte das nie so leicht und ich bitte dich nur darum, weiterhin der Stärkere zu sein." Pah. Mein ganzer Körper ist erfüllt von kindischem Trotz und ich bin mir sicher, dass meine Mutter das sieht. Sie kennt mich. Sie weiß um meine Reaktionen. „Das Los des Älteren. Fantastisch. Ein Hoch auf Zurückhaltung und Stillschweigen." Nun kann ich mir den Spruch doch nicht verkneifen. Der Zynismus in meiner Stimme schlägt nun langsam kleine Bläschen und meine Finger verkrampfen sich um den Henkel der Tasse. Ich weiche ihrem Blick aus. „Du bist der Vernünftigere." Ein Appel an meine Vernunft. Trotz Widerwillen versenkt er meine bissige Angriffslust. Ach verdammt. Meine Hand lässt locker und ich ziehe sie in meinen Schoß. Unbewusst beginne ich mit dem Daumen über den Verband an meiner Hand zu fahren. Durch die Berührung beginnt der Schnitt leicht zu pulsieren. Ich mahne mich dazu, besser aufzupassen. Sorgsamer zu sein. Das klappt garantiert nicht. „Therapie schön und gut, aber ich glaube kaum, dass sich Maya mit mir an einen Tisch setzt. Weder allein, noch als Gruppe." Die Wahrscheinlichkeit ist eins zu einer Milliarde. Im Moment wirkt die Vorstellung, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, auch reichlich absurd für mich. Genauso wie diese seltsame Idee einer Familientherapie. Unwillkürlich sehe ich zu Raphael. Die Augen meiner Mutter wandern ebenfalls zu dem anderen Mann. Raphael lehnt mit verschränkten Armen an der Spüle und blickt ihr entgegen. Was soll dieser Blick? Ich verstehe ihn nicht. Meine Mutter streicht sich eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr und gibt einen müden Laut von sich. Wir sind alles nur geschafft. „Ich denke, dass wir alle etwas Zeit zum Nachdenken und Runterkommen brauchen. Etwas Ruhe", schlägt Raphael schlichtend und zurückhaltend vor. Der Diplomat schlechthin. Ich nehme einen Schluck vom Tee. Durch das lange Ziehen ist er stark und herrlich beruhigend. „Raphael hat Recht. Es ist jetzt auch schon sehr spät und wir brauchen alle eine Mütze Schlaf", bestätigt meine Mutter den Vorschlag, nimmt einen Schluck Tee, streicht sich dann die Feuchtigkeit von den leicht trockenen Lippen und richtet sich auf. Ich folge ihr aus der Küche. Raphael sieht uns nach. An der Tür bleibt meine Mutter stehen. Sie zieht sich die Jacke über die schmalen Schultern und greift in die Innentasche. Sie holt die schmale silberne Kette hervor. „Warum hast du es so lange stillschweigend mit dir herumgetragen?", fragt sie leise und ich weiß, dass sie damit nicht die Kette meint. Mein Kopf schüttelt sich ausweichend. Es graute mir vor der Enttäuschung in ihrem Blick, wenn ich zugebe, dass mir schlicht und einfach der Mut fehlte. Ganz einfach und ebenso blamable. „Ich wollte euch einfach nicht enttäuschen..." „Schatz, darüber hättest du dir nie Gedanken machen müssen. Dein Vater und ich lieben dich und wir wollen, dass du glücklich bist. Völlig egal, ob mit einer Frau oder einem Mann", sagt sie, streicht mir über die Wange und legt mir die Kette in die Handfläche meiner gesunden Hand. Der Anhänger liegt so, dass ich das Datum sehen kann. In meinem Bauch beginnt es, wie wild zu kribbeln. Ihre Hände drücken meine fester. Die schmalen, vertrauten Finger, die so viel Stärke und Kraft besitzen. Ich erinnere mich an die Geborgenheit, die sie mir stets schenkten und auch immer noch geben. „Weißt du, als Mutter wollte ich immer nur, dass du und Maya ein ausgeglichenes und gutes Verhältnis zueinander habt." Definitiv fehlgeschlagen. Sie streicht ein paar Falten auf meinem Pullover glatt. Ihre Hand bleibt auf meiner Brust liegen. Das feine Seufzen ist leise und kaum wahrnehmbar. Sie gibt sich ebenfalls Schuld an dem schlechten Verhältnis zwischen mir meine Schwester. „Bitte versprich mir, dass du versuchen wirst mit deiner Schwester ins Reine zu kommen." Ich kann verstehen, warum sie es sich wünscht, dass ihre beiden Kinder ohne Groll gegeneinander leben sollen. Doch im Moment widerstrebt es mir, darauf mit einem absoluten Versprechen zu antworten. „Mama, ich weiß nicht, ob ich das einfach so kann...", gestehe ich ehrlich. Sie nickt. „Ich weiß. Ich wünsche es mir nur." Sie nimmt mich in den Arm und seufzt leise, aber nicht vorwurfsvoll. Sie haucht mir einen Kuss auf die Stirn und streicht mir ein letztes Mal zärtlich über die Wange. Ich flüstere ihr ein 'Fahr vorsichtig' zu und schließe hinter ihr die Tür. Ich bleibe stehen. Es wird nicht einfach werden ein normales Verhältnis zu Maya aufzubauen. Immerhin hatten wir nie ein wirklich intaktes, geschwisterliches Miteinander. Deshalb ist mir gar nicht wirklich klar, wie ein solches aussehen muss. Wenn sie ein Bruder wäre, wäre es sicher einfacher. Wenn sie ein Bruder wäre, dann wäre es gar nicht dazu gekommen, antwortet mir mein Verstand bitter. Wahrscheinlich würde ich Raphael noch immer nur aus der Ferne beobachten. Das Gefühl in meiner Brust wird wieder schmerzhaft. Ich seufze leise, streiche mir über die kühle Haut meines linken Armes. Als ich mich letztendlich umwende, sehe ich direkt zu dem Mann mit den schönen grünen Augen. So schlimm es auch war, dass er jetzt an meiner Seite ist, resultiert auch daraus und dafür bin ich dankbar. Raphael ist an der Schlafzimmertür stehen geblieben. Ich weiß nicht, ob er uns beobachtet hat oder ob er in diesem Moment aus dem Zimmer gekommen ist. Es ist auch egal. Aus seinem Blick schreit mir so viel Sorge entgegen, dass es mir fast unangenehm ist. Ich schaue auf die Kette in meiner Hand und sehe dann zum ursprünglichen Besitzer. Unter seinem dünnen Oberteil zeichnet sich sein muskulöser Körper ab. Meine Augen wandern tiefer. Ich stelle mir den definierten Bauch vor. Der kleine Bauchnabel eingebettet zwischen Muskeln und dem verführerischen Pfad aus gestutztem Haar. Der Kerl sieht selbst im schlimmsten Schlabberoutfit perfekt aus. Im Gegensatz zu mir. Es ist ein Traum. Ist es wirklich wahr? Steht er tatsächlich dort vor mir? Ich gehe auf ihn zu und er macht genau das, was ich mir in diesem Moment sehnlich wünsche. Er nimmt mich in den Arm. Beschützend. Beruhigend. Diese Geste. Diese sanfte Berührung bedeutet mir in diesem Augenblick einfach alles. Mit geschlossenen Augen nehme ich den vertrauten Geruch des anderen Mannes nur noch deutlicher wahr. Und auch das Gefühl seiner warmen Finger auf meiner Haut ist viel intensiver. Seine Hand streicht in meinen Nacken, über meinen Hals und vollführt kleine Kreise am Ansatz zu meinen Haaren. Es fühlt sich unglaublich gut an. Fast ein wenig unwirklich. „Wir sollten uns wieder in die Decke kuscheln...", schlägt er vor. Raphaels Worte sind nur ein leises Flüstern, begleitet mit einem sanften Kuss, den er mir in die Halsbeuge haucht. Ich folge ihm anstandslos, falle neben ihn in das kühle Bettzeug. Meine Augen bleiben die ganze Zeit geschlossen. Ich liege noch eine Weile wach, denke an die vergangenen Stunden. Mayas Vorwürfe. Die Bitte meiner Mutter. Doch dann umfängt mich die Müdigkeit mit der Intensität eines Hammerschlags. Ich schlafe unruhig und ebenso unerholt fühle ich mich, als ich am Morgen erwache. Ich spüre Raphaels warmen Atem in meinem Nacken, genieße das Gefühl seiner Nähe und rühre mich erst, als ich merke, dass er wach wird. Lange bleiben wir liegen, reden und küssen uns. Wir beschließen den Montag zu schwänzen. Wir brunchen eine Kreation aus Pfannkuchen mit süßem Aufstrich und Geflügelstreifen mit Avocado-Schafskäse-Dip. Ich fühle mich durch und durch bekehrt. Den Rest des Montags verbringen wir mit Univorbereitungen und dem angenehmen Gefühl der Zweisamkeit. So freudig mein Herz schlägt, wenn Raphael sich neben mir niederlässt oder mir eine sanfte Berührung schenkt, so seltsam ist es. Ich muss mich erst noch daran gewöhnen, den Mann, den ich so lange als scheinbar unerreichbar begehrte, an meiner Seite zu haben. Ihm geht es genauso, das merke ich vor allem an der Art und Weise, wie er mich berührt. Zurückhaltend. Manchmal unsicher und doch immer sanft und liebevoll. Dennoch tun uns die Ruhe und die Nähe sehr gut. Am Dienstag fahren wir gemeinsam zur Uni. Vor meiner ersten Vorlesung versuche ich Shari zu erreichen. Sie geht nicht ans Telefon. Ich tippe eine Nachricht, ertappe mich dabei, dass ich die gesamte Zeit über auf mein Handy starre und auf eine Antwort warte. Nichts. Ist sie wieder auf Projektfahrt? Sie hat nichts erwähnt. Zur Mittagszeit trabe ich zu unserem gewohnten Treffpunkt. Keine Shari. Ich sehe auf die Uhr. „Hey mein Freund und Kupferstecher...", ertönt es hinter mir. Ich sehe den Wuschelkopf von Paul auf mich zu kommen. Ob er weiß, dass diese Redewendung ursprünglich negativ gemeint ist? Noch bevor die Begrüßung vollendet an mein Ohr dringt, spüre ich Pauls Arm an meiner Schulter. Er packt mich regelrecht und drückt mich an sich. „Ich favorisiere den Siebdruck!", quietsche ich vor lauter Druck. Seine lockigen Haare krabbeln mir über die linke Gesichtshälfte. Sogar über meine Lippen. Das Grauen. Nur noch ein paar mehr Haare in seinem Gesicht und er wäre das perfekte Klammeräffchen. „Ja, genauso wie Eindruck, Nachdruck, Blutdruck ...", setzt Paul fort. Ich komme nicht umher zu grinsen. „Eher Tiefdruck und Hochdruck." setze ich im Sinne des eigentlichen Handwerks fort, puste übertrieben die metaphorischen Fellknäule von meiner Zunge und starre ihm mit nur einem Auge irritiert entgegen. „Sonnenschein ist toll", kommentiert Paul und ich sehe ihn für einen Moment verstört an. Es dauert, bis ich verstehe, wie er plötzlich auf gutes Wetter kommt. In mir meldet sich der Meteorologe. Heute sieht es eher nach Regen aus. Das Grinsen in Pauls Gesicht wird immer breiter und bedeutet sicher nichts Gutes. „Und hast du es dir überlegt?", erkundigt er sich und ich mache wieder ein dummes Gesicht. Vielleicht sollte ich es aufbehalten. Etwas Zeitsparender. Es folgt ein weiterer Quetschversuch als sich Paul wieder um meinen Hals wirft. Ich überlebe nur mit Hängen und Würgen. „Überlegen? Was?", keuche ich übertrieben nach luftringend und atme erfreut tief ein, als er mich loslässt. „Du hast es vergessen...", wimmert er mir entgegen und schafft es ein Gesicht zu machen, das tatsächlich sofort mein Mitleid kitzelt. „Das Angebot von der Campuszeitung. Die Comicseite?" Es macht Klick. Nach all dem Hin und Her mit meiner Familie, habe ich nicht mehr daran gedacht. „Ich weiß nicht, Paul. Ich glaube nicht, dass ich eine solch anspruchsvolle Tätigkeit in meinem Stundenplan integriert bekomme..." Die wirren Augenbrauen des anderen Mannes wandern unbeeindruckt und abwechselnd nach oben. So entkomme ich dem Ganzen also nicht. Ich sehe eine Weile dem akrobatischen Spektakel zu und krame derweil in meinem Ausredenportfolio nach einer passenden Ausweichmöglichkeit. Wieso eigentlich? Abgesehen vom möglichen und sehr wahrscheinlichen Zeitaufwand klingt es spaßig. Zudem könnte ich so mein Bedürfnis kreativ zu arbeiten erfüllen. Bei der Unmenge an Theorie, die gerade auf mich einbricht, wäre das ein guter Ausgleich. Die Abwägeschaukel in meinem Kopf kippt immer mehr ins Positive. Pauls Augenbrauen sind mittlerweile stehen geblieben und er sieht mich verwundert an „Schlaganfall oder denkst du nach?", fragt er mich. Ich verziehe das Gesicht, sodass als Antwort nur noch Schlaganfall übrigbleibt und schiebe dann seine grinsende Visage weg. „Komm schon, Mark. Das wird sicher lustig und wir könnten deine Hilfe gut gebrauchen." „Wir?" Meine linke Augenbraue hebt sich in die Höhe. „Ja, ich schreibe auch für die Zeitung. Ich bin der Typ, der die lustigen Rechtsfragen beantwortet." Paul lässt seinen Rucksack auf den Boden fallen. „Diese 'Mein Mitbewohner hat einen Hamster. Darf ich ihn füttern, wenn er in mein Zimmer kommt?'- Fragen?" Meine Augenbraue bleibt oben. „Lieber nicht nach Mitternacht füttern. Am besten auch keinem Sonnenlicht aussetzen und nicht nass machen", kommentiert er trocken. „Hamster sind keine Gremlins. Das ist dir klar, oder?" „Kannst du das beweisen? „Heißt es nicht 'Man ist so lange unschuldig, bist die Schuld bewiesen ist?'" „'in dubio pro reo'. Im Zweifel für den Angeklagten. Und Hamster sind gruselig, genauso wie Gremlins." Dicke Bäckchen, süße Ohren und flauschige runde Körper. Irgendwie passt das für mich nicht zu dem Begriff gruselig. Die schwarzen, runden Knopfaugen hingegen schon. Egal, von welcher Seite man schaut, sie scheinen einen immer anzustarren und zu verfolgen. Ähnlich, wie bei den Postern von 90er Jahre Boybands, die man in Zeitschriften fand. Horrormäßig. „Kindheitstrauma?", frage ich. „Vom Feinsten. Ich war 5 Jahre alt und meine Cousine meinte der Film sei lustig. Von wegen. Am gleichen Abend hat sich mein Hamster aus dem Käfig befreit. Als ich in der Nacht wachgeworden bin, saß er direkt vor meinem Gesicht und bleckte die Zähne." Sowas nennt man wohl einen dramatischen Zufall. Paul formt mit seinen Händen kleine Pfötchen und zieht seine Oberlippe hoch. Er erinnert mich mehr an ein verstörtes Häschen. Ich verkneife mir ein amüsiertes Lachen. Der Ärmste. „Ich schwöre dir, der hätte als nächstes meine Nase angeknabbert." Die Panik in seinem Gesicht ist offensichtlich. Ich bin mir sicher, dass er den Hamster danach nicht mehr lange hatte. „Ich glaube, ich habe die Idee für den ersten Comicstrip...", sage ich lächelnd, ernte von Paul einen beleidigten Stupser und dann ebenfalls ein verstehendes Lächeln. Breit und zufrieden. „Ich werde dich eine Woche hassen, wenn du das machst, aber ich nehme das jetzt als ja." Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, zurück zu rudern, doch dann nicke ich bestätigend. „Hast du Shari heute schon gesehen?", frage ich und sehe mich im Flur um. „Nein, hat er nicht...Hej!" Ich wende mich erschrocken zu der vertrauten, weiblichen Stimme und sehe in die warmen, braunen Augen der schönen Inderin. „Bra dag..." Die schwedische Begrüßungsformel perlt wie von allein von meinen Lippen und ergibt die perfekte Ergänzung zu ihrem skandinavischen Hallo. Sie lächelt. Ihre langen schwarzen Haare sind diesmal in einen einfachen, geflochtenen Zopf zusammengefasst, der leger über ihre Schulter fällt. Mit gebundenen Haaren wirkt sie immer etwas strenger, aber das machen ihre sanften Augen sofort wett. Auch diesmal. „Du hast nicht auf meine Nachrichten reagiert...", platzt es aus mir heraus. „Oh, tut mir leid. Ich habe mein Handy zu Hause vergessen. Kiran hat mir heute Morgen den letzten Nerv geraubt. Er wollte partout nicht zwei gleiche Socken anziehen." „Was spricht gegen kunterbunt?" Das hübsche Gesicht der Inderin verzieht sich zu einer Grimasse. Zu einer ziemlich putzigen. „Gar nichts, er soll nur nicht mit mir diskutieren." Ich fühle mit ihr. Ihre kleinen Brüder sind schrecklich anstrengend. „Wie geht es dir?" Sharis Hand legt sich an meinen Arm. Ihre Augen streicheln sich forschend über mein Gesicht, nehmen jede noch so kleine Regung wahr, die irgendwas über meinen Gemütszustand aussagen könnte. Obwohl mich das Glück, endlich in Raphaels Nähe sein zu können, erfüllt und beschwingt, verspüre ich dennoch einen gewissen Grad an Trauer und das sieht sie. „Hach, mir wird schon wieder ganz warm ums Herz... Aus euch könnte man die perfekte Sitcom machen. À la Will & Grace oder..." Ich unterbreche ihn, bevor er weitere Beispiele vergangener Serien nennen kann. „Erspar es uns. Bitte." „Shari könnte deine Kinder austragen", legt er wieder los. Shari und ich sehen uns an, heben synchron unsere Augenbrauen und winken Paul übertrieben und leicht verstört ab. „Komm, Liebe meines heterosexuellen Scheinbewusstseins, das müssen wir uns nicht weiter anhören." Ich lege meinen Arm um Sharis Taille und führe sie ein Stück von dem komisch quatschenden Lockenkopf weg. Kichernd legt die schöne Inderin ihre Hand gegen meine Brust, setzt ihr herzzerreißend theatralisches Gesicht auf. Sie hält es für 10 Sekunden, dann fängt sie an zu lachen. „Ihr hättet wunderschöne Kinder...", ruft er uns nach. Shari hat später garantiert welche. Ich sehe dabei zu, wie er hüpfend davon stakst und in die Mensa verschwindet. „Spinner...", kichert Shari weiter und sieht mich dann wieder an. Ihr Gesicht wird erst nach einer Weile ernst. „Du siehst müde aus", sagt sie leise. „Nein, ich werde nur alt..." Tatsächlich sehe ich aus, als hätte man mich zerkaut und wieder ausgespuckt. Müde ist daher eine sehr nette Umschreibung. Ich erzähle ihr vom nächtlichen Besuch meiner Mama. Ihre beruhigenden Worte hinsichtlich der Akzeptanz meine Homosexualität und unserer Beziehung. Ich berichte ihr von der Bitte. „Ich verstehe deine Mutter. Es ist nicht schön zu sehen, dass die eigenen Kinder sich so fertig machen und ich glaube, dass du es bereuen würdest, wenn du es nicht versuchst. Sie ist immerhin deine Schwester und man liebt seine Geschwister, egal, wie sehr man sie erwürgen will." Ihre ehrlichen Worte beeindrucken mich. „Wie geht es Raphael damit?" „Na ja, er versucht sich in Schadensbegrenzung. Er sitzt zwischen den Stühlen und das ist immer unangenehm." „Aber er steht auf deiner Seite?" Scharf. „Ja. Hundertprozentig." Shari wendet ihren Blick ab. Ich sehe in das Profil meiner besten Freundin und erkenne noch immer die leichten Zweifel. Shari hat Bedenken. Sie traut Raphael nicht und nach all den Vorkommnissen der letzten Zeit kann ich es verstehen. Auch wenn mein Herz wild und heftig schlagend versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Augenblicklich und schreiend. Es wird nicht einfach, sie davon zu überzeugen. Sie ist eine Löwin. „Was hältst du davon, wenn wir mal zusammen kochen. Also, du und Raphael und ich stehe gutaussehend daneben", schlage ich vor. Ich finde meine Idee großartig, versuche ebenso überzeugend zu lächeln und blicke in ein skeptisches Gesicht. Ich brauche mehr Überzeugungskraft. „Okay, ich werde auf ewig dein getreuer Koch-Padawan bleiben. Oh, großartige Jedimeisterin der Haute Cuisine.", huldige ich ihr, verneige mich und gehe dabei regelrecht in die Knie. Ich vollführe einen majestätischen Knicks. Shari beobachtet mich argwöhnisch, aber an dem feinen Zucken ihres Mundwinkels erkenne ich, dass sie sich ein klein wenig geschmeichelt fühlt. Sie kennt meinen Hang zur Überspitzung aus erster Hand. Die vorbeigehenden Studenten beginnen zu kichern. Sie sind mir egal. „Gib ihm eine Chance...bitte!" Sie sind bisher nur wenige Male zusammengetroffen und konnten sich nicht richtig kennenlernen. Ich denke wirklich, dass die beiden sich verstehen würden. Sie teilen viele Gemeinsamkeiten und es wäre mir so wichtig, dass sie sich verstehen. „Mark, ich werde ihn filetieren, wenn er..." Ich unterbreche sie, indem ich sie in meine Arme ziehe und fest an mich drücke. Im ersten Moment brummt Shari den Rest ihrer Drohung gegen meine Brust. Ich höre 'kleine Stückchen', 'tranchieren' und 'scharfes Messer', dann umschlingt sie mich ebenfalls. Ich drücke meine Nase in das weiche Haar, nehme den beruhigenden und so vertrauten Geruch wahr. Die feine Note von Hibiskus und Kirsche. Ich schließe meine Augen. Shari ist mein Fels. „Danke, chisaii Hana." Trotz des Sprachenreichtums ist mir die japanische Variante immer noch die liebste. Sie ist weich und zart. Genauso wie die schöne Blume, die ich von ganzem Herzen meine beste Freundin nennen darf. Auch, wenn das milde, unschuldige Ding gerade eine ziemlich furchteinflößende Morddrohung von sich gegeben hat. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht schiebe ich Shari Richtung Mensa. Wir finden nach kurzem Suchen sogar den Wuschelkopf wieder und bringen den Rest des Tages erfolgreich hinter uns. Nach dem letzten Seminar spüre ich die feinen Vibrationen meines Handys. Eine Nachricht von Raphael. Bevor ich sie zu Ende gelesen habe, sehe ich ihn bereits neben seinem Auto am Parkplatz warten. Er lächelt und mein Herz füllt sich mit reinem Glück. ~ Epilog: Epilog - ... dann öffnet sich immer eine andere ------------------------------------------------------- Epilog - ... dann öffnet sich immer eine andere Ich brauche zwei Anläufe um mit den schweren Einkaufstüten die Klingel zu treffen. Mit dem Fuß setze ich noch zwei klopfende Tritte nach als ich einschätze, dass es mir mit dem Öffnen nicht schnell genug geht und nehme mit Freude zur Kenntnis, wie sich die Tür endlich öffnet. „Da bist du ja. Hast du alles bekommen?", fragt Raphael direkt, bedenkt mich mit einem umwerfenden Schmunzeln und nimmt mir eine der Tüten aus der Hand. Ich drücke mich an ihm vorbei in den Flur und sehe, wie Sharis schwarzer Haarschopf aus der Küchentür herauslugt. Ihre langen Haare sind zu einem seltsamen Knubbel zusammengefasst, aus dem allerhand Haarsträhnen herausfallen. Sie grinst. „Ich hoffe es. Du krakelst genauso schlimm, wie Shari." Meine liebste Freundin gibt ein murrendes Geräusch von sich, während mein Freund nur amüsiert lacht. Er streicht mir durch die regenfeuchten Haare und marschiert dann mit beiden Tüten in die Küche. Ich folge ihm mit kurzem Abstand und bestaune sofort die vielen Leckereien, die die beiden bereits fertiggestellt haben. Ein Nachtisch bestehend aus Fruchtspiegel und hellem Cremezeug. Sicher Mousse au chocolate. Mir läuft bereits das Wasser im Mund zusammen. Nur kurz schmult Raphael in die Tüten, stellt sie auf dem Tisch ab und beendet seine vorangegangene Schnippelarbeit. Er schneidet das Fleisch in perfekte Streifen. Während Shari in ebenso grandioser Manier eine Möhre in gleichmäßige Scheiben teilt, nehme ich mir ein Glas aus dem Schrank und versuche nicht ganz nutzlos auszusehen. Gar nicht so einfach. Die Zwei sind in ihrem Element. Ich gönne mir einen Schluck Wasser und als ich das nächste Mal zur Shari sehe, nimmt sie sich mit medizinischer Präzision eine Paprikaschote vor. Die beiden sind einfach großartig. Ein Rascheln und wiederholtes Knistern ziehen meine Aufmerksamkeit zu dem anderen Mann. „Sag mal, wo sind die Zucchinis?", fragt Raphael leise, kramt zwei Joghurtbecher aus der Tüte, während ich zu den Schüsseln mit den vorgeschnittenen Gemüsezutaten schleiche. Der Geruch von Möhren und Paprika strömt mir entgegen. Nun schaut die schöne Inderin auf, sieht zuerst zu Raphael und dann zu mir. Ich bin mitten in meiner Bewegung stehen geblieben, strecke meine rechte Hand schon nach der Paprika aus. „Mark?" Raphael hebt neben eines, der von mir besorgten Gewächse auch seine Augenbraue in die Luft. Ich sehe mehrmals zwischen Schüssel und hochgehaltenen Gemüse hin und her. Meine Schultern zucken nach oben. Langsam glaube ich, dass mit meinen gekauften Zucchinos irgendetwas nicht in Ordnung ist. „Du bist unbelehrbar, Mark. Das ist eine Aubergine", gibt nun Shari von sich, nimmt Raphael die Eierfrucht aus der Hand. „Wie muss eine Zucchini aussehen?", setzt sie nach, stupst mir mit der stumpfen, dicken Seite des Gemüses gegen den Arm. Lehrstunde die Zweite. Genaugenommen die x-te. Ich weiß nicht mehr, wie oft sie mir schon versucht hat, zu erklären, wie die einzelnen Gemüse- und Obstsorten aussehen. „Grün?", schlage ich vor, habe nur geraten und ernte ein weiteres Piksen. Okay, das Ding in ihrer Hand ist definitiv nicht grün. „Richtig. Befindet sich die Farbe dieses Gemüses in einer Wellenlänge zwischen 520 – 565 nm?" Woher hat sie nur diese hochtrabenden Fachsimpeleien? Die Uni bekommt ihr nicht. Es gibt viel zu viele Angeber in ihrem Studiengang. Shari setzt passend zu ihrer Frage ihren Oberlehrergesichtsausdruck auf und streckt dazu noch tadelnd ihren Zeigefinger aus. Wie in der Schule. Ich will schwänzen. Ich sehe zu Raphael, der breit grinsend gegen den Kühlschrank lehnt und mir gestisch klarmacht, dass er sich nicht einmischen wird. Egal, wie viel Blut fließt. „Milch und Sahne hat er auch vergessen.", kommentiert er stattdessen und reitet mich noch mehr rein. Das wird er mir später büßen. „Das stand nicht auf der Liste", kontere ich vehement und krame den Papierzettel aus meiner Hosentasche. Ich halte ihnen die abgearbeitete Liste vor die Nase und stocke, als ich auf der zu mir gewandten Seite weitere Begriffe sehe. Möge mich doch endlich der vernichtende Blitz der Peinlichkeit treffen. „Vergessen wir das!", entflieht es mir ablenkend und Shari beginnt lauthals zu lachen. „Mark, das ist so typisch..." „Hast du trotzdem fein gemacht", gibt Raphael grinsend von sich und haucht mir einen Kuss gegen die Schläfe. Ein ganzer Kerl dank Chappie. Ich gebe ein leises Bellen von mir und verkneife mir einen Kommentar über das brave Wackeln mit einem bestimmten Körperteil. Shari verdreht die Augen, denn das entspricht sogar nicht ihrer gängigen Erziehungsmethode für mich. Wäre Raphael nicht da, würde sie mich verhauen. Ich lasse mich von Raphael drücken und nehme dann brav die Aufgabe in Angriff, die mir Shari aufdrückt. Fleisch anbraten. Nach nun etlichen gemeinsamen Kochabende in den letzten Wochen haben wir festgestellt, dass ich niemals ein begnadeter Koch werde. Ich kann weder schneiden, noch abschätzen, wann etwas fertig ist. Noch bin ich in der Lage, etwas abzuschmecken, ohne mir Brandblasen auf der Zunge zu holen oder mich so arg zu verbrennen, dass ich drei Tage nichts schmecken kann. Aber ich kann anbraten. Tatsächlich so gut, dass ich beim letzten Mal das Steak meines Auserwählten perfekt medium well hinbekommen habe. Das Fleisch war so wunderbar rosa, dass es für etwa 10 Sekunden meine Lieblingsfarbe war. Wie ich es geschafft habe, weiß ich bis heute nicht. Shari nannte es einen Glückstreffer und Raphael wiederholt nur, wie toll es geschmeckt hat. Dabei tätschelt er mir jedes Mal aufmunternd den Kopf. Er verarscht mich damit ein wenig, aber das ist mir egal. Shari drückt mir eine Pfanne in die Hand, deutet auf die bereits kleingeschnittenen Zwiebeln und das Fleisch. Ich fülle etwas Olivenöl in die Pfanne und stelle die Herdplatte an. Das Essen wird trotz meines Mitwirkens sicher wunderbar. Es wird allen schmecken. Bestimmt. In meiner Magengegend beginnt es seltsamen zu kribbeln. Ich sehe dabei zu, wie sich das Öl weiter verflüssigt und schiebe dann den kleinen Zwiebelberg vom Brettchen. Der Gedanken an den heutigen Abend bereitet mir schon seit mehreren Tagen Magenschmerzen. Unser großer Familiengau ist jetzt einen Monat her. Abgesehen von einigen Telefonaten und kleineren Einzelpersonentreffen haben wir unseren Rat, es langsam und ruhig angehen zu lassen, beherzigt. Maya hat sich bisher geweigert, noch einmal mit mir zu reden. Genau das, was ich erwartet habe. Die Idee mit einem gemeinsamen Essen hatte Raphael. Die Einladung ging auch an meine Schwester. Ich weiß nicht, welchen Einfluss unsere Eltern letzthin hatten, aber sie sagte zu. „Mark." Raphael löst meine Hand von der Pfanne und zieht das runde Metall von der Herdplatte. Jetzt bemerke ich den Geruch von Angebrannten und blinzele den dunkelbraunen bis schwarzen Zwiebeln entgegen. „Oh." Ich war so in Gedanken, dass ich nicht mitbekommen habe, wie schnell sie verbrannt sind. „Tut mir leid. Ich habe nicht aufgepasst." Raphael beugt sich vor, haucht mir einen Kuss aufs Haar und wandert mit der Pfanne zum Mülleimer. Ich sehe dabei zu, wie Raphael mein Missgeschick verschwinden lässt und die Pfanne mit einem Küchentuch auswischt. Er stellt sie zurück auf den Herd. „Schon gut, das sind ja nur Zwiebeln.", beschwichtigt meine Blume, greift bereits nach einer Neuen und öffnet, bevor sie mit Schneiden anfängt, das Fenster. „Gönn dir eine warme Dusche zum Runterkommen und dann deckst du den Tisch. Klingt das nach einem Plan?", schlägt Raphael lächelnd vor, schiebt mich aus der Tür und haucht mir einen Kuss auf die verdatterten Lippen. Bevor er sich abwenden kann, halte ich ihn fest und ziehe ihn am Shirt dichter an mich. Meine Augen bleiben geschlossen, als ich spüre, wie sich Raphaels leicht stoppelige Wange gegen meine bettet, wie sie an meinen Hals tiefer gleitet. Seine Lippen treffen meine Haut. Er haucht einen Kuss genau in die feine Beuge beim Übergang zur Schulter. Es kribbelt. Es kitzelt. Ich liebe es. Raphael legt seine Arme auf meinen Schultern ab und zieht mich in eine feste Umarmung. „Wo bist du mit deinen Gedanken?", fragt er mich, legt sein Kinn auf meinem Kopf ab. Sein Geruch umnebelt mich und lässt mich wohlig zur Wolke 7 schweben. Als ich nicht antworte, haucht er mir auffordernd einen Kuss auf den Scheitel. Ich wedele mir symbolisch den Weg aus der wohltuenden Wolke frei und sehe auf. Raphael lächelt. Aufmunternd. Liebevoll. „Ich versuche mich nur zu sammeln... oder eher zu wappnen", gestehe ich ein. Im Moment verspüre ich das dringende Bedürfnis mich in einer Ecke zusammenzurollen und erst wieder aufzustehen, wenn der Abend vorbei ist. Vielleicht auch erst am nächsten Morgen. Dafür würde ich sogar eine Runde übler Rückenschmerzen in Kauf nehmen. Unbewusst blicke ich in eine lauschige Ecke beim Schlafzimmer. Sie sieht sehr bequem aus. „Hey, es ist nur ein Essen. Mit deiner Familie." Die Worte sollen mich beruhigen. Keine Chance. „Die letzten Familienessen glichen einem Massaker, falls du dich erinnern kannst." Schon die Gedanken an das Geburtstagsessen oder dem Abendessen verursachen mir weiteres Magenzwicken. Raphaels Kopf wackelt hin und her. Ich weiß, dass es auch für ihn nicht einfach gewesen ist. Wir zucken zusammen, als es hinter uns laut scheppert. „Raphael! Kannst du mir helfen?" Leises Fluchen. Ich verkneife mir ein Kichern. „Ich eile..." Raphael drückt mir einen Kuss auf die Lippen und kommt ihr zur Hilfe. Ich sehe einen Moment dabei zu, wie meine beiden Lieblingsmenschen mittlerweile, wie eine Einheit in der Küche umherwirbeln. Nach langem Vorgeplänkel habe ich es geschafft einen gemeinsamen ersten Kochabend zu organisieren. Raphael war schnell begeistert, auch wenn er zwischendurch seine Bedenken kundtat. Er wollte es sich mit Shari nicht verscherzen. Das hatte er auch nicht. Wir einigten uns schnell auf ein typisch indisches Rezept. Biryani mit Mango-Chutney. Es war köstlich. Die Idee hatte Raphael. Shari übernahm die Leitung und er war ein williger Helfer, der zu dem sehr viel Erfahrung mitbrachte. Das gefiel ihr. Irgendwann funktionierten sie wie eine schrecklich synchrone Witzemaschine, wenn es darum ging mir meine mangelnde Speisekenntnis unter die Nase zu reiben. Ein Punkt, der sie verband und es folgten weitere. Den Rest bringt die Zeit. Lächelnd mache ich mich auf den Weg zum Badezimmer. Ich stelle mich unter die Dusche, sehe auf die Uhr, als ich mir das Hemd überziehe und langsam die Knöpfe schließe. Ich werde unruhig. In der gesamten Wohnung riecht es schon wunderbar nach Essen. Ich höre Raphael und Shari leise reden. Sie kichern ab und an. Ich beginne zu lächeln und ich mache mich daran, den Tisch zu decken. Ich schiebe das letzte Glas an seine Position, rücke einen Teller zurecht und bin im Großen und Ganzen zufrieden mit dem vorbereiteten Tisch. Noch ein letztes Mal zähle ich alles durch. 5 Gedecke. Teller. Gläser. Besteck. Ich atme aus, so als hätte ich gerade etwas Schweres geleistet. Die Schritte hinter mir nehme ich kaum wahr. Erst als sich Sharis warme Hand auf meinen Arm legt. „Ich hau dann ab. Andrew wartet sicher schon auf mich." Ich habe lange versucht, Shari davon zu überzeugen zum Essen zu bleiben, doch sie hat es freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Ihre schlanken Arme legen sich um meine Taille und sie drückt ihre Wange gegen mein rechtes Schulterblatt. Ihre Wärme durchdringt den dünnen Stoff meines Hemdes augenblicklich und ich rieche das feine Aroma von gebratenen Essen und fruchtigem Hibiskus. Es beruhigt mich. Ich lege meine Hände über ihre, streiche kurz über die weiche Haut und schließe meine Augen. „Vielen Dank für deine Hilfe." Sie drückt mich fester. Ich sauge das vertrauensvolle Gefühl in mich ein, welches sie mir nur durch ihre Nähe vermittelt und seufze schwer, als sich die schwarzhaarige Schönheit von mir löst. Ihre Haare sind wieder geöffnet und sie hat ein leichtes Make up aufgelegt. Ein dezentes Lipgloss und feiner Goldschimmer auf ihren Augenlidern. Er harmoniert perfekt mit dem warmen Braun ihrer Iriden. Sharis Augen wandern über den gedeckten Tisch. Das Lächeln in ihrem Gesicht sagt mir, dass alles am richtigen Platz steht. „Na los hübsches Kind, geh zu deinem heißen Date", kommentiere ich absichtlich etwas provokativ, fasse ihr an die Schulter und drehe sie vom Tisch weg zur Tür. „Wir gehen nur ins Kino..." Verteidigend. Mein feines Kichern begleitet ihre verdatterte Klarstellung. Ich glaube ihr kein Wort. Kino ist die Vorstufe von heimeligen DVD-Abend und jeder weiß, was das bedeutet. Wilder hemmungsloser Sex. Na gut, bei den beiden vielleicht auch nur intensives Kuscheln. „Klar, nur Kino! Weil es da auch gar nicht dunkel und lauschig ist." „Was du wieder denkst...", kommentiert sie empört und ich bin mir sicher, dass sie rot wird. Ich schiebe sie in den Flur, wo sich Shari ihre Jacke krallt und mich mit intensiven braunen Augen anblickt. Reste von feiner Röte zieren ihre Wangen. Zart und dennoch verräterisch. „Tu nichts, was ich nicht auch tun würde...", sage ich neckisch und bin mir sicher, dass Sharis Fantasien nicht annährend so weit gehen, wie meine. Abgesehen von der Tatsache, dass ich in sexueller Hinsicht eindeutig schamloser bin. Das beste Beispiel hierfür ist Raphael und meine vormaligen oralen Flurüberfälle. Der Gedanke daran lässt mich grinsen und würde Raphael wahrscheinlich augenblicklich im Boden versinken lassen. Das amüsiert mich nur noch mehr. Ich merke erst, dass ich wirklich breit grinse, als mir Shari ihren Finger in die Wange drückt. „Behalte deine Gedanken bloß für dich..." „Ich erzähl sie nachher Raphael. Im Detail." Damit bestätigen sich Sharis Vermutung. Sie verdreht schamerfüllt die Augen und winkelt sich ihr Tuch um den Hals. „Na, der kann sich freuen..." „Wer kann sich freuen?" Wir blicken beide zu Raphael, der mit feuchten Haaren aus dem Badezimmer kommt. Automatisch schütteln wir beide die Häupter und kichern verschwörerisch. Er bekommt keine Aufklärung und wundert sich nicht mal darüber. Shari schließt ihre Jacke, grinst, drückt mir einen Kuss auf die Wange und öffnet die Tür. Zum Abschied murmelt sie mir ein paar Aufmunterungen zu, lässt sich von Raphael drücken und verschwindet dann nach draußen. Zurück am vorbereiten Tisch gehe ich noch einmal alles durch. Unnötiger Weise rücke ich ein Messer akkurat grade. Danach noch eine Gabel. Als ich meine Hand nach einem Löffel ausstrecke, halte ich mich zurück. Die Nervosität, die sich durch meinen Körper frisst, geht mir auf die Nerven. Wenn ein Messer an der falschen Stelle liegt, wird das niemanden auffallen oder bemängeln. Außer Mama, aber dann nur um mich zu ärgern. Ich bin so sehr in Gedanken versunken, dass ich erst merke, dass Raphael den Raum betritt, als dieser seine starken Arme um meinen Bauch schlingt. Er trägt kein Parfüm und das braucht er auch nicht. Ich liebe den Geruch des gemeinsamen Duschbads an ihm. Die herbe Süße. Der feine Moschusduft. Meine Augen bleiben geschlossen, während ich mich in die warme Umarmung fallen lasse. „Wann wollen sie hier aufschlagen?", fragt er ruhig. Ich kann nicht verhindern, dass sich ein tiefer und langer Seufzer über meine Lippen schleicht. Genauso wie vorhin bei Shari. Ich ziehe Raphaels Hand hoch und sehe auf seine Armbanduhr. 15 Minuten vor 7 Uhr. Mein Puls beschleunigt sich. Es könnte jeden Moment klingeln. „Jede Sekunde..." „Gut, dann lass uns die Ruhe vor dem Sturm noch genießen. Vielleicht beruhigst du dich dann endlich." Meine Nervosität blieb ihm nicht verborgen. Wie auch. Theoretisch trage ich ein Schild vor mich her, auf dem mit großen roten Buchstaben 'Nervenbündel' steht. Raphael greift mich an der Schulter und dreht mich um. „Und mit welcher Methode willst du es probieren? Das übertriebene Zureden? Die Standpauke mit exzessivem verdeutlichen, dass ich mich nicht so anstellen soll? Atemtechnik? Progressive Muskelentspannung? Autogenes Training? Dagegen bin ich immun. Nur zur Info." Der Dunkelhaarige lässt mich eine Weile reden, nickt jede Entspannungstechnik, die ich ihm vorschlage, lächelnd ab. „Du hast die Einfachste von allen vergessen. Stinknormale Ablenkung." „Tatsächlich?", frage ich, sehe, wie Raphael weiter schmunzelt und sich etwas zu mir runterbeugt. Nun ist es seine Nähe, die mein Herz weiter Marathon laufen lässt und einen Schwarm Schmetterlinge in meinen Bauch befreit. „Ja." Seine Lippen legen sich auf meine. Erst sanft. Zärtlich. Ich genieße das wundervolle Gefühl der liebevollen Berührung. Ja, seine Methode ist definitiv die Bessere. Raphael liebkost meine Unterlippe, streicht mit der Zunge über die empfindliche Haut meines Mundes. Das intensive Kitzeln ist atemberaubend. Ich will augenblicklich mehr. Meine Hand legt sich in seinen Nacken. Ich ziehe ihn dichter an mich heran, tiefer in den Kuss. Flirtende Berührungen. Das neckende Spiel seiner Zunge lässt mich vollends vergessen und entflammt die Leidenschaft. Das intensive Gefühl. Seine Wärme. Seine bloße Nähe. Ich bin so glücklich. Raphaels Hand streicht über meine Wange und von dort in meinen Nacken. Ein sanfter Biss in meine Unterlippe. Ich umschließe seine Oberlippe mit meinen, wechsele zur Unterseite. Ich lasse meine Augen genießerisch geschlossen, während mir Raphael weitere sanfte Küsse aufhaucht. Das Klingeln sorgt dafür, dass ich merklich zusammenzucke. Wir lösen den Kuss automatisch. Seine Hand streicht mir über den Kopf und ich folge seinen Blick in den Flur. Eine Leiche zum Dessert die Zweite. Ich bete darum, dass sich meine zynische Prognose nicht bewahrheitet. „Na komm..." „Auf in den Kampf...", zwinge ich heraus und beiße die Zähne zusammen. Die schönen grünen Augen mustern mich. Um meine Worte zu verstärken mache ich noch eine passende Geste dazu und lasse meine Faust schwungvoll vor meinem Brustkorb hin und her wandern. „Mark...", entflieht es ihm mit einer Mischung aus Amüsement und Resignation. Wahrscheinlich würde ich auch mit mir verzweifeln. „Ist ja gut, ich weiß..." Raphael öffnet die Tür bevor ich bei ihm ankomme. Ich sehe zuerst meinen Vater, der seinen Kopf schon durch den Spalt schiebt. „Oh, es riecht ja schon toll hier drin...Hi, ihr zwei", kommentiert er schnuppernd, legt Raphael seine Hand an die Schulter und lächelt. „Hey Papa. Ihr seid zu früh." Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. „Nicht jeder ist so penetrant unpünktlich, wie du, mein Sohn", erhalte ich die prompte Antwort. Ich verdrehe die Augen und verzichte auf eine passende, freche Erwiderung. Wer im Glashaus sitzt, sollte eben nicht mit Steinen werfen. Nicht mal mit Wattebällchen, wie in meinem Fall. Raphael nimmt meiner Mutter die Jacke ab, während ich mich von ihr drücken lasse. „Wo ist Maya?", frage ich, nachdem ich einen Blick hinter sie geworfen habe. An der Tür bleibe ich stehen und sehe in den Flur. „Sie wollte nicht mit hochkommen." Meine Mutter seufzt. Ich schaue zu Raphael. Auch er wirkt überrascht. Meine Emotionen pendeln zwischen Verärgerung und einem seltsamen Bedrücktsein hin und her. So sehr mich dieses Zusammentreffen auch verunsicherte, ich sah es trotzdem als Möglichkeit für eine erste Annäherung. Einen Schritt. Vielleicht braucht es noch mehr Zeit. Ich spüre Enttäuschung. Und sehe sie auch in den Augen meiner Erzeuger. „Okay, kann man nichts machen...", gebe ich lapidar von mir und versuche zu lächeln. Es misslingt und ich wende mich ab. Ein letzter Blick in den Flur und dann schließe ich langsam die Tür. Ich höre, wie Raphael ihnen Getränke anbietet, wie die Stimmen leiser werden, weil er sie ins Wohnzimmer führt. Meine Hand bleibt am Türrahmen liegen. Ich spüre kühle Luft und sehe durch den Spion, wie im Treppenhaus das Licht ausgeht. „Mark?" „Komme..." Nur kurz wende ich mich meinem Freund zu. Ich weiß nicht wieso, doch bevor ich mich zu den anderen ins Wohnzimmer aufmache, greife ich ein weiteres Mal nach der Klinke. Ich öffne die Tür und blicke auf die feine Silhouette, die im Dunkeln zu erkennen ist. Maya zuckt zusammen, als sie mir plötzlich gegenübersteht. Deutlich kann ich hören, wie sie überrascht nach Luft schnappt und sogar ein kleinen wenig zurückstolpert. Das Licht aus meiner Wohnung beleuchtet nun ihr Gesicht. Sie ist, wie immer perfekt gestylt. Ihre langen blonden Haare liegen offen über ihre Schultern. Die Unsicherheit steht ihr ins Gesicht geschrieben. In diesem Moment wirkt sie jünger, als sie eigentlich ist. „Hey...", sage ich leise. „Hi." Maya sieht kurz zur Treppe und dann wieder zu mir. Sie ist genauso unsicher, wie ich es bin. Wir schweigen uns einen Moment lang an. Bevor ich sie auffordern kann einfach reinzukommen, greift sie in die Tasche, die sie krampfhaft in der Hand hält. Sie holt kurz Luft, setzt zu sprechen an, doch kein Wort perlt über ihre Lippen. Stattdessen reicht sie mir einen zusammengefassten Stapel Umschläge. „Ich hatte gelogen", sagt sie schnell. Weil ich nicht direkt nach den Briefe greifen, macht sie eine auffordernde Geste, indem sie sie nach vorn schiebt. Also nehme ich sie entgegen. Ich starre sie an, spüre eine eigenartige Mischung aus kaltem Schauer, Aufregung und einem winzigen Bisschen Wohlgefühl. Die Briefe sind nicht zerstört. Ich kann sie lesen. Auch wenn mir Raphael erzählt hat, was darin geschrieben hat, ist es einfach nicht das gleiche, wie es selbst zu lesen. In mir breitet langsam, aber sicher ein tieferes Gefühl der Freude aus. Ich sehe auf. „Hast du Hunger?", frage ich sie, öffne dabei die Tür komplett und deute in meine Wohnung. Das kurze Zögern scheint in diesem Augenblick wie eine Ewigkeit. Es ist der Moment, der vieles bedeuten kann. Maya zieht beim tiefen Einatmen ihre Schultern nach oben. Sie nickt und tritt dann ein. Ich nehme ihr die Jacke ab und führe sie zum Rest der Familie. Wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich immer eine andere. Aber manchmal muss man die zugefallene Tür einfach noch mal öffnen. ~ Meine lieben wunderbaren Leserchens, ich möchte euch von ganzen Herzen danken. Vor allem für eure Geduld und den tollen Kommentaren, mit denen ihr mich durch diese nervenaufreibenden Kapitel begleitet habt. Vielen lieben Dank. Ihr seid wirklich wunderbar Da meine Schreibzeit letzthin etwas abgenommen hat, möchte ich die Story ´Doors my Mind 2.0´mit diesem Kapitel abschließen. Trotz aller Unwegsamkeiten empfinde ich das Ende, doch als Happy End und Mark darf nun endlich die böse Worte ´Der Freund meiner Schwester´ad acta legen ^__^ Diejenigen, die auch ein paar meiner anderen Geschichten verfolgen, haben sicherlich schon gemerkt, dass ihr euch nicht von allen Charakteren vollends verabschieden müsst. ;) *Werbung* hüst hüst. Mit dem Ende werde ich jetzt auch den bösen Grammatikfehler aus dem Titel tilgen XD Ja, mir fiel auf, dass da etwas falsch ist ^^ Ein dickes, liebes Danke geht an die lieben Kommentatoren. Einige von euch begleiten mich schon seit dem ersten Teil *____* Danke Danke Danke : Denni, Morphia, Herzloser Kiana-chan, Shigo, FuyuChan DasIch, Ginji92, furaushi Yoyo, Onlyknow3, -Ray- ashiitaka, Schlumpfienee, LDrache Kari06, Tharaia, ParkwayDrive _-Haira-_, Raiha, Streber_Nr1 Redgrave_ Und ein Spezial Dank an mein wunderbares Betalinchen: LariFi Lieben Dank, dass du dir meinetwegen manchmal die Nacht um die Ohren schlagen musst, weil meine Kapitel immer länger werden XD Und es tut mir Leid, dass es kein Jark (Jake und Mark) gibt. Danke, eure del Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)