Doors of my Mind 2.0 von Karo_del_Green (Ihr Freund. Mein Geheimnis) ================================================================================ Kapitel 15: Eine Leiche zum Dessert ----------------------------------- Kapitel 15 Eine Leiche zum Dessert Als ich erneut auf die Uhr sehe, ist es höchste Zeit loszugehen. Ich raffe mich nur schwer auf, gehe zum Schreibtisch und greife gerade nach meinen Heftern als mir ein Zettel auffällt. Es stehen eine Telefonnummer darauf und die Bitte ihm zwischendurch zu schreiben. Daneben ein grinsender Smiley mit einem kleinen Herzen. Raphaels Nummer. Es zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Wahrscheinlich hat er die Stimme meines Vaters vorhin erkannt und gewusst, dass wir es wieder bravourös vergessen würden. Danach nehme ich meinen Unikram und den Zettel, stopfe alles außer die Nachricht in den Rucksack und wandere in die Küche um den letzten Rest Tee mit einem Zug zu leeren. Mein Handy blinkt noch immer lustig und als ich es zur Hand nehme, sehe ich 6 verpasste Anrufe. Alle von meinen Erzeugern. Mama und auch Papa. 3 Nachrichten. Keine ist von Shari. Ich tippe, obwohl es mir widerstrebt zu nerven, eine weitere Nachricht mit hoffnungslos vielen Smileys. Ich bitte sie zum gefühlten hundertsten Mal um Verzeihung und wünsche ihr einen schönen und aufregenden Tag. Shari bräuchte ich jetzt am Dringendsten. Ich werde sie nicht einmal in der Universität treffen, denn heute hat sie eine Exkursion. Ich weiß nur wieder nicht wohin. Weil wir uns nicht sehen, wollten wir uns am Abend treffen. Doch meine heutige Shari-Zeit habe ich an Andrew abgetreten. Bevor ich gehe, speichere ich noch die Nummer von Raphael ein und verspüre sofort den Drang ihm zu schreiben, doch ich lasse es, schließlich könnte er bereits jetzt bei Maya stehen. Vielleicht sollte ich es gerade tun. Mein Daumen zuckt verräterisch. Meine Libido schwenkt das rosabestoffte Unterhöschen, doch die Mutlosigkeit schreit Nein und hisst die weiße Flagge. Zum Kotzen. Intensiv einatmend, stecke ich es in die Hosentasche. Ich falte den kleinen Zettel sorgsam zusammen und stecke ihn in mein Portemonnaie. Ihn werde ich behalten. Immerhin hat mir hier Raphael das erste Herzchen geschenkt. Ich sehe erneut den rötlichen Schnitt auf meiner Handfläche. Mit dem Daumen drücke ich die Ränder entlang. Es schmerzt und sonderlich gut sieht es auch nicht aus. Missmutig knalle ich mir im Badezimmer eine Ladung Desinfektionsmittel drüber und bastele mir einen neuen Verband um die Hand. Ich wäre kein guter Sanitäter geworden und eine Krankenschwester auch nicht. Erst danach gehe ich endlich los. Zur Vorlesung komme ich zu spät. Es interessiert niemanden. Ich kann mich nicht konzentrieren und verlasse nach 4 Stunden und einer halben Seite Geschriebenes die Uni. Ich fahre zu mir, ziehe mir etwas Annehmbares an und verwüste dabei meinen Kleiderschrank und das halbe Zimmer. Grandios. Vor dem Haus meiner Eltern steht Raphaels Auto. Sie müssen als vorher noch bei ihm gewesen sein. Im Flur bleibe ich stehe und lausche dem unruhigen Gewusel im oberen Stockwerk. Soweit ich erkennen kann, ist niemand unten. Keiner hat mich gehört. Ich atme aus und ziehe mir nur die Schuhe aus. Die Jacke lasse ich an. Ich schleiche mich in die Küche und schaue, wie ich es gewohnt bin in den Kühlschrank. Ich stehe vor den Resten von Kaffee und Kuchen. Die Stimmen im oberen Stockwerk werden lauter. Mein Blick fällt auf die Torte zu Mayas Ehrentag. Es ist nur noch die Zahl 8 und ‚tstag‘ zu erkennen. Nun ist sie erwachsen. Die Stimme in meinem Kopf verzerrt die Zahl zu meinem Absurdum. Erwachsen. In unserer Familie bedeutete es mehr Freiheiten. Verlängerte Ausgehzeiten und die ungehinderte Möglichkeit bei Freunden zu nächtigen, vorausgesetzt man meldete sich regelmäßig. Nun dürfte sie ohne zu fragen bei Raphael übernachten. Die Eifersucht in mir schreit, dass sie das nie wieder tun wird. Mir vergeht bei diesen ganzen Gedanken trotzdem der letzte Rest des Appetits. Ich nehme mir ein Glas Wasser und lehne mich an die Spüle. Meine Eltern diskutieren oben immer noch. Ich horche auf als ich Schritte auf der Treppe vernehme. Als ich mich zur Tür beuge, sehe ich meine Mutter im Flur, die sich gerade ein paar Ohrringe einfädelt. Sie trägt ein dunkelblaues Wickelkleid, welches sich perfekt um ihren schlanken Körper schmiegt. Es betont die richtigen Stellen. Sie sieht wunderschön aus. Sie bemerkt mich nicht, denn ich stehe im Dunkeln. Ich rege mich nicht und nippe an meinem Wasser. Meine Mutter ruft nach meinem Vater. Sie fragt, ob er weiß, wo ich bin. Er versichert ihr, dass er mir Bescheid gegeben hat. Meine Mutter scheint nicht überzeugt, denn sie greift nach dem Telefon. Ich höre, wie sie aus dem Kopf meine Nummer eintippt. Das verursacht ein Lächeln auf meinen Lippen. Mein Handy vibriert nur. Schmunzelnd gehe ich ran. „Mark, wo bist du?" Ohne Umschweife. Sie klingt leicht gestresst. „Küche", sage ich knapp, aber schmunzelnd. Nach wenigen Augenblicken sehe ich, wie sie durch die Tür lugt als wurde ich spinnen. Ihr Gesichtsausdruck, als sie merkt, dass es der Wahrheit entspricht, ist zum Schießen. „Oh, Schatz, wann bist du gekommen?" Sie kommt auf mich zu und nimmt mich liebevoll in den Arm. Sie trägt diesen wunderbaren blumigen Duft, der sofort Erinnerungen an meine Kindheit weckt und mich selig wiegt. Ich genieße diesen Moment. Durch meinen Auszug sind sie natürlich viel weniger geworden und ich muss gestehen, dass ich es vermisse. „Ich glaube zwischen 'Wo ist mein Hemd?' und 'Im Schrank, wo es immer ist'." „Mir ist mittlerweile eingefallen, dass es am Bügelbrett hängt, aber er wird es schon finden." Meine Mutter, der Scherzkeks. Sie lacht sanft und auch ich schmunzele als sie mädchenhaft kichert. „Möchtest du noch etwas von der Torte?", fragt sie fürsorglich. Ich verneine dankend. „Gut, gut. Wir sind sowieso etwas im Verzug. Deine Schwester eiert sich nicht aus." Ich zucke nur gelangweilt mit den Schultern und gebe keinen verdächtigen Kommentar von mir. Meine Mutter stutzt. Sie kommt noch einmal auf mich zu und legt mir sanft ihre Hand gegen die Stirn. Ich sehe sie verdutzt an. „Kein Fieber. Krank bist du nicht. Also was, mein sonst-um-kein-spaßigen-Spruch-verlegener Sohn, ist los?" Bei ihr meint spaßig eigentlich dämlich. Toll, wie sie es beschönigt. „Dein Sohn ist einfach nicht gut drauf", sage ich und spreche damit sogar irgendwie die Wahrheit aus. Sie mustert mich argwöhnisch, dann lehnt sie sich neben mich an die Küchenzeile. „Hast du Stress?" „Geht so!" „Hast du mit irgendjemanden Ärger?" „Nur das Übliche" Ich blicke auf meine Hände. „Und mit dir und Raphael ist alles gut?", fragt sie unvermittelt und ich sehe verwundert auf. „Alles bestens", sage ich, nachdem ich ihr Gesicht ausführlich gemustert habe und keinerlei Indiz finde, wieso genau sie nach ihm fragt. „Dein Vater hat mir erzählt, dass du und Raphael... Na ja, dass ihr wohl in der letzten Zeit viel miteinander in Kontakt steht." Sie nutzt eine wirklich seltsame Formulierung. Vermutlich hat mein Vater ihr von ungewöhnlichen Zusammentreffen berichtet. Ich bei ihm. Er bei mir. Ich nippe unauffällig an meinem Wasserglas. „Ja. Ich habe ihm bei der Korrektur einer Arbeit geholfen." Meine Stimme klingt seltsam als ich Raphaels Ausrede vom morgen aufwärme. Ich fühle mich, wie in einem Verhör und weiche ihrem Blick aus. In diesem Moment betritt mein Vater die Küche. Er richtet sich seine Krawatte. Sie nimmt die Farbe des Kleides meiner Mutter auf. Es passt perfekt zusammen. In gewisser Weise Partnerlook. „Oh, du bist ja schon da! Gut. Jetzt muss nur noch Maya fertig werden und dann können wir endlich los." Er zerrt an dem Knoten rum und zerknittert dabei die halbe Krawatte. Sie sitzt dazu auch noch schief. Wieder zerrt er daran rum. Ich kann es nicht mit ansehen, gehe zu ihm und schiebe seine Hände zur Seite. Ich löse die Krawatte noch einmal ganz und binde sie ihm richtig. Mein Vater sieht mir perplex dabei zu. Genauso, wie meine Mama. „Woher kannst du das?", fragt er mich und ich lasse seinen Schlips los. Die Verwunderung meiner Eltern ist verständlich. Hätte man mir vor einem halben Jahr eine Krawatte in die Hand gedrückt, dann hätte ich sie wahrscheinlich zerknüllt oder als Strick missbraucht, aber garantiert nicht binden können. Das kann ich erst Dank Jake. Ich selbst besitze keine Einzige und das wissen auch meine Eltern. Er trägt täglich welche auf Arbeit und irgendwann zeigte er mir, wie man sie richtig handhabt. Für jeden erklärten Schritt bekam ich einen Kuss. Jeder Fehler beim Wiederholen kostete mich den baldigen Orgasmus. Wohlige Qualen. Ich habe mir noch nie etwas besser eingeprägt. Die Erinnerung daran lässt mich schmunzeln und etwas erzittern. Ich sehe auf und schaue in die fragenden Gesichter meiner Eltern. „Ich stecke nun mal voller Überraschungen", kommentiere ich, trinke den letzten Schluck Wasser und stelle das Glas in die Spüle. „Scheint so", sagt meine Mutter und es ertönen Stimmen auf der Treppe. Damit ist mein Verhör endlich beendet. Raphaels ruhiger Bariton dringt zu uns runter. Mayas Stimme hingegen hört sich aufgebracht an. Sie klingt wie immer. Zickig, laut und nervig. Ich folge meinen Eltern nun langsam in den Flur. Mit jedem Schritt schlägt mein Herz schneller. Vor allem als ich Raphael am oberen Rand der Treppe erblicke. Er sieht geschafft aus und streicht sich durch die dunklen Haare. Als Maya die Treppe runterschwebt, straffen sich meine Schultern. Sie trägt ein zartrosafarbenes Kleid und es sieht zugegebenermaßen fantastisch an ihr aus. Es geht ihr bis zu den Knien, umschmeichelt sie sanft beim Laufen. Eine weiße Strickjacke verdeckt ihre schmalen Schultern. Für meinen Geschmack ist sie wieder zu stark geschminkt. Sie wirkt, wie aus einem dieser fluffigen, pinken Kitschromane. Raphael folgt ihr mit Abstand. Unsere Blicke treffen sich erst als sie beide unten ankommen. Das Grün seiner Augen schreit förmlich nach Unwohlsein und bittet unaufhörlich um Entschuldigung. So eine Farce. Und ich bin schuld, dass wir sie durchleben müssen. In mir beginnt es zu brodeln. Jetzt schon. Ich gratuliere Maya nur kurz und bündig. Sie legt sowieso kaum Wert auf meine Aufmerksamkeit. Sie würdigt mich kaum eines Blickes. Ich überreiche ihr den Gutschein, den ich für eine ihre Lieblingsboutiquen besorgt habe. Ich habe von diesen einige auf Lager und umgehe damit den Umstand mir in irgendeiner Weise Gedanken machen zu müssen. Maya bedankt sich. Es sind reine Höflichkeitsfloskeln, denn unsere Eltern stehen ja direkt neben uns. Danach bin ich wieder abgeschrieben. Sie dreht sich zu Raphael. Sie sei aufgeregt, quietscht sie ihm entgegen und ich möchte sie erwürgen. Raphael lächelt zurückhaltend und sieht nicht aus als würde er sich sehr darüber freuen seine Eltern zu sehen. Er hilft ihr ganz Gentleman-like in die Jacke. Ihr zufriedenes Lächeln überstrahlt alles. Mit jeder weiteren Berührung zwischen den Beiden merke ich, wie ich gedanklich immer weiter aus dem Geschehen entschwinde. Ich hasse sie dafür, dass sie ihn an sich gerissen hat und ihn für sein narrensicheres Schauspiel, dem selbst ich einen Moment lang Glauben schenke. Zu sehr sogar. Ich hasse sie dafür, dass sie uns das antut und mich selbst, weil ich es zugelassen habe. Mein Herz rast, weil ich genau weiß, dass wir auf Raphael hätten hören sollen. Wenn ich doch nur den Mund aufgemacht hätte, dann wäre uns das alles erspart geblieben. Als wir endlich zu den Autos gehen, bin ich mir nicht mehr sicher, dass ich es wirklich überstehen kann. Dennoch ist es das erste Mal, das mir auffällt, wie sich seine Berührungen ihr gegenüber geändert haben. Es sind keine sanften Gesten mehr, sondern eine einfache an der Schulter oder ihrem Oberarm. Sie sind nichtsbedeutend. Neutral. Maya steigt zu Raphael ins Auto und ich muss mich entscheiden. Ich blicke zu Maya, die mir von der Beifahrerseite aus entgegenblickt, während Raphael noch immer vor geöffneter Fahrertür steht und darauf wartet, ob ich bei ihm einsteige. Meine Fingerspitzen kribbeln und kurzentschlossen gehe auf Raphaels Auto zu. Ich lasse mich auf die Rückbank fallen, höre das genervte Seufzen meiner kleinen Schwester und empfinde dabei schon Genugtuung. Eine halbe Minute lang herrscht Stille. „Warum fährst du nicht bei Mama und Papa mit, Mark?" „Warum schämst du dich nicht, Maya?", knallen wir uns synchron an den Kopf, gefolgt von einem gleichzeitigen Knurren. „Schämen, warum?", fragt sie echauffiert hinterher und macht den Eindruck, als würde sie wirklich nicht verstehen, worin das Problem liegt. Ich starre fassungslos auf ihren blonden Hinterkopf. Ich würde ihn gern durchlöchern. Nur mit meinem Blick. „Wie kannst du es wagen, einfach seine Eltern einzuladen?" „Woher weißt du das?", fragt sie zickig zurück. Sie blickt zum fahrenden Raphael. „Ich weiß mehr, als du denkst, Schwester." Die Verwandtschaftszugehörigkeit betone ich dabei besonders. Anscheinend hat er ihr wirklich nicht gesagt, warum er die Trennung will. „Du hast keine Ahnung, Bruder. Und du hast dich gefälligst nicht einzumischen oder den Mund aufzureißen." „Hast du keinerlei Bedenken, dass dir das auf die Füße fällt? Mama und Papa wären entsetzt, wenn sie das erfahren." „Ach halt doch die Klappe, sonst garantiere ich dir, dass du am Ende des Abends nicht mehr das Lieblingskind unserer Familie bist." Meine Augenbraue zuckt nach oben. Lieblingskind? „Maya hör auf Drohung auszusprechen. Er hat vollkommen Recht. Du hättest sie ohne meine Zustimmung nicht einfach einladen dürfen. Wie bist du überhaupt an die Nummer gekommen?", mischt sich nun auch unser Fahrer ein. Ich sehe, wie sich seine Hände fester um das Lenkrad legen, bis seine Fingerknöchel hervortreten. Maya muss in seinem Handy rumgeschnüffelt haben. Vielleicht schon lange vorher. „Ich wollte dir eine Freude machen. Mehr nicht. Du meintest doch letztens, dass du sie schon so lange nicht mehr gesehen hast und da dachte ich, dass es die Gelegenheit ist." Mayas Stimme ist zuckersüß. Sie macht auf kleines, unschuldiges Mädchen. Ich möchte mich übergeben. „Ach, erzähl nicht. Du hast es aus reinem Kalkül gemacht, weil du sonst in Erklärungsnöte geraten wärst. Also, was versprichst du dir davon?", knurre ich ihr entgegen und lehne mich nach vorn, sodass ich mehr Einblick in die Gesichter der beiden habe. „Ich habe ein Recht darauf, die Eltern meines Freundes kennenzulernen." „Ex-Freund, Maya und du hast kein Recht dazu. Schon gar nicht hinter seinem Rücken", spreche ich säuerlich aus. Raphael schielt kurz zu mir nach hinten. „Hat er dir erklärt, dass er sich explizit von mir getrennt hat? Glaub mir, so war es definitiv nicht." Die Boshaftigkeit in diesen Worten ist kaum zu überhören, aber dennoch spüre ich, wie sie mich verunsichern. Unbewusst sehe ich zu Raphael, der sich krampfhaft versucht darauf zu konzentrieren kein anderes Auto anzufahren. Raphael ist nicht der Typ für direkte und deutliche Worte. Ich kann mir gut vorstellen, dass er rumgedruckst hat und ausgewichen ist. Die Vorstellung bereitet mir gerade Magenschmerzen Deluxe. Wir erreichen das Restaurant. Raphael parkt ein und wir bleiben alle im Auto sitzen. „Maya, hör auf damit! Ich habe dir erklärt..." Ein Klopfen an der Scheibe zur Fahrerseite lässt ihn verstummen. Raphael fährt zusammen. Ich kann deutlich sehen, wie sein Herzschlag zu explodieren scheint, weil sich die Vene an seinem Hals deutlich abzeichnet. An der Scheibe das Gesicht eines Mannes. Raphaels Vater. Ich erkenne das Gesicht vom Foto. Dahinter steht seine Frau. Familie Cohen. „Glaub mir, Mark, es ist noch nicht vorbei", flüstert mir Maya nach hinten und diesmal klingt es nach einer eindeutigen Drohung. Raphael steigt aus und Maya folgt ihm prompt. Ich brauche einen Moment. Als ich endlich aussteige, treffen auch meine Eltern ein. Ich atme tief durch, während die lustige Familienkennenlernrunde beginnt. Es startet mit förmlichem Händeschütteln und Vorstellen. Maya schmettert ihnen ein kindliches Hallo entgegen und sorgt bei mir und meinen Eltern für Kopfschütteln. Raphaels Lächeln als er seine Mutter begrüßt, hat etwas Bezauberndes und trotzdem spüre ich eine gewisse Distanz zwischen den beiden. Insgesamt sind seine Reaktionen recht verhalten. Raphaels Vater ist ein ganzes Stück kleiner als er. Doch das markante Gesicht und die gerade, aufrechte Haltung hat er eindeutig von ihm. Am Bemerkenswerten ist jedoch seine Stimme. Sie ist weich und ruhig, aber auch streng und bestimmend. Sie hat irgendetwas Einlullendes. Es ist faszinierend. Als er mir die Hand reicht, spüre ich, dass sie kalt ist, ebenso wie meine. „Mark, nicht wahr? Freut mich." Seine Stimme verursacht mir Gänsehaut und ich schaffe es nur zu nicken. Danach greift schon seine Mutter nach meiner Hand. Sie muss das gleiche Alter, wie meine haben. Sie hat ein schönes, aber unaufgeregtes Gesicht. Kleine Falten um ihre Lider zeichnen das Leben. Sie verleihen ihr auch etwas Strenges. Ebenso, wie ihre nach hinten gebundenen Haare. Beide machen mir keinen unkomplizierten Eindruck. Sie lächeln nichts einfach weg. „Mark, ja?", wiederholt sie meinen Namen und lächelt. „Ja, freut mich Sie kennenzulernen", erwidere ich höflich und nicke die Richtigkeit meines Namens ab. Die Augen seiner Mutter sind fast so grün, wie die von Raphael, obwohl ihnen dieser ganz bestimme Ausdruck fehlt. Sie sind dunkler, brauner und es fehlt, was sie bei Raphael so unglaublich anziehend für mich machen. Ich blicke verstohlen zu dem Mann meines Herzens. Mein Vater bläst zum Abmarsch und wir setzen uns in Bewegung um endlich ins Warme zu kommen. Raphael hält allen die Tür auf bis ich als Letztes hindurchtrete. Wir bleiben kurz stehen. „Alles okay?", fragt er mich und greift ganz sachte an meine Hand. Eigentlich berühren sich nur unsere Fingerspitzen. Ich sehe die deutliche Nervosität in seinem Blick. Meine ist verflogen und hat der Wut Platz gemacht, die Mayas dummes Gerede im Auto verursacht hat. „Was meinte sie vorhin?", flüstere ich. Raphael antwortet nicht, sondern schüttelt nur minimal den Kopf, um mir zu verdeutlichen, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist um darüber zu reden. „Lass es uns einfach schnell hinter uns bringen, ja?" Dass er nicht richtig antwortet, gefällt mir nicht. Als wir das Restaurant betreten, stehen unsere Familienmitglieder noch immer um den reservierten Tisch herum. Die Stimmung ist, wie erwartet seltsam. Vorsichtiges Herantasten und oberflächliches Kennenlernen. Ich nehme unseren Müttern die Jacken ab und bringe sie an den nächsten gelegenen Garderobenständer. Maya und Raphael setzen sich nebeneinander. Mein Vater setzt sich neben meine Schwester. Ich warte und überlasse Raphaels Eltern die Entscheidung über ihren Sitzplatz. Bereitwillig nehme ich den, der übrig bleibt. Sie entscheiden sich für die Plätze gegenüber Maya und meinem Vater, sodass ich gegenüber Raphael Platz nehmen kann. Meine Mutter sitzt an der Frontseite des Tisches. Das sagt Einiges über unsere Familienstruktur aus, wie ich finde. Direkt neben Raphaels Vater zu sitzen, macht mich nervöser als ich es für möglich gehalten habe. Unbewusst schlage ich die Beine übereinander und tue es damit Raphael gleich, der den Anschein erweckt, ruhig und gefasst zu sein. Doch das schnelle, unstetige Wippen seines Fußes spricht eine andere Sprache. Hin und wieder berührt er meinen. Unabsichtlich. Es ist nur ein hauchzartes Streifen. Ich sehe ihn an. Wir bestellen Getränke und Essen, verfallen in informationssammelnden Small Talk und ich versuch herauszubekommen, wer welche Rolle in dieser Dramödie spielt. Oberflächlich hat das Ganze den Charakter einer reinen Komödie. Meine Mutter gibt den diplomatischen Vermittler. Mein Vater fungiert als Gesprächsanstupser und Themenbringer. Während Familie Cohen sich ebenso aufmerksam einfügt und versucht abzuschätzen auf welche Art von Familie sie hier gestoßen sind. Maya macht einen auf zuckersüße Schwiegertochter in Spe. Sie lächelt und hakt interessiert nach. Ich verhalte mich eher ruhig und versuche nach besten Kräften meinen Puls zu kontrollieren und mich nicht schwallartig zu übergeben. Ich denke ständig an Mayas Worte im Auto und Raphaels Blick. „Und Maya, was hast du neben der Schule noch für Interessen?", fragt Herr Cohen, während die anderen ihren Nachtisch vor die Nase gestellt bekommen. Warmer Apfelstrudel mit Eis und Zimtcracker. Die ruhige, weiche Stimme Raphaels Vaters lullte mich fast ein. Das macht sie schon den gesamten Abend über. Im richtigen Moment würde man ihm einfach Alles abkaufen. Die Ruhe, die er ausstrahlt, ist beeindruckend und nun weiß ich auch, von wem Raphael sein Wesen hat. Sein Vater arbeitet als Chasan und leitet den Gottesdienst in einer Synagoge. Raphael hat mir bisher keinen sehr religiösen Eindruck gemacht und doch sorgt der Gedanke daran, dafür, dass meine innere Panik sprunghaft steigt. Seine Mutter ist Lehrerin. Also tritt er mehr oder weniger in ihre Fußstapfen. Mein Blick wandert über die Gesichter der anderen Essensteilnehmer und bleibt bei meiner Schwester hängen. Sie schaut zu Raphaels Vater, dann kurz zu der Mutter und letztendlich zu Raphael. Als würde die Antwort dieser extrem komplexen Frage in seinem Gesicht stehen. Mich wundert es, dass sie nicht auch noch hilfesuchend zu unseren Eltern blickt. Mama und Papa würden es sicher richten. „Oh, ich interessiere mich für vieles", bringt sie nach einem Augenblick wenig inhaltsreich heraus. Ein erneuter Blick zu Raphael. Für einen winzigen Moment zucken seine Schultern nach oben. Er kann und wird ihr dabei nicht helfen. Wahrscheinlich habe nur ich das bemerkt. „Für Kunst zum Beispiel", greife ich Maya unter die Arme und ernte einen fragenden Blick von allen Parteien. „Ja, vor allem die Aktmalerei hat es ihr angetan, nicht wahr, Schwesterchen?" Ich betone es mit übertriebener Begeisterung. Ein überraschter Blick von Raphaels Eltern. Ein verstehender von Maya und Raphael. Die Gesichtsausdrücke meiner Erzeuger sind eine Mischung aus Entsetzen, Scham und Unglauben. Wahrscheinlich unterlagen sie bis eben der winzigen Hoffnung, dass ich weiterhin schweigsam bleibe. Sie malen sich bereits aus, wo es enden wird, wenn ich mich einmische. Ich habe es ja versucht, aber diese schwiegertöchterliche Farce, die Maya hier abzieht, bereitet mir Übelkeit. Mit einem Mal spüre ich Raphaels Fuß an meinem. Ein Stupsen. Es soll mir eine blumige Warnung sein. Ich bin, wie jeder Mann schlecht im Erkennen von Andeutungen. „Einen Sinn für Ästhetik zu besitzen ist nichts Schlechtes", kommt es unerwarteter Weise von Raphaels Mutter und sie lächelt mir zu. Dieses Lächeln kann ich nicht deuten, doch es nimmt mir für einen Moment jeglichen Wind aus den Segeln. „Obwohl ein solches Interesse für ihr Alter schon etwas Eigenes ist." Herr Cohen sieht zu seiner Frau, während sich Raphael verhalten über den Mund streicht. „Mein Bruder übertreibt gern. Mein Interesse für Kunst umfasst einen durch und durch normalen Rahmen. Im Gegensatz zu seinem unnormalen und zwanghaften Interesse nackte Menschen zu zeichnen. Er ist ein Spanner." Das Normal betont sie besonders. „Maya, bitte!", kommt es warnend von meiner Mutter. Selbst Raphael entfährt ein leises, aber deutliches Maya. Mein Wind ist wieder da und er bläst. „Ich bevorzuge Beobachter und ja, es ist so normal, wie dein übertriebenes Interesse an der Maskenbildnerei. Ich wurde erst vor kurzem von Oleg Popow gefragt, wo sein Bühnenmakeup abgeblieben ist. Ohne fanden ihn die Zuschauer gar nicht mehr witzig. Aber ich wette, du hattest seither sicher viele Lacher." Mayas Mund öffnet sich getroffen, weil ein Kommentar gegen ihr Äußeres auf extremes Unverständnis trifft. Der feuchte Glanz auf ihren Lippen lässt sie in diesen Moment, wie einen japsenden Goldfisch aussehen. In ihren eigenen Augen ist sie äußerlich perfekt. Wahrscheinlich sehen das auch viele andere so. Ich nicht. Für mich ist es nicht mehr, als eine Maske aus Lüge und Schein. „Daran sieht man, dass du definitiv keinen Geschmack hast und dein viel gelobtes ästhetisches Empfinden für den Arsch ist." „Du weißt doch nicht einmal, wie man Ästhetik schreibt, geschweige denn, was es wirklich bedeutet." „Ich verkörpere mehr Schönheit als du dir jemals zusammen fantasieren kannst." Meine Schwester ist kein bisschen eingebildet. Sie erntet von mir einen fassungslosen Blick voller Unverständnis und Abneigung. „Ach, und weil das so ist, beraubst du mich meines Eigentums? Du bist nichts weiter als eine schlechte und inhaltslose Kopie trivialer Modismen." Die Gesichter am Tisch werden immer verwunderter. Selbst Raphael sieht nicht mehr durch, da er nicht weiß, dass sie die Bilder von ihm von mir gestohlen hat. Maya und ich funkeln uns gegenseitig an. „Du bist ätzend, Mark!" „Du bist langweilig. Fällt dir auch mal, was Neues ein?", kommentiere ich ihren ewigen Satz und verdrehe die Augen. „Kannst du gernhaben. Mark ist schw..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)