Doors of my Mind 2.0 von Karo_del_Green (Ihr Freund. Mein Geheimnis) ================================================================================ Kapitel 9: Ein Mann für gewisse Stunden --------------------------------------- Kapitel 9 Ein Mann für gewisse Stunden Ich blicke mich in der ruhigen Wohnung um. Nur hin und wieder wird der dunkele Raum durch die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos erhellt. Das ist einer dieser Momente, in denen mich das Alleinleben auffrisst. Ich ziehe das Handy wieder zu mir heran und scrolle mein Telefonbuch durch. Als Erstes lande ich bei Shari, doch da ich mir sicher bin, dass sie lernt oder vielleicht sogar schon schläft, lasse ich es sein. Ich blättere etwas nach oben und für einen Moment erliege ich fast der Versuchung Jake anzurufen. Doch wie erkläre ich diesem meine Stimmung, ohne das Offensichtliche zu verraten. Ich hole einmal mit dem Daumen Schwung und lasse dem Display freilaufen. Danny DiMarcos Name erscheint genau mittig. Ich sehe sein vergnügtes Grinsen und erinnere mich prompt an die gelassene Stimmung, die mit ihm herrscht. Er ist mein Kerl für unbedarfte Stunden. Er ist heute meine Rettung. Kurzerhand tippe ich auf den grünen Hörer und es beginnt zu klingeln. „Anstalt für chronischen Muskelkater und positive Muskelversteifung, was kann ich für sie tun?", flötet mir Danny mit heiterer Stimme entgegen. „Ich hätte gern einen ihrer Patienten gesprochen. Er gehört, aber eher in die Kategorie chronische Muskelspasmen", gehe ich auf den Scherz ein und lehne mich zurück. „Tut mir leid, so einen Patienten haben wir nicht. Aber hätte der Herr daran Interesse unserer Selbsthilfegruppe beizutreten?" „Oh, Testosteron, Selbstverliebtheit und Muskeln. Der Traum eines jeden Nerds", kommentiere ich diese Einladung. Danny beginnt zu lachen. „Wenn du das sagst. Wie geht es meinem Lieblings-Dima?", fragt er mich und ich denke über die Verwendung meines Nachnamens nach. Das macht Danny seit unserer Schulzeit und es hat mich auch immer etwas gestört, aber mittlerweile weniger als damals. „Muss. Muss. Bei dir alles senkrecht?", erwidere und ernte ein kehliges und vergnügtes Lachen. „So senkrecht, wie es nur geht, Mark." Ein weiteres, aber diesmal dreckiges Lachen. „Zu viel Information, vielen Dank! Wie läuft das Studium?", frage ich. „Eigentlich ganz gut. Es ist anstrengend und ehrlich, ich dachte, Raphael war hart, aber gegen unsere Trainer hier ist er ein zahmes Kätzchen." Danny macht ein schnurrendes Geräusch und in meinem Kopf bildet sich ein Bild von Raphael mit Katzenohren. Er auf allen Vieren mit nichts an außer den besagten Öhrchen und flauschigen Tatzen. Ich unterdrücke ein prustendes Lachen und nehme mir vor, davon irgendwann einmal ein Bild zu malen. Ich verdränge die Gedanken, als sie mir augenblicklich auf den Magen schlagen. Ich will nicht mehr an Raphael denken. Ich will Ablenkung und Danny kann sie mir garantiert bieten. „Am Schlimmsten ist die Lernerei", ergänzt er seine Ausführungen. „Tja, lieber Danny, irgendwann musste der Zeitpunkt kommen, an dem zu deinen Beinchen auch noch Köpfchen dazu kommt." „Aber wieso, ich habe doch auch noch Ärmchen und Waschbrettbäuchchen", kontert er in völliger Überzeugung und ich kann mein Lachen nicht mehr zurückhalten. In vielerlei Hinsicht erfüllt er voll und ganz das Klischee eines Sportlers. „Du kannst dich in der nächsten Klausur ja mal ausziehen. Vielleicht hilft es", sage ich ungerührt und lasse es klingen, als wäre es ein ernstzunehmender Vorschlag. „Ich sehe schon, in dir bekomme ich keinen ernstzunehmenden Unterstützer! Das wird dich, was kosten, Mark", kommentiert Danny theatralisch und wenig ernsthaft. „Vielleicht heute Abend schon? Ich lad dich auf ein Bier ein", frage ich und überrasche mich damit selbst. Ich bin normalerweise nicht der Typ für so was, aber in mir schreit es nach leicht bekömmlicher, menschlicher Nähe und Danny ist genau der Richtige dafür. Abgesehen davon haben wir uns schon eine Weile nicht mehr gesehen. „Jo, gern. Ich will mich sowieso Mal vorm Lernen drücken. Mein Zimmernachbar ist schrecklich gewissenhaft und säuft nur an den Wochenenden." Ich stelle mir vor, wie Danny dabei den Kopf schüttelt und breitbeinig auf seinem Schreibtischstuhl fläzt. Wahrscheinlich nur in Unterwäsche. Oder nur in Socken. Ich schüttele den Gedanken fort. Wir verabreden uns für eine Bar in der Stadt, in der wir schon mehrere Male nach dem Abschluss waren und ich mache mich nach dem Richten von Haaren und Klamotten auf den Weg. Ich bin als Erster vor Ort. Von Danny keine Spur. Sein Weg ist weiter als meiner und er ist ebenfalls auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Das ist immer so eine Sache. Ich beginne vor einem Papierkorb meine Jackentaschen zu leeren. Kassenbons, Kaugummipapiere und eine aus vier Dingen bestehende Einkaufsliste. Brot. Duschbad. Tee und ein einzelnes K. Das K steht für Kondome. Was die Liste wohl über mich aussagt? Ein einfaches, aber durchtriebenes Leben. Der Zettel ist schon uralt. Ich lasse alles verschwinden und es ist natürlich genau die Liste, die an der riesigen Mülleimeröffnung vorbei fällt. Bevor ich sie aufheben kann, sehe ich große, muskulöse Hände und schaue dabei zu, wie Danny amüsiert grinsend den Zettel entfaltet. „So, so. Kohlenhydrate, Kosmetik und das eindeutig falsche Getränk zum Aufbrühen. Ich nehme mal an, dass das K für Karamellbonbons steht?" „Natürlich, genauso wie SM eigentlich schmusend meditieren meint", sage ich trocken und hebe meine Augenbraue. Ich nehme dem grinsenden Danny DiMarco den Zettel aus der Hand und stecke ihn statt in den Mülleimer, wieder in meine Tasche. „Hach, wie ich das vermisse", sagt der große Mann übertrieben quietschend und schlingt seine Arme mich. Erst jetzt merke ich, wie bullig Danny wirkt. Er drückt mich weniger fest als es aussieht und als er mich wieder loslässt, sehe ich ihn unverhohlen musternd an. Ich staune nicht schlecht, denn er scheint noch muskulöser und breiter geworden zu sein. Im Grunde sieht er nicht mehr wie ein Leichtathlet, sondern wie ein Boxer aus. Vielleicht hatte ihn unser kleiner Kampf auf den Geschmack gebracht. „Danny. Wow, womit füttern die dich in deiner Uni? Mit nuklearem Spinat?", frage ich verblüfft. Danny grinst. „Gedopte Pilze und testorongetränkte Tomaten", kommentiert er. „Chemieverseuchtes Gemüse. Du bist definitiv furchteinflößender geworden." Ich mustere ihn ein weiteres Mal von oben bis unten und habe das Gefühl, das mir immer wieder der Mund aufklappt. Danny nutzt die Gelegenheit und stellt sich extra posend zu mir. Er macht den Popeye und ich verkneife mir ein Lachen. Seine blonden Haare sind kürzer, aber seine blauen Augen so intensiv, wie immer. „Ja, jetzt haust du mir nicht mehr so leicht eine rein, Dima!" Als ob es vorher ein Leichtes für mich gewesen war. Er boxt mir sanft gegen die Schulter und legt mir dann seinen Arm um. Fast beschützend. „Ja, garantiert nicht. Lass uns reingehen. Ich brauche auf den Schreck ein Bier", sage ich. „Dito." Danny grinst und schiebt mich dann Richtung Eingang. Warme, stickige Luft dringt uns entgegen. Der Geruch von Zigaretten. Alkohol. Das Etablissement hat etwas Rustikales. Eine typische Spelunke. Wir setzen uns direkt an die Bar und bestellen gleich zwei Bier. „Wie geht es deiner besseren Hälfte?", fragt mich Danny, nachdem er einen großen Schluck von seinem Bier genommen hat. Ich puste, währenddessen im üppigen Schaum meines Glases rum. Kein Durchkommen. Ich mag den Geschmack und die Konsistenz des Schaumes nicht. „Hütet Haus und Kinder", sage ich lapidar und sehe, wie sich eine von Dannys buschigen Augenbrauen hebt. Er glaubt noch immer nicht so richtig, dass zwischen mir und Shari nichts läuft. Er weiß auch nichts von meiner Homosexualität. „Sie ist in ihrem Elternhaus und bringt ihre kleinen Brüder ins Bett oder schläft oder lernt", ergänze ich meinen Ausspruch und sehe Danny verstehend nicken. Wahrscheinlich spielen sich in seinem Kopf dennoch allerhand seltsame Szenen ab. Ich kann darüber nur mein Haupt schütteln. „Aber keine Sorge, ich habe ihre Erlaubnis." „Gut, dass sie dich noch immer im Griff zu haben scheint." „Ja, mehr oder weniger. Ich werde langsam aufmüpfig. Ich bin in diesem gewissen Alter, weißt du?" „Auch du musst ja irgendwann in die Pubertät kommen, Dima." „Dabei habe ich so gehofft, dass ich meinen jungenhaften Charme behalten kann." „Hoffentlich erklärt dir Shari bald, was es mit den Bienen und Blümchen auf sich hat." Der Austausch von sinnfreien Kommentaren. Ich genieße die Gedankenlosigkeit und die Blödelei. „Wehe, du erschütterst meinen Glauben an den Storch!", sage ich drohend und Danny fasst sich spielerisch schützend an die Nase, so wie er es nach unserer Prügelei öfter getan hat. „Ich dachte immer, solche wie du wachsen unter der Erde?" „Bist du der Überzeugung ich bin eigentlich ein Zwerg?" „Beweise mir das Gegenteil!", sagt Danny herausfordernd. Ich stehe auf und stelle mich auf die Zehenspitzen, bin damit einen Kopf größer als er auf dem Barhocker. „Es ist des Zwergen Eigenart, dass er die Frauen mag behaart!", zitiere ich Gimli, aus Herr der Ringe und bekomme erst später mit, wie viel das über meine eigenen Vorlieben aussagt, denn ich mag meine Partner tatsächlich gesichtsbehaart und männlich. Danny lacht herzhaft auf. „Behaart. Du bist ein Typ! Wie läuft die Kunst bei dir?", fragt er mich. Ich setze mich wieder auf den Barhocker neben ihm und nehme den ersten schaumgetränkten Schluck aus meinem Glas. Er ist bitter. Meine Halsstränge ziehen sich zusammen. Ich wische mir Schaum von der Lippe. „Du machst doch irgendwas mit Kunst, oder?" Ich nicke und bin mir sicher, dass ihm noch immer nicht ganz klar ist, was ich eigentlich studiere. Irgendwann während unserer Abschlussfeier hatten wir eine längere Diskussion über das Für und Wider der Produktgestaltung. Danny war felsenfest der Überzeugung, dass bereits vorhanden Designs und bewährte Produkte wie von Zauberhand und aus Zufall entstanden sind. Ich gab mich tatsächlich irgendwann geschlagen und ließ ihm seinen Glauben. Denn ich war zu dem Zeitpunkt schon zu betrunken, um sein ebenso lädiertes Gehirn erreichen zu können. „Läuft. Im Moment werde ich mit Informationen über Methoden überschüttet. Also kaum kreative Arbeit..." „Wie schade. Ich habe deine Arbeiten immer bewundert und der Comic, den du auf dem Klo der Umkleideräume verewigt hast, ist einsame Spitze" Danny lacht, doch ich laufe rot an. Er meint eine humoristische Karikatur unserer Lehrerschaft. Der Comic war eine meiner Trotzhandlungen, nachdem ich wegen vorlautem, aber ehrlichen Verhalten eine Rüge kassiert hatte. Ich regte mich in diesem Moment so auf, dass ich mich für eine Stunde ins Klo sperrte um nachzudenken. Irgendwann begann ich die Wand voll zu kritzeln und daraus wurde ein Comicausschnitt. Es zog ziemlich bald die Runde, doch Dank des seltsamen Schülerzusammenhalts unserer Schule drang davon nie etwas zu den Lehrern durch. Es blieb ein unterhaltsames und gut behütetes Geheimnis. Ich dachte, dass nie jemand herausbekommen hat, dass ich das Ding dort hingemalt habe. Ich habe mich eindeutig geirrt. Danny versteht meinen verwunderten Blick. „Ja, keine Sorge. Es wissen nur wenige." „Woher?" „Alter, wir waren Jahre im selben Kunstkurs und hingegen der weitläufigen Meinung, bin ich nur halb so sehr Neandertaler, wie alle denken." Er schlägt sachte auf den Tresen und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn lange für genauso einen Neandertaler gehalten habe. Der Stereotyp eines blonden, blauäugigen Sportlings, der nichts anderes konnte als Muskeln stählern und gutaussehen. Danny nimmt einen großen Schluck Bier. Ich tue es ihm gleich und bin noch immer etwas perplex. Er beobachtet mich und ich bin mir sicher, dass er weiß, welche Meinung ich früher von ihm hatte. Warum auch nicht, schließlich habe ich mit meiner Meinung nie hinterm Berg gehalten. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich die Zeichnung so lange hält", sage ich knapp und Danny nickt. Damit hat wahrscheinlich niemand gerechnet. „Am besten war die Karikatur vom Herr Müller." Der Sportlehrer. Ich rufe mir die sexuell angehauchte Szene mit zwei Stoßkugeln in den Kopf. Ich habe viel Fantasie und diese habe ich in dem Werk ausführlich umgesetzt. Ich sehe, wie Danny den Kellner ran winkt und dieser uns dann zwei Tequila hinstellt. Oh, oh. Bevor ich etwas dagegen sagen kann, redet er einfach weiter. „Ich habe mir absichtlich immer die Kabine ausgesucht, weil ich es so lustig fand." Er lacht zur Untermalung seiner Meinung. „Und einmal bin ich vor dem Training auf Raphael getroffen. Er stand bei geöffneter Tür in der Kabine. Eine echt seltsame Situation, sag ich dir." Und wieder dieser Name. Schlagartig wird mir der Grund für dieses Treffen bewusst und das, obwohl die Ablenkung, die ich mir durch Danny erhofft habe, wirklich eingetreten ist, schlägt meine Stimmung etwas um. Die Zeichnungen entstanden in Raphaels letzten Schuljahr und ich habe nie darüber nachgedacht, dass er sie auch gesehen haben könnte. „Wir haben uns unterhalten und er merkte an, dass er wisse, von wem der Comic ist. Ich dachte erst 'Shit, jetzt bekommen die Lehrer davon Wind' und sie wird entfernt. Doch er hat nur gelacht und dann haben wir uns über dein Talent unterhalten", fährt er fort und schmückt seine Erzählung lauter lustigen Stimmen. Trotzdem spüre ich, wie mein Puls langsam, aber sicher nach oben schnellt und er heiß in meinen Adern vibriert. Woher Raphael wohl erkannt hat, dass ich der Schmierfink war? In der Schule hängen etliche Bilder von mir aus, aber nur durch den Namen darunter ist zu erkennen, dass ich sie gemalt habe. „Er weiß von der Zeichnung? Das wusste ich nicht", murmele ich eigentlich mehr zu mir, als dass ich auf Dannys Redeschwall reagiere. Der Gedanke lässt mich erröten. Wie nah ist er mir immer gewesen? Obwohl ich ihn immer auf dem Radar hatte, sind mir so viele Dinge nicht aufgefallen. Die Fotos. Sein Interesse. Erneut denke ich an den Ausdruck in seinen Augen, als er vorhin gegangen ist. Der Schmerz darin brennt sich in mein Inneres. Meine Abweisungen verletzen ihn, aber ich will mich doch nur selbst schützen. Ist das verwerflich? Ich nehme mehrere große Schlucke aus meinem Glas und habe endlich den elendigen Schaum weg. Ein paar wenige Schaumreste tanzen über die klare, gelbliche Flüssigkeit, bilden verschiedene Formen und setzen sich am Rand ab. „Ja, natürlich!", erwidert Danny als wäre es selbstverständlich, dass Raphael es wusste und die Hand, die eben noch auf meinen Rücken klopfte, bleibt an meine Schulter liegen. „Du hast das echt nicht mitgekriegt?" „Mein Universum ist erstaunlich klein!", sage ich und lächle verlegen. „Scheint so. Lass uns anstoßen. Auf die tolle Schulzeit." Er greift nach dem Schnapsglas und wie leeren gemeinsam und nach den altbekannten Vorschriften den Tequila. Ich widerstehe dem Bedürfnis, den Agaven-Brand ohne Zitrone und Salz zu schlucken. Das Klirren der Gläser ist leise und ich sehe einen Moment dabei zu, wie Danny danach mit einem Zug die Hälfte des Bieres leert. Ich atme kurz durch und tue es ihm gleich. Unser erstes Bier ist schnell verschwunden. Neben ständigen Erinnerungen an Situationen aus unserer Vergangenheit kommen auch gegenwärtige Ereignisse zur Sprache. Danny berichtet von den sportlichen Frauen an seiner Fachhochschule. Alle samt gelenkig und ausdauernd. Ein Füllhorn an Frauengeschichten. Ich gebe meinen Senf dazu und bin immer wieder staunt, wie einfach es mir fällt, unauffällige Reaktionen hervor zu kitzeln. Eine Anspielung hier und ein sexueller Kommentar dort. Ein weiteres Männergespräch. Im Grunde bin ich das perfekte, verdrängende Klischee eines Schwulen, der sich noch nicht geoutet hat. Dannys Gelächter wird mit jedem Schluck Alkohol lauter. Meine Gedanken werden etwas betrübter. Bald sind wir beim vierten Bier und dritten Tequila. Dannys maskulines Rambogesicht wird welpenartig und sein Blick mit jedem weiteren Schluck weicher. Langsam merke ich, wie mir die Grundlage und der Verstand schwinden. „Gut, genug von mir. Was macht die Liebeskunst bei dir?" Danny greift nach seinem frischen Bier und setzt erst zum Trinken an, als ich Anstalten mache zu reden. "Sittsam, wie eh und je", kommentiere ich und merke, wie ich langsam zu lallen beginne. Ich verkneife mir ein leichtes Kichern, weil mir die Absurdität meiner Bemerkung erst nach und nach auffällt. Ich denke an meine Stell-dich-eins mit Jake und bin von sittsam weit entfernt. Was würde er sagen, wenn ich ihm davon erzähle? Die Szenerie in meinem Kopf ist vielfältig. „Spielst du immer noch den trockenen Sexoholiker?", fragt Danny kichernd. „Japp. Staubtrocken. Komplettes Brachland." Wir kichern nun beide. „Sorry, aber das kriege ich nicht auf die Reihe. Du hättest dich schon durch die halbe Schule vögeln können und ich glaube kaum, dass die Angebote in der Uni weniger werden." „Ehrlich? Wie kommst du denn auf so was?", frage ich wenig von der Aussage überzeugt. Auch Shari meinte mal zu mir, dass ich teilweise ziemlich blind durch die Gegend gelaufen bin, doch die halbe Schule scheint mir etwas überzogen, aber Übertreibungen liegen einfach in Dannys Natur. „Ja, man. Du bist witzig, charmant und ein ganz Hübscher. Ich weiß allein von drei." Er hebt seine Hand und nach einigem hin und her zeigen seine Finger wirklich drei. „Du hättest in Mathe besser aufpassen sollen, denn drei sind nicht die Hälfte von 350", kommentiere ich platt, indem ich die Anzahl der Schüler unserer ehemaligen Schule aufzeige. Sein Blick ist verwirrt. Wahrscheinlich ist Logik in seinem Zustand kein Bestandteil mehr. Ich nehme einen großen Schluck Bier und gestehe mir ein, dass es von Bier zu Bier besser schmeckt. Aber langsam habe ich genug. „Ha, ich habe es. Du und Shari. Da läuft doch so eine Freundschaft mit Sonderleistungen- Ding." Sein Gesicht strahlt so sehr, dass man glauben könnte, er hätte eine Methode für unerschöpfliche Energie entdeckt und würde damit die Welt revolutionieren. „Gestatten der Eunuch", kommentiere ich und beuge mich nach vorn, „Denn wenn das wahr wäre, hätte mich Sharis Vater längst kastriert." Ich schaffe es meine Stimme so ernst klingen zu lassen, dass Danny schluckt. Ich weiß nicht, ob er weiß, was ein Eunuch ist, doch es ist mir in diesem Moment auch herzlich egal. „Das würde, aber Einiges erklären!", sagt Danny trotz des entsetzten Blickes und ich boxe ihm gegen die Schulter. „Shari ist scharf", ergänzt er und ich merke, wie sich langsam, aber sicher erneut mein Beschützerinstinkt regt. Erneut legt er brüderlich seinen Arm um mich. „Red nur weiter, ich bin so ungehemmt, dass ich dir trotz deiner Statur eine reinhaue. Vorausgesetzt ich treffe." Ich hebe meine Faust um meiner Drohung Nachdruck zu verleihen und benutze logischer Weise meine Kaputte. Danny nimmt meine verbundene Hand runter und beginnt laut zu lachen. „Keine Sorge, auch ich bin lernfähig. Wenn es um Shari geht, wirst du zum bengalischen Tiger!" Noch immer liegt sein schwerer Arm auf meiner Schulter und macht keine Anstalten, dort zu verschwinden. Im Gegenteil. Er drückt mich sachte gegen seine Brust, fast liebevoll. So wie es auch mein Onkel Thomas tut. Ich fühle mich wohlig. Er fasst mir an die Schulter und dreht mich auf dem Barhocker zu sich. Meine Jeans quietscht über den glatten Stoff der Sitzfläche. Ich frage mich, wie er mich so leicht gedreht bekommt und sehe mich verwirrt um. Seltsam. Seine beiden Hände liegen auf meinem Körper und er fixiert mich leicht wankend. Ich erwidere seinen Blick, lasse ihn starren und ziehe dabei ein paar verwunderte Grimassen. Irgendwann lässt er mich los, greift nach seinem Glas und schüttelt den Kopf. „Nein, ich durchschaue dich nicht. Keine Chance." Er macht eine typische Ich-gebe-auf-Bewegungen und ich sehe ihm dabei zu. „Ich bin ein Phämo..Phanmom...men...ich bin anders", sage ich, als ich merke, dass sich das klare Wort in meinem Kopf einfach nicht wiedergeben lässt. Danny fährt sich durch die kurzen Haare und sieht mich einen Moment forschend an. „Anders, aber gut." Er zeigt mit dem Finger auf mich und ich drehe mich wieder zu Tresen. Das halbe Bier ist bereits verschwunden. Ich lasse mir das Wort durch den Kopf gehen. Ich habe nie anders sein wollen. „Raphael hatte das auch gesagt!", merkt er plötzlich an. Ich sehe, wie seine bulligen Finger über sein breites Kinn streichen. „Was?", frage ich begriffsstutzig. „Dass du anders bist. Damals auf dem Klo. Ich weiß noch, dass er dabei lächelte. Ich habe nie darüber nachgedacht, woher er dich eigentlich kannte, schließlich waren wir nicht in derselben Stufe und er war zu der Zeit auch noch nicht mit deiner Schwester zusammen. Aber jetzt. Schon komisch." Dannys zusammengefasste Impressionen erstaunen mich. Danny ist definitiv ein besserer Analytiker als Shari und ich. Ich starre ihn an. „Was ist das eigentlich mit dir und Raphael?" Sein Blick, der bisher nach vorn gerichtet war, wendet sich zu mir. Meine Stimmung kippt. „Ja, also...es ist kompliziert", wiegele ich Dannys Frage ab und nehme einen gigantischen Schluck des Bieres mit dem Ergebnis, dass mir auf beiden Seiten des Mundes Flüssigkeit vorbeiläuft. Nun bin ich auch noch ein Klischee. Ich spüre schon jetzt, dass mein Appetit auf Bier umgeschlagen ist. Der Alkohol verursacht mir Übelkeit. „Kompliziert. Das passt nicht zu dir, Dima." Dannys Hand an meine Schulter. Selbst, wenn ich es ihm erklären wollte, ich kann es nicht. Ich schaffe es nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Hunderte Bilder von Raphaels Gesicht prasseln auf mich ein. Der Moment vorhin. Was hatte er mir sagen wollen? Ich blicke auf meine demolierte Hand und spüre noch jetzt seinen festen Griff. Ich seufze schwermütig. „Na komm, was habt ihr da für ein Ding am Laufen?", stichelt Danny weiter und ich weiß, dass er nicht aufhören wird. Ich blicke in das Bierglas und nehme einen weiteren Schluck. Ich seufze ergeben. „Na gut...Tagsüber braver Student, bei Nacht bin ich der Rächer in Jumpsuit und Raphael mein grünbestrumpfter Gehilfe." Das Lachen meines Gegenübers ist herzhaft. Wahrscheinlich bildet sich in seinem Kopf dasselbe kuriose Bild, wie in meinem. Warum sollte der Gehilfe mal nicht größer und muskulöser sein, als der eigentliche Held? Ich sollte meine Comiczeichnertätigkeit wieder aufnehmen. Markmen und Raphboy. „Die perfekte Tarnung, Clark Kent, aber ich weiß, dass du gar nicht so harmlos bist, wie du tust." Danny mustert mich eingehend. Ich weise ihn nicht darauf hin, dass er im falschen Comic ist. Er lässt sich nicht ablenken. „Oh, okay. Ich bin eigentlich der heimliche Star der Leichtathletikwelt. Ich bin Usain Bolt", witzele ich übertrieben. Ein weiterer Versuch. Danny grinst. „Nein, im Ernst, Mark.", mahnt er mich lachend an. „Ich verwalte den Schlüssel zu Mayas Keuschheitsgürtel." Ein weiterer Scherz auf Raphaels Kosten. Dannys Lachen wird immer lauter. „Ach komm, Raphael ist doch ein Frauenversteher und Schwerenöter. Der zwinkert nur und der Keuschheitsgürtel fällt von allein von ihrer Hüfte." Autsch. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Das kann nicht gesund sein. Ich presse meine Kiefer aufeinander und trinke danach mein Glas leer. Unweigerlich frage ich mich, wie Raphael wohl gewöhnlich mit Frauen umgeht. Wahrscheinlich hat Danny Recht. Er kommt sicher gut bei Frauen an. Ich kenne nur die Zurückhaltung im Umgang mit Maya. Kaum körperliche Intimität, aber weiß ich, was er ihr abends beim Zubettgehen ins Ohr flüstert? Wie viele Freundinnen hatte Raphael vor Maya? Ich weiß rein gar nichts über ihn. „Gib es zu, du hast ihn dazu gedrängt das Stipendium anzunehmen, damit du diese Kindergartenbeziehung nicht länger ertragen musst. Oder woran lag es, dass er doch abgezischt ist?" Kindergartenbeziehung, wiederhole ich in Gedanken und seufze unmerklich. Ich habe ihn nicht überredet, aber dennoch war ich einer der Gründe seines Abgangs. Nur in einer ganz anderen Form als sich Danny vorstellt. „Vielleicht war er es einfach Leid grüne Strumpfhose zu tragen. Vielleicht hat er gemerkt, dass er mir sportlich nichts mehr vor machen kann." Meine Stimme ist wenig witzig, sondern einfach bedrückt. Ich greife ein letztes Mal das Glas und nur noch Schaumreste treffen auf meine Zunge. Dannys Blick ruht auf mir. Ich hole tief Luft, obwohl es mir schwerfällt. „Vielleicht lag es daran, dass ich den Schlüssel zu Mayas Keuschheitsgürtel verloren habe... oder daran, dass ich mehr für ihn empfinde, als gut für uns ist." Ich krame einen letzten Rest des amüsierten Tonfalls heraus und grinse zur Abrundung. Doch Danny lacht nicht. Ich auch nicht. Ich vermeide es zu ihm zu sehen, denn ich habe Angst vor seiner Reaktion. In Gedanken beginne ich ungefähr zu überschlagen, was ich Danny schulde, denn er hat bisher alles bezahlt. Ich ziehe mein Geldbeutel hervor, suche die Scheine raus und gebe noch was drauf. Während der Mann neben mir noch immer schweigt, lege ich mit einem ernüchterten Blick die Scheine hin. „Du machst keinen Scherz!", bemerkt Danny leise. Ich rutsche vom Barhocker und greife nach meiner Jacke, die auf einem Nachbarstuhl liegt. „Bist du dir sicher? Ich finde, das ist doch die Dramödie schlechthin", erwidere ich mit Pauls Wortlaut und schere mich nicht darum, ob Danny den Zusammenhang versteht. Mir wird immer deutlicher, wie aberwitzig die Geschichte doch ist. Ich, verliebt in den Freund meiner Schwester. Lachhaft. Verrückt. Schmerzhaft. Ich ziehe mir die Jacke über die Schultern. Der Alkohol arbeitet sich durch meinen Körper. Im Stehen merke ich ihn nur noch mehr. "Ist er wieder da?", fragt Danny ruhig. „Ja, dass ist er...Entschuldige Danny, aber ich muss los. Danke für den Abend." PS vom Autor: An alle meine lieben Leser und euch an euch grandiosen Kommieschreibern, ich wünsche euch eine besinnliches Weihnachtsfest und hoffe, dass ihr die Zeit genießt. Ich bin noch immer nicht in Weihnachtsstimmung XD mal sehen, ob das noch was wird. Die Weihnachtshektik hat mich jedenfalls schon. :) In dem Sinne eine frohes Fest ! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)