Doors of my Mind 2.0 von Karo_del_Green (Ihr Freund. Mein Geheimnis) ================================================================================ Kapitel 8: Den Punkt der Umkehr…um so | | viel verpasst ------------------------------------------------------- Kapitel 8 Den Punkt der Umkehr…um so | | viel verpasst Ich schaue auf das silberne Häufchen, welches er mir entgegenstreckt. Der kleine Anhänger liegt mit der Rückseite zu mir und doch habe ich sofort die Zahlen darauf im Kopf. Mein Herz presst sich gegen meinen Brustkorb, bleibt dort kurz stehen, um dann flugs heftig und unkontrolliert weiter zu schlagen. „Nein, ...", sage ich und es klingt mehr als unentschlossen. Raphael atmet tief ein und streicht sich durch die dunklen Haare. „Warum nicht?" Fragt er mich das wirklich? Warum nicht? Immer wieder klappt mein Mund auf und wieder zu. Ich suche nach der richtigen Antwort, doch kein Laut dringt über meine Lippen. Nur hin und wieder ein eigenartiges Japsen. Es muss reichlich bescheuert aussehen und trotzdem blase ich aus Frustration kurz die Backen auf. Ich habe arge Probleme es vernünftig auszudrücken. Wieder einmal. Wieder mal nur Weil ich in Raphaels Nähe bin. Ich gebe nicht auf. „Du und Ich... und Maya... Hallo?" Das Problemtrio ist schnell komplett. Den Namen meiner Schwester betone ich besonders. Der Mann neben mir schaut verzweifelt auf seine Hände. Ich würde ihm gern sagen, dass sie ihm nicht helfen können. Er muss den Mund auf machen. Er muss es erklären. Ich will endlich verstehen, was in seinem Kopf los ist, dass er glaubt die Kette würde ausreichen um mich zu überzeugen. „Raphael, du begreifst es nicht, oder? Die Kette macht nichts vergessen und sie löst auch die Probleme nicht. Du bist immer noch mit ihr zusammen." „Ich weiß. Mark, ich will es doch nur richtigmachen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und du irritierst mich." Der letzte Teil ist nur noch ein Flüstern. Was genau bedeutet es richtig machen? Wenn es sein Anliegen ist, niemanden weh zu tun, dann ist sein Versuch bereits gescheitert. „Wie bitte?" „Vor ein paar Monaten warst du so offensiv und jetzt weist du mich ab. Das irritiert mich", erklärt er und ich bin mir sicher, dass ihn das nicht nur irritiert, sondern arg verunsichert. Mir geht es ähnlich, aber was soll ich tun? Soll es so weitergehen, wie bisher? Das schaffe ich nicht. „Willst du, dass ich über dich herfalle, wie ein Tier? Tut mir leid, momentan hat nur der Streichelzoo für Sie geöffnet", sage ich sarkastisch. Ich weiß, dass er nichts in dieser Richtung ausdrücken wollte. Raphael sieht mich mit einem gemischten Blick an. Wut. Unsicherheit. Unglauben. Was will er von mir hören? „Ich will und brauche mehr, als nur mal einen Kuss zwischendurch. Ist dir das eigentlich bewusst? Ich glaube, du verstehst nicht, was du jedes Mal wieder in mir lostrittst. Außerdem verstehe ich nicht, was du mit deinem dämlichen Hin und Her bezweckst. Du kannst nicht mich küssen und dann meine Schwester herzen als wäre nichts gewesen." „Ich weiß das. Ich versuche es doch nur...", flüstert er in den Wind und ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Vor allem, weil er seine Gedanken erneut abbricht. „Wirklich? Was soll das dann?", frage ich dementsprechend skeptisch, „Wie soll ich dich oder das, was du sagst ernst nehmen, wenn du im nächsten Atemzug jedes Mal das Gegenteil machst. Du kommst als Erstes zu mir und dann überraschst du meine Schwester? Du sagst, du willst mich nicht verlieren, aber setzt alles daran, dass ich niemals in deiner Nähe sein kann. Erkennst du mein Problem?" „So war das nicht, Mark. Ich wollte nicht zu Maya. Ich wollte erst mit dir reden und dann mit ihr. In Ruhe. Aber deine Mum hat plötzlich nur noch davon geredet, Maya zu überraschen und Kuchen am Sonntag. Was hätte ich denn machen sollen? Hätte ich Nein sagen sollen?" „Ja, wäre doch mal ein Anfang", kommentiere ich und weiß, dass das bei meiner Mutter nicht so einfach ist. Zudem hätte Raphael keine plausible Begründung gehabt, denn warum sollte er seine Freundin nicht sehen wollen? Raphael richtet sich auf und bleibt kurz hinter mir stehen, dann kommt er rum. Er setzt sich neben mich. „Das sagst du so leicht. Du hattest neunzehn Jahre mehr Zeit ihr gegenüber das Widersprechen zu perfektionieren", kontert er ungesehen und ich komme nicht umher, perplex zu gucken. Kurz presse ich die Lippen zusammen und blicke auf meine kalten Finger. Als ob ich meine Mutter wirklich widersprechen könnte. „Du bräuchtest ein Jahrhundert dafür und selbst dann würdest du es nicht hinkriegen", pampe ich zurück. Raphael seufzt und streicht sich über den Nacken. „Ja, okay, vielleicht hätte ich einfach nein sagen sollen. Mark, was hat sich geändert?", erfragt er vorsichtig. Ich weiß selbst nicht genau, wo mein Problem liegt. Meine Gefühle sind da. Ich kann es nicht leugnen. Sie schreien formlich, gerade jetzt in diesem Moment, in dem er neben mir sitzt und versucht das Richtige zu tun. Vielleicht ist es Furcht oder sogar Angst? Der Wunsch nach einem beständigen und sicheren Leben. „Du hast mich damals gefragt, was ich fühle und ich konnte dir nicht antworten. Jetzt kann ich es", setzt Raphael fort, weil ich nichts antworte. Ich erinnere mich an den Moment zurück. Wir standen auf dem Balkon. Ich war mir damals so sicher gewesen, dass er mich vielleicht doch mehr mochte. Mehr als nur das brüderliche Gefühl, welches man seinem Schwager entgegenbringt. Er war mir ausgewichen, war unsicher und zurückhaltend. Nun bin ich es, der sich dessen nicht mehr sicher ist, aber nicht, weil ich mir meiner Gefühle nicht mehr bewusst bin. Denn das bin ich. Mehr als zuvor. Es ist einfach diese ständige Angst vor weiteren Enttäuschungen, die in mir schwelt. „Ich mag dich wirklich sehr." Ich sehe auf und direkt in die intensiven grünen Augen des anderen Mannes. Er mag mich. Sehr. Mein ganzer Körper beginnt zu kribbeln. Tausende kleine Explosionsherde, die sich wellenartig durch meinen Körper arbeiten. Wären die Explosionen sichtbar, würde ich jetzt leuchten, wie ein Weihnachtsbaum. Meine Hände beginnen zu zittern und ich versuche sie zu verstecken. Meine Hose sitzt zu eng und meine Jackentaschen sind zu voll. Prima. Der Versuch, sie irgendwo reinzuschieben, scheitert. Ich wende meinen Blick wieder ab. „Wow, dann stehe ich bei dir in einer Reihe mit Kaffee, Turnschuhen und die Sims3. Stell mich doch zu diesen Dingen ins Regal", gebe ich tonlos von mir und streiche mir die Haare zurück. Einmal habe ich ihn an Mayas PC erwischt. Er spielte Sims3 und baute Häuser und Gärten. Sehr akribisch. Sehr vertieft. Es war ein sehr befriedigender Anblick. Doch diesmal erheitert mich der Gedanke daran nicht. Raphael lässt die schmale Kette langsam von einer in die andere Hand gleiten. Ein ernüchterndes Geräusch, welches von seinen Lippen perlt, lässt mich aufblicken. Mein dummer Kommentar hat ihn getroffen. Ich empfinde keine Genugtuung. Ich trete seine Gefühle mit Füßen. Obwohl mich seine Aussage freut, ist es die Ungläubigkeit, die mich quält. Die kleinen Glückshormone ertrinken in einer Suppe voller Bedenken. Was heißt eigentlich mögen? Ich mag viele Dinge. Reicht mögen? Reicht es mir? Er ist immer noch an Mayas Seite. Zudem hat sich Raphael während seines US- Aufenthalts nicht bei mir gemeldet. Kein einziges Mal und obwohl ich mir einredete, dass das nicht schlimm war und ich damit zu Recht komme, hat es mich unheimlich verletzt und verunsichert. In der ersten Zeit habe ich darauf gewartet und es wirklich gehofft. Doch es kam nichts. Nur für Maya. Telefonate. Postkarten. Erst als ich merkte, dass ich vergeblich warte, habe ich mich Jake vollends zu gewandt. Aus Trotz. Aus Ablenkung. Aus Schmerz. „Glaubest du wirklich, dass sich damit wie aus Zauberhand alles für mich geklärt hat? Ich habe auch meinen Stolz." Ich deute auf die Kette, die er noch immer in der Hand hält. „Zauberhand? Ich dachte, dass ich es dir zu genüge erklärt habe, wie schwer das für mich ist. Ich habe auch meine Zweifel und Ängste, Mark. Ich habe dir gesagt, dass das für mich nicht einfach zu begreifen ist." Ich verstehe, wovon er spricht. Als ich merkte, dass ich nicht auf Mädchen stehe, war es im ersten Moment sehr schwer für mich. Und obwohl ich aufgeschlossen und stark wirke, zeigt die Tatsache, dass ich es nicht schaffe, mich vor meinen Eltern zu outen, wie schwer ich mich mit der Sache wirklich tue. Insgesamt fällt es mir nicht leicht, mich den Leuten aus meinem „alten" Leben zu offenbaren. Nur Shari weiß es. Niemand sonst. Danny weiß es nicht. Marika nicht. Ich sollte Raphael deshalb keine Vorwürfe machen. Sie entstehen trotzdem. Raphaels Knie stößt absichtlich gegen meins. Eine kindische, aber irgendwie liebevolle Geste mit der ich ihn schon mehrfach traktiert habe um ihn zu reizen. Trotz der Öffentlichkeit sucht er den Körperkontakt zu mir. Er beugt sich etwas nach vorn und legt seine Hand sachte an mein Bein. Ich spüre sie kaum und bekomme dennoch Gänsehaut. Die Wut über die Zwiespältigkeit seiner Handlungen erfasst mich schleichend, aber schon die ganze Zeit. „Hör zu, ich habe Maya nur am Sonntag gesehen und mich seither..." Ich unterbreche seine Erklärung und springe auf. „Du hast dich über die ganze Zeit in Kalifornien nicht einmal bei mir gemeldet. Du hast mir die Kette gegeben und bist stillschweigend abgehauen. Du hast mich mit all den Fragen zurückgelassen", fahre ich ihm in die Parade und merke, wie mich eine schmerzhafte Welle erfasst. Es bricht förmlich aus mir heraus. „Das ist nicht wahr", sagt er laut und steht ebenfalls auf. Ich sehe ihn verwundert an. „Was ist daran nicht wahr?", frage ich aufgebracht, denn mit dieser Aussage wird mir nicht klar, was er von meinen Vorwürfen in Frage stellt. Anscheinend spricht mein Gesichtsausdruck Bände, denn er beginnt mit einer Erläuterung. „Es ist glatt weg falsch, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe." Raphael neigt seinen Kopf nach unten, blickt danach auf seine Hand, in der noch immer die schmale Kette liegt und sieht dann wieder zu mir. Ich weiß nicht, wovon er spricht. „Wie meinst du das?" „Ich habe dir geschrieben. Briefe. Mehrmals. Zuletzt zu deinem Geburtstag." Der war im September. Ich wusste nicht einmal, dass er ihn kennt. „Wovon redest du? Ich habe von dir keine Briefe bekommen." Auf Raphaels Stirn bilden sich Falten und seine Augenbraue ziehen sich zusammen. Irgendetwas scheint in seinem Kopf vor zu gehen, doch er erläutert es mir nicht. Wir haben nie Handynummer miteinander getauscht oder E-Mail-Adressen. In meinem Kopf herrschte immer die Vorstellung, dass Maya jedes Mal, wenn sie allein ist in seinem Handy rumstöbert. Ein absolutes No-Go. Und wenn Raphael nicht gerade bei meinen Eltern anruft und nach mir verlangt, dann hat es wirklich keine andere Chance gegeben, mich zu erreichen außer mit einem Brief. Was hat das zu bedeuten? „Briefe?" „Ja, ich dachte die ganze Zeit, dass du sie gelesen hast und nur..." Er bricht ab und führt den Satz nicht zu Ende. Raphael fasst sich mit beiden Händen an den Kopf, drückt sich resigniert an den Seiten die Haare platt. Raphael nimmt die Arme runter, streicht mit seinen Fingern über seine Hose und sieht zur Seite. Er ist schwer am Grübeln und ich bin noch immer etwas perplex. „Du hast keinen bekommen? Nicht einen?", hakt er nach und ich denke noch einmal darüber nach. Ein Brief von Raphael wäre mir garantiert im Gedächtnis geblieben. Ein Bild von mir im Zimmer hüpfend und tanzend, schießt durch meinen Kopf. Ich schüttle mein Haupt und zugleich den Gedanken davon. „Keinen einzigen. Hast du dich nicht darüber gewundert, dass ich nicht antworte?" „Schon, aber ich dachte, dass du einfach noch immer verletzt bist und...schmollst." „Schmollst?", wiederhole ich nun echt beleidigt nach. „Du weißt, wie ich es meine." Weiß ich das? Wir starren uns einen Moment lang an. Dann macht er einen Schritt auf mich zu und greift nach meiner Hand. Er ist mir so nah. Ich spüre die Hitze auf meiner Haut. Sie erhitzt jede meiner Hautschichten bis sie mich vollkommen durchdrungen hat. Sein dezenter Duft ist gemischt mit dem mir allzu bekannten Geruch des Duschbads, welches in unseren beiden Bädern steht. Nur ein feiner, süßer Hauch. Er sorgt dafür, dass sich die seitlichen Stränge meines Halses zusammenziehen und es auf meiner Zunge zu kribbeln beginnt. Das Geräusch meines schlagenden Herzens wird immer lauter und ich beginne das Rauschen meines eigenen Blutes zu hören. Erst jetzt bemerke ich, dass sich Raphaels Brust unter seiner Jacke ebenso heftig bewegt. Die Vene an seinem Hals pumpt unkontrolliert Blut. Ich starre auf die Bewegung, die sie unter seiner gebräunten Haut verursacht. Es hat etwas Hypnotisches. Ich habe das Bedürfnis zu spüren, wie sie gegen seinen Hals schlägt. Ich will das Pochen auf meinen Fingerspitzen fühlen und dann meine Lippen darauflegen. Ich sehne mich danach. Nur wenige Zentimeter zwischen uns. Wir sehen uns einfach nur an. Ich habe das Gefühl das seine Augen mich erkunden und genau das erlesen, was er sucht. Meine Gefühle für ihn. Meine Unsicherheit. Meine Angst. Meine Liebe. Ich glaube, dass das Grün in seinen Augen noch voller und prächtiger geworden ist. Ich verliebe mich mit jedem Mal mehr, wenn ich nur in diese Augen blicke. Das kann nicht normal sein, oder? Irgendwas in mir läuft nicht ganz richtig. Leichter Wind bewegt seine Haare. Sie umspielen seine Ohren. Streicheln. Liebkosen. Sein Griff wird lockerer und ich berühre sachte mit meinen Fingern sein Ohr. Sie streiche nun selbst ein paar Haarsträhnen zurück, während er noch immer meine andere Hand festhält. Mein Daumen an seiner Schläfe. Raphael zieht mich sanft näher, so dass uns nur der Hauch einer Bewegung voneinander trennt. Versteht er wirklich, was es bedeuten würde, wenn er sich für mich entscheidet? Ich spüre, wie mein Herz verlangend danach schreit. „Mark, ich will es wirklich. Können wir bitte in Ruhe reden und..." Mein gerufener Name unterbricht ihn. Für mich ist es nur ein dumpfes Geräusch, aber ich blicke dennoch zur Seite. Kühler Wind weht das Ende meines Schals von meiner Schulter und legt die linke Seite meines Halses frei. Kalter Wind streicht über meine Haut. Shari steht am Haupteingang des Unigebäudes. Raphaels Griff wird plötzlich schmerzhaft und ich schaue mit verkniffenem Gesicht zu ihm. Sein Daumen bohrt sich in die Handfläche und meine eh schon geschundene Hand zuckt. „Autsch, was zum...?" Der Ausdruck in seinen Augen hat sich geändert. Ich sehe Schmerz und Wut. Die plötzliche Veränderung wundert mich. In diesem Augenblick lässt er mich los. Ich greife an mein Handgelenk, ziehe die Hand an meine Brust. „Entschuldige", murmelt er. Raphael schaut kurz zu Shari. Sein Arm hebt sich zu einem einfachen Gruß und danach macht er auf dem Absatz kehrt. Er schiebt seine Finger in die Jackentaschen und geht ohne ein weiteres Wort einfach weg. „Raphael!", rufe ich ihm nach, doch er reagiert nicht. Ich sehe ihm nach. Was ist passiert? Als ich mich wieder umwende, steht Shari fast neben mir. „Was war denn das gerade?", fragt Shari scharf und ich benötige einen Moment, um zu reagieren. „Raphael", sage ich. „Ja, ihn habe ich tatsächlich erkennt. Was wollte er und wieso habe ich das Gefühl, dass ihr euch gleich geküsst hättet." Weil ich das Gefühl auch hatte. Ich sehe in Sharis schönes, aber fragendes Gesicht. „Er wollte mit mir reden. Er hat mir wohl aus Amerika geschrieben. Mehrfach, aber ich habe keine Briefe bekommen", erläutere ich. Shari sieht mich weiterhin an und ist ebenso verwundert, wie ich. Nach einer Weile hebt sich eine ihrer schwungvollen Augenbrauen. „Aber wusste er nicht, dass du ausgezogen bist?", fragt sie und ich zucke mit den Schultern. „Woher denn? Und wenn, wird er Maya nicht nach meiner neuen Adresse gefragt haben. Dafür hätte er schon mit meinen Eltern telefonieren müssen und das glaubst du doch selbst nicht", sage ich belustigt, aber halbernst. „Aber er wusste, doch wo du wohnst, also muss er Maya gefragt haben", gibt Shari zu bedenken und folgt meinen Blicken zu der Stelle, an der Raphael verschwunden ist. Seltsam. „Nein, er meinte beim letzten Mal er hat die Adresse von meiner Mutter...Oh", geben ich langsam verstehend von mir. Mein Kommentar hat mich selbst ausgeknockt. Er muss also wirklich mit ihr telefoniert habe. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich werde etwas rot. Shari und ich wären keine guten Analytiker. Nun hebe ich eine Augenbraue und sehe dabei zu, wie sich Sharis Lippen in ein herzhaftes Lächeln wandeln. Sie beginnt zu kichern. „Hihi, das ist ja so peinlich, aber wenn er das gemacht hat, dann ist das schon irgendwie süß." Das aus ihrem Mund. Kurios. Ich schaue ihr einen Moment beim Glucksen zu und bin mit den Gedanken völlig woanders. Das passt alles nicht zu Raphael. Er ist nicht der Typ für große Worte und Taten, sondern schweigsam und zurückhaltend. Auch Maya gegenüber hat er selten überschwängliche Gefühle heraushängen lassen. Ich habe nichts von den Briefen mitbekommen und bin mir sicher, dass meine Eltern sie weitergeleitet hätte. Shari reißt mich aus meinen Gedanken. „Bist du noch sauer wegen vorhin?", fragt sie und setzt dabei ihre Rehleinmiene auf. „Dir kann ich sowieso nicht sauer sein, aber Paul gehe ich nachher noch verprügeln", sage ich lächelnd und Shari atmet laut aus. „Puh, gut! Ich finde es schrecklich, wenn du auf mich wütend bist." Auf den Kommentar mit Paul geht sie nicht ein. „Ja, denk daran, wenn du das nächste Mal auf mich sauer bist", sage ich vorbeugend auf einen ganz bestimmten Moment, der in den nächsten Tagen garantiert über mich hinein brechen wird. „Werde ich!" Sie hängt sich liebevoll an meinen Arm. Die Ruhe vor dem Sturm. Ich muss es genießen. Wir gehen zusammen zum Bus und ich warte so lange, bis sie mir aus dem Bus heraus freudig zu winkt. Ich schaue dem großen Fahrzeug nach und bleibe noch einen weiteren Moment an der Haltestelle stehen. Shari hat gar nicht gegen Raphael gewettert. Es wundert mich erst jetzt, aber andererseits bin ich auch erleichtert, keine Diskussionen mit ihr führen zu müssen. Ich habe genügend andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel, warum Raphael gerade so hastig abgehauen ist. Wollte er keine Konfrontation mit Shari? Lächerlich. Sie ist manchmal bissig, aber die meiste Zeit über ein zahmes Rehlein. Sie will mich nur beschützen. Eine Stunde später bin ich auch in meiner Wohnung angekommen. In der Küche steht noch immer das Geschirr vom Frühstück auf den Tisch. Meine Teetasse. Jakes halbgetrunkener Kaffee. Ich bleibe hinter dem Stuhl, an dem am Morgen noch Jake gesessen hat, stehen. Meine Hand legt sich auf die stoffbezogene Lehne. Ich erinnere mich, wie er die Tasse Kaffee gehalten hat. Wie er in der alten Zeitschrift blätterte und ab und an aufblickte um mir ein Lächeln zu schenken. Warum muss das alles so kompliziert sein? Warum habe ich mich nicht einfach in einen unkomplizierten, definitiv schwulen und freien Mann verlieben können? Warum habe ich mich überhaupt verlieben müssen? Wie würde ich für Jake empfinden, wenn ich ihn ohne Raphael kennen gelernt hätte? Würde ich dann für ihn so intensiv empfinden? Jake ist zwar älter, als ich, aber ansonsten ist er perfekt. Gutaussehend. Liebevoll. Zärtlich. Wahrhaftig. Er ist vor allem wirklich schwul und nicht mit meiner Schwester zusammen. Meine Finger krallen sich in den Stoff der Lehne. Ich seufze schwer und tapse in mein Schlaf-Wohnzimmer. Dort angekommen, beziehe ich mein Bett neu und beginne die Blätter und Aufzeichnungen vom Boden auf zu heben, die heute Morgen bei meiner Panikattacke flöten gegangen sind. Sorgsam verstaue ich alles wieder in der Schublade und beginne auch die Oberfläche des Tisches in Ordnung zu bringen. Unter einem weiteren Stapel loser Papiere entdecke ich einen weiteren Umschlag und ziehe eine Karte heraus. Das Geburtstagsgeschenk meines Onkels. In der Annahme, dass ich vielleicht bald eine Freundin habe, schenkte er mir einen Gutschein für einen romantischen Restaurantbesuch für Zwei. Wie sehr er sich doch manchmal täuscht. Eigentlich mehr ein Scherz. Im ersten Moment möchte ich ihn schreienden Herzens wieder zurückstecken, doch dann halte ich innen. Ich werde ihn nicht benutzen, aber vielleicht kann ich ihn als beschwichtigendes Mittel Shari andrehen. In meinem Kopf bildet sich ein Plan, der mich garantiert Kopf und Kragen kostet. Ich greife nach meinem Telefon und hadere mit mir, ob ich Andrew schreiben oder einfach anrufen sollte. Ich entscheide mich gegen mein feiges Bauchgefühl und rufe ihn an. „Barnes", sagt Andrew geschäftsmäßig, denn ihm ist meine Nummer nicht bekannt. „Hey, Andrew. Hier ist Mark." „Mark? Oh, Hallo." „Du magst Shari, oder?", frage ich kurzum. Es folgt ein verblüfftes Schweigen. Er ist überrumpelt. „Ja, sehr sogar. Mark, was soll das?" „Hör zu, ich werde dir jetzt etwas vorschlagen. Bitte lass mich ausreden und danach sagst du einfach Ja oder Nein." „Okay", kommt es misstrauisch und ich erkläre ihm meinen Plan. Ein Hauch Zurückhaltung, doch dann willigt er ein. Ich nehme die volle Schuld auf mich und lasse nach Beendigung des Telefonats meinen Kopf auf den Tisch fallen. Ich greife erneut nach dem Handy und wähle die Nummer des Restaurants. Wenn ich schon untergehe und abtrete, dann richtig. Ich bestelle einen Tisch für zwei für Freitag, 20 Uhr. Freitag ist ihr geplanter Ausgehabend mit mir, dennoch muss ich mir etwas Sinnvolles und Ablenkendes einfallen lassen. Ich stehe geschlagene 10 Minuten starr vor meinem Schreibtisch und denke darüber nach, welche plausible Ausrede sie für ihre Eltern haben kann, nicht erreichbar zu sein. Mein Blick wandert langsam durch meine Wohnung und nach einem Moment gehe ich zurück in die Küche. Ich ziehe die alte Zeitschrift hervor. Sie enthält ein Kinoprogramm. Ich könnte Karten vorbestellen und Shari, als Beweis für ihren Vater, eine mitgeben. Ich beiße mir auf meiner Unterlippe rum, bis sie fast blutet und dann setze ich mich vor den PC und mache genau das. Sie würde keine Möglichkeit haben eine Lücke in meinem Plan zu sehen, abgesehen davon, dass ich ein furchtbarer Freund bin und gegen ihren Willen für sie etwas entscheide. In diesem Fall sogar in drei Dingen. Wen. Wo. Wann. Ich lasse, nachdem ich die Karte bezahlt habe, meinen Kopf auf den Tisch fallen und bleibe apathisch sitzen, bis mir vor Kälte meine Finger taub werden. Ich bin so ein schlechter Mensch. Ich lüge. Ich bevormunde. Ich verarsche. Ich provoziere. Das ist kaum auszuhalten. Paul hat Recht, das wird sicher in einem Blutbad enden. Ich bin vollkommen der Überzeugung, dass es an meiner momentanen Situation liegen muss. Ich weiß selbst weder ein, noch aus und das lässt mich schlecht handeln. Ich denke an Raphael und an seinen Gesichtsausdruck von vorhin. Was hatte er noch sagen wollen? Was war auf einmal passiert? Als am späten Abend mein Telefon klingelt, gehe ich ran, ohne auf das Display zu schauen. „Gauon, Shari", sage ich erwartungsvoll, denn niemand sonst ruft zu dieser Uhrzeit bei mir an. Im Inneren bin ich auf jede Seite ihres Gefühlsspektrums gefasst. Ich lehne mich angespannt auf meinem Schreibtischstuhl zurück und ziehe das rechte Knie hoch. Ich drücke es stützend gegen den Tisch. „Gauon selbst. Nein, nicht Shari, aber ich fühle mich geehrt. Seit wann sprichst du Baskisch?" Der kichernde Bass meines Vaters. Ich atme beruhigt aus. „Seit wann sprichst du es? Hey, Papa." „Austauschjahr vor etlichen Jahren. Schöne Gegend. Eben klangst du erwartungsfroher. Alles okay?" „Ja, eigentlich schon. Was habe ich vergessen?", frage ich in der Annahme, dass ich schon wieder irgendwas verplant habe und höre, wie mein Vater sofort zu lachen beginnt. Normalerweise ruft mein Vater nur an, um mich an etwas zu erinnern. Ein Treffen. Ein Termin oder Sonstiges. Für die anderen Dinge ist meine Mutter zu ständig. „Oh weia, lass das nicht deine Mutter hören." „Warum? Sie hätte jetzt nur zustimmend geschnurrt. Außerdem versuche ich gar nicht mehr abzustreiten, dass ich manchmal etwas arg verplant bin." „Okay, okay. Wie geht es dir?" Er spielt auf den Unfall beim Abwaschen an. Ich blicke einen Moment auf meine unsauber verbundene Hand. „Hand ist noch dran. Ich wechsele regelmäßig den Verband und die nette Apothekerin versicherte mir, dass sie mir nicht abfällt. Jedenfalls nicht ohne weiteres." „Gut zu hören. Warst du beim Arzt? Warte, spar dir die Antwort. Ich kenne sie bereits. Ich will dir auch nur Bescheid sagen, dass du dir den Freitag, also Mayas Geburtstag, für ein Familienessen freihalten musst." Kein langes Hin und Her, sondern gleich auf den Punkt. Ein Männergespräch. Ich grinse dämlich vor mich hin. Dass Maya demnächst Geburtstag hat, habe ich fast komplett verdrängt. So, wie jedes Jahr. Ich bin nicht gut im Merken von Geburtstagen. Meinen eigenen trage ich mir auch in den Kalender ein. „Ich glaube kaum, dass mich Maya dabeihaben will." „Mark. Das Zuhören ist eine Gabe. Du hast sie nicht. Was verstehst du an Familienessen nicht? Maya hat nicht mitzureden." Subtilität ist nicht meines Vaters Stärke. Ich nehme das Knie wieder runter und lasse meinen Kopf auf den Tisch sinken. Eine berechtigte Frage ist es dennoch. Ich habe also keine Wahl. Es ist eine Anordnung. Ich nicke es zustimmend ab. „Du rufst mich noch mal an, damit ich es nicht vergesse?", frage ich witzelnd. Ich schiele auf den Taschenkalender auf meinen Tisch. „Wenn du das möchtest." Im Hintergrund höre ich mit einem Mal Mayas Stimme und dann auch Raphaels. Er ist bei ihr. Mein Herz setzt für einen Wimpernschlag vollständig aus. Es bleibt einfach stehen. Ich höre sie gackern. Ein Ausschlag. Ihr Gelächter bohrt sich schmerzhaft in meinen Leib. In mir entflammt die Enttäuschung und mein Herz wummert heftig. Ich denke an den Moment zurück, bevor Raphael einfach abgerauscht ist. Seine Worte klangen ehrlich und aufrichtig. Er sagte, er wäre sich seiner Gefühle nun bewusster. Er meinte, er würde mich mögen. In diesem Augenblick habe ich ihm wirklich geglaubt, dass das wird mir nun bewusst. Doch jetzt ist er wieder bei meiner Schwester. So widersprüchlich. Warum? Es trifft mich hart. „Volles Haus?", frage ich ungemein deprimiert und bin froh, dass es mein Vater nicht bemerkt. „Wir schauen Fotos von Raphaels USA-Aufenthalt. Die Frauen sind ganz aufgeregt. Vor allem deine Mutter. Sie löchert ihn unaufhörlich mit Fragen. Ich befürchte, dass wir unseren nächsten Urlaub in den Staaten verbringen müssen." Mein Vater klingt etwas genervt. So detailliert wollte ich es gar nicht wissen. „Ist das so. Bestell Grüße", sage ich leise und mein Vater gibt die Grüße gleich weiter. Ich höre, wie er sie ins Wohnzimmer ruft. Meine Mutter antwortet sofort. Maya nörgelt. Raphael schweigt. Welchen Gesichtsausdruck er wohl gerade hat? Ja, ich habe dich erwischt. „Grüße zurück. Es war sehr spontan sonst hätte wir dich auch gefragt." „Sicher." Spontan. „Pass auf dich auf." „Ich versuche es. Bis dann." Ich lege auf und lasse meinen Kopf auf der Tischplatte liegen. Raphael ist bei ihr. Er belügt mich. In meinem Magen breitet sich ein unschönes Gefühl aus. Egal, was er sagt für mich wird er sich nicht von ihr trennen, sonst hätte er es schon längst getan. Ich bin und bleibe wohl nur ein Spielzeug für ihn. Eine Woge der Enttäuschung und der Frustration erfasst mich. Sie lähmen mich. Eine Weile bleibe ich unbeweglich sitzen und bekomme kalte Füße. Ps vom Autor: An meine lieben Leser und Kommieschreiben ein ganze herzliches und dickes Danke! Ich freue mich, dass ihr meine Geschichte noch immer verfolgt und hoffe, dass sie euch auch weiterhin gefällt. Ich gebe mir alle Mühe!! :D Ich danke vor allem euch, ihr aufmunternden Kommietipper! Ihr seid einsame Spitze! Gruß, del Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)