Doors of my Mind 2.0 von Karo_del_Green (Ihr Freund. Mein Geheimnis) ================================================================================ Kapitel 2: Aubergine, Zucchini, Raphael --------------------------------------- Kapitel 2 Aubergine, Zucchini, Raphael Wie erwartet, brauche ich für den Einkauf länger als gedacht. Sharis notierte Lebensmittel sind mir teilweise ein Rätsel, trotz alledem finde ich es jedes Mal spannend. Seit ein paar Monaten kochen wir regelmäßig zusammen. Es sind schöne und ruhige Abende. Wir reden. Wir diskutieren und wir erfreuen uns an der gemeinsamen Zeit, die wir miteinander verbringen. Insgesamt genieße ich die Selbstbestimmung, die mit dem Alleinleben einhergeht. Keine Diskussionen, keine Verpflichtungen und keine Zurückhaltung. Niemanden, dem ich Rechenschaft schuldig bin oder dem ich mich erklären muss. Ich genieße es wirklich, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, in der Stille zu ersticken. Vor allem dann, wenn sich meine Gedanken wieder um Raphael drehen. Mitten in der Nacht werde ich wach und denke an ihn. An seine Lippen und im Besonderen an diese wunderschönen, grünen Augen. Doch mit diesen Gedanken wäre ich auch in meinem Elternhaus allein. Mein Auszug war für mich die logische Konsequenz. Doch es war nicht leicht meine Eltern davon zu überzeugen, ohne meinen wichtigsten Grund anbringen zu können. Raphael. Ich erdachte mir eine Prise Erwachsenwerden, Verantwortung und Selbstständigkeit. Ich bin gut darin andere zu überzeugen. Meine Eltern haben lange mit mir diskutiert, doch irgendwann haben sie meinen Wunsch akzeptiert. Vor dem Regal mit den Teesorten bleibe ich stehen und suche nach Sharis Lieblingstee. Kirschblütentee. Obwohl er saumäßig teuer ist, packe ich ihn ein und freue mich schon jetzt auf das hübsche Gesicht, welches sie jedes Mal macht, wenn sie den zarten Duft einatmet. Als ich alles habe, schleppe ich die schweren Tüten zu meiner Wohnung. Ich räume gerade die Milchprodukte in den Kühlschrank, als es klingelt. Verwundert sehe ich auf die Uhr. Für Shari ist es eigentlich noch zu früh. Doch als ich die Tür öffne, blickt sie mir müde, aber lächelnd entgegen. „Namasté." „Aloha." Ich verbeuge mich ungrazil und halte ihr die Tür auf. „Ich bin auch gerade erst rein. Du bist etwas früh. Hast du geschwänzt?", necke ich und nehme ihr die schwere Tasche und die Jacke ab. „Die letzte Vorlesung fiel aus und es gab im Vorfeld natürlich keine Möglichkeit, uns das mitzuteilen. Nein, man hat es nur geschafft einen winzigen Zettel an die Tür zu pinnen. So viel zum modernen Mediazeitalter", meckert sie. Ihr Blick ist tatsächlich genervt. Ein seltener Anblick, der mich unwillkürlich schmunzeln lässt. Shari ist sonst die Ruhe in Person. Sie folgt mir in die Küche. „Na ja, immerhin ein Zettel. Ihr hättet auch erst irgendwann merken können, dass niemand kommt!", kommentiere ich. Ich mag es, wenn sie motzt. Dabei kräuselt sich ihre Nase so niedlich. Ich grinse ihr dümmlich entgegen. Ein Seufzen flieht über ihre Lippen. Ich breite ihr meine Arme aus und sie nimmt die Umarmung dankend an. Ihr Haar duftet trotz des langen Tages noch immer nach Lotus. Blumig, sanft und fruchtig. „Das Leben ist kein Ponyhof, chisaii Hana", philosophiere ich. Sie schenkt mir ein murrendes Geräusch und lässt mich wieder los. „Hast du alles bekommen?" „Öhm ja, ich wusste nicht, was du mit Aubergine meinst, da habe ich das mitgebracht." Ich halte ihr etwas großes, grünes, Langes hin und sie sieht mich entgeistert an. „Das ist eine Zucchino." Ihr Blick ist zum Totlachen und ich kann nur entschuldigend Zucken. „Okay, Mark, was habe ich dir beim letzten Mal gesagt?", setzt sie fort und ich neige wie ein zu bestrafender Schüler in der ersten Klasse mein Haupt zu Boden. „Wenn ich nicht weiß, was es ist, dann soll ich fragen", gebe ich auswendig gelernt wieder und Shari nimmt mir die Zucchini aus der Hand. „Oder wenigstens meinen Kopf benutzen und lesen, was auf den Schildern steht", fahre ich fort. Shari deutet einen Schlag mit der Zucchini an und schüttelt dann mit dem Kopf. „Aubergine. Zucchini. Es klingt beides doof. Ich dachte, dass es kein Unterschied macht", sage ich fast quengelnd und kann mir langsam ein Lachen nicht mehr verkneifen. „Dich will ich sehen, wenn man dir statt Blumenkohl, Rosenkohl vorsetzt. Und wieso, weiß ein künstlerisch begabter Kerl, wie du, nicht das Aubergine auch eine schöne dunkelviolette Farbe ist?" Ich verziehe mein Gesicht. Den Unterschied zwischen den beiden Kohlsorten kenne ich genau. Die Farbe sagt mir herrlich wenig. Ich male auch nicht nach Farbnamen, sondern nach Gefühl. „Du hast Glück, dass es bei dem Gericht nicht darauf ankommt, was man reinwürfelt." „Und weil du das wusstest, hast du guten Gewissens mich einkaufen geschickt." „Und machst mich fertig." Sharis Gesicht zeigt mir, wie wenig ernst sie das Gesagte meint. „Ich möchte eben duschen gehen. Du darfst aber gern schon anfangen." Ich hauche ihr beim Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange und sehe beim Hinausgehen nur noch Teile ihrer Zunge, die sich mir entgegenstreckt. Vor dem Badezimmer bleibe ich stehen und gehe noch mal zurück. Ich greife in die nur halb ausgeräumte Tüte und werfe einer verwirrt schauenden Shari den Tee zu. Ihr wunderschönes Lächeln ist alles, was ich in diesem Moment brauche. Ich dusche nur kurz und trete umgezogen zurück in die Küche. Der Geruch des Tees weht mir entgegen und lächelnd atme ich tief ein. Sie hat mir auch eine Tasse gemacht, aber dank ihrer Anleitung weiß ich, dass er noch ein paar Minuten ziehen muss, eher man ihn genießen kann. Shari steht an der Arbeitsplatte und schneidet die Zwiebeln. Gekonnt gleitet die scharfe Klingel durch das weiße Zwiebelfleisch. Sie blickt auf, ohne sich zu verschneiden. In dem Moment würden mir schon zwei Fingerkuppen fehlen. Shari deutet auf meinen Kopf und meint meine nassen Haare. „Kein Föhn", bemerke ich nur und zucke mit den Schultern. Sie schüttelt ihre langen schwarzen Haare. Sie hat ihr künstlerisches Gebilde von heute Mittag vollständig geöffnet und das seidige Schwarz wird nur noch von ein paar geflochtenen Zöpfen durchbrochen. „So, was kann ich tun?", erbitte ich Arbeit. „Du kannst die Paprika und deine Möchtegern-Aubergine schneiden." Ich nehme mir die Zucchini und fuchtele vor ihrer Nase damit rum, als wäre es ein Schwert. Sie lacht. „Fein, du großer Zucchini-Bezwinger. Bitte würfeln", sagt sie und reicht mir ein weniger scharfes Messer. Ich verkneife mir einen dummen Gesichtsausdruck. Gemeinsam schneiden und würfeln wir eine Weile Gemüse und Fleisch. Wir tauschen uns über das Studium aus und Shari erzählt mir von ihren Kommilitonen, die alle samt irgendwelche seltsamen Eigenarten zu haben scheinen. Sie kennt meine noch nicht. Die sind irre. Mein Handy vibriert auf dem Tisch. Ich wasche mir die Hände und greife danach. „Wer ist es?", fragt Shari neugierig und beugt sich nach vorn um einen Blick auf mein Telefon erhaschen zu können. „Jake. Er ist nächste Woche wieder in der Stadt" „Uuh, habt ihr dann ein schönes Date?" Sie kichert, wie ein kleines Mädchen. „Ja, mit meinem Bett, denn ich gehe davon aus, dass wir es nicht verlassen werden", sage ich lapidar und sehe prompt, wie sie rot anläuft. „Mark!" „Was? Das ist doch noch harmlos. Shari, du solltest dich langsam an krasses Vokabular gewöhnen." Ich stütze mich auf die Arbeitsplatte und tippe Jake eine Antwort. Dabei rutscht mir die Kette aus dem Ausschnitt meiner nur halbgeschlossenen Strickjacke. Ehe es mir auffällt, greift Shari danach. „Du trägst sie, ja immer noch, Mark! Du hast versprochen, dass du sie abnimmt.", gibt sie vorwurfsvoll von sich. Ich löse ihre Hand von dem Silber und schiebe die Kette zurück unter die Strickjacke. „Es ist einfach nur eine Kette. Keine Aufregung nötig", versuche ich abzuwiegeln, aber ihr Blick bleibt hart und unnachgiebig. „Sei nicht albern, Mark" „Sie ist schön." Ein weiterer Versuch und er bleibt ebenso unfruchtbar, wie der erste. „Sie gaukelt dir etwas vor, was nicht da ist. Du brauchst Raphael nicht." Klar und deutlich. Sharis Meinung über Raphael ist seit dem Sommer nicht mehr die Beste. Sie ist wütend. Ich bin ihr dankbar, denn sie holt mich auf den Boden zurück. „Ich will ihn gar nicht. Du weißt, er hat sich nicht einmal bei mir gemeldet und ich bin nur halb so blöd, wie du im Moment denkst. Die Kette ist nur ein Accessoire und die Erinnerung an einen wunderbaren Herbsttag. Rote Blätter und so, mehr nicht." Kein einziges Mal hat er sich während seiner Abwesenheit bei mir gemeldet und obwohl ich mir einrede, dass es gut war, wurmte es mich ungemein. Wie kann er mir so ein Geschenk machen und mich dann Monate ohne ein Wort zurücklassen? Der Gedanke daran macht mich sauer und im gleichen Maß melancholisch. Ich verkneife mir ein missmutiges Knurren, um Sharis Aufmerksamkeit nicht noch mehr auf mich zu ziehen. Ich versuche mich an meinem neutralen Gesichtsausdruck. „Wirklich?" Sie klingt trotzdem skeptisch. Shari ist nicht überzeugt. Ich muss mehr üben. Und brauche schnell eine Ablenkung. „Mark, du hast es versprochen!" „Und? Du hast mir auch versprochen, dass du Andrew anrufst." Ablenkung tada! Ich sehe, wie sie leicht zuckt und dann schmollend ihre Unterlippe vorschiebt. Treffer. „Das ist, doch etwas anderes." „Warum?" Ich weiß, dass sie Recht hat, doch ich will es mir selbst nicht eingestehen. „Weil mir Andrew nicht wehgetan hat und mit keinem meiner Brüder zusammen ist." Ihre Ehrlichkeit schmerzt. Ich bin getroffen. „Ey, das wären ja sehr eigenartige Parallelen", kommentiere ich trocken, „Und nur, weil ich die Kette manchmal trage, heißt es nicht, dass ich ihm wieder verfalle. Außerdem ist er noch in Kalifornien. Also keine Sorge." Die schöne Inderin sieht mich einen Moment lang an und nimmt dann mein Gesicht in beide Hände. Ihre Finger riechen nach Karotte und Paprika. „Du musst ihn loslassen und vergessen.", flüstert sie mir zu. „Ich kann, aber die Gefühle von 4 Jahren nicht einfach loslassen und vergessen", erwidere ich ebenso leise. Ihre braunen Iriden schimmern. Shari macht sich Sorgen und hat Angst um mich. Das danke ich ihr, aber es ändert nichts an meinen Gefühlen. Ich habe lange genug versucht ihn zu vergessen und das nicht erst nach seinem Weggang. Schon lange vorher habe ich versucht, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen, doch es hat nicht geklappt. Ich versuche es wieder und wieder. Obwohl ich weiß, dass ihn vergessen das Beste wäre, schwelt der Wunsch in mir, ihn wiederzusehen. Seine Stimme zu hören und in seine ausdrucksstarken Augen zu blicken. Es ist, wie das schleichende Bedürfnis eines Süchtigen, der es unbedingt will, aber aus der Vernunft heraus versucht, nicht zu wollen. Irgendwann wird es schiefgehen. „Warum hast du Andrew nicht angerufen?", frage ich sie direkt um von mir abzulenken. Shari lässt mich wieder los und druckst herum. Andrew Barson ist ein Bekannter aus der Schule. Zum Ende des Schuljahres hin, haben die beiden eine erste zarte Bande geknüpft. Doch Sharis familiären Verhältnisse sind kompliziert. Gemeinsame Treffen oder gar Dates sind kaum möglich. Alleinsein fast unmöglich. Beziehung ausgeschlossen. „Ich will ihm das nicht weiter antun. Es ist nicht fair ihm gegenüber. Er ist so lieb und er gibt sich so eine Mühe. Und er hat so viel Verständnis." „Aber du magst ihn" Ihr Blick ist vernichtend und sie hört sogar auf zu schneiden, „Und er mag dich", setze ich fort und ihr Blick wird noch vernichtender. Ich bleibe standhaft. Bisher hat sie noch nie versucht mich umzulegen, egal, wie dämlich meine Aktionen waren. Ich vertraue darauf, dass es so bleibt. „Das ist alles schön und gut. Das reicht aber nicht." „Ich finde schon. Ich meine, wir reden ja hier nicht von Ehe, Kinder und gemeinsamen Grabsteinen." „Gemeinsame Grabsteine? Im Ernst?" Sie hebt entgeistert eine Augenbraue. „Im Sinne der Endgültigkeit", erläutere ich. „Du hast eine verquere Vorstellung." Ich lehne mich dichter zu ihr. „Du weißt, was ich meine, Shari. Du hast dich gut mit ihm gefühlt. Du magst ihn. Du hast gestrahlt und er hat sich gar nicht beschwert." „Aber das wird er bestimmt. Spätestens dann, wenn es ernster werden würde." „Würde! Warte es doch ab oder willst du alles schon im Vorfeld aufgeben? Einfach davonlaufen", sage ich und weiß ganz genau, dass sie dieser Vorwurf trifft. Aber ich bin einfach enttäuscht. Andrew ist ein wirklich netter, guter Junge. Er passt zu ihr und nach jedem Treffen hat sie gestrahlt bis über beide Ohren. „Du bist echt doof!" „Ich will dich glücklich sehen und mit Andrew warst du es. Ich meine, niemand macht dich glücklicher als ich, aber..." Sie wirft mir ein Stück Karotte an den Kopf. „Sehr komisch..." Das plötzliche Klingeln der Tür erschreckt uns beide. Shari kichert und sieht mich dann fragend an. „Erwartest du jemanden?", fragt sie. Ich wende mich schulterzuckend zum Flur. Ich erwarte niemanden. Und für einen Nachbarn ist es reichlich spät. „Vielleicht ist es Andrew und ihm haben die Ohren geklingelt", sage ich verschwörerisch. Ich lasse meine Hände neben meinen Ohren wackeln und schaue noch einmal kurz in die Küche. Shari grinst. „Pah, er weiß gar nicht, dass ich hier bin", kontert sie. Ich denke, dass das auch besser so ist. „Na dann ist es endlich der Pizzabote mit der Riesenpizza, die ich bestellt habe, weil du mich hier verhungern lässt", rufe ich ihr entgegen und ernte ein weiteres belustigtes 'Haha' aus der Küche. Ich öffne die Tür ohne durch den Spion zusehen und bleibe erstarrt stehen. Seine grünen Augen erfassen mich direkt. Sie tauchen in mich hinein und lösen sofort das Chaos aus, welches ich seit Monaten zu unterdrücken versuche. Dieses Verlangen gemischt mit dem Schmerz, der seit ebenso vielen Monaten in mir schwelt. Raphael. Ich bin überrumpelt und fixiere ihn apathisch. Für einen Moment setzt mein Herz aus, um dann in dreifacher Geschwindigkeit Blut durch meine Adern zu pumpen. „Hi", sagt er leise und lässt seinen Blick über meine feuchten Haare und meiner halb geöffneten Strickjacke wandern. Bevor ich etwas erwidern kann, steckt Shari ihren Kopf durch die Tür und sieht in den Flur. Mein Herz rammt sich hart gegen meinen Brustkorb und ich befürchte, dass es jeden Moment hindurchbricht. „Und ist es dein Pizzabote?" Es muss, wie ein Klischee klingen für jeden, der den vorigen Teil des Gesprächs nicht mitbekommen hat. Auch Shari wird seltsam stumm, als sie den Freund meiner Schwester erkennt. „Hey Shari.", begrüßt Raphael sie. Er hebt seine Hand zum Gruß und sieht mich wieder an. „Hallo Raphael", erwidert sie verhalten. Sie sieht mich eindringlich an und ich halte ihren Blick kaum stand. Ich atme geräuschlos ein und sehe wieder zu dem anderen Mann. Er sieht verdammt gut aus. Braungebrannt. Trainiert. Ein leichter Dreitagebart schmiegt sich auf seine Wangen, der ihn so viel maskuliner erscheinen lässt. Ich verscheuche die Gedanken schnell wieder. „Mark?", fragt sie eindringlich und ich deute ihr an, dass alles okay ist. Sie nickt und verschwindet zurück in die Küche. „Darf ich?" Raphael deutet in die Wohnung und ich zögere, lasse ihn aber vorbei. Als ich die Tür schließe, lehne ich mich dagegen und sehe ihn an. Unbewusst verschränke ich meine Arme vor der Brust. Schützend und abwehrend. Sein Blick wandert kurz über die Wände meiner kleinen Wohnung. „Weiß sie, dass du wieder hier bist?", frage ich als erstes und direkt. Er ist immerhin ein paar Wochen zu früh. „Nein, sie weiß nicht, dass ich schon zurück bin." Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich setze zur nächsten Frage an, doch er kommt mir zu vor. „Ich habe die Adresse von deiner Mutter. Sie beklagt sich, dass du zu selten vorbeikommst." Mir ist nicht nach Scherzen zu mute. Auch nicht nach belanglosem Smalltalk. „Was willst du hier?", frage ich um auf den Punkt zu kommen und wende meinen Blick ab. „Dich sehen", sagt er einfach und mir läuft ein warmer Schauer über den Rücken. Ich schließe meine Augen und versuche meine aufkommenden Gefühle zu unterdrücken. „Das hast du jetzt, also geh", sage ich kalt. Doch in meinem Inneren brodeln allerhand Gefühle, heiß, wie glühende Suppe aus Verärgerung, Wut, Verzweiflung und Freude. Meine Finger klammern sich fest in meinen Oberarm und ich drücke meine verschränkten Arme fester an meinen Körper. „Mark, bitte..." Er macht einen Schritt auf mich zu. Raphael streckt seine Hand nach mir aus. Sanft streicht er einen Wassertropfen davon, der sich von meinen feuchten Haaren gelöst hat und in meine Drosselgrube fließt. Danach treffen seine Finger auf die schmalen silbernen Kettenglieder. Er erkennt sie sofort und ich verfluche, dass ich sie in diesem Moment trage. Hätte ich doch auf Shari gehört. Ich habe Raphael gegenüber stark sein wollen, ihn ignorieren wollen. Gegen seine Worte protestieren wollen. Doch seine Kette um meinen Hals widerspricht jedem meiner noch nicht gesagten Ausflüchte sofort. Also schweige ich. Seine Finger wandern die Glieder hinab, bis er den Anhänger vorsichtig hervorzieht. An meinem Hals bildet sich Gänsehaut. Raphaels Hand bleibt auf meinem Brustkorb liegen. Mein Puls beschleunigt sich zusehends. Was macht er hier? Ich greife nach seinem Handgelenk und stoße seine Hand zu meiner Überraschung nicht weg, sondern halte sie nur fest. Meine Finger beginnen zu kribbeln. Ich spüre seine Hand noch immer auf meiner Brust. Direkt oberhalb meines Herzens. Ich bin mir sicher, dass er meinen Herzschlag spürt. Die Stellen seiner Berührung scheinen zu brennen. Ich fühle mich hilflos. Es ist, als würden die verdrängten Gefühle siedend heiß auf mich einprasseln, mich verbrennen und schinden. „Was willst du hier?", erfrage ich erneut und sein Blick wandert von meinem Hals über mein Gesicht zu meinen Lippen. Ich kann sehen, wie er sie fixiert. „Dich sehen", wiederholt er leise. Er hebt seine von mir festgehaltene Hand. Bevor ich es realisiere, schmiegt er sie an meine Wange und zieht mich in einen Kuss. Ich bin erstarrt. Ich bin elektrisiert. Die Wärme umfängt mich als Schleier der Sehnsucht. Ich schließe meine Augen und kann nicht verhindern, dass ich es genieße. Seine Lippen sind wohltuend, weich und so unendlich süß. Der Kuss wird schnell intensiver. Fast dringlich und dennoch ist er innig. Er erkundet meinen Geschmack ausgiebig. Sehnsüchtig. Das Kribbeln in meiner Brust wird durchdringender und stärker. Es breitet sich aus und pulsiert in die entlegensten Ecken meines Körpers. In jeden einzelnen Finger. In jeden einzelnen Zeh. In seinem Kuss liegt so viel Sehnsucht und doch beginnt langsam die Obacht in meinem Schädel zu pulsieren. Hart und warnend. Sein Daumen streicht hauchzart über meine Wange. Erst ein Poltern aus der Küche holt mich vollkommen zurück. Ich neige meinen Kopf zur Seite, streiche mir symbolisch die Süße von meinen Lippen und hole tief Luft. Ich sehe an ihm vorbei zur Küche, spüre, dass er seinen Blick nicht von mir löst. „Shari und ich... wir kochen zusammen", stammele ich nervös. Ich weiß nicht, warum ich ihm das sage. Raphael folgt meinem Blick und nickt. „Okay, dann lasse ich euch in Ruhe essen." Ich bin mir nicht sicher, ob ich das damit gemeint habe. Mein Kopf schreit 'verschwinde', doch mein Herz bindet sich bereits jetzt schon wieder fesselnd an ihn. Raphael greift an mir vorbei zur Tür, öffnet sie jedoch nicht, sondern beugt sich runter und ich spüre die weichen Stoppeln seines Bartes an meiner Wange, rieche den dezenten Duft, der so viele Erinnerungen in mir weckt. Gute, wie auch Schlechte. „Bitte verzeih mir, Mark. Ich habe das Alles so nicht gewollt." Ein gehauchter Kuss trifft meine Wange. Mein Herzschlag ist wild und ungestüm. Ich erzittere und spüre, wie seine Lippen erneut meine Wange küssen. Federleicht und liebevoll. Ein weiterer Kuss an meiner Schläfe und ohne ein weiteres Wort verschwindet er durch die Tür. Verzeihen. Was genau soll ich ihm verzeihen? Dass er mich abgewiesen und verletzt hast? Dass er einfach abgehauen ist? Dass er jetzt vor meiner Tür steht und mich küsst? Ich bleibe im dunklen Flur zurück, höre meinen Herzschlag, der dröhnend an den Wänden niederhallt. Meine Glieder pulsieren und in meinem Kopf herrscht für einen Moment verwirrende Leere. Sharis Schritte werden durch das Rauschen in meinen Ohren gedämpft. Nur ihre warme Hand an meinem Arm spüre ich. Ich atme tief ein. „Er ist wieder da, Shari", sage ich flüsternd. „Ohne Zweifel!" Auch sie klingt ungläubig. Darauf bin ich einfach nicht vorbereitet. Unbewusst greife ich an die Kette um meinen Hals und sehe dann zu der indischen Schönheit neben mir. Ihre warmen braunen Augen sind voller Sorge. Bevor sie danach fragt, versichere ich ihr, dass es mir gut geht, atme noch einmal tief ein und ziehe sie in die Küche. Ich sehe auf die blubbernde Pfanne und ziehe den herrlichen Duft in mich ein. Es riecht wunderbar und köstlich. Das Rot und Gelb der Paprika harmonierten perfekt mit dem saftigen Grün der Zucchini. Der Duft von Jasmin-Reis durchströmt den Raum und doch ist mir jeglicher Appetit abhandengekommen. Ich schlucke und sehe zu Shari, die ein paar Teller aus dem Schrank holt. Ich helfe ihr. „Mark, was hat er gewollt?" In ihrer Stimme schwingt Verärgerung. Ich überlege einen Moment zu lügen, doch was soll das bringen? „Er wollte mich sehen", sage ich ehrlich und wahrheitsgemäß. „Was? Er geht erst zu seiner Freundin und schleicht sich dann heimlich zu dir?" Ihre Worte sind beißend und lassen wenig Zweifel an ihrer Meinung von ihm übrig. „Maya weiß nicht, dass er schon hier ist", sage ich leise und Shari unterbricht ihren ausbruchartigen Redeschwall. Das sagt Raphael jedenfalls, ob es wirklich stimmt, sei einmal dahingestellt. „Nicht?" „Anscheinend nicht." Ich setze mich an den schmalen Küchentisch und fahre mir mit beiden Händen durch die Haare. Noch immer scheint mein Herz bis zum Himmel zu schlagen. Allein der Gedanke an den vorigen Moment lässt es heiß in mir brennen. Mein Atem geht schwer und meine Finger beginnen zu zittern. „Mark, nicht! Er ist Mayas Freund. Du darfst ihn nicht wieder an dich ranlassen." „Ich weiß." Ich weiß es nicht. Ich realisiere es nicht. Ich will es nicht. „Wirklich?" „Ja, wirklich" Trotz meiner Gedanken lächele ich. Ihr Blick ist forschend und ich bin mir sicher, dass sie es mir nicht abkauft. Doch für diesen Moment gibt sie Ruhe. Wir füllen das Essen auf unsere Teller und verbringen den Rest des Abends mit leisem Reden und vertrauten Beieinandersein auf der Couch. Es ist das, was wir hin und wieder brauchen. Meine Gedanken wandern immer wieder zu dem Mann mit den grünen Augen. PS vom Autor: Lieben Dank an die lieben Leute, die sich nach dem ersten Teil wieder hier her verirrt haben :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)