Meine bizarre Welt von Kaylien (oder wie ich den Tod kennenlernte) ================================================================================ Kapitel 4: Als ich mich für meinen Weg entschied und jemanden dabei verlohr... ------------------------------------------------------------------------------ Zwei Waldeswege trennten sich und ich – ich ging und wählt' den stilleren für mich – und das hat all mein Leben umgedreht. Robert Frost „Das ging aber schnell...“ Der Affe beugte sich ganz nah über mein Gesicht. Fast war ich froh seine pelzige Schnauze zu sehen. Ich war wieder aufgewacht. „Lang geschlafen hast du ja nicht wirklich… glaubst du sicher, dass du schon fertig bis? Nicht noch ein kleiner, süßen Schlummer, bevor es wirklich los geht…?“ fragte er mich mit einem hämischen Grinsen. Entsetzt schüttelte ich schnell den Kopf. Ich will nicht mehr einschlafen! Am aller besten nie mehr! „Nicht? Na, dann bist du dir hoffentlich darüber im Klaren das du das alles nun nicht mehr heraus zögern kannst…“ Wieder fletscht er die spitzen Zähne. Er hüpft flink von meiner Brust herunter und dreht sich dann wieder ungeduldig zu mir um. „Komm! Aufstehen! Ich kann dich nicht durch eine dieser Türen tragen, das musst du schon selber tun… Übrigens kannst du auch gerne mit mir sprechen… Ich versteh dich.“ Das erste Mal habe ich das Gefühl das er mich freundlich ansieht. Fast aufmunternd. Ich will etwas sagen. Aber ich kann nicht. Den Mund bewegen, das ja. Das kann ich. Aber ich kann nicht sprechen. Kein Ton kommt über meine Lippen. Überhaupt nicht. Und es macht mir Angst. Wie soll ich denn jetzt mit anderen Leuten in Kontakt treten? Wenn ich nicht sprechen kann? Wie soll ich um Hilfe rufen, sollte es einmal wirklich nötig sein, wenn ich nicht einmal reden kann? Der Affe grinst mich nur an. Als hätte er es bereits so erwartet. Als wolle er mich mit der Aufforderung zum reden bloß ärgern. Er geht vor ran zu einer Tür und fuhrwerkt umständlich an dem großen Schloss herum. Die Tür ist eine der Größten. Sie erinnert eher an ein Scheunentor… nur ist dieses Scheunentor mit reich mit Goldeinlagen verziert, wie das Tor eines Schlosses. Ich folge ihm und warte geduldig und etwas nervös, biss er fertig war. Langsam öffnete sich die Tür. Knarzend. Als wären die Scharniere nicht aus Gold, sondern aus altem, rostigem Eisen. Der Affe trat einen Schritt zurück und deutete eine spöttische Verbeugung an. „Darf ich bitten?“ Er schwang den Stock elegant und gekonnt durch die Luft. Ich späte misstrauisch durch die weit geöffnete Tür. Irgendwo musste doch ein Hacken sein… Viel konnte ich auf der anderen Seite der Tür nicht erkennen. Es war alles verschwommen. Wie mit einer milchig weißen Schicht überzogen. Als wäre viel Nebel hinter der Tür, ein richtiges Nebelmeer. Oder als wäre da noch eine Tür aus dickem Eis, bevor man wirklich auf die andere Seite gelangen konnte… Ungeduldig tippt der Affe mit der Stockspitze auf den Boden. Als würde er sagen wollen ‚wird’s bald? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!‘ Aber er tut es nicht. Er wartet. Sehr ungeduldig, aber er wartete. Unsicher machte ich einen Schritt in die Richtung der Tür. Und noch einen. Vorsichtig berührte ich die ‚Tür aus Eis‘ und in dem Moment erfasste mich ein heftiger Sog, der mich hineinsaugte. Es fühlte sich an als würde ich fallen, ohne wirklich hinunter zu fallen. Und für einige Sekunden wurde er schwarz um mich herum. Fast hatte ich schon Angst wieder eingeschlafen zu sein, aber als das schwarz verschwand war ich nicht wieder im Dunklen. Im Gegenteil. Die Sonne schien sanft durch die Gipfel einiger hoher Bäume und lies den ganzen Wald warm und golden erstrahlen. Die Bäume waren schlank und hoch. Bis hoch zu den tief grünen Wipfeln kletterte Efeu an ihnen hinauf. Zwischen den Kronen konnte man Fleckchen weise den strahlblauen Himmel ausmachen. Ich fühlte mich benommen. Nach einiger Zeit richtete ich mich etwas auf. Im selben Moment begann sich alles um mich herum zu drehen und ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und zu fallen, obwohl ich doch sicher und fest auf dem Boden saß. Als ich mit schließlich wieder gefangen hatte und klar sah ließ ich meinen Blick über die Umgebung streifen. Meine Hände krallten sich in saftig grünes Sternmoos. Es quoll zwischen meinen Fingern hervor wie eine sehr weiche Decke. Das Moos bildete eine Straße, die in einer Schneise durch den Wald führte. Links und rechts von der, vielleicht vier Meter breiten Schneise, standen die hohen Bäumen, die im Licht der Sonne keinen Schatte zu werfen schienen. Zwischen den Bäumen standen nur vereinzelt einige Sträucher. Trotz der Bäume war der Boden des Waldes grün, wie eine Frühlingswiese und saftig standen Blumen dazwischen, die schönen Köpfe zur Sonne geneigt. Nichts schien sich wirklich zu bewegen. Es schien keinen Wind zu geben. Alles war still und ruhig um mich herum. Keine Geräusche, die man sonst in einem Wald hören mochte. Weder Vogelgezwitscher, noch Blätter rauschen oder Zweige knacken. Nichts. Einfach nichts. Stille. Fast schon bedrückend. Als wäre ich uhrplötzlich taub geworden. Dabei hatte ich doch eben noch die Stimme des Affen gehört, oder etwa nicht? Nervös kratzte ich einige Moos Funzel, die sich unter meinen Fingernägeln verfangen hatten, heraus und lies sie fallen. Das Aufstehen im Moos gestaltete sich wesentlich schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich glaube, es war mir nie so schwer gefallen. War ich überhaupt schon einmal in Moos aufgestanden? Woher wollte ich denn wissen, wie es sich anfühlte? Es war, als würde ich einfach darin versinken. Als Gäbe es keinen richtigen Grund unter meinen Füßen. Als wäre das Moos unendlich tief. Es wirkte als stünde ich in Treibsand. Und nur schwer schaffte ich es schließlich zu gehen. Schritt für Schritt war schwer und anstrengend und schon bald atmete ich heftig und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Dinge um mich herum erschienen Unwahrscheinlich groß. Die Bäume, die Blumen. Als wäre ich geschrumpft, als ich durch die Tür trat. Auch änderte sich die Landschaft nicht, obwohl ich mir sicher war das ich vorwärts gegangen war… Ich hatte mich doch bewegt! Und dennoch standen dieselben kleinen Blumen wie vorher schon neben dem Weg. Genau neben dem kleinem Baumstumpf, in dessen Wurzeln sie sich schmiegten. Es machte mir Angst. Irgendwie. Ich wollte rufen. Einfach in den Wald schreien. Vielleicht hätte mich jemand gehört, der mir helfen könnte…. Aber ich konnte nicht. Wie vorher kam kein einziger Ton über meine Lippen. Egal wie heftig ich es versuchte. Hatte der Affe nicht gesagt, dass die Träume schlimm waren…? Wirklich schlimme Albträume…? Sollte das hier dann nicht ein wenig angenehmer sein? Bis jetzt sah ich allerdings nicht viel Unterschied… Ich ließ mich wieder hinfallen. Und das Moos gab nach, wie ein Kissen. Grün und friedlich lag der Wald um mich herum da. Ich hatte plötzlich wirklich richtige panische Angst. Das erste Mal in meinem ganzen Leben. Ich begann zu zittern und schließlich lautlos zu weinen. Ohne auch nur eine einzige der Tränen zu spüren. Ich sah bloß, wie sie auf meine Finger fielen. Herunter tropften und schließlich auf das grüne Moos rollten. Alles um mich herum verschwamm, wie zu einem Aquarellbild, vor dem man viel zu nah steht. Plötzlich erklang ein leises, tiefes Brummen hinter mir. Ich zuckte zusammen und drehte mich so langsam um, wie möglich. Ganz nahe vor mir stand eine große, hellbraune Bärin. Das Maul leicht geöffnet und die kleinen, schwarzen Augen auf mich gerichtet. Sie war so nah, das ich ihr langes Fell fast schon riechen konnte. Wild roch sie. Beängstigend wild. Aber auch frei. Auf die schweren Hinterbeine erhoben sah sie ruhig auf mich herunter. Das lange Braune Fell fiel in weichen Wellen über ihren gedrungenen, schweren Körper. Die großen Pfoten hatte sie leicht nach vorne gestreckt, als würde sie nach mir greifen. Den Kopf hatte sie leicht nach unten geneigt. Wie eine Mähne stand das Fell lang von ihrem Hals ab. Sie sah fast aus wie ein Teddybär. Ein großer, weicher, freundlicher Teddybär, mit kleinen, runden Ohren und freundlichen Augen. Und trotzdem habe ich Angst. Der Boden bebt leicht, als sie sich schwer auf alle Viere fallen ließ. Sie nähert sich mir, bis mich ihre große, schwarze Nase fast berührte. Ihr Atem pfiff durch die Naselöcher. Die Zeit schien still zu sehen. Nichts bewegte sich, außer der schnüffelnden Nase neben meinem Ohr. Die Bärin beugte sich nach vorne und begann mir mit ihrer großen Zunge über das Gesicht zu lecken. Mit ihren großen Pfoten zog sie mich zu sich hin und drückt mich in ihr Fell. „Hör auf zu weinen…“ murmelte sie mit schwerer, rauer Stimme und stupst mich sanft mit ihrer Nase an. Langsam wich die bleierne Angst von mir und ich klammerte mich an ihr langes Fell und schluchzte lautlos hinein. Ich bin absolut hilflos! Was soll ich denn tun!? Langsam löste sich mein Heulkrampf und ich sah der großen Bärin vorsichtig in das Gesicht. Sie hatte ihre Lefzen zurückgezogen und es sah wirklich aus als würde sie mich anlächelt. Sanft und liebevoll und warm sah es aus. Und es machte mich irgendwie glücklich. Und warm. Von innenheraus… Ganz langsam zogen sich meine Mundwinkel nach oben und ich lächelte sie mit Tränen verschmiertem Gesicht schief an. Die Bärin brummte wohl wollend. „Komm, setz sich auf meinen Rücken…“ grummelte sie warm. „So kommst du nie auch nur einen Schritt vor ran…“ Dann lies sie sich auf dem Bauch nieder und streckte mir ihren großen, schweren Kopf zu mir hin und sah mich von unten herauf treu an. „Steig auf. Und halt dich gut fest, dann bist du ganz schnell weit weg von hier…“ murmelte sie sanft und blinzelte mich langsam an. Zögerlich nickte ich und kletterte dann vorsichtig auf ihren Rücken. Ich setzte mich zwischen ihre Schulterblätter und schlang meine Beine um ihren stämmigen Hals. Dann klammerte ich mich in ihr langes Fell, das wie die Mähe eines Löwen um ihr Genick stand. Langsam und schwankend erhob sich die Bärin. „Gut festhalten…“ brummte sie gemütlich, sie klang zufrieden und glücklich obwohl ich sehr an ihrem Fell gerissen haben musste um mich fest zuhalten. Ihr Schritt war, trotz des schwierigen Bodens fest und gleichmäßig und die Bärin sank kaum, oder besser, gar nicht, ein. Sie brummte irgendeine leichte, leise Melodie vor sich hin die mich sehr beruhigte. Ich legte den Kopf in das lange Nackenfell und kuschelte mich an sie. Die Bärin brummte warm und glücklich auf. Ich mochte das Gefühl, das ihr warmer Bass in mir auslöste. Langsam sackten meine Lieder nach unten. Eigentlich hatte ich Angst vor dem Einschlafen… Bei dem Traum, den ich hatte, kann man das ja auch mehr als gut verstehen, nicht wahr? Aber ich kann nicht anders… Es ist wie ein Traum, den man schon seit langem hat… einer, der endlich in Erfüllung geht. Mit einem riesigen Teddybären schmusen… und dann gut behütet einschlafen… Doch gerade, als meine Augen zufallen, fällt mein Blick in den Wald, der immer dichter und dunkler geworden ist. Etwas lauert in dem großen Haselstrauch, ganz in der Nähe des Weges. Es sieht mich an. Mit großen, bösen gelben Augen. Mir wird uhrplötzlich eiskalt und ich begann heftig zittern, als wäre ich in einem Schneesturm. Die Bärin bleibt stehen und dreht den Kopf soweit nach hinten wie möglich. Besorgt blinzelt sie mich an. „Was ist, mein Kind?“ brummte sie misstrauisch. Am liebste würde ich schreien, so viel Angst habe ich vor diesen wirren, gierigen, verrückten Augen. Zitternd zeige ich auf das Wesen, das sich immer noch im Gebüsch verbirgt. Die Bärin sieht in die Richtung, in die mein Finger zeigt. Plötzlich erhebt sie sich auf die Hinterpfoten und ich muss mich festklammern, um nicht herunter zu fallen. Sie zieht die Lefzen zurück und zeigt die Zähne. Ihr Knurren klingt wütend, angespannt und gefährlich. Als wäre sie bereit ihr Leben für mich zu opfern. Die gelben Augen verdrängen sich zu schmalen Schlitzen und schließlich sind sie verschwunden. Ein leises Rascheln erklingt und dann ist es wieder still. Das Nackenfell der Bärin ist immer noch aufgestellt und noch eine Minute steht die Bärin auf den Hinterbeinen. Dann ließ sie sich wieder auf alle Viere zurück fallen. „Keine Angst. Ich beschütze dich…“ brummte die Bärin leise. Langsam setzte sich wieder in Bewegung. Es war etwas wie eine Schifffahrt. Ich schwankte gleichmäßig hin und her. „Keine Sorge… ich passe auf dich auf…“ Brummte die Bären beruhigend. Und irgendwie konnte ich nicht anders als ihr zu vertrauen. Mit meinem ganzem Herzen. Auch wenn in den Büschen und Sträuchern am Wegesrand immer wieder wilde Augen auftauchen. Ab und zu blitzten Krallen auf und Haare hingen in den Sträuchern. Zähne blitzten auf und hin und wieder war ein tiefes, erschreckendes Knurren und Jaulen ganz nahe am Wegesrand zu hören. Ich hatte keine Angst. Die Bärin beschützte mich… vor allem. Egal, wie groß und gefährlich es auch sein würde. Doch plötzlich blieb die Bärin stehen. Einfach so. Langsam und vorsichtig ließ sich die Bärin auf dem Boden nieder. Einige Minuten war als still. Dann begann, uhrplötzlich, der mächtigste Körper der Bärin zu zucken und zu beben, so dass die Bäume um mich herum erneut schwankten. Ich ließ mich von ihrem breiten Nacken hinunter gleiten. Nun war der moosige Boden wieder stabil und ich sank nichtmehr darin ein. Ich ging zu ihrer großen Schnauze und strich vorsichtig über ihre große Nase. Die Bärin blinzelte. „Ab hier musst ich dich zurück lassen. Ich kann dich nicht weiter begleiten, so lieb es mir auch wäre…“ Große Tränen liefen aus ihren warmen Augen. „Du kannst nicht ewig hier stehen bleiben…“ murmelte die Bärin leise, als ich mich an ihre Schnauze schmiegte und keine Anstalten machte mich von ihr zu entfernen. Ich sah die Bärin traurig an. „Du musst weiter gehen, mein Kleines…“ Sie stupste mich mit ihrer Schnauze vorsichtig an und schob mich sanft ein wenig weg. „Pass auf dich auf. Und wähl gut…“ Mahnte sie und deutete mit ihrer Schnauze auf ein Schild, das an einer Weggablung stand. „Ich pass auch auf dich auf…“ brummte die Bärin und stieß mich noch einmal sanft in Richtungen der Weggablung. Zwei Schilde zeigten in entgegengesetzte Richtungen. Auf dem einen stand in eleganten, abblätternden Goldlettern ‚Stille‘ auf dem anderen in harten, glänzenden Metalllettern ‚Lärm‘. Stille würden für mich wohl eher passen, da ich so wie so nichts sagen konnte… Vorsichtig, ich fühlte mich unsicher auf meinen Beinen, ging ich zurück zur Bärin, umarmte deren Schnauze ein letztes Mal und küsste sie sanft. Ich hatte Angst, vordem, was kommen würde wenn die Bärin, die mich einen Teil des Weges so gut beschützt hatte, zurück ließ. Und dennoch drehte ich ihr den Rücken zu. „Fahre wohl…“ Murmelte die Bärin in meinem Rücken leise, als ich in Richtung ‚Stille‘ abbog, leise. Als ich mich umdrehte lag die Bärin still da. Die Augen auf mich gerichtet. Ich wollte plötzlich zurück zu ihr. Doch als ich einen Schritt auf sie zu machen wollte, konnte ich nicht. Und um mich herum wurde es tief schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)