Last Desire 5 von Sky- (L x BB) ================================================================================ Prolog: Die Horrornacht von Norington ------------------------------------- Es war stockfinster und als Andrew auf die Uhr schaute, sah er, dass es noch mitten in der Nacht war. Müde rieb er sich die Augen und fragte sich, was ihn denn aufgeweckt hatte, denn normalerweise hatte er einen sehr tiefen Schlaf und wachte für gewöhnlich nachts nicht auf. Schlaftrunken ging er auf den Gang und hörte merkwürdige Geräusche. Was genau war denn da los und was waren das für Geräusche? Instinktiv ging er ins Schlafzimmer seiner Eltern und bemerkte, dass die Tür angelehnt war. Seltsam. Dabei verschlossen sie normalerweise die Tür. „Mama? Papa?“ murmelte er leise und rieb sich wieder die Augen. Keine Antwort, wahrscheinlich schliefen sie gerade. Langsam öffnete er die Tür und schlich sich ins Schlafzimmer. Er sah fast gar nichts in der Dunkelheit, wagte es aber nicht das Licht einzuschalten, da er sie nicht so plötzlich wecken wollte, denn sonst würden sie noch sauer werden. Also blieb er am Bett stehen und sah nur sehr schwach in der Dunkelheit, dass seine Mutter da lag. Sanft rüttelte er sie an der Schulter. „Mama, ich kann nicht schlafen.“ Immer noch keine Reaktion. Wahrscheinlich schlief sie so tief, dass sie sich gar nicht aufwecken ließ. Also beschloss Andrew, einfach zu ihnen ins Bett zu kriechen und für den Rest der Nacht bei ihnen zu bleiben. Er kroch unter die Bettdecke und kuschelte sich bei seinen Eltern ein. Doch sogleich, als er zwischen ihnen lag, da hörte er ein leises Knarren von der Tür her. Leise Schritte waren vom Gang her zu hören und er bekam Angst. Das klang nicht nach den leisen tapsigen Schritten der Waisenkinder, die meist barfuß oder auf Socken liefen. Das war Schuhwerk und es waren schleichende Schritte. Irgendjemand schlich durch das Waisenhaus. Andrew wandte sich ängstlich an seinen Vater und rüttelte ihn an. „Papa, da ist jemand auf dem Flur.“ Doch es kam keine Reaktion. Und als Andrew ihn fester durchrüttelte, da spürte er etwas an seinem Ärmel und an seinen Händen. Irgendetwas Warmes, Flüssiges und leicht Klebriges. Was das wohl war? In der Dunkelheit konnte er nicht viel erkennen, aber so viel stand fest: seine Eltern würden nicht aufwachen, die schliefen zu tief und so wollte er selber nachsehen gehen. Vielleicht… vielleicht war es ja Clara, die wieder mal schlafwandelte. Oder womöglich Jeremiel, der sich nachts immer herumtrieb und dann genauso plötzlich auftauchte, wie er immer verschwand. Konnte ja gut möglich sein, dass er oder Clara diese komischen Geräusche verursachten. Und wenn es Clara war, dann musste man sie wieder ins Bett bringen, bevor sie sich noch irgendwie wehtat oder in Gefahr brachte. Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass man Schlafwandler niemals aufwecken durfte. Man musste sie wieder zu Bett bringen. Vorsichtig schlich Andrew also wieder aus dem Bett und bemerkte, dass dieses komische nasse Zeug an seinen Händen klebte. Am besten ging er ins Bad und wusch sich die Hände. Glücklicherweise lag es nicht weit vom Flur entfernt. Andrew schlich leise dorthin, um die anderen nicht zu wecken und hörte wieder diese merkwürdigen Geräusche, die er nicht genau zuordnen konnte. Was da wohl los war? Na was soll’s. Er wollte gleich wieder ins Bett gehen und schlafen. Als er das Badezimmer betrat und das Licht einschaltete, bemerkte er, dass da Blut am Lichtschalter klebte. Aber… wie kam das Blut denn dorthin? Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn, als er sah, dass er es war! An seinen Händen und an seinen Ärmeln klebte Blut. Angst überkam ihn, als er das viele Blut sah und er hätte beinahe geschrieen, doch er tat es nicht. Er brachte nicht mal dafür die Kraft auf. Wieso nur klebte da so viel Blut an seinen Händen und wo kam es her? Mama, schoss es ihm durch den Kopf und so schnell wie er konnte, rannte der 8-jährige Andrew zurück ins Schlafzimmer seiner Eltern und schaltete das Licht an. „Mama! Papa!“ Er sah sie beide im Bett liegen, in ihrer Brust klafften Löcher und so wie es aussah, waren sie beide schon längst tot. Entsetzt wich Andrew zurück und starrte auf seine Hände. Sie hatten nicht geschlafen… sie waren tot… Aber wieso? Warum waren seine Eltern denn tot? Andrew ergriff die Angst und der rannte zu den Schlafräumen der Kinder. Doch dort bot sich überall der gleiche Anblick. Sie lagen in ihren Betten und waren genauso tot wie seine Eltern. Jenny, Clara, Mike, Joshua… seine besten Freunde, die teilweise wie Geschwister für ihn waren. Sie waren alle tot. Fluchtartig rannte Andrew den Gang entlang und wollte nach oben, wo die älteren Kinder einquartiert waren. Vielleicht gab es ja noch eine Chance, dass jemand von ihnen am Leben war. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte und er begriff auch nicht, was hier gerade geschah. Wieso nur waren sie alle tot und wer hatte das getan? Gerade wollte Andrew die Treppe hoch, doch da hörte er das Knarren der Dielen von oben und erstarrte fast, als er realisierte, dass da jemand nach unten kam. Was sollte er tun? Etwa nach oben rennen und hoffen, dass es eines der Kinder war? Nein, mit Sicherheit waren es keine Kinder, das klang nach festem Schuhwerk. Das war die Person, die seine Eltern und die anderen Kinder erschossen hatte. Also versteckte sich Andrew hastig in einem Schrank, der da in der Nähe war und lugte durchs Schlüsselloch. Das Licht wurde angeschaltet und Andrew hörte, wie die Schritte näher kamen. Sein Herz schlug bis zum Hals und er wurde von einer entsetzlichen Angst ergriffen. Bitte schau nicht im Schrank nach, bitte! Ich hab Angst… ich will nicht sterben. Mama… Papa… hilf mir doch irgendjemand. Andrew zitterte am ganzen Körper und Tränen kamen ihn. Er hatte entsetzliche Angst und wollte einfach nur aufwachen. Bitte lass das alles bloß ein schrecklicher Alptraum sein. Lass mich aufwachen und bei Mama und Papa im Bett liegen. Ich will aufwachen und bei meiner Mama im Arm liegen und sie sagen hören, dass alles gut sei und ich nur wieder schlecht geträumt habe. Er schluchzte heftig und sah dann, wie aus dem Schatten eine Gestalt auftauchte. Sie trug eine Pistole mit Schalldämpfer bei sich und als Andrew erkannte, wer es war, da hatte er das Gefühl, dass in diesem Moment die ganze Welt auf ihn herabfiel. Ausgerechnet er, dachte der Achtjährige und zitterte heftig. Er wurde von einer fast unkontrollierbaren Angst ergriffen und wäre beinahe in Panik verfallen. Er wollte schreien, er wollte weglaufen, doch er konnte es nicht. Wenn er auch nur einen Mucks von sich gab, würde der Mörder ihn bemerken und ihn ebenfalls töten. Plötzlich blieb die Gestalt stehen und langsam wanderte ihr Blick zum Schrank. Andrew sah diese leeren und ausdruckslosen Augen, die weder Wärme noch Kälte ausstrahlten. Nein, bitte sieh nicht in den Schrank. Bitte geh weiter, aber sieh nicht im Schrank nach! Langsam erhob der Mörder seine Pistole und Andrew gefror das Blut in den Adern. Sofort legte er sich flach auf den Boden des Schranks und schützte seinen Kopf, da wurde ein Schuss abgefeuert. Holz splitterte und sogleich folgte ein weiterer Schuss. Bei jedem Mal zuckte Andrew zusammen und presste eine Hand auf seinen Mund, um nicht zu schreien. Er hatte so eine unbeschreibliche Angst, dass er sich nur mit einer fast unmenschlichen Anstrengung davor bewahren konnte, nicht laut zu schreien. Mama, bitte hilf mir, ich hab Angst. Bitte lass das nur ein böser Traum sein. Ich will das nicht, ich will das nicht mehr! Bitte lass mich wieder aufwachen. Doch als der dritte Schuss folgte, da wurde Andrew klar, dass das hier kein Alptraum war. Nein, es war noch viel schlimmer, als ein Alptraum. Es war die Hölle. Langsam verhallten die Schritte, als der Mörder weiterging und Andrew blieb noch lange im Schrank kauern. Warum nur? Warum hat er das getan, fragte er sich und verstand es einfach nicht. Was haben wir ihm getan, dass er uns alle umbringt? Haben wir ihn jemals schlecht behandelt, oder hasst er uns so sehr, dass er uns töten will? Nein, das ist es nicht… er hasst uns nicht. Wir sind ihm ganz einfach im Weg. Wir sind für ihn ein Problem, deswegen muss er uns allesamt töten. Das ist der einzige Grund. Er tötet uns einfach, weil er in uns ein Problem sieht, das ist alles. Das allein reicht schon, dass er uns einfach so umbringen will. Andrew blieb die ganze Zeit im Schrank kauern und wartete. Er hatte zu große Angst, um den Schrank zu verlassen und er hörte, wie weitere Schüsse durch den Schalldämpfer abgegeben wurden. Nach und nach wurden alle in ihren Betten erschossen, während sie schliefen. Sie alle hatten nie etwas Falsches getan und sich nie etwas zuschulden kommen lassen, außer ein paar harmlosen Kinderstreichen. Viele von ihnen waren nicht mal älter als fünf oder sechs Jahre. Dennoch mussten sie alle sterben, weil ihre Existenz oder zumindest ihr Wissen für ihn ein Problem war. Das war ihr einziges Vergehen. Das allein war schon ein Grund genug, dass sie alle mit ihrem Leben zahlen mussten. Schließlich, als Andrew rein gar nichts mehr hörte, wagte er sich hervor und roch sogleich etwas Merkwürdiges. Es war kaum wahrnehmbar, aber der Kopf tat ihm etwas weh und er wurde ein wenig benommen. Was war das? War das etwa… Gas? Da er wusste, was das bedeutete, rannte er schnell zum nächsten Fenster und kletterte von dort aus auf den Baum, der da wuchs. Und kaum, dass er vom Baum herunter war, da gab es einen ohrenbetäubenden Knall und die Fensterscheiben explodierten förmlich, als gewaltige Feuersäulen emporstiegen. Augenblicklich wurde in dieser stockfinsteren und kalten Nacht alles hell erleuchtet und Andrew sah, wie sich binnen weniger Sekunden Feuer ausbreitete. Mit Tränen in den Augen stand er da, unfähig sich zu bewegen oder sonst überhaupt irgendetwas zu tun. Hilflos sah er mit an, wie das Norington Waisenhaus, in welchem er mit seinen Eltern gelebt hatte und wo er mit den anderen Waisenkindern aufgewachsen war, in Flammen aufging und alles zerstört wurde, was ihm einst wichtig war. Wirklich alles war fort. Seine Familie… seine Freunde… sein Zuhause. Er hatte ihm alles genommen und würde auch ihn töten. Andrew wusste, dass auch er ein Problem war, weil er zu viel wusste. Wenn er etwas sagte, würde der Mörder ihn aufspüren und ebenfalls töten. Kurz darauf traf die Feuerwehr ein und versuchte den Brand irgendwie zu bekämpfen, während zwei der Männer zu ihm eilten. „Hey Kleiner, was ist passiert? Was ist mit den anderen?“ „Sie… sie sind… tot… Sie sind alle tot…“ Das war alles, was er hervorbrachte. Apathisch starrte er ins Leere, unfähig, auch nur eine einzige weitere Frage zu beantworten. Der Notarzt traf ein, die Polizei ebenfalls und immer noch versuchte die Feuerwehr, da irgendetwas zu retten und wenigstens ein paar Überlebende rauszuholen. Doch Andrew wiederholte nur diese vier Worte „Sie sind alle tot“, bis man es aufgab und nur noch dafür sorgen konnte, dass der Brand nicht auf andere Häuser überging. Andrew wurde ins Krankenhaus gebracht und untersucht. Körperlich fehlte ihm nichts, doch die Polizei hörte nicht auf, ihn zu befragen, woher das Blut an seinen Händen und an der Kleidung komme und was in dem Waisenhaus passiert sei. Er starrte nur ins Leere und sagte „Wir waren im Weg, deshalb hat er sie alle erschossen.“ Aber auf die Frage, wer es denn gewesen war, gab er keine Antwort. Selbst als man versuchte, ihn unter Druck zu setzen, schwieg er und wiederholte immer nur das, was er zuvor schon gesagt hatte. Keiner schaffte es, auch nur einen Hinweis auf die Identität des Mörders zu finden und Andrew blieb noch zur psychologischen Betreuung eine Weile im Krankenhaus. Er schlief nicht, er saß einfach nur schweigend da und vergoss stille Tränen. Sie alle waren fort. Seine Eltern, seine Freunde. Sein Zuhause war weg und es gab rein gar nichts mehr, was er noch hatte. Er war der Einzige, der dieser grausamen Hinrichtung entkommen war. Aber wieso ausgerechnet er? Wieso nur hatten sie alle sterben müssen, aber nicht er? Worin lag da die Gerechtigkeit? Warum hatte es ausgerechnet ihn treffen müssen? Wieso nur hatte er nicht schon viel früher erkannt, was wirklich gewesen war und dass „er“ im Begriff gewesen war, so etwas Schreckliches zu tun? Er hätte es doch ahnen müssen. Nein, er hatte geahnt, dass etwas passieren würde, aber er hatte nichts getan, um es zu verhindern. Tief in seinem Inneren hatte er etwas geahnt und er hatte rein gar nichts genommen, um die anderen zu retten. Es ist allein meine Schuld, dass sie alle sterben mussten. Wenn ich sie nicht rechtzeitig vor ihm gewarnt hätte, dann wäre es doch niemals so weit gekommen. Ich bin dafür verantwortlich, dass sie allesamt sterben mussten. Sie sind meinetwegen tot. Warum nur? Warum musste alles nur so schrecklich werden und wieso nur bin ich nicht mit ihnen gestorben? Was berechtigt mich überhaupt dazu, noch weiter am Leben zu bleiben, nachdem sie alle sterben mussten, obwohl sie nichts Schlimmes getan hatten? Ich habe es doch nicht verdient zu leben, wenn sie alle meinetwegen sterben mussten. Mama, Papa, Clara und die anderen… ich werde sie nie wieder sehen. Ich werde nie wieder nach Hause zurückehren können. Die Tür ging auf und Andrew sah aus den Augenwinkeln, wie ein etwas älterer Herr ins Zimmer kam und seinen Hut abnahm. Er war gekleidet wie ein typisch englischer Gentleman und er ging direkt zu Andrew hin. Nicht schon wieder so ein Psycho-Futzi. So langsam hatte er wirklich keine Lust mehr darauf. „Guten Tag Andrew, wie geht es dir? Ich habe gehört, was mit deiner Familie passiert ist. Das tut mir sehr leid, es muss wirklich schrecklich für dich gewesen sein.“ Andrew antwortete nicht, er sah ihn nur schweigend an. Der Mann setzte sich zu ihm und räusperte sich. „Mein Name ist Watari und ich habe erfahren, dass du der Einzige bist, der diese Tragödie überlebt hat. Man sagte du hast den Mörder gesehen.“ Andrew erinnerte sich wieder an diese eiskalten und leeren Augen, die er durchs Schlüsselloch gesehen hatte und spürte wieder diese unbändige Angst. Er wollte es nicht… er wollte sich nicht mehr erinnern. „Wir waren ihm im Weg, deshalb musste er uns töten.“ „Im Weg?“ fragte der alte Mann und runzelte verwundert die Stirn. „Inwiefern denn im Weg?“ „Wir wussten zu viel. Deshalb musste er uns töten.“ Der alte Mann merkte wohl, dass Andrew nicht darüber reden wollte und nickte. „Ich kann verstehen, wenn du noch nicht bereit bist, darüber zu sprechen. Aber mach dir keine Sorgen. Ich werde dir ein neues Zuhause geben und du brauchst auch keine Angst zu haben, dass er dich finden könnte. Es wird dir nichts passieren und ich werde dafür sorgen, dass er dich niemals finden wird.“ Doch Andrew schüttelte nur den Kopf, wobei er immer noch ins Leer starrte. „Er wird mich so oder so finden und mich töten, wenn er weiß, dass ich lebe. Sie haben keine Ahnung, wer oder was er ist… keiner weiß es… nur ich. Und deshalb wird er mich töten.“ „Und was genau ist er?“ Andrew starrte ihn mit von Tränen geröteten und Angst gezeichneten Augen an. Nie hatte Watari diesen Ausdruck in solch kleinen Kinderaugen gesehen. Es tat ihm im Herzen weh, dieses Kind so zu sehen, welches so einen schrecklichen Horror erlebt hatte. Seine unschuldigen Tage als unbeschwertes und sorgloses Kind waren für immer vorbei. Andrew sammelte sich und verkrallte die Hände ins Bettlaken. Er vergoss keine Tränen mehr, trotzdem sah er so unendlich verzweifelt und hilflos aus. „Er… er ist ein Monster.“ Kapitel 1: Kleine Zankereien ---------------------------- Schweißgebadet fuhr Beyond hoch und atmete schwer. Sein Herz raste wie wild und er schaltete das Licht an. Aufgeweckt durch die ruckartigen Bewegungen und das plötzliche grelle Licht wachte auch L auf, der sich bis gerade eben noch an den Serienmörder gekuschelt und tief und fest geschlafen hatte. Müde rieb er sich die Augen und sah, was los war. „Schon wieder ein Alptraum?“ Beyond atmete tief durch und fuhr sich durchs Haar. Nachdem er sich einigermaßen gesammelt hatte, nickte er und erklärte „Es ist schon fast sechs Monate her, seit ich zuletzt Alpträume hatte. Aber irgendwie sind diese Träume anders. Ich weiß auch nicht so wirklich, wie ich das beschreiben soll. Zuvor habe ich immer von diesen Horrorstunden geträumt, die ich bei Sam und Clear durchgemacht habe, aber jetzt… wenn ich wenigstens sagen könnte, dass es Alpträume wären, aber das sind ja eigentlich keine richtigen. Oder zumindest erscheinen sie mir nicht wie normale Alpträume.“ „Dann versuch es zumindest zu erklären.“ Da für den Meisterdetektiv sowieso nicht mehr ans Einschlafen zu denken war, setzte er sich auf und zog seine Beine an, wobei er Beyond mit seinen Pandaaugen betrachtete. Dieser dachte nach und im Lichte der Nachttischlampe leuchteten seine Augen fast dämonisch. „Ich träume immer von einer Stimme. Diese Stimme ruft immer wieder meinen Namen und sagt, dass ich zu ihr kommen soll. Immer, wenn ich dieser Stimme folge, endet es damit, dass da eine dürre schneeweiße Gestalt vor mir steht. Aus ihrem Körper hängen unzählige Schläuche und sie kann sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Sie kommt dann auf mich zu und versucht, mich zu packen und zu sich zu zerren. Dabei sagt sie immer wieder, ich solle keine Angst haben und zu ihr kommen. Aber ich will es nicht. Und dann sehe ich plötzlich, dass Sam hinter dieser Gestalt steht und er spricht genauso wie diese Gestalt diese Worte mit der gleichen Stimme. Ich hab jedes Mal so eine Todesangst, wenn dieses Ding mir näher kommt und kann gar nicht mehr laufen, so gelähmt bin ich vor Angst. Meine Beine geben nach und ich versuch vor ihr wegzukriechen. Und dann… wenn sie nahe genug ist, legt sie mir ihre eiskalten Hände an die Schläfen und kommt meinem Gesicht immer näher. Und das letzte, was sie zu mir sagt, bevor ich aufwache ist, dass ich ein Teil von „ihr“ werde. Ich verstehe diese Träume nicht. Irgendwie sehe ich darin keinen logischen Sinn, aber ich habe jedes Mal so eine Scheißangst, als würde ich tatsächlich sterben, wenn ich nicht rechtzeitig aufwache.“ L betrachtete ihn nachdenklich und überlegte selbst, was das wohl zu bedeuten hatte. Dass Sam in diesem Alptraum vorkam, verwunderte ihn nicht sonderlich. Beyond hatte sich schon immer vor ihm gefürchtet, weil Sam nichts Menschliches an sich hatte und nicht einmal das Shinigami-Augenlicht half, seine wahre Identität aufzudecken. Und seit dieser Geschichte mit der Vergewaltigung war seine Angst vor dem namenlosen Schrecken von Amerika nur noch größer geworden. Beyond, der sonst immer so selbstbewusst war und sich nie unterkriegen ließ, hatte wirklich Angst vor diesem namenlosen Monster, welches weder Hass noch Liebe empfinden konnte. Keine Gefühle, keine Rachegedanken… nur eiskalte berechnende Logik. „Und weißt du auch, wer damit gemeint ist?“ Beyond schüttelte nur den Kopf und dachte nach. „Nein. Aber… es ist nicht so, dass dieses Wesen mich töten will oder so. Ich glaube, es will etwas Bestimmtes von mir und deshalb kommt es auf mich zu. Aber ich habe einfach nur Angst in diesem Moment.“ „Es sind nur Träume, Beyond. Und Träume bleiben auch Träume, das ist auch gut so. Vielleicht solltest du mal mit deiner Schwester reden, womöglich hat sie ja eine Idee, was das mit deinen Träumen zu bedeuten hat. Gut möglich, dass es irgendetwas aus deiner Kindheit ist.“ Unsicher zuckte der Serienmörder mit den Achseln und stand auf, denn ans Einschlafen war ja sowieso nicht mehr zu denken. „Sie hat doch selbst im Moment genug Stress. Zwar ist sie jetzt von der Arbeit freigestellt, aber sie hat noch genügend andere Sachen um den Hals. Immerhin kann es sich nur noch um Tage oder Wochen handeln, bis der Geburtstermin ansteht. Sie und Jamie sitzen schon die ganze Zeit auf glühenden Kohlen und jedes Mal, wenn sie irgendwie Schmerzen kriegt, schlägt sie gleich Alarm. Ich hoffe ja auch, dass es endlich bald soweit ist und wieder Ruhe einkehrt.“ Damit wollte Beyond das Zimmer verlassen, doch sogleich stand auch L auf. „Wo gehst du hin?“ „Ins Bad. Ich brauch jetzt dringend eine Dusche.“ „Dann komm ich mit. Geht dann ohnehin schneller.“ Also gingen sie gemeinsam ins Bad und nach einer heißen Dusche setzten sie sich ins Wohnzimmer. Ein Blick auf die Uhr verriet ihnen, dass es gerade erst vier Uhr morgens war und um die Zeit war ohnehin nicht viel los. Beyond machte es sich auf der Couch bei einem Glas Marmelade bequem und las sich zusammen mit L eine Fallakte durch. Es hatte sich ergeben, dass ein Serienmörder ihr gemeinsames Interesse geweckt hatte, da er zum einen in L’s Fallschema passte und seine Morde brutal und bizarr genug waren, um auch Beyonds Aufmerksamkeit zu erregen. Der „Scarecrow Killer“ von Annatown, der mehr als 30 Menschen getötet hatte, indem er sie aufschlitzte, ihre Organe herausriss und sie dann mit Süßkram „ausstopfte“, galt als einer der bizarrsten Mörder der letzten zehn Jahre. Seine Opfer tötete er erst nur an Halloween, doch dann begann er immer häufiger zu morden. Den Titel „Scarecrow Killer“ hatte er daher, weil er nachts verkleidet als Vogelscheuche sein Unwesen trieb. Seit knapp einem Monat waren sie dem Mörder auf der Spur und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn aufgespürt hatten. „Und haben wir schon irgendwelche Fotos von dem Killer?“ „Ja, allerdings ist die Qualität der Aufnahmen mehr als schlecht und man kann nicht viel darauf erkennen.“ Doch das kümmerte Beyond nicht wirklich. „Solange ich wenigstens seine Augen klar sehen kann, geht das schon. Und wenn ich die Identität des Killers habe, dann wird es ein leichtes sein, ihn zu finden. Ich tippe darauf, dass es sich um Jackson Cohan handelt, der vor 20 Jahren von dieser Sekte angeblich getötet worden war und nun auf Rache aus ist.“ „Davon gehe ich auch aus. Es sprechen ja genug Indizien dafür. Aber wenn du ihn auf den Fotos identifizieren kannst, hätten wir uns zumindest abgesichert.“ Damit nahm der Serienmörder die Fotos entgegen und sah sie sich alle genau durch. L hatte nicht untertrieben. Die Aufnahmen waren wirklich miserabel, aber es fand sich ein Bild, wo das Gesicht des Mörders ganz klar drauf zu sehen war und der Name „Jackson Cohan“ mitsamt verbleibender Lebenszeit wurde für Beyond klar erkennbar. „Ganz eindeutig. Es ist Jackson Cohan. Meine Fresse, dann hat der Kerl den schweren Brand von damals wirklich überlebt. Und jetzt sinnt er auf Rache nach den Sektenmitgliedern, weil die ihn damals auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollten. Ich muss schon sagen, der Kerl fasziniert mich wirklich. Fast genauso interessant wie der Eyeball Killer von vor 15 Jahren, den du geschnappt hast. Ich glaube, ich hätte damals auch in sein Beuteschema gepasst.“ „Ja, das hättest du wohl. Aber es gibt noch genügend andere Serienmörder, die ich nur zu gerne fassen würde.“ „Hey, pass bloß auf was du sagst, sonst werde ich noch eifersüchtig.“ Du Knallkopf, dachte L und schüttelte den Kopf. War ja klar, dass dieser Kommentar von dir kommen würde. „Du bist doch schon seit gut neun Monaten bei mir und wirst noch für eine sehr lange Zeit bei mir bleiben.“ „Für den Rest meines Lebens. Ja, ja. Der Text wird auch immer älter, mein Lieber. Ich hab’s kapiert. Ich als böser Junge muss von dir beaufsichtigt werden, weil ich sonst wieder unartig werden könnte, nicht wahr?“ „Als ob du nicht trotzdem oft genug „unartig“ warst. Immerhin darf ich doch jedes Mal alles wieder ausbaden, wenn du dir wieder irgendwelche verrückten Ideen von deiner Schwester ins Ohr setzen lässt. Nur damit eines klar ist: das mit der Kette hat noch ein Nachspiel und die Sache mit dem Video habe ich dir auch noch nicht verziehen.“ „Hey, es gibt doch genügend andere Paare, die sich beim Sex filmen. Und keine Sorge, ich stell es ja nicht gleich ins Internet rein oder zeig es jemandem.“ Trotzdem war L noch ziemlich nachtragend und nahm Beyond seine Aktionen immer noch übel. Und Rumiko würde auch noch ihr Fett wegkriegen, wenn sie mal wieder unangemeldet zu Besuch hereinschneite. Das alles war doch nur ihre Schuld, dass Beyond diese ganzen Ideen hatte. Sie mit ihrer perversen Vorliebe für schwule Beziehungen machte alles nur schlimmer. Zwar war sie nicht Beyonds leibliche Schwester, sondern lediglich seine Adoptivschwester, aber man hätte echt meinen können, dass sie Geschwister waren. Einer schlimmer als der andere. Aber man konnte sich immer einen Rat bei ihr einholen, wenn es irgendwelche Probleme gab. Und bei zwei so schwierigen Menschen wie Beyond und L waren die Probleme quasi vorprogrammiert. „Ach komm schon, L. Ich hab mich mit dem Video entschuldigt und das mehr als ein Mal.“ „Trotzdem bin ich noch sauer und dazu hab ich ja wohl das Recht. Und das mit der Küche nehme ich dir auch noch übel.“ Die Küche. Immer wenn Beyond daran dachte, bekam er dieses Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht und er kicherte. „Als ob du nicht auch deinen Spaß gehabt hattest. Wobei ich aber unser heißes Schäferstündchen auf der Waschmaschine noch ge…“ Für diesen Kommentar zog der Meisterdetektiv ihn genervt am Ohr und hätte dieses perverse Schlitzohr am liebsten ordentlich zusammengestaucht. Aber nach gut neun Monaten Zusammenleben (wovon sechs Monate feste Beziehung waren) wusste er inzwischen, dass das ja sowieso keinen Sinn hatte. Beyond würde trotzdem seinen Dickkopf durchsetzen und er musste es dementsprechend wieder ausbaden. „Wenigstens können wir behaupten, dass wir genügend Abwechslung in unsere Beziehung hineinbringen. Und zumindest haben wir jetzt auch endlich alle Räume offiziell „eingeweiht“. Fehlt eigentlich nur noch das Auto.“ Nun reichte es L endgültig und er klatschte Beyond die Akte ins Gesicht. „Ums Verrecken werde ich es nicht im Auto mit dir machen, da haben wir oft genug darüber gesprochen. Das ist doch krank.“ „Sagte er, der so wild gestöhnt hat, als wir es auf der laufenden Waschmaschine getrieben haben.“ „Hör endlich mit diesem peinlichen Waschmaschinenkapitel auf!“ „Warum denn, wenn es so lustig ist?“ Fahr doch zur Hölle, dachte L genervt und fragte sich, wie er es denn die letzten sechs Monate mit diesem Spinner aushalten konnte. Der hatte sie doch nicht mehr alle! Nachdem sie sich eine Weile mit dem Annatown Serienmord beschäftigt hatten und ernster dabei zur Sache gingen, kam Beyond irgendwann auf etwas ganz anderes zu sprechen. „Da Rumiko für die nächsten drei Jahre in Mutterschaftsurlaub geht, hat sie sich eine andere Tätigkeit für die Zeit überlegt. Du weißt ja wie sie ist: sie hat zwar Kohle genug, um nie wieder arbeiten gehen zu müssen, aber ist einfach nicht der Typ für so etwas.“ „Und was will sie stattdessen machen?“ Beyond reichte L etwas, das wie ein Manga aussah. Stirnrunzelnd sah er das Cover an und konnte erst mal nichts Ungewöhnliches erkennen, bis er dann die Beschreibung las und dann den Manga durchblätterte. Und was er da vorfand, war eigentlich genau das, was man von so einem Menschen wie Rumiko erwarten konnte, die ja nur schwule Freunde hatte und süchtig nach Yaoi-Mangas war. Es war ein von ihr gezeichneter Manga, der von einem Detektiv handelte, der von seinem Erzfeind gefangen wurde, woraus dann eine Beziehung entstand. L sah die Seiten ungläubig an, dann schüttelte er fassungslos den Kopf. „Das… das ist doch wohl nicht…“ „Basierend auf unserer Geschichte, allerdings hat Rumi die Story ein wenig abgeändert, um eine deutlich größere Leserschaft anzusprechen. Sie wollte mehr in die Richtung Sado-Maso gehen. Aber zumindest hat sie den Teil beibehalten, dass ich hier das Sagen habe.“ Die bringe ich noch irgendwann mal um, dachte L und wurde hochrot im Gesicht, als er den Manga durchlas und vor allem sah, wie detailliert sie alles gezeichnet hatte. Und damit wirklich ALLES. „Jetzt sei kein Frosch. Zumindest hat sie die Namen geändert und wir sehen den beiden ja auch nicht wirklich ähnlich.“ „Trotzdem ändert das nichts an den Fakten, dass dieser Manga auf unserer Beziehung basiert, auch wenn deine Schwester die Fakten total verdreht hat!“ „Aber es stimmt doch, dass ich hier derjenige war, der über dich hergefallen ist. Rumiko hat ja nicht die komplette Geschichte geändert, nur ein paar Details. Nun gut, in dem Manga ist der Detektiv derjenige, der im Keller gefangen gehalten wird, aber dafür ist dann die Geschichte umso interessanter.“ Dennoch sah man L an, dass er alles andere als begeistert von dieser Aktion war. „Und was ist mit den Namen? Der Verbrecher heißt Ryuzaki und der Detektiv Lawrence. Wenn das mal keine mehr als offensichtliche Anspielung ist. Zwar ist die Geschichte etwas abgeändert worden, aber dennoch werden diejenigen, die über unsere Beziehung Bescheid wissen, sofort wissen, dass wir damit gemeint sind.“ „Bleib doch mal locker. Wer sollte das denn schon von unseren Bekannten lesen? Die Jungs aus der Bar sind doch selber allesamt vom anderen Ufer, der alte Zausel wird so etwas sicherlich nicht lesen und Jamie kapiert das eh nicht wirklich. Die Einzige, bei der ich mir das vorstellen könnte, wäre Hester. Naja, die kann ja eh nichts mehr schocken und die grinst ja auch immer so dämlich, wenn sie uns beide zusammen sieht. Aber anscheinend kommt unsere etwas abgewandelte Geschichte ziemlich gut an. Rumiko hat schon reichlich Fanpost gekriegt und so wie es aussieht, wird sie noch mehr Bände herausgeben.“ Wo bin ich denn nur gelandet, dachte L sich und konnte es nicht fassen. Sein Partner war ein Serienmörder mit perversen Fantasien und dessen Adoptivschwester eine steinreiche Musiklehrerin mit Vorliebe für schwule Beziehungen, die jetzt auch noch damit begann, Yaoi-Mangas zu zeichnen. Und dann auch noch basierend auf unserer Geschichte! Langsam komme ich mir echt vor wie im Irrenhaus oder wie bei der versteckten Kamera. Womit habe ich es eigentlich verdient, dass ich von Verrückten umgeben bin? Was kam denn bitteschön als nächstes? L wollte lieber nicht daran denken, was ihm noch alles blühen würde und er seufzte genervt. „Ihr habt doch alle den Schuss nicht gehört.“ „Ach komm schon L, jetzt spiel hier nicht den Wehleidigen. Freu dich doch mal für Rumi, dass ihr Manga so erfolgreich ist.“ „Bei Teenagerinnen mit perversen Vorlieben und einem Komplex vielleicht, die wahrscheinlich noch nie in einer Beziehung waren…“ „Jetzt wirst du aber ausfallend. Ich hab Rumis Manga schon mehrmals durchgelesen und der Titel My Enemy, My Master stammt übrigens von mir.“ „Hätte ich mir ja gleich denken können. Willst du damit auf etwas Bestimmtes andeuten oder wie darf ich diesen Titel denn bitteschön interpretieren?“ Beyond sagte nichts dazu, sondern wandte mit fadenscheinig unschuldiger Miene den Blick ab und man hätte echt meinen können, er wolle den Unschuldsengel mimen. Aber L wusste, dass dieses vermeintliche Unschuldsengelchen das Teufelchen in Person war und deshalb ließ er sich auch nicht täuschen. „Um es mal klarzustellen, mein Lieber: wir führen hier keine SM-Beziehung, klar?“ „Schon klar.“ „Ich meine es ernst!“ „Ich hab es ja kapiert, mein Pandabärchen.“ Doch so wirklich ernst schien Beyond das immer noch nicht zu meinen. Das hörte man schon an seiner Stimme und das ärgerte L nur noch mehr. Er wusste genau, was dem Serienmörder gerade durch den Kopf ging und so zog er ihn wieder am Ohr. „Ernsthaft, ich weiß was du gerade denkst und ich sage dir hier und jetzt in aller Deutlichkeit: hör sofort auf damit.“ Doch der BB-Mörder machte einfach weiter und fragte mit einem provokanten Grinsen „Woran denke ich denn bitteschön?“ „Das weißt du ganz genau. Und um es endlich klarzustellen: dazu wird es nie im Leben kommen.“ „Das hast du auch schon mit der Küche gesagt und was ist daraus geworden?“ Ernsthaft, du bist wirklich der durchtriebendste Mistkerl, den ich je in meinem Leben ertragen musste. Du findest doch immer einen Weg, mich zum Schweigen zu bringen. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie du es nur immer wieder schaffst. „Ach komm schon, L. Jetzt sei doch nicht gleich so eingeschnappt wie eine Diva. Du weißt doch, ich mach nur Spaß. Und du bist doch selbst Schuld. Du lässt dich eben so wunderbar ärgern, da hab ich doch kaum eine andere Wahl. Und selbst nach sechs Monaten fester Beziehung ist es nicht langweilig geworden. Wenn ich so überlege, was wir schon alles erlebt haben. Wir haben unseren Streit endgültig beigelegt und wir haben es mit Sam und Clear aufgenommen. Nicht zu vergessen die Sache mit Rumiko, als du gedacht hattest, ich hätte eine Affäre mit ihr und sie würde ein Kind von mir erwarten. Und zu guter Letzt noch Andy, den wir auch aus den Fängen dieses Dr. Brown gerettet haben. Fragt sich nur, was mit ihm ist. Er hat zwar hin und wieder mal eine Postkarte geschickt und erzählt, wo er gerade ist, aber mehr weiß ich auch nicht. Aber er hat letzte Woche geschrieben, dass er und Oliver nach Boston zurückgekehrt sind und dass er sich mit mir treffen will.“ L’s Miene verdüsterte sich schlagartig, als er das hörte und man sah ihm an, dass er nicht sonderlich begeistert war, davon zu hören. Denn er hatte die Tatsache durchaus nicht vergessen, dass Andrew Gefühle für Beyond hatte und auch wenn er Beyond vertraute, Andrew hingegen traute er nicht sonderlich über den Weg. Seine Sorge war einfach so groß, dass der Kerl versuchen würde, sich dazwischenzudrängen und Beyond für sich zu gewinnen. Zwar betonte dieser oft genug, dass niemals etwas wieder zwischen ihm und seinem alten Freund laufen würde, aber so ganz überzeugt war L trotzdem nicht. Und da er so etwas befürchtete, war er eben nicht sonderlich begeistert davon, dass Andrew nach Boston zurückgekehrt war und nun wieder Kontakt zu Beyond aufnehmen wollte. „Mach dir mal keine Gedanken, L. Es wird ein rein freundschaftliches Treffen sein und Andy wird mir erzählen, was er so alles auf seinen Reisen erlebt hat. Immerhin war er in Japan, China, Deutschland und Thailand und in Australien. Da erlebt man eben viel und ich bin ja echt mal gespannt, ob er inzwischen selbstbewusster geworden ist. Ich hoffe ja echt für ihn, dass er seine Depressionen bekämpfen konnte. Aus seinen Postkarten geht ja leider nicht sonderlich viel hervor. Und er schrieb irgendetwas davon, dass er mich mit einer ganz besonderen Nachricht überraschen will. Bin ja echt mal gespannt, was er damit meint.“ Doch L war sich nicht sonderlich sicher, ob er das wirklich wissen wollte. Mit Sicherheit hatte dieser Andrew irgendwelche Hintergedanken. Dem war einfach nicht zu trauen! Doch er seufzte nur und nickte. „Dann lass dich mal nicht aufhalten. Ich wünsch dir noch viel Spaß.“ Doch es war nicht zu überhören, dass nicht sonderlich begeistert war und deshalb nahm Beyond ihn in den Arm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Mach dir mal keine Sorgen, mein kleines Pandabärchen. Wenn ich zurück bin, machen wir uns noch ein paar schöne Stunden. Dann können wir es ja mal mit was Neuem ausprobieren. Vielleicht einem heißen Rollenspiel.“ Doch L schüttelte nur den Kopf und erwiderte „Du bist ein Serienkiller und ich Detektiv. Als wäre das nicht schon Rollenspiel genug.“ „Dann können wir es doch mal so machen wie in Rumikos Manga.“ „Untersteh dich. Ich werde mich sicherlich nicht nach den perversen Fantasien deiner Schwester richten!“ Doch Beyonds unheilvolles Grinsen ließ erahnen, dass er schon noch seinen Willen durchsetzen würde. Und dann konnte sich der arme L noch warm anziehen. Kapitel 2: Wiedersehen mit Andrew --------------------------------- Es war so warm draußen, dass Beyond sich ein T-Shirt anziehen musste. Die Sonne schien grell und das Wetter war einfach fantastisch. Aber dementsprechend war auch viel los auf den Straßen und er fragte sich, ob er in dem Chaos Andrew überhaupt finden würde. Na hoffentlich war der arme Kerl in diesem Getümmel nicht überfordert. Vor seinem inneren Auge sah Beyond bereits, wie Andrew verunsichert durch Boston irrte und nicht genau wusste, wo er hinsollte und nicht einmal den Mut aufbrachte, nachzufragen. Und wenn er endlich da war, dann würde er wieder so traurig lächeln wie damals. Als er das Cafe erreicht hatte, sah er sich um, konnte seinen alten Freund aber nirgends entdecken. Ob er sich verspätete? „Beyond!“ Der Serienmörder drehte sich um und konnte dann tatsächlich Andrew sehen, der auf ihn zugeeilt kam. Er sah völlig verändert aus und war kaum wiederzuerkennen. Dieser kränklich blasse Hautton war einer gesunden Bräunung gewichen und er strahlte übers ganze Gesicht. Um seinen Hals trug er eine Kette mit einer Art Amulett und er sah auch sonst viel fitter und gesünder aus als vor knapp sechs Monaten. Ungläubig blieb Beyond stehen und konnte erst nicht glauben, was er da sah. War das wirklich Andrew? Nein, das konnte doch nicht sein. Das musste sich um einen Zwilling handeln oder so. „Hey Beyond, schön dich wiederzusehen. Siehst gut aus!“ Andrew umarmte ihn freundschaftlich und nach einem kurzen Zögern erwiderte der Serienmörder diese Geste. Es war Andrew, eigentlich ließ das doch keinen anderen Schluss zu. Sonst müsste ihn nicht nur sein Augenlicht trügen. Aber wie um alles in der Welt konnte sich Andrew in der Zeit nur so dermaßen verändern, dass er kaum wiederzuerkennen war? Vor ein paar Monaten war er noch so still und ängstlich gewesen, doch jetzt schien er ein völlig anderer Mensch zu sein. Sie setzten sich und bestellten sich erst einmal Getränke, dann fragte der BB-Mörder „Andy, bist… bist das wirklich du?“ „Klar doch“, antwortete der rothaarige Engländer und lachte. „Schon witzig, nicht wahr? Du stellst genau die gleiche Frage wie bei unserer Begegnung in der Bar. Und du guckst fast genauso geschockt. Sehe ich denn wirklich so schlimm aus?“ „Ü-überhaupt nicht. Aber ich erkenne dich kaum wieder. Ich meine, vor sechs Monaten warst du so fertig gewesen und das reinste Häufchen Elend. Aber jetzt strahlst du übers ganze Gesicht und siehst nicht mehr wie ein Todkranker aus. Was ist nur mit dir passiert?“ „Frag mich lieber, was nicht mit mir passiert ist. Ich glaube, da wäre die Liste wesentlich kürzer.“ Immer noch amüsierte sich Andrew über die überraschte und auch etwas erschrockene Reaktion seines alten Freundes auf und konnte nicht aufhören zu grinsen. „Es ist einiges passiert in den sechs Monaten. Und… ich habe auch sonst ziemlich viel erlebt, bevor ich mit Oliver verreist bin. Weißt du, er hat eine etwas… unkonventionelle Art, mit Problemen umzugehen.“ „Was meinst du mit unkonventionell?“ „Sagen wir es mal so: es gibt da so eine ganz interessante Therapie, die das Werfen von Wassermelonen von einem Hausdach beinhaltet.“ Ungläubig schüttelte Beyond den Kopf und dachte erst an einen Witz oder etwas Ähnliches, aber Andrew schien das ernst zu meinen. „Du willst mich verarschen, oder?“ „Das habe ich Oliver auch gefragt, als er mit dieser Idee ankam, aber verrückterweise hilft so etwas wirklich, um sich besser zu fühlen. Er hat wirklich allen erdenklichen Blödsinn mit mir veranstaltet. Zuerst hat er mich in eine Kletterhalle geschleift und dann waren wir mit einer Gruppe Teenager feiern und haben zusammen getrunken und Gras geraucht. Tja, was war da noch? Ach ja: ich war zwischendurch krank und er hat mich gesund gepflegt, ich hab einer Kollegin von ihm die Meinung gegeigt, als sie sich über mich und Oliver lustig gemacht hat und schließlich habe ich mir ein Tattoo stechen lassen. Dann waren wir auf Reisen und haben ziemlich viel erlebt. Fallschirmspringen, Tauchen, Wingsuit, Segeln und noch vieles mehr. Eigentlich ist es bei uns nie langweilig geworden und ich…“ „Du hast WAS?“ rief Beyond, als er das hörte und dachte zuerst, er hätte Andrew falsch verstanden. „Du… du hast dich tätowieren lassen? Ausgerechnet du?“ „Klar. Ich hab mir auch ein Ohrpiercing in Australien stechen lassen. Ansonsten trage ich lieber Lederarmbänder.“ Beyond schüttelte den Kopf und musste erst mal was trinken, um das alles zu verdauen. Das war doch nie und nimmer der Andrew, den er kannte. Nun gut, er hatte schon gehofft, dass dieser mehr Selbstbewusstsein bekam, aber dass er sich so sehr verändern würde, war kaum vorstellbar gewesen. „Du hast dir allen Ernstes ein Tattoo stechen lassen?“ Andrew nickte und legte die rechte Seite seiner Brust frei und zeigte damit ein Tattoo in Form einer Rose und einen Namen in altenglischer Schrift: „Oliver“. Doch so ganz konnte es der Serienmörder nicht begreifen. Wieso nur hatte sich Andrew Olivers Namen stechen lassen? Konnte es etwa sein, dass… „Du… du bist doch nicht etwa mit Oliver zusammen, oder?“ Andrew nickte und trank einen Schluck von seinem Espresso. „Es hat sich irgendwie ergeben. Als wir uns nach der Sache in der Kletterhalle gefetzt haben, da hat er mich am Abend zur Party mit den Kindern mitgenommen und als wir zuhause waren, hatten wir schon einiges getrunken und etwas high waren wir auch. Da ist es eben passiert. Naja, danach war ich völlig verunsichert und wusste nicht, was mit mir los war und wieso ich das getan hatte. Ich war vollkommen überfordert mit der Situation und verunsichert, was ich tun sollte. Und dann habe ich auch noch erfahren, dass Olivers erste Beziehung mit seinem besten Freund Elijah war, der vor fast elf Jahren verstorben ist und dessen Herz er bekam. Ich dachte, ich könnte niemals gut genug für Oliver zu sein, aber dann hat er mir gestanden, dass er schon in mich verliebt war, als er mich das erste Mal in Wammys House gesehen hatte. Er war heimlich in mich verliebt, hatte sich selbst aber nie getraut, mir seine Gefühle zu gestehen, weil er dachte, ich würde niemals mit einem Versager wie ihm etwas anfangen wollen. Da habe ich erkannt, dass Oliver eigentlich genauso ist wie ich. Aber er hat einen Weg gefunden, um stärker zu werden und er hat mir geholfen, über mich selbst hinauszuwachsen und mutiger und selbstbewusster zu werden. Er hat nie aufgegeben und mich immer wieder aufs Neue aufgebaut und mir Mut gemacht, wenn ich verunsichert war. Dank seiner ganzen Erfahrungen und seiner Ansichten hat er immer eine Antwort gewusst und er war stets rücksichtsvoll und einfühlsam, aber manchmal war er auch ein echter Arsch, wenn er mich geärgert hat. Aber ich konnte mich immer auf ihn verlassen und ihm blind vertrauen. Zuerst hielt ich ihn für einen chaotischen Spinner, aber mit der Zeit habe ich gesehen, dass er eigentlich ein absolut unglaublicher Mensch ist. Er kann toll kochen, er ist ein Genie bei der Arbeit und neben seinen Hobbys und seiner Arbeit als Hacker und Softwareprogrammierer bei Vention kümmert er sich um Jugendliche, die an Krebs oder Tumoren erkrankt sind oder anderweitig schwer krank sind, um ihnen ihren Lebenswillen zurückzugeben. Und eben weil er mich nie alleine gelassen hat und sofort da war, wenn ich ihn brauchte, habe ich mich irgendwie in ihn verliebt. Doch trotzdem hatte ich Angst, dass ich vielleicht nicht in der Lage sein könnte, eine vernünftige Beziehung zu führen und es mit uns nicht klappen könnte. Da hat er mich einfach gepackt und mit mir Walzer getanzt. Zuerst hab ich nicht verstanden, wieso er jetzt auf einmal mit mir getanzt hat, aber dann sagte er, dass die Beziehung wie ein Tanz ist. Und wenn ich mir nicht zutraue, den Tanz zu führen, dann kann ich mich einfach führen lassen. Also habe ich einfach das gemacht, was er gesagt hat und ihm vertraut. Und so habe ich mir auch sein Motto „Just Do It“ zu meiner Lebensphilosophie gemacht. Mach einfach, was dir Spaß macht, ohne dich ständig darum zu sorgen, was andere darüber denken. Denn das Leben ist viel zu kurz, um ständig deprimiert zu sein und man sollte stolz darauf sein, wie man ist. Oliver hat mir gezeigt, dass ich es wert bin zu leben und glücklich zu werden. Und er hat mir auch das Gefühl gegeben, geliebt und gebraucht zu werden. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich nicht derjenige, der ich jetzt bin.“ Beyond war vollkommen sprachlos und wusste gar nicht, was er sagen sollte. Dann aber beugte er sich vor und klopfte Andrew an die Schläfe. „Ich glaube, dein Gedankenschaltkreis hat einen Wackelkontakt oder dieser Oliver hat daran irgendwie herumgespielt. Das bist nie und nimmer wirklich du.“ Doch Andrew schüttelte nur den Kopf und erklärte „Mit mir ist alles in Ordnung, Beyond. Ehrlich! Mir ging es noch nie so gut wie jetzt und ich habe endlich mein wahres Glück gefunden. Und mein wahres Glück ist eben Oliver. Deshalb… deshalb wollte ich dich auch unbedingt sehen, um dir das zu erzählen.“ „Was genau?“ Andrew lächelte verlegen und wich Beyonds Blick aus. So ganz traute er sich wohl noch nicht, es zu sagen, aber dann eröffnete er es ihm. „Oliver und ich sind nach Boston zurückgekehrt, weil wir heiraten wollen.“ Das war nun endgültig zu viel für Beyond. Er musste das erst einmal sacken lassen. Wirklich unglaublich. Eigentlich war es fast genauso wie bei ihrer ersten Begegnung vor sechs Monaten, als er erfahren hatte, dass Andrew am Leben war. Da war er genauso erschlagen wie jetzt und wusste das alles erst mal nicht genau einzuordnen. Aber beim ersten Mal war er eher geschockt als erfreut. Jetzt war er einfach nur überwältigt und konnte nicht fassen, dass Andrew in solch kurzer Zeit so dermaßen die Kurve gekriegt hatte. Aus dem schwer depressiven und verunsicherten Selbstmörder war das blühende Leben geworden und dieses Lächeln in seinem Gesicht, welches damals immer nur eine Fassade war, um seine Traurigkeit zu verbergen, war zu einem richtigen Lächeln geworden. Sein Lachen kam von Herzen und er wirkte wirklich sehr glücklich. Nie hätte er sich träumen lassen, dass Andrew mal so glücklich sein würde, wo dieser doch immer gedacht hatte, er verdiene es nicht zu leben. „Ich kann es immer noch nicht glauben. Ehrlich gesagt hätte ich ja mit einigem gerechnet. Aber dass du mal so strahlen würdest wie jetzt, hätte ich nie gedacht. Genau das ist es, was ich mir immer so für dich erhofft hatte und dann willst du auch noch bald heiraten. Das ist unglaublich! Dann heißt das also…“ „Ich habe dank Oliver meine Gefühle endlich in Ordnung bringen können und er ist der einzige Mensch, den ich wirklich liebe. Ich weiß, dass er der Richtige für mich ist und deshalb bin ich auch soweit, dass ich es wieder auf freundschaftlicher Ebene mit dir versuchen will. Ich möchte, dass wir wieder die alten Freunde wie damals werden und noch mal von vorne anfangen. Und ich wollte dir endlich sagen, dass ich deine Liebe zu L endlich akzeptieren kann und mich von ganzem Herzen für dich freue, dass du deine wahre Liebe gefunden hast. Vorher konnte ich es dir einfach nicht sagen, deshalb will ich es jetzt tun.“ Immer noch konnte es Beyond nicht glauben und er war immer noch vollkommen überwältigt von seinen Gefühlen. Es war so eine unfassbare Erleichterung für ihn, zu sehen, wie glücklich Andrew war und wie sehr er strahlte. Noch nie hatte er ihn so gesehen. Es war wirklich so, als hätte man Andrew einer Gehirnwäsche unterzogen, oder als wäre er durch einen Doppelgänger ausgetauscht worden. Aber gleichzeitig freute er sich so, dass sein bester Freund seine schweren Depressionen und Selbstmordgedanken endlich überwinden und Freude am Leben entwickeln konnte. Und er hatte endlich jemanden gefunden, der ihn glücklich machen konnte. Beyond war so ergriffen in diesem Moment, dass ihm sogar ein oder zwei Tränen kamen. „Mensch Andy, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich für dich freue. Ich sehe dich so strahlen und lachen, dass du wie ein vollkommen neuer Mensch wirkst. Und dann hast du auch noch jemanden gefunden, der dich wirklich lieben kann. Das ist genau das, was ich mir so für dich gewünscht habe.“ „Das freut mich wirklich. Es hat sich auch sonst viel getan bei mir. Weißt du, Oliver und ich werden jetzt erst mal wieder in Boston bleiben. Er will wieder seinem Job nachgehen und ich habe auch noch einiges zu tun. Oliver hat mir einen Job bei Vention organisiert. Ich soll für die einen neuen Gedankenschaltkreis bauen, da sie ja in dieses Projekt investiert haben und schlecht meinen rausnehmen können. Sonst würde ich draufgehen. Den ersten Prototypen habe ich schon fertig gestellt und zurzeit arbeite ich noch an der zweiten Version, wo die letzten technischen Macken behoben sind. Und wenn alles fehlerfrei läuft, werde ich noch ein paar Tests durchführen und Vention wird dann in Produktion gehen. Was mich betrifft, so werde ich dann auch den Schaltkreis austauschen lassen, den ich gerade trage. Er hat ein paar Fehler und auch wenn Oliver sein Bestes gibt, um die Einstellungen zu optimieren, weist er nicht gerade eine gute Leistungsstärke auf und läuft etwas langsam. Das will ich mit dem neuen Schaltkreis beheben und wenn ich den alten auswechseln lasse, habe ich auch gleichzeitig die letzten Spuren entfernt, die mich an dieses unschöne Kapitel mit James erinnern. Das ist mir auch sehr wichtig, denn ich will endlich damit abschließen und den Chip auswechseln.“ „Und das geht?“ „Klar. Ich habe eine Methode entwickelt, wie die Hirnaktivitäten auf ein Minimum heruntergefahren und dann mit einer Art Überbrückungsenergie gespeist werden, bis der Chip ausgewechselt ist. Somit würde das Absterben der grauen Zellen verhindert werden. Der neue Gedankenschaltkreis besteht aus zwei Einheiten. Die erste Haupteinheit arbeitet durchgehend und sollte diese ausfallen, wird die zweite Einheit in Kraft treten, um das Gehirn weiterhin am Laufen zu halten. Gleichzeitig wird dann ein Frühwarnsignal gesendet, dass der Schaltkreis einen Defekt aufweist und repariert werden müsste. Zusätzlich habe ich eine Technik entwickelt, über die der Schaltkreis durch die Impulswellen gespeist wird, die das Gehirn aussendet. Bei mir ist es ja noch so, dass mein Schaltkreis über eine Batterie am Laufen gehalten wird, die alle sechs Jahre gewechselt werden muss. Im Grunde ist der von mir entwickelte Schaltkreis wie ein Akku. Er läuft, bis die Energie aufgebraucht wird. Dann schaltet sich die andere Einheit an und so lädt sich die inaktive wieder auf. Wenn beide einwandfrei funktionieren, dann wären kaum chirurgische Eingriffe nötig, sondern es könnte alles vom Computer aus eingestellt werden. Und dank der Verbesserungen würde auch die Kalibrierung viel besser und schneller gehen und jede Neueinstellung wäre auch nicht direkt mit Kopfschmerzen und Migräneattacken verbunden. Außerdem ist der Schaltkreis dann weniger anfällig für Funkwellen und Störsignale.“ Beyond war sichtlich beeindruckt, aber bei einem Genie von Andrews Format hätte er auch nichts anderes erwartet. Er war immerhin der Einzige gewesen, der es geschafft hat, Dr. Kasakowas Konstruktionspläne zu entschlüsseln und zu vervollständigen. Damit hatte er sogar L übertroffen und ein Wunder ermöglicht. Denn er selber konnte durch diese Erfindung ein neues Leben führen. „Ich hab schon damals gesagt, dass du ein wahres Genie bist, Andy. Ganz egal, was die anderen sagen. Dir ist es gelungen, eine Art künstliche Seele zu bauen!“ „Nun ja, ich hab das Ding ja nicht selber erfunden. Das Wunder ist hauptsächlich Dr. Kasakowa zu verdanken. Sie hat es geschafft, die Geheimnisse der Seele zu entschlüsseln und konnte herausfinden, dass die Seele streng genommen wie eine Art Zündkerze in einem Motor funktioniert. Sie setzt unseren Körper in Gang und erhält ihn am Leben. Sie programmiert das Gehirn quasi darauf, wie lange der Körper lebt und legt somit eine Art „Zeitschalter“ für unseren Todeszeitpunkt fest. Oliver und ich haben uns sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt und versucht, eine Verbindung zu den Death Notes zu finden, die ja das Leben von Menschen beenden können. Wir vermuten, dass die Death Notes die Seele quasi infiltrieren und sie dazu zwingen, diesen biologischen Zeitschalter umzuprogrammiern, sodass der Betroffene viel früher stirbt. Würde man alles als eine Art Computersystem vergleichen, wäre das Death Note wie ein Virus, der das Programm „Seele“ umschreibt. Das wäre unsere Theorie, allerdings stellen wir uns natürlich die Frage: wenn es Death Notes gibt, die den biologischen Gedankenschaltkreis zerstören könnten, dann müsste es doch irgendwo ein Gegenstück zu den Death Notes geben. Nämlich etwas, das Seelen oder besser gesagt diese biologischen Gedankenschaltkreise erschaffen kann. Dr. Kasakowa schien jedenfalls der Ansicht zu sein, dass es tatsächlich etwas gibt, das natürliche Seelen erschaffen kann. Und sie nannte es in ihren Aufzeichnungen Eva.“ Beyond runzelte verwirrt die Stirn und fragte „Eva?“ Andrew nickte und erklärte es ihm. „Es ist entweder ein Werkzeug, genauso wie die Death Notes, oder aber ein intelligentes Wesen, das in der Lage ist, aus seinem eigenen Gedankenschaltkreis neue zu erschaffen. Demnach müsste es eine Art universalen und sich reproduzierbaren Schaltkreis besitzen, den es auf andere übertragen kann. Und wir glauben, dass Dr. Kasakowa dieses Wesen erforscht hat und somit in der Lage war, mehr über die biologische Seele herauszufinden. Und dieses Wesen nannte sie „Eva“.“ „Wieso denn Eva?“ „Einmal nach der biblischen Eva, die ja die Mutter aller Menschen war und es hat auch einen evolutionstechnischen Hintergrund. Tatsächlich kann man über die DNA der Mitochondrien die direkte Abstammungslinie von Menschen bestimmen und das noch weiter als die Namensstammbaumbestimmung. Deswegen spricht man auch von einer mitochondrialen Eva, weil diese DNA immer mütterlicherseits vererbt wird. Die mtDNA bleibt selbst durch Klima- und Umwelteinflüsse unverändert, weshalb sie die einzige ist, über die wir unsere letzte gemeinsame Abstammungslinie ermitteln können. Und diese war vor knapp 150.000 Jahren und die Frau, von der wir abstammen, wird als mitochondriale Eva bezeichnet. Sollte also eine natürliche Mutation eintreten, die selbst die mtDNA beeinflusst und nachhaltig fortbestehen bleibt, hätten wir eine neue Eva. Und Dr. Kasakowa ging davon aus, dass dieses Wesen, welches über diese universale reproduzierbare Seele verfügt, ähnlich wie eine mitochondriale Eva ist und man über dieses Wesen quasi den Ursprung unserer Seele ermitteln kann. Und wenn wir dieses Wesen erforschen könnten, dann wären wir vielleicht eines Tages in der Lage, biologische Seelen zu erschaffen. Wir könnten auch damit die Lebenszeit von Menschen beeinflussen. Aber ich rede zu viel über die Arbeit, sorry…“ „Nein, schon okay. Ich weiß doch, dass du dich damals schon so dafür interessiert hast, sonst hättest du dich ja nicht so mit den Konstruktionsplänen auseinandergesetzt. Und ich bin echt sprachlos, was du alles auf die Beine gestellt hast und dass du überhaupt so redselig geworden bist. Das kennt man ja nicht von dir.“ „Ach ich hab noch so viel zu erzählen, ich glaub, wir wären noch den ganzen Tag damit beschäftigt und ich würde mir noch den Mund fusselig reden.“ „Dann schieß mal los. Ich hab Zeit genug.“ Und Andrew erzählte von seinen Reisen mit Oliver und was sie so alles erlebt hatten. Wie sie das Great Barrier Reef und den Ayers Rock in Australien besichtigt, die deutschen Kulturstädte bereist und die schönen Gegenden von China und Thailand besichtigt hatten. Und auch von der japanischen Kirschblüte, auf welche sich besonders Oliver gefreut hatte. „Auf dem Fest haben wir uns schließlich auch verlobt. Zugegeben, Olli hat mich damit ganz schön umgehauen, als wir so da saßen inmitten eines wunderschönen Kirschblütenregens und er mich dann so ganz plötzlich fragte, ob wir nicht nach unserer Rückkehr nach Boston heiraten wollen. Ich war so sprachlos, dass ich erst mal keine Antwort geben konnte. Stattdessen hab ich richtig geheult und bin ihn um den Hals gefallen.“ „Aber ist das nicht ein bisschen früh?“ fragte Beyond schließlich, als ihm da erst mal klar wurde, dass Andrew und Oliver zu diesem Zeitpunkt doch gerade erst zwei oder drei Monate zusammen waren. „Ja, es war etwas plötzlich“, gab Andrew zu und bestellte sich schließlich noch einen Cappuccino. „Aber wir wussten auch so, dass wir zusammen glücklich werden konnten. Ich glaube, dass Oliver damit den endgültigen Beweis bringen wollte, dass er den Rest seines Lebens an meiner Seite verbringen will. Und ich wollte es auch, also habe ich seinen Antrag auch sofort angenommen und da in Boston gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind, traf es sich doch ganz gut. Und was ist mit dir und L?“ Als Beyond das hörte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. „Ich glaub, so etwas ist für uns beide nichts. Wir wissen auch so, dass wir uns lieben und da brauchen wir so etwas nicht. Ich muss ihn nicht unbedingt heiraten und ich glaube, L sieht das genauso. Wir beide sind eben nicht so die großen Romantiker wie du und Oliver.“ „Schon klar“, sagte er einfach und gab sich mit der Antwort zufrieden. „Solange ihr beide glücklich zusammen seid, ist das ja wohl die Hauptsache. Wie geht es eigentlich deiner Adoptivschwester?“ „Das blühende Leben wie sonst auch immer und sie wartet schon sehnsüchtig darauf, dass die Zwillinge endlich da sind. Sie macht uns alle schon total verrückt.“ „Kann ich mir gut vorstellen. Ich hab auch schon ihre Mangas gelesen. Hast du es L auch schon erzählt?“ „Klar und er war nicht sonderlich begeistert, als er davon erfuhr. Aber er ist leider in jeder Beziehung derjenige, der den Kürzeren zieht.“ Andrew lachte und hatte auch schon eine Neuigkeit parat. „Rumiko will jetzt auch noch eine andere Reihe anfangen. Der Manga soll wohl „Bonds of Love“ heißen und in dem Manga soll anscheinend meine Geschichte mit Oliver erzählt werden. Leider auch etwas abgewandelt und irgendwie scheine ich da auch nicht sonderlich gut wegzukommen. Aber so ist das eben und ich finde, dass es trotzdem eine süße Geschichte ist. Bei dir und L scheinen das ja hauptsächlich SM-Geschichten zu sein, bei mir und Oliver geht es da wohl mehr um Romantik.“ „So ähnlich wie im wahren Leben. Aber zugegeben: so heftig wie in Rumis Manga geht es bei uns nicht zu. Ich hab mich ganz gut im Griff und ich hatte außer in der Gefangenschaft bei Clear und Sam seit neun Monaten keinen einzigen Rückfall gehabt. Und ich konnte mich sogar selber wieder unter Kontrolle bringen.“ „Ist doch super. Solange du zu starken emotionalen Stress vermeidest und jemanden hast, der dir Kraft und Halt gibt, wird das schon werden.“ Sie gingen schließlich noch ein bisschen spazieren und Andrew hörte nicht auf zu erzählen. Er hatte immer wieder witzige Geschichten auf Lager, die ihm und Oliver passiert waren. Und selbst das mehr als peinliche und dunkle Kapitel von Las Vegas ließ er nicht aus, woraufhin Beyond sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen konnte. Die Stimmung zwischen ihnen beiden war ausgelassen und sie hatten sichtlich Spaß. Doch dann, als sie um eine Ecke bogen, da blieb Andrew plötzlich wie angewurzelt stehen und sein Gesicht verlor jegliche Farbe. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und verwirrt fragte Beyond „Andy, was hast du?“ Doch der 25-jährige antwortete nicht. Er drehte sich einfach um und rannte davon, als wäre er auf der Flucht. Beyond wollte ihm schon hinterher eilen, da bekam er einen Anruf von L. „L, was gibt’s denn?“ „Ziemlich schlechte Nachrichten. Komm am besten sofort zurück. Es ist dringend!“ Kapitel 3: Schlechte Nachrichten -------------------------------- Da Andrew spurlos verschwunden war, kehrte Beyond wieder zurück nach Hause und wunderte sich natürlich, was denn los war und wieso L ihn so dringend sprechen wollte. Wenn dieser schon sagte, dass es schlechte Nachrichten gab, musste es etwas Ernstes sein. Ob es vielleicht um Rumiko ging? Nein, wenn dem so war, dann hätte er es doch sofort gesagt. Und mit Sicherheit hätte Jamie zuerst angerufen. Kaum war er zurück, wartete auch schon Oliver auf ihn und er sah ziemlich beunruhigt aus. „Oliver, was machst du denn hier?“ „Andy hat mich von seinem Handy aus angerufen. Er war vollkommen in Panik und wollte, dass ich ihn abhole und mit ihm Boston sofort verlasse. So habe ich ihn noch nie erlebt und deshalb bin ich zu L gekommen, weil ich dachte, dass er vielleicht weiterhelfen könnte. Nicht mal mir wollte er etwas sagen.“ „Und es gibt noch ein Problem, Beyond.“ L sah sehr ernst aus und so hatte man ihn recht selten erlebt. Dann erklärte er schließlich „Ich habe von V die Meldung bekommen, dass Sam Leens und Clear aus dem Hochsicherheitstrakt ausgebrochen sind. Sie haben eine Explosion verursacht und konnten in dem Chaos fliehen. Dabei sind zwölf Gefängniswärter und acht Insassen gestorben.“ Diese Nachricht riss Beyond endgültig den Boden unter den Füßen weg und er taumelte einen Schritt zurück. Wieder kamen diese schrecklichen Bilder hoch. Die Angst und die unsagbaren Qualen, die er erlitten hatte, als er sich in Sams und Clears Gewalt befand. Sechs Monate. Sechs gottverdammte Monate waren vergangen, wo er Ruhe vor diesen beiden Monstern hatte und nun waren sie wieder frei? Natürlich wusste Beyond sofort, was das bedeutete, vor allem für ihn. Clear und Sam würden wieder Jagd auf ihn machen und dabei nicht mal vor Toten zurückschrecken. Sie würden ihn finden und dann wieder in ihre Gewalt bringen und ihn mit allen Mitteln dazu zwingen, das Monster in ihn wieder freizulassen. Ganz egal wie oft und wie lange sie ihn dieses Mal foltern mussten. Nie wieder wollte er diesen Alptraum durchleben, doch jetzt waren sie wieder auf freiem Fuß. „Das kann doch nicht sein“, brachte er hervor. „Wie ist das denn bitteschön möglich? Die beiden waren im Hochsicherheitstrakt! Wie konnten sie da entkommen?“ Beyond wurde richtig laut und schlug mit der Faust gegen die Wand. Er war aufgebracht und das zu Recht. L hatte ihm versichert, dass die beiden niemals entkommen konnten. Er hatte sich persönlich darum gekümmert und was hatte es gebracht? Rein gar nichts. Doch auch L war fassungslos von der Geschichte und dass ihm diese Geschichte zu schaffen machte, sah man ihn auch mehr als deutlich an. „Wir haben Sam unterschätzt. Er hatte es geschafft, chemische Substanzen in Clears Zelle zu schmuggeln und ihm somit die Grundstoffe zu liefern, die er brauchte, um einen provisorischen Sprengsatz zu basteln. Die Explosion war stark genug, um die Zellentür zu zerstören und in dem Durcheinander ist Sam ausgebrochen und tötete dabei mehrere Gefängniswärter. Und gemeinsam ist ihnen dann die Flucht gelungen. Derzeit prüfen sie noch, wie das…“ „Das hätte nie und nimmer passieren dürfen!“ schrie Beyond förmlich und seine Augen funkelten mörderisch. Er sah wirklich danach aus, als würde er gleich endgültig die Kontrolle verlieren und das merkte auch L. Deshalb schob er Oliver zurück und stellte sich dazwischen. Wenn Beyond durchdrehte, war er kaum aufzuhalten. Nur L und Andrew war es je gelungen, ihn wieder zu beruhigen. Selbst Rumiko hatte es nicht geschafft und war von ihm mit einem Messer niedergestochen worden, als es bei ihr passierte. „Du weißt genau, wie gefährlich die beiden sind und was sie getan haben. Und jetzt sind sie direkt auf den Weg zu uns und du weißt genau, was passieren wird, wenn sie herkommen. Sie werden Jamie und Rumiko umbringen, nur um mich dazu zu bringen, die Kontrolle zu verlieren. Sie werden jeden töten, der mir etwas bedeutet!“ „Ich weiß, aber es bringt jetzt nichts, wenn du durchdrehst. Beyond, bitte beruhige dich wieder.“ Vorsichtig ging L auf ihn zu, wohl wissend, dass er jetzt nichts überstürzen durfte und viel Fingerspitzengefühl brauchte, um Beyond nicht noch mehr in Rage zu bringen. Das Thema Sam und Clear war ein absolut rotes Tuch für ihn und dass er dann bei dem Gedanken die Kontrolle verlor, dass die beiden Jamie und Rumiko etwas antun konnten, war zu viel für ihn. Er hatte Angst um die beiden. Angst um L und Andrew, weil er wusste, dass diese Monster alle in seinem Umfeld umbringen würden. Sie würden keine Gnade walten lassen und absolut eiskalt und brutal vorgehen. Sam war der emotionslose, rein logisch denkende Killer und Clear der geisteskranke und extrem sadistisch veranlagte Bombenleger, der von dem Monster in Beyond krankhaft besessen war. Eine tödlichere Mischung konnte es eigentlich kaum geben und sie beide waren hochintelligent und extrem gefährlich. „Beyond, ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, damit Jamie und Rumiko nichts zustößt. Wir werden uns etwas einfallen lassen, um die beiden wieder einzusperren, okay? Also beruhige dich bitte.“ L nahm Beyond in den Arm und versuchte, ihn auf diese Weise zu beruhigen. Doch da es dieses Mal nicht sonderlich viel Wirkung zeigte, holte Oliver tief Luft und begann zu singen. Es war jenes Lied, welches L auch schon von Rumiko und von seiner Mutter gehört hatte. Jenes Lied in dieser unbekannten Sprache, welches so beruhigend auf andere wirkte. Und tatsächlich wichen diese harten Gesichtszüge und auch das dämonische Funkeln in Beyonds Augen schwand. Als er wieder bei Sinnen war, ließ L ihn los und wandte sich an Oliver. „Woher kennst du das Lied?“ „Ist ne lange Geschichte, tut aber erst mal nichts zur Sache. Wir haben andere Probleme. Was mich beschäftigt ist die Frage, warum Andy so heftig reagiert hat. Es scheint so, als hätte er irgendetwas gesehen und dann ist er panisch geworden und davongelaufen. Ich hab versucht, mit ihm zu reden, doch er sagte immer nur, wir müssten sofort aus Boston verschwinden und dass es zu gefährlich sei. Und wenn C-4 und dieser namenlose Killer tatsächlich ausgebrochen sind, glaube ich, dass Andy da vielleicht etwas mit ihnen zu tun hat. Oder zumindest mit einem von ihnen.“ Beyond atmete tief durch und nickte. „Also gut. L, könntest du bitte mit ihm reden? Ich muss sofort zu Jamie und Rumiko rüber und ihnen die Sache erklären.“ „Okay.“ Damit verließ Beyond das Haus, um so schnell wie möglich mit seiner Adoptivschwester und deren Mann darüber zu sprechen. L ging ins Zimmer, in welchem Andrew sich verbarrikadiert hatte und fand dort auch Watari vor, der versuchte, mit ihm zu reden. Andrew hatte sich in eine Ecke verkrochen und sich zusammengekauert. Er zitterte am ganzen Körper und hatte die Augen vor Todesangst geweitet. „Andrew.“ L kam näher und schon kam Watari auf ihn zu. „Ich habe versucht, mit ihm zu reden, aber er will offenbar nicht sagen, vor wem oder was er sich so sehr fürchtet.“ L hockte sich in seiner gewohnten Haltung vor Andrew hin und sah ihn prüfend an. Irgendwie wirkte der vorhin noch so lebensfrohe und redselige Rothaarige wie ein verstörtes kleines Kind und er verbarg seinen Kopf unter den Händen, als wolle er sich vor einem Erdbeben oder einem herannahenden Orkan schützen. „Andrew, was ist los und vor wem bist du weggelaufen?“ „Das… das kann ich nicht sagen!“ brachte er mit zitternder Stimme hervor und kauerte sich noch mehr zusammen, was aber kaum möglich war. Was auch immer er gesehen hatte, es hatte in ihn tief verborgene Ängste geweckt. Dr. Brown hatte er jedenfalls nicht gesehen, da hätte er nie und nimmer so heftig reagiert. Aber wen hätte er dann sehen können? Etwa vielleicht Clear, welcher damals mehrmals versucht hatte, ihn umzubringen? Genau das wollte L herausfinden, denn wenn Andrew wegen Clear so verstört war, dann mussten sie so schnell wie möglich reagieren und aus Boston verschwinden, oder Rumiko und Jamie mussten schnellstmöglich komplett untertauchen, damit sie nicht gefunden wurden. „Hast du Angst vor Clear?“ Andrew schüttelte den Kopf und starrte ins Leere. Schließlich aber stellte überraschenderweise Watari eine Frage, was man von ihm nicht wirklich erwartet hätte, denn normalerweise verhielt er sich distanziert bei Sachen, die L in Angriff nahm, um ihm nicht im Weg zu stehen. „Andrew, ist es vielleicht jene Person, über die du nicht sprechen willst?“ „Er wird mich töten, wenn er weiß, dass ich noch lebe. Er wird mich umbringen!“ „Das wird er nicht. Wir werden schon dafür sorgen, dass dir nichts passieren wird.“ „Das bringt nichts“, entgegnete er schon fast hysterisch und brach in Tränen aus. Oliver ging zu ihm hin und nahm ihn in den Arm. „Andy, beruhige dich doch erst mal. Vor wem hast du denn solche Angst?“ Keine Antwort. Aber dann schien dem Hacker ein Verdacht zu kommen und so fragte er vorsichtig „Ist es etwa derjenige, der damals für das Massaker im Norington Waisenhaus verantwortlich war?“ Immer noch keine Antwort, aber Andrews heftige Reaktion sprach eine mehr als eindeutige Sprache. Aber dann schaffte er es doch irgendwie, etwas zu sagen, als Oliver ihn so im Arm hielt. „Ich… ich habe mich damals im Schrank versteckt, als ich diese Schritte hörte. Ich habe gesehen, dass sie alle erschossen worden waren. Mum, Dad und all die anderen. Sie lagen tot in ihren Betten und ich hatte zuerst gedacht, sie würden alle bloß schlafen. Aber dann hab ich gesehen, wie er dann… Er… er ging durch den Flur mit einer Pistole mit Schalldämpfer und er ist direkt vor dem Schrank stehen geblieben. Ich hab mich ganz flach hingelegt und dann hat er mehrmals auf den Schrank geschossen, bevor er weiterging. Er hat sie alle erschossen und dann sämtliche Gashähne aufgedreht, bevor er das Waisenhaus in Schutt und Asche gelegt hat. Ich habe das Gas rechtzeitig bemerkt und bin zum Fenster raus, bevor das Feuer ausgebrochen ist. Er hat sie alle umgebracht, weil sie ihm im Weg waren. Wir waren ein Problem für ihn, deshalb wollte er uns töten.“ L wandte sich an Watari und fragte „Was wissen Sie darüber?“ „Ich habe Andrew damals im Krankenhaus besucht, nachdem sich die Tragödie zugetragen hatte. Er sagte exakt das Gleiche, aber er wollte nie den Namen des Mörders nennen.“ L betrachtete den völlig verstörten Andrew und dachte nach. Könnte es etwa sein, dass der Verantwortliche des Massakers im Norington Waisenhaus hier in Boston war? „Warum willst du seinen Namen nicht verraten?“ „Weil er sofort weiß, dass ich noch lebe, wenn sein Name bekannt wird. Du müsstest doch selbst wissen, wie das läuft, oder? Immerhin darf Beyond doch auch nicht von deiner Seite weichen, weil du mit allen Mitteln verhindern willst, dass jemand deinen Namen erfahren könnte. Also wieso sollte ich dann mein Leben aufs Spiel setzen?“ So ist das also, dachte L und nickte. Er wird mir die Identität des Mörders niemals verraten, weil dieser genauso wie ich Wert darauf zu legen scheint, unerkannt zu bleiben. Ob es sich vielleicht um Sam Leens handelt, dessen Identität nicht mal ich herausfinden konnte? Liegt darin etwa die Antwort? „Ist der Killer Sam Leens?“ „Wie bitte?“ fragte Oliver, als er das hörte und schüttelte ungläubig den Kopf. „Jetzt mach mal halblang, L. Dieser Sam Leens ist nicht älter als du. Er müsste damals gerade mal acht Jahre alt gewesen sein, als er all diese Menschen erschossen und dann das Waisenhaus niedergebrannt hat. So etwas schafft ein Achtjähriger niemals und überhaupt: wieso sollte er das denn tun?“ Eiskalte Logik, das war die Antwort. Sam Leens war ein Mensch, der nicht emotional getrieben wurde. Wenn er damals beschlossen hatte, seine komplette Identität auszulöschen, dann war das Massaker im Waisenhaus notwendig für sein Ziel gewesen. Er musste alle Menschen töten, die seine wahre Identität kannten und im Waisenhaus wurden auch sämtliche Akten und Geburtsurkunden aufbewahrt. Und bei einem so verheerenden Brand würde alles verloren gehen und damit auch sämtliche Spuren über den Menschen hinter dem Namen „Sam Leens“. Andrew sah ihn verständnislos an und konnte mit dem Namen anscheinend nicht viel anfangen. „Ich kenne keinen Sam Leens.“ „Das ist auch nicht sein richtiger Name. Sam Leens ist ein Anagramm für „Nameless“. Er ist knapp 25 Jahre alt, empfindet von Geburt an keine Emotionen und hat auch nie einen Ausdruck im Gesicht.“ „Und seine Augen?“ fragte Andrew mit zitternder Stimme. „Wie sehen seine Augen aus?“ „Eisblau und leer.“ „Dann ist er es“, brachte er unter heftigen Schluchzern hervor und sank zusammen. „Er ist es wirklich und jetzt ist er hier, um uns alle umzubringen. Wir müssen Boston schnellstmöglich verlassen, okay? Dieser Kerl ist kein Mensch! Er ist ein Monster und wenn wir nicht verschwinden, wird er uns finden und uns töten. Wenn du ihn kennst, dann musst du doch wissen, dass er keinerlei Gnade kennt. Er tötet nicht aus Hass oder Rache. Er tötet, weil wir einfach ein Problem für ihn sind!“ „Jetzt beruhige dich doch, Andrew. Nur weil du seine wahre Identität kennst, heißt es noch lange nicht, dass er dich auch gleich finden wird.“ Doch es war nichts zu machen. Andrew wollte partout nicht Sams wahren Namen preisgeben. Die Angst vor ihm war einfach zu groß und so blieb Oliver bei ihm, um ihm beizustehen. L verließ zusammen mit Watari den Raum und kurz darauf kam auch schon Beyond zurück, der die hochschwangere Rumiko im Schlepptau hatte. „L, stimmt es wirklich?“ rief sie und war ein wenig außer Atem, wobei sie eine Hand auf ihren Bauch presste. „Die beiden Männer, die Beyond gefoltert und vergewaltigt haben, sind frei und auf der Suche nach ihm?“ „Ich fürchte ja. Und Sam ist bereits in Boston. Andrew hat ihn gesehen und ist deshalb so verstört, weil er Sam auch als denjenigen identifiziert hat, der damals für das Massaker in dem Waisenhaus verantwortlich gewesen war, in welchem er aufgewachsen ist.“ Rumiko sah ihn entsetzt an und Beyond war genauso fassungslos. Dass Sam bereits in Boston war, bedeutete, dass es vielleicht schon längst zu spät war, von hier zu verschwinden. Das würde der Kerl sofort merken und Clear genauso. Rumiko musste sich bei L abstützen und sich setzen. In ihrem Zustand war es jetzt alles andere als gesund, sich aufzuregen. Sie durfte keinem größeren Stress ausgesetzt werden, da es sonst das Leben ihrer ungeborenen Zwillinge in Gefahr bringen konnte. „So ein Mist“, murmelte sie und ließ sich von Watari ein Glas Wasser geben. „Das bedeutet also, dass Fluchtpläne keine gute Idee sind. Wenn dieser Clear wirklich so ein geschickter Bombenspezialist ist, dann wird er uns sofort in die Luft jagen, sollten wir Boston verlassen wollen. Und jeder, mit dem wir uns einlassen, wird ebenfalls in Lebensgefahr schweben. Das heißt, uns bleiben kaum noch Alternativen.“ „Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas passiert. Den Bastard bringe ich eigenhändig um.“ „Das wirst du schön lassen“, schaltete sich L ein und sah Beyond warnend an. „Wenn du wieder eigenmächtig handelst, werden sie dich wieder gefangen nehmen. Es bringt jetzt nichts, überstürzt zu handeln und damit unvorsichtig zu werden. Was wir brauchen, ist eine vernünftige Strategie.“ „Und wie soll diese aussehen, wenn wir dabei Rumiko, Jamie und die anderen in Gefahr bringen?“ L dachte nach und begann an seinem Daumennagel zu kauen. Die Situation war schon ziemlich vertrackt, aber er würde sich nicht so schnell geschlagen geben. Egal was nötig war, er würde nicht zulassen, dass Beyond oder sonst irgendjemandem etwas passierte. Also was konnten sie am besten tun, um zu verhindern, dass die anderen in Clears und Sams Visier gerieten? „Das Beste wird sein, V nimmt die anderen mit und lässt sie persönlich abholen. Seine Leute sind Soldaten, die werden sie zu beschützen wissen.“ Doch trotzdem war Beyond nicht sonderlich überzeugt. Er hatte so seine Zweifel, ob das auch wirklich reichte, um Rumiko, Jamie, Oliver und Andrew zu beschützen. Aber er wusste auch selbst, dass er nicht gerade die größten Chancen gegen Clear und Sam hatte. Das hatte er am eigenen Leib zu spüren bekommen. V hatte es geschafft, trotz der Bomben in Clears Versteck dort einzudringen und L schien sich sicher zu sein, dass seine Idee am besten war. Welche Alternative gab es denn sonst noch? Eigentlich war dieser Vorschlag der beste von allen, also seufzte Beyond und murmelte „Okay. Dann bitten wir V darum, dass er die anderen in Sicherheit bringt.“ „V?“ fragte Rumiko verwirrt und sah abwechselnd L und Beyond an. „Wer ist das?“ „Ein Abgänger aus dem Waisenhaus. Er ist Soldat und Militärpilot. Mit seiner Hilfe müssten wir es schaffen, euch in Sicherheit zu bringen. Clear ist nicht zu unterschätzen. Er hat bereits im Alter von acht Jahren Bomben gebaut und er ist genauso wahnsinnig wie Beyonds inneres Monster. Er ist in Israel aufgewachsen und hat seine ganze Familie durch den Angriff von Terroristen verloren, er selbst wurde wochenlang brutal gefoltert und kennt deshalb keine Angst mehr. Er ist extrem sadistisch, brutal und hinterhältig. Sam hingegen besitzt keine Emotionen und ist der stille Denker. Die beiden ergänzen sich wirklich perfekt und deshalb wird es noch äußerst gefährlich werden. Deshalb können wir nur für eure Sicherheit garantieren, wenn wir V bitten, euch von ihn und seinen Leuten beschützen zu lassen.“ Rumiko betrachtete L eine Weile, dann nickte sie und atmete tief durch. „Also gut, ich hab verstanden. Das ist eindeutig euer Ding und da kann ich nicht viel ausrichten. Besonders nicht in meiner jetzigen Lage. Jamie ist da auch keine große Hilfe und wenn die beiden wirklich so gefährlich sind, wird es wohl das Beste sein. Aber… was ist denn mit euch? Wer wird euch beschützen, wenn sie zu euch kommen?“ „Wir lassen uns schon etwas einfallen, mach dir da keine Sorge. Ich werde Beyond beschützen.“ „Das ist schön und gut, aber wer wird dann dich beschützen, L? Du bist das Wichtigste für meinen kleinen Bruder, deshalb musst du gut auf dich aufpassen und ihr dürft kein unnötiges Risiko eingehen, ja? Bitte passt auf euch auf, versprecht mir das. Beyond, du bist neben Jamie und meinen beiden ungeborenen Kindern die einzige Familie, die ich habe und L, du bist ein wirklich guter Freund und bist mir sehr ans Herz gewachsen. Ich will euch beide wohlbehalten wieder sehen, wenn wir zurück sind.“ L versprach es und das beruhigte die werdende Mutter. Sofort rief er V an und bat ihn, sich um Rumiko und Jamie zu kümmern. Beyond und er begleiteten die Hochschwangere zur Tür. Sie blieb aber noch am Türrahmen stehen und versuchte die bedrückte Stimmung zu vertreiben. „Nun ja, so habe ich wenigstens die Ruhe, Band zwei von meinem Manga zu zeichnen.“ Beyond lächelte und schüttelte den Kopf, als er das hörte. War ja klar, dass Rumiko so etwas sagen würde. Sie hasste es einfach, wenn die ganze Zeit eine so bedrückte Stimmung herrschte. L war da weniger begeistert. „Darüber sprechen wir noch, wenn ihr wieder zurück seid. Ich finde es nämlich nicht gerade prickelnd, dass du unsere Geschichte als Vorlage für deine perversen Fantasien benutzt.“ „Ach komm schon L, sei doch nicht gleich so sauer. Ich habe doch extra dafür gesorgt, dass die beiden euch nicht ähnlich sehen und ich hab ja nicht eure Namen benutzt. Okay, ich habe Beyonds Decknamen Ryuzaki genommen, aber er hat ja auch kein Problem damit. Und deine Figur habe ich Lawrence genannt.“ „Als ob das keine Anspielung auf meinen Nachnamen „Lawliet“ wäre.“ Doch Rumiko ließ sich davon auch nicht sonderlich unterkriegen und verabschiedete sich von den beiden, dann ging sie auch schon. L und Beyond wollten wieder zurückgehen, da sahen sie Andrew mitten im Flur stehen. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet und angsterfüllt starrte er L an. Dann begann er panisch zu schreien. Kapitel 4: Planänderung ----------------------- „…“ Sam schloss die Augen, als er wieder diese Stimme hörte. Diese Stimme, die seinen Namen rief… seinen wahren Namen. Schon seit seinem Gefängnisaufenthalt hatte er sie im Schlaf gehört und merkwürdige Bilder gesehen. Bilder von einer Gestalt, die er nicht richtig erkennen konnte und alte Erinnerungen aus seiner Kindheit. Die Menschen nannten so etwas „Träume“, dabei träumte er für gewöhnlich nicht. Und wenn, dann waren seine Träume leer und ihr Inhalt nichts Weiteres als eine Abspielung von Erinnerungen, mit denen er nichts Besonderes verband. Mit keiner seiner Erinnerungen verband er überhaupt irgendetwas Besonderes, denn sein Leben war monoton, ohne Höhen und Tiefen, geschweige denn, dass es positive oder negative Erlebnisse gab. Denn solche Einteilungen gingen mit persönlichen Gefühlen einher und die besaß er nicht. Für ihn hatte es nie so etwas wie Richtig oder Falsch, geschweige denn Gut oder Böse gegeben. Es interessierte ihn auch nicht, denn solche Moralvorstellungen waren für ihn ohnehin kaum nachvollziehbar, da er die Ideale der Menschen genauso wenig verstehen konnte wie ihre Gefühle. „…“ Sam hatte sich nie die Frage gestellt, ob es Dinge in dieser Welt gab, die göttlicher Natur sein könnten und er hatte sich auch nie für die Kira-Morde interessiert. Warum denn auch? Ein Mann tötete Menschen mit einer Waffe, auch wenn diese Waffe ungewöhnlich war. Aber dennoch war es nicht sonderlich anders als so viele andere Mordfälle. Deshalb verstand er auch nicht, wieso über diese Mordserie so heftig diskutiert wurde und dermaßen von der Öffentlichkeit breitgetreten wurde. Sam hielt seine Augen geschlossen und hörte die Stimme nun deutlicher, die ihn rief. „…“ „Nenn mich nicht bei diesem Namen. Mit diesem Namen verbinde ich nichts. Nenn mich Sam.“ „Sam? Gut, dann werde ich dich also Sam nennen.“ Er sah eine schemenhafte Gestalt vor seinem inneren Auge. Doch er konnte sie nicht genau erkennen. So wie schon viele Male davor. Aber wer war diese Gestalt und wieso sprach sie zu ihm? Es war ihm ein Rätsel und er verstand auch nicht, was das für ein Wesen war und wieso es ausgerechnet ihm erschien. „Wer bist du?“ „Ich bin du“, antwortete die Stimme in seinem Kopf. „Und du bist ich. Ich bin ein Teil von dir, genauso wie du ein Teil von mir bist. Ich weiß, wonach du suchst, Sam. Du suchst nach einem Weg, um die Leere in deinem Inneren zu füllen. Du willst endlich Gefühle verspüren können, so wie jeder andere Mensch in dieser Welt und damit zu einem vollständigen Wesen zu werden. Du willst… endlich ein Mensch sein.“ Diese Stimme war er? Und er war ein Teil von jemand anderem? Sam konnte da keinen sonderlich logischen Sinn erkennen und deshalb erschien es ihm auch vollkommen irrsinnig und abwegig. „Wer genau bist du?“ fragte er und wartete, wartete mit Geduld, denn es dauerte immer eine Zeit lang, bis diese Stimme antwortete. „Ich habe viele Namen. Aber die meisten nannten mich Eva. Du bist ein Teil von mir, Sam. Ich kenne dich schon, bevor du überhaupt in diese Welt gekommen bist. Ein vergessenes Kind, das niemals geboren wurde und niemals die Liebe und Wärme einer Mutter erfahren hat. Ein unvollständiges Wesen, das nie seinen Platz in dieser Welt finden wird. Ich habe dich all die Jahre begleitet, vom Tag deiner Erschaffung an. Und ich kenne dich besser als du denkst. Denn du und ich, wir sind miteinander verbunden. Uns verbindet mehr als mit jedem anderen Menschen auf dieser Welt, deshalb war ich all die Jahre bei dir, allerdings konnte meine Stimme dich vorher nicht erreichen. Sie war einfach zu schwach dazu.“ Der namenlose Killer war immer noch verwirrt und verstand nicht, was das alles mit ihm zu tun hatte und was dieses Wesen von ihm wollte. Also fragte er „Was genau willst du von mir?“ Und daraufhin antwortete die Stimme „Ich will dir meine Hilfe anbieten, Sam. Ich werde dir zeigen, wer du wirklich bist und wenn du etwas für mich tust, werde ich dir helfen, deinen Wunsch zu erfüllen und endlich ein Ganzes zu werden.“ Sam sagte noch nichts dazu, sondern dachte nach. Eva… dieser Name weckte Erinnerungen. Erinnerungen an die Zeit, bevor er in das Norington Waisenhaus gebracht wurde. Damals war er zwar noch ein Baby gewesen, aber er erinnerte sich dennoch. Er hatte diesen Namen von dem Mann gehört, der wahrscheinlich so etwas Ähnliches wie sein Vater war. Aber wieso hörte er denn Evas Stimme in seinem Kopf? Und wieso sagte sie, er sei ein Teil von ihr? Er musste mehr darüber herausfinden, wenn sie tatsächlich wusste, wer er wirklich war. „Und was genau weißt du über mich und meine Vergangenheit?“ „Das werde ich dir sagen, Sam. Ich werde dir die Wahrheit zeigen und dich erkennen lassen, wer du wirklich bist. Wer deine Familie war und welche Rolle du in dieser Welt spielst. Und wenn du es erkennst, wirst du mir sagen, ob du mir diesen einen Wunsch erfüllen wirst.“ Was sollte er tun? Eva zuhören und mehr über seine Vergangenheit erfahren und vor allem endlich zu erkennen, wer oder was er überhaupt war? Er schien jedenfalls Verbindungen zu ihr zu haben und sie kannte seinen wahren Namen. Also schien sie tatsächlich mehr über ihn zu wissen. Darum sprach eigentlich nichts dagegen, wenn er sich ihre Version anhörte. „Wieso kann ich dich überhaupt hören?“ „Ich bin mit jedem Menschen auf dieser Welt verbunden… mit allem was lebt. Deshalb können sie meine Stimme und meinen Gesang hören. Aber meine Kraft reicht nicht mehr aus, um alle Menschen auf dieser Welt zu erreichen. Deshalb können nur noch sehr wenige meine Stimme wahrnehmen. Der Grund, warum ich zu dir spreche ist der, weil ich Sophies Wunsch erfüllen will, da sehr bald etwas passieren wird. Sie will eine alte Schuld wieder gut machen und ich möchte ihr dabei helfen. Deshalb brauche ich deine Hilfe. Wenn du mir hilfst, dann werde ich dir deinen Wunsch erfüllen. Und ich werde dir alles zeigen, was du wissen willst.“ „Hey Sam, was ist denn mit dir los?“ Sam öffnete die Augen und sah, dass Clear unruhig war und anscheinend schon die ersten Sprengsätze bastelte. Ausdruckslos sah er ihn an und wenn er Gefühle hätte, wäre er mit Sicherheit genervt. Warum hatte er ausgerechnet Clear befreit? Dieser Kerl machte doch sowieso nur Scherereien und er hatte auf ganzer Linie versagt. Er war nicht mehr von Nutzen, allerhöchstens zur Flucht. „Ich denke nach“, gab Sam tonlos zurück und schloss wieder seine Augen, um sich zu konzentrieren. „Penn mir aber bloß nicht weg, ja? Dieses Mal werden wir es garantiert schaffen und dann wird Beyond endlich mir gehören. Ich war beim letzten Mal so nah dran, wenn L und V uns nicht dazwischengefunkt wären. Aber dieses Mal werde ich nicht versagen. Beyond wird mein Eigentum sein. Meines allein!“ Sei doch still, dachte Sam und seufzte leise. Du hast doch keine Ahnung. Du bist doch nur allein deshalb rausgekommen, weil ich dir geholfen habe, diesen Sprengsatz zu bauen. Also hör endlich auf zu reden. Das Reden ist mir sowieso zuwider. Es gibt zu viele Wörter, deren Sinn ich nicht begreife, nur weil ich keine Gefühle empfinden kann. Immerzu frage ich mich, warum das so ist und wieso Beyond meinen Namen nicht sehen kann. Bin ich überhaupt ein Mensch? Was bin ich denn eigentlich? Eva weiß es. Sie kennt die Antwort und deshalb ist es für mich vorteilhafter, mich nach ihren Vorschlägen zu richten, als nach deinen, Clear. Oder sollte ich besser „Cassiel Cohen“ sagen? Der Sohn des jüdischen Diplomaten, der von Terroristen so lange gefoltert und missbraucht wurde, bis er zum wohl gefährlichsten Bombenleger der Welt wurde? Du hast keine Ahnung, dass dein Leben in meinen Händen liegt. Wenn du nicht mehr von Gebrauch bist, werde ich dich töten. Wir sind weder Partner noch Freunde, du bist nur ein Mittel zum Zweck für mich, werde dir mal klar darüber. Und an zwischenmenschlichen Konversationen oder Beziehungen habe ich eh kein Interesse. „Also gut“, sagte er der Stimme in seinem Kopf nach einer Weile. „Dann zeig mir, was du über mich weißt und wer ich wirklich bin. Und dann sag mir, was du von mir verlangst.“ „Also gut. Dann werde ich dir meine Erinnerungen zeigen. Die von deinen Eltern und die des Mannes, der dich erschaffen hat. Und die jener Person, die dich ins Waisenhaus gebracht hat.“ Und Eva zeigte ihm alles. Sie zeigte ihm alles, was er wissen wollte und vor Sams Augen begannen sich Bilder abzuspielen. Bilder ihrer Erinnerungen und aller Menschen, die mit ihr verbunden waren und deren Erinnerungen seine Vergangenheit betrafen. Sein ganzes Leben wurde vor ihm offen dargelegt. Die ganze Wahrheit über seine Existenz und wer er wirklich war. Was er wirklich war. Und als er es endlich erkannte, fühlte er dennoch nur diese Leere. Hätte er Gefühle besessen, wäre er vielleicht zusammengebrochen und hätte geweint, sein Leben bedauert und diejenigen verflucht, die ihn auf diese Welt losgelassen hatten. Aber er tat es nicht. Er konnte es einfach nicht, egal ob er gewollt hätte oder nicht. Stattdessen blieb ihm nur die eiskalte Akzeptanz über sein Schicksal und über die Wahrheit, wer oder was er wirklich war. „Jetzt, da du die Wahrheit kennst, wer du wirklich bist, wie wirst du dich entscheiden? Was wirst du tun?“ Sam dachte eine Weile nach. Er ging wie immer kühl und objektiv die Fakten durch und wog die Vor- und Nachteile ab, mit wem er sich am besten zusammentun sollte und wie sinnvoll es wäre. Schließlich aber hatte er seine Entscheidung getroffen und so sagte er „Sag mir was ich tun muss. Wenn du einen Weg kennst, mich meinem Ziel näher zu bringen, dann werde ich dir helfen. Aber wieso brauchst du mich?“ „Weil ich momentan nicht die Kraft dazu habe und meine Möglichkeiten sind stark begrenzt. Deshalb bin ich auch ein Stück weit auf deine Hilfe angewiesen, um Sophies Wunsch Folge zu leisten. Ich werde dir alles genau erklären, Sam. Ich werde dir genaue Anweisungen geben und wenn du sie befolgst, werde ich dir helfen.“ Clear betrachtete Sam eine Weile, während er mit seinen Vorbereitungen beschäftigt war und verstand beim besten Willen nicht, was mit dem Kerl los war. Schon seit sie in den Hochsicherheitstrakt eingesperrt worden waren, benahm er sich so merkwürdig. Nun gut, Sam war überhaupt ein echt seltsamer Zeitgenosse, aus dem man beim besten Willen nicht schlau wurde, aber er hatte beim letzten Mal deutlich mehr Engagement gezeigt, als es darum ging, Beyond in ihre Gewalt zu bringen und das Monster in ihn zu entfesseln. Aber jetzt schien er irgendwie abgelenkt zu sein und das passte gar nicht zu jemandem wie Sam, der immer auf sein Ziel fokussiert war. Vielleicht ist es besser, ich sprenge den Kerl bei nächstbester Gelegenheit einfach in die Luft. Diesen gruseligen und eiskalten Freak wird eh keine Sau vermissen. Ernsthaft, wenn man dem heißes Wasser in den Rachen schüttet, kommen am anderen Ende doch nur Eiswürfel heraus. Ist mir echt ein Rätsel, was bei dem bloß kaputt ist. Der scheint ja nicht mal ein richtiger Mensch zu sein. Na was soll’s. Wenn ich Beyond habe, werde ich Sam ganz einfach umbringen, wenn ich ihn nicht mehr brauche. Sein Problem, denn er hätte wissen müssen, dass man sich nicht mit mir anlegen sollte. Der wird schon noch blöd gucken, wenn ich ihn in die Luft sprenge und seinen Körper damit in tausend Stücke reißen werde. Clear erinnerte sich an damals, als er zum ersten Mal den Klang der Detonationen gehört hatte. Den Anblick von Rauch und Feuer, wie Menschen schrieen und starben und wie dabei seine Eltern in Stücke gerissen wurden. Vor seinen Augen hatten durch eine Explosion aufgewirbelte Glassplitter seiner Mutter das Gesicht zerfetzt und ihr schließlich den Kopf abgetrennt. Überall Blut und Schreie und der Geruch von Feuer und Schwarzpulver… Jedes Mal, wenn er an den Terroranschlag von damals zurückdachte und wie er durch eine Explosion aus der Gewalt der Terroristen befreit worden war, schlug sein Herz schneller. Es war wie pures Adrenalin, was da durch seine Adern floss… wie eine Droge, nach der er süchtig war. Clear war von Chaos und Zerstörung in den Wahnsinn getrieben worden, jetzt war er selber Chaos und Zerstörung geworden. Diese Bomben, die ihm sein Zuhause, seine Familie und seine kindliche Unschuld für immer geraubt hatten, waren zu seiner Besessenheit geworden. Ein Leben ohne dieses Chaos, diese Schmerzen, diesem Wahnsinn und dieser Zerstörung war für ihn gänzlich unvorstellbar. Er brauchte es, um wenigstens für eine Weile seinen inneren Frieden zu finden. Wer dabei draufging, war ihm vollkommen egal. Die ganze Menschheit konnte ihm gestohlen bleiben. Diese dämlichen Homo Sapiens töteten doch aus so niedrigen Beweggründen, dass es eine Schande war, dass man sie noch nicht ausgerottet hatte. Man hatte seine Familie getötet und seine Freunde und Verwandten brutal abgeschlachtet, weil sie in den Augen der Terroristen Ungläubige waren. Sie waren für etwa so dämliches wie Religion getötet worden. Die Menschen töten doch immer nur aus selbstsüchtigen Gründen. Geld… Rache… Ehre… Diese Menschen waren so widerwärtige Insekten in seinen Augen, die am besten einfach nur krepieren sollten. Schließlich wandte sich Clear Sam zu, der immer noch so abwesend wirkte. Ob der Kerl irgendwie krank war oder so? „Sag mal Sam, wieso hast du dir diesen Namen eigentlich zugelegt?“ Nun öffnete der namenlose Killer seine Augen und seine Iris funkelte eisblau. Sie wirkten so leer und unmenschlich, als wären sie die Augen eines Monsters. Eine Weile schwieg er, bevor er antwortete „Mit meinem wahren Namen verbinde ich nichts. Er ist mir einfach gegeben worden, aber ich habe zu diesem Namen keinen Bezug, geschweige denn eine Identität. Deshalb habe ich mir eine eigene zugelegt. Eine, die nur mir allein gehört.“ „Und wieso hast du damals dieses Massaker angerichtet, als du acht warst?“ „Sie waren mir im Weg.“ Das war seine einzige Antwort und mit der musste sich Clear wohl oder übel zufrieden geben. Nun gut, dachte er sich. Sam ist schon anders als die anderen Menschen. Er tötet aus reiner Logik. „Und wieso legst du so viel Wert darauf, dass niemand erfährt, wer du bist?“ „Weil die Menschen etwas haben, was ich nie besitzen werde. Also warum sollte ich meine Identität nicht für mich alleine haben dürfen?“ „Aus dir soll mal einer schlau werden.“ Wortlos stand Sam auf und verschwand. Clear sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Wenn ich Beyond habe, bringe ich ihn definitiv um. Irgendwie ist mir Sam noch weniger geheuer als sonst. Der plant garantiert irgendetwas und wenn ich nicht aufpasse, bin ich noch derjenige, der ein Loch zwischen den Augen hat. Der hat mich doch nur rausgeholt, weil er mich braucht, um an Beyond heranzukommen. Denn ich besitze im Gegensatz zu ihm genug Einfühlungsvermögen, um L zu durchschauen. Man hat ja gesehen, wie das endet, wenn Sam niemanden hat, der für ihn diesen Part übernimmt. Immerhin hat er die Entführung im Krankenhaus komplett vergeigt und war noch so dumm, in L’s Falle zu tappen. So ein Vollidiot, der soll sich mal nicht so wichtig nehmen. Beyond… schon bald wirst du mir gehören und daran wird mich rein gar nichts hindern. Dann werden wir zwei wieder genauso viel Spaß haben wie damals, als du meine Gastfreundschaft genossen hast. Und ich weiß genau, wie sehr du dich danach sehnst, wieder diese herrliche Mischung aus Lust und Schmerzen zu spüren. Clear unterbrach kurz seine Arbeit und dachte nach. Irgendwie hatte er ein merkwürdiges Gefühl. Warum hatte Sam ihn eigentlich befreit, wenn er eigentlich versagt hatte? Wenn er versuchte, so logisch und objektiv wie Sam zu denken, gab es doch kaum einen triftigen Grund dafür, außer den, dass er Clear gebraucht hatte, um aus dem Hochsicherheitstrakt ausbrechen zu können. Aber jetzt? Jetzt gibt es doch keinen Grund mehr, mich am leben zu lassen, also warum hat er… oh verdammt! Sofort zog Clear eine Granate von seinem Gürtel und warf sie in Richtung Tür und das nicht zu früh, da Sam mit seiner Smith & Wesson direkt auf seinen Kopf gezielt hatte. Sofort brachten sich beide in Deckung und die Granate ging hoch. Ein ohrenbetäubender Knall erschütterte das Haus und Staub rieselte von der Decke. „Du verdammter Hurensohn willst mich also kalt machen?“ rief der Bombenleger wütend und machte sich bereit, gleich die nächste Granate zu werfen. „Glaubst du etwa, ich durchschau dich nicht? Ich bin nicht mehr von Nutzen für dich, deshalb wolltest du mich abknallen. Aber ich bin nicht so dumm, verstanden? Weißt du was? Ich werde ganz einfach dich umbringen, dann hol ich mir Beyond und werde ihn zu meinem Eigentum machen und daran wirst du mich nicht hindern, du Freak.“ Clear warf sogleich die nächste Granate auf den Flur und dieses Mal war die Explosion so verheerend, dass ein Teil der Decke herunterkrachte. Schnell sammelte Clear seine halbfertigen Bomben zusammen und kletterte durch das Fenster hinaus. Zum Glück hatte er sich schon immer auf sein Gefühl verlassen können. Sonst wäre er mit Sicherheit längst tot. Dieser elende Bastard hat einfach versucht, mich aus dem Hinterhalt umzubringen. Er hat wirklich versucht, mich einfach abzuknallen! Ein Schuss streifte ganz knapp sein Ohr und schnell ging Clear hinter ein paar Mülltonnen in Deckung. Erschwerend zu Sams Emotionslosigkeit kam leider noch hinzu, dass er ein verdammt guter Schütze war. Clear war aus dem zweiten Stock gesprungen und war sofort weitergelaufen, da war es eigentlich kaum möglich, ihn so exakt zu treffen mit nur einer lächerlichen Pistole. Der Bombenleger sah hoch und erkannte Sam am Fenster. Er blutete an der Stirn und schien offenbar einiges abbekommen zu haben. Na warte, dachte er und biss sich wütend auf die Unterlippe. Was du kannst, kann ich schon lange. Clear holte seine Glock hervor und begann zu schießen. „Verrecke du Scheißkerl!!!“ Sam seinerseits ging in Deckung und die Gelegenheit nutzte der israelischstämmige Bombenleger, um abzuhauen und sich in Sicherheit zu bringen. Mit Sam konnte er sich später noch beschäftigen. Er hatte jetzt andere Sachen, um die er sich kümmern musste. Es galt als allererstes, Beyond endlich in seine Gewalt zu bringen und da weiterzumachen, wo sie zuletzt aufgehört hatten. Dieser Sam konnte erst mal warten, er brauchte ihn sowieso nicht mehr. Wenn der mir noch mal in mein Blickfeld gerät, werde ich ihm zeigen, wie unsagbar schmerzhaft es ist, von einer Splitterbombe in Fetzen gerissen zu werden. Dieser kranke Freak wird sich noch wünschen, er wäre niemals geboren worden. Ein rasender Schmerz durchfuhr Clears Bein und er stürzte zu Boden. „Ah! Fuck!!!“ schrie er und presste eine Hand auf seinen Oberschenkel. Die Kugel hatte ihn getroffen und jetzt hatte er den Salat. Warum auch musste Sam so ein guter Schütze sein? Clear wandte sich um und wollte erneut schießen, doch er war bereits so weit entfernt, dass er ihn unmöglich treffen konnte. Dafür aber Sam… So ein Mist, der Bastard kann mich von da oben aus echt gut treffen. Ich hätte gleich die ganze Wohnung sprengen sollen, dann hätte ich ihn auch garantiert erwischt. „Ich bring dich um, Sam! Verlass dich drauf. Wenn ich dich in die Finger kriege, dann schwöre ich dir, dass ich dich eigenhändig in die Hölle schicke!!!“ Damit verschwand Clear, schaffte es allerdings kaum vernünftig voran, da sein Bein schlimm blutete und er zudem starke Schmerzen hatte. Aber eines stand fest: er würde sich trotzdem nicht von seinem Plan abbringen lassen. Er hatte schon viel Schlimmeres erlebt, da war diese lächerliche Schusswunde ein glatter Witz. Nein, es ärgerte ihn bloß, dass er sich von Sam hatte so dermaßen übertölpeln lassen wie ein blutiger Anfänger. Aber der würde noch dafür büßen! Kapitel 5: Die Wahrheit ----------------------- Andrew war vollkommen hysterisch geworden und man musste ihn festhalten, damit er nicht komplett durchdrehte. Es half alles nichts, also gab Beyond ihm etwas von seinen Beruhigungsmitteln, welches als Einziges Wirkung zeigte. Doch so wirklich konnte sich keiner erklären, warum er so panisch geworden war und selbst Oliver stand vor einem absoluten Rätsel. „So habe ich ihn noch nie erlebt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er Angst vor dir hat, L.“ Der Detektiv runzelte verwirrt die Stirn, als er das hörte und erklärte „Ich habe ihm nie etwas getan. Er wurde auf einmal so panisch, als er meinen Namen gehört hat. Aber so ganz verstehe ich die Reaktion nicht.“ Auch Oliver verstand die Welt nicht mehr und das Gleiche galt auch für Beyond. Sie warteten, bis Andrew wieder einigermaßen bei Bewusstsein war, dann ging Oliver zu ihm hin und strich ihm sanft durchs Haar. „Andy, alles in Ordnung?“ „Ich… ich fühl mich irgendwie so komisch.“ „Sorry deswegen. Wir mussten dir Beruhigungsmittel von Beyond geben. Und die haben es eben ganz schön in sich.“ Er reichte dem Benommenen ein Glas Wasser, welches dieser dankend annahm. Doch immer noch zitterten seine Hände heftig und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er hatte immer noch furchtbare Angst. Oliver redete noch beruhigend auf ihn ein und schaffte es schließlich mit viel Geduld und Feingefühl, Andrew endlich zum Reden zu bringen. Nachdem er sich einigermaßen gesammelt hatte, wandte er sich an L und fragte „Ist dein Familienname wirklich Lawliet?“ „Ja“, antwortete L ruhig und nickte. „Mein voller Name ist L Lawliet. Warum fragst du?“ „Weil… weil…“ Andrew schaffte es kaum, das Glas vernünftig festzuhalten, da nahm Oliver seine Hand und hielt sie fest. „Schon gut Andy, ich bin bei dir.“ Wieder holte Andrew tief Luft, dann erklärte er „Sam Leens’ richtiger Name ist… Jeremiel Lawliet.“ L erstarrte, als er das hörte und konnte es nicht fassen, genauso wenig wie alle anderen in diesem Raum. Sie alle wussten, dass der Name Lawliet nicht gerade weit verbreitet war. Eher im Gegenteil, es war ein äußerst seltener Name und demnach konnte es nur eines bedeuten, dass Sam und L denselben Namen teilten. Und der gleiche Gedanke kam auch Beyond und so fragte er „L, kann es sein, dass Sam und du miteinander verwandt seid?“ „Das… das ist völlig unmöglich!“ rief L und war selbst geschockt über diese Nachricht. „Ich… ich habe außer meinen Eltern keine lebenden Verwandten gehabt.“ „Bist du sicher? Vielleicht hattest du einen Bruder.“ „Das ist kann nicht sein“, erwiderte Watari schließlich und erklärte „L hatte keine Geschwister.“ „Woher wollen Sie das wissen?“ fragte nun Oliver, der die Theorie offenbar nicht ganz so abwegig fand. „Es könnte doch tatsächlich möglich sein, dass L entweder einen Bruder, oder aber zumindest einen Halbbruder hat.“ Doch Watari schien der festen Überzeugung zu sein, dass das nicht möglich war. Er setzte sich auf einem Stuhl und musste die ganze Sache erklären, vor allem warum er so genau wusste, weshalb Sam Leens bzw. Jeremiel unmöglich L’s Bruder sein konnte. L wusste natürlich, dass Watari ein alter Freund seiner Mutter war, aber dass sie sich so nahe gestanden hatten, das hatte er nie gedacht. „Was wissen Sie über meine Mutter, Watari?“ „Deine Mutter und ich haben damals an der gleichen Universität gearbeitet. Sie war mit meiner Tochter Alice gut befreundet und als mein einziges Kind bei einem Autounfall verunglückte, wurde deine Mutter wie eine Art Tochterersatz für mich. Meine Frau hatte ich bereits verloren, als Alice zur Welt kam und sie war das Einzige gewesen, was ich noch hatte. Nastasja hat mir damals beigestanden, als sich der Unfall ereignete und da sie selbst ihre Eltern früh verloren hatte, wurde ich zu einer Art Vaterfigur für sie. So hatten wir ein sehr familiäres Verhältnis.“ „Moment mal“, rief Oliver, als er diesen vertrauten Namen hörte. „Nastasja? Wollen Sie etwa damit sagen, dass L’s Mutter Nastasja Kasakowa war?“ Der gebürtige Engländer nickte und er sah mit einem Male sehr niedergeschlagen aus. Er hatte nie über diese Geschichte gesprochen und sie mit allen Mitteln geheim gehalten. Er tat es, weil er L beschützen und verhindern wollte, dass die Wahrheit ans Tageslicht kam. „Nastasja war eine Waise und kam damals aus Russland, um in England zu studieren. Sie hatte nie eine Familie und war deshalb in England auf sich allein gestellt. Und als sie sich an der Universität mit meiner Tochter anfreundete, da habe ich ihr helfend zur Seite gestanden. Nastasja war ein wirklich herzensguter Mensch. Sie war so voller Lebensfreude und hat die Welt immer schon mit anderen Augen gesehen. Damals war sie Humanbiologin und Neurologin und sie wollte die Geheimnisse der menschlichen Seele entschlüsseln und hat Unglaubliches geleistet. Ich habe selten einen Menschen getroffen, der an ihr Genie heranreichte. Den Intellekt hast du von ihr geerbt, L. Das Aussehen hast du aber von von deinem Vater. Nun ja, Nastasja lernte schließlich Henry Lawliet kennen und gemeinsam forschten sie an ihrer Theorie der biologischen Seele, während ich mich um andere Forschungen kümmerte. Wir blieben aber im ständigen Kontakt und schließlich erfuhr ich, dass Nastasja schwanger war. Sie freute sich sehr und wollte unbedingt eine Familie gründen, wenn sie schon selbst nie eine hatte. Aber sie verlor ihr Kind bereits im dritten Monat. All ihre Kinder waren Fehlgeburten und es stellte sich heraus, dass sie einen Gendefekt hatte, weshalb sie nicht in der Lage war, lebende Kinder zur Welt zu bringen.“ Sie schwiegen alle kurz und ließen sich diese ganze Geschichte durch den Kopf gehen. Dr. Kasakowa, die die Pläne zum Gedankenschaltkreis verfasst hatte, war L’s leibliche Mutter? Und sie konnte keine lebenden Kinder zur Welt bringen? Da stimmte doch was nicht und so fragte Beyond „Aber wenn L’s Mutter diesen Gendefekt hatte, wie konnte sie dann L zur Welt bringen? Das dürfte doch eigentlich nicht möglich sein, oder?“ „Eigentlich nicht, aber es kam eine dritte Person ins Spiel, die bei seiner Geburt beteiligt war. Als Nastasja erfuhr, dass sie keine Kinder zur Welt bringen konnte, verfiel sie in Depressionen und nahm vorerst Abstand zu ihrer Arbeit und reiste deshalb für eine Zeit lang nach Russland. Sie kam mit einem Mädchen zurück, das sie auf ihrer Reise getroffen hatte. Dieses Mädchen hatte langes weißes Haar, blasse Haut und rote Augen. Wir waren verwundert darüber, was Nastasja mit dem Kind wollte, das nicht älter als 14 oder 15 Jahre sein konnte und welches nicht einmal Schuhe an den Füßen trug. Das Mädchen erzählte uns, dass sie kein Zuhause und keinen Namen habe und dass sie ganz alleine auf der Welt ist und auf der Suche wäre, wer sie wirklich ist. Nastasja nahm sie bei sich auf und gab ihr den Namen Frederica.“ Andrew fuhr hoch, als er diesen Namen hörte und konnte es nicht glauben. L’s Mutter war es, die Frederica damals aus Russland nach England gebracht und bei sich aufgenommen hatte? Und Watari hatte sie ebenfalls gekannt? Doch er sagte nichts, sondern hörte weiterhin aufmerksam zu. „Frederica war ein ungewöhnliches Mädchen. Sie erzählte, sie habe von Nastasjas Leid erfahren, dass sie keine Kinder zur Welt bringen konnte und wollte ihr helfen. Sie hatte, als Nastasja erneut schwanger wurde, ein Lied gesungen. Es war ein Lied in einer Sprache, welche ich nie in meinem Leben gehört habe und deshalb auch nicht verstehe, aber es ging eine fremdartige Wirkung von dieser Melodie aus und es war auf der ganzen Welt spürbar gewesen. Frederica erklärte uns, dass dies das Lied der unvergänglichen Eva sei und sie Nastasja helfen werde. Und tatsächlich brachte sie einen gesunden Jungen zur Welt. Es war ein unerklärliches Wunder und keiner konnte sich dieses Wunder wirklich erklären. Aber dann begannen wir damit, dieses unscheinbare Mädchen näher zu betrachten. Frederica wurde zu einem Teil unserer etwas ungewöhnlichen Familie und sie ließ jede Untersuchung über sich ergehen und zeigte uns alles, was wir wissen wollten. Sie wurde sozusagen Nastasjas Adoptivtochter und wir alle hatten sie sehr ins Herz geschlossen. Für mich wurde sie quasi wie eine Enkelin und wir alle waren sehr glücklich zusammen. Aber obwohl sie uns so viel zeigte, wollte sie uns niemals sagen, wer sie wirklich war und warum sie Nastasja geholfen hat. Wir untersuchten sie mehrmals und fanden heraus, dass Frederica kein normaler Mensch war. Ihre DNA ist der eines Menschen sehr ähnlich, aber viel weiter entwickelt als unsere. Unsere DNA besitzt vier Nucleinbasen, die den wichtigsten Kern unserer DNA darstellt: Agenin, Guanin, Cytosin und Thymin, also insgesamt vier. Fredericas Körper verfügt aber über hundert verschiedene Nucleinbasen und auch ihr Gehirn weist diverse Mutationen auf. Ihre Zirbeldrüse ist stark verändert, sodass Frederica nicht so altert wie wir. Und ihre Haare bestehen aus externen Nervensträngen, die durch eine dünne Membran geschützt sind und ähnlich wie Sinneshaarzellen funktionieren. Dadurch funktionieren ihre Sinne ganz anders als unsere und sie war zu Dingen in der Lage, die für uns Menschen kaum vorstellbar waren. Dank ihr konnte Nastasja mit ihrer größten Arbeit beginnen, nämlich mit der Entwicklung eines künstlichen Gedankenschaltkreises. Alles lief friedlich und wir waren wie eine große Familie. Es war uns egal, dass Frederica kein normaler Mensch war und sie durch ihre extrem langsame Alterung womöglich doppelt oder dreimal so alt ist wie ich. Für uns war sie eine enge Freundin, eine Tochter und eine Enkelin und für uns war sie ein Teil der Familie. Aber es sollte alles anders kommen, denn Joseph Brown, Nastasjas Kollege und Forschungspartner wollte an den universalen Gedankenschaltkreis kommen, den Frederica besitzt. Er wollte ihn mit allen Mitteln an sich bringen und damit hätte er nicht nur den Ursprung der Seele in Händen gehabt, sondern wäre fähig gewesen, Leben und Tod zu kontrollieren. Dieser Gedankenschaltkreis ist und bleibt die tödlichste aller Waffen, weil er seinen Träger befähigt, nicht nur neues Leben zu erschaffen, sondern auch jedes Leben auf dieser Welt auszulöschen. Eine Macht, die sogar noch gefährlicher ist als die des Death Notes, mit dem Kira seine Terrorherrschaft aufbauen wollte. Nastasja kam zu mir nach Hause und bat mich, dass ich mich um L kümmere und ihn beschütze. Niemand dürfe deinen Namen erfahren und wissen, dass du lebst. Sie wusste, dass Joseph auch dich töten würde, wenn er dich findet. Also vertraute sie dich meiner Obhut an.“ Stille trat ein und bedrückte Blicke wurden ausgetauscht. L konnte es nicht fassen, dass seine Mutter tatsächlich Nastasja Kasakowa gewesen war und dass sie von Dr. Joseph Brown ermordet worden war. Die ganzen Jahre über hatte er sich nicht erinnern können, wer seine Mutter war und er konnte sich auch nicht an ein Mädchen namens Frederica erinnern, auch wenn dieser Name ihm irgendwie bekannt vorkam. Aber… wieso waren seine Eltern nicht ebenfalls untergetaucht? „Wieso… wieso sind sie nicht geflohen, wenn sie doch wussten, dass Joseph Brown sie töten wollte?“ Doch auch Watari schien da nicht ganz dahintergekommen zu sein, was sie sich dabei gedacht hatte und konnte nur spekulieren. „Nastasja hat dich sehr geliebt. Aber Frederica war ihr auch sehr wichtig und sie wollte sie nicht alleine lassen. Außer uns hatte dieses Mädchen niemanden auf dieser Welt und sie gehörte ebenfalls zur Familie dazu, deshalb wollten Nastasja und Henry sie beschützen. Natürlich hätten sie untertauchen können, aber Nastasja sagte mir, dass es unumgänglich sei und sie Frederica vertraue. Wie ich schon sagte, war dieses Mädchen kein gewöhnlicher Mensch. Womöglich war sie nicht mal einer. Sie wusste Dinge, als könne sie sehen, was in der Zukunft geschehen würde. Frederica verfügt über eine Gabe, die für viele Menschen nicht nachvollziehbar ist. Durch den universalen Schaltkreis war sie in der Lage, Leben zu erschaffen und es zu nehmen. Sie verkörpert den Schnittpunkt von Leben und Tod und damit scheint sie auch über die Geheimnisse der Zeit Bescheid zu wissen. Deshalb wollte sie wohl, dass L in meine Obhut kam und wahrscheinlich sind Nastasja und Henry deshalb bei ihr geblieben, um sie zu beschützen. Ich verließ zusammen mit L England und erfuhr wenig später von der Ermordung seiner Eltern. Von Frederica fehlte jede Spur und ich ahnte, was passiert war. Nämlich, dass es ihr nicht gelungen war, vor Dr. Brown zu fliehen und sie deshalb gefangen genommen wurde. Es war für mich unerklärlich, denn Frederica wäre durchaus fähig gewesen, sie alle zu töten, aber sie hat es nicht getan. Und als ich mich auf die Suche nach ihr machen wollte, um sie zu retten, da hörte ich ihre Stimme.“ „Ihre Stimme?“ fragte L verwirrt und Watari erklärte „Durch diesen besonderen Gedankenschaltkreis ist Frederica mit jedem Menschen auf dieser Welt verbunden. Deshalb konnte sie auch mit ihnen kommunizieren, ohne zu sprechen. Sie sagte mir, ich solle nicht nach ihr suchen und mich um dich kümmern, L. Solange sie bei Dr. Brown bliebe, würde dieser nicht nach dir suchen und du wärst in Sicherheit. Danach habe ich nie wieder ein Lebenszeichen von ihr bekommen und sie ist seit zwanzig Jahren spurlos verschwunden.“ L dachte nach und ließ sich die ganze Geschichte durch den Kopf gehen. Langsam aber sicher fügten sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen, wenn er die Details bedachte, die er inzwischen herausgefunden hatte. Der Mord an Dr. Joseph Brown… seine Leiche war kaum noch zu identifizieren gewesen und Oliver hatte gesagt, dass es danach aussah, als wäre sein Kopf von innen aus zerstört worden. Wenn man bedachte, dass dieses Mädchen Frederica tatsächlich über besondere Fähigkeiten durch ihre diversen Mutationen verfügte, dann war es wahrscheinlich, dass sie ihn umgebracht hatte, um den Mord an ihren Freunden zu rächen. Und dann musste er sich daran erinnern, als V das Institut gestürmt hatte und alles verlassen und leergeräumt vorfand, obwohl nicht mal zwei Stunden Zeit gewesen waren. Es war James Brown gelungen, unerkannt mit all den Sachen abzuhauen und das wäre eigentlich nicht möglich gewesen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Es sei denn, ihm wurde dabei geholfen. Das hieß dann, dass Frederica ihm zur Flucht verholfen hatte. Aber wieso tat sie das, wenn sein Vater ihre beiden Freunde getötet hatte und sie sich seit zwanzig Jahren in Gefangenschaft befand? Und warum hatte sie sich nicht schon längst befreit? Was führte sie nur im Schilde? L wandte sich schließlich an Andrew, dem deutlich anzusehen war, dass er mehr wusste. „Andrew“, begann er nach einer Weile und sah ihn forschend an. „Als du im Institut gelebt hast, hattest du Kontakt zu dieser Frederica?“ Er senkte niedergeschlagen den Kopf und nickte. „Ja, wir haben uns angefreundet.“ Wataris Augen wurden groß, als er das hörte und er sprang auf. „Wie bitte? Frederica ist am Leben und du hast sie getroffen?“ „Ja. Sie hat mir zur Flucht verholfen und sie… sie ist dort geblieben, weil sie noch etwas Wichtiges tun wollte. Sie sagte, es würde bald jemand kommen, der ihre Hilfe brauchen würde. Und sie will ihre Fehler wiedergutmachen.“ Watari setzte sich wieder und wirkte in diesem Moment wie ein alter schwacher Greis, dem seine ganze Kraft entwichen war. So hatte L ihn noch nie erlebt und er war zutiefst erschüttert, Watari in dieser Verfassung zu sehen. Offenbar macht er sich schwere Vorwürfe, dass er Frederica nicht gerettet hatte, die für ihn wie eine Enkelin gewesen war. Doch schließlich räusperte sich Beyond und meinte „Schön und gut, das erklärt ja, was mit L’s Eltern passiert ist, aber wir sind immer noch nicht schlauer, was mit ihm und Sam ist. Wenn es wirklich stimmt und L ist Nastasjas einziger Sohn, dann muss Sam wahrscheinlich sein Halbbruder sein. Kann es sein, dass L’s alter Herr vielleicht fremdgegangen ist? Wenn Sam und L ungefähr in demselben Alter sind, dann könnte es doch sein, dass er vielleicht eine Affäre hatte, als Nastasja in Russland war.“ „Das ist völlig ausgeschlossen“, erwiderte Watari mit felsenfester Stimme. „Henry war ein grundehrlicher Kerl und er hat Nastasja aufrichtig geliebt. Er hätte sie niemals betrogen.“ „Aber wie sollte das sonst ins Gesamtbild passen? Ist mir jedenfalls egal, was Sie über ihre alten Freunde denken, aber meiner Ansicht nach hatte L’s Alter was mit einer anderen Frau am Laufen und aus dieser Affäre ist Sam oder besser gesagt „Jeremiel“ entstanden und er wurde schließlich ins Norington Waisenhaus abgeschoben. So würde ich mir den Sachverhalt erklären. Aber mich würde trotzdem interessieren, wieso ich nicht seinen wahren Namen erkennen kann. Irgendwie ist das alles ziemlich rätselhaft, aber darum können wir uns später kümmern. Wichtig ist es erst einmal, dass wir Rumiko und Jamie in Sicherheit bringen und dass auch Andy und Oliver aus der Schusslinie geholt werden.“ Andrew wirkte immer noch sehr angespannt und Oliver musste ihm gut zusprechen, damit er nicht wieder die Nerven verlor. Watari blieb auch bei ihm, L und Beyond verließen derweil den Raum und nahmen Kontakt zu V auf, damit dieser sich um die Sicherheit der anderen kümmerte. Aber dennoch sah man L an, dass ihn diese Geschichte arg beschäftigte. Verdenken konnte man es ihm nicht, denn er hatte erfahren, wer seine Eltern waren und dass er mit einem Mädchen in Kontakt gekommen war, welches über besondere Kräfte verfügte. „Eines frage ich mich schon“, sagte Beyond nach einer Weile und verschränkte die Arme. „Andy erzählte mir bei unserem Treffen, dass er und Oliver recherchiert haben und vermuten, dass deine Mutter mit einem Wesen zu tun hatte, welches die „unvergängliche Eva“ genannt wird. Und über dieses Wesen könnte man den Ursprung der Seele ermitteln, ähnlich wie bei einer mitochondrialen Eva. Glaubst du, dass Frederica diese Eva sein könnte, die dir das Leben ermöglicht hat?“ „Ich weiß es nicht. Normalerweise würde ich ja an solche Sachen nicht glauben, aber nach dem Fall Kira kann mich eigentlich gar nichts mehr überraschen. Wenn es schon Shinigami gibt, dann wäre es doch eigentlich nur logisch, wenn es ein passendes Gegenstück gäbe. Aber… warum hat Watari mir nie etwas davon gesagt? Wieso hat er mir die Wahrheit verschwiegen?“ Beyond sah, wie sehr L diese Geschichte mitnahm und drückte ihn fest an sich. „Hey, jetzt mach dir mal nicht so viele Gedanken. Der alte Tattergreis wollte dich vor diesem Doktor beschützen, genauso wie diese Frederica. Und was mit Sam ist, werden wir auch noch herausfinden. Eigentlich kannst du dich ja nicht beklagen. Deine Eltern haben dich sehr geliebt und du bist in Kontakt mit einem Wesen gekommen, welches wahrscheinlich die unvergängliche Eva ist. Und diese hat dir das Leben geschenkt.“ „Ja aber… wenn ich wirklich mein Leben von Frederica habe, wer oder was bin ich dann?“ „Du bist ein Mensch wie jeder andere. Ich muss es ja wissen, denn mein Shinigami-Augenlicht sagt mir ganz eindeutig, dass du einer bist. Hör auf dich mit dem Gedanken zu beschäftigen, ob du ein normaler Mensch bist, nur weil du durch ein übermenschliches Wesen leben kannst. Immerhin bin ich mit den Augen eines Shinigami geboren worden und hab hier das weitaus schwerere Kreuz zu tragen, weil ich immer sehe, wann die Menschen sterben. Glaub mir, diese Augen habe ich ganz sicherlich nie gewollt und ich hasse sie auch. Aber sie sind ein Teil von mir und ich musste lernen, damit zu leben, dass ich nicht normal bin. Doch was macht dich denn anders? Du bist gesund und lebst und du bist ein Mensch wie jeder andere auch. Und warst du nicht auch derjenige, der mir gesagt hat, dass es völlig egal ist, wenn man anders ist? Du liebst mich doch auch mit diesen unmenschlichen Augen, oder etwa nicht? Und selbst wenn du zwölf Finger und Schuppen hättest, würde ich dich nicht weniger lieben. Also hör auf, dir irgendwelche Gedanken zu machen und sieh es mal so: hätte deine Mutter diese Frederica nicht getroffen, dann wärst du jetzt nicht am Leben. Du kannst dich also glücklich schätzen, dass du diese Chance bekommen hast.“ L lächelte und konnte nicht glauben, so etwas ausgerechnet von Beyond zu hören, der ja für gewöhnlich eher der Zyniker war und so etwas nicht sagte. Er erwiderte die Umarmung und war wirklich froh, dass Beyond bei ihm war. „Wow, solche Worte sehen dir eigentlich nicht ähnlich.“ „Na hör mal. Du hast mich oft genug aufgebaut, als ich in Zweifel war, also bin ich auch für dich da, wenn du Unsicherheiten hast. Wir haben schon so viel Mist miterlebt, da kann uns beide doch gar nichts mehr erschüttern.“ Damit gab Beyond ihm einen Kuss und klopfte ihn auf den Rücken. „Egal was ist, mich wirst du nicht los und wenn das alles durchgestanden ist und wir Sam und Clear hinter Gittern gebracht haben, können wir uns wieder ein paar schöne Stunden machen.“ L seufzte und schüttelte den Kopf. Das war wirklich der eindeutige Beweis dafür, dass Beyond sich von dieser Geschichte nicht sonderlich beeindrucken ließ und es für ihn auch keine große Rolle spielte, wie die Umstände zu L’s Geburt waren und ob er nicht menschlich war. Aber im Grunde war das ja der größte Liebesbeweis, den er bringen konnte. Kapitel 6: Lockere Stimmung --------------------------- V kam kurzerhand mit dem Hubschrauber angeflogen, um Rumiko und die anderen abzuholen und in Sicherheit zu bringen. Eigentlich war geplant, dass auch Andrew weggebracht werden sollte, doch dieser hatte sich inzwischen wieder eingefangen und weigerte sich plötzlich, von hier zu verschwinden. Nachdem er seine Angst abgelegt und seinen ganzen Mut gesammelt hatte, erklärte er „Ich werde euch helfen, Jeremiel und Clear zu schnappen. Vielleicht werdet ihr Hilfe gebrauchen können, um mit den beiden fertig zu werden.“ Sowohl Beyond als auch L waren sprachlos, das zu hören, denn so etwas hatten sie von jemandem wie Andrew, den sie mit Beruhigungsmitteln in den Griff kriegen mussten, gar nicht erwartet. Und so wirklich überzeugt war Beyond auch nicht so wirklich. „Andy, es ist echt nett, dass du uns helfen willst. Aber… ich bin mir nicht wirklich sicher, ob das eine gute Idee ist. Die beiden sind mordsgefährlich und kennen keine Gnade.“ „Ich weiß, aber gemeinsam haben wir mehr Chancen.“ „Und ich werde Andy schon zu beschützen wissen“, meldete sich sogleich auch schon Oliver und legte mit einem zuversichtlichen Lächeln einen Arm um den Rothaarigen. Damit war die Sache besprochen und nun galt es zu überlegen, was sie tun sollten. Oliver und Andrew hatten sogleich die Idee, die Überwachungskameras anzuzapfen und somit vielleicht sehen zu können, wo sich Sam und Clear aufhielten. L stellte ihnen sein Arbeitszimmer zur Verfügung und blieb bei Beyond. Eine Zeit lang schwieg er, dann bemerkte er „Er hat sich ganz schön verändert. Er wirkt viel selbstbewusster.“ Dem Serienmörder entging nicht, dass dem Meisterdetektiv noch etwas auf den Nieren lag und ahnte irgendwie schon, was es war. Der gute L machte sich immer noch Sorgen wegen Andrew, dass dieser sich in die Beziehung reindrängen könnte. Irgendwie scheint er manchmal unsicherer zu sein, als er eigentlich zugeben will, dachte Beyond und gab seinem Lover eine sanfte Kopfnuss. Dabei tut er immer so unerschütterlich und als würde er alles immer im Griff haben. Aber kaum geht es um unsere Beziehung, da kriegt er gleich Schiss, dass uns irgendjemand in die Quere kommen könnte. Aber eigentlich ist das ja auch irgendwie niedlich an ihm. Mit leichter Schmollmiene rieb sich L den Kopf und fragte „Und was sollte das jetzt?“ Der Serienmörder seufzte und gab ihm dann einen Kuss. „L, du brauchst dir keine Gedanken mehr darum zu machen, dass Andy ein Problem darstellen könnte. Glaub mir, er hat unsere Beziehung akzeptiert und…“ „Das kann jeder sagen und ich habe oft genug mitgekriegt, wie es dann doch nicht so war.“ „Du siehst dir offenbar zu viele Herzschmerzfilmchen an. Jetzt hör mal gut zu: Andy ist nicht so hinterhältig und außerdem hat er bereits jemanden an seiner Seite, der ihn glücklich macht.“ L sah ihn an und sagte nichts, aber es war ihm anzumerken, dass er nicht wirklich schnallte, was Beyond damit andeuten wollte. Auch das war eine mehr als süße Eigenschaft an L. Im normalen Leben war er hochintelligent und hatte immer den absoluten Durchblick. Aber was solche Sachen betraf, war er ein absoluter Spätzünder. „Wen hat er denn gefunden?“ Oh Mann, dem ist auch wirklich nicht mehr zu helfen. Also erklärte es Beyond genauer. „Mensch L, hast du keine Augen im Kopf? Es ist Oliver. Andy und er sind seit Monaten zusammen und die beiden sind nach Boston zurückgekehrt, weil sie bald heiraten wollen.“ Immer noch glotzte L ihn mit diesem verständnislosen Blick an und verstand es offenbar noch nicht so wirklich. Nun ja, eigentlich auch kein Wunder, denn er kannte Oliver als einen chaotischen, arbeitsfaulen und unzuverlässigen Spinner, da war es eben schwer vorstellbar, dass ausgerechnet Andrew mit ihm zusammenkommen sollte. Das Genie und der Loser… als stamme das aus einer 08/15 Lovestory zwischen Jungs. Und dass jetzt auch noch eine Heirat im Raum stand, war noch unglaublicher. „Und das stimmt wirklich?“ „Ja Mensch. Andy hat sich sogar Olivers Namen tätowieren lassen. Wenn das mal kein Beweis ist, dass er ihn liebt, dann weiß ich auch nicht weiter. Also hör auf, dir wegen Andy Sorgen zu machen. Er hat endlich mit dieser Sache abgeschlossen und ist offenbar sehr glücklich mit Oliver. Und er freut sich von Herzen für uns. Ernsthaft L, manchmal habe ich wirklich so das Gefühl, als wärst du paranoid. Irgendwie scheinst du in jedem eine Bedrohung zu sehen, den ich kenne und den ich nicht gleich hasse so wie alle anderen Menschen. Zuerst die Eifersuchtsgeschichte mit Rumiko und dann schiebst du wegen Andy so eine Panik.“ „Ich schiebe keine Panik“, erwiderte L und löste sich wieder von Beyond, wobei er den Blick abwandte und etwas rot wurde. „Du bist eben der wichtigste Mensch in meinem Leben und deshalb will ich dich auch nicht verlieren, okay? Du hast mein altes Leben komplett verändert und dieses alte Leben, welches ich zuvor geführt habe, ist für mich einfach nicht mehr vorstellbar. Und das mit Andrew kannst du mir ja wohl schlecht verübeln. Immerhin warst du damals in ihn verliebt gewesen und dann hat er dir nach zehn Jahren seine Liebe gestanden. Da habe ich doch wohl das Recht, mir Sorgen zu machen. Dir vertraue ich ja, das hast du mir schon bei Rumiko bewiesen, aber ich vertraue Andrew nicht wirklich. Immerhin hat er damals mit deinen Gefühlen gespielt und…“ Beyond ließ ihn nicht aussprechen, sondern versiegelte L’s Lippen sogleich mit den seinen und küsste ihn, nur dieses Mal länger und intensiver. Zuerst versuchte der Detektiv noch, ihn irgendwie wegzudrücken, weil er weiterreden wollte und vielleicht auch Sorge hatte, jemand würde gleich hereinkommen und sie sehen. Aber dieser kleine Widerstand schmolz binnen weniger Sekunden dahin und er erwiderte Beyonds Kuss. Und ehe er sich versah, hatte er ihn mit seinen Armen umschlungen und an sich gedrückt. Selbst ohne Worte schaffte es dieser Teufelskerl, ihn zum Schweigen zu bringen. „L, du brauchst keine Angst zu haben. Ich verspreche dir, dass ich dich niemals verlassen werde, okay? Selbst wenn ich nicht aus Sicherheitsgründen in deiner Obhut bleiben müsste, würde ich dich ganz sicher nicht verlassen, für nichts und niemanden in dieser Welt. Und ich beweise es dir gerne immer wieder aufs Neue, so oft du willst.“ „Du brauchst mir nichts zu beweisen“, erwiderte L und spürte diesen Stich in seiner Brust und die tief sitzende Angst. Die Angst von damals, als seine Mutter ihn weggegeben hatte und er wusste, dass er sie nie wieder sehen würde. Es war die Angst vor dem Alleinsein… vom Verlassenwerden. Er konnte einfach diesen Gedanken nicht ertragen, dass er Beyond eines Tages verlieren könnte und sich wieder so einsam und verlassen fühlte wie damals. „Es ist nur…“ „Darf ich raten? Du hast Angst, nicht wahr? Die musst du doch nicht haben, L. Ich werde mich nicht wieder so leichtsinnig in Gefahr bringen wie damals, als ich Clear und Sam im Alleingang gestellt habe. So etwas mache ich garantiert nicht noch einmal und außerdem haben wir jetzt auch noch Unterstützung von Andy und Oliver. Es wird schon alles gut werden.“ Sie lösten sich wieder voneinander und sahen bei Andrew und Oliver nach dem Rechten. Aber auch dort schien man sich nähergekommen zu sein, da sie nebeneinander dasaßen und Andrew seinen Kopf auf Olivers Schulter abgelegt hatte und dabei seine Hand hielt, während sie die Monitore überwachten. „Stören wir euch Turteltäubchen etwa?“ Erschrocken fuhr der 25-jährige auf und man sah ihm an, dass ihm das jetzt mehr als peinlich war. „Könnt ihr nicht mal anklopfen?“ rief er und warf L und Beyond einen leicht strafenden Blick zu, wobei seine Wangen hochrot wurden. „Also echt…“ „Sorry, aber wir wohnen nun mal hier. Aber lasst euch nicht bei eurer Kuschelstunde stören. Wir wollten eigentlich nur nachgefragt haben, ob ihr schon eine Spur habt.“ „Wir arbeiten noch dran. Aber wir melden uns schon, wenn wir was gefunden haben.“ „Andy checkt alle öffentlichen Kameras und ich versuch übers Netz eine Spur zu finden. Vielleicht haben wir Glück und C-4 hat irgendwo was in die Luft gejagt. Dann müssten wir ihn eigentlich ganz genau orten können. Er lässt sich doch keine Explosion entgehen.“ Beyond betrachtete die beiden und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die beiden liebten sich heiß und innig, das sah er doch sofort. Und er freute sich auch wirklich sehr für Andrew, dass er mit Oliver so glücklich war. Aber wenn man es so recht bedachte, passten die beiden ja auch ganz gut zusammen. Da Oliver damals auch mit Depressionen zu kämpfen hatte, konnte er Andrew besser verstehen und mit seiner unkonventionellen Art, mit Problemen umzugehen, schien er auch mehr bei Andrew erreicht zu haben als so manch anderer. Und er besaß die nötige innere Ausgeglichenheit und Geduld, um einen so unsicheren Menschen wie Andrew, der damals überhaupt kein Selbstwertgefühl hatte, wieder aufzubauen und ihn auf die richtige Spur zu bringen. Unglaublich, dass er sich in den sechs Monaten, seit ich ihn in der Bar getroffen habe, so stark verändert hat. Er ist eigentlich gar nicht mehr wiederzuerkennen und wahrscheinlich ist das alles Oliver zu verdanken. „Eines musst du mir verraten, Oliver“, sagte der BB-Mörder und ging auf ihn zu, wobei er die Hände in den Hosentaschen vergrub. „Wie zum Henker hast du es geschafft, Andy so dermaßen umzukrempeln, dass ihm quasi die Sonne aus dem Arsch scheint?“ Der Hacker lachte, als er das hörte und erklärte „Eigentlich steckt da kein großes Geheimnis dahinter. Man muss nur wissen, wie man mit ihm umzugehen hat. Es hilft nicht, wenn man Menschen wie ihn nur bemitleidet und ihnen sagt, wie schwer sie es doch haben. Sie müssen lernen, ihre Probleme zu akzeptieren und aktiv etwas gegen ihre Traurigkeit zu unternehmen. Ich arbeite schon mit krebskranken Jugendlichen, seit ich das Waisenhaus verlassen habe und nach Boston gezogen bin. Und ich hatte damals selber einen guten Freund, der mir gezeigt hat, wie man selbst mit schwerer Krankheit glücklich werden kann. Man muss auch mal etwas andere Wege gehen und sei es einfach, wenn man Melonen vom Dach wirft, alte Fabrikhallen mit Graffitis beschmiert oder sich mit seinen Freunden zum Feiern trifft. Naja, ich habe eben meine ganz eigenen Methoden und vielleicht habe ich ja deshalb so einen Erfolg, weil ich nicht diesen Standardmist abarbeite, den die Psychologen einem vorbeten.“ „Das Geheimrezept sind seine absolut verrückten Ideen und weil er anscheinend für jedes Problem eine Lösung hat“, ergänzte Andrew und grinste, wobei er Oliver einen freundschaftlichen Schlag auf den Arm gab. Beide lachten und schienen wirklich ein Herz und eine Seele zu sein. Oh Mann, dachte Beyond und hatte selbst Spaß an der Szene. Wenn Rumiko das sieht, die würde gar nicht mehr aus dem Grinsen herauskommen und mit Sicherheit noch herumquietschen wie irgend so ein verrücktes Fangirl. Aber wenigstens herrschte nicht mehr so eine bedrückte Stimmung wie vorhin und da sie jetzt zu viert waren, standen ihre Chancen ja auch nicht so schlecht, dass sie es schaffen konnten, Clear und Sam zu schnappen, ohne dass es ernste Verluste gab. „Und wann genau hat es zwischen euch gefunkt?“ fragte L und starrte die beiden neugierig an, wobei er wieder an seinem Daumen zu knabbern begann. Oliver und Andrew tauschten kurz Blicke aus und erzählten von der Party und wie es dann einfach zwischen ihnen passiert war. „Der Anfang war ein klein wenig schwierig, weil Andy immer so Schiss hatte, er könnte nicht gut genug für mich sein, aber ich hab ihm den Quatsch schnell wieder ausgeredet und ihn mehr als deutlich überzeugt, dass wir beide zusammengehören. Und selbst meine Stalker-Kollegin Cynthia hat es nicht mal geschafft, uns auseinanderzubringen.“ „Okay, dann lassen wir euch beide mal in Ruhe. Aber macht uns nicht das Sofa kaputt, L und ich haben da auch schon unseren Unfall gehabt.“ Zur Strafe für diesen mehr als unmöglichen Kommentar kassierte der Serienmörder einen strafenden Seitenhieb und der hatte es in sich. Beyond sank stöhnend zusammen und verzog das Gesicht. „Ach Mensch, L. Das war doch nur Spaß.“ „Was musst du auch so peinliche Geschichten vor den beiden erzählen? Es reicht schon, wenn deine Schwester meint, sie müsste aus unserem Liebesleben einen Manga machen, aber deshalb brauchst du noch lange nicht jeden Menschen erzählen, dass wir beim Sex die Couch geschrottet haben!“ L verstummte und bemerkte viel zu spät, was ihm da eigentlich gerade herausgerutscht war und kassierte erst mal einen heftigen Lacher von Oliver und Andrew, die das natürlich mehr als lustig fanden. Aber sie konnten den Meisterdetektiv mit ihrer peinlichsten Geschichte trösten. „Ist doch nicht so wild. Andy und ich haben bei unserem Ausflug nach Las Vegas viel Schlimmeres erlebt. Wir wollten bloß in eine Bar feiern gehen und dann wachen wir am nächsten Morgen mit Filmriss auf dem Billardtisch auf. Ich war splitterfasernackt und er trug einen Frauenfummel und eine blonde Perücke, was wohl eine Marylin Monroe Verkleidung sein sollte. Wir waren so strallevoll gewesen und wie sich herausstellte, hat uns irgendein Spaßkopf K.O.-Tropfen in die Drinks gemischt. Und dann noch die eine Nacht in diesem Hotel in Bangkok…“ Andrew reagierte sofort und presste eine Hand auf Olivers Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Olli, das ist jetzt aber wirklich zu viel des Guten. Das war für mich mehr als peinlich genug und ich war ja schon heilfroh, dass wir noch am selben Tag ausgecheckt haben. Und überhaupt: dieser Vorfall war ganz allein deine Schuld, ja?“ „Wieso denn meine Schuld? Was konnte ich denn dafür, dass das Zimmermädchen das „Bitte nicht stören“-Schild übersehen hat und einfach ins Zimmer reingekommen ist?“ „Du hast die Tür halb offen stehen lassen und ich war nackt ans Bett gefesselt, während du dich natürlich ins Bad verkrochen hast.“ „Ach bitte, Andy! Wir waren immerhin in Thailand. Da kann die Zimmermädchen rein gar nichts mehr schocken. Ich wette, die haben schon viel schlimmere Dinge zu Gesicht bekommen und so einen süßen Körper wie deinen bekommen sie auch nicht alle Tage zu Gesicht.“ „Ich dreh dir noch den Hals um, wenn du nicht langsam mal dein vorlautes Mundwerk hältst, Olli.“ Ich sehe schon, dachte L und schüttelte den Kopf. Irgendwie läuft es bei den beiden auch nicht anders als bei uns. Oliver ist anscheinend genauso ein Knallkopf wie Beyond. Und der soll so einfühlsam sein? Nun ja, wahrscheinlich hat er sich ganz schön zurückgehalten, bis Andrew genug Selbstvertrauen hat und jetzt, da die beiden inzwischen auf einer Wellenlinie sind, ärgern sie sich gegenseitig. Oh Mann, das kann ja noch heiter werden. Oliver entschuldigte sich hastig bei Andrew, hatte aber auch eine andere Geschichte parat, um ihn eine reinzuwürgen. „Aber so unschuldig bist du ja nun auch wieder nicht, oder? Du hast mir beim Paintball in den Arsch geschossen.“ „Weil du geschummelt hast.“ „Und was war, als du mich beim Turmspringen heruntergeschubst hast?“ „Das war, weil du deine doofen Kommentare nicht lassen konntest.“ „Und die Sache beim Lasertag, als du mir eiskalt in den Rücken geschossen hast, obwohl wir im selben Team waren und das Spiel gerade erst angefangen hatte?“ „Das hattest du dir auch selber zuzuschreiben, mein Freund. Also spiel dich hier mal nicht als Engelchen auf!“ Andrew kniff ihn zur Strafe in die Nase und funkelte ihn warnend an. L und Beyond ließen die beiden allein und als sie die Tür hinter sich schlossen, mussten sie schmunzeln. „Die beiden sind wirklich genauso schlimm wie wir zwei. Aber jetzt siehst du ja, dass die beiden glücklich miteinander sind. Nämlich auf ihre eigene schräge Art und Weise. Also kannst du doch dein Misstrauen gegen Andy endlich begraben.“ L seufzte und sah ein, dass Beyond wohl Recht hatte. Andrew war glücklich und man sah ihm an, dass er Oliver liebte, auch wenn dieser manchmal genauso frech war wie Beyond. Und wenn die beiden tatsächlich bald heiraten wollten, dann gab es auch keinen Grund mehr, irgendetwas befürchten zu müssen. „Ja okay, ich hab’s gesehen. Offenbar ist er wirklich über dich hinweg. Und ich verspreche auch, dass ich in Zukunft etwas entspannter sein werde, wenn du dich mit Menschen triffst, zu denen du ein freundschaftliches Verhältnis hast.“ „Danke, L. Das bedeutet mir sehr viel und außerdem gibt das ohnehin nur Falten im Gesicht, wenn man sich so oft unnötig Sorgen macht. Na komm, trinken wir erst mal einen Tee und…“ Beyond sprach nicht weiter, sondern runzelte etwas irritiert die Stirn. Er wurde mit einem Mal ganz still und als L fragte „Was ist los?“, legte er nur einen Zeigefinger an die Lippen, um ihm zu signalisieren, er solle still sein. Dann legte er ein Ohr an die Tür, um zu hören, was da im Arbeitszimmer vor sich ging. Er verharrte einen Moment so, dann ergriff er L’s Arm und ging mit ihm in Richtung Wohnzimmer. „Mo-moment mal Beyond“, rief der Detektiv, der überhaupt nichts mehr verstand. „Was ist denn los mit dir?“ „Die beiden wollen erst mal ungestört sein.“ „Wie bitte? Sie wollen doch nicht etwa…“ „Was denn? Gönn es ihnen doch ruhig.“ „Aber in meinem Arbeitszimmer???“ „Da haben wir es doch auch schon oft genug gemacht, also macht es doch auch keinen großen Unterschied mehr. Na komm, wir trinken jetzt erst einmal einen Tee und dann schauen wir nach, ob Clear nicht vielleicht irgendwo was in die Luft gejagt hat, damit wir herausfinden können, wo er sich aufhält.“ L sagte nichts mehr dazu und folgte ihm, dann setzten sie sich gemeinsam ins Wohnzimmer auf die Couch. Beyond schnappte sich ein Glas Marmelade und L ein paar Süßigkeiten und schon ging die Suche los. Es dauerte nicht lange, da hörten sie etwas von einer Wohnungsexplosion in der Second Street. Die Ursache war noch nicht geklärt, aber so wie es aussah, musste es sich um zwei Granatenexplosionen handeln, da sich kurz hintereinander zwei Explosionen ereignet hatten, woraufhin auch Teile des oberen Stockwerks heruntergekracht waren. Zeugen berichteten von einem jungen Mann, der aus dem zweiten Stock gesprungen und weggerannt sei, wobei er beschossen wurde und wenig später kam ein blonder Mann mit einer blutenden Kopfverletzung aus dem Haus. Als L und Beyond das lasen, waren sie gleichermaßen verwirrt und sahen einander fragend an. „Das sind doch Clear und Sam gewesen, oder?“ „Sieht so aus“, murmelte L und begann einen Zuckerwürfel zu lutschen. „So wie es aussieht, haben die beiden einen Streit gehabt. Clear hat die Wohnung gesprengt und ist abgehauen und Sam hat versucht, ihn zu erschießen.“ Doch so ganz wollte Beyond das noch nicht glauben und er schüttelte den Kopf. „Was zum Teufel ist bei denen bloß kaputt, dass sie sich jetzt gegenseitig umbringen wollen? Ich dachte, sie arbeiten zusammen.“ „Dachte ich ja auch, aber man muss auch folgende Faktoren bedenken: Sam tötet ausnahmslos jeden, der ihm im Weg steht und der nicht mehr von Nutzen für ihn ist. Folglich also hat er Clear nur deshalb geholfen, um selber aus dem Gefängnis entkommen zu können und als er ihn nicht mehr gebraucht hat, wollte er ihn töten. Und offenbar hatte Clear das Gleiche vor, weil er dich mit niemandem teilen will.“ „Meine Fresse. Ich bin ja noch begehrter als ein Playboyheft in einer Priesterschule. Eigentlich müssten wir uns doch zurücklehnen und abwarten, bis die beiden sich gegenseitig umgebracht haben. Wir müssten nur dafür sorgen, dass sie wieder aufeinandertreffen. So wie ich die beiden kenne, werden die keine Sekunde zögern, um sich gegenseitig ins Jenseits zu befördern. Clear ist nachtragend wie ein Elefant und Sam… na ja, er ist eben Sam.“ Zugegeben, so ganz schlecht war der Plan nicht. Wenn es wirklich stimmte und die beiden hatten sich dafür entschieden, den anderen umzubringen, konnten sie das zu ihrem Vorteil nutzen, um sie auszuspielen. Fragte sich nur, wie sie das am Besten anstellen konnten. Vielleicht… mit einem Köder? Kapitel 7: Der Zorn ------------------- Es war kalt und dunkel. Beyond fühlte sich unbehaglich und irgendwie nahm er einen seltsamen Geruch wahr. Dieser Geruch kam ihm so unheimlich vertraut vor und er spürte eine innerliche Kälte und wie ihm eine Gänsehaut kam. Die Luft war schwer von diesem Geruch und schon fast überwältigend. Es machte ihm das Atmen schwer und ihm wurde schlecht. Als er die Augen öffnete, überkam ihn das Entsetzen, als er vor sich ein einziges Blutbad sah. Überall lagen Menschen… ihre Körper waren aufgeschlitzt, in Stücke gerissen, von Kratz- und Bisswunden übersät und überall war Blut… so viel Blut. Wie um alles in der Welt war das nur passiert und wieso konnte er sich an nichts erinnern? Hatte er etwa gänzlich die Kontrolle verloren und wieder einen Rückfall gehabt? Aber wer waren all diese Menschen? Seltsamerweise klebte nicht mal Blut an seinen Händen oder an seiner Kleidung und auch sonst schien nichts darauf hinzudeuten, dass er es war, der all diese Menschen umgebracht hatte. Doch wer war es dann gewesen, wenn nicht er selbst? Beyond sah sich um, fand aber nichts als Leichenberge und Seen aus Blut vor. An einigen Stellen ging es sogar knöchelhoch und der Gestank von Blut und langsam einsetzender Verwesung wurde mit jedem Atemzug immer intensiver und erdrückender. Sein Kopf fühlte sich wie gelähmt an und irgendwie wurde ihm ganz benommen zumute. War das hier vielleicht ein Traum? Es musste so sein, denn irgendwie wirkte das alles hier so surreal, dass er es sich eigentlich nicht anders erklären konnte. Dabei… dabei konnte er hier doch ganz klar Häuser und Autos erkennen. Er war eindeutig in Boston. Aber… es war alles zerstört und überall lagen Leichen herum, als hätte ein entsetzliches Blutbad stattgefunden. „Komm her…“ Beyond blieb stehen und sah sich um. Schon wieder diese Stimme, die ihn rief. Irgendwie hörte er sie schon fast ständig in seinen Träumen und konnte sich einfach nicht erklären, wem sie gehörte und warum sie wollte, dass er zu ihr kommen sollte. Er sah auch keinen triftigen Grund, warum er das tun sollte. Denn instinktiv fürchtete er sich auch davor, was passieren würde, wenn er dieser Stimme folgte. Also entschied er sich dagegen und machte sich auf die Suche nach einem Weg, wie er aus diesem mehr als verrückten Traum aufwachen konnte. Hoffentlich weckt L mich gleich, weil er mir entweder das Ohr vollsabbert, schnarcht oder mir wie schon so oft die Decke klaut oder mich aus dem Bett schubst, weil er sich immer so herumwälzen muss. So ganz geheuer ist mir dieser Traum ja nicht so wirklich. Als wäre der letzte Traum mit diesem Wesen an den ganzen Schläuchen nicht schon abgedreht genug gewesen. „Hey? Ist hier irgendjemand? Hallo! Ich will aufwachen, verdammt!“ Keine Antwort, aber das hätte er sich ja auch gleich denken können. In Träumen ging es ja nie so zu, wie man es gerne haben würde. Und aus Träumen aufwachen war ja auch nicht gerade einfach. Das wurde in „Inception“ ja mehr als oft genug bewiesen. Nach und nach bahnte sich Beyond seinen Weg durch die Straßen aus Blut und Leichen und fand schließlich sein Haus wieder, wo er mit L wohnte. Ob sich da vielleicht ein Ausweg befand? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Der Serienmörder öffnete die Haustür und sah sich um. „L? Watari?“ Er stieg die Treppen hinauf und war verwirrt, denn er fand gar nicht die Umgebung wieder, die er eigentlich in Erinnerung hatte. Stattdessen fand er sich in seinem Elternhaus wieder. Aber wieso war er auf einmal hier? In der Ferne hörte er Stimmen. Schreie, die von Wut zeugten und dann Schmerzenslaute. Ihm drehte sich der Magen um, als er sich wieder erinnerte. Diese Stimme, die da so herumbrüllte… das war sein Vater. Und diese anderen Stimmen waren er und Rumiko, als sie noch klein waren. Diese verzweifelten Kinderstimmen schrieen und weinten, bettelten um Gnade und unwillkürlich hielt sich Beyond die Ohren zu, um das nicht mit anhören zu müssen. Doch die Stimmen wurden immer lauter und lauter und schwollen zu einem ohrenbetäubenden Krach an, der ihm fast das Trommelfell zerriss. Dann verstummte es plötzlich und um ihn herum wurde es mit einem Male dunkel. Langsam nahm er die Hände von seinen Ohren und hörte ein leises Kichern. „Hallo?“ rief er und ging weiter. Es war so dunkel, dass er nicht einmal die Hand vor Augen sah, geschweige denn den Boden unter seinen Füßen. Er befand sich in absoluter Finsternis. „Ist hier jemand?“ „Ja, genau vor dir!“ Ein rotes Augenpaar leuchtete in der rabenschwarzen Finsternis auf und erschrocken wich er ein paar Schritte zurück. Aus der Dunkelheit war ein Mädchen aufgetaucht. Sie war nicht älter als 13 oder 14 Jahre, trug ein viel zu großes weißes Hemd und ebenso weiße Hosen. Sie lief barfuß und ihr dunkelbraunes schon fast schwarzes Haar war gut und gerne einen Meter lang, vielleicht sogar noch etwas länger. Bei knapp 1,50m Größe schon eine erstaunliche Länge. In der Iris ihres linken Auges leuchtete ein goldener Ring, den Beyond schon mal gesehen hatte. Nämlich in dem anderen Traum, wo ihm diese Gestalt mit den weißen Haaren erschienen war. Das Mädchen sah süß aus, aber zugleich ging ein wahnsinniger und mörderischer Glanz von ihren Augen aus und instinktiv spürte der Serienmörder, dass sie gefährlich war. „Wer bist du?“ fragte er und ging noch ein paar Schritte zurück. Das Mädchen grinste ihn an und kicherte. Es war ein wahnsinniges Grinsen, welches ihn an Clear erinnerte. Nein… nicht an Clear, sondern an das namenlose Monster in seinem Inneren. „Ich? Nun, ich bin du.“ „Das kann nicht sein.“ Das Mädchen kam näher und blieb direkt vor ihm stehen. Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und sah ihn mit ihren rubinroten Augen an. „Und ob ich das bin. Ich habe viele Gesichter… das hier ist nur eine Gestalt, die ich annehme. Und doch bin und bleibe ich das, wovor du dich am allermeisten auf der Welt fürchtest. Nämlich du selbst.“ Beyond wich weiter zurück, denn allmählich wurde ihm dieses Mädchen mehr als unheimlich. Sie brach in ein lautes wahnsinniges Gelächter aus und langsam begann die Dunkelheit um sie herum zu verschwinden. Sie befanden sich wieder auf den zerstörten Straßen von Boston, die mit Leichen gepflastert waren. Das Mädchen lachte immer noch, bereitete die Arme aus und begann schon fast zu tanzen. Erst jetzt sah Beyond auch das viele Blut an ihrer Kleidung. Sie hatte es getan… sie hatte all diese Menschen umgebracht. „Warum hast du das getan?“ „Warum?“ wiederholte sie und blieb stehen, dann sah sie ihn mit ihren großen Augen an und lächelte. „War das denn nicht schon immer dein tiefster Wunsch gewesen? Hast du dir nicht allen Menschen auf der Welt den Tod gewünscht, weil du sie so sehr hasst?“ „Ich hasse sie schon, aber ich würde niemals so etwas tun! Ich will es auch nicht.“ „So?“ Plötzlich war das Mädchen verschwunden und als Beyond sich umschaute, fand er sie etwas weiter weg auf dem Dach eines Busses sitzend. „Was ist denn dein größter Wunsch? Die Menschheit endlich auszurotten, damit sie dich nie wieder wie ein Monster behandeln? Oder willst du sie retten?“ „Das ist mir egal. Ich will nur, dass es L und den anderen gut geht. Das ist alles, was ich mir wünsche.“ Wieder lachte das Mädchen und schien sich regelrecht über seinen Wunsch lustig zu machen. Dann lehnte sie sich zurück und betrachtete den düsteren und wolkenverhangenen Himmel. „Du kannst nicht vor deiner Natur davonlaufen, Beyond. Du und ich, wir sind eins. Genauso wie du ein Teil von mir bist, so bin ich ein Teil von dir. Und solange du das nicht akzeptierst, wirst du immer nur vor dir selbst davonlaufen wie ein erbärmlicher Feigling.“ „Was genau bist du überhaupt?“ rief er und wurde so langsam wütend. Dieses Mädchen ging ihm allmählich auf die Nerven und er hatte keine Lust, sich länger von ihr für dumm verkaufen zu lassen. „Ich bin… Eva.“ Eva? Sie war die Eva, von der Andrew und Watari erzählt hatten? Nein, das konnte doch nicht sein. Das musste ein Witz sein. „Du bist nicht Eva. Du lügst.“ „Nun, streng genommen bin ich nur ein Fragment von Eva. Ich bin… Evas Zorn. Ihr Hass auf diese Welt und die Menschen. Ich hasse alles, was lebt und existiert. Die warmen Strahlen der Sonne, die Menschen, die Kinder und Tiere, den Regen, den Winter und den Sommer, die Sterne am Himmel und den Wind in den Bäumen. Alles ist mir zuwider und kann meinetwegen aufhören zu existieren. All dies hier ist Evas Wunsch nach Rache und Vergeltung für das, was die Menschen ihr und ihrer Familie angetan haben. Ich bin ihr Wunsch, die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen und alles Leben auf dieser Welt auszulöschen. Ja, ganz Recht. Du Beyond, bist mit ihrem Hass zur Welt gekommen und er wird dich eines Tages verschlingen und dann wirst du als erstes die Menschen töten, die dir etwas bedeuten. Egal wie oft du auch versuchst wegzulaufen, letzten Endes wird Evas Zorn dich vereinnahmen und du wirst ihrem Wunsch Folge leisten und alles töten und zerstören, was um dich herum ist.“ Beyond starrte das Mädchen fassungslos an und konnte nicht glauben, was er da hörte. Das ist doch nicht wahr… das war alles nur ein Traum und nicht mehr. Und überhaupt: was bildete sich diese kleine Göre ein zu behaupten, er würde nach der Pfeife von irgendjemandem tanzen? Das konnte die sich mal getrost abschminken. „Hör doch auf, so einen Müll zu erzählen. Ich ordne mich niemandem unter und ich werde auch nie und nimmer L oder irgendjemandem sonst etwas antun.“ Doch das Mädchen lachte nur und verschwand wieder. Als ihr Gelächter direkt hinter ihm ertönte, drehte er sich um und erschrak, als er sich selbst plötzlich sah. Nein, das war nicht er, sondern das Monster. Der einzige Unterschied war, dass sein Spiegelbild diesen goldenen Ring in der Iris hatte, was eigentlich nur bedeuten konnte, dass es das kleine Mädchen war, welches sein Aussehen angenommen hatte. „Solange du an „seiner“ Seite bleibst, ja. Aber glaub mir, es wird der Tag kommen, an dem dich der Zorn endgültig übermannt und du den letzten Rest deiner Menschlichkeit verlierst. Du wirst zu Evas Hass werden und nur noch den Wunsch kennen, diese widerwärtige menschliche Rasse auszulöschen, bis auf das letzte Kind. Akzeptier lieber, was du wirklich bist und hör auf, dir vorzumachen, du seiest ein Mensch. Es bringt dir gar nichts, deine wahre Natur noch weiter zu verleugnen.“ „Halt doch endlich deine Klappe!“ rief Beyond und hatte nun endgültig die Geduld verloren. Er stürzte sich auf sein Spiegelbild, konnte es zu Boden ringen und begann nun damit, es zu würgen. „Ich bin von niemandem die Marionette, klar? Ich hab meinen eigenen Willen und ich werde nicht zulassen, dass L und den anderen etwas passiert.“ Doch sein anderes Ich lachte nur und machte nicht einmal Anstalten, sich zu wehren. „Wann wachst du denn endlich aus deinen Wunschträumen auf? Zorn kann keine Leben retten, sondern nur zerstören. Deshalb wirst du niemanden retten können. Du kannst nur töten und verletzen. Das ist das Schicksal, welches du von Eva bekommen hast.“ „Du lügst. Solange L an meiner Seite ist, werde ich nie wieder Menschen so leichtfertig töten, ganz egal ob ich sie hasse oder nicht.“ Doch sein anderes Ich hörte nicht auf zu lachen und ihn zu verspotten. Es grinste nur höhnisch und erwiderte „Du und L, ihr seid Feinde. Ihr seid zwei verschiedene Pole, die nicht dazu bestimmt sind, miteinander zu harmonieren. Ordnung und Chaos haben noch nie in Einklang existieren können, also ist es vorbestimmt, dass ihr beide niemals glücklich miteinander werdet!“ Beyond drückte noch fester zu. Er wollte das nicht hören. Er wollte diese Stimme zum Schweigen bringen, die nichts als Gift verspritzte. Dieses Monster log. Er und L konnten zusammen glücklich werden, daran glaubte er fest und er wollte sich auch von niemandem sagen lassen, was er zu tun und zu lassen hatte. Nie und nimmer würde er L und den anderen etwas antun. Solange L da war, hatte er keinen Grund dazu und inzwischen hatte er sich genug im Griff, um zwar ziemlich sauer zu werden, aber nicht gleich zum rasenden Berserker zu mutieren. Und deshalb wollte er auch nicht akzeptieren, was sein anderes Ich da sagte. Er drückte immer weiter zu, bis sich die Gestalt nicht mehr bewegte und kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Erschöpft keuchte er und begann seinen Griff zu lockern. Endlich hatte er Ruhe vor diesem… Ding. Doch dann sah er, wie sich das Gesicht dieses Wesens erneut zu verändern begann. Die Augen nahmen ein tiefes Schwarz an und als er sah, dass es L’s Gesicht war und er nicht sein monströses Ich, sondern L erwürgt hatte, schrie er auf. „Beyond! Wach auf!“ Schweißgebadet und mit rasendem Herzschlag erwachte der Serienmörder und zitterte am ganzen Körper. Großer Gott… was war das nur für ein schrecklicher Traum gewesen? Er war so aufgewühlt, dass er erst gar nicht merkte, dass er im Bett lag und sogleich spürte er, wie jemand ihn in den Arm nahm. Es war L. Was für ein Glück, dachte er und beruhigte sich langsam wieder. Es war nur ein Traum gewesen. „Mensch Beyond, was war denn los mit dir? Du hast mit einem Male so laut geschrieen und um dich geschlagen. Hattest du wieder einen Alptraum?“ Bevor Beyond antworten konnte, klopfte es an der Tür und kurz darauf kam auch schon Andrew herein. Er sah ein wenig verschlafen aus und schien wohl lange wachgeblieben zu sein. „Was ist denn los? Wer schreit denn hier so?“ „Entschuldigt“, murmelte Beyond und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. „Ich… ich habe nur schlecht geträumt. Das ist alles.“ Damit stand er auf und ging hastig ins Bad, um sich eine eiskalte Dusche zu gönnen. Andrew setzte sich zu L und sah besorgt aus. „Hat er öfter solche Alpträume?“ „Nur kurz nachdem sich diese Sache mit Sam und Clear ereignet hat. Aber selbst da hat er niemals so laut geschrieen. Vielleicht hat er diese Träume, weil er Angst hat.“ Andrew nickte nachdenklich und fuhr sich durch sein etwas zerzaustes dunkelrotes Haar. „Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass ihn irgendetwas mitnimmt und er vor irgendetwas Angst hat. Ich kenne Beyond schon lange genug und so habe ich ihn nur erlebt, als er erkannt hat, dass meine Lebenszeit langsam zu Ende ging. Irgendetwas muss ihn belasten. Wahrscheinlich hat er Angst um dich und seine Adoptivschwester… oder aber er fürchtet sich davor, wieder einen Rückfall zu erleiden. Immerhin wäre er gestern beinahe auf Olli losgegangen, wenn ihr ihn nicht beruhigt hättet.“ L dachte nach und fragte sich, ob das wirklich die Antwort war und ob Beyond tatsächlich Angst hatte, er könne die Kontrolle verlieren. Aber bis jetzt hatte er sich doch immer gut beherrschen können und er hatte es sogar schon geschafft, sich selbst wieder zu beruhigen. „Das macht doch keinen Sinn. Du und ich, wir sind die einzigen Menschen, die es zustande bringen, ihn wieder in den Griff zu bekommen, wenn er durchdreht. Da besteht doch kein Grund dazu.“ „Mag schon sein. Aber was, wenn Beyonds Angst darin besteht, dass wir eines Tages nicht mehr dazu in der Lage sind und er die Menschen umbringen wird, die er eigentlich beschützen will? Nun gut, ich habe ihm geholfen, Ryuzaki als Kompromiss zwischen ihm und diesem Monster zu erschaffen, aber ob das auch immer reichen wird, kann niemand von uns sagen. Und die quälende Frage ist eben, was du tun wirst, wenn Beyond nie wieder derselbe sein wird. Wirst du dann noch in der Lage sein, genügend Objektivität zu bewahren und die richtige Entscheidung zu treffen?“ Als L diese Frage hörte, sah er Andrew misstrauisch und schon fast feindselig an. Was wollte der denn jetzt mit dieser Frage bezwecken? Wollte er ihn auf die Probe stellen, oder wie durfte er das verstehen? „Was willst du damit sagen?“ Andrew spürte, dass L nicht gerade begeistert von dieser Frage war, aber er musste sie stellen, weil er ihm auch mal die Realität vor Augen halten musste, dass Beyond gefährlich war und man auch im schlimmsten Fall damit rechnen musste, dass er eines Tages gar nicht mehr zu Sinnen kam. „L, ich will deine Beziehung zu Beyond nicht schlecht reden oder so. Ich freue mich wirklich für euch beide und ich sehe auch, wie glücklich er an deiner Seite ist. So locker, wie er in deiner Gegenwart ist, war er noch nie! Aber ich will dich nur daran erinnern, dass Beyond immer noch ein ernstes Problem mit seiner Persönlichkeitsstörung hat. Es kann eines Tages zum schlimmsten Fall kommen, wo ihn niemand mehr zu Vernunft bringen kann und er gänzlich den Verstand verliert, so wie Clear. Ich hoffe natürlich von ganzem Herzen, dass es niemals dazu kommen wird, aber… ich möchte, dass du dir im Klaren bist, dass es passieren könnte. Und wenn es dazu kommt, musst du das Richtige tun und dafür sorgen, dass er niemandem etwas antun kann. Tut mir Leid, wenn ich dich damit belaste.“ L schwieg und senkte den Blick. Natürlich hatte er Beyonds Problem nicht aus den Augen verloren und er machte sich ja auch Sorgen, dass er eines Tages nicht mehr in der Lage sein würde, ihn unter Kontrolle zu bringen. Aber bis jetzt hatte er es immer geschafft und Beyond war auch schon in der Lage, sich selbst im Zaum zu halten. Doch wenn es wirklich dazu kommen sollte, dass er endgültig den Verstand verlor, dann musste L seine Pflicht tun und Beyond für immer wegsperren. Er musste ihn von der ganzen Welt isolieren um zu verhindern, dass er noch die Menschen verletzen konnte, die er liebte. Davor hatte L am meisten Angst, nämlich dass er Beyond verlieren könnte. Andrew legte aufmunternd eine Hand auf seine Schulter und seine grünen Augen leuchteten im schwachen Licht der Nachttischlampe wie Smaragde. „Wie schon gesagt, ich wollte dir das nur mal gesagt haben. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Beyond wirklich so wird wie Clear, liegt bei gerade mal 2,04%. Er liebt dich und durch dich scheint er genug Kraft zu haben, um seine Aggressionen unterdrücken zu können. Und der gestrige Vorfall scheint ja auch eher die Ausnahme gewesen zu sein, weil er mit Clear und Jeremiel so schlimme Erfahrungen gemacht hat. Und glaub mir, wenn er dich nicht hätte, dann würde das Risiko eines Rückfalls auf gut 72,98% ansteigen. Du siehst also, dass ihm die Beziehung mit dir echt gut tut und du mehr für ihn bist, als nur sein Lover. Du bist der Grund für ihn, gegen seinen eigenen Hass anzukämpfen und nicht aufzugeben. Deshalb bist du auch der einzige Mensch, der ihn glücklich machen kann. Entschuldige noch mal, dass ich dich damit vollquatsche. Ich geh mal Olli ablösen, der braucht jetzt selber erst mal eine Mütze Schlaf.“ Mit einem lauten Gähnen stand Andrew wieder auf und ging ins Arbeitszimmer. L selbst blieb im Bett sitzen und dachte nach. Irgendwie gingen ihm Andrews Worte doch schon ein wenig an die Nieren und er dachte an gestern, als Beyond ausgerastet war, als er von Sams und Clears Ausbruch erfahren hatte. Wenn Oliver nicht gewesen wäre, dann hätte er ihn vielleicht gar nicht in den Griff bekommen. Nicht auszudenken, wenn die Situation noch weiter eskaliert wäre. Wenig später kam Beyond zurück und wirkte immer noch etwas durcheinander. Irgendetwas beschäftigte ihn sehr und auch als er sich zu L ins Bett legte, da war dieser sorgenvolle Blick immer noch nicht verschwunden und so fragte der Detektiv „Beschäftigt dich dieser Traum noch?“ „Irgendwie schon. Sag mal L, glaubst du, dass der Zorn Menschen retten kann?“ Eine Weile schwieg L und war ein wenig verwirrt und verstand die Frage auch nicht so wirklich. Ob es mit Beyonds Traum zu tun hatte? Er überlegte sich eine Antwort. „Das weiß ich nicht. Aber es gibt Menschen, die aus Liebe andere Menschen töten. Vielleicht kann der Zorn indirekt Leben retten. Aber auch wenn Zorn destruktiv ist, ist er nicht unbedingt schlimm, weil er auch zum Leben dazugehört wie Schmerz und Traurigkeit. Und es gibt verschiedene Arten von Zorn. Er muss nicht unbedingt aus reiner Unzufriedenheit kommen, sondern vielleicht auch daher, wenn man sieht, wie andere schlecht behandelt werden. Zwar ist er immer noch ein negatives Gefühl, aber in dem Moment auch wertvoll. Zorn gehört zum Leben dazu. Machst du dir etwa Gedanken wegen deinem Wutausbruch?“ „Ja, ehrlich gesagt schon. L… sollte es jemals dazu kommen, dass ich mich gar nicht mehr unter Kontrolle bringen kann und die anderen in Gefahr bringe, dann müsst ihr mich töten, ja? Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich dir, Rumiko oder den anderen etwas antun würde.“ L sah ihn fassungslos an und wurde wieder von dieser tiefen Angst ergriffen. Beyond verlangte doch nicht wirklich allen Ernstes, dass man ihn töten sollte, wenn er gänzlich seinem inneren Monster verfiel. „Jetzt hör aber sofort auf mit diesem Quatsch“, rief er und gab ihm einen kräftigen Stoß. „Niemand wird dich töten und ich werde nicht zulassen, dass du gänzlich den Verstand verlierst, okay? Gemeinsam schaffen wir das schon, also hör auf, dir irgendwelche Sorgen deswegen zu machen. Egal was auch passiert, ich bin für dich da und werde nichts unversucht lassen, damit du wieder der Mensch wirst, den ich liebe.“ Kapitel 8: Familie ------------------ Am nächsten Morgen trafen sie sich alle zum Frühstück. Oliver hatte sich die Freiheit genommen, alles vorzubereiten und steckte alle mit seiner typischen guten Laune an, während Andrew noch etwas Schlaf nachholte, da seine Nacht recht kurz war. Beyond hatte den Laptop geholt und unterhielt sich mit Rumiko über Webcam. Diese schien sichtlich Spaß zu haben, trotz der Tatsache, dass sie kaum ihre Unterkunft verlassen durfte und meist auf Schritt und Tritt von Soldaten begleitet wurde. Aber sie sah es positiv. „Zumindest komme ich in den Genuss, echt heiße Soldaten an meiner Seite zu haben und ehrlich gesagt schwebt mir schon die nächste Romanze vor. Hey, was hältst du von der Idee: Ein an der Front kämpfender Soldat wird von einer Rebellengruppe gefangen genommen und verliebt sich in den Anführer. Ist das nicht heiß? Fast genauso eine heiße verbotene Romanze wie zwischen dir und L.“ Da sie nicht wusste, dass alle anderen auch mithörten, war es umso peinlicher für L. Oliver brach in lautes Gelächter aus und konnte sich kaum einkriegen, L verschluckte sich fast an seinem Kaffee und Watari sagte rein gar nichts dazu. Aber das Schmunzeln ließ sich bei ihm nur schwer übersehen. Beyond seufzte und schüttelte den Kopf. „Echt Mann, Rumi. Du hast zu viele Yaois gelesen, weißt du das? Hinterher wünschst du dir noch, du wärst selbst ein Kerl, nur damit du schwul sein kannst, oder?“ „Würde ich mir ehrlich gesagt tatsächlich wünschen. Aber dann würde ich doch nicht Mutter werden können. Und diese zwei Rabauken will ich nur ungern gegen einen Penis eintauschen. Auch wenn ich dann andererseits nicht mehr dieses monatliche Frauenproblem hätte…“ „Ähm Rumi, dir ist aber schon klar, dass alle anderen gerade mithören, oder?“ „… Ups…“ Oliver, der vor lauter Lachen schon keine Luft mehr bekam, kippte fast vom Stuhl und bekam sogar Tränen in den Augen. „Ach Mensch Beyond, deine Schwester ist echt der Oberhammer.“ Nun war selbst Rumiko verlegen und wurde rot im Gesicht. „Warum sagst du mir das nicht vorher, du Blödmann? Wer ist denn noch alles hier?“ „Na L, Oliver, ich und der alte Zausel.“ „Naja, dann ist es ja nicht ganz so schlimm. Aber könntest du wenigstens etwas höflicher sein und Watari nicht immer einen alten Zausel, einen Tattergreis oder einen alten Knacker nennen?“ „Er weiß, was er getan hat und er beschwert sich ja eh nicht. Und überhaupt, du bist nicht meine Mutter.“ „Pass auf was du sagst, oder ich komme zu dir rüber und dann leg ich richtig los.“ Doch da kam schon Jamie herbei und konnte seine Frau beruhigen. Rumiko war momentan noch schlimmer drauf, was aber auch daran lag, weil sie wegen ihrer bevorstehenden Geburt irgendwie ununterbrochen unter Strom stand und sie sich vor allem deshalb so aufregte, weil sie erstens nicht mehr in ihre Kleider reinpasste und ihre Absatzschuhe auch vergessen konnte, dann kamen ihre Stimmungsschwankungen hinzu und sie war bei weitem nicht mehr so mobil wie sonst und wurde von allen wie ein rohes Ei behandelt. Eigentlich auch zu Recht, denn immerhin war sie schon im neunten Monat, da konnte es sich nur noch um Tage handeln, bis die Zwillinge zur Welt kamen. Beyond räusperte sich und fragte „Und wie fühlst du dich sonst?“ „Hervorragend! Ich hab quasi das Rundum-Sorglos-Paket gekriegt und bis jetzt scheint auch alles ruhig zu sein. Die beiden Kleinen treten aber zwischendurch ganz schön ordentlich, wobei ich dann manchmal echt denke, die spielen in meiner Gebärmutter Fußball! Ich hoffe nur, ich muss nicht allzu lange hier bleiben. Zwar kümmern die sich gut um uns, aber ehrlich gesagt bezweifle ich, dass diese strammen Jungs in der Lage sind, ordentliche Geburtshilfe zu leisten, wenn es plötzlich schon soweit sein sollte und der Arzt gerade nicht in der Nähe ist. Die meisten stehen mit Sicherheit noch unter Welpenschutz!“ „Ähm Ruby, die können dich hören.“ „Ach Gottchen. Sorry Jungs, war nicht so gemeint!“ Na Hauptsache, es ging ihr und den Zwillingen gut und sie hatte dort jede Hilfe, die sie kriegen konnte. „Keine Bange, Bruderherz. Wenn es soweit ist, rufe ich euch gleich sofort an, versprochen! Pass mir ja gut auf L auf und sei wenigstens ein bisschen netter zu Watari, ja?“ Beyond verabschiedete sich von ihr und klappte dann den Laptop zu. Immer noch bekam Oliver dieses Grinsen nicht aus dem Gesicht und lachte. „Beyond, deine Schwester ist echt die Beste. Hätte nicht gedacht, dass die berühmte „Mama Ruby“ auch im Privatleben so eine Marke ist.“ Sie hat eindeutig zu viele Schwulenbekanntschaften, dachte sich L und trank seinen Zuckerkaffee. Daher hat sie auch kaum Hemmungen, über solch intime Sachen zu sprechen. In der Hinsicht ist sie fast genauso schlimm wie Beyond und Oliver. Langsam frage ich mich, ob ich der einzig Normale hier bin. Wobei… Andrew scheint ja zum Glück auch nicht ganz so durchgeknallt zu sein. Schließlich, als sie sich gestärkt hatten und Andrew ein wenig Schlaf nachgeholt hatte, fanden sie sich im Arbeitszimmer zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. „Also so wie sich herausgestellt hat, scheinen sich Clear und Sam jetzt gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Das könnten wir zu unserem Vorteil nutzen, um sie gegeneinander auszuspielen. Was wir brauchen, ist ein Plan, um sie zu einem Ort zu locken und dann im geeigneten Augenblick festzunehmen.“ „Ich könnte doch den Köder spielen“, bot Beyond kurzerhand an und hatte damit genau das getan, was L bereits befürchtet hatte. Zugegeben, es war die naheliegendste Lösung von allen, aber trotzdem war ihm überhaupt nicht wohl dabei, dass Beyond sich schon wieder einem solchen Risiko aussetzte. Immerhin hatte das beim letzten Mal zur Katastrophe geführt. „Beyond, ich weiß nicht, ob das wirklich…“ „Jetzt versuch mal objektiv zu denken, L“, unterbrach ihn der Serienmörder und erklärte „Die beiden sind hinter mir her, das ist Fakt. Euch werden sie sofort töten, aber mich wollen sie lebend. Sam will mich für seine perversen Verhaltensstudien und Clear will mich zu seinem Spielzeug machen. Okay, ich kann auf beides verzichten. Aber wie wollen wir sie sonst aus dem Versteck locken, wenn ich nicht als Köder vor ihrer Nase herumtanze? Sam ist nicht dumm und er wird unsere Tricks sofort durchschauen und Clear wird alles sofort in die Luft jagen. Die beiden sind hochintelligent, aber Clear ist geisteskrank und Sam hat eine entscheidende Schwäche: er kann keine unserer Schachzüge durchschauen, die emotional geprägt sind, weil er von so etwas keine Ahnung hat. Und Fakt ist, dass diese Köder-Aktion auf dem ersten Blick absolut schwachsinnig ist, weil es ja der gleiche Fehler ist, den ich wieder begehe. Aber es ist die beste Methode, damit wir nicht noch einem Bombenattentat oder Sams Talent als Scharfschütze zum Opfer fallen, bevor wie sie zuerst gefunden haben. Wenn ich mich von einem von ihnen gefangen nehmen lasse, wird der andere automatisch versuchen, mich dem anderen wieder wegzunehmen. In der Hinsicht sind sie dann wie kleine Kinder, die sich um ihr Lieblingsspielzeug zanken, bis sie sich gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben, wenn man sie nicht rechtzeitig auseinander bringt.“ Trotzdem war L nicht begeistert, dass sich Beyond erneut in solche Gefahr begab. Er hatte einfach Angst, dass Sam oder Clear ihn wieder so grausam zurichten würden wie damals, als sie ihn entführt hatten, nachdem sich Beyond ihnen im Alleingang gestellt hatte. Doch dann nahm Andrew seine Armbanduhr ab und gab sie seinem alten Freund. „Die Uhr hier hat einen eingebauten Sender. Olli hat sie mir gegeben, falls etwas mit dem GSK ist, oder wenn ich in Schwierigkeiten stecken sollte. Die Uhr ist alle Male unauffälliger und der Sender lässt sich einfacher aktivieren. Du drückst zwei Mal hintereinander das Glas auf der Uhr herunter, dann wird ein Signal an Ollis Handy gesendet, woraufhin wir dich genau orten können. Wir werden dich die ganze Zeit im Auge behalten und wenn dich einer der beiden schnappt, werden wir gleichzeitig eine Fährte auslegen, falls der andere noch nichts merken sollte. Je schneller die beiden aufeinandertreffen und sich gegenseitig an die Gurgel gehen, desto besser. Dann haben sie wenigstens nicht genügend Zeit, um sich auf dich zu konzentrieren, Beyond. Da wir die öffentlichen Kameras angezapft haben und auch auf die Satelliten zugreifen können, können wir dich die ganze Zeit im Auge behalten und dich dann sofort rausholen, wenn es zu gefährlich wird.“ Beyond nahm die Uhr entgegen und sah sogleich die Widmung auf der Rückseite. Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er die Liebesbotschaft las. „Ihr beide seid ja echte Romantiker.“ „Kann ja nicht jeder so ein schräger Kauz sein, so wie du oder L.“ Beyond legte die Uhr an und gemeinsam sprachen sie noch die Einzelheiten des Plans ab, um auch auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitet zu sein. Es war schon schlimm genug, dass sich Beyond in Gefahr begeben musste, da musste er sich auch nicht länger als nötig bei Clear und Sam aufhalten müssen. Und außerdem wussten sie alle, dass Rumiko ihnen eigenhändig den Kopf abreißen würde, wenn sie Beyond nicht wohlbehalten und an einem Stück wieder vorfand. Zwar war sie für gewöhnlich ein sehr liebevoller Mensch, aber sie konnte in der Hinsicht wirklich mordsgefährlich werden. Dennoch hatte L so insgeheim seine Sorge und legte Beyond noch mal ans Herz, dass dieser bloß nicht den Helden spielen sollte. Der Serienmörder lächelte und erklärte „Ich spiele niemals den Helden, das weißt du doch. Das ist dein Job, nicht meiner. Ihr werdet mich die ganze Zeit über im Auge behalten und wenn die beiden aufeinandertreffen und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, betätige ich den Sender. Höchstwahrscheinlich wird Sam mir irgendwie wieder so einen bescheuerten Betäubungsfall reindrücken und Clear wird mir wahrscheinlich eins über die Rübe ziehen. Auf beides bin ich nicht sonderlich scharf, aber ich dürfte es auf jeden Fall hinkriegen, noch schnell genug den Sender zu betätigen. Der Rest liegt bei euch, klar? Ich verlasse mich auf euch!“ Damit bereiteten sie sich vor und Beyond nahm noch eine Pistole für den absoluten Notfall mit, sollte die Situation endgültig eskalieren. L ging schließlich ins Arbeitszimmer, um die Monitore zu überwachen, da kam kurz darauf Watari herein. „L, bedrückt Sie irgendetwas?“ fragte er und trat näher. L sah ihn nicht an und schwieg eine Weile, bevor er antwortete. „Ich habe irgendwie so ein ungutes Gefühl, Watari. Als würde irgendetwas Schreckliches passieren.“ „Sie müssen Vertrauen in die anderen haben, L. Es stimmt schon, dass Beyond alleine keine Chance gegen die beiden hat, aber eben deshalb ist es wichtig, auch auf die Stärken der anderen zu vertrauen.“ „Das weiß ich ja. Und es ist nicht so, dass ich unbedingt an Olivers und Andrews Fähigkeiten zweifle. Aber ich habe Sorge, dass es wieder passieren wird.“ Hier runzelte der alte Mann die Stirn und fragte „Was wird wieder passieren?“ „Erinnern Sie sich noch daran, als meine Mutter mich weggegeben hat? An dem Tag, als es geschneit hat und ich in der Ferne die Glocken der Kapelle gehört habe? Sie sagte, sie würde zurückkommen und mich abholen, aber ich wusste genau, dass sie nicht wiederkommen würde. Und irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass es wieder passieren wird und ich einen von ihnen nicht retten kann. Genau das bereitet mir Sorgen, Watari. Ich weiß, dass es manchmal unvermeidlich ist und wenn von Menschen die Lebenszeit abgelaufen ist, dann ist das nun mal so und dann kann man auch nichts dagegen tun. Das ist leider so, auch wenn die Realität echt hart und grausam ist. Aber trotzdem habe ich Angst.“ L senkte den Kopf und tröstend legte Watari ihm eine Hand auf die Schulter. „L, die Angst davor, einen geliebten Menschen zu verlieren, ist ganz natürlich und es verlangt auch niemand von Ihnen, dass Sie alle Ängste ablegen. Ich kann Ihnen auch keinen anderen Rat geben. Wissen Sie, als ich Fredericas Stimme vor 20 Jahren das letzte Mal hörte, da sagte sie zu mir, dass sie alles in ihrer Macht stehende tun werde, damit ihre Familie ihr Glück findet. Ich weiß nicht, wie es ihr geht und ob sie überhaupt noch die Kraft aufbringen kann, sich selber zu befreien, aber ich habe es im Gefühl, dass sie den kleinen Jungen von damals nicht vergessen hat, dem sie das Leben geschenkt hat.“ Wollte Watari etwa damit sagen, dass es eventuell sein könnte, dass Frederica ihnen helfen würde? Naja, so ganz wollte L nicht wirklich darauf vertrauen. Immerhin hätte Frederica diesen Dr. Brown doch schon längst töten können und außerdem durchschaute L auch noch nicht so wirklich, was sie eigentlich vorhatte und was sie im Schilde führte. Warum blieb sie freiwillig bei Dr. Brown, wieso hatte sie ihm zur Flucht verholfen und was sollte es bedeuten, dass sie auf jemanden wartete, der ihre Hilfe brauchte? Irgendwie schien dieses mysteriöse Mädchen mehr zu wissen, als sie zugeben wollte und so ganz traute er der Sache nicht. Solange er nicht wusste, was Frederica mit ihren Aktionen bezweckte und welche Rolle Andrew und die anderen spielten, wollte er sich lieber nicht auf sie verlassen. Sonst konnte das schlimmstenfalls noch ganz böse enden. Und er wollte das Leben der anderen nicht unnötig aufs Spiel setzen. „Egal was nötig ist, ich werde Sam und Clear hinter Gittern bringen. Und dann werde ich herausfinden, was Sam oder besser gesagt Jeremiel mit meiner Familie zu tun hat und wer er wirklich ist. Er hat alles getan, um die Spuren zu seiner Vergangenheit zu verwischen, das hat er sicherlich nicht grundlos getan. Ich werde meine Antworten bekommen und dann wird sich zeigen, ob Beyond nicht vielleicht Recht hat und Sam Leens in Wahrheit mein Halbbruder sein könnte. Oder aber Frederica hat ihn ohne das Wissen von Ihnen und meiner Familie gerettet. Das kann auch sein. Aber solange ich ihn nicht stelle, werde ich die Antwort niemals bekommen. Mich ärgert es nur, dass ich ausgerechnet Beyond als Köder benutzen muss, wo er doch schon genug mit den beiden durchgemacht hat. Ich hoffe nur, er steht das durch und wir sind rechtzeitig genug da, um ihn rauszuholen, bevor die beiden ihm wieder etwas antun können. Aber eine persönliche Frage müssen Sie mir noch beantworten, Watari.“ „Natürlich, wenn ich es denn kann. Was wollen Sie wissen?“ „Wie waren meine Eltern? Was waren sie denn überhaupt für Menschen?“ Als er diese Frage hörte, lächelte Watari traurig und etwas Melancholisches lag in seinen Augen, als er sich an damals zurückerinnerte. „Sie waren sehr herzensgute Menschen. Nastasja besaß den gleichen unbestechlichen Gerechtigkeitssinn wie Sie und konnte genauso sturköpfig und eigensinnig sein und lebte nach ihren eigenen Regeln. Aber sie war auch ein sehr liebevoller Mensch und eine wunderbare Mutter. Sie hat sich nie von irgendwelchen Gefahren abschrecken lassen und nicht eine Sekunde gezögert, als sie Frederica nach England gebracht hatte. Und sie hat sich von mir und Henry auch nichts sagen lassen. Ähnlich, wie Sie sich nichts sagen ließen, als wir Sie vor Beyond gewarnt haben. Äußerlich aber kommen Sie ganz nach Ihrem Vater Henry. Von Ihm haben Sie auch das ruhige und ausgeglichene Wesen geerbt, während Nastasja manchmal das Temperament von Rumiko haben konnte. Und er besaß eine Engelsgeduld mit Nastasja, wenn ihre Laune mal mit ihr durchging. Sie müssen wissen, Nastasjas Mutter war Italienerin und da hatte sie auch ein wenig italienisches Temperament geerbt.“ „Stimmt. Soweit ich mich recht erinnere, sagten Sie mal, ich hätte russische, italienische, englische und japanische Wurzeln.“ „Genau. Ihre Mutter war Russin, Ihre Großmutter mütterlicherseits war Italienerin. Henry war Engländer und hatte einen japanischstämmigen Vater.“ „Sieht man mir irgendwie nicht sonderlich an.“ „Nun, Henry kam auch eher nach seiner Mutter. Aber ich erkenne da auch gewisse Ähnlichkeiten mit Frederica.“ Hier war L natürlich neugierig und fragte sofort nach, was er denn mit Frederica gemeinsam habe. Der alte Mann erklärte es ihm. „Sie besitzen die gleiche aufrichtige und bedingungslose Liebe wie sie. Und Sie teilen die gleiche Angst davor, genau das zu verlieren, was Sie lieben.“ Schließlich holte Watari aus einer Innentasche seines Jacketts ein Foto heraus und reichte es L. Es zeigte eine hübsche blonde Frau, die einen Laborkittel trug und rehbraune Augen hatte und die voller Stolz ein kleines Baby im Arm hielt. Neben ihr stand ein Mann, der tatsächlich L wie aus dem Gesicht geschnitten war, allerdings hatte er keine Augenringe. Er hielt ein Mädchen an der Hand, welches sehr langes weißes Haar, kreidebleiche Haut und rot leuchtende Augen hatte. Ganz markant war hier der goldene Ring in ihrer linken Iris. Sie grinste fröhlich in die Kamera und sah sehr glücklich aus. Das waren also seine Eltern, zusammen mit ihm als Baby und Frederica, die ihm das Leben geschenkt hatte. Das war… seine Familie. „Sie haben Recht. Äußerlich komme ich tatsächlich ganz nach meinem Vater. Aber wieso kann ich mich nicht an diese Frederica erinnern?“ „Sie waren damals noch so klein gewesen, da funktioniert das Erinnerungsvermögen noch nicht sehr gut. Aber ich kann Ihnen sagen, dass Frederica fast jeden Tag mit Ihnen gespielt hat und immer, wenn Sie geweint haben, da hat sie Ihnen ein Lied vorgesungen, wenn Ihre Mutter nicht da war. Frederica hat Sie auch oft ihren „kleinen Bruder“ genannt.“ Offenbar schien Frederica sich sehr um ihn gekümmert und ihn auch sehr geliebt zu haben. Aber warum nur konnte er sich nicht an sie erinnern? Sie hatte ihm das Leben ermöglicht und sie hatte Andrew zur Flucht verholfen… Und sie befand sich seit zwanzig Jahren in Gefangenschaft und wurde mit großer Wahrscheinlichkeit grausamen Experimenten ausgesetzt. „Watari, wenn die Sache mit Sam und Clear durchgestanden ist, dann werde ich mich auf die Suche nach Frederica machen und sie von Dr. Brown wegholen. Und ihn werde ich höchstpersönlich zur Rechenschaft ziehen, so viel steht fest.“ „Frederica würde sicher wollen, dass Sie sich zuerst um Beyond und die anderen kümmern. Sie ist stark und sie wird sich sicher was dabei gedacht haben, als sie sich gefangen nehmen ließ.“ Damit ließ Watari ihn alleine, um den anderen bei den Vorbereitungen behilflich zu sein. L blieb noch eine Weile vor den Bildschirmen sitzen und versuchte sich zu sammeln und die einzelnen Schritte des Plans noch mal durchzugehen und welche Szenarien alle zutreffen könnten. Auch wog er ab, in welchem Fall Beyond die größeren Chancen hätte, wenn er entweder von Clear oder von Sam erwischt wurde. Nun, bei Sam hatten sie den Vorteil, dass er nicht alles gleich in die Luft jagen würde. Er würde seine Flucht viel unauffälliger gestalten und mehr Wert darauf legen, schnellstens unterzutauchen. Das wäre aus seiner Sicht die effektivste Variante. Clear hingegen würde sofort das Feuer eröffnen, wenn ihm jemand zu nahe kommen sollte und er würde natürlich sofort mit Verfolgern rechnen und von der eventuellen Vorgehensweise der beiden wäre es eigentlich besser, wenn Beyond an Sam Leens geraten würde. Sam war eindeutig der Stratege, der sich darauf konzentrierte, besonders effektiv vorzugehen und seine Gegner mit dem geringstmöglichen Aufwand schnellstmöglich zu töten. Clear würde sofort Amok laufen und ein reinstes Chaos verursachen. Ja, im Idealfall würde Beyond Sam in die Hände fallen, dann konnte man die Lage wenigstens genauer abschätzen. L steckte das Foto ein und ging zu den anderen zurück. Diese hatten inzwischen die Vorbereitungen abgeschlossen und Beyond steckte gerade zusätzlich ein Messer als Waffe für den Fall der Fälle ein. Er sah sehr ernst und gefasst aus und ging direkt auf L zu, dann umarmte er ihn. „Ich geh dann mal los, L. Und keine Sorge, mir passiert schon nichts. Versprochen! Ich verlasse mich darauf, dass ihr mich nicht hängen lasst und ich werde auch nichts Leichtsinniges tun.“ „Ist gut. Wir werden dich sofort rausholen, wenn es brenzlig wird und dann werden wir die beiden sofort dingfest machen.“ Damit verabschiedete sich Beyond und sah sehr optimistisch aus, aber L blieb trotzdem dieses ungute Gefühl, dass noch irgendetwas schrecklich schief laufen könnte… Und bei zwei so gefährlichen Individuen wie Sam und Clear konnte jeder Fehler zur Todesgefahr werden. Für gewöhnlich kein großes Ding für L und auch nicht sonderlich neu, denn er jagte immer so gefährliche Mörder und Psychopathen. Aber dieses Mal war es anders. Es war nicht so, dass er diesen Kampf alleine austrug, so wie früher. Nein, er hatte Menschen an seiner Seite, die ihm helfen wollten. Menschen, die ihm wichtig waren und die wie eine Art Familie für ihn waren. Und er hatte einfach nur Angst davor, diese Familie zu verlieren. Kapitel 9: Das Spiel geht los ----------------------------- Beyond sah sich unruhig um und auch wenn er es nie und nimmer vor den anderen gerne zugegeben hätte, hatte er Angst und insgeheim fragte er sich, warum er sich noch mal auf diesen Schwachsinn eingelassen hatte. Aber als er sich wieder an seinen Wutanfall erinnerte und an seinen Traum, da wurde er sich wieder seiner Gründe bewusst. Ich muss die anderen unbedingt beschützen. Vor Sam und Clear, aber auch vor mir selbst. Schön und gut, dass Andrew und L es bis jetzt immer geschafft haben, mich wieder zu beruhigen, aber was ist, wenn dieser Traum wirklich stimmt? Bin ich wirklich der Zorn Evas, der die ganze Menschheit ausrotten will? Ist es das, was ich tatsächlich bin und wofür ich geboren wurde? Es fiel ihm mehr als schwer, das wirklich zu glauben und er wollte auch nicht wirklich wahrhaben, dass er eines Tages gänzlich von seinem Wahnsinn vereinnahmt werden und damit L und die anderen in Gefahr bringen könnte. Nie und nimmer wollte er das zulassen und deshalb wollte er auch nicht akzeptieren, dass es ihm niemals bestimmt war, mit anderen Menschen zusammenzuleben. Dieses dunkelhaarige Mädchen, von dem er geträumt hatte… war das nur eine Traumgestalt, oder hatte es mehr damit auf sich? Sagte sie nicht, sie sei ein „Fragment“ von Eva? So einen Scheiß hatte er bis jetzt noch nie geträumt, aber irgendwie beschlich ihn das seltsame Gefühl, als würde er dieses Mädchen kennen… und als würde es die Wahrheit sagen. Aber wenn es wirklich so war, dass er Evas Hass und ihren Wahnsinn in sich trug, warum existierte er dann überhaupt in dieser Welt? War er etwa dazu geboren worden, Menschen zu töten? Doch wieso? Wieso nur wollte diese Eva alle Menschen töten? Ich sollte echt aufhören, mir über so etwas Gedanken zu machen und mich nicht so bescheuert machen lassen. Dieses ganze Gequatsche über eine unvergängliche Eva und dem Ursprung der Seele und über ein Albino-Mädchen mit Superkräften macht mich ja noch ganz bescheuert. Das ist doch sowieso alles totaler Blödsinn. So etwas gibt es nicht und wird es auch nie geben. Aber andererseits… ich bin doch auch nicht normal. Ich habe die Augen eines Shinigami und diese Geschichte mit Kira hat doch mehr als deutlich bewiesen, dass es nun mal Dinge gibt, die nicht von dieser Welt sind. Und wenn es die Death Notes schon gibt, die Menschen töten können, wieso soll es dann nicht auch ein passendes Gegenstück dazu geben? Aber bin ich deswegen gleich die Marionette eines gottähnlichen Wesens, das in der Lage ist, alles Leben auszulöschen und zugleich neues Leben zu erschaffen? Nein verdammt! Ich bin nicht die Kreation irgendeiner grauen Eminenz oder eines abartigen „Overminds“ der meint, wir sind nichts Weiteres als Insekten in einer Ameisenfarm und er könne uns nach Lust und Laune nach seinem Willen steuern. Und selbst wenn es so wäre, ich werde mich nicht von dieser Eva manipulieren und in den Wahnsinn treiben lassen. Und sollte es dazu kommen, dass ich endgültig den Verstand verliere, dann bringe ich mich lieber selbst um, bevor ich L und den anderen etwas antun kann. So einfach kriegt mich niemand klein. Ob ich mich vielleicht deshalb freiwillig in Gefahr begebe, obwohl ich weiß, dass die beiden mir noch den Rest meines eh schon verkorksten Daseins zum Alptraum machen werden, wenn mich die anderen nicht rechtzeitig retten kommen? Was zum Teufel ist denn eigentlich los mit mir? Seit ich mit L zusammen bin, habe ich mir kein einziges Mal Sorgen darum gemacht, dass ich erneut einen Rückfall erleiden und mich dann nicht mehr beruhigen könnte. Der Gedanke an L und an meinen Schwur, ihm niemals wehzutun, hat mir bei Clear und Sam geholfen, wieder zu Verstand zu kommen. Also warum fühl ich mich dann auch einmal so elend und würde am liebsten laut schreien und sogar heulen? Vielleicht, weil ich tief in meinem Herzen weiß, dass dieses Mädchen in meinem Traum tatsächlich Recht hat und ich bin die Ausgeburt des Zorns. Aber wenn dem so ist, wie konnte ich dann meinen Hass auf L begraben und mich auf seine Liebe einlassen? Und wieso konnte ich Andrew helfen, wenn ich doch angeblich ein Monster bin, das nichts als Zorn verkörpert? Es muss doch noch etwas anderes in mir geben, als nur der Drang danach, alle zu töten. Ich will einfach nicht glauben, dass ich nur existiere, um alles und jeden zu hassen und umzubringen. Warum wäre ich denn sonst geboren worden? Dann hätte ich meine Eltern doch damals schon umgebracht und Rumiko und Jamie wahrscheinlich auch… Beyond war selbst erstaunt, dass ihm dieser Alptraum so nahe ging. Das Schlimmste war ja nicht mal, was dieses Mädchen zu ihm gesagt hatte, sondern dass er plötzlich nicht sie erwürgt hatte, sondern L. Das war das Allerschlimmste gewesen, was er je geträumt hatte. „Komm her…“ Schon wieder diese Stimme, die ihn rief. Das war nicht die Stimme des dunkelhaarigen Mädchens aus seinen Träumen, so viel stand fest. Aber wessen Stimme war es dann und wieso rief sie immer nach ihm? „Nein, ich werde dir nicht folgen. Ich bin doch nicht bescheuert. Lass mich in Ruhe.“ Er ging um eine Straßenecke und bemerkte, dass er langsam aber sicher Kopfschmerzen bekam. Was zum Teufel war denn nur los mit ihm? Irgendwie wurde das alles immer seltsamer seit Andrew und Oliver nach Boston zurückgekehrt waren. Oder hatte es schon vorher angefangen und er hatte es nur nicht gemerkt? Etwas war hier im Gange, das spürte er ganz deutlich, aber er konnte es noch nicht genau bestimmen. Innerlich überkam ihn eine Gänsehaut und er musste wieder an diesen einen Traum mit dem weißhaarigen Wesen denken, das an diversen Schläuchen angeschlossen war und versucht hatte, auf ihn zuzukriechen. Was hatte es nur von ihm gewollt und wieso war auch Sam in dem Traum vorgekommen? Entweder muss ich ernsthaft mal über meine Ernährung nachdenken, oder aber ich sollte wieder zum Psychologen gehen. Ist nur schwierig, auch einen geeigneten zu finden, der sich nicht gleich nach der ersten Therapiesitzung die Kugel gibt. Oder krieg ich vielleicht irgendwie eine Sommererkältung und hab deshalb so abgefuckte Träume? Ernsthaft, ich mach mir hier Gedanken um irgendwelche Träume, dabei spiel ich hier gerade den Köder für einen psychopathischen Bombenleger und einem emotionslosen eiskalten Killer, der vielleicht L’s lange verschollener Bruder sein könnte. Ich hab echt Nerven, ausgerechnet in so einer Situation an solch einen Scheiß zu denken... Beyond blieb kurz stehen, schloss die Augen und atmete tief durch. Er musste sich konzentrieren und bei der Sache bleiben. Jetzt hieß es vor allem, sich auf seine Wahrnehmung zu konzentrieren. Sein Vorteil war ja, dass er rechtzeitig spüren konnte, wenn er verfolgt oder beobachtet wurde. Insbesondere von gefährlichen Individuen. So hatte er ja auch damals sehr früh gespürt gehabt, dass Sam ihn beschattet hatte. Aber bis jetzt merkte er noch gar nichts. Vielleicht brauchte er ja eine Weile, bis die beiden ihn endlich fanden. Je schneller er die Sache hinter sich brachte, desto besser. Oder wollten die beiden lieber warten? Nein, das hatten sie bereits bei der Planung geklärt. Da Sam und Clear getrennte Wege gingen und dennoch das gleiche Ziel verfolgten, war es für sie von allerhöchster Wichtigkeit, dem anderen zuvorzukommen, koste es was es wolle. Also würde es heute noch geschehen. Dessen waren sich L, Oliver und Andrew mehr als einig gewesen. Beyond ging schließlich um eine Straßenecke und spürte, wie ihm ein unruhiges Gefühl kam und wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Er war bereits im Visier. Von irgendwo her beobachtete ihn jemand. Aber wer war es? Clear oder Sam? Das ließ sich nur schwer sagen und als er sich umsah, konnte er niemanden erkennen. Also ging er weiter und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und den Ahnungslosen zu spielen. Dabei achtete er genau auf seine Symptome, denn die verrieten ihm auch oft genug, wer es denn vielleicht sein könnte, der ihn verfolgte. Und was er spürte, war unterschwellige Aggression wachsende Nervosität, aber jetzt keine richtige Angst. Also war es eher unwahrscheinlich, dass es Sam sein könnte. Nun, persönlich betrachtet war es ihm auch deutlich lieber, wenn er nicht an Sam geriet. Zwar hätte er bei ihm deutlich bessere Chancen , auch wieder befreit zu werden, aber es war nicht abzustreiten, dass er eine Scheißangst vor diesem emotionslosen Kerl hatte, der in seinen Augen unmöglich ein Mensch sein konnte. Bei Clear hatte er deutlich schlechtere Karten, aber vor dem hatte er wenigstens nicht so eine Angst, weil der Kerl wenigstens etwas Menschliches besaß und man auch wusste, was in seinem Schädel vor sich ging. Beyond beschleunigte seine Schritte ungewollt und sah sich unauffällig nach allen Seiten um. Auf offener Straße würde Clear ihn sicherlich nicht überwältigen. Der Kerl war zwar geisteskrank, aber nicht dumm. Die Wahrscheinlichkeit war viel größer, dass er ihn vielleicht in ein Auto zerren und dann abhauen würde. Na, dann will ich das Spiel doch mal mitspielen, dachte er sich und ging nun etwas näher am Straßenrand entlang und wurde wieder langsamer. Eine Weile ging er so, aber es folgte nichts. Irgendwann wurde es Beyond doch zu dumm und so blieb er stehen und machte Anstalten, sein Handy herauszuholen, dabei drehte er sich unauffällig mit dem Rücken zur Straße und tat ahnungslos, da packte ihn jemand von hinten und hielt ihn mit unglaublicher Kraft fest. „Na? Hast du mich vermisst, Beyond?“ Clear… Geistesgegenwärtig betätigte der BB-Mörder den Sender an der Armbanduhr und versuchte sich irgendwie zu befreien, da kassierte er auch schon einen kräftigen Schlag ins Genick, woraufhin er fast das Bewusstsein verlor. Sogleich stieß Clear ihn auch schon in den schwarzen Van und legte ihm Handschellen an, bevor sein Opfer noch die Chance bekam, sich großartig zu wehren. Ein breites, psychopathisches Grinsen zog sich über seine Lippen und er hatte sichtlich Spaß. „So, jetzt machen wir zwei Hübschen einen kleinen Ausflug.“ „Ach? Hast du Sam etwa abgesägt?“ „Stimmt genau. Aus einer Dreierbeziehung wird also leider nichts. Aber mach dir mal keine Sorgen. Ich werde mir alle Zeit der Welt für dich nehmen und dann werden wir genau da weitermachen, wo wir zuletzt aufgehört haben.“ „Fahr doch zur Hölle, du Psycho. Wenn du mich auch nur einmal anfasst, dann kastriere ich dich eigenhändig und lass dich an deinen Eiern ersticken!“ „So gefällst du mir am besten. Ich werde schon dafür sorgen, dass wir noch zusammen unseren Spaß haben werden.“ Clear begann ihn daraufhin zu durchsuchen und fand auch schon die Pistole. Das war aber nicht ganz so tragisch, denn das Messer hatte Beyond weitaus besser versteckt. Schusswaffen waren eh nicht sein Ding. „Na, na! Wolltest du mich etwa damit erschießen?“ „Ich hätte dir zuerst zwischen die Beine geschossen als Dankeschön dafür, was du mir damals angetan hast.“ Clear schüttelte den Kopf und steckte die Pistole selbst ein. „Anscheinend brauchst du dringend wieder eine Lehrstunde, da die letzte offenbar nicht erfolgreich genug war. Ein so ungezogenes Haustier wie dich muss man richtig trainieren, sonst wird das nie was.“ „Du kannst mich mal kreuzweise und wenn du unbedingt ein Haustier haben willst, schaff dir doch nen Hund an, aber lass mich damit in Ruhe.“ Damit verpasste Clear ihm einen kräftigen Tritt in den Brustkorb, welcher Beyond die ganze Luft aus den Lungen presste. Stöhnend vor Schmerz krümmte er sich zusammen und sogleich folgte noch ein Tritt ins Gesicht. „Lass dir das schon mal eine kleine Lektion sein, dass du nicht so mit deinem Besitzer reden solltest. Du gehörst mir und du gehorchst auch einzig und allein mir und zwar bedingungslos! Aber ein so ungezogenes Haustier wie dich kriege ich mit den nötigen Mitteln noch richtig dressiert, dazu brauche ich diesen Verräter Sam gar nicht.“ Aha, also hatte L mit seiner Vermutung tatsächlich Recht gehabt und Sam hatte versucht, Clear umzubringen, weil dieser ihn nicht mehr gebraucht hatte. „Oh? Dann hat sich das Ehepaar verkracht?“ Diesen Spott konnte und wollte sich Beyond einfach nicht verbergen. Er hasste Clear und am liebsten hätte er ihn hier und jetzt auf der Stelle umgebracht, aber er tat es nicht. Er wollte sich an den Plan halten und warten, bis Sam Clears Spur aufnahm und ihn dann in einen Kampf verwickelte. Außerdem war dieser Bombenheini ein verdammter Weltmeister in Krav Maga und darum war es umso dümmer, sich einfach so mit ihm anzulegen. Der würde nicht mal zehn Sekunden brauchen, um jemanden wie Beyond auf die Matte zu schicken. Erneut kassierte der BB-Mörder einen Tritt ins Gesicht und für eine Sekunde wurde ihm schwarz vor Augen. „Dir wird das Lachen noch vergehen. Das verspreche ich dir.“ Und mit einem weiteren Tritt verlor Beyond endgültig das Bewusstsein. Schreie… Alles, was er hörte, waren Schreie und Pferdegewieher. Er spürte die Hitze von Feuer und vernahm den unverkennbaren Gestank von Rauch und verbranntem Fleisch. Als er die Augen öffnete, sah er, dass es dunkel war. Überall lag Schnee und in der Ferne erkannte er brennende Häuser. Menschen rannten in Panik davon, viele von ihnen waren Frauen, die Kinder bei sich hatten. Schwarz gekleidete Gestalten auf ebenso schwarzen Pferden jagten mit Speeren und Schwertern hinter ihnen her und metzelten sie gnadenlos nieder. Diese schwarzen Reiter trugen Waffen und Fackeln bei sich und am Sattel hingen die Schädel von Hunden wie ein okkultes Zeichen. Es herrschte das blanke Chaos und überall sah er, wie Menschen davonrannten und grausam abgeschlachtet wurden. Manche wurden zusammengetrieben und dann einzeln hingerichtet, indem man sie verbrannte, gefesselt in den Fluss warf oder sie gleich enthauptete. Was war das hier nur für ein Traum und wo war er hier nur? „Mama!!!“ Eine Stimme erweckte seine Aufmerksamkeit und als er sich umschaute, entdeckte er zwei Mädchen. „Mama! Papa!!!“ Beyond erkannte eines der Mädchen wieder. Es war jenes mit den langen dunkelbraunen Haaren und den roten Augen. Sie lief zusammen mit einem etwas älteren blondhaarigen Mädchen rannten zusammen mit einer brünetten Frau, einem blonden Mann mit ernster Miene und einem Jungen von knapp 18 oder 19 Jahren, der vom Aussehen her ein Albino zu sein schien, aus einem brennenden Haus. Obwohl ein regelrechtes Chaos herrschte, sah Beyond etwas Merkwürdiges: Die Frau, die beiden Mädchen, der Albino-Junge und der Mann hatten allesamt einen goldenen Ring in der Iris ihres linken Auges. Die Frau hielt die beiden Mädchen an den Händen und versuchte ihr Haar vor dem Feuer zu schützen. Das blonde Mädchen wandte sich an den Mann und zerrte an seinem Ärmel. „Papa, was sollen wir machen? Unser Haus brennt und Mama ist nirgendwo!“ „Sie wird wahrscheinlich im Wald sein. Maria, du nimmst die Kinder und versteckst dich mit ihnen im Wald. Ich werde sie solange aufhalten.“ „Mach keinen Unsinn, Jasha. Die werden dich töten!“ Doch sogleich zog er ein Schwert und stellte sich vor die anderen. „Ich werde nicht zulassen, dass sie meiner Familie etwas antun, verstanden? Bringt Sophie und die anderen weg von hier!“ Doch es war offensichtlich, dass er nicht die geringste Chance hatte. Die schwarzen Gestalten auf den Pferden preschten direkt auf sie zu und der Mann namens Jasha schaffte es noch, zwei der Männer von ihren Pferden zu holen, bevor ihm der Kopf abgeschlagen wurde. Kurz darauf trafen mehrere Pfeile den Albino in den Rücken, als er sich schützend auf das blonde Mädchen warf. „Chasov!“ rief sie und sah mit Entsetzen die schweren Verletzungen ihres Freundes. „Chasov, bitte steh auf!“ „Sophie, du musst weglaufen. Na los, lauf zusammen mit Maria und Anja in den Wald und versuch, deine Mutter zu finden. Los doch!“ „Nein, ich geh nicht ohne dich weg.“ „Du gehst jetzt!!“ Sophie duckte sich im letzten Augenblick unter einem Schwerthieb hinweg und versuchte in dem Chaos zu fliehen. Sie kroch über den Boden, schaffte es nicht auf die Beine und hatte Tränen in den Augen. Ein schwarzer Hengst bäumte sich vor ihr auf und wieherte laut, während sein Reiter die Axt erhob. Das Mädchen hatte nicht den Hauch einer Chance gegen ihn und die anderen. Sie war wie vor Angst erstarrt und schrie, dann traf einer der beschlagenen Hufe sie schwer am Kopf und so fiel sie leblos zu Boden und regte sich nicht mehr. Nicht weit entfernt sah Beyond das dunkelhaarige Mädchen davonrennen, ihre Mutter lag ebenfalls am Boden und so wie es aussah, war sie von den Pferden totgetrampelt worden. Doch anstatt die Flucht zu ergreifen, was eigentlich sinniger gewesen wäre, drehte sie sich um und in diesem Moment loderte der mordlustige Hass in ihr auf. „Ihr verdammten Monster“ schrie sie wutentbrannt und plötzlich regnete es mit einem Male Blut. Beyond konnte nicht genau erkennen, was es war, aber er sah, wie die Körper der Männer von innen heraus zu explodieren schienen und wie etwas ihnen regelrecht die Schädel zerfetzte. Das Mädchen ergriff eines der Schwerter und begann damit schreiend um sich zu schlagen wie eine wild gewordene Furie. Sie war vollkommen durchgedreht und schien den Verstand verloren zu haben. „Ich will, dass ihr alle verreckt!!!“ Trotz ihrer Körpergröße und ihres Alters schaffte sie es, erheblichen Widerstand zu leisten und mehrere Männer zu töten, oder zu verletzen. Ein Pfeil traf sie in den Rücken, doch sie schien den Schmerz gar nicht wahrzunehmen. Wie eine Berserkerin griff sie alles und jeden an, der ihr zu nahe kam und steckte jede Verletzung weg, ohne ihr überhaupt Beachtung zu schenken. Und wen sie nicht mit dem Schwert erschlagen konnte, dessen Körper wurde regelrecht von innen heraus zerfetzt. Als sie ihre Angreifer in die Flucht geschlagen hatte, ließ sie das Schwert fallen und eilte auf das Mädchen zu, welches von dem Huf am Kopf schwer verletzt wurde und stark blutete. „Sophie, Sophie du musst aufstehen! Wach doch bitte auf!“ Doch sie regte sich nicht und es war auch unmöglich festzustellen, ob sie überhaupt noch am Leben war. „Sophie!“ Weiter konnte das dunkelhaarige Mädchen nicht sprechen, als ein Pfeil ihre Kehle durchbohrte und sie damit tötete. Und daraufhin verschwand alles in tiefe Dunkelheit und das Letzte, was Beyond noch hörte, war ein letzter verzweifelter Schrei und wie jemand bitterlich weinte. Beyond riss die Augen auf und fand sich im Inneren des Vans wieder. Was zum Teufel war das denn schon wieder für ein Traum gewesen? Das war ja fast noch schlimmer als der von dem kleinen Mädchen allein, dieser… dieser… Ja richtig, der Name dieses Mädchens war Anja. Das Mädchen, das da in diesem Traum diese Männer getötet hatte, war Anja. Aber wieso ausgerechnet dieser Name? Dieser Name sagte ihm überhaupt nichts und er hatte ihn auch nie zuvor gehört. Ebenso wenig konnte er mit dem Traum selbst viel anfangen. Wie viel Zeit war denn überhaupt vergangen, seitdem Clear ihm diesen Kopftritt verpasst und ihn damit schlafen geschickt hatte? Mit etwas gekonnter Übung schaffte er es, seine auf den Rücken gefesselten Hände unter seinen Beinen hindurchzuzwängen und somit einen Blick auf die Uhr zu werfen. Gerade mal ein paar Minuten war er ohnmächtig gewesen. Und so wie es aussah, ging die Fahrt noch weiter. Na wunderbar… dann würde es noch dauern, bis Sam endlich anrückte und Clear an… Beyond brachte den Gedanken nicht zu Ende, als ein heftiger Ruck durch den Wagen ging und er sofort den Halt verlor und hinfiel. Er hörte das laute Quietschen der Bremsen und kurz darauf schrie Clear „Verdammte Scheiße, dieser Bastard gibt wohl nie auf!“ Mit etwas Mühe gelang es Beyond, sich irgendwo festzuhalten und gerade wollte er einen Blick aus dem Wagen werfen, doch da durchbohrte eine Kugel die Windschutzscheibe und sauste knapp an ihren Köpfen vorbei. Na, da bin ich wohl im richtigen Moment aufgewacht, dachte er und konnte sich irgendwo doch noch festhalten. Jetzt ist die Kacke richtig am Dampfen… Kapitel 10: Eskalation ---------------------- Clear riss erneut das Steuer rum, als Sam wieder das Feuer eröffnete. Die Kugeln bohrten sich durch das Metall und rissen Löcher in den Van und ganz knapp verfehlte eine dieser Kugeln Beyond. Na super, dachte er und versuchte sich irgendwie zu ducken und gleichzeitig irgendwo Halt zu finden, da die Fahrt allmählich turbulent wurde. Jetzt geht der Spaß also richtig los. Warum nur zum Teufel hab ich denn keinen Sicherheitsgurt? Wenn der weiter so wie ein Irrer durch die Gegend fährt, wird das fast genauso ein Schleudergang wie in einer Waschmaschine werden. Ein weiterer Schuss ertönte, schien aber wohl nicht getroffen zu haben, aber auf das Glück sollte man sich bei so einem guten Schützen wie Sam besser nicht verlassen. Ohne Vorwarnung drückte Clear das Gaspedal durch und die Drehzahl des Vans schoss augenblicklich in die Höhe. Beyond gelang es, sich noch geistesgegenwärtig genug festzuhalten, bevor er noch nach hinten geschleudert werden konnte und war heilfroh, dass er wieder seine Hände halbwegs benutzen konnte, sonst würde das hier noch die absolute Katastrophe werden und er würde noch gnadenlos durch den Wagen geschleudert werden. Fragte sich nur, wie lange es dauern würde, bis L und die anderen endlich dazwischen schreiten und ihn hier rausholen würden, bevor Sam und Clear ganz Boston noch in ein Schlachtfeld verwandelten. Zumindest hatten Phase 1 (Entführung) und Phase 2 (Aufeinandertreffen der beiden) prima funktioniert. Jetzt musste nur noch ein geeigneter Moment geschaffen werden, wo er hier abhauen konnte, ohne dass er dafür noch den Arsch aufgerissen bekam. Blieb nur zu hoffen, dass es nicht allzu sehr eskalierte. Clear war jedenfalls alles zuzutrauen, wenn er stinksauer wurde. Und dass er gerade stinkwütend war, ließ sich nur schlecht übersehen und mit Sicherheit würde die Fahrt gleich noch viel turbulenter werden. Na hoffentlich bringen mich nicht noch seine verdammten Fahrtkünste um, dachte Beyond und hatte wirklich Mühe, sich mit gefesselten Händen vernünftig festzuhalten. „Hey, kannst du nicht vorsichtiger fahren? Du bringst mich noch um!“ rief er gereizt und wurde sogleich wieder zur Seite geschleudert, als Clear um eine Straßenecke bog. Der fuhr, als wäre er gerade bei einem Actionfilm, oder als hätte er viel zu viele Rennspiele gespielt. „Schnauze da hinten!“ gab der Bombenleger genervt zurück und versuchte irgendwie, Sam zu entkommen. Nur knapp konnte Beyond einen Blick auf ihn erhaschen und sah, dass er auf einem Motorrad unterwegs war und während der Fahrt wieder auf den Van zielte, um erneut zu schießen. Der israelischstämmige Bombenspezialist sah ihn hasserfüllt an und rief „So, du Mistkerl. Du willst es unbedingt auf die harte Tour? Die kannst du gerne haben!“ damit riss er erneut das Steuer herum und versuchte anscheinend, Sam zu rammen und ihn dann zu überfahren, doch dieser verlangsamte augenblicklich sein Tempo, um dem Van auszuweichen, dabei wurde Beyond erneut durch das Wageninnere geschleudert und stieß mit dem Kopf hart gegen die Tür und ein der Schmerz ließ ihn für eine Sekunde schwarz vor Augen werden. Ein rasender Schmerz durchfuhr seine Schläfe und er spürte, wie warmes Blut aus seiner Wunde floss. Da der Versuch, Sam zu rammen und ihn somit über den Haufen zu fahren, nichts brachte, griff Clear zu einer anderen Strategie. Er kurbelte das Fenster herunter und holte dann eine Granate hervor. Mit seinen Zähnen löste er den Sicherungsstift und warf sie dann auf die Straße. „Friss das, Arschloch!“ Kurz darauf ertönte ein ohrenbetäubender Knall und durch die Wucht der Explosion geriet der Wagen kurz ins Schleudern, doch Clear, der schon oft genug in Krisengebieten gewesen war, ließ sich davon auch nicht aus dem Konzept bringen. Während der Fahrt explodierenden Sprengsätzen oder irgendwelchen Schießwütigen auszuweichen, war für ihn eine ganz alltägliche Übung. „Der kriegt dich ganz sicher nicht. Ich werde ihn einfach plattfahren und dann hab ich endlich Ruhe vor diesem Mistkerl.“ Daraufhin bog Clear scharf nach rechts ab und fuhr direkt auf den Highway. Kurz darauf ertönte nicht weit von ihnen auch schon Sirenengeheul. Natürlich! Als wären ein schießwütiger Killer und ein granatenwerfender Psycho nicht schon schlimm genug, kam jetzt auch noch die Polizei dazu, um das Chaos perfekt zu gestalten. Ich hätte echt besser meine Klappe halten sollen, dachte Beyond und seufzte genervt. Irgendwie habe ich auch immer nur Pech. Vielleicht hätte ich doch besser im Bett bleiben und L noch ein wenig ärgern sollen, anstatt mich freiwillig für diese Scheiße zu melden. Wenn Clear nicht derjenige wäre, der hier gerade diese Todeskarosserie ins Verderben steuert, dann hätte ich ihm schon längst den Hals umgedreht aber nein! Ich hab ja versprochen, artig das Opfer zu spielen und nichts zu tun, was den Plan gefährden könnte. Stattdessen soll ich mich ja auf die anderen verlassen. Außerdem ist es sowieso äußerst unklug, den Fahrer umzubringen, wenn dieser gerade Rennen auf den Highway fährt und vor einem schießwütigen Motorradfahrer abzuhauen versucht, wenn auch noch die Polizei im Anmarsch ist. Wo bleiben denn eigentlich L und die anderen überhaupt? So langsam wird es aber Zeit, dass sie antanzen, um mich hier rauszuholen. Lange mach ich das jedenfalls nicht mehr mit und ich habe keine Lust, gleich als lebender Crashtest-Dummy zu enden. Clear selbst hatte wirklich alle Mühe, Sam und die Polizei irgendwie abzuhängen. Doch da er offenbar keine Lust hatte, weiterhin Rennen zu fahren, warf er kurzerhand etwas aus dem Fenster, was wie ein kleiner Metallbehälter aussah. Daraufhin betätigte er einen Zünder und ein lauter ohrenbetäubender Knall ließ Beyond kurzzeitig taub werden, als die Bombe explodierte. Die Wucht war so gewaltig, dass selbst Clear es nicht schaffte, den Wagen auf Spur zu halten und so wurde der Van durch die Luft geschleudert und überschlug sich mehrmals. Beyond schaffte es nicht, sich da noch irgendwie festzuhalten und prallte gegen die Innenwände des Wagens und Glassplitter flogen durch die Luft. Alles, was er noch wahrnahm, war, wie sich alles um ihn herum drehte und er umhergeschleudert wurde. Seine Versuche, sich irgendwo festzuhalten, versagten kläglich und dann durchfuhr ein rasender Schmerz seine Seite, als sich etwas tief ins Fleisch bohrte. Er schrie auf und auch Clear versuchte sich irgendwie festzuhalten und seinen Kopf vor Glassplittern zu schützen. Die Wagentür sprang auf und durch die Wucht wurde Beyond herausgeschleudert und fiel auf die Straße. Er prallte auf die Motorhaube eines Wagens und stürzte auf die Straße. Der Van kam schließlich endlich zum Stillstand und blieb auf der Seite liegen. Clear stöhnte und blutete am Kopf und brauchte einen Moment, um sich von dieser Schleudertour halbwegs zu erholen. „Verdammter Mist“, brachte er gequält hervor, dann kletterte er aus dem Wagen. Das Ganze hatte er sich aber auch wirklich anders vorgestellt. Offenbar hatte er sich verschätzt gehabt und da hier sowieso überall Autos unterwegs waren, war die Explosion verheerender gewesen als einkalkuliert. Ein peinlicher Anfängerfehler, der niemals hätte passieren dürfen. Aber er war einfach so sauer wegen Sam, dass er nicht großartig nachgedacht hatte. Und jetzt hatte er natürlich den Salat. Als wäre die Schusswunde am Bein nicht schon genug, jetzt musste er sich auch noch einen neuen Fluchtwagen suchen und gucken, dass er irgendwie von hier wegkam, bevor die Bullen sich durch dieses Chaos gekämpft hatten. Na wenigstens hatte er jetzt erst mal Sam Leens abgeschüttelt. Oder zumindest glaubte er das, denn er wusste leider nur zu gut, dass der Kerl verdammt schwer totzukriegen war. Nachdem er mit Mühe und Not aus dem Wagen geklettert und seine Waffe eingesammelt hatte, wollte er im Laderaum nachsehen, ob Beyond noch am Leben war, da sah er, dass die Tür fehlte. Scheiße, der war mit Sicherheit aus dem Wagen geschleudert worden, als er sich überschlagen hatte. Clear sah sich um und entdeckte ihn einige Meter weiter entfernt auf dem Boden liegen. Er eilte zu ihm hin und stellte fest, dass er noch bei Bewusstsein war, allerdings sah er auch nicht gerade gut aus und hatte eine ziemlich übel blutende Wunde am Kopf. Und wahrscheinlich hatte war das noch nicht alles, aber das interessierte Clear gerade eh nicht die Bohne. Jetzt galt es, schnellstmöglich von hier zu verschwinden, bevor Sam oder die Polizei noch eintraf und er seine Fluchtpläne mit Beyond in den Wind schießen konnte. Also packte er ihn und versuchte ihn wieder ganz zu Bewusstsein zu kriegen. „Na komm schon, wir suchen uns erst mal eine neue Mitfahrgelegenheit und verschwinden von hier.“ Doch als er ihn auf die Beine zerrte, da sah er einen immer größer werdenden Blutfleck auf Beyonds Shirt. Ein abgebrochenes Metallstück hatte sich ziemlich tief in seine Seite gebohrt und steckte fest. Na super… nachher musste er ihn wieder zusammenflicken. So wie der aussah, würde er jedenfalls keine großen Marathons mehr laufen können. Kurzerhand zog Clear das spitze Metallstück, welches gut und gerne zehn Zentimeter tief drin steckte, heraus und zerrte ihn mit sich. „Na komm, jetzt stell dich nicht so an, verdammt.“ Doch Beyond konnte sich kaum auf den Beinen halten. Er blutete stark an der Seite und auch die Platzwunde an seinem Kopf musste dringend genäht werden. Alles tat ihm weh und er schaffte es kaum, seine Sinne beisammen zu halten. Die Welt um ihn herum rückte immer mehr in weite Ferne und er nahm außer Schmerzen am ganzen Körper kaum noch etwas wahr. Ihm war schlecht und sein Kopf dröhnte entsetzlich. Wahrscheinlich hatte er auch noch eine Gehirnerschütterung. Clear zerrte ihn mit sich und steuerte sogleich auch schon einen Wagen an, der durch den Unfall bedingt stehen geblieben war. Er holte eine Pistole hervor und eröffnete das Feuer, woraufhin er den Vater der vierköpfigen Familie in den Kopf traf. „Raus aus der Karre, sofort!“ Die Frau schrie und versuchte noch, die Kinder aus dem Wagen zu holen. Doch dazu ließ es Clear nicht kommen. Er streckte sie mit einem Bauchschuss nieder und zerrte das kleine Mädchen, das nicht mal fünf Jahre alt war, aus dem Wagen und das Baby warf er einfach auf die Straße. Dann stieß er Beyond auf den Rücksitz und schloss die Tür. „Nichts als Ärger hat man. Dafür hast du einiges wieder gut zu machen, da sage ich dir jetzt schon!“ Gerade wollte Clear den toten Familienvater aus dem Wagen zerren, damit er sich selbst hinters Steuer setzen konnte, da sauste knapp eine Kugel an seinem Ohr vorbei und als er sich umdrehte, sah er Sam Leens, der sie inzwischen eingeholt hatte. Er war abgestiegen, hatte den Helm abgenommen und zielte mit seiner Smith & Wesson auf den Bombenleger. Diesem platzte fast der Kragen als er sah, dass er Sam immer noch nicht umgebracht hatte. Wie zum Teufel war das denn möglich nach alledem, was er extra veranstaltet hatte, um ihn abzuhängen? Er hatte eine Granate nach ihm geworfen und eine Massenkarambolage und eine Riesenexplosion auf dem Highway verursacht. Der Kerl war auf einem verdammten Motorrad unterwegs und war trotz allem am Leben und hatte es durch das Chaos bis hierher geschafft? Das war doch nicht möglich! Dieser verdammte Dreckskerl konnte doch nicht einfach so zu ihnen herübergeflogen sein. War der denn etwa Superman, oder was? „Sag mal, hast du neun Leben hä? Wie oft soll ich dich noch in die Luft jagen, bis du endlich tot bist?“ Sam sah ihn mit diesen eiskalten Augen an und hatte den gleichen unveränderten Gesichtsausdruck, wie er ihn schon immer hatte. Selbst nach dieser Verfolgungsjagd zeigte sich nicht eine einzige Regung in seinen Gesichtsmuskeln, die anscheinend wie festgefroren waren, was nur noch den Eindruck verstärkte, dass er kein Mensch sein konnte. Trocken und völlig unbeeindruckt antwortete er nur „Ich bin im Vorteil, das ist alles.“ „Wie im Vorteil?“ „Ich weiß, was passieren wird. Deshalb werde ich auch nicht versagen.“ „Bist du verdammter Motherfucker jetzt etwa unter die Hellseher gegangen? Ich hab endgültig die Schnauze voll von dir, du Bastard. Ich bring dich jetzt endlich um und dann muss ich deine gottverfluchte Drecksvisage nie wieder sehen. Dir reiße ich höchstpersönlich den Arsch auf, du Freak.“ Unbeeindruckt schoss Sam und obwohl Clear noch im letzten Moment auswich, traf ihn der Schuss in die Seite und er schoss sogleich auch wieder zurück. Doch dass dieser Unfall mit dem Van nicht spurlos an ihn vorübergegangen war, machte sich mehr als deutlich, denn er war nicht mehr in der Lage, vernünftig zu zielen und schaffte es nicht, Sam zu treffen. Sofort brachte er sich hinter dem Wagen in Deckung und holte aus seiner Tasche seine letzte Granate. Na warte, damit werde ich dich höchstpersönlich in die Hölle schicken. Das war’s, Sam. Auf die kurze Distanz kannst du unmöglich ausweichen. Und selbst wenn, dann wird dir trotzdem entweder ein Arm oder ein Bein zerfetzt werden. Ehrlich gesagt hoffe ich sogar darauf, denn so habe ich endlich mal die Chance, dich leiden zu sehen und mal einen anderen Gesichtsausdruck zu sehen als jenen nichts sagenden und leeren, den du sonst immer hast. Clear fand schließlich seine letzte Granate, hielt sich bereit, den Stift zu ziehen und lugte langsam hinter seiner Deckung hervor. „So Sam, jetzt ist Schluss mit lustig. Ich werde…“ Er verstummte, als er sah, dass Sam verschwunden war und verstand nun gar nichts mehr. Wieso zum Teufel war der denn jetzt auf einmal verschwunden? War er etwa abgehauen, oder war er… Als Clear den kalten Lauf der Pistole an seinem Hinterkopf spürte, erstarrte er und in dem Moment war er so gelähmt, dass er die Granate fallen ließ. Dieser Lauf an seinem Kopf… die Bilder von damals, als die Terroristen ihm einen Gewehrlauf in den Mund geschoben hatten, als sie sich an ihn vergangen hatten… Oder als sie vor seinen Augen mehrere Gefangene hingerichtet hatten, während sie auch ihn mit einem Maschinengewehr bedroht hatten. All diese schrecklichen Horrorbilder kehrten in diesem Moment zurück und Clear hatte einfach nur Angst. Er würde gleich sterben, das wusste er genau. „He-hey Sam“, brachte er mit schwacher und vor Angst bebender Stimme hervor und zitterte am ganzen Körper. „Mach jetzt keinen Scheiß, ja?“ Sam sagte nichts. Mit demselben ausdruckslosen Gesicht wie sonst drückte er den Abzug, woraufhin eine Kugel Clears Schädel durchbohrte und ihn auf der Stelle tötete. Wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte, fiel Clear zu Boden und eine Blutlache breitete sich aus. Sam stieß ihn noch kurz mit dem Fuß an um sich zu vergewissern, dass Clear auch wirklich tot war, dann ging er zum Auto und wollte offenbar gerade einsteigen, um mit Beyond zu verschwinden. Der Serienmörder war nicht mehr imstande, sich zu wehren. Wirklich alles nahm er wie durch Watte gefiltert wahr und es würde nicht mehr lange dauern, bis er wieder das Bewusstsein verlor. Er hatte eine Hand auf seine Wunde gepresst, die einfach nicht aufhören wollte zu bluten. Alles tat ihm weh und er konnte sich kaum bewegen, außerdem merkte er, wie ihm kalt wurde und ihn eine seltsame Schläfrigkeit überfiel. Verdammt, dachte er und versuchte, ruhiger zu atmen. Ich verliere zu viel Blut. Wenn das so weitergeht, dann sieht’s schlecht aus. Mensch L, wo bleibst du denn mit den anderen? Wenn ihr nicht sofort kommt, haut Sam noch mit mir ab und ich schaff es sicherlich nicht, ihn umzubringen. Mit Mühe erkannte er, wie Sam auf ihn zukam und zuerst dachte er, der Kerl würde gleich in den Wagen steigen und mit ihm abhauen, doch er blieb stehen. Was hatte der denn jetzt vor? Will er mich vielleicht ruhig stellen, damit ich keinen Ärger mache? Wortlos ging Sam zu ihm hin, packte seine Hände und… öffnete die Handschellen. Nun verstand Beyond gar nichts mehr. Was hatte das alles zu bedeuten und warum öffnete Sam ihm denn die Handschellen? Das machte doch überhaupt keinen Sinn! Besonders nicht für Sam, der doch immer komplett logisch vorging. „Wa… was hast du vor?“ „Es ist noch zu früh“, antwortete der emotionslose Killer und nahm ihm die Handschellen ab. „Wir werden uns ein anderes Mal wieder sehen. Und dann werde ich dich mitnehmen.“ Damit nahm er Beyond die Armbanduhr ab, steckte sie ein und verschwand und der BB-Mörder blieb alleine zurück. Es gelang ihm auch tatsächlich irgendwie, aus dem Auto zu steigen und sich irgendwie vorwärts zu schleppen. Doch kaum, dass er ein paar Schritte gegangen war, verlor er das Gleichgewicht und die Kraft in den Beinen und stürzte zu Boden. Sein ganzer Körper fühlte sich so schwer an… ihm wurde langsam kalt, obwohl es doch Sommer war. L… wo bleibst du? Ich muss ins Krankenhaus und zwar schnell… Seine Augenlider wurden schwer und er nahm kaum noch etwas wahr. Für einen Moment wurde es dunkel um ihn herum und er verlor das Bewusstsein. Dieser erlösende Zustand war aber nur von kurzer Dauer, denn wieder hörte er diese Stimme, die „Komm her“ flüsterte und vor der er instinktiv weglaufen wollte. Er hatte Angst vor ihr und wollte ihr nicht folgen. Denn er wusste nicht, wohin sie ihn führen würde und er wollte es auch nicht herausfinden. Das nächste, was er spürte, waren zwei Hände, die ihn auf den Rücken drehten. Nur verschwommen erkannte er, dass es L war. Er war tatsächlich hergekommen… „Beyond! Mensch Beyond, bleib bei mir, ja? Halt durch, wir bringen dich sofort ins Krankenhaus.“ Für einen Moment wurde seine Sicht wieder etwas klarer und dann sah er die Angst in L’s Augen. So hatte er ihn noch nie gesehen und es tat Beyond im Herzen weh zu wissen, dass er dafür verantwortlich war, dass L so aussah. Aber gleichzeitig war er so froh, ihn wiederzusehen. „Entschuldige L, dass ich dir schon wieder solche Sorgen mache.“ „Sprich jetzt nicht, okay? Oliver, hilf mir mal! Er verliert zu viel Blut!“ Oliver eilte mit einem Erste-Hilfe-Koffer herbei und sah sich die Verletzungen an. Gleich schon als er das blutgetränkte Shirt hochschob, sah er die Verletzung, die einfach nicht aufhören wollte zu bluten. Die Wunde war sehr tief und es würde ihn nicht verwundern, wenn schlimmstenfalls wichtige Arterien verletzt waren. „Scheiße verdammt“, murmelte er und holte sogleich alles Nötige heraus, um die Wunde wenigstens provisorisch zu schließen. „Das sieht nicht gut aus. Selbst wenn ich sie zunähen würde, wird sie nicht aufhören zu bluten. Wir können kaum etwas machen, L. Wenn nicht schnellstens der Notarzt kommt, dann siehst es schlecht für ihn aus.“ „Und was sollen wir dann machen? Wenn wir nichts unternehmen, wird Beyond noch verbluten.“ L’s Stimme bebte und er kämpfte mit den Emotionen. Noch nie hatte man ihn in einer derart schlechten Verfassung erlebt, dass die Gefühle mit ihm so durchgingen. Er war immer beherrscht und bewahrte stets die Fassung. Aber jetzt hatte er einfach nur entsetzliche Angst davor, Beyond zu verlieren. Er machte sich schreckliche Vorwürfe, dass er sich auf diesen verdammten Vorschlag eingelassen und Beyond in Lebensgefahr gebracht hatte. Obwohl alles durchgeplant gewesen war, hatte es doch nichts gebracht. Sam war immer noch nicht gefasst und würde bald wieder zuschlagen und Clear war tot. Das alles war überhaupt nicht so verlaufen, wie sie sich erhofft hatten und nun war Beyond schwer verletzt und wenn er nicht schnellstens Hilfe bekam, würde es noch lebensgefährlich für ihn werden. „Beyond, du darfst jetzt nicht schlapp machen, ja? Der Notarzt ist jeden Augenblick da und dann bringen wir dich ins Krankenhaus. Also bleib bei mir! Du hast doch versprochen, dass du mich nicht alleine lassen wirst.“ Doch als Beyond diesen verzweifelten und angsterfüllten Blick sah, kamen ihm die Tränen und er fühlte diesen tiefen Schmerz in seiner Brust. Er wusste, dass der Notarzt nicht rechtzeitig da sein würde. Der Highway war ein einziges Chaos, da kam kein Krankenwagen durch. Und selbst der Hubschrauber würde hier kaum irgendwo landen können. Und selbst wenn der Krankenwagen eintreffen würde, es gab mit Sicherheit noch viele andere Verletzte, deren Zustand ähnlich kritisch war. So oder so werde ich hier sterben, dachte er und ihm blieb nichts anderes übrig, als diese grausame und ungerechte Realität zu akzeptieren. „L…“ Er atmete schwer und ergriff die Hand des Detektivs. Es fiel ihm wirklich schwer, selbst dafür noch die Kraft aufzubringen. Seinem Körper schien jegliche Energie zu entweichen und nicht mehr lange würde es dauern, bis er wieder das Bewusstsein verlieren würde. Und wahrscheinlich werde ich dann gar nicht mehr aufwachen, dachte er und hätte am liebsten geweint… Das war so ungerecht. Warum nur musste das jetzt passieren, wo er doch endlich sein Leben geordnet und Menschen in seinem Leben hatte, die für ihn wie eine Familie waren? Wieso nur musste das ausgerechnet ihm passieren? Wo lag denn da die verdammte Gerechtigkeit? Ganz einfach, es gab sie nicht. Zumindest nicht für einen menschenhassenden Mörder wie ihn… „Eines musst du wissen: ich bin wirklich dankbar dafür, dass du immer an meiner Seite geblieben und mich nicht als einen Verbrecher gesehen hast. Und ich bin wirklich glücklich, dass du derjenige warst, der mir diese Liebe geschenkt hat… Ich habe mich wirklich… wirklich sehr glücklich gefühlt.“ „Hör auf so was zu sagen!“ rief L, als er das hörte und hielt Beyonds Hand fester. „Hör sofort auf damit, ja? Du wirst nicht sterben. Du hast doch selbst gesagt, dass dich nichts und niemand so schnell umbringen kann.“ Doch auch L wusste es, das sah der Serienmörder ihm an. Er würde es nicht schaffen. Sein Gesicht hatte bereits jegliche Farbe verloren und er wurde mit jedem Atemzug zusehends schwächer. Mit Mühe gelang es ihm, sich ein letztes Mal aufzurichten und ihn zu küssen. „Ich liebe dich, L. Bitte entschuldige, dass ich dir immer nur Kummer bereite und dir und den anderen nur Ärger mache. Aber…“ Hier brach er in Tränen aus und hielt L’s Hand fest umklammert. Er wollte nicht gehen, er wollte so sehr bei L bleiben und ihn nicht im Stich lassen. Er wollte… bei den anderen bleiben… bei seiner Familie. „Es tut mir so Leid. Aber vielleicht ist es besser, wenn ich sterbe, bevor ich wirklich zu Evas Zorn werde und euch noch etwas antue. Zorn… kann keine Menschen retten. Er bringt nur Leid und Schmerz… genauso wie ich. Deshalb ist es vielleicht besser so, wenn ich sterbe, bevor ich endgültig zu einem Monster werde und nie wieder zu Verstand kommen werde.“ „Sag so etwas nicht. Du bist kein Monster und warst auch nie eines. Du kannst nichts dafür, dass du so bist. Ich weiß das und die anderen wissen das auch. Bitte hör endlich auf damit, so zu tun, als würdest du es nicht schaffen, ja? Du hast drei verdammte Schusswunden überlebt, also wirst du auch so eine lächerliche Wunde überleben. Bitte Beyond, bleib bei mir… lass mich nicht alleine.“ L’s Fassade des unnahbaren Detektivs war endgültig zerbrochen und er konnte einfach nicht mehr die Ruhe bewahren. Nicht, wenn der Mensch im Sterben lag, den er so sehr liebte. Oliver versuchte noch irgendwie, die Blutung zu stoppen, aber es war zu spät. Die Welt um Beyond herum versank in eine tiefe Dunkelheit und selbst den Schmerz nahm er nicht mehr wahr. „Es tut mir so Leid…“ Das waren die letzten Worte, die er noch zustande brachte. Alles rückte in eine unendlich weite Ferne und er hatte nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Das Einzige, was er noch hörte, war diese Stimme, die unablässig „Komm her“ flüsterte und er spürte, wie ihn etwas sanft, aber unwiderstehlich mit sich fortzog. In diesem Moment hörte Beyonds Herz endgültig auf zu schlagen und seine Lebenszeit erlosch. Er war tot… Kapitel 11: Schock, Hoffnung, Erleichterung ------------------------------------------- L sah hilflos mit an, wie das Leben aus Beyonds Körper wich und sein Blick leer wurde. In diesem Moment war auch der letzte Rest seiner Fassung endgültig gewichen. Er ließ seinen Tränen freien Lauf und rief immer wieder Beyonds Namen. Irgendwie hoffte er noch, dass vielleicht ein Wunder geschehen und Beyond wieder aufwachen würde. Das durfte doch einfach nicht sein. Er konnte nicht wirklich tot sein! Dieser verdammte Mistkerl hatte drei Schusswunden überlebt und starb jetzt einfach so an einer einzigen Verletzung? Warum nur kam nicht endlich der Notarzt? „Beyond! Verdammt noch mal mach die Augen auf! Du hast doch versprochen, für immer bei mir zu bleiben, also hör endlich auf damit!“ Nichts tat sich… er öffnete seine Augen nicht mehr. L begann daraufhin mit Wiederbelebungsversuchen. Kampflos wollte er nicht aufgeben, aber da riss Oliver ihn weg. „L, es hat keinen Sinn“, rief er und kämpfte selbst mit den Gefühlen. „Er ist tot.“ „Nein, lass mich los!“ Oliver hatte es oft genug miterlebt, wie Eltern die schreckliche Nachricht verarbeiten mussten, dass ihr Kind tot war. Immerhin hatte er diese immer getröstet, wenn einer seiner Freunde den Kampf gegen den Krebs verlor und starb, deshalb konnte er eine emotionale Distanz wahren. Aber L so zu sehen, wie dieser so sehr unter dem Verlust litt, obwohl er immer gefasst und ruhig war, wurde selbst ihm zu viel. Er kannte Beyond nicht so gut und selbst im Waisenhaus hatte er immer eine deutliche Distanz zu ihm bewahrt. Und doch wurde er selbst von einer unendlichen Traurigkeit ergriffen, als er sah, wie er starb. Als würde er in diesem Moment einen Teil seiner Familie verlieren. Immer noch versuchte L es mit Reanimation, aber sie beide wussten, dass es sinnlos war, ganz egal wie sehr sie es auch versuchten. Beyond hatte einfach zu viel Blut verloren. Schließlich schaffte er es, L endlich davon abzuhalten und als dieser endgültig einen Zusammenbruch erlitt, nahm er ihn tröstend in den Arm und konnte selbst die Tränen kaum zurückhalten. „Es ist alles meine Schuld…“, brachte L hervor und vergrub sein Gesicht in Olivers Schulter. „Ich hätte ihn niemals gehen lassen dürfen. Ich bin schuld, dass er tot ist!“ „Nein L, du kannst nichts dafür. Es ist… es ist einfach völlig außer Kontrolle geraten.“ Schritte kamen näher und als Oliver aufblickte, sah er Andrew auf sie zurennen. Er war völlig außer Atem und brauchte einen Moment, um zu erkennen, was hier los war. Doch so ganz begriff er es noch nicht. „Olli, was… was ist denn los?“ Der Hacker senkte den Blick und sagte nach kurzem Zögern „Beyond ist tot.“ Jegliche Farbe wich aus Andrews Gesicht als er das hörte und er ließ seine Tasche fallen. „Wie bitte?“ brachte er fassungslos hervor und wich einen Schritt zurück. „Das… das kann nicht…“ „Doch. Er ist gerade gestorben…“ Stille kehrte ein, nur L’s leise Schluchzer waren zu hören, während er sein Gesicht in Olivers Schulter vergrub und am ganzen Körper zitterte. Sie alle waren geschockt darüber, dass der Plan so dermaßen aus dem Ruder gelaufen war und letztendlich Beyond das Leben gekostet hatte. Es kam ihnen so unwirklich vor, als wäre das gar nicht real. Beyond Birthday galt doch immer als nicht totzukriegen. Er hatte drei Kugeln überlebt, die er sich beim Kampf gegen Sam zugezogen hatte. Selbst die Tortur mit Clear hatte er durchgestanden und nicht einmal das Feuer beim BB-Mordfall vermochte ihn umzubringen. Warum nur war er denn jetzt tot? Einen Moment lang blieb Andrew stehen, doch dann hörte er tief in seinem Unterbewusstsein eine Stimme, die ihm zuflüsterte „Du weißt, was du tun musst…“ Und dann hob er seine Tasche wieder auf, eilte direkt auf Beyond zu, holte eine kleine Ampulle und eine Spritze heraus, bereitete eine Injektion vor und spritzte sie ihm. Stimmt ja, dachte er sich, als er die Nadel setzte. Es gibt ja etwas, was ich tun kann. Jetzt habe ich endlich die Chance, meinen Fehler von damals wieder auszubügeln und Beyond zu retten, wenn es wirklich klappen sollte. L sah ihn verwirrt an und fragte verständnislos „Was hast du denn jetzt vor?“ „In der Ampulle befinden sich kleine Sonden, die in den Blutkreislauf eindringen und das Gehirn mit genügend Energie speisen, um ein Absterben der grauen Zellen hinauszuzögern. Davon wird er zwar nicht wieder lebendig, aber so gewinnen wir genügend Zeit. L, du reißt dich jetzt zusammen und rufst Hester an, damit sie sich nachher um die Operation kümmert. Ich werde zum Konzern fahren und den GSK holen, den ich fertig gestellt habe. Es handelt sich zwar noch um einen Prototypen, aber wenn man bedenkt, dass ich auch einen solchen trage, könnte es vielleicht funktionieren. Wenn wir seinen Körper wieder zusammenflicken und einen verdammt guten Neurochirurgen finden, dann können wir Beyond retten, indem wir ihn mit einem elektrischen Gedankenschaltkreis wiederbeleben.“ L’s Augen weiteten sich, als er das hörte und so ganz konnte er es noch nicht fassen. Gab es etwa tatsächlich eine Chance, Beyond zu retten und ihn wieder ins Leben zurückzuholen? Für ihn klang das einfach unfassbar, wenn nicht zu sagen unmöglich. Aber es hatte doch schon ein Mal funktioniert. Andrew war doch damals vom Dach des Waisenhauses gesprungen und in den Tod gestürzt. Und doch stand er quicklebendig vor ihnen, weil er damals mit dem ersten elektrischen Gedankenschaltkreis zurückgeholt werden konnte. Und es gab tatsächlich noch einen, den sie Beyond einsetzen konnten? „Es existiert noch ein Gedankenschaltkreis?“ Andrew nickte und setzte die zweite Injektion. „Ich habe zwischendurch während meiner Weltreise mit Oliver mit der Entwicklung eines neuen und technisch weiter ausgefeilten GSK begonnen und wollte noch einen weiteren bauen, um ihn endgültig zu perfektionieren. Ich kann nicht zu hundert Prozent garantieren, dass es funktionieren wird, weil ich ihn bislang noch nicht an Menschen getestet habe. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei knapp 74,98% und selbst wenn es funktionierten sollte, kann es sein, dass Beyond danach erst noch im Koma liegt und ich kann nicht abschätzen, wie lange wir brauchen werden, um ihn wiederzubeleben.“ Doch L war zu überwältigt von der Nachricht, dass es eine Chance gab, Beyond zurückzuholen. Es gab tatsächlich noch einen Hoffnungsschimmer! Sofort holte er sein Handy hervor und rief Hester an. Da diese ohnehin in Boston arbeitete, traf sich das ganz gut und so versprach sie, dass sie alles vorbereiten würde. Oliver und Andrew brachten Beyond zum Wagen und während Oliver mit L und Beyond zum Krankenhaus fuhr, machte sich Andrew auf den Weg, um den Prototypen zu holen. Noch immer kämpfte L mit den Emotionen und hatte alle Mühe, sich irgendwie zu beruhigen. Oliver hingegen schien da weitaus gefasster zu sein. „Glaubst du wirklich, es gibt noch Hoffnung für Beyond?“ Der Hacker dachte nach und schob sich ein Nikotinkaugummi in den Mund. „Mit Sicherheit. Andy hat wirklich unglaubliche Arbeit in den letzten Monaten geleistet. Der GSK, den er gebaut hat, ist bei weitem besser als sein eigener und da Beyonds Körper nicht so schwere Schäden davongetragen hat wie damals Andy selbst nach seinem Selbstmord, stehen die Chancen gut. Wichtig ist erst einmal, dass seine Verletzungen verarztet werden und er braucht zudem noch dringend Blut, sonst wird das nichts. Die größte Herausforderung von allen ist, überhaupt jemanden zu finden, der dazu in der Lage ist, den Schaltkreis vernünftig einzusetzen. Das schafft auch nicht jeder, insbesondere nicht, wenn er sich noch nie damit beschäftigt hat. Deshalb wird Andy Hester auch nachher zur Hand gehen und ihr helfen. Keiner kennt sich besser mit dem Schaltkreis aus als er, darin ist er ein Genie. Gemeinsam sollten sie es hinkriegen, Beyond zu retten.“ Es musste einfach funktionieren! Für L stand fest, dass er nichts unversucht lassen wollte, um ihn zu retten und wenn er dafür das Unmögliche möglich machen musste. So schnell wollte er Beyond nicht aufgeben. Wie zum Gebet faltete der Detektiv die Hände und bebte innerlich immer noch. Oliver sah dies und sagte nach einer Weile „Ich kann schon verstehen, wie du dich fühlst, L. Ich habe damals auch genauso gelitten, als Elijah an seinem Spannungspneumothorax qualvoll erstickt ist, oder als ich Andy damals tot da liegen sah. Ich selbst habe auch schon Kinder und Jugendliche auf dem Sterbebett gesehen. Es ist immer schlimm und schmerzhaft. Aber… wenn es nicht funktionieren sollte, dann musst du es akzeptieren, L. Der Tod ist unumgänglich und wir können nicht Gott spielen. Selbst der Schaltkreis hat seine Grenzen.“ „Es wird klappen“, sagte L und fand so langsam seine Fassung wieder. „Es wird definitiv klappen.“ „Und was macht dich da so sicher?“ Doch darauf konnte L keine Antwort geben. Es war eine Art innere Gewissheit, dass es klappen würde. Als würde irgendeine Stimme in ihm sagen „Niemand aus meiner Familie wird sterben!“ Aber wieso denn „Familie“? Seit wann dachte er über Rumiko und die anderen als Familie? Nun ja, wenn er ehrlich war, hatte er Rumiko, Beyond und Jamie tatsächlich als eine Art Familie angesehen. Rumiko und Jamie waren immer für ihn da gewesen und hatten immer geholfen, wenn es zwischen ihm und Beyond Schwierigkeiten gab. Und nun waren jetzt auch noch Oliver und Andrew dazugekommen, die jetzt vielleicht die einzige Hoffnung für Beyond waren. „Ich habe da einfach nur ein Gefühl“, antwortete er nach einer Weile und sah zurück auf die Rückbank, wo sie Beyond hingelegt hatten. „Ich kann es nicht genau beschreiben.“ „Hm, geht mir irgendwie genauso. Weißt du, seit Andys Leiche damals verschwunden ist, habe ich das seltsame Gefühl, als wäre hier etwas am Werk… wie ein altes Getriebe, das sich nach langer Zeit von alleine wieder in Gang setzt. Ich hab schon immer eine relativ offene Einstellung zum Übernatürlichen und Unerklärlichen gehabt. Auch wenn du das vielleicht für bescheuert hältst, aber ich glaube, dass es so etwas wie göttliche Präsenzen gibt. Nicht unbedingt die Shinigami, sondern etwas anderes. Was, wenn die ganze Welt nichts anderes ist wie eine Art riesiger Bienenschwarm und dieses Wesen, das wir Gott nennen, in Wahrheit die Königin ist? Dann müsste diese Königin womöglich Eva sein. Immerhin stellt sie den Schnittpunkt zwischen Leben und Tod dar. Sie kann beides beherrschen und ist dadurch unvergänglich geworden. Aber was macht sie unvergänglich? Vielleicht ein niemals alternder Körper, der sich immer wieder regeneriert? Dann würde sie doch die unsterbliche Eva heißen. Aber Unvergänglichkeit bedeutet nicht Unsterblichkeit. Es bedeutet lediglich, dass etwas nicht vergehen wird. Womöglich ist es nicht ihr Körper, sondern ihr Bewusstsein… ihre Seele. Wenn es stimmt und Eva ist mit allen Lebewesen verbunden, dann kann es doch sein, dass Eva die Königin ist und wir nichts Weiteres als die Arbeiterbienen.“ „Wie kommst du jetzt darauf?“ „Erinnerst du dich noch an Beyonds letzte Worte? Er sagte, er würde zu Evas Zorn werden. Was, wenn zwischen uns allen und Eva eine Verbindung existiert? Was, wenn sie tatsächlich der Ursprung der Seele ist? Fakt ist, dass hier irgendetwas Seltsames vor sich geht, das müsste dir doch auch aufgefallen sein. Beyond hält sich für Evas Zorn, ein geheimnisvolles Mädchen mit besonderen Fähigkeiten traf vor 26 Jahren rein zufällig auf deine Mutter und schenkte dir das Leben. Sie ließ sich gefangen nehmen und verhalf Andy zur Flucht und half auch noch Dr. Brown dabei, vor V’s Leuten zu fliehen und unterzutauchen. Und dann stellt sich heraus, dass dieser Sam Leens in Wahrheit Jeremiel Lawliet heißt und mit dir verwandt ist. Und obwohl dieser die ganze Zeit hinter Beyond her war, jagt er erst wie ein Verrückter ihm und C-4 hinterher, erschießt den Sprengmeister und lässt Beyond einfach zurück und haut wieder ab. Das alles wird immer seltsamer und ich hab langsam das Gefühl, als würde diese Eva ihre Finger im Spiel haben und irgendetwas vorhaben. Was, wenn diese Frederica in Wahrheit Eva ist und sie einen Plan verfolgt, bei dem wir alle nur Figuren auf einem Spielbrett sind, die sie in eine bestimmte Richtung lenkt? Demnach wäre es sogar wahrscheinlich, dass Beyonds Tod ebenfalls geplant war. Ich meine, Frederica schien bei Andy gewusst zu haben, dass er gerettet werden würde, wenn er ein allerletztes Mal weglaufen würde. Und sie sagte, dass sie auf jemanden warten will, der ebenfalls ihre Hilfe brauchen wird. Das klingt jetzt vielleicht etwas weit hergeholt, aber was ist, wenn diese ganze Sache mit den Gedankenschaltkreisen ebenfalls zu Evas Plan gehörte?“ Zugegeben, einige von Olivers Theorien waren wirklich interessant und auch L hatte längst bemerkt, dass hier so einiges merkwürdig ablief und dass das Thema „Eva und der Gedankenschaltkreis“ immer weiter in den Vordergrund rückte und offenbar eine wichtigere Rolle zu spielen schien, als zunächst gedacht. Und es war auch nicht ganz abwegig, dass Frederica und Eva ein und dieselbe Person waren und dass Eva ein bestimmtes Ziel verfolgte und sie alle nur die Schachfiguren waren, die sie übers Feld bewegte. Und wenn Watari Recht hatte und Frederica irgendwie vorhersehen konnte, was passieren würde, dann schien sie genau zu wissen, wie sie vorgehen musste. Doch worauf würde dieses Spiel hinauslaufen und was würde passieren, wenn Eva oder Frederica ihr Ziel erreicht hatte? Das waren Fragen, die es zu klären galt. Aber gleich davon ausgehen, dass die Gedankenschaltkreisforschung von Eva geplant war? Das schien ein wenig weit hergeholt. „Zugegeben, es gibt viele Ungereimtheiten und offene Fragen, aber wir sollten uns nicht in irgendwelche Verschwörungstheorien reinsteigern. Es fällt mir ehrlich gesagt schwer zu glauben, dass wirklich jeder einzelne Schritt, den wir machen, von Eva geplant wurde. Ich meine: warum wird sie ausgerechnet jetzt aktiv und wieso nicht schon viel früher? Warum zeigt sie sich nicht selbst und wozu der ganze Aufwand? Und so ganz durchschaue ich noch nicht wirklich, was Eva mit Beyond vorhat und was sie sich davon verspricht, dass es jetzt elektrische Gedankenschaltkreise und damit künstliche Seelen gibt. Aber was Sam betrifft, so war sein Verhalten wirklich sehr widersprüchlich und merkwürdig. Das stimmt. Wir müssen das auf jeden Fall im Auge behalten. Aber jetzt gilt es erst einmal, Beyond ins Krankenhaus zu bringen und zu hoffen, dass Andrew und Hester in der Lage sind, ihn zu retten.“ Sie erreichten nach einiger Zeit das Krankenhaus und wurden direkt von Hester in Empfang genommen. Diese brachte zusammen mit den Sanitätern Beyond in den OP-Saal und begann damit, die Verletzungen zu versorgen. Andrew traf knapp zwanzig Minuten später ein und hatte einen Koffer bei sich, in welchem sich die gesamte Ausrüstung befand, die es brauchte, um den Prototypen einzusetzen. Als er erfuhr, dass Hester bereits im OP-Saal war, verlor er keine Zeit und machte sich auf den Weg, Oliver blieb hingegen bei L, damit er nicht alleine war. Sie warteten und warteten. Schließlich klingelte L’s Handy und er sah, dass es Rumiko war. Als er ihren Namen sah, schnürte sich seine Brust zusammen. Sie hatte noch keine Ahnung davon, was passiert war. Und wenn sie es erfuhr, das würde zu viel für sie werden. Zu hören, dass ihr Bruder tot war, den sie quasi aufgezogen hatte, würde ihr das Herz brechen. Am liebsten hätte L den Anruf weggedrückt, einfach nur damit er sie weder anlügen, noch ihr die grausame Wahrheit sagen musste. Er wollte sie nicht belügen, aber er wollte ihr diese Schocknachricht auch nicht antun, welche sie wahrscheinlich zu sehr aufregen und dann noch ihre ungeborenen Kinder in Gefahr bringen konnte. Dennoch nahm er den Anruf an und als er ihre Stimme hörte, spürte er wieder diesen schmerzhaften Stich in seiner Brust. „Rumiko, was gibt es?“ „L, könnte ich bitte Beyond sprechen? Es ist wichtig!“ „Das geht gerade nicht. Aber… ich richte es ihm aus, wenn es in Ordnung ist. Oder ist es wegen der Babys?“ Irgendwie klang Rumiko unruhig und nervös. Als würde sie spüren, dass etwas nicht stimmte. Aber das konnte doch nicht sein. Sie war weit genug weg und bekam auch nichts mit, weil sie und Jamie in V’s Militärbasis versteckt waren. „Nein, mir geht es soweit gut und ich hab jetzt auch keine Wehen oder so. Aber… ich würde gerne seine Stimme hören, wenn es okay ist.“ „Das ist leider sehr ungünstig. Er ist nämlich gerade nicht hier.“ Ein nachdenkliches Schweigen. Dann fragte Rumiko nach einer Weile „Ist ihm etwas passiert?“ „Wie kommst du darauf?“ „Ich weiß es nicht. Aber ich habe da so ein ungutes Gefühl. Nenn mich ruhig paranoid, aber ich hatte da einfach ein verdammt mieses Gefühl, dass Beyond etwas passiert sein könnte und ich mache mir eben halt große Sorgen. Hat sich mit Clear und Sam schon irgendetwas ergeben?“ „Sam ist auf der Flucht und Clear ist erschossen worden. Beyond geht es soweit gut, er hat sich ein paar Schrammen geholt und wird noch untersucht, damit wir auch sichergehen können, dass ihm nichts fehlt.“ Ob Rumiko ihm auch glaubte? Nein, sie wusste instinktiv, dass das, was L gesagt hatte, nicht stimmen konnte. Sie schien zu spüren, dass er nicht mehr lebte, aus welchem Grund auch immer. Aber L konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen. Er hatte doch versprochen gehabt, dass er nicht zulassen würde, dass Beyond etwas passierte. Er hatte ihr versprochen, ihn zu beschützen. Und selbst das hatte er nicht geschafft. Die Wahrheit war einfach zu grausam, als dass er sie ihr in diesem Zustand hätte antun können. Rumiko war hochschwanger und sie erwartete Zwillinge! Er wollte nicht auch noch das Leben dieser zwei Ungeborenen in Gefahr bringen, nur weil er unfähig gewesen war, Beyond rechtzeitig da rauszuholen und ihn zu retten. „L, bitte sag mir die Wahrheit. Ich weiß genau, wann du lügst. Also sag es mir. Was ist mit Beyond?“ „Er ist in einen Unfall verwickelt und dabei schwer verletzt worden. Er… er ist tot.“ Stille kehrte ein. Es war unmöglich herauszuhören, ob Rumiko weinte, oder ob sie einfach nur unter Schock stand und unfähig war, überhaupt etwas zu empfinden. Und L wusste einfach nicht, was er in diesem Moment zu ihr sagen sollte. Dann aber brach Rumiko ihr Schweigen und ihre Stimme zitterte heftig dabei. „Er ist gestorben? Wie… wie konnte das passieren?“ „Wir wollten Clear und Sam hervorlocken und Beyond wollte den Köder spielen. Dabei kam es bei der Flucht auf dem Highway zu einer Explosion und das Fahrzeug, in welchem Beyond sich befand, überschlug sich mehrmals und er wurde herausgeschleudert. Er hat sich dabei schwer verletzt und ist schließlich verblutet.“ Immer noch weinte Rumiko nicht, sie versuchte irgendwie die Fassung zu wahren aber sie beide wussten, dass sie es nicht schaffen konnte. Beyond war alles in ihrem Leben gewesen, neben Jamie. Sie hatte sich all die Jahre liebevoll um ihn gekümmert, weil er sonst niemanden hatte und er war ihr Bruder, wenn auch nicht ihr leiblicher. „Es besteht aber noch Hoffnung“, sagte L und versuchte, ruhig und gefasst zu sprechen, um Rumiko wieder zu beruhigen, bevor sie sich zu sehr aufregte und damit noch ihre Gesundheit und die ihrer Kinder aufs Spiel setzte. „Andrew und Hester operieren ihn gerade, um ihm einen elektrischen Gedankenschaltkreis einzusetzen. Es besteht noch Hoffnung, dass wir ihn retten können.“ „Wie hoch?“ „Fast 75%, je nachdem wie schwer die körperlichen Schäden sind und ob die Blutspende funktioniert. Rumiko, bitte versprich mir, dass du dich nicht zu sehr aufregst, ja? Du darfst dich in deinem Zustand nicht aufregen und es wird alles wieder gut werden. Dass Beyond gestorben ist, das war allein meine Schuld und…“ „Nein“, sagte sie und schluchzte heftig. „Niemand hat Schuld. Wenn er gestorben ist, dann war seine Lebenszeit einfach abgelaufen. Und dagegen hätte niemand von uns etwas tun können.“ „Rumiko, wir werden Beyond zurückholen und es wird auch funktionieren. Andrew hat es auch geschafft und er hat einen Schaltkreis gebaut, der sogar noch viel besser ist. Ich werde nichts unversucht lassen, um ihn zu retten. Versprich mir, dass du dich nicht zu sehr aufregen wirst, ja? Ich rufe dich an, wenn ich was Neues weiß.“ „Tut mir leid, L. Aber ich denke es ist besser, wenn ich zurückkomme.“ Da L ihr schlecht diesen Wunsch abschlagen konnte, gab er sein Einverständnis und regelte alles mit V, dass er sie und Jamie zurückbringen würde. Niedergeschlagen saß er da und hatte das Gefühl, als wäre ihm sämtliche Energie genommen worden. Er fühlte sich erschöpft und kraftlos und hätte am liebsten nur geweint und nichts anderes mehr getan. Er wollte nichts mehr wissen und auch mit niemandem mehr reden… Oliver betrachtet ihn besorgt und fragte „Wie hat sie es aufgefasst?“ „Sie hat versucht, sich zusammenzureißen, aber sie ist völlig am Boden zerstört.“ Der Hacker nickte und stand schließlich auf. „Ich gehe mal nachfragen, ob es inzwischen Neuigkeiten gibt.“ Damit verschwand er und es verging einige Zeit, bis er zurückkam und nichts Neues melden konnte. Fast 12 Stunden verstrichen, in denen sie rein gar nichts hörten. Die Zeit verging quälend langsam und es war für alle Beteiligten eine enorme Belastung. Schließlich trafen Jamie und Rumiko ein, die von V direkt hergeflogen worden waren. Die 26-jährige Halbjapanerin sah furchtbar aus. Ihr Gesicht wirkte eingefallen und blass, ihre Augen waren von Tränen gerötet und als sie L sah, da lief sie direkt auf ihn zu und fiel ihm schluchzend in die Arme. Sie konnte sich kaum noch beruhigen und schließlich war es Oliver, der sie tröstete, denn Jamie stand selbst unter Schock und konnte noch nicht wirklich glauben, dass sein Sandkastenfreund und Schwager wirklich tot war. Das Warten wurde schließlich zu einer unerträglichen Tortur, in der sie nichts tun konnten, als zu beten und das Beste zu hoffen. Und als schließlich sechs weitere Stunden vergangen waren, in denen sich nichts Neues ergab und L vor lauter Erschöpfung kurz eingenickt war, da regte sich plötzlich etwas. Hester kam auf sie zu und hatte noch ihre Chirurgenkleidung an und nahm gerade den Mundschutz ab. Ihr Gesichtsausdruck ließ erst nichts Gutes erahnen und sogleich befürchteten sie alle, dass etwas schief gelaufen sei, aber dann lächelte sie und sagte „Wir haben wieder einen Puls.“ Sofort sprang L auf, als er das hörte und auch die anderen konnten es kaum glauben und dachten zunächst, sie hätten sich verhört. „Soll das etwa heißen…“ Hester nickte und wies sie mit einem Wink, ihr zu folgen. Sie führte sie zur Intensivstation in ein Zimmer, wo Beyond lag. Sein Kopf und sein linker Arm waren bandagiert und ein EKG gab ein langsames aber dennoch rhythmisches Piepsen von sich. Andrew stand neben dem Bett und tippte etwas auf einem Laptop ein. Dann wandte er sich zu den Ankömmlingen um und sofort sah man ihm die Müdigkeit und Erschöpfung an und wie anstrengend diese Operation eigentlich gewesen war. Trotzdem lächelte er und verkündete überglücklich „Es funktioniert alles! Wir haben ihn wieder!“ Rumiko trat vor, denn sie war mit ihren Shinigami-Augen die Einzige, die wirklich feststellen konnte, ob das auch stimmte. Mit langsamen Schritten ging sie näher ans Bett heran, brach in Tränen aus und die unendliche Erleichterung war nicht zu übersehen. Sie konnte sich kaum beruhigen und musste von Jamie in den Arm genommen werden, weil sie einfach so überglücklich war, dass die Gefühle endgültig mit ihr durchgingen. L blieb einen Moment stehen, dann aber ging er auf Andrew zu, dem er immer mit Distanz und einem unterschwelligen Misstrauen begegnet war und umarmte ihn. Er drückte ihn fest an sich und bebte am ganzen Körper. „Danke“, brachte er mit zitternder Stimme hervor, als auch er vor grenzenloser Erleichterung nicht anders konnte, als Tränen zu vergießen. „Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll, Andrew…“ „Schon gut. Ich bin einfach nur froh, dass Beyond wieder lebt und das ist die Hauptsache.“ Schließlich lösten sie sich wieder und Andrew ging zu Oliver und legte seinen Kopf auf seiner Schulter ab, dann nahm er seine Hand. „Ohne Hester hätte ich das alleine niemals bewerkstelligen können. Die Wunde an seiner Seite zu nähen war nicht sonderlich schwer, aber er hatte einige Verletzungen am Kopf und das hat das Einsetzen des GSK etwas erschwert. Aber letztendlich haben wir es doch noch geschafft und sein Zustand ist einigermaßen stabil. Ich werde aber noch ein paar Einstellungen vornehmen müssen, da ich den Schaltkreis noch an die Gehirnimpulswellen anpassen muss. Es kann also sein, dass er vielleicht noch ein paar Beschwerden haben wird, wenn er aufwachen sollte. Er liegt aber vorerst noch im künstlichen Koma, da der Schaltkreis eine Weile braucht, um die Einstellungen zu sichern und auf volle Leistung zu gehen. Das dauert seine Zeit, sonst würde es zu schweren Hirnschäden führen. Zur Sicherheit werde ich noch hier bleiben und…“ „Nein Andy“, unterbrach Oliver und klopfte ihm auf den Rücken. „Ich mach hier weiter. Du brauchst erst mal dringend Ruhe nach der ganzen Aufregung. Ihr geht jetzt erst mal nach Hause und ruht euch aus. Wenn sich irgendetwas ergibt, werde ich mich bei euch melden.“ Da sie nicht viel ausrichten konnten, gingen sie auf Olivers Vorschlag ein und nachdem sie auch Hester für Beyonds Rettung gedankt hatten, kehrten sie nach Hause zurück. Da Andrew nicht gerne alleine war und Rumiko sowieso durch den ganzen Stress bedingt Gesellschaft gut gebrauchen konnte, quartierten sich die drei vorerst bei L ein. Diesen störte es überhaupt nicht, im Gegenteil. Er war froh darüber und genoss auch die Gesellschaft der drei. Jamie und Rumiko waren sehr enge Freunde geworden und schon fast wie eine richtige Familie für ihn. Und Andrew, der dank des Gedankenschaltkreises Beyond das Leben zurückgeben konnte, wollte er auch ein Teil dieser Familie werden lassen. Genauso wie Oliver. Nachdem sich Rumiko wieder beruhigt hatte und von Watari einen Kamillentee bekam, unterhielt sie sich angeregt mit Andrew und hörte sich aufmerksam an, was er über seine Reisen mit Oliver zu erzählen hatte. Und als er von seinen Hochzeitsplänen erzählte, da kreischte sie regelrecht vor Begeisterung und freute sich, als hätte nicht er, sondern Beyond ihr gesagt, dass er heiraten wollte. Aber was war von einer Frau denn anderes zu erwarten, die eine Schwäche für schwule Beziehungen hatte und sogar Yaoi-Mangas zeichnete? „Mensch, das ist ja toll, Andrew. Wenn Beyond wieder auf den Beinen ist, müssen wir das alle zusammen auf jeden Fall feiern. Und ich hab eines beschlossen: ich werde die beiden erst zur Welt bringen, wenn mein kleiner Bruder aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Vorher nicht!“ Als Andrew das hörte, sah er sie skeptisch an und fragte „Und was machst du, wenn die Wehen einsetzen, bevor er wieder aufwacht?“ „Dann stopf ich mir notfalls einen Korken rein.“ Bei dieser frechen Antwort konnten sie nicht anders, als zu schmunzeln und die Köpfe zu schütteln. „Rumiko, du bist echt unglaublich.“ „Ich weiß. So bin ich eben immer.“ Als L diese Gesprächsrunde mitverfolgte, musste er sich an etwas erinnern. Es war eine verschwommene Erinnerung und sehr unklar, da er damals allerhöchstens vier Jahre alt gewesen war. Aber er erinnerte sich daran, wie er an einem verregneten Herbsttag aus dem Fenster geschaut hatte, während er auf jemandes Schoß gesessen hatte, welcher ihm eine Geschichte erzählte. Er erinnerte sich an schneeweiße Haare und an ebenso weiße, aber dennoch sehr schöne und zarte Hände, die ihn festgehalten hatten. Ja richtig, das war Frederica gewesen. Und sie hatte ihm sehr oft Geschichten erzählt. Es waren immer Märchen, die über ein Mädchen namens Eva und ihrer Familie handelten. Er hatte diese Geschichten damals sehr geliebt, denn diese waren immer sehr einfach erzählt worden, immerhin war er damals noch ein Kleinkind. Immer und immer wieder hatte sie ihm das Märchen erzählt, wie Eva den Zorn besänftigt oder der Leere einen Inhalt gegeben hatte. Er hatte sich immer gewünscht, dass sie auch alle ein Teil von Evas Familie sein konnten und hatte nie genug von diesen Geschichten bekommen. Aber dann hatte Frederica ihm eines Tages eine Geschichte erzählt, welche ihn sehr traurig gemacht hatte und von der er furchtbar weinen musste. Sie handelte davon, wie Eva ihre Familie verlor und sie daraufhin in ihrer tiefen Trauer sich selbst „zerbrach“ und daraufhin verschwand. Er hatte so heftig geweint, weil er diese Geschichte so traurig fand, da hatte Frederica ihn getröstet und ihm die Geschichte weitererzählt. An alles konnte er sich nicht erinnern, aber er wusste noch ganz deutlich, dass sie gesagt hatte „Eva war sehr traurig, dass ihre Familie fort war und hatte große Angst davor, wieder einsam zu sein. Deshalb sagte sie auch: Ich werde wieder zurückkommen, wenn meine Familie zurückgekehrt ist und wieder zueinander gefunden hat. So wartete Eva bis heute noch, bis alle wieder zueinanderfinden und wieder das alte Band von damals schließen würden. Denn vorher wollte Eva nicht zurückkommen.“ War es vielleicht möglich, dass die Familie aus Fredericas Geschichten etwa tatsächlich im Begriff war, wieder zurückzukehren und dass dies der Grund war, wieso sie wieder aktiv wurde? Tja, dachte L und sah aus dem Fenster in die dunkle Nacht hinaus. Das werden wir noch früh genug herausfinden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)