Fehlende Erinnerung von Yosephia (Wenn das Leben falsch ist) ================================================================================ Epilog: Traumgesicht -------------------- Mit aller Kraft stieß Natsu die Tür auf, die ihm eine der Wachen hier gewiesen hatte, als er ihn nach ihr gefragt hatte. Sie… Seine Kameradin. Seine Freundin. So vieles hatte er mit ihr zusammen erlebt. Sie hatten einander mehrmals das Leben gerettet, hatten zusammen für ihre Freunde und für ihre Gilde gekämpft, hatten sich übermenschlichen Gegnern und unlösbaren Aufgaben gestellt. Sie hatten miteinander gelacht, hatten einander unterstützt. Obwohl sie noch ein verhältnismäßig neues Mitglied der Gilde war, war sie für Natsu nicht mehr aus seinem Leben weg zu denken. Das Loch, welches sie dabei hinterlassen würde, wäre tiefer als jede Schlucht der Welt… Der süßliche Geruch von Blut stieg ihm in die Nase, vermischt mit den scharfen Gerüchen von Schweiß und Urin. Eigentlich war Natsu hart im Nehmen. Schon oft hatte er Blut gerochen und gesehen – aber der Gedanke, dass das ihr Blut war, drehte ihm beinahe den Magen um. Tief holte er Luft, dann betrat er den Raum. Ein großer, weißer Raum, beinahe leer von einem Tisch abgesehen, auf welchem sich einige Instrumente befanden, über deren Funktion Natsu lieber nicht nachdenken wollte. Und genau in der Mitte des Raumes war sie. Mit Ketten hing sie an ihren Handgelenken. Die Fesseln hatten sich tief in die Haut gegraben, aber das waren noch harmlose Wunden im Vergleich zu den Striemen, Schnitten und Platzwunden. Sogar Brandwunden erkannte Natsu und seltsam schwülstige Wunden, die womöglich von irgendeiner Substanz herrührten. Unter all den Wunden und dem Dreck war die Haut unnatürlich weiß und die Knochen staken vor Magerkeit skelettartig hervor. Erschüttert stand Natsu da und betrachtete seine beste Freundin, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. So viel hatte sie erlitten, während er sie vergessen hatte. So viel hatte sie durchgestanden… Als sie den Kopf anhob, wäre Natsu beinahe zusammen gezuckt. Allein diese kaum merkliche Bewegung schien sie anzustrengen. Der Blick ihrer braunen Augen war trüb, beinahe bar jeden Lebens. Nur ein kleiner Funke war übrig geblieben, ein kleiner, doch starker Funke, der sich weigerte, zu ersticken – und als sie ihn erkannte, loderte der Funke auf, wurde zu einer starken, warmen Flamme voller Vertrauen und Dankbarkeit. Natsus Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Sie hatte gewartet! Sie hatte darauf vertraut, dass er sie rettete. So wie damals beim Turm von Phantom Lord! Sie hatte auf ihn gewartet! Die rissigen Lippen bewegten sich lautlos, formten zwei Silben, dann wurde der Blick plötzlich leer und der gesamte Körper erschlaffte. Natsu sprang vor und fing sie auf… Benommen blinzelte Natsu, ehe er sich stöhnend aufrichtete und dann seinen schmerzenden Kopf rieb. Er war aus der Hängematte gefallen. Die vielen Nächte, die er an Lucys Krankenlager verbracht hatte, hatten ihn wohl aus der Übung gebracht, was das Schlafen in einer Hängematte betraf. Oder vielleicht war es auch der Traum gewesen, der ihn so unruhig gemacht hatte… Langsam stand er auf, schüttelte die schmerzenden Glieder aus und verließ dann auf Zehenspitzen den Raum, um Happy nicht zu wecken, der bisher ungestört weiter geschnarcht hatte. Der kleine Kater hatte in den letzten Wochen auch eine Menge durchgemacht, er hatte sich etwas Erholung verdient! Im Nebenraum lag Lucy auf einem provisorischen Feldbett. Sie hatte nicht mehr in der Gilde oder im Wohnheim schlafen wollen, deshalb hatte Natsu ihr angeboten, vorübergehend hier zu wohnen, bis sie wieder etwas Eigenes gefunden hatte. Tief sog Natsu die Luft ein. Der Raum war erfüllt von Lucys Geruch. Kein Blut haftete ihm mehr an, er war wieder rein und frisch und lebendig. Allein dieser Geruch war schon die reinste Wohltat für Natsu, dessen Gedanken nach diesem Traum immer noch ganz durcheinander waren. „Kannst du auch nicht richtig schlafen?“ Überrascht zuckte Natsu zusammen, als Lucy sich aufrichtete und zu ihm blickte. Sie wirkte müde, aber sie nahm es ihm nicht übel, dass er sie beobachtet hatte. „Du auch nicht?“, stellte er eine Gegenfrage und trat zu ihr. „Ich habe drei Wochen lang durchgeschlafen und danach eine Weile nur das Bett gehütet. Früher konnte ich besser schlafen. Nach Missionen…“ „Wenn du wieder Missionen machst, kannst du sicher auch wieder besser schlafen“, sagte Natsu zuversichtlich und setzte sich neben Lucy. „Dann kannst du auch Geld für eine eigene Wohnung sparen. Hier gefällt es dir ja nicht besonders, glaube ich.“ „Doch, hier gefällt es mir“, widersprach Lucy leise und zu Natsus Überraschung lehnte sie sich an seine Schulter. Für einen Moment zögerte er, dann legte er einen Arm um ihren Körper. „Das ist schön“, murmelte er und blickte zum Fenster, unschlüssig, was er jetzt sagen sollte. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen und es dauerte einige Minuten, bis Natsu klar wurde, dass er gar nichts sagen musste. Es war ein angenehmes Schweigen – und es war ein gutes Gefühl, Lucy so nahe zu sein. „Danke, dass du dich an mich erinnert hast“, sagte Lucy ohne Vorwarnung. Unwillkürlich schlang Natsu den Arm fester um sie. Bei seiner Erwiderung war seine Stimme leicht belegt. „Danke, dass du durchgehalten hast.“ „Danke, dass du mich gerettet hast“, krächzte Lucy und Natsu spürte, wie sie erzitterte. Einem Instinkt folgend lehnte er seine Wange gegen ihre Haare, um ihr näher zu sein. Seine nächsten Worte waren nur ein Wispern, ganz alleine für Lucy bestimmt. „Danke, dass du mir vertraut hast!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)