Magi - The Labyrinth of MMORPG von Seven_Seas_Alliance ================================================================================ Vierunddreißig -------------- Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Eilige Schritte die Treppe hinunter, das Kreischen seines Namens, das Gefühl, wenn ihm die Tüten mit den Burgern aus den Händen gerissen wurden, bevor er sie in die Küche tragen konnte – all das blieb aus. Aus dem Stockwerk über ihm drang eine Kakophonie aus Popmusik und Death Metal – ein Beleg dafür, dass Abi und Dan zu Hause waren und keiner von ihnen klein beigeben wollte – aber ansonsten blieb es im Flur beinahe schon gespenstisch still. So leise wie möglich ließ James die Tür zur Tiefgarage hinter sich ins Schloss fallen. Er lauschte, doch mehr als „And now that I‘m without your kisses, I‘ll be needing stitches!“, untermalt von Abis Gesang und unpassendem Grölen, war nichts zu hören, was darauf hätte schließen lassen können, dass seine Geschwister seine Anwesenheit bemerkt hatten. Als er die Küche passierte, drang aus selbiger leises Klappern und kündete von Marys unheilvoller Anwesenheit, doch die Tür war verschlossen und er – vorerst – in Sicherheit. James erlaubte es sich aufzuatmen. Vielleicht gelang es ihm dieses Mal, die Tür seines Zimmers hinter sich zu schließen, bevor ihn irgendwer dazu auffordern konnte, seine Beute mit ihm zu teilen. Darauf bedacht, dass seine Turnschuhe nicht auf dem Parkett quietschten, schlich er am Gäste-WC vorbei den Flur entlang. Auf Höhe des Wohnzimmers endete sein Glück. „Frappé!“, forderte eine Stimme. James erstarrte. Erst jetzt bemerkte er, dass die Tür offen stand. Durch sie hindurch konnte er eines der Ledersofa sehen. Der linke Arm seiner Schwester ragte fordernd über die Rückenlehne. Jez. Verfluchter Mist. „Ich wüsste nicht, womit du das verdient hättest“, antwortete er kühl. Er hörte sie gähnen. Die Uhr an ihrem Handgelenk glitzerte im Licht, das durch eines der Fenster fiel, doch ihr Arm rührte sich keinen Millimeter. „Ich bin in anstrengenden Verhandlungen.“ Vermutlich hätte er einfach weitergehen sollen. Stattdessen trat James durch die Tür, um über die Rückenlehne des Sofas schauen zu können. Der Couchtisch hatte sich über Mittag in ein kleines Abbild von Jez‘ Zimmer verwandelt. Überall stapelten sich Bücher. Algebra, Physik, Zeitgeschichte und Ingenieurwissenschaften. Notizen des letzten Schuljahres lagen verstreut herum und dazwischen Kulis, Textmarker und Post-Its. Beinahe hätte er ihr die Vorbereitungen für das neue Schuljahr abgenommen. Der Bildschirm ihres Laptops verriet sie. Das rote Design des Kou-Empires leuchtete ihm entgegen. Im Hintergrund konnte er einen der Palastgärten erahnen, doch das Inventar-Menü der Gilde überlagerte das Bild. Am linken Rand reihten sich Chat-Boxen und bestätigten, dass Jez bislang genauso viel für das kommende Schuljahr getan hatte, wie er. James sah Tonys Nickname, Sharrkan, in der obersten Textbox, und in denen darunter Judar, Markkio und Ahbmad Saluja. Er stöhnte. „Versuchst du immer noch, Balbadd auf diplomatischem Wege zu bekommen?“, fragte er. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, wir sollen es einfach plattmachen?“ „Sieben Mal“, antwortete sie ohne aufzusehen. Er beobachtete sie dabei, wie sie ein Gewand, das er sicher nicht im Inventar abgelegt hatte, in die Sale-Box verschob und mit einem unverschämt hohen Preis versah. „Und ich versuche nicht, diese Stadt zu bekommen, ich werde sie bekommen. Und zwar ohne, dass wir noch mehr Vertrauenspunkte einbüßen als bei deiner letzten Aktion in Aza.“ James schnaubte. „Du siehst das zu eng. Niemand interessieren diese Vertrauenspunkte. Wir sind das Kou-Empire!“ „Du meinst, man vertraut uns ohnehin nicht.“ „Ich habe einen Friedensvertrag abgelehnt, den ich selbst vorgeschlagen habe, eine Stadt gebrandschatzt und eine Gilde versklavt. Und das war allein in diesem Monat. Was glaubst du?“ Ein leises Pling! kündete von einer Chatantwort und tatsächlich erschien neben Sharrkans Nickname ein kurzer Text: Ähm … 42? Jez schüttelte den Kopf, dann tippte sie. Du sollst rechnen, nicht raten. Nächste: 11y-25=14+8y ? „Mathe?“, stöhnte James. „Wirklich?“ „Frappé.“ In seinem Augenwinkel sah er, wie seine Schwester mit der linken Hand wedelte, die sie immer noch in die Luft hielt. Auch wenn es vermutlich eine dumme Idee war, stellte James die Burgertüten neben seiner Schwester auf dem Sofa ab, um die linke Hand freizuhaben. Mühselig zog er einen der Plastikbecher, die er in weiser Voraussicht mitbestellt hatte, aus der Transportpappe. Er drückte ihr die hellbraune Brühe in die fordernde Hand. Einen Augenblick später ertönte zufriedenes Schlürfen. „Ich verstehe echt nicht, was du an dem Zeug findest.“ „Du würdest es verstehen, würden Chilischoten drin schwimmen.“ „Ha ha ha.“ Weitere Gewänder, an die er sich nicht erinnern konnte, wanderten in die Sale-Box. Sahen auf die Entfernung ein wenig wie Mädchenrüstungen aus. Vielleicht waren es Mädchenrüstungen – James schaute nicht genau genug hin, um das beurteilen zu können. Stattdessen fischte er in den braunen Papiertüten nach einem der Burger mit Extra-Jalapeño. Ein erneutes Pling! ließ ihn von seinem Mittagessen aufsehen, noch bevor er die Pappverpackung aufklappen konnte. Wider erwarten war es keine Antwort auf die letzte Rechenaufgabe – Sharrkan googelte wohl noch – sondern ein neues Chatfenster. Der Avatar einer rothaarigen Kriegerin tauchte auf, mit dem Nickname Ren Kourin daneben und dem Text Kennst du das schon? darunter. Es folgte ein Link. Während James noch überlegte, welche seiner unzähligen Cousinen sich dahinter nun schon wieder verbarg, bestätigte Jez den Link. Firefox öffnete sich im Vordergrund und baute eine Seite auf. Erst die Hintergrundgrafik, anschließend das Logo des Magi-Forums und dann … für einen Augenblick erstarrten sie beide. In seinem Augenwinkel sah er, wie Jez‘ Hand zum Touchpad rutschte, doch James war schneller. Noch bevor sie das X oben rechts erreichte, schlossen sich seine Finger um ihr Handgelenk. Sein Blick jedoch blieb auf dem Bildschirm und auf dem Bild, das Kourin ihr geschickt hatte. Es dauerte noch einen Moment, bis er verstand, dass das, was er dort sah, Kouen im Djinn-Equip darstellte. Astharoths rote Haare waren unverkennbar, genauso wie der rote Kinnbart, das dritte Auge auf der Stirn und die Pose, die Kouen hinter irgendeinem anderen Djinn-User einnahm. Schwarze, lange Haare, drittes Auge, Federn, Gold. Abgesehen vom Armschmuck fehlte die Kleidung bei beiden. Dafür brannte sich der Anblick von Regionen, die vermutlich noch nie ein Designer für dieses Spiel entworfen hatte, in seine Netzhaut. Beinahe war James froh, noch keinen Bissen von seinem Burger genommen zu haben. Ein unangenehm pelziger Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Es dauerte, bis er seine Stimme wiederfand. „Seit wann bist du volljährig, Jez?“, fragte er. Er spürte, wie Jez‘ Blick zu ihm wanderte. „Mein Profil ist vierundzwanzig.“ James‘ Augenwinkel zuckte. „Wer ist dein Profil, Jez?“ „Der Typ von der Essensausgabe aus der Cafeteria, James.“ Sie nahm einen geräuschvollen Schluck Frappé. „Und das ist nicht die Frage, die du stellen wolltest.“ „Fein“, grollte er. „Erklär mir das.“ Mit der freien Hand deutete er auf den Bildschirm und Kouens geschlossene Augenlider, seinen leicht geöffneten Mund, die Hand … Für einen langen Moment schwieg Jez. Er ahnte, dass sie feixte, nicht mehr wirklich überrascht und selbstzufriedener, als sie es sein sollte. Als sie schließlich antwortete, hörte James es in ihrer Stimme. „Regel 34, mein Bruder und König“, antwortete sie und das süffisante Grinsen troff aus jedem Wort. „Wenn es existiert, gibt es Porn dazu. Keine Ausnahmen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)