Flammentanz von Frozen_Fairy (AU # 2p (& 1p) # DenNor) ================================================================================ Kapitel 1: Gefunden ------------------- Ein junges Ding liegt im Straßengraben und ist viel zu schwach zum Aufstehen. Fast noch ein Kind, so hat es zumindest den Anschein. Niemand weiß, woher es kam und warum es nur solche Lumpen am Leib trägt. Die meisten Leute scheren sich auch nicht sonderlich um das fremde Schicksal und gehen einfach vorbei. Bis ein großer Mann stehen bleibt und zuerst nur starrt, bevor er das Lumpenbündel mit einem festen Griff packt, hochzeiht und genauer ansieht. Er blickt in das Gesicht und erachtet die Gesichtszüge als feminin genug, was er anhand der Lumpen nicht beurteilen konnte, sondern nur erahnen, aufgrund der schmalen Figur. „Komm mit. Du kannst dich als nützlich erweisen“, sagt er und zieht die fremde Person mit dem dunkelblonden Haar hinter sich her. Diese wehrt sich nicht, nur ein Hauch der Unsicherheit ist zu vernehmen, welche immer größer wird. Der Mann bringt seinen neuen Schützling in sein Haus und dort gleich in die Küche. „Hier wirst du arbeiten. Du wirst mir gute Dienste tun als neue Küchenmagd“, beschließt er, gibt ihr ein Kleid in die Hand und bewegt sich bereits aus dem Raum. „Küchen…was? Aber wartet, ich bin ein-“, kann man zum ersten Mal eine Stimme vernehmen, die einen überraschend neutrale Tonlage hat, wenn man davon absieht, dass sie gerade hysterisch klingt. Der strenge Blick des Mannes lässt diese verstummen. „Du wirst hier arbeiten. Keine Ausrede. Es ist ja nur die Küche, das wirst du hinbekommen, die Knechte draußen arbeiten viel härter als du“, entgegnet der Mann und deutet nach draußen. Ein neugieriger Blick sieht ein paar Männer, die dort schwere Gegenstände umher schleppen, dennoch bleibt die Reaktion in einem unsicheren Nicken zurückhaltend. „Wie heißt du eigentlich?“, fragt der Hofherr schließlich und nimmt das schmale Gesicht in seine große Hand und hält es fest. „Ich bin… Louise.“ # Natürlich war das eine Lüge. Aber als Louis gehört hatte, dass wenn man als Knecht hier arbeitet, schwere Dienste vollführen musste, so nahm er es lieber in Kauf, für ein Mädchen gehalten zu werden. Er hatte zwar absolut keine Ahnung, wie man eine Arbeit wie diese erledigen sollte, aber er würde das schon noch hinbekommen, dessen war er sich sicher. Aufgrund seiner schmalen Gestalt und weil er nichts auf die Reihe bekam, hatte man ihn sozusagen fortgeschickt. Louis wollte auch seinen eigenen Weg in der Welt finden. Das Unterfangen gestaltete sich allerdings als schwierig, er geriet von einem Unglück in das andere. So konnte er jetzt diese Unterkunft eigentlich gar nicht als schlecht betrachten, dachte er, während er sich umzog. Es wirkte so, als ob sich der Hausherr gut um seine Bediensteten kümmerte. Louis sollte sie mal kennenlernen. Mit der Köchin wechselte er ein paar Worte und befand sie als Person, von der er noch viel lernen könnte. Sie würde ihm das Leben hier sicherlich erleichtern. Sie sagte auch, dass er sich ruhig umsehen könnte, bevor er wirklich anfing, zu arbeiten. In einem vollen Wasserzuber betrachtete er sein Spiegelbild und fand sich merkwürdig. Kleidung wie diese war er nicht gewohnt. Unsicher fuhr er sich durchs Haar, eine andere Wahl blieb ihm nicht, und so lief er auf den Innenhof hinaus, wo er den Knechten bei der Arbeit zusah. Weiter abseits standen zwei davon und unterhielten sich, jedoch war einer von ihnen ziemlich gut gekleidet. Sie passten nicht zusammen, trotzdem schienen sie wie beste Freunde. Louis lächelte, weil er das merkwürdig fand, schreckte dann aber wirklich zusammen, als ihn etwas am Bein packte. Als er herunterblickte, sah er in die großen blauen Augen eines kleinen Kindes. „Hallo. Ich bin Eiki. Und du?“, klang die fröhliche Stimme über den ganzen Hof. „Das ist Louise. Sie ist unsere neue Küchenmagd“, war die Antwort des Hausherren, der mit seiner Frau um die Ecke kam, und nun das Kind hochhob, „meine Frau, mein Sohn. Und … dahinten, das ist mein Neffe Bernhard. Er gibt sich schon wieder nur mit den Knechten ab. So, jetzt kennst du alle“, stellte er alle vor. Louis nickte leicht, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Er versuchte daher eine Art Knicks und huschte zurück in die Küche. Das war zu viel auf einmal. Und so lernte Louis erstmal, wie man in einer Küche arbeitet. An sich ging es ihm recht gut von der Hand sogar und er lebte sich recht schnell ein. Eiki, der kleine Sohn der Familie, gewann ihn am schnellsten lieb und wich nicht mehr von seinem Rockzipfel. „Lulu! Willst du meine Schwester sein?“, quietschte der Kleine und zog fest an Louis‘ Kleid. „Nein, Lulu muss arbeiten“, redete Louis sich heraus und wollte sich befreien, aber Eiki packte für sein zartes Alter schon stark zu. „Bitte bitte du bist jetzt meine große Schwester, Lulu“, quengelte er und ließ natürlich nicht locker. „Nein, das geht nicht“, erwiderte Louis seufzend. Schwester… da würde er sich noch falscher vorkommen, als so schon. „Große Schwester“, bestand Eiki darauf, und Louis ahnte bereits, dass er das nicht zum letzten Mal hören würde. Unfähig etwas gegen Eiki auszurichten, schloss er die Augen. # „Na, Cousinchen?“, wurde Louis bereits am nächsten Tag in ironischer Form von Bernhard begrüßt, der vorher noch nie ein Wort an ihn verloren hatte. Er blickte den anderen skeptisch an. Natürlich war er größer, hatte hellbraunes Haar aber am Auffälligsten waren seine stechenden grünen Augen. „Was denn? Eiki prahlt überall rum, dass du jetzt seine große Schwester bist“, sprach er weiter und grinste nur schief, als Louis den Kopf schüttelte. „Ja, ich weiß ja, dass das nicht stimmt. Nur… da hat er sich aber wirklich ein hübsches Schwesterchen ausgesucht“, vernahm Louis weiterhin seine Stimme und biss sich nun auf die Lippe. Bisher hatte er nicht gewusst, wie er gegenüber ihm reagieren sollte. Aber langsam sollte er wohl etwas erwidern. „Danke für das Kompliment, Bernhard“, versuchte er ihn auszuspielen, indem er sich direkt wieder seiner Arbeit zuwandte, allerdings spürte er daraufhin plötzlich zwei starke Arme um seine Taille. „Gerngeschehn, meine Hübsche“, hörte er Bernhard flüstern und spürte, wie seine Hände über seinen Bauch streichelten. Erneut schloss Louis nur hilflos die Augen. Doch nun konnte er weniger gut damit umgehen, als letztes Mal. # Unsicher blickte Louis über den Hof, bevor er die Küche verließ. Er hoffte, dass Bernhard ihn nicht wieder abfing, um ihm auf die Pelle zu rücken. Das war richtig unheimlich. Bisher hatte Louis das wenigstens elegant abgewehrt. Zum Glück war niemand auf dem Hof. So dachte Louis zumindest, denn plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich. „He du!“, erklang es über den Hof und Louis drehte sich langsam um. „Ja?“, antwortete er leise und erblickte vor sich einen der Knechte. Um genau zu sein war es dieser Kerl, der ab und an mit Bernhard herumlief. „Hör auf, Bernhard schöne Augen zu machen, du kleines Flittchen!“, sagte er unmittelbar und Louis wusste gar nicht, was hier passierte. „Das mache ich gar nicht!“, verteidigte Louis sich. Immerhin war es Bernhards Schuld, dass er jetzt immer Angst hatte, hier auf dem Hof zu sein. Es ging ihm auch nicht nur darum, dass er seinen Verehrer widerlich fand, sondern auch um die Aufdeckung seines Geheimnisses. Sobald man an Hof wusste, dass er kein Mädchen war, müsste er sicher harte Arbeiten leisten. Und wenn Louis ehrlich war, hatte er sich an die Dienste in der Küche schon gewohnt und wollte sie um nichts missen. „So? Du machst gar nichts? Also bitte, was sollte Bernhard denn schon von einem einfältigen Ding wir dir wollen?“, entgegnete der Knecht schließlich und lachte nur. „Das frage ich mich auch“, sagte Louis leise und wollte sich umdrehen, doch dann wurde er von dem anderen am Arm gepackt. Es tat ziemlich weh, er hätte dem eher schmalen Hofknecht nicht so viel Kraft zugetraut. „Lass sie, Tero. Als zukünftiger Gutsbesitzer ist Lulu eine Schutzbefohlene meinerseits“, trat plötzlich Bernhard dazu und mit einem Knurren ließ der Hofknecht die Magd schließlich los. „Du weißt nicht, was du tust. Deine Sinne sind bereits vernebelt“, sagte er nur und ging von dannen. Louis knickste zum Dank und eilte hastig davon. Da hatte er nochmal Glück gehabt. Aber jetzt gab es eine weitere Person, der er nicht mehr über den Weg traute. # Im Vergleich dazu war der kleine Sohn des Gutsherren harmlos. Eiki wusste nur, wie man den Menschen gehörig auf den Geist ging. Und bei Louis wirkte sich das so aus, dass er ihn ständig „große Schwester“ nannte. „Na, mein Schwesterchen, wieso schaust du denn so traurig?“, wollte er sie heute aufmuntern und Louis seufzte nur. Es war keine Traurigkeit. Er war nur genervt, weil er einfach nicht damit aufhörte. „Wie oft denn noch? Ich bin nicht deine Schwester“, nuschelte Louis genervt und biss sich auf die Lippe. Es so deutlich zu hören und vor allem alle fünf Minuten als weiblich betitelt zu werden, damit konnte er gar nicht so recht umgehen. „Doch, du bist meine liebe Schwester“, sagte Eiki erneut und kuschelte sich an Louis. „Nein. Ich bin ein Junge, Eiki“, rutschte es Louis irgendwann heraus – und er wollte jedes einzelne Wort wieder zurücknehmen. Doch er war so genervt gewesen, dass er einfach nicht mehr nachgedacht hatte. Er mochte sich nicht ausmalen, was passierte, wenn das auf dem Hof bekannt wurde. Doch zu Louis‘ Erleichterung lachte Eiki nur. Anscheinend hatte er es nur als Witz aufgefasst. Das war nochmal gut gegangen. Aber wie lange noch? Erneut dachte Louis an Bernhard und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. # Die Wand erschien kalt und unbequem. Doch noch unangenehmer waren Bernhards Berührungen, während er sich an seinen Körper presste und Louis der Meinung war, dass er doch merken müsste, dass er nicht das war, was er haben wollte. Als er ihm schließlich die Lippen auf die seinen drückte, konnte Louis nur mit Mühe an sich halten, ihm keine zu scheuern. Bestimmt drückte er ihn weg. „Oha, was du für eine Kraft hast…“, sagte Bernhard allerdings nur belustigt. „Ich sag dir was – ich bin nicht die, für die du mich hältst!“, erwiderte Louis und schüttelte den Kopf, um die Aussage zu unterstreichen. „… interessant“, erwiderte der Neffe des Gutsherren allerdings nur. Dennoch ließ er Louis mit einem Zwinkern allein. Dieser war sich jedoch immer noch nicht so sicher, ob er ihn jetzt los war. Wahrscheinlich würde er sich nur was Neues überlegen, um bei ihm zu landen. Wie pathetisch und lästig. Louis richtete sich die Kleidung und ging von dannen. Dass er einen Beobachter hatte, das wusste er nicht. Für ihn schien es völlig beiläufig, als Tero ihn kurz danach ansprach… # …auf sein zweites Problem hier am Hof hätte Louis in dem Moment gut und gerne verzichten können. Denn Tero war wirklich eine harte Nuss und selbst wenn er ihm nicht so sehr auf die Nerven fiel wie Bernhard, war er im Umgang wesentlich komplizierter. Louis kam sich so dumm gegenüber ihm vor und wusste oftmals gar nicht, was er von ihm wollte. „Was für ein Spiel spielst du?“, fragte er ihn und grinste schief. Sofort fühlte Louis sich ertappt. Unsicher fuhr er sich durchs Haar. Tero schien alles über ihn zu wissen, aber er wusste im Gegenzug gar nichts über den Hofknecht. Nur dass er öfter mit Bernhard redete. Deswegen fragte er sich auch gerade, ob Bernhard Tero geschickt hatte, oder ob er in eigener Sache kam. „Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte Louis und stellte sich lieber dumm. Aber an sich konnte er sich schon denken, dass es etwas mit Bernhard zu tun hatte. „Ich denke, das weißt du schon. Du willst es nur nicht zugeben“, entgegnete Tero und Louis fühlte sich einem prüfenden Blick ausgesetzt. Wusste dieser Kerl etwa von seinem Geheimnis? Aber, was, wenn nicht? Nur… was sollte er sonst meinen? Louis war ganz verwirrt nun. „Ich bin mir nicht sicher. Wovon sprichst du?“, versuchte er es weiterhin auf den naiven Weg, um sich mögliche Schwierigkeiten zu ersparen. „Davon, dass du Bernhard verhext hast!“, platzte es nun aus Tero heraus und Louis spürte, wie er an den Schultern gepackt wurde und das nicht gerade sanft. Mit großen Augen blickte er den anderen an und schüttelte nur den Kopf. „Nein, das stimmt nicht!“, erwiderte er mit einer Stimme, die wesentlich höher klang und Panik breitete sich in ihm aus. Mit so etwas hätte er nicht gerechnet. Vor allem – wieso sollte er ihn verhexen, wo er nicht mal etwas von ihm wollte? „Ich will ihn doch gar nicht…“ „Aber sicher will er dich, eine schäbige Dienstmagd, mehr als alles andere. Lüg doch nicht. Ich hab gehört, wie du selbst zu ihm gesagt hast, dass du nicht die bist, wofür er dich hält. Du hast ihn verhext! Du bist eine Hexe!“, sprudelte es aus Tero heraus und er drückte Louis fest gegen eine Wand, welcher immer wieder den Kopf schüttelte. „Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr!“, versuchte er, Tero diese absurden Gedanken aus dem Kopf zu verbannen, denn er machte ihm ohnehin schon Angst. Sein wahnsinniges Grinsen war ihm ein Zeichen dafür, das alles nutzlos war, was er sagen mochte. „Natürlich ist es nicht wahr. Aber ich will ja nicht so sein… ich verrate dich nicht. Aber du musst mir versprechen, die Finger von meinem besten Freund zu lassen und dich angemessen zu verhalten. Ansonsten wartet der Scheiterhaufen auf dich“, Tero untermalte seine Drohung erneut mit einem boshaften Grinsen und ließ Louis im Schatten zurück. Kapitel 2: Verloren ------------------- Die Angst saß tief in Louis‘ Knochen. Er wusste, was sowas bedeutete. Sobald man erstmal als Hexe bezichtigt wurde, gab es oft kein Zurück mehr. Es kam einer Morddrohung gleich. Unsicher biss er sich auf die Lippe. Dass Tero ihn so sehr loswerden wollte… aber er konnte es sich denken, in seinen Augen nahm er ihm Bernhard weg. Wenn er nur die Wahrheit glauben würde, aber egal, was er ihm sagen würde, es hätte keinen Zweck. Also glaubte er, fliehen zu müssen. Es war die einzige Möglichkeit, die ihn vor der Offenbarung seines Geheimnisses oder vor schlimmerem bewahrte. Auch wenn er gerne in der Küche gearbeitet hatte und sich mit einigen Bediensteten sogar angefreundet hatte, es war einfach zu schwierig und es gab zu viele Personen hier, die Probleme verursachten. Also packte er hastig seine Sachen und wollte heimlich in der Nacht das Weite suchen. Doch er kam nicht weit. Gerade eine Straße weiter kamen ihm Tero und Bernhard Arm in Arm entgegen, offenbar betrunken. Doch leider noch nüchtern genug. „He, meine Süße, wo willst du denn hin?“, fragte Bernhard und umschlang Louis direkt, „schön hiergeblieben“, nuschelte er, während er ihm umgehend einen Kuss auf die Lippen drückte. Louis unterdrückte ein Geräusch des Ekels, verzog aber merklich das Gesicht. Die Alkoholfahne gab ihm den Rest. In dem Moment realisierte er es nicht, was passierte. Um dem nötigen Ärger zu umgehen, lächelte er nur unsicher und erwiderte: „Ich bleib schon am Hof, keine Angst“, nervös fuhr er sich durchs Haar. Sein Fluchtversuch war somit unterbunden, und er achtete zunächst nur darauf, nicht auf weitere Konsequenzen. Er wollte es sich nicht verderben und so ließ er es zu, dass Bernhard seine Hand nahm und ihn mitschleppte. Beschämt blickte er zu Boden und achtete nicht auf Teros hasserfüllten Blick. # Aber die Blicke am nächsten Tag fielen ihm deutlicher auf. Ebenso, dass ihm die Menschen, mit denen er sich eigentlich sonst gut verstand, plötzlich aus dem Weg gingen. Fast so, als hätten sie Angst vor ihm… wenn Louis sie fragte, was los war, wichen sie nur aus. Niemand sagte ihm einen richtigen Grund. Unsicher vollführte er seine tägliche Arbeit und blickte hinaus auf den Hof. Er schlenderte nach draußen, aber da war niemand. Ob die Familie ausgefahren war? Wenigstens konnte er so seine Arbeit in Ruhe erledigen. Aber etwas war anders und unheimlich. Als Louis völlig erschöpft vom Tagewerk schlafen gehen wollte, hörte er plötzlich, wie sich von außen ein Schlüssel in der Tür drehte. Man hatte ihn eingeschlossen! „Hey! Was soll das! Öffnet sofort die Tür!“, rief er und klopfte dagegen. Hatte man jetzt solche Angst, dass er weglaufen würde? „Ich weiß, warum du fliehen wolltest“, hörte er plötzlich von draußen Teros Stimme, „allerdings nutzt dir das gar nichts. Du wirst brennen…“ Mit großen Augen starrte Louis ins Dunkel. Das konnte doch nicht wahr sein. Meinte Tero das Ernst? Oder waren es nur leere Drohungen, weil er ihn hasste? Louis hoffte es so sehr, denn letztendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Arbeit zu tun. Am nächsten Tag war der Raum nicht mehr verschlossen, aber sein Umfeld wurde immer seltsamer. Wenn er sie darauf ansprach, wichen sie aus. Ob sie davon wussten? Da sich ihr Verhalten in weiteren Tagen nicht änderte, stellte Louis sich mitten in die Küche und verkündete: „Hört auf, mich so komisch zu behandeln. Das, was Tero über mich gesagt hat, ist überhaupt nicht wahr!“ Doch offenbar war es zu spät. Wenig später fand sich eine Menschenmenge vor dem Gutshaus ein, die verlangten, dass „die Hexe brennen sollte“. Louis versteckte sich, konnte aber alles hören. Der Gutsherr… ob er ihn verraten würde? Louis zitterte in seinem Versteck und betete, dass ihn niemand entdeckte. Die Kohlen machten seine Haut ganz schwarz, aber es war ihm in diesem Moment egal. Inzwischen musste sich der Gutsherr selbst Beleidigungen anhören, wie er es wagen könne, eine Hexe weiter zu beherbergen. Louis biss sich auf die Lippe und kam sich wirklich schlecht vor. Er wollte seinem Herrn keinen Ärger machen und hatte spätestens jetzt begriffen, dass er verloren hatte. Kleine Tränen huschten über seine Wangen, während er weiterhin hoffte, dass er unentdeckt blieb. # Helles Licht nahm Louis für einen kurzen Moment die Sicht. Er blinzelte, um ausmachen zu können, was vor sich ging. „Da ist sie“, hörte er eine Stimme und wurde im nächsten Moment auch schon fest gepackt und aus dem Kohlenkasten hervorgezogen. Es war völlig unmöglich, sich zu wehren, als die Menge ihn vor sich her schob. Louis hatte genug damit zu tun, sämtliche Angriffe abzuwehren. Sobald er den Mund aufmachte, dass er unschuldig war, übertönten sie ihn doch. Das interessierte keinen mehr. Und so brachten sie Louis zum örtlichen Gericht. Mit großen Augen betrachtete er das Gebäude. Die Situation kam ihm so surreal vor. Nur wusste er, wer hier vorstand, kam oft nicht zurück ohne Strafe. Die Strafe für eine Hexe war der Tod. Ein Schauer lief über Louis‘ Rücken und er kam sich wirklich elend vor. Am liebsten hätte er sich auf den Boden gesetzt und geweint, aber er war viel zu schockiert von den Szenen, dass er nicht mal reagieren konnte. Ein Gerichtsbeamter stand an einem der Fenster und rümpfte die Nase. Louis blickte zu ihm auf, wurde allerdings im nächsten Moment von zwei Männern in Gewahrsam genommen und ins Innere des Gebäudes gebracht. Kurz später befand er sich direkt vor dem Beamten, der ihn eben noch so herablassend angesehen hatte. Und so wurde er von den beiden Wachen zum Verhör auf einen Stuhl gefesselt. „Du bist also die Hexe, von der sie alle reden“, fing der Beamte an. Er war ein schmaler, eleganter junger Kerl. Seine hellblonden Haare schienen perfekt. Nur seine großen dunklen Augen machten einem Angst – sie wirkten so leer. „Ich bin keine Hexe“, erwiderte Louis und schüttelte den Kopf, „Ich bin nur Louise, eine einfache Dienstmagd“, gegen Ende seiner Vorstellung wurde seine Stimme immer leiser. Der andere brachte ihn mit seinen Blicken schon aus dem Konzept, die nun nicht weniger skeptisch wurden. „Louise… weißt du eigentlich, wen du hier gerade anlügst? Ich bin Lukas, der schärfste Richter hier im Gericht und ich werde es beweisen, dass du eine Hexe bist“, erwiderte der Beamte kalt und zog einen Fragenkatalog hervor, die gängigen Fragen zum Hexenverhör. „Woher kommst du? Wie lange bist du eine Hexe? Liest du Zaubersprüche aus Büchern? Hast du dich dem Teufel verschrieben? Wie oft bist du ausgefahren? Hast du das Wetter beeinflusst? Hast du den Neffen des Gutsherren verhext, wie man sagt? Was hast du getan, um seine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen?“ Louis verdrehte die Augen. Die Fragen waren doch lächerlich. Und die, die nicht lächerlich waren, da wusste er keine Antwort, ohne einen blöden Verdacht auf sich zu ziehen. Dass seine Familie ihn verstoßen hatte, war sicher kein guter Punkt. „Ich komme nicht von hier, das ist wahr. Aber ich bin nicht in dieses Dorf gekommen, um es zu verhexen, ich war nur auf der Suche nach Arbeit, die ich dann im Haus des Gutsherren gefunden habe. Ich bin keine Hexe, ich kann nicht lesen, dem Teufel widersage ich, weil ich an Gott glaube“, Louis atmete tief durch. Er musste sich wirklich konzentrieren, sich nicht zu versprechen. Bei der kleinsten Unsicherheit würde Lukas weiter nachhaken, „ausgefahren bin ich niemals“, er schluckte leicht, weil es nicht so stimmte. Immerhin hatte er fliehen wollen. „Niemals… in der Tat“, hakte Lukas sofort ein und fixierte ihn mit einem leeren Blick. „Nun, ich wollte eines Tages fliehen“, gestand Louis leise, „aber wäre ich eine Hexe, dann wäre mir die Flucht sicherlich geglückt und ich wäre nicht von Bernhard aufgehalten worden“ „Vielleicht konntest du um seinetwillen nicht fliehen. Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte Lukas weiter und notierte sich währenddessen etwas, war aber stets bemüht, die angeklagte Hexe nicht aus den Augen zu verlieren. „Gar nichts. Ich weiß wirklich nicht, warum er ein Auge auf mich geworfen hat. Ich finde es nämlich lachhaft. Ebenso wie das ganze hier! Ich bin keine Hexe, ich bin nur jemand, der bedrängt wurde und einen Ausweg sucht!“, platzte es plötzlich aus Louis heraus und er wurde leicht rot. Er hätte besser nachdenken sollen, was er sagte, doch Lukas‘ Art machte ihn eindeutig kirre. „So? Einen Ausweg. Da haben wir es doch. Du hast Bernhard verhext und bist vom Weg der Tugend abgekommen“, schlussfolgerte dieser umgehend. „Nein, das ist nicht wahr! Es ging doch alles von ihm aus!“, verteidigte sich Louis und schüttelte den Kopf. „Dann hast du ihn eben danach verhext!“, bestand Lukas darauf. „Nein, das hab ich nicht! Ich bin keine Hexe! Ich bin nicht mal eine Magd, ich bin…“, in seiner Verzweiflung blieb Louis nur noch eine einzige Möglichkeit, dem ganzen zu entkommen und so zeigte er ihm seinen Körper. Lukas‘ Reaktion darauf war zutiefst geschockt. Er starrte erst unverhohlen zwischen seine Beine, so als könnte er es nicht glauben, wurde dann aber ziemlich rot und drehte sich weg. Für einen Moment war er wirklich sprachlos. Unsicher spielte er mit deinen Papieren. „Du hast… du täuschst uns alle! Du bist nicht nur eine Hexe, die ihren eigenen Körper verhext… sondern auch eine Lügnerin!“, sprudelte es plötzlich aus ihm hervor und er notierte es hastig. „Was?“, Louis konnte kaum glauben, was er da eben gehört hatte und ließ das Oberteil wieder fallen, um sich zu bedecken, „das stimmt doch gar nicht! Ich bin wirklich ein Kerl! Gut, vielleicht habe ich gelogen, aber was hätte ich denn tun sollen, wenn der Gutsherr mich einfach in ein Kleid steckt und mich zum Arbeiten in die Küche schickt?“, versuchte er, sich erneut zu verteidigen. „Aber… das kann nicht sein… du bist… das ist…dein Körper ist… völlig...widernatürlich… da stimmt etwas nicht, du bist überhaupt nicht männlich!“, entgegnete Lukas und Louis konnte merken, dass ihm der Schock immer noch tief in den Knochen saß. Aber anscheinend hatte sich die Situation nun nur noch verschlimmert anstatt entspannt… „Ihr auch nicht!“, gab Louis daher unverblümt zurück. Wenn es doch ohnehin egal war, was er sagte, dann könnte er auch einfach das sagen, was er dachte, oder? Er blickte Lukas an. Die Haare so zu tragen, so ein zierliches Gesicht mit großen Augen… er war der Meinung, dass wenn man den Richter in solch ein Kleid gesteckt hätte, dass er ein ähnlich gutes Mädchen hätte abgeben können. „Das ist ja wohl eine ausgesprochene Frechheit!“, reagierte Lukas ziemlich genervt und schlug den Hammer auf das Pult, „ich verurteile dich sodann zur Hexerei, Louise!“ „Ich bin Louis! Und ihr habt überhaupt keinen Beweis!“, fauchte Louis zurück und wäre am liebsten aufgestanden, um diesem aufgeblasenen Schnösel eine zu donnern. Doch die Wachen ließen es nicht zu. „Ich habe genug gesehen. Entfernt sie“, erwiderte Lukas angewidert und drehte sich weg. „Der Anblick hat dich wohl zutiefst schockiert, wahrscheinlich hast du selber keinen!“, feixte Louis noch, wurde sich dann aber spätestens bei dem Weg in die Verliese bewusst, dass er nun vor einem ernsthaften Problem stand. # Die Tränen kamen, als Louis alleine im dunklen Verlies saß. Die Verzweiflung auch. Es war zu Ende. In den letzten Tagen ging alles so schnell, aber an keinem Punkt hätte Louis es aufhalten können. Tero hatte Recht behalten – nun wartete der Scheiterhaufen auf ihn. Es war so ungerecht. So ungerecht, wie hier wahrscheinlich schon viele Unschuldige verurteilt wurden. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen und wusste nicht, was er tun solle. Er hatte schreckliche Angst. Und die Umstände machten es nicht gerade besser. Irgendwann kam der Henker herein. Louis dachte bereits, jetzt hätte sein letztes Stündchen geschlagen. Aber offenbar war der Henker nur hier, um ihm ein Angebot zu unterbreiten. Und so zog er ihn aus der Ecke und presste ihn gegen die Wand, wobei er mit seinen großen Händen, die sonst eine riesige Axt führten, Louis‘ zierliches Gesicht umfasste. „Wenn du mich heiratest, kannst du dem Tod entgehen, das weißt du, oder?“, sagte er und kam ihm näher. Sein Grinsen war… gut unter anderen Umständen hätte Louis es vielleicht sogar ansprechend gefunden, aber jetzt war es nur unheimlich. „Ihr würdet mich nicht heiraten wollen“, erwiderte Louis, der die Vorstellung ekelerregend fand und es gar nicht in Erwägung zog, um dem Scheiterhaufen zu entkommen. Im Grunde glaubte er sowieso, dass sich der Henker einen Scherz erlaubte, auch wenn das Gesetz bestand. „Wieso nicht? Du siehst anders aus und nicht wie eine dieser Huren“, raunte er dicht an Louis‘ Hals, bevor er einen Kuss darauf setzte. Louis konnte nicht anders, als ein erschrecktes Geräusch von sich zu geben. „Danke für das Kompliment“, wisperte er schließlich und versuchte, etwas Platz für sich zu finden, aber der Henker rückte ihm ziemlich auf die Pelle. Wildes Haar, Dreitagebart, dieses Grinsen und Muskeln, eine Menge davon… schlecht sah er nicht aus, und wahrscheinlich hätte keine Frau Nein gesagt, vor allem nicht in einer solchen Notlage. Insofern war Louis nur leider keine. „Gerngeschehen. Ich bin übrigens Matthias. Überlegs dir. Denn ansonsten wartet morgen der Scheiterhaufen auf dich, Kleine“, sagte der Henker und lachte, dann ließ er langsam los und ging ein paar Schritte zurück. Louis hatte den Blick gesenkt, bevor er schließlich wieder aufsah. „Nett, dass du mir helfen willst. Aber ich glaube, der Tod wird mich ohnehin holen“, sagte er leise. Es gab nichts, was ihm jetzt noch helfen könnte. Und sofern er sich auf diesen wahnwitzigen Plan mit dem Henker einließ, so würde dieser ihn nur verstoßen und schlagen und dann würde man ihn wahrscheinlich doch hinrichten. Und so war es entschieden und er war wieder allein. # Die letzte Nacht war gefüllt von Agonie. Louis hatte kein Auge zugetan, es schien alles so grotesk, dass er es kaum glauben konnte, in ein paar Stunden sterben zu müssen. Er bewegte sich nicht und wartete… auf ein Ende. Die Wachen holten ihn schließlich aus dem Verlies und er erblickte den Henker. Schuldbewusst senkte er den Kopf, weil er dieses Angebot einfach nicht annehmen konnte, welches auch sein Ende gewesen wäre. So setzte er einen Fuß vor den anderen, der Gang zum Scheiterhaufen fiel ihm schwer. Die Blicke der Zuschauer versuchte er, so gut wie es ging, auszublenden. Es war zu viel für ihn. Einfach viel zu viel, sodass er glaubte, er müsste zusammenbrechen. Im nächsten Moment sank er zu Boden, allerdings fiel er nicht hart, denn er fand sich in Matthias‘ Armen wieder. „Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte das Angebot annehmen“, wisperte Louis, jetzt doch voller Angst vor dem Tod. So als hätte er es jetzt erst richtig realisiert, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. „Jetzt ist es ohnehin zu spät“, erwiderte der Henker, „ich muss leider meine Befehle von oben befolgen“, fügte er hinzu und stellte Louis wieder auf die Füße. Es ging weiter. Es musste weiter gehen. Und so setzte sich die Prozession wieder in Bewegung und kam dem Dorfplatz, wo bereits der große Scheiterhaufen stand, immer näher. Louis wagte es nicht, seinen Blick dorthin schweifen zu lassen und versuchte, nicht erneut die Nerven zu verlieren. Letztendlich hatten sie das Ziel erreicht und grobe Wachen banden ihn an dem Pfahl fest, wo Louis weiterhin den Blick gesenkt hielt. Damit sah er vielleicht aus wie ein Schuldiger, der seine Tat bereut, aber das war ihm egal, wie es wirkte. Ohnehin war es bald zu Ende. Louis hatte keine Angst mehr, er nahm alles, was passierte, stoisch hin. Der Priester las ihm das letzte Gebet und sah ihm dabei in die Augen. Louis wollte nicht hinsehen, bis er sein Kinn anhob und er wohl oder übel musste. Diese graugrünen Augen waren wohl die letzten, in die er blicken würde und sie hatten wirklich etwas Beruhigendes an sich, ebenso wie seine Stimme. Louis hatte bei dem Gebet nicht zugehört, aber fühlte sich für einen Augenblick unglaublich leicht und befreit. Als der Priester ihm das Kreuz auf die Stirn zeichnete, schloss er leicht die Augen und öffnete sie dann erneut. Wieder trafen sich ihre Blicke, doch nur für einen Moment. Dann ertönte lautes Gejohle und Louis nahm wahr, wie sie den Scheiterhaufen anzündeten. Ein beißender Geruch stieg ihm sodann in die Nase und die Hitze war deutlich spürbar. Der Priester hatte sich inzwischen in Sicherheitsabstand begeben und Louis war allein – umringt von den Flammen, die sich ihm näherten. Er konnte kaum noch atmen. Kapitel 3: Entflammt -------------------- Doch plötzlich ging alles ganz schnell. Jemand sprang zu ihm auf den Scheiterhaufen, er spürte, wie die Fesseln aufgeschnitten wurden und er hochgehoben wurde. Um ihn herum war die Hölle los, so viel konnte Louis auch hören. Doch was hier passierte und vor allem warum, das konnte er nicht einordnen. Und so klammerte er sich aus Reflex nur an die Person, die ihn auf dem Arm hielt und forttrug. Erst als er irgendwo im grünen Gras lag und das Schreien der Menschen nicht mehr hörbar war, wagte Louis, seine Augen zu öffnen. Erneut blickte er in die Augen des Priesters und schaute ihn wohl ziemlich verwundert an. „Ihr… Ihr habt mich gerettet… warum?“, stammelte er verwirrt und hustete leicht, weil er den Brandrauch wohl doch nicht so gut vertragen hatte. „Weil ich gespürt habe, dass du unschuldig bist, als ich in deine Augen sah“, erwiderte der Priester und lächelte schwach. „Ich danke Euch. Aber die Menschen waren sehr wütend, bekommt Ihr nun keinen Ärger, weil Ihr gegen das Urteil gehandelt habt?“, wisperte Louis und zitterte immer noch vor Aufregung und Angst, dass man ihm noch etwas antun würde. „Nein, auch wenn sie zornig sind, sie wagen es sich nicht, sich gegen das Wort Gottes zu stellen. Bei mir bist du sicher, ich passe auf dich auf, mein Kind“, versprach der Priester und streichelte über Louis‘ blondes Haar. „Danke“, erwiderte Louis und lächelte sanft. Trotz allem war er verwundert, dass sie dann das Dorf verließen. Es war wohl zu seinem Besten, dass der Priester etwas außerhalb wohnte und er erstmal dort bleiben würde. Das Haus war sehr freundlich und er musste dort nicht arbeiten, sondern der Priester kümmerte sich eher um ihn, da er sich ständig Sorgen machte, es könnte ihm nicht gut gehen. Noch selten hatte Louis so etwas gespürt… eine derartige Geborgenheit war eine ganz neue Erfahrung für ihn. Und so schlief er oft lächelnd ein und versuchte trotz allem, sich zu revanchieren, indem er sich um das Essen kümmerte. Er hatte der Köchin im Gutshof etwas auf die Finger geguckt. Trotzdem wurde der Kuchen zu einem leichten Fiasko, was der Priester aber mit Humor aufnahm. „Es tut mir leid, …“, entschuldigte Louis sich und wollte seinen Namen sagen, bis ihm auffiel, dass er diesen nicht kannte. „Ich heiße Mathis“, erwiderte der Priester und fuhr sich durchs Haar. „Mathis“, wiederholte Louis, und von da an begann eine Zeit, in der er ihn immer weniger als Priester wahrnahm, und Mathis im Gegenzug ihn auch weniger als seinen Gast. Ihr Verhältnis wurde immer persönlicher. Sie lachten viel miteinander und Louis spürte, dass er sich in seiner Gegenwart so wohl fühlte, wie noch nie bei einem anderen Menschen sonst. # Neugierig blickte Louis Mathis an, nachdem dieser gemeint hatte, ihm etwas sagen zu müssen. Was es wohl war? Ein Lächeln spielte sich auf Louis‘ Gesicht, während er dem Priester in die Seite piekste. „Na sag schon…“ „Hör auf damit“, nuschelte Mathis und Louis konnte die Röte auf seinen Wangen deutlich wahrnehmen, was ihn ein wenig verlegen lächeln ließ. Er atmete tief durch, ließ den anderen aber reden, ohne ihm weiter auf die Nerven zu fallen. „Also…es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich dich gerettet habe“, fing Mathis unsicher an und spielte nervös an seiner Kleidung herum. Louis zog amüsiert eine Augenbraue in die Höhe. „Was für einen denn?“, fragte er und kicherte leicht. Mathis machte es aber auch spannend, was war wirklich nicht gerecht. „Ich dachte… ich wollte… unbedingt… noch öfter in diese wunderschönen Augen blicken“, brachte Mathis stockend hervor und Louis blickte ihn mit großen Augen an, weil er tief in sich drin so ein Gefühl der Wärme spürte und sein Herz, das begann, schneller zu schlagen… „Ohh…das ist ja echt süß“, erwiderte er und überspielte es mit einem Lachen. Aber eigentlich war er zunehmend unsicher, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. „Süß, ja“, murmelte Mathis und biss sich auf die Lippe. Ihre Blicke trafen sich erneut und Louis spürte, wie er ebenfalls rot wurde. Du meine Güte, was sollte er jetzt nur machen? Aber anstelle von Handeln blickte er nur in Mathis‘ graugrüne Augen und verlor komplett jegliches Zeitgefühl. Von daher merkte er auch nicht, wie viel später es war, als er Mathis‘ Lippen auf den seinen spürte – sondern nur, dass es sich richtig anfühlte. # Louis wusste nicht, was passieren könnte, wenn Mathis davon erfahren würde. Aber er hatte immer seine Persönlichkeit gesehen und ihn nie sonderlich als Mädchen oder Junge behandelt. Von daher ließ er es darauf ankommen. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er wusste doch selber nicht, was all das zu bedeuten hatte, was sie hier machten… „Du bist…“, wisperte Mathis, als er zum ersten Mal wagte, unter Louis‘ Kleidung zu streicheln. „Ja, ich werde ständig für ein Mädchen gehalten. Wobei das noch nicht so schlimm ist, als für eine Hexe gehalten zu werden“, gab Louis zu und fuhr sich unsicher durchs Haar. Mathis erwiderte nichts und drückte ihn nur an sich. Zunächst fragte Louis sich, ob das nur aus Mitleid war und ob sich nun alles zwischen ihnen ändern würde. Doch es dauerte nicht lange, bis Mathis ihn erneut in einen Kuss verwickelte. „Ist es dir egal?“, fragte Louis unsicher, hoffte es aber sehr. Immerhin war es ihm auch egal, selbst wenn er das nie gedacht hätte. „Nein, denn es ist eine Sünde. Aber ich bin schwach. Ich kann nicht widerstehen“, raunte Mathis und streichelte über Louis‘ Haut. „Ich auch nicht“, erwiderte dieser und küsste sich Mathis‘ Hals entlang. „Auf dass sie dich verbrennen und mich aufhängen werden, sofern sie davon erfahren“, sagte Mathis und lächelte unsicher. Louis kicherte leicht, während er unter Mathis‘ Kleidung strich. # Sonntags begleite Louis Mathis mit zur Messe. Da er nun eher männliche Kleidung trug, erkannten ihn die meisten Dorfbewohner auch nicht wieder. Das war gut, denn er wollte sich nicht schon wieder Ärger einhandeln. Trotzdem zog er sich lieber die Kapuze tiefer ins Gesicht. Er wollte niemandem von der Gutsfamilie begegnen. Wie warmherzig Mathis redete, ließ sein Herz immer wieder aufgehen. Und selbst wenn er unten in der Bank allein saß, fühlte er sich hier wohl. Eines Tages nach der Messe gingen beide nach Hause. Mathis hatte den Arm um Louis gelegt, welcher wusste, dass er ihn immer beschützen würde. Sie redeten miteinander und merkten nicht, dass sie einen Verfolger hatten. Zuhause angekommen war schließlich alles wie immer. Dort waren sie in ihrer eigenen Welt. Als sich Mathis aufs Bett setzte, krabbelte Louis ohne zu zögern auf seinen Schoß und küsste ihn innig, sodass die Kapuze von seinem Kopf fiel und sein blondes Haar sichtbar wurde. Plötzlich ertönte ein Geräusch von draußen, gerade als Louis unter Mathis‘ Gewand streichelte. Überrascht lösten sie sich voneinander. „Was war das?“, fragte Louis und starrte zum Fenster, doch da war nichts mehr zusehen. „Bestimmt nur ein Tier“, mutmaßte Mathis, zog Louis wieder in seine Arme und sie liebten sich – ohne zu wissen, dass es ihr letztes gemeinsames Mal war. # Louis hatte sich gerade gewaschen und wollte etwas in den Garten gehen, als es auch schon passierte. Eine Menge von Menschen näherte sich ihrem Haus und die Worte „Hexe“ und „sterben“ waren deutlich zu vernehmen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Hände ausstreckten, um ihn zu packen. Doch Mathis stellte sich vor ihn. „Lasst ihn in Ruhe!“, sagte er mutig, doch seine Stimme zitterte. „Was redest du da? Das ist die Hexe! Und sie hat nun auch dich verführt!“, erklang es aus der Menge. „Das ist nicht wahr! Das ist keine Hexe! Louis hat nichts getan und ist unschuldig. Ich bin nur ein schwacher Mensch – von mir aus verurteilt mich, macht mit mir, was ihr wollt, aber lasst ihn gehen…“, bat der Priester, der von seiner Gemeinde nun ganz anders angesehen wurde. Er hatte nichts mehr zu sagen, und so wurde er zunehmend ignoriert, während ein paar Männer aus der Menge heraustraten, ihn beiseiteschoben und Louis packten. Noch während das geschah, wobei der Zorn der Menschen immer deutlicher wurde und Louis zappelte und sich wehrte, holte einer der Bauern mit seiner Mistgabel aus und zielte auf die vermeintliche Hexe. „Nein!“, schrie Mathis, der das aus dem Augenwinkel beobachtet hatte, und warf sich vor Louis, um ihn aus den Fängen der Menschen zu befreien. Doch er schaffte es nicht rechtzeitig und die Mistgabel durchbohrte stattdessen ihn. Louis bekam einen Schock, als er sah, wie die Zinken vorne wieder aus seiner Brust heraustraten und sich eine Blutlache auf dem Boden bildete, während Mathis‘ lebloser Körper langsam zusammen sank. „Mathis!“, schrie er verstört und mit zitternder Stimme. Heiße Tränen traten aus seinen Augen, während er ihn an sich drückte. „Nein, töte sie nicht. Sie wird brennen, wie es einer Hexe gebührt“, hörte er im Hintergrund, doch er klammerte sich nur ein letztes Mal fester an Mathis, oder das, was von ihm übrig war. Man hatte ihm alles genommen. Und so wehrte er sich auch nicht mehr, als sie ihn abermals packten und mit sich zerrten. Kapitel 4: Verloschen --------------------- So viele unzählbare Tränen hatte Louis hier im Verlies bereits vergossen, aber jetzt war alles anders. Er hatte keine Angst mehr, wie damals, er wollte nur noch sterben. Doch es gab jemand, der versuchte, seine Tränen zu trocknen. Nicht, dass er es schaffte, doch Louis lehnte sich an ihn, weil er sonst niemand mehr hatte. „Du musst nicht sterben, ich kann dir erneut ein Angebot machen“, sagte der Henker und grinste breit, während seine Hand zu seinem Hintern wanderte. „Ich nehme das Angebot an“, flüsterte Louis. Schließlich gab es nichts mehr, was er zu verlieren hatte. Warum er sich so entschied, wusste er auch nicht. Vielleicht war es der Funken einer letzten Hoffnung? Oder doch Angst vor dem Tod? Matthias‘ Lippen pressten sich sodann auf die seinen, doch Louis konnte den Kuss nur halbherzig erwidern, er spürte gar nichts. Als Matthias ihn aus der Zelle trug und am nächsten Tag anstatt einer Hinrichtung die Hochzeit des Henkers stattfand, verblasste alles zunehmend in Louis. In dieser Kirche stand ein neuer Priester, der sie traute. Louis fühlte sich falsch, hier vor dem Altar zu stehen und weinte bittere Tränen. Wenn es einen Gott gab, wieso hatte er dann zugelassen, dass sein Mathis starb, an seiner Stelle? Wieso passierte das alles? War es wirklich so verboten, sich zu lieben? Dabei liebte Gott doch alle Menschen. Wieso konnte dann so etwas im Namen Gottes geschehen, dass Unschuldige getötet wurden? „Vielleicht gibt es ihn gar nicht“, wisperte Louis, als sie nach draußen gingen und spürte, wie ihn der Glauben verließ. Er könnte ohnehin nie wieder in diese Kirche gehen, ohne nicht an Mathis zu denken. Er schwor sich, diesen Ort nie wieder zu betreten. # Das Leben, das Louis nun führte, war schlimmer als der Tod. Sein Körper war von blauen Flecken übersät, welche aber noch lange nicht so schlimm waren, wie der Schmerz seiner Seele. Alles Gute hatte ihn verlassen und Hass breitete sich langsam in ihm aus, weil er es einfach leid war zu weinen und zu trauern um etwas, das nie wieder zurück kam. Nichts würde jemals so sein, wie vorher. Er hatte den rechten Weg verlassen, weil dieser ihm nur Verzweiflung und Tod brachte. So begann Louis auf dunklen Pfaden zu wandeln. Sein Herz verfinsterte sich zunehmend und nur so war es ihm möglich, überhaupt einen Henker zu lieben, oder so zu tun, während er trotzdem immer wieder dafür bezahlte, nicht die Frau zu sein, die Matthias sich gewünscht hatte. Seine Seele hatte er dem Teufel verschrieben und praktizierte eine Art Magie, um seine Wunden zu heilen. Er bereute nichts von all dem. Ein Trank aus Kräutern konnte Gutes bringen aber auch Schlechtes. So wie Matthias ihn leiden ließ, zahlte er es ihm zurück, ohne schlechtes Gewissen. Er warf einen letzten Blick zu ihm, bevor er die Hütte verließ, die Kapuze tiefer ins Gesicht zog und wisperte: „Und sollte ich jetzt brennen, so hätte ich es nicht anders verdient…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)